Das Hansahochhaus – in Rekordzeit errichteter Prestigebau

Das Hansahochhaus in Köln, errichtet von 1924/25, Bild: Raimond Spekking
Das Hansahochhaus in Köln, errichtet von 1924/25, Bild: Raimond Spekking

Im Jahr 1924 hatten die Düsseldorfer mit dem Wilhelm-Marx-Haus das höchste Eisenbetonbauwerk in Europa fertigggestellt. Die Farbe war noch nicht trocken, da bekam dieses Haus Besuch: Eine Delegation des Kölner Städtebauausschusses machte eine Dienstreise nach Düsseldorf, um genau dieses Gebäude in Augenschein zu nehmen.

Kaum zurück in Köln wurden die Pläne konkretisiert, auch in Köln ein Hochhaus zu errichten. Allerdings musste dieses Gebäude – entsprechend dem kölschem Selbstverständnis – höher als das Düsseldorfer Hochhaus werden.

So wurden die Pläne des Architekten Jacob Koerfer, am Hansaring ein 65 Meter hohes Haus zu errrichten, zügig im Städtebauausschuss durchgewunken. Denn: Dieses Gebäude sollte satte 13 Meter höher als das Düsseldorfer Wilhelm-Marx-Haus werden. Und auch der Name „Hansahochhaus“ sollte an die glorreichen Zeiten Kölns als führendes Mitglied der Hanse erinnern.

Adenauer will Köln aufwerten

Dieses Gebäude war Teil der Strategie Konrad Adenauers, Köln massiv aufzuwerten. Der damalige Bürgermeister hatte daher seine Finger bei vielen Bauprojekten im Spiel, dazu gehörten unter anderem

  • die Universität,
  • das Müngersdorfer Stadion,
  • die Messe,
  • der Niehler Hafen,
  • die Ford-Werke,
  • die Mülheimer Brücke oder auch
  • die Autobahn Köln-Bonn.

Das Hansahochhaus passte genau in Adenauers Plan: Kühn, ehrgeizig und aufsehenerregend. Deswegen schrieb er auch im April 1924 an den Architekten des Gebäudes:

Schreiben von Konrad Adenauer an Jacob Koerfer, Architekt des Hansahochhauses, vom 24. April 1924, Quelle: Koerfer'sche Verwaltungsgesellschaft mbH
Schreiben von Konrad Adenauer an Jacob Koerfer, Architekt des Hansahochhauses, vom 24. April 1924, Quelle: Koerfer’sche Verwaltungsgesellschaft mbH

Architekt und Unternehmer Jacob Koerfer

Treibende Kraft hinter dem Hansahochhaus war der Architekt und Unternehmer Jacob Koerfer (1875 – 1930). Koerfer, ursprünglich beim Kölner Hochbauamt beschäftigt, hatte bereits mehrere Wohnhäuser in Klettenberg sowie Büro- und Geschäftshäuser in der Innenstadt errichtet.

Der findige Unternehmer war bei vielen Projekten auch gleichzeitig Bauherr, der seine errichteten Immobilen nach Fertigstellung verkaufte, um mit dem erwirtschafteten Kapital neue Projekte realisieren zu können. So erwarb er auch verschiedene Grundstücke mit dem Ziel, diese zu einem späteren Zeitpunkt bebauen zu können.

Nur 15 Monate Bauzeit

Das neue Hochhaus sollte am Hansaring entstehen. Das Grundstück, direkt an den Gleisen der Bahn gelegen, erschien nicht sonderlich attraktiv. So willigte die Stadt ein, einen Grundstückstausch vorzunehmen: Verschiedene Grundstücke, die im Besitz von Koerfer waren, sollten mit dem Preis für das Baugrundstück des Hansahochhauses verrechnet  werden.

Die Verwaltung nahm, vermutlich auch auf Druck Adenauers, ein unglaubliches Tempo auf: Am 11. Januar 1924 stellte Koerfer seinen Plan vor und nur eine Woche später lag der Beschluss vor, das Hansahochhaus zu errichten. Die Arbeiten begannen unverzüglich und schon am 25. Oktober 1924 war der Rohbau fertig. Dieses für heutige Verhältnis unglaubliche Tempo konnte nur deswegen erreicht werden, weil man sich bei den Amerikanern die Stahlskelettbauweise abgeschaut hatte.

Allerding forderte das hohe Tempo auch Opfer: So berichtete die „Bergische Post“ vom 16. Dezember 1924 von einem Unfall auf der Baustelle des Hansahochhauses. Beim Einsturz eines Gerüsts kamen zwei Bauarbeiter ums Leben. 

Die "Bergische Post" vom 16. Dezember 1924 zum Unfall auf der Baustelle des Hansahochhauses
Die „Bergische Post“ vom 16. Dezember 1924 zum Unfall auf der Baustelle des Hansahochhauses

Hyperinflation führt zu Finanzierungsproblemen

Während der eigentliche Bau zügig voranschritt, kämpfte Bauherr und Architekt Koerfer mit erheblichen Finanzierungsproblemen. Die Hyperinflation führte zu explodierenden Preisen. Während im Juni 1923 ein Kilo Kartoffeln „nur“ 5.000 Mark kostete, schnellte dieser Preis bis Dezember 1923 auf 90 Milliarden Mark hoch.

Aus Angst, dass das Prestigeprojekt scheitern und man sich vor den Düsseldorfern mit den ehrgeizigen Kölner Plänen blamieren könnte, stimmte der Stadtrat einem Vorschlag Koerfers zu: Die auf dem Grundstückstausch basierende Finanzierung wurde angepasst, Zinsen wurden gesenkt, die Tilgung von Darlehen zum Teil ausgesetzt und behördliche Gebühren erlassen.

Trotz aller finanziellen Probleme wurde das Hansahochhaus in nur 15 Monaten Bauzeit im Juni 1925 fertiggestellt. Die eigentliche Bautätigkeit betrug sogar nur 135 Arbeitstage. 

