Der Kallendresser zeigt uns die bläcke Fott

Der Kallendresser am Alter Markt, Bild: Elke Wetzig (elya) [CC BY-SA (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)]
Der Kallendresser am Alter Markt, Bild: Elke Wetzig (elya) [CC BY-SA (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)]

+++ TOP AKTUELL: Film „Der Kallendresser lebt!“  +++

Am 19. April 2023 war die Welturaufführung: Der Kölner Filmemacher Bruno Neurath-Wilson hat seine sehenswerte Dokumentation „Der Kallendresser lebt“ veröffentlicht. 
Ganz am Anfang des Films kommt auch ein ganz bestimmter Kölner Stadtführer zu Wort. Schaut da unbedingt mal rein!


Unerhört!
Da hockt ein kleines Männlein hoch über unseren Köpfen und streckt uns die bläcke Fott (hochdeutsch: das nackte Gesäß) entgegen. Offensichtlich ist es gerade dabei, in de Kall ze drisse (hochdeutsch: seine Notdurft in der Regenrinne zu verrichten). Und das mitten in der Stadt. Am Alter Markt. Diese kleine Männlein wird von den Kölschen liebevoll Kallendresser genannt. Ihr findet es am Alter Markt, Hausnummer 24.

Das Kallendresser-Leed

Die Kölschen lieben diese kleine Figur, es gibt sogar ein eigenes Lied dazu:

Ki-Ka Kallendresser,
hev et Hembche huh!
Kik-Ka Kallendresser,
mähs de Minsche fruh.
Häste Ärger un Verdross,
mähste deer nix druus,
denkste nor wie Goldschmitsjung
un stipps dä Mond erus. 

Übersetzung:
Ki-Ka Kallendresser,
hebt das Hemdchen hoch,
Kik-Ka Kallendresser,
machst die Menschen froh.
Hast du Ärger und Verdruss,
mach dir nichts draus,
denke nur wie ein Lehrling der Goldschmiedekunst1Denken wie ein Goldschmittsjung“ ist eine (heute kaum noch gebräuchliche) Redensart für (vornehm gesagt) „Du kannst mich mal.“
und streckst den Mond2hier: Das Hinterteil heraus.

Verschiedene Legenden zur Herkunft

Genau wie beim Halven Hahn gibt es auch beim Kallendresser verschiedene Legenden zur Entstehung:

  • Am Alter Markt war es anscheinend schon immer etwas lauter. Besonders jedoch störte sich ein Schneider daran, dass unter ihm ein – offensichtlich weniger talentierter – Musiker Tuba übte. Nach vielen Ermahnungen wegen der Ruhestörung wurde es dem Schneider zu bunt, und er hockte sich an die Dachkall und zielte ganz genau …

oder:

  • Für Dachdecker ist es natürlich mühsam, für das „Geschäft“ eine Toilette aufzusuchen. Viel einfacher ist es doch, die Regenrinne zu benutzen.

oder:

  • Die oberen Stockwerke wurden früher von den Dienstboten bewohnt. Selbstverständlich gab es dort oben keine Toilette. Und dann war der Weg zur Dachrinne nicht so weit wie der Weg zum Plumpsklo im Hinterhof.

oder: 

  • Meine Lieblingsgeschichte leitet sich vom Standort des Kallendressers ab: Dreht man sich einmal um, sieht man das Rathaus. Und plötzlich wird der nackte Hintern der Figur zum politischen Statement.

Wie in Kölle so üblich: Zu vielen Legenden gibt es eine ganze Reihe Erklärungen, wobei gilt: Was am Ende richtig ist, ist egal. Hauptsache, die Geschichten sind schön!

Der Kallendressers als Synonym für das Aufbegehren gegen die Obrigkeit

Tatsächlich gab es einen Vorläufer der Figur des Kallendressers. Dieser erste Kallendresser wurde von den Kölner Bürgern am „Haus zur Sonne“ am Alter Markt angebracht. Besonders pikant: Ausgerichtet war der nackte Hintern in Richtung des Klostereingangs von St. Martin.

Die Mönche des Klosters hatten sich den Zorn der Bürgerschaft zugezogen, als sie einen Verbrecher, der sich in der vermeintlichen Immunität des Klosters sicher fühlte, an die städtischen Behörden auslieferten. Die empörten Bürger errichteten daraufhin die provokante Figur. Auch eine Klage des Klosters gegen die Figur des Kallendressers wurde abgewiesen. 

