
Jeder kölsche Autofahrer kennt die rote Stele mitten im Verteilerkreis: 50 Meter hoch, weithin sichtbar, ragt die rot lackierte Skulptur in den Himmel. In Bonn, am dortigen Endpunkt der Autobahn 555, reckt sich eine identische Stele in den Himmel.
Exakt 22 Kilometer trennen die beiden Stelen – doch bilden diese identischen Skulpturen eine Einheit, welche die Städte Köln und Bonn verbindet. Der Name dieses Kunstwerks lautet „Standortmitte“. Geschaffen wurde es vom Kölner Künstler Lutz Fritsch, der zwar zwei eigenständige Stelen entworfen hat, diese aber untrennbar verbunden sieht:
„Durch das Wissen um den jeweils anderen Teil der Skulptur erlebt man räumliche Distanz als Nähe, empfindet die Souveränität des einzelnen Ortes und erkennt doch die Zusammengehörigkeit.“
Die A 555 verbindet die Domstadt und die Beethovenstadt
Die kurze A 555 ist die direkte Verbindung zwischen Köln und Bonn. Die älteste deutsche Autobahn wurde 1932 von Konrad Adenauer eingeweiht. Sie beginnt in Köln am „Bonner Verteiler“ und endet ebenfalls in einem Kreisverkehr im Bonner Norden.

Die beiden Stelen am Anfang und Ende der Autobahn wirken wie zwei Stecknadeln, die die beiden Rheinmetropolen Köln und Bonn verbinden. Michael Kohler schreibt dazu im Kölner Stadt-Anzeiger „So verbindet die beiden rheinischen Städte nicht nur der Asphalt, sondern auch ein unsichtbares Band der Kunst.“ 1Plädoyer für die bedrohte „Standortmitte“, Kölner Stadt-Anzeiger vom 13. Januar 2025
Lutz Fritsch hat die Standortmitte entworfen, die Finanzierung sichergestellt und auch die gesamte Ausführung übernommen. Im Gegenzug haben die Städte Köln und Bonn dem Künstler das Urheberrecht vertraglich zugesichert und damit die Skulptur und die sie umgebenden Verteilerkreise zu rechtlich geschützten Kunstwerken erhoben.

Trasse der Stadtbahn bedroht Kunstwerk
Doch dieses Kunstwerk ist in akuter in Gefahr: Die Stadt plant, mitten durch den Verteiler eine Trasse zur Verlängerung der Stadtbahnlinie 5 zu bauen. Diese Trasse würde unmittelbar an der Stele vorbeiführen. Nicht nur für Lutz Fritsch ist klar, dass damit der ursprünglich zugesicherte Gesamteindruck zerstört würde.

Ascan Egerer, der Verkehrsdezernent der Stadt, sieht dies völlig anders und auch keine Notwendigkeit für eine Umplanung, die Fritsch angeregt hat. Der Künstler hatte, zusammen mit Experten der Technischen Hochschule Köln, vorgeschlagen, die Trasse für die Stadtbahn an ein geplantes Parkhaus an der Bonner Straße zu verlegen und die Trassenführung in einer weiten Kurve an dem Kunstwerk vorbeizuführen. Damit wäre, so Fritsch, nicht nur das Kunstwerk gerettet, sondern auch der Umstieg vom öffentlichen Nahverkehr auf das Auto sicherer und bequemer.