Backsteinexpressionismus: Ornamentale Formensprache mit spitzen Elementen

Durch die dunkelroten Klinker wirkt das Gebäude, trotz Stahlskelett, wie ein Massivbau. Ganz im Stil der Zeit wurden Art-Déco-Elemente verwendet und verschiedene Skulpturen von Tieren und Menschen angebracht. Leider sind die fünf Figuren, welche die fünf Kontinente symbolisierten, nicht mehr vorhanden. Vermutlich wurden diese im Krieg zum Schutz abgebaut und sind anschließend verschollen.

Detailansicht: Affenskulptur am Hansahochhaus, Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Detailansicht: Affenskulptur am Hansahochhaus, Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Das gesamte Ensemble besteht aus einem Hauptbau, auf dem das eigentliche Hochhaus aufgesetzt ist. In dem Gebäudeensemble befanden sich Büros, Ausstellungsflächen ein Café und ein großer Kinosaal mit 1.200 Plätzen. Dieses Kino wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, an seiner Stelle befindet sich heute ein Parkhaus.

Die größte Attraktion war der heute noch in Betrieb befindliche Paternoster. Dieser war bis 1965 der höchste Paternosteraufzug der Welt.

Der Paternoster im Hansahochhaus, Bild: Duhon, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
Der Paternoster im Hansahochhaus, Bild: Duhon, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Unrühmliche Nutzung in den Jahren 1944 und 1945

Im Informationssystem KuLaDig wird auch auf die unrühmliche Nutzung des Gebäudes zwischen hingewiesen:

„Zwischen 1944 und 1945 wurden der dritte und der vierte Stock des Hauses von der Reichsbahn als Zwangsarbeitslager verwendet. Über 800 Zwangsarbeiter*innen wurden dort unter unwürdigen Bedingungen untergebracht und mussten schwere und gefährliche Aufräum- und Reparaturarbeiten an Bahnanlagen vornehmen.“1Julian Weller: „Hansahochhaus in Neustadt-Nord”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-343141 (Abgerufen: 2. Mai 2023)

Heute bekannt als Saturn-Hochhaus

Bereits 1961 eröffneten Fritz und Anni Waffenschmidt unweit des Hansahochhauses den ersten Saturn-Markt. Für die Kölner war diese Ecke der Stadt damals noch etwas „anrüchig“. Waffenschmidt über die Anfänge seines Medienunternehmens:

„ … tja, meine Damen und Herren, und als ich dann meinen sehr einfach gestrickten Plattenladen auch noch am Hansaring eröffnete, wo junge, hübsch aufgemachte Damen durch Schwenken kleiner Täschchen viel Geld verdienten, haben mich alle für bekloppt gehalten.“2Danke für diese Information an Meta Schnorrenberg, die Fritz Waffenschmidt persönlich auf einem Vortrag im Marketingclub Köln/Bonn erlebt hat.

Gestartet mit nur 120 Quadratmetern Verkaufsfläche entwickelte sich nach und nach ein großes Medienunternehmen. Im Jahr 1977 zog Saturn in das Hansahochhauses und sollte dieses für die nächsten Jahrzehnte prägen. Die damals „größte Schallplattenschau der Welt“ war Anziehungspunkte für Jugendliche, die dort ihr Taschengeld in Vinylplatten umsetzten.

Nachts weit sichtbar: Die leuchtende Saturn-Reklame auf dem Hansahochhaus, Bild: Julian Weller / CC BY 4.0
Nachts weit sichtbar: Die leuchtende Saturn-Reklame auf dem Hansahochhaus, Bild: Julian Weller / CC BY 4.0

Seit 1993 strahlt die Saturn-Leuchtreklame von der Spitze Hansahochhauses. Auch deswegen nennen die Kölner das Gebäude liebevoll „Saturn-Haus“.

Und wenn wir Kölner uns heute über lange Bauzeiten der Nord-Süd-Stadtbahn oder der Oper ärgern, schauen wir uns das Hansahochhaus an und denken:

Wir konnten auch mal schnell bauen!


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Die „Poller Köpfe“- Köln ohne Rhein?

Bei Hochwasser gab es einen zweiten Verlauf des Rheins östlich von Deutz. Ein große Gefahr für die Stadt Köln. Karte: OpenStreetMap
Bei Hochwasser gab es einen zweiten Verlauf des Rheins östlich von Deutz. Ein große Gefahr für die Stadt Köln. Karte: OpenStreetMap

Es wäre für die Stadt Köln eine Katastrophe gewesen! Der Rhein fließt nicht im gewohnten Flussbett, sondern sucht sich einen neuen Verlauf. Statt westlich verläuft der Fluss auf einmal ab Poll östlich an Deutz vorbei, um dann erst in Mülheim ins alte Flussbett zurückzukehren.

Klingt aberwitzig – aber diese Gefahr drohte ab ca. dem 12. Jahrhundert. Und es passierte bereits vereinzelt bei Hochwasser und Eisgängen: In Köln kam nur noch ein flaches Rinnsal an, der Fluss suchte sich ein neues Bett. Höchste Alarmstufe für die Stadt, denn damit war die grundsätzliche Schiffbarkeit des Rheins gefährdet und somit Kölns Wohlstand. Ohne den Handel, welcher zum größten Teil über den Rhein abgewickelt wurde, und ohne das äußerst lukrative Stapelrecht wäre Köln bedeutungslos geworden.

Köln ohne Rhein? Undenkbar!

Daher wurde bereits seit dem 12. Jahrhundert das Poller Rheinufer befestigt, um eine solche „Umleitung“ zu verhindern. Durch Anpflanzungen und Dämme entlang der heutigen Poller Wiesen sollte verhindert werden, dass Köln vom Rheinstrom abgeschnitten würde.

Problematisch war allerdings, dass Poll damals noch nicht zur Stadt gehörte, sondern zu den Besitztümern des Erzbischofs, mit dem die Kölner regelmäßig im handfesten Streit lagen. Doch auch der Erzbischof war nicht daran interessiert, dass Köln seinen Rang als Handelsmetropole verlieren könnte. Großzügig erlaubte der Kirchenmann, dass die Kölner Weiden zur Uferbefestigung auf seinem Grund pflanzen durften – allerdings auf Kosten der Kölner Bürgerschaft.