Drastischere Darstellung von Ewald Mataré

Dieser „Vorläufer“ des heutigen Kallendressers, der im Krieg stark beschädigt wurde, war in der Darstellung etwas zurückhaltender. Man erkannte zwar, welcher Beschäftigung die Figur nachging, jedoch war diese mit einem langen Hemd bekleidet. Also war kein Blick auf bläcke Fott möglich. Leider konnte man diese Figur wegen der Beschädigungen nicht mehr aufhängen. 

Dass der Kallendresser überhaupt noch existiert, ist der Initiative von Josef „Jupp“ Engels (1909–1991)3Jupp Engels stiftete übrigens auch das Geld und Material zur Schmitz-Säule. verdanken. Der Mäzen und Freund des kölschen Brauchtums sicherte sich in einem typisch kölschen Deal die Figur des Kallendressers: Er tauschte einen mittalterlichen Torbogen, den er beim Bau eines Hauses gefunden hatte, gegen die Rechte an der Figur des Kallendressers ein.

Nachdem er sich die Rechte gesichert hatte, beauftragte Engels seinen Freund, den renommierten, in Düsseldorf tätigen Künstler Ewald Mataré, eine neue Figur zu schaffen. Und – genau wie beim Rosenmontagszug – scheinen die Düsseldorfer immer etwas drastischer in ihren Darstellungen zu sein. Mataré gestaltete die Nachbildung in grünpatiniertem Kupferblech. Ohne Nachthemd, dafür aber mit freiem Blick auf das entblößte Gesäß. Und so hängt er da oben – sehr zu Belustigung der Passanten.

Der Kallendresser-Orden

Jupp Engels gründete auch den Kallendresser-Orden. In diesen Orden können nur Menschen aufgenommen werden, die sich um das Kölner Brauchtum verdient gemacht haben. Selbstverständlich war Engels als Oberkallendresser Präsident dieses Ordens.

HELLERS Kallendresser ist ein wohlschmeckender und wohltuender Kräuterlikör mit 32% Alkohol, Bezug über https://www.hellers.koeln/
HELLERS Kallendresser ist ein wohlschmeckender und wohltuender Kräuterlikör mit 32% Alkohol

Verschiedene Versionen des Kallendresser in ganz Köln – und sogar in Rumänien und Barcelona

Die Brauerei Heller vertreibt den Kallendresser als Getränk: Ein wohlschmeckender Kräuterlikör mit 32% Alkohol.  Und über der Theke im Hellers Brauhaus an der Roonstraße reckt auch ein kleiner Kallendresser seinen Hintern in Richtung Besucher. 

In Junkersdorf und in Seeberg zeigen jeweils kleine Kallendresser ihre bläcke Fott, wobei die Figur in Seeberg ihren Hintern ausdrücklich in Richtung eines ungeliebten Nachbarn streckt. Genau wie in Rumänien: In der Kleinstadt Braila hat ein Kölner Unternehmer einen Kallendresser an seinem Haus montiert – ebenfalls als Zeichen gegen einen missgünstigen Nachbarn.

Der Caganer, unverzichtbarer Bestandteil jeder katalanischen Weihnachtskrippe und offensichtlich ein Verwandter des kölschen Kallendressers. Bild: Slastic, via Wikimedia Commons
Der Caganer, unverzichtbarer Bestandteil jeder katalanischen Weihnachtskrippe und offensichtlich ein Verwandter des kölschen Kallendressers. Bild: Slastic, via Wikimedia Commons

Und dann gibt es auch noch einen entfernten Verwandten des Kallendressers: In keiner katalanischen Krippe darf der Caganer4katalanisch für Scheißer fehlen. Diese Figur stellt stellt eine Person mit heruntergelassenen Hosen dar, die sich im Umfeld der Geburt Jesu erleichtert. Es ist für Kinder aus Barcelona ein beliebtes Spiel, den Caganer in der Krippe zu finden.

Und die Moral von der Geschichte?

Bruno Neurath-Wilson fasst in seinem Film „Der Kallendresser lebt“ die Intention des Kallendressers perfekt zusammen:

  1. Welche der Legenden zur Entstehung des Kallendressers richtig ist, ist am Ende egal – Hauptsache, die Geschichten sind schön! 
  2. Etwas mehr Kallendresser würde uns allen gut tun: Weniger Streiterei, weniger Gerichtsverfahren. Stattdessen einfach mal die bläcke Fott zeigen und gut ist.

Bei der Lotsentour Innenstadt werfen wir auch einen Blick auf den Kallendresser.