Kein Geld und keine Zeit für Umplanung
Die Stadt Köln nennt zwar „planerische Lösungen vorstellbar“, lehnt jedoch eine generelle Umplanung der Bahntrasse kategorisch ab. Weil, so Verkehrsdezernent Ascan Egerer, dann das gesamte Bauvorhaben vollständig neu geplant und genehmigt werden müsste. Und eine solche neue Planung würde schlichtweg zu viel Zeit und Geld kosten.
Andere Lösungen, wie zum Beispiel einen Tunnel, scheiden aus. Der Verteilerkreis liegt in einem Wasserschutzgebiet, welches eine unterirdisch verlaufende Alternativen unmöglich macht.
Und die Stadt zieht auch noch weitere Argumente gegen eine neue Planung heran. Die „Standortmitte“ stehe nationalen und internationalen Klimaschutzzielen im Weg, so die Stadt in einem Gutachten. Also bleibt es bei der Planung „ab und durch“ – und das Kunstwerk Standortmitte würde seine besondere Wirkung verlieren.
Engagement nicht erwünscht – Kunstbeirat tritt geschlossen zurück
Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Stadt das Kunstwerk bei der Planung schlichtweg übersehen hat. Das hat auch den Kunstbeirat auf den Plan gerufen. Der Kunstbeirat ist ein vom Rat der Stadt Köln bestelltes ständiges Gutachtergremium. Er berät in allen Fragen von Kunst im öffentlichen Raum.
In der Geschäftsordnung des Kunstbeirates lautet es:
„Der Kunstbeirat berät als ständiges Gutachter-Gremium den Rat und seine Ausschüsse sowie die Bezirksvertretungen in allen Fragen von Kunst im öffentlichen Raum. Er soll die Verwendung öffentlicher Mittel nach künstlerischen Gesichtspunkten ermöglichen, indem er über die in vielen Fällen bestehenden konkurrierenden ästhetischen Wertungen einzelner Kunstwerke und über das Spannungsverhältnis zwischen einem Kunstwerk und seinem öffentlichen Umfeld informiert.“
Ständige Mitglieder des Kunstbeirates mit Stimmrecht sind acht sachkundige Bürger/innen. Weitere Mitglieder sind, allerdings nur mit beratender Stimme, der jeweilige Dezernent für Kunst und Kultur und der Dezernent für Planen und Bauen.
Selbstverständlich hat der Kunstbeirat auch eine Stellungnahme zur „Standortmitte“ verfasst. Doch diese Stellungnahme wurde nicht beachtet. Der Kunstbeirat wurde auch in die Beratungen nicht einbezogen. Diese Ignoranz hat am 21. November 2024 zu einem Eklat geführt: Alle acht stimmberechtigten Mitglieder traten geschlossen zurück. In ihrer gemeinsamen Stellungnahme lautet es:
„Der Kunstbeirat ist keine selbstgeschaffene Interessenvertretung der Kunstszene, wie in Politik und Verwaltung mitunter angenommen wird. Die diesem Gremium vom Stadtrat selbst zugewiesene Funktion zu beraten und ggf. Empfehlungen zu anstehenden Entscheidungen auszusprechen, wurde in den letzten zehn Jahren nur teilweise oder gar nicht genutzt und in den jeweiligen Beschlüssen oftmals ignoriert. In vielen Fällen wurde der Kunstbeirat – entgegen der bestehenden Geschäftsordnung – weder befragt noch gehört. Seine (oft ungefragt verfassten) Stellungnahmen zu unterschiedlichen Themen blieben immer wieder unbeachtet”
Der Kunstwissenschaftler und Autor Kay von Keitz ist der Sprecher der des Kunstbeirates. Er moniert zu Recht, dass der Kunstbeirat zwar vom Rat der Stadt eingesetzt ist, aber von den Spitzen in Politik und Verwaltung schlichtweg ignoriert werde.
Diese Nichtbeachtung des Beirats im Fall des Kunstwerks „Standortmitte“ ist aber kein Einzelfall. Kay von Keitz weist darauf hin, dass fast alle Vorschläge, Empfehlungen und auch selbstständig entwickelten Konzepte der acht Fachleute ständig ignoriert wurden. Mit dem Rücktritt aller acht stimmberechtigten Mitglieder ist der Kunstbeirat nicht mehr beschlussfähig.2Stand: 14.03.2025
Weitere Entwicklung bleibt spannend
Am 25. März 2025 tagt der Ausschuss „Kunst und Kultur“. In einer Anfrage vom 14. März 2025 hat die SPD-Fraktion im Rat darum gebeten, folgende Anfrage auf die Tagesordnung zu setzen:
„Mit Bedauern haben wir zur Kenntnis genommen, dass die stimmberechtigten Mitglieder des Kunstbeirats geschlossen zurückgetreten sind. In ihrer Stellungnahme begründen sie diesen Schritt mit der fortgesetzten Missachtung ihrer fachlichen Expertise sowie der Dysfunktionalität des Gremiums. Bereits die vorhergehende Generation des Kunstbeirats hatte ähnliche Kritik geäußert und auf Reformbedarf hingewiesen. Vor diesem Hintergrund bittet die SPD-Fraktion um die Beantwortung der folgenden Fragen:
- Welche Gespräche hat die Verwaltung in den letzten Jahren mit dem Kunstbeirat geführt, um die kritisierten Missstände zu adressieren, und welche konkreten Maßnahmen wurden ergriffen, um die Arbeitsfähigkeit des Gremiums zu verbessern?
- Welche Schritte unternimmt die Verwaltung, um das durch den Rücktritt der stimmberechtigten Mitglieder entstandene Vakuum zeitnah zu füllen?
- Gibt es bereits Überlegungen oder Pläne zur strukturellen oder inhaltlichen Neuausrichtung des Kunstbeirats?
- Wie bewertet die Verwaltung die in der Rücktrittserklärung geäußerte Kritik?
- Welche Konsequenzen zieht die Verwaltung aus dem Rücktritt der stimmberechtigten Mitglieder für die künftige Einbindung fachlicher Expertise im Bereich Kunst im öffentlichen Raum?
Die Antworten darauf soll es in der Sitzung am 25. März 2025 geben. Fraglich ist tatsächlich, ob sich noch Persönlichkeiten finden, die ehrenamtlich in einem Gremium mitarbeiten, welches regelmäßig übergangen wird.