Ausschnitt aus einer Federzeichnung von 1583 mit den "Poller Köpfen", Bild: Stadtarchiv Köln
Ausschnitt aus einer Federzeichnung von 1583 mit den „Poller Köpfen“, Bild: Stadtarchiv Köln

Mammutprojekt „Poller Köpfe“

Doch diese Uferbefestigung war nicht stark genug, um bei Hochwasser nachhaltig eine mögliche Veränderung des Flussbettes zu unterbinden. Daher nahm die Stadt Köln im Jahr 1557 das Poller Ufer in Erbpacht, um ein Mammutprojekt in Angriff zu nehmen: Die „Poller Köpfe“. Auch hier bat der Erzbischof die Kölner kräftig zur Kasse: Die Pachtzahlung bestand in zwei Tonnen Heringen pro Jahr und zusätzlich in einem vergoldeten Geschirr – und für jeden neuen Erzbischof auch ein neues Goldgeschirr.

Ab 1560 begannen die Bauarbeiten. Es wurden schwere Uferbefestigungen („Köpfe“) angelegt. Dafür wurden massive Eichenstämme mit Querbalken im Flussgrund befestigt. Die so entstanden Kästen wurden mit Basaltbrocken gefüllt. Die Dimensionen dieser Anlage waren gewaltig: Mehrere Hundert Meter lange und etwa acht Meter breite Konstruktionen, welche bis zu 3 Meter aus dem Wasser herausragten. Zur Beschaffung des nötigen Bauholzes erwarb die Stadt Köln ein eigenes Waldgrundstück.

Um das Bollwerk gegen die Kräfte des Rheins noch weiter zu sichern, wurden alte und beschädigte Rheinschiffe angekauft und – beschwert mit Steinen und gesichert durch in den Boden getriebene Eichenpfähle – gezielt unmittelbar vor den Poller Köpfen versenkt. Damit die Pflege des Bauwerks gesichert war, stellte die Stadt eigens einen „Weidenhüter“ ein: Ein städtischer Beamter mit Wohnsitz auf der Anlage, der diese ständig im Blick hatte.

Im Jahr 1641 wurde ein steinernes Wehr zur Unterstützung der Anlage eingebaut. Aber erst mit Bau des Deutzer Hafens ab 1895 wurden die weit in den Rhein ragenden Bestandteile der Poller Köpfe entfernt und durch moderne Befestigungsanlagen ersetzt. Die Halbinsel „Poller Werth“ wurde zum Deutzer Hafen.

Die Poller Wiesen heute, rechts der Deutzer Hafen, Bild: ToLo46, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Die Poller Wiesen heute, rechts der Deutzer Hafen, Bild: ToLo46, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Poller Wiesen sind heute Bodendenkmal 

Als Uferbefestigung sind heute nur noch die in den Rhein ragenden Buhnen auf den Poller Wiesen zu sehen, die Reste der „Poller Köpfe“ liegen unter den Poller Wiesen.

Diese sind nicht nur ein beliebtes Erholungsgebiet, sondern auch als Bodendenkmal geschützt. Im Jahr 2003 wurden dort bei Niedrigwasser zwei im 16. Jahrhundert gezielt zur Verstärkung der „Poller Köpfe“ versenkte „Niederländer“1Ein spezieller Schiffstyp zum Frachttransport auf dem Rhein. gefunden. Doch die Archäologen kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus: Bei Probegrabungen stellte sich heraus, dass bis zu 100 weitere Schiffe dort gezielt versenkt wurden.

Sogenannte "Niederländer" für Fahrten auf dem Rhein bis zur Nordsee. Am linken Bildrand ist das Holzgestell zu erkennen, welches die Anlegestellen der Ober- und Niederländer trennt, Bild: Ausschnitt aus der Stadtansicht von Anton Woensam, 1531
Sogenannte „Niederländer“ für Fahrten auf dem Rhein bis zur Nordsee, Bild: Ausschnitt aus der Stadtansicht von Anton Woensam, 1531

Als dann noch Kampfmittelräumer die Poller Wiese für den Papstbesuch anlässlich des Weltjugendtags 2005 in Köln – der Papst hielt vom Schiff aus eine Ansprache für die auf den Poller Wiese versammelten Gläubigen – auf eventuell im Schlick verborgene Weltkriegsbomben untersuchten, fanden sie auch mit Hilfe der dabei eingesetzten Metalldetektoren Teile der alten Befestigungsanlagen der „Poller Köpfe“, wie Eisenschuhe zur Verankerung der Eichenbalken. Daher wurden die Poller Wiesen am 24. Oktober 2005 in die Bodendenkmalliste eingetragen.

Der Papst beim Weltjugendtag 2005 in Köln. Die Gläubigen im Vordergrund stehen auf den Poller Wiesen, Bild: Ingrid Schultz, Copyrighted free use, via Wikimedia Commons
Der Papst beim Weltjugendtag 2005 in Köln. Die Gläubigen im Vordergrund stehen auf den Poller Wiesen, Bild: Ingrid Schultz, Copyrighted free use, via Wikimedia Commons

Und wenn man sich heute bei gutem Wetter auf den Poller Wiesen sonnt und den Drachen, die dort regelmäßig steigen, zusieht, ahnt man kaum, dass genau hier massive Uferbefestigungen gestanden haben. Ohne diese wäre Köln eventuell vom Rhein abgeschnitten  worden. 

Und dann wäre es aus gewesen mit „Köln am Rhein“. 


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Mathilde von Mevissen – der „Hunger nach Bildung“

Mathilde von Mevissen (1848 - 1924), Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_630749.
Mathilde von Mevissen (1848 – 1924), Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_630749

„Die Frauenfrage interessiert mich! Da ich aber unglücklich war und wohl etwas unterdrückt, habe ich mir fest vorgenommen, in dieser Frage kein Wort mehr zu sagen, bis ich innerlich abgeklärt und meine Ansichten von allen persönlichen Verhältnissen frei sind. Meine Erfahrungen kann ich nützen – meine Erbitterung nicht! Ich will suchen ins Ganze zu sehen über mein erbärmliches Ich weg.“1Tagebucheintrag von Mathilde von Mevissen im Jahr 1890

Dieser Satz aus ihrer eigenen Feder fasst das Leben der Kölner Frauenrechtlerin Mathilde von Mevissen hervorragend zusammen:

  • Unterdrückung durch den Vater
  • Hunger nach Bildung
  • Drang nach Veränderung.