E-Mail-Newsletter

Das "Köln-Ding der Woche" per E-Mail frei Haus. Jede Woche sonntags ein neues Detail zur schönsten Stadt der Welt. Zum Hören als Podcast oder zum Lesen im Blog.

Aber immer kurz & knackig, immer subjektiv & voreingenommen. Und immer kostenlos!
Datenschutz *

Für den Fall, dass dich die standardisierte Anmeldeprozedur nervt, gibt es auch die kölsche Lösung: Schick mir einfach eine Mail an uli@koeln-lotse.de und ich trage dich in den Verteiler ein.


*Datenschutzerklärung

Stolpern über Geschichte(n): Stolpersteine und das EL-DE-Haus in Köln

Sieben von mittlerweile etwa 100.000 verlegten Stolpersteinen, davon etwa 2.500 in Köln, Bild: Axel Hindemith
Sieben von mittlerweile etwa 100.000 verlegten Stolpersteinen, davon etwa 2.500 in Köln, Bild: Axel Hindemith

Von Zeit zu Zeit veröffentliche ich Texte von Gastautoren im „Köln-Ding der Woche“. Dieser Beitrag stammt von Andreas „Andy“ Artmann. Der Journalist und Creative Director war einmal der der jüngste Zeitschriften-Verleger Kölns, leitete den Straßenvertrieb der Kölner Illustrierten und erstellte mit „20 Minuten Köln“ die erste echte Onlinezeitung Deutschlands.

In diesem Beitrag schreibt Andy Artmann über die Stolpersteine und das EL-DE-Haus in Köln. Vielen Dank, dass ich diesen Text hier veröffentlichen darf.


Stolpern über Geschichte(n):
Stolpersteine und das EL-DE-Haus in Köln

von Andreas „Andy“ Artmann

Vorab:

Das Kunst- und Erinnerungsprojekt „Stolpersteine“ meines Kollegen Gunter Demnig startete 1995 in Köln. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), bezeichnet die „Stolpersteine“ als „unerträglich“. Nach Knoblochs Meinung, würden die Namen ermordeter Menschen mit Füßen „…getreten“. Im Dezember 2005 hatte ich Gelegenheit über Demnigs Werk zu schreiben. 

Stolperstein Juliska Artmann, Aachener Straße 28, 50674 Köln, Bild: 1971markus, CC BY-SA 4.0
Stolperstein Juliska Artmann, Aachener Straße 28, 50674 Köln, Bild: 1971markus, CC BY-SA 4.0

Aachener Straße: Kebab-Buden, Cafés, kleine Buchantiquariate, schräg gegenüber das Volkstheater Millowitsch1heute die „Volksbühne“. Freundliches Wetter. Die Menschen flanieren. Mein Blick bleibt an einem zehn mal zehn Zentimeter großen Pflasterstein hängen. Darauf glänzt eine Messingplatte in der Wintersonne. In diese sind Worte eingetrieben: „Hier wohnte Juliska Artmann, geb. Fellner, Jg 1891, deportiert 1941 nach Riga.“ Ein Stolperstein des Künstlers Gunter Demnig. Seit 1995 verlegt er sie, kleine Gedenkstätten auf zehn Quadratzentimetern.

Demnig pflastert die Stadt mit Erinnerungen. Jeder einzelne Stein widmet sich dem Schicksal eines Menschen, den die Nazis zunächst „aussortierten“ und anschließend „auslöschten“. Widerstandskämpfer, Behinderte, Mitglieder von Minderheiten wie die deutsch-jüdischen Bewohner oder die im damaligen Amtsdeutsch als „Zigeuner“ bezeichneten Angehörigen der Sinti und Roma. So kehren diese Opfer der Tyrannei ins Bewusstsein der Passanten zurück. Wer aber war Juliska Artmann?

NS-Dokumentationszentrum und Gedenkstätte im EL-DE-Haus

Mein Interesse ist durch den Stolperstein geweckt, teile ich mit der Unbekannten doch den Familiennamen: „Artmann“. Über das Internet gelange ich auf die Seite des EL-DE-Hauses, benannt nach den Initialen des Erbauers und Besitzers Leopold Dahmen. Bis Kriegsende war das Gebäude die Zentrale der Gestapo (Geheime Staatspolizei) des damaligen „Gaus Köln“. Heute ist es NS-Dokumentationszentrum und Gedenkstätte. Dort erfahre ich, dass Juliska der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörte. Ich beschließe, die Spurensuche im EL-DE-Haus fortzusetzen.

