Kölsche Originale: Fressklötsch – legendärer Vielfraß und hochgeachteter Bürger

Johann Arnold Klütsch, genannt "Fressklötsch", um 1834, Portait von Simon Meister, aus dem Buch "Kölsche Originale", Reinhold Louis, Greven Verlag Köln, 1985
Johann Arnold Klütsch, genannt „Fressklötsch“, um 1834, Portait von Simon Meister, aus dem Buch „Kölsche Originale“, Reinhold Louis, Greven Verlag Köln, 1985
Podcast Fressklötsch, 36
 

Um Johann Arnold Klütsch, in Köln als „Fressklötsch“ bekannt, ranken sich unzählige Legenden:

„Er hat ein 1.000 Pfund schweres Kanonenrohr eigenhändig weggeschleppt.“

„Er hat ein ganzes Rad Käse auf einen Schlag gegessen.“

„Er hat einen Franzosen mitsamt Wachhaus einfach weggetragen.“

„Er hat ein ganzes Kalb gegessen – und dazu noch ein ganzes Brot.“

„Nur er war in der Lage, die originale Rüstung Jan von Werths zu tragen.“

Wieviel Wahrheit in diesen Erzählungen steckt, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Fest steht, dass Johann Arnold Klütsch eine beeindruckende Karriere hingelegt hat – vom Analphabeten bis zum geachteten Geschäftsmann und Geschäftspartner von Ferdinand Franz Wallraf. Doch die kolportierten Geschichten über seine Fähigkeit, Unmengen trinken und essen zu können sowie über seine gewaltige Köperkraft überstrahlen alles.

Bärenstark und immer hungrig

Die bekannteste Legende rund um Fressklötsch ist die Geschichte mit dem holländischen Käse: Als Lohn dafür, dass der bärenstarke Klütsch beim Entladen eines Schiffs aus Holland geholfen hatte, erhielt er ein ganzes Rad Käse. Auf dem Weg nach Hause passierte er die Zollgrenze der Stadt. Doch statt, wie vom Zöllner aufgefordert, den fälligen Steuersatz auf den Käse zu entrichten, setzte sich Fressklötsch ganz entspannt an den Wegesrand und fing an, unter den Augen der Grenzbeamten den Käse zu verspeisen. Als dieser restlos verputzt war, setze Klütsch ungerührt seinen weg in die Stadt fort. Ohne auch nur eine Taler Zoll zu bezahlen.1Andere Zeitgenossen war bei der Vermeidung der fälligen Zollsätze etwas raffinierter, wie die Geschichte von Bolze Lott beweist.

Wieviel Wahrheit in dieser Legende liegt bleibt offen. Genau wie die Geschichte, als Fressklötsch sich mit einem französischen Soldaten angelegt hatte. Dieser hatte darauf bestanden, dass Klütsch, wie vorgeschrieben, ohne Zigarre im Mund an ihm vorbeilaufen sollte. Klütsch sah das ganz anders, packte den Besatzungssoldaten, stellte ihn in sein kleines Wachhäuschen und setzte Soldat samt Wachhaus so nah an die Kaimauer des Rheins, dass der Soldat schlichtweg nicht mehr aus seinem Häuschen kam, ohne in den Fluß zu fallen.

Überhaupt hatte Johann Arnold Klütsch es so gar nicht mit den Franzosen. Angetrunken beobachtete er, wie in der Trankgasse französische Kanonen von einem Pferdefuhrwerk abgeladen wurden. Der bärenstarke Klütsch fackelte nicht lange und schnappte sich eine der Kanonen und lief damit schnell weg. Schnell wurde klar, dass in Köln nur Fressklötsch in der Lage wäre, solche Gewichte einfach fortzutragen. Doch in dem eilig anberaumten Gerichtsprozess wurde Klütsch freigesprochen, weil es Richter und Geschworene nicht für möglich hielten, dass ein einzelner Mann ein „1.000 Pfund schweres Geschützrohr“ stehlen könnte. Hocherfreut über den Freispruch schnappte sich Klütsch noch im Gerichtssaal das als Beweismittel herbeigeschaffte Kanonenrohr und verließ mit diesem unter dem Arm tänzelnd das Gebäude.

Kein tumber Vielfraß

Die legendären Geschichten um Fressklötsch beginnen bereits mit seiner Geburt: Je nach Quelle kursieren verschiedene Geburtsdaten. Gemäß seiner Todesanzeige wäre Klütsch am 23. Februar 1775 geboren. Im Kirchenbuch seiner Pfarre wird das Geburtsjahr mit 1778 angegeben, auch gemäß der Heiratsurkunde wäre er Jahrgang 1778. Egal welcher Quelle man traut: Als Klütsch am 29. November 1845 starb, hatte er mit mindestens 67 Jahren, vielleicht sogar 70 Jahren, ein fast schon biblisches Alter erreicht. Statistisch gesehen betrug im 19. Jahrhundert die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer etwas mehr als 35 Jahre.