So lässt sich auch ihr Leben in drei Abschnitte unterteilen:

Teil I:  Kindheit und (gescheiterte) Vorbereitung auf eine spätere Rolle als Ehefrau (1848 – 1890)

Am 30. Juli 1848 wird Mathilde von Mevissen als zweite von fünf Töchtern des Unternehmers Gustav Mevissen (1815 – 1899, ab 1884 Gustav von Mevissen) und Elise Mevissen, geb. Leiden (1822 – 1857), geboren.

Ihr Vater war ein schwerreicher Industrieller und Bänker, nach heutigen Maßstäben ein Multimillionär. Ihre Mutter verstarb bereits 1857 nach der Geburt des fünften Kindes. Gustav von Mevissen heiratete im Jahr 1860 Therese Leiden, die Schwester seiner ersten Frau. Ein damals nicht unübliches Arrangement.

Als Tochter „aus guten Hause“ im 19.Jahrhundert war Mathildes Lebensweg eindeutig vorgezeichnet: Die Ausbildung diente alleine dazu, sie auf ihre spätere Rolle als Hausfrau und Mutter vorzubereiten. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden eigens Hauslehrer engagiert. Deren vorrangiges Ziel war die „sittliche Erziehung“ der Mädchen, um sie später gut in vornehmen Kreisen verheiraten zu können.

Dafür wurde im Hause Mevissen ein strenges Regiment geführt. Die Töchter durften ohne Begleitung das Haus nicht verlassen, die Post wurde kontrolliert und auch das, was sie lesen durften, war vorgeschrieben.

Gustav Mevissen im Jahr 1848, Bild: Valentin Schertle, Public domain, via Wikimedia Commons
Gustav Mevissen, hier im Jahr 1848, kontrollierte streng das Leben seiner fünf Töchter. Bild: Valentin Schertle, Public domain, via Wikimedia Commons

Diese Zeit der fehlenden Bildung empfand Mathilde als Qual. Als „in­halts­lee­res Da­sein ei­ner un­ver­hei­ra­te­ten Frau im Groß­bür­ger­tum des 19. Jahr­hun­derts oh­ne ech­te Auf­ga­be und oh­ne in­tel­lek­tu­el­len An­spruch“ bezeichnete die Frau­en­recht­le­rin He­le­ne Lan­ge diese Phase im Leben von Mat­hil­de von Me­vis­sen.

Ein kleiner Lichtblick: Heimlich schlich sich Mathilde in die riesige Privatbibliothek ihres Vaters.2Diese umfasste rund 25.000 Bücher. Sie versteckte die Bücher vor dem Zugriff der Eltern und Hauslehrer und las mit Begeisterung alles, was sie finden konnte.

Das repräsentative Wohnhaus der Familie Mevissen in der Zeughausstraße. Das Gebäude ist nicht mehr erhalten, heute steht dort das Regierungspräsidium. Bild: Kunst des 19. Jahrhunderts im Rheinland. Bd. 2. Architektur: II, Profane Bauten u. Städtebau, Schwann, Düsseldorf 1980
Das repräsentative Wohnhaus der Familie Mevissen in der Zeughausstraße. Das Gebäude ist nicht mehr erhalten, heute steht dort das Regierungspräsidium. Bild: Kunst des 19. Jahrhunderts im Rheinland. Bd. 2. Architektur: II, Profane Bauten u. Städtebau, Schwann, Düsseldorf 1980

Teil II: Aufkommendes Engagement in der Frauenfrage (ab 1890)

Nachdem immerhin drei der fünf Mevissen-Töchter in wohlhabende Kölner Familien verheiratet wurden3Nur Mathilde und ihre Schwester Melanie sollten unverheiratet bleiben.lockerte der Patriarch Gustav von Mevissen etwas die Zügel. Sie übernahm Sekretariatsaufgaben für ihn und verwaltete die große Bibliothek.

Mathilde von Mevissen als Figur auf dem Rathausturm, Bild: Raimond Spekking
Mathilde von Mevissen als Figur auf dem Rathausturm, Bild: Raimond Spekking

In dieser Zeit fiel auch ihr „Erweckungserlebnis“. Sie las ein Buch über die Ende des 19. Jahrhunderts aufkommende Frauenfrage. Eckart von Mevissen, ein Verwandter, beschrieb die damit ausgelöste Veränderung eindrücklich: „Ihre vielseitige Bildung, ihr Hunger nach Betätigung, nach wirklicher Leistung … ihr trostloses Dasein in den Fesseln strenger Konvenienz, all das ließ das Wort von der Befreiung der Frau wie eine Erlösung auftauchen.“

Und Mathilde wird aktiv: Sie gründet, gemeinsam mit Elisabeth von Mumm (1860 – 1933), den „Köl­ner Frau­en­fort­bil­dungs­ver­ein“. Dies gilt als heute als Anfang der Kölner Frauenbewegung.

Ihrem Vater konnten diese Aktivitäten nicht gefallen, er warf ihr ungebührliches Verhalten vor. Aber Mathilde hatte mittlerweile das Selbstbewusstsein entwickelt, ihre Ziele auch gegen den Willen des Vaters zu verfolgen.

Teil III: Leben und Wirken nach dem Tod des Vaters (1899 – 1924)

Doch erst mit dem Tod ihrs Vaters 1899 konnte Mathilde von Mevissen endlich ihr eigenes Leben frei gestalten. Und dieses Leben widmete sie der Frauenfrage mit dem Schwerpunkt Mädchen- und Frauenbildung. Ihr Ansatz: Mädchen bzw. Frauen müssen die gleichen Bildungsvoraussetzungen geboten bekommen wie Männer. So war sie treibende Kraft des „Ver­eins Mäd­chen­gym­na­si­um Köln“, welcher 1899 gegründet wurde. Dieses Gymnasium nahm  aber erst nach einem von Mathilde von Mevissen beharrlich ausgeführten Kampf mit den preußischen Bildungsbehörden am 29. April 1903 den Betrieb auf.