Appellhofplatz Nummer 23 – fußläufig zum weltbekannten deutschen Wahrzeichen Kölner Dom. Neben dem Haus liegt St. Maria in der Kupfergasse, eine alte Wallfahrtskirche, davor zwei Bettler. Gegenüber das Amtsgericht. Bereits am 8. November 1938, einen Tag vor der „Reichskristallnacht“, zerrten dort Nazis die Amtsrichter jüdischer Abstammung heraus und fuhren sie auf Müllkarren durch die Stadt.

Der aus einer kölsch-jüdischen Familie stammende Künstler Manfred Weil erinnert sich später an die Straßenszene. Sein Vater Emil sagte damals: „Wenn die das mit den Richtern machen, weißt Du, was uns geschehen wird.“

Das EL-DE-Haus, NS-Dokumentationszentrum und Gedenkstätte in Köln, Bild: Raimond Spekking
Das EL-DE-Haus, NS-Dokumentationszentrum und Gedenkstätte in Köln, Bild: Raimond Spekking

Das EL-DE-Haus ist ein solides gräuliches Gebäude, Neoklassizismus. Unkompliziert hilft mir dort Barbara Becker-Jèkli bei der Spurensuche. Die Historikerin der Stadt Köln dokumentiert im EL-DE-Haus die Stolpersteine. In ihrem Büro sucht sie eine Karteikarte aus dem Archiv. Juliska Artmanns eingetragener Beruf ist „Heimarbeiterin“. In Köln-Sülz war sie als Schneiderin gemeldet. Später lebte sie in der Richard-Wagner-Straße, heute gibt es hier Comic- und Musikgeschäfte. Das Haus in der Aachener Straße mit dem Stolperstein davor, der Juliskas Namen trägt, scheint ein Ghetto-Haus gewesen zu sein. Darauf deuten die vielen Namen anderer Deportierter in der Kartei hin.

Was mit Juliska weiter passierte, verliert sich in den Wirren von Umquartierung, Deportation und Vernichtung. Insgesamt wurden etwa 25.000 deutsche Juden nach Riga deportiert. Die Überlebensquote, sofern die Frau das Ghetto überhaupt lebend erreicht hat, war gering. In der Bibliothek des EL-DE-Hauses versorge ich mich mit weiteren Informationen. 

Detailansicht einer Wandinschrift in einer Zelle des EL-DE-Hauses, Bild: Elya, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Detailansicht einer Wandinschrift in einer Zelle des EL-DE-Hauses, Bild: Elya, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Beeindruckende Gedenkstätte im Keller

Danach besuche ich die Dauerausstellung über den Nationalsozialismus. Es empfiehlt sich eine Führung. Im zweiten Stockwerk verharre ich vor einem riesigen Luftbild des 1945 zu mehr als 90 Prozent zerstörten Kölns.

Ein schlechter Treppenwitz der Geschichte: Die Bomben der Alliierten verschonten das EL-DE-Haus – und damit ausgerechnet das Folterhaus der Gestapo.

Die Dauerausstellung erläutert, wie Menschen ausgegrenzt werden. Ein schleichender Prozess, wie aus übler Nachrede vermeintliches Allgemeinwissen, aus Propaganda verquere Wahrheit wird. Die eigentliche Gedenkstätte befindet sich im Keller. Der Zellentrakt ist erhalten geblieben. Knapp 1800 Inschriften an den Wänden zeugen vom Martyrium der Inhaftierten. Teilweise mit Fingernägeln in die Wände gekratzt, versuchten die Opfer, Botschaften zu hinterlassen. Ein Gefangener schrieb an die Zellenwand: „Kämen doch bloß die Amerikaner.“

Claus Hinrich Casdorff (1925 – 2004), späterer Gründer des WDR-Magazins „Monitor“, war hier im letzten Kriegsjahr als junger Wehrmachtsoffizier inhaftiert. Casdorff ein Mitwisser des Putschversuches vom 21. Juli 1944 (Tag des Stauffenberg Attentats auf Adolf Hitler): „Eigentlich wusste ich nichts. Da kam ich nur lebend raus, weil Kameraden schweigend in den Tod gingen, ohne meinen Namen zu nennen. Das Gedenken an diese Widerständler war mein Antrieb, Journalist zu werden.“

Die Zelle 9, eine von zehn insgesamt zehn Zellen im EL-DE-Haus, Bild: Factumquintus, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Die Zelle 9, eine von insgesamt zehn Zellen im EL-DE-Haus, Bild: Factumquintus, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Folter- und Hinrichtungsstätte mitten in der Stadt 

Der Folterkeller befindet sich noch eine Etage tiefer im zweiten Untergeschoss. Die Schreie der Gequälten, worttäuschend als „Schutzhäftlinge“ bezeichnet, sollten nicht nach draußen dringen; so blieb die ordentliche Fassade des NS-Staates gewahrt. Die überlebende Insassin Käthe Brinkler schildert später, dass ihre Tortur pünktlich um zwölf Uhr unterbrochen und um 13 Uhr fortgesetzt wurde: Mittagspause im Deutschen Reich.

1944 waren die verbliebenen Kölner an Tod und Verwüstung gewöhnt, jetzt wurden im Hof des Hauses die ersten Menschen hingerichtet. Hunderte weitere Hinrichtungen sind belegt. Wie viele Häftlinge genau durch Folter, Schnellgerichte oder Krankheit hier starben, weiß heute niemand.

An einige wenige Menschen erinnern in den Straßen von Köln die Stolpersteine von Gunter Demnig.

Nachtrag:

Der Artikel erschien im Dezember 2005 in der Urversion »Erinnerung: Stolpern über Geschichte« in »Y. Magazin der Bundeswehr« (12/2005, Seite 100 f.) als Arbeit für die Frankfurter Societät (Mediengruppe Frankfurt). Dies rund zehn Jahre nach der ersten Verlegung eines Probe-Stolpersteines in der Kölner Thieboldsgasse (1995). Dieser Text wurde von überarbeitet und durch eine Passage meines persönlichen Gespräches mit Claus Hinrich Casdorff (1925 bis 2004) und eines Satzes von Manfred Weil (1920 bis 2015) ergänzt. Casdorff lernte ich 1996 für Reporter ohne Grenzen Deutschland in seiner Funktion als Chef des Kölner Presseclubs kennen und schätzen.

Andreas „Andy“ Artmann


E-Mail-Newsletter

Das "Köln-Ding der Woche" per E-Mail frei Haus. Jede Woche sonntags ein neues Detail zur schönsten Stadt der Welt. Zum Hören als Podcast oder zum Lesen im Blog.

Aber immer kurz & knackig, immer subjektiv & voreingenommen. Und immer kostenlos!
Datenschutz *

Für den Fall, dass dich die standardisierte Anmeldeprozedur nervt, gibt es auch die kölsche Lösung: Schick mir einfach eine Mail an uli@koeln-lotse.de und ich trage dich in den Verteiler ein.


*Datenschutzerklärung  

Kölner Stadtteile: Klettenberg – zunächst der Park, dann die Siedlung

Luftbild von Klettenberg aus dem Jahr 2017, Bild: Maximilian Schönherr, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Luftbild von Klettenberg aus dem Jahr 2017, Bild: Maximilian Schönherr, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

In Sachen „Grünanlagen“ hat Köln unter den deutschen Städten zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine führende Rolle gespielt. Unter der Regie von Fritz Encke, der 1903 von Berlin nach Köln wechselte und neuer Gartenbaudirektor wurde, entstanden bis Mitte der 1920er Jahre mehr als ein Dutzend städtischer Parks und Grünanlagen. Das erste größere Werk von Fritz Encke war der Klettenbergpark im Jahr 1905.

Bis dahin war Klettenberg ein mehr oder minder unbeschriebenes Blatt gewesen: Im Jahr 1888 hatte die Stadt Köln das weitgehend unbebaute Gebiet zwischen heutiger Luxemburger Straße und den Bahngleisen eingemeindet. Neben dem Gut Klettenberg war auf der gegenüberliegenden Seite der Luxemburger Straße (heutiges Sülz) noch eine Handvoll Häuser, in denen gerade mal 26 Menschen lebten. Es sollte für das neue Kölner Veedel noch 13 Jahre dauern, bis im Jahr 1901 eine Bauplanung vorgelegt wurde.

Der „Feurige Elias“

In der Zwischenzeit hatte am 20. Januar 1898 der „Feurige Elias“ seine regelmäßigen Fahrten von Bonn über das Vorgebirge und die Luxemburger Straße bis zum Barbarossaplatz aufgenommen. 1906 nahm zudem die „Cölnische Straßenbahn-Gesellschaft“ eine Linie über die Luxemburger Straße in Betrieb, die bis zur heutigen Sülzburgstraße verkehrte.

Die Vorgebirgsbahn "Der Feurige Elