Es ist eine späte Genugtuung: Dort, in der Antoniter-Kirche, wo in den braunen Zeiten Deutschlands am Seitenaltar eine Hakenkreuz-Flagge zu finden war, befindet sich seit 1952 „Der Schwebende“ von Ernst Barlach. Ausgerechnet eine Skulptur Barlachs, dessen Werke von den Nationalsozialisten als „entartet“ bezeichnet wurden, ersetzt das Symbol faschistischer Diktatur. Ein idealer Platz für dieses ganz besondere Friedensmahnmal.
Nationalsozialisten schmelzen Figur ein
Dabei war der Barlach-Engel eigentlich schon verloren. Ernst Barlach (1870 – 1938) erschuf die Figur des Engels als Mahnmal für die im Ersten Weltkrieg Gefallenen. Zur 700-Jahr-Feier des Güstrower Doms im Jahr 1927 wurde die Figur der Öffentlichkeit vorgestellt.
Der Engel selber strahlt eine Ruhe und Gelassenheit aus. Friedlich schwebt er in der Kirche. Barlach selber wollte erreichen, dass der Engel einen Raum der Ruhe entstehen lässt. Die Figur trägt die Gesichtszüge der von Barlach so hoch geschätzten Käthe Kollwitz. Dazu Barlach selbst: „In den Engel ist mir das Gesicht von Käthe Kollwitz hineingekommen, ohne dass ich es mir vorgenommen hatte. Hätte ich sowas gewollt, wäre es mir wahrscheinlich missglückt.“
Dieses Mahnmal war so anders als die bis zu diesem Zeitpunkt üblichen Kriegsdenkmäler. Keine Glorifizierung, keine heldenhaften Soldaten, sondern ein Denkmal im ursprünglichen Sinne des lateinischen Wortes monumentum („gemahnen“, „erinnern“).
Wenig verwunderlich, dass die Nationalsozialisten mit diesem Ansatz und auch mit der gesamten Kunst Ernst Barlachs nicht viel anfangen konnten. So diffamierten sie auch dieses Werk als „Entartete Kunst“, und der Engel wurde am 23. August 1937 aus dem Güstrower Dom entfernt und später eingeschmolzen. Aus dem Material wurden dann ausgerechnet Rüstungsgüter, z.B. Geschosshülsen, hergestellt.
Heimlicher Zweitguss aus gerettetem Gipsmodell
Allerdings gelang es Freunden von Barlach, das originale Gipsmodell zu retten und davon heimlich im Jahr 1939 einen Zweitguss herzustellen. Dieses Exemplar wurde in der Lüneburger Heide bei dem Maler Hugo Körtinger versteckt. Das originale Gipsmodell wurde 1943 oder 1944 bei einem Bombenangriff in Berlin zerstört.
Dieser Zweitguss wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in Köln ausgestellt. Viele Museen waren an dem Erwerb der Skulptur interessiert, doch der Engel sollte seinen Platz wieder in einer Kirche finden. Die Gemeinde der Antoniterkirche hatte nach dem Krieg den damals unglaublichen Betrag von 10.000 Mark gesammelt1Dieser Betrag entsprach 1952 dem Gegenwert von zwei fabrikneuen VW-Käfer. um den Engel kaufen zu können.
Und so hängt der Schwebende von Ernst Barlach seit 1952 in der Antoniterkirche. Genau dort, wo früher die Hakenkreuzfahne hing. Unter dem Engel befindet sich eine mit den Jahreszahlen „1914 – 1918, 1933 – 1945“ gravierte Platte. Ungewöhnlich, da in der Regel die Kriegsjahre 1939-1945 bei Kriegsdenkmälern genannt werden. Allerdings greift die Inschrift auch die Jahre der nationalsozialistischen Diktatur auf. Die Zeit, in welcher die Kunst von Barlach und vielen weiteren als „entartet“ bezeichnet wurden.
Barlach stirbt 1938 an Herzversagen
Barlach selber hat die Diffamierung seiner Kunst so schwer getroffen, dass auch sein Lebenswillen darunter litt. Im Jahr 1937 sagte er: „Mein Kahn sinkt und sinkt immer rapider. Die Zeit ist gekommen, in der ich ersaufe.“ Ernst Barlach stirbt am 24. Oktober 1938 im Alter von 68 Jahren an Herzversagen.
Drittguss der Figur wieder im Güstrower Dom
Der Guss, welcher in Köln hängt, diente bereits 1952 als Vorlage für einen Drittguss der Figur. Die Evangelische Gemeinde Köln finanzierte diesen Guss und schenkte die Skulptur 1953 der Gemeinde in Güstrow. Und so hängt „Der Schwebende“ heute auch wieder im Güstrower Dom.
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