Mitgliederverzeichnis der Mitglieder des "Vereins Mädchengymnasium zu Köln" Mathilde von Mavissen stiftetet mit 60.000 Mark alleine 75% der Gesamtsumme
Mitgliederverzeichnis der Mitglieder des „Vereins Mädchengymnasium zu Köln“ Mathilde von Mavissen stiftetet mit 60.000 Mark alleine 75% der Gesamtsumme

Mathilde von Mevissen setzte das vom Vater geerbte riesige Vermögen für die Frauenbildung und Frauenrechte ein. Sie richtete Stipendien speziell für junge Frauen ein und unterstützte großzügig das von ihr initiierte Mädchengymnasium.

In der Gründungsurkunde des „Vereins für Mädchenbildung“ wird deutlich, dass Sie diese Initiative fast im Alleingang finanzierte. Zwar wurden 26 Stifter und Patrone aufgeführt, doch mit einer Stiftungssumme von 60.000 Mark finanzierte Mathilde von Mevissen alleine 75% des gesamten Stiftungskapitals.

Zusätzlich unterstützte sie die bereits von ihrem Vater in­iti­ier­te Han­dels­hoch­schu­le. Diese wurde im Jah­re 1919 als Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät in die neu gegründete Universität zu Köln integriert. Schon seit 1920 wurde die jährliche Gründungsfeier der Uni als „Mevissenfeier“ bezeichnet. Zum speziellen Dank wurde Mathilde von Mevissen im Jahr 1923 – anlässlich ihres 75. Geburtstags – der Titel „Ehrenbürgerin der Universität“ verliehen. Im Mai 2024 wird die Universität noch einen Schritt weitergehen und den Mathilde-von-Mevissen-Tag feiern.

Familiengrabstätte Mevissen auf dem Melaten-Friedhof. Die Gedenkplatte für Mathilde von Mevissen befindet sich auf der Kopfseite (zweite von links). Bild: Geolina163, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Familiengrabstätte Mevissen auf dem Melaten-Friedhof. Die Gedenkplatte für Mathilde von Mevissen befindet sich auf der Kopfseite (zweite von links). Bild: Geolina163, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Am 19. März 1924 stirbt Mathilde von Mevissen. Sie wird im Familiengrab auf dem Melaten-Friedhof beigesetzt. Ihr wurde eine der 124 Rathausfiguren gewidmet, und seit 2005 heißt die älteste Grundschule im Stadtteil Nippes „Mathilde-von-Mevissen-Grundschule“.

Mathilde von Mevissen hat das Leben der Frauen – nicht nur in Köln – verändert. Sie hat nachhaltig Bildungschancen für Mädchen eröffnet. 

Somit hat sie ihren bereits 1890 geäußerten Wunsch „Ich will suchen ins Ganze zu sehen…“ erfüllt.


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Mathilde-von-Mevissen-Promovendinnenförderung

Die TH Köln hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich im Hinblick auf Nachwuchsförderung und Personalentwicklung zu engagieren, um der stetigen Abnahme des Frauenanteils bei den voranschreitenden Karrierestufen, zu begegnen.

Mehr zu diesem Förderprogramm gibt es auf der Website der TH Köln.


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Kölner Stadtteile: Deutz – Veedel zwischen Historie und Moderne

Deutz um 1900 mit der geöffneten Schiffbrücke und dem Bahnhof Schiffbrücke am Deutzer Rheinufer, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons
Deutz um 1900 mit der geöffneten Schiffbrücke und dem Bahnhof Schiffbrücke am Deutzer Rheinufer, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons

Im Kölner Lokal-Anzeiger war es am 1. April 1888 nur eine Meldung auf Seite drei unter „Locales“, für das stolze, eigenständige Deutz aber das Ende der Eigenständigkeit: Nach mehr als 1.500 Jahren wird Deutz nach Köln eingemeindet und hört auf, als eigenständiger Ort zu existieren.

Die Eingemeindung vieler bis 1888 eigenständiger Gemeinden nach Köln als Meldung auf Seite 3 unter "Locales" im Kölner Local-Anzeiger vom 1. April 1888
Die Eingemeindung vieler bis 1888 eigenständiger Gemeinden nach Köln als Meldung auf Seite 3 unter „Locales“ im Kölner Local-Anzeiger vom 1. April 1888

Die Eingemeindung betraf aber nicht nur Deutz, sondern viele weitere bis dahin eigenständige Gemeinden. Unter anderem Ehrenfeld, Müngersdorf, Nippes oder auch das rechtsrheinische Poll.

Doch die Deutzer hatten etwas besser verhandelt: So wurde der Bürgermeister von Deutz Beigeordneter in Köln, das Standesamt verblieb im Deutzer Rathaus, und es gab Geld für verschiedene Baumaßnahmen. Trotzdem war es für die traditionell freiheitsliebenden, stolzen Deutzer schwer zu verkraften: Ab diesem Tag war das wirtschaftlich prosperierende Deutz nur noch ein Stadtteil von Köln.

Modell des Kastells Divitia, Bild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0
Modell des Kastells Divitia, Bild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0

Keimzelle: Das römische „Kastell Divitia“ 

Begonnen hatte alles um das Jahr 308 n. Chr. herum: Um die wichtige Colonia Claudia Ara Agrippinensium, unser heutiges Köln, vor den rechtsrheinischen Germanen zu schützen, wurde in Deutz das Kastell Divitia errichtet. Der Rhein bildete die eigentliche Grenze, das Kastell diente als Brückenkopf der Römer im „Land der Barbaren“. Geschützt wurde dadurch auch die Konstantinbrücke, die erste feste Brücke über den Rhein.

Darstellung der Konstantinbrcke aus dem Jahr 1608 mit viel künstlerischer Freiheit, so gab es z.B. keinen Turm in der Brückenmitte
Darstellung der Konstantinbrücke aus dem Jahr 1608 mit viel künstlerischer Freiheit, so gab es z.B. keinen Turm in der Brückenmitte

Nachdem die Franken ab etwa 355 n. Chr. regelmäßig Köln angriffen, geben die Römer die Stadt im Jahr 462 n. Chr. auf. Aus dem Kastell wurde später ein fränkischer Königshof. Die genaue Entwicklung von Deutz in diesen Jahren ist unklar. Erst mit Erzbischof Heribert, der an der Stelle des Hofes im Jahr 1003 ein Benediktinerkloster gründete, nahm die Entwicklung von Deutz wieder Fahrt auf. Im Jahr 1230 wurde Deutz zur Stadt erhoben.

Deutz im Machtkampf zwischen Köln und den Grafen von Berg

Und genau diese Stadt Deutz stand im Zentrum der Machtkämpfe zweier Rivalen: Auf der linksrheinischen Seite die Freie Reichsstadt Köln, auf der rechtsrheinischen Seite die Grafen von Berg.

Mehrfach wurde Deutz überfallen, geplündert, gebrandschatzt. Der Ort verlor die Stadtrechte und wurde zu einer „Vrijheit“1Eine Art „Stadtrechte light“. herabgestuft. Im Jahr 1538 verbrannten durch eine Brandstiftung große Teile von Deutz. Im sogenannten „Kölner Krieg“ 1583 zerstörten marodierende Truppen die Ortschaft sogar nahezu vollständig.

Gleichzeitig wurde der rechtsrheinische Ort zur Zuflucht für die 1424 aus dem linksrheinischen Köln vertriebenen Juden, später auch für die im „Hillije Kölle“ so ungeliebten Protestanten. So entwickelte sich Deutz und wurde liberaler, freier, aufgeschlossener und fremdenfreundlicher als das linksrheinische Köln und erlebte so nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs (1618 – 1648) einen Wirtschaftsaufschwung.

Das Kürassier-Denkmal "Lanzenreiter" an der Deutzer Rheinpromnenade erinnert an die Preußische Garnison in Deutz, Bild: Raimond Spekking
Das Kürassier-Denkmal „Lanzenreiter“ an der Deutzer Rheinpromnenade erinnert an die Preußische Garnison in Deutz, Bild: Raimond Spekking

Die Preußen verändern Deutz massiv

Mit der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress 1814/15 änderte sich für Köln und Deutz fast alles: Die Preußen erschufen aus Köln die „Festung Cöln“. Auch rechtsrheinisch wehte ein neuer, stark militärisch geprägter Wind. In Deutz entstand die große Dragoner Kaserne, der größte Teil der Deutzer Bevölkerung bestand aus Soldaten oder Mitarbeitern der Militärverwaltung.

Die Deutzer Schiffbrücke um 1900, Bild: US- Library of Congress
Die Deutzer Schiffbrücke um 1900, Bild: US- Library of Congress

Gleichzeitig stieg die Bedeutung von Deutz als Verkehrsknotenpunkt. Die Deutzer Schiffbrücke, errichtet 1822, war die erste Kölner Brücke nach der Konstantinbrücke. Vorher mussten sich die Kölner etwa 900 Jahre mit Fähren behelfen, um die Rheinseiten zu wechseln.

Deutz wird bedeutender Industriestandort und Eisenbahnknotenpunkt

In Köln entwickelte Nicolaus August Otto einen neuartigen Motor – eine Erfindung, die die Welt und auch Deutz grundlegend verändern sollte. Zusammen mit Eugen Langen gründete er die Motorenfabrik „N.A. Otto & Cie“. Doch der Platz in der Servasgasse, fast noch im Schatten des Doms, reichte nicht aus. Ein neues Werksgelände entstand in Deutz. Ähnlich ging es der ursprünglich am Kartäuserwall befindlichen Seilerei Felten & Guilleaume2Von den Kölnern gerne als „faul & gemütlich“ bezeichnet., die genau wie auch die Chemische Fabrik Kalk im Rechtsrheinischen weitläufige Produktionsstätten errichtete.

Um die neuen Industriegebiete zu erschließen und dem stetig wachsenden Bedarf nach Mobiltät gerecht zu werden, konkurrierten mit der „Bergisch Märkischen Eisenbahn“ (BME) und der „Cöln- Mindener-Eisenbahn“ (CME) zwei Eisenbahngesellschaften, wobei jede ihr eigenes, exklusives Schienennetz betrieb. So entstanden zwei große Kopfbahnhöfe und zwei kleinere Bahnhöfe in Deutz – viele Eisenbahnstrecken durchzogen den Stadtteil und schnitten Deutz vom Rheinufer ab.

Der Bahnhof Schiffbrücke direkt am Deutzer Rheinufer, vorne das Stammhaus der Brauerei Sünner an der Deutzer Freiheit, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons
Der Bahnhof Schiffbrücke direkt am Deutzer Rheinufer, vorne das Stammhaus der Brauerei Sünner an der Deutzer Freiheit, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons

Deutzer Eisenbahnjammer

Diese Entwicklung machte aus dem zuvor beschaulichen Örtchen ohne Rücksicht auf Verluste einen Industriestandort. Insbesondere die Tatsache, dass das Rheinufer durch Bahndämme Deutz faktisch vom Fluss abschnitt, erzürnte die Deutzer und führte zum „Deutzer Eisenbahnjammer“:

Der "Deutzer Eisenbahnjammer" in der Kölnischen Zeitung vom 23. April 1899
Der „Deutzer Eisenbahnjammer“ in der Kölnischen Zeitung vom 23. April 1899

Der Autor beklagte:

„Was ist aus unserm schönen Deutz geworden! Einst ein blühendes Städtchen am Rheinufer … Kein Ort am ganzen Rheinstrom vermochte den malerischen Zauber, die behagliche Geselligkeit darzubieten … uns arme Deutzer hat man durch einen garstigen Eisenbahndamm vom Rheine abgetrennt.  … Tempi passati…“

Gleichzeitig entwickelte sich Deutz zum Amüsierviertel, denn die bis zur Eingemeindung dort eingeräumten Freiheiten führten auch dazu, dass sich insbesondere auf der Prachtstraße Deutzer Freiheit zahllose Gaststätten, Glücksspielbetriebe, Tanzlokale und – für die katholisch geprägten linksrheinischen Kölner unerhört – „Lusthäuser“ ansiedelten.

Rege Bautätigkeit

Schnell entstanden wichtige Infrastrukturprojekte wie der Deutzer Hafen (1907), der Deutzer Bahnhof (1913) und die Messehallen (1923), welche zur „Pressa – Internationalen Presseausstellung“ (1928) massiv ausgebaut werden.  

Die Nationalsozialisten hatten ganz besondere  Pläne für Deutz. Dort sollte ein riesiges „Gauforum“ mit gigantischen Parteibauten und einem großem Aufmarschgelände entstehen. Dafür wäre Deutz nahezu verschwunden. Gut, dass diese Spinnereien nie verwirklicht wurden.

Die Kriegsfolgen waren auch in Deutz verheerend. Hier traf es das rechtsrheinische Köln genau so heftig wie den linksrheinischen Innenstadtbereich. Mit dem Wiederaufbau bekam auch die Entwicklung von Deutz wieder positive Impulse. Die Brücken wurden wieder instandgesetzt, bereits 1947 fanden wieder erste Ausstellungen und Messen statt, bis 1950 standen bereits 52.000 Quadratmeter Hallenfläche wieder zur Verfügung.

Deutz wird Sitz des LVR und der Lufthansa

Mit der umstrittenen Ansiedlung der Hauptverwaltung des Landschaftsverbandes Rheinlandes in Köln3Der Sitz auch der Vorgängerinstitutionen war traditionell in Düsseldorf. Ende der 1950er Jahre nahm Deutz weiter Schwung auf. Die Ford-Werke richteten mitten in Deutz im sogenannten „Ford-Hochhaus“ zahlreiche Großraumbüros ein. Auch die Lufthansa hatte von 1970 bis 2007 im Lufthansa-Hochhaus, heute Lanxess Tower, direkt am Rhein ihren Hauptsitz. Im Deutzer Rheinpark fanden 1957 und 1971 jeweils eine Bundesgartenschau statt.

Prachtstück in Deutz: Der Rheinboulevard, Bild: Raimond Spekking
Prachtstück in Deutz: Der Rheinboulevard, Bild: Raimond Spekking

„Boomtown Deutz“: Düx kütt üvver Kölle

1998 wurde die Kölnarena eröffnet, zeitgleich mit dem „Technischen Rathaus“ der Stadt. Die alten Messehallen wurden im Jahr 2010 neue Heimat des Fernsehsenders RTL und Versicherers HDI. Neue ICE-Gleise im Deutzer Bahnhof ermöglichen Hochgeschwindigkeitsfahrten. So ist der Frankfurter Flughafen von Deutz aus in nur 48 Minuten zu erreichen.

Fazit: Deutz hat eine erfolgreiche Entwicklung genommen. Zwar nennen die Kölner Deutz immer noch spöttisch „Schäl Sick“ – doch mittlerweile ist das schon anerkennend gemeint. Und wenn schon die kölschen Lokalheiligen, die Bläck Fööss, der Schäl Sick huldigen, dann hat Deutz alles erreicht:

Hey Kölle, pass op! Jetz ändert sich die Zick.
Düx kütt üvver Kölle, jetz es et bal su wick.4
„Schal Sick“, Bläck Fööss


Lotsentour „Schäl Sick is schick!“  

Meine Stadtführung „Schäl Sick is schick!“ bietet einen wunderbaren Einblick in dieses ganz besondere Veedel.


Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena Emons Verlag Köln ISBN 978-3-7408-1565-3 12,00 Euro, erhältlich in jeder Buchhandlung
Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena

Der Autor Michael Kriegel hat sein Herz an Deutz verloren, seit er Mitte der 1970er Jahre auf der „Schäl Sick“ studiert hat. Und diese Liebe hat er in dem lesenswerten Buch „Deutz – vom Römischen Kastell zur Köln-Arena“ verewigt.


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Der Eigelstein – 2.000 Jahre Geschichte auf 570 Meter Straße

Die Wanderbäume vor der Eigelsteintorburg, Bild: Wanderbaumallee Köln
Blick in den heute verkehrsberuhigten Eigelstein, Bild: Wanderbaumallee Köln

Podcast Eigelstein-Stüverhoff 14

Der Eigelstein ist gerade mal 570 Meter lang – und trotzdem eine der sagenumwobensten und ältesten Straßen in Köln. Als Teil der römischen Hauptachse in Nord-Süd-Richtung (sog. „Cardo maximus“) war der Eigelstein eine wichtige Verkehrsader für die Römer auf dem Weg in die bedeutenden Legionslager Novaesium (Neuss) und Castra Vetera (Xanten). Noch heute ist dieser Weg auf einer Karte gut zu erkennen: Vom römischen Nordtor über die Marzellenstraße, Eigelstein, Neusser Straße über die Niehler Straße geht es schnurgerade zum Rheinufer und von da aus weiter nach Neuss und Xanten.

Kein Adler, sondern Pinienzapfen

Um gleich mit einem weit verbreiteten Vorurteil aufzuräumen: Nein – die Historiker gehen nicht (mehr) davon aus, dass sich der Name „Eigelstein“ von „Adler“ herleitet. Obwohl der Verdacht nahe liegt, denn immerhin war das Wappentier der römischen Legionen der Adler (lateinisch aquila). Außerdem nannten die Franzosen die Straße „Rue de L` Aigle“ (Straße des Adlers oder Adlerstraße).

Allerdings gab es an den Ausfallstraßen der römischen CCAA regelmäßig Friedhöfe. So auch am Eigelstein. Auf den Gräbern wurden oft Pinienzapfen aus Stein angebracht, diese galten als Symbol der Unsterblichkeit. Die Kölner gingen davon aus, dass es sich Eicheln handelte und nannten die steinernen Zapfen „Eychelsteyne“. Und von da aus ist es nur noch ein kurzer Weg zum „Eigelstein“.

Eines der vielen Gasthäuser am Eigelstein: Der "Brüsseler Hof" (1840)
Eines der vielen Gasthäuser am Eigelstein: Der „Brüsseler Hof“ (1840)

Handwerker Viertel – mit vielen Gaststätten

Rund um den „Eygelsteyn“ siedelten sich im Mittelalter viele Handwerker an. Und diese hatten anscheinend beträchtlichen Durst: Bereits 1170 erwarb „Ezelin der Bruer“ ein Haus und wurde somit der erste namentlich genannte Bierbrauer Kölns – ein echter Pionier!