Bei seiner Hochzeit am 13. April 1804 fehlt auch seine Unterschrift unter der Urkunde. Stattdessen wurde dort vermerkt „Ehegatte erklärt, er könne nicht schreiben.“ Packt man diese Information mit den erzählten Legenden über Fressklötsch zusammen, ergibt sich das Bild eines tumben, übermäßig gefräßigen Menschen.

Doch je mehr man über Johann Arnold Klütsch erfährt, desto mehr erkennt man, dass dieses Bild trügt. Tatsächlich war er ein angesehener Bürger und Geschäftsmann. Im Jahr 1804, zum Zeitpunkt der Heirat, war Klütsch Abdecker und handelte mit Fleischabfällen. Doch dann lernte er Schreiben und Lesen und wurde Altrüscher.2Altwarenhändler Er lernte den Gelehrten und in der Oberschicht verkehrenden Franz Ferdinand Wallraf kennen und durch ihn auch den Blick auf wertvolle Antiquitäten. So wurde aus dem Altwarenhändler Klütsch der Antiquitätenhändler Klütsch mit einem so hervorragenden Ruf, dass er sogar als Taxator für die Stadt Köln den Wert von Antiquitäten feststellte.

Fahnenstange der 2. Compagnie des Pompiers-Corps. Klütsch war Sous-Chef dieser Compagnie, Bild: Nicola, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Fahnenstange der 2. Compagnie des Pompiers-Corps. Klütsch war Sous-Chef dieser Compagnie, Bild: Nicola, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Wegbereiter der Feuerwehr

Dank seiner Freundschaft zu Ferdinand Franz Wallraf, einem der Mitbegründer des „Festordnenden Comités“3Welches später zum heute noch existierenden Festkomitee des Kölner Karnevals werden sollte. war Fressklötsch im Jahr 1823 ganz eng an dem Kreis von Menschen, welcher den Kölschen Karneval wiederbeleben sollte. In einem späteren Rosenmontagszug soll es Klütsch gewesen sein, der dank seiner Bärenkräfte als einziger in der Lage war, die aus dem Stadtmuseum geliehene Rüstung des Jan von Werth den ganzen Zug über tragen zu können.

Ebenfalls machte er sich einen Namen beim Aufbau der Freiwilligen Feuerwehr. Stolz trug der den Titel „Sous Chef der 2. Compagnie des Pompiers-Corps“.

Gemäß dem Totenzettel Johann Arnold Klütsch nachempfunden, Original: Historisches Archiv der Stadt Köln
Gemäß dem Totenzettel Johann Arnold Klütsch nachempfunden, Original: Historisches Archiv der Stadt Köln

Für die damaligen Verhältnisse hochbetagt verstarb Johann Arnold Klütsch im Alter von 67 – oder 70 Jahren – am 29. November 1845 an einer Unterleibsentzündung, welche wohl ein Lungenödem hervorgerufen hatte. Sein Totenzettel besagt, dass es sich um einen „wohlachtbaren Herrn“ gehandelt hätte.

Und das ist ein schöneres Vermächtnis als „nur“ als Kraftprotz und Vielfraß in die Geschichte einzugehen.


Tief im kollektiven Gedächtnis der Stadt verankert: Die "Kölschen Originale"
Tief im kollektiven Gedächtnis der Stadt verankert: Die „Kölschen Originale“

Weitere Geschichten zu den „Kölschen Originalen“ gibt es hier:


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Kölsche Wörter: „maggeln“ – illegale Geschäfte abwickeln

Beliebte "Währung" zum maggeln: Zigaretten, Bild: Bundesarchiv / CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Beliebte „Währung“ zum maggeln: Zigaretten, Bild: Bundesarchiv / CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Muckefuck un Rövekruck
vum Schwatze Maat met heimjebraat,
op Hamsterfahrt em Vürjebirch
ne Teppich jäjen Woosch jetuusch. 1Muckefuck und Rübenkraut
vom Schwarzmarkt mit nach Hause gebracht,
auf Hamsterfahrt im Vorgebirge
einen Teppich gegen Wurst getauscht.

(Bläck Fööss „Usjebomb“)

Nachkriegszeit in Köln. Die Menschen hungern und frieren. Um zu überleben, werden alle möglichen Gegenstände gegen Nahrungsmittel getauscht. Der im Lied der Bläck Fööss beschriebene Handel „Teppich gegen Wurst“ war kein Einzelfall. Mancher Bauer aus dem Kölner Umland kam auf diesem Weg zu hochwertigem Porzellan oder Silberbesteck. Auch der Schwarzmarkt in der zerstörten Domstadt lief auf Hochtouren. Besonders beliebt: „maggeln“ mit Zigaretten, die zu einer zweiten Währung wurden.