RESPEKT – eine Kulturinitiative für Köln
Der Künstler Lutz Fritsch lässt sich mittlerweile von Yasmin Mahmoudi, Fachanwältin für gewerblichen Rechtsschutz, vertreten. Aber auch die Stadtgesellschaft macht mobil. So hat sich die Initiative RESPEKT gegründet. Zu den Initiatoren gehören unter anderem
- Birgit Mager, Design-Professorin der TU Köln,
- Bruno Wenn, Vorsitzender des Kölner Kulturrats,
- Jochen Heufelder, Kurator,
- Peter Pauls, Vorsitzender Kölner Presseclub,
- Barbara Hosmann, Vorstand der Freunde der Artothek Köln und
- Ulrich S. Soénius, Historiker und Direktor des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs.

Soénius verurteilt die Planung der Stadt deutlich: „Moderne Stadtplanung achtet historische Strukturen, hält sich an Verträge und vermeidet Betonungetüme, die auf Jahrzehnte hinaus das Stadtbild verschandeln. Alles dies beachten die Brückenplaner und Verantwortlichen in der Stadt mit den vorgelegten Plänen am Verteilerkreis nicht.“
RESPEKT ist kämpferisch
Nach eigener Aussage wünscht sich die Initiative mehr Respekt. „Allein der Sachzwang regiert. Standortmitte ist für uns ein herausragendes Beispiel für die vielen Respektlosigkeiten in der Stadt Köln. Wir wünschen dieser Stadt, an der wir alle hängen, mehr Respekt. Für andere und damit für sich selbst.“
„RESPEKT – eine Kulturinitiative für Köln“ lädt alle Interessierten ein, sich für eine Stadt einzusetzen, in der ein Wort gilt, ein Vertrag respektiert wird und in der verantwortungsvoll mit der Entwicklung einer respektvollen Zukunft umgegangen wird.
Das klingt wunderbar – aber aktuell leider nicht nach Köln.
Film zur „Standortmitte“ am 30. März 2025 (11.30 Uhr) im Odeon Kino
Der Film beobachtet die komplizierte und teilweise spektakuläre Herstellung der riesigen Stelen, in der schwerer Stahlbau auf exklusive Feinmechanik trifft. In Zusammenarbeit mit Firmen aus der Region betritt Fritsch auch in technischer Hinsicht Neuland – es darf nichts Geringeres entstehen als das perfekte Rohr. Gleichzeitig gibt der Film einen Einblick in die künstlerische Konzeption des Projektes Standortmitte und die Innenwelt des Künstlers Lutz Fritsch.
Nach der Aufführung wird Künstler Lutz Fritsch im Gespräch mit dem Autor des Films Gerhard Schick und Initiatoren der Kulturinitiative RESPEKT über das Projekt und den aktuellen Status sprechen.
Tickets gibt es direkt beim Odeon Kino.
„Ich engagiere mich, weil mir die Kultur in Köln und ein respektvoller Umgang mit ihren Künstler*innen und deren Kunstwerken am Herzen liegt und dies auch in den städtischen Planungen erkennbar sein muss“.
Barbara Hosmann, Vorstand Freunde der artothek Köln
RESPEKT sucht Mitstreiter
Alle Informationen zur Kulturinitiative RESPEKT sind auf der Website, auf Instagramm und auf LinkedIn zu finden.
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