Im Jahr 1838 gab es am Eigelstein insgesamt 18 Brauereien. Und noch bis 2015 wurde hier Bier gebraut, zuletzt von der Gaffel-Brauerei, die heute ihr Bier rechtsrheinisch, in Gremberghoven, braut. Den Durst kann man am Eigelstein aber immer noch hervorragend stillen, unter anderem im Weinhaus Vogel oder in der bereits 1760 gegründeten Gaststätte „Em Kölsche Boor“

Urjels-Palm in der Bierdeckel-Serie "Kölsche Originale", Bild: Bild: rs-bierdeckel.de, Reinhold Schäfer
Urjels-Palm in der Bierdeckel-Serie „Kölsche Originale“, Bild: Bild: rs-bierdeckel.de, Reinhold Schäfer

Heimat kölscher Originale

Am Eigelstein lebten auch Johann Arnold Klütsch (1775 – 1845), in Köln als „Fressklötsch“ bekannt. Ein legendärer Vielfraß und hochgeachteter Bürger. Und auch der als vornehme Straßenmusikant bekannte Johann Joseph Palm (1801 – 1882) – genannt „Orjels-Palm“ – lebte in dieser Straße.

Früher Kappesboore, in den 1970er „Klein Istanbul“

Wirft man einen Blick in die Mercator-Stadtansicht von 1570. ist der Eigelstein eine eher abgelegene Straße. In der Weidengasse, die auf ungefähr halber Höhe in den Eigelstein mündet, kann man auf der alten Ansicht noch einfache Strohhütten erkennen. Hier haben damals die als „Kappesbure“ bezeichneten Kohlbauern sowie die Stadtsoldaten und auch Wäscherinnen in prekären Verhältnissen gelebt.

Deutlich aurf diesem Ausschnitt des Mercator - Stadtplanes zu erkennen: Die Weidengasse war früher kaum bebaut
Deutlich aurf diesem Ausschnitt des Mercator – Stadtplanes zu erkennen: Die Weidengasse war früher kaum bebaut

Ab den 1970er Jahren war insbesondere die Weidengasse ein bei der türkischen Bevölkerung sehr beliebtes Wohnviertel. Hier wurde auch 1974 der erste türkische Gemüseladen Kölns eröffnet.

Allerdings ist in diesem sehr urbanen Viertel die Gentrifizierung festzustellen: Immer mehr wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängen die weniger zahlungskräftigen Einwohner. Aber noch finden sich hier unzählige Schnellimbisse mit türkischen Spezialitäten. Der Rauch, der insbesondere beim Grillen der Dönerspieße entsteht, sorgt regelmäßig für Ärger bei den (neuen) Anwohnern.

Die 1970er Jahre war auch das kriminelle Milieu der Stadt stark am Eigelstein vertreten. Insbesondere „Im Stavenhof“, einer kleinen, engen Seitengasse, boomte die Prostitution.

Heute ist der Eigelstein eine in weiten Teilen autofreie Fahrradstraße – was aber regelmäßig zu Konflikten zwischen herumschlendernden Fußgängern und eiligen Lastenradfahrern führt.

Das "Schmalste Haus Kölns", Eigelstein 115, Bild: wowo2008, Public domain, via Wikimedia Commons
Das „Schmalste Haus Kölns“, Eigelstein 115, Bild: wowo2008, Public domain, via Wikimedia Commons

Attraktion: Das schmalste Wohnhaus Kölns

Es ist zwar 30 Meter lang, aber nur 2,56 breit: Das schmalste Wohnhaus Kölns befindet sich am Eigelstein Hausnummer Nr. 115. Kurios: Das Haus hat keine eigene Außenwände sondern wurde zwischen die Brandmauern der beiden Nachbargebäude gebaut. Ebenfalls platzsparend: Die Badezimmer sind über Schiebetüren abgetrennt, die Treppen zu den oberen Stockwerken wurden nach außen gelegt.

Am Eigelstein ist Musik

Selbstverständlich darf in einer Stadt, die sich selbst regelmäßig feiert und besingt auch ein Lied zum Eigelstein nicht fehlen: Die kölsche Band „Räuber“ hat dieser Straße mit dem äußerst eingängigen Lied „Am Eigelstein es Musik“ ein musikalisches Denkmal gesetzt.

Etwas feinsinniger die Lieder, die der Straße „Unter Krahnenbäumen“ gewidmet sind. Diese Straße mündet auf Höhe der Weidengasse in den Eigelstein. Willi Ostermann besingt 1936 das „Kinddauf-Fess Unger Krahnebäume“, Wolfgang Niedecken bezeichnet diese Ecke 2004 in seinem Lied „Unger Krahnebäume“ als „Schattenseite des Doms“:

Rään un Sonnensching und Harel, Eirestein un WiggejassLang nit mieh heher jefahre, och mit wirklich jetzt verpassSonnenbank un Dönerbuude, Ahn- un Verkauf, JlitzerkrommEinmohl mieh erinnjeroode en die Schattesick vum Dom

Von 1979 bis 1988 gab es auch Eigelstein Musikproduktion GmbH. Dieses Label brachte 1979 das BAP-Album „BAP rockt andere kölsche Leeder“ und 1980 das deutlich rockigere „Affjetaut“ heraus.

Heinrich Böll wird von Schwester Antonia wegen seiner Fähigkeit, Menschen zu analysieren und diese Erkenntnis zu formulieren sehr geschätzt. Bild: Harald Hoffmann
Heinrich Böll hat in dem Essay „Straßen wie diese“ seine Sehnsucht nach Straßen wie „Unter Krahnebäume“ beschrieben, Bild: Harald Hoffmann

Heinrich Böll: „Straßen wie diese“

Durch Heinrich Böll hat es das Eigelstein-Viertel auch in die Weltliteratur geschafft. Als Nachwort zu dem sehenswerten Bildband „Unter Krahnenbäumen – Bilder aus einer Straße“ des Kölner Fotografs Chargesheimer schreibt Böll:

„Durch Straßen wie diese führte mein Schulweg, sieben Jahre lang; viele tausend Male bin ich durch solche Straßen gegangen, aber nie in sie eingedrungen; erst viel später – in der Erinnerung begriff ich, was Straßen wie diese bedeuten, ich begriff es, wie man plötzlich Träume begreift, wenn ich in fremden Städten stundenlang durch Straßen ging und eine wie diese suchte, aber nicht fand.“


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