„maggeln“ – gegen  Gesetz und Verordnung

Mit „maggeln“ beschreibt der Kölner die Fähigkeit, zumeist illegale Geschäfte abzuwickeln. Adam Wrede2Neuer Kölnischer Wortschatz, Greven Verlag Köln 1976 erklärt „maggeln“ wie folgt: „In den Notjahren 1946 bis 1948 bedeutet das Wort: Gegen Gesetz und Verordnung Handel, Tauschhandel mit rationierten Waren treiben, Schwarzhandel treiben mit Kauf und Verkauf von Waren ohne amtliche Bezugsscheine.“

Eindeutig: „maggeln“ haftet in Köln etwas illegales an. Dabei stammt das Wort von „makeln“ ab und meint somit „vermitteln“ bzw. „Geschäfte vermitteln“. Also eine durchaus legale Tätigkeit. Für den Kölschen aber ist die Sachlage eindeutig: Der Makler als Vermittler von Geschäften ist ein ordnungsgemäßer Händler, der „Maggeler“ hingegen ist der Schwarzhändler.

Aussprache und Schreibweise

Oft wird in der kölschen Sprache das „g“ als „j“ ausgesprochen. Aber nicht immer. Steht „gg“ nach einem kurzen Vokal (wie in „maggele“ aber auch zum Beispiel in „Röggelche“). Und daher wäre grundfalsch, von „majjele“ oder dem „Majjeler“ zu sprechen.

Wenn Geld diskret den Besitzer wechselt, ist oft Maggelei im Spiel, Bild: Kiwiev, CC0, via Wikimedia Commons
Wenn Geld diskret den Besitzer wechselt, ist oft Maggelei im Spiel, Bild: Kiwiev, CC0, via Wikimedia Commons

Enge Verwandtschaft mit dem Klüngel

In einem Interview der Deutschen Welle mit dem ausgewiesenen Köln-Kenner Detlef Rick wird auch der Zusammenhang zwischen maggeln und dem Klüngel deutlich. Dort lautet es „Maggeln, klüngeln und ein Fisternöllche, eine Art kölscher Dreikampf. Und alle drei Ausdrücke haben eins gemeinsam: sie bezeichnen eine nicht ganz gradlinige Handlungsweise.“ Für den Klüngel ist die Sachlage eindeutig. Bereits 1782 wird im Zusammenhang mit der städtischen Lotterie der Begriff „Klüngel“ für „betrügerische Machenschaften“ genutzt. Und ein Fisternöllche ist auch ausdrücklich eine heimliche Liebelei, in der Regel hinter dem Rücken anderer Personen.

Und auch heute wird in unserer Stadt viel gemaggelt – nicht immer zum Besten der Bürgerschaft. Wer das irgendwie verstehen will, sollte sich den sehenswerten Film „Der König von Köln“ ansehen. Dort kann man über die Machenschaften eines ganz großen Maggelers, im Film als „Josef Asch“ bezeichnet, nur staunen.


Kölns Schwarzer Markt 1939-1949: Ein Jahrzehnt asoziale Marktwirtschaft von Werner Schäfke (Autor), Marzellen Verlag, 6,95 Euro
Kölns Schwarzer Markt 1939-1949: Ein Jahrzehnt asoziale Marktwirtschaft, Werner Schäfke, Marzellen Verlag, 6,95 Euro

Kölns Schwarzer Markt

Joachim Brokmeier, Stadtteilhistoriker aus Riehl, empfiehlt  zu diesem Thema das Buch „Kölns Schwarzer Markt 1939-1949: Ein Jahrzehnt asoziale Marktwirtschaft“ von Werner Schäfke3Marzellen Verlag, 6,95 Euro.

Verlagsinformationen:

Kölns Schwarzer Markt beherrscht seit ersten Anfängen mit Kriegsbeginn im Jahre 1939 und in den ersten Jahren unter alliierter Besatzung das Bild mancher Kölner Straßen und Plätze. Nach Schätzung der Stadtverwaltung sind bis zur Währungsreform 1948 etwa 20 000 Personen in diesem Schattenbereich des wirtschaftlichen Lebens tätig, damit – wenn auch außerhalb der Legalität – einer der größten Arbeitgeber Kölns.

In diesem Buch wird dieses Jahrzehnt Kölner Lebens erstmals wissenschaftlich dargestellt und in einer Auswahl von Bildern und Zeitungsberichten der Nachkriegszeit in seinem Elend und seinem Ausmaß sichtbar gemacht.

Werner Schäfke: Kölns Schwarzer Markt 1939-1949 –
Ein Jahrzehnt asoziale Marktwirtschaft
ca. 100 Seiten
Marzellen Verlag Köln
ISBN 978-3-937795-28-7
6,95 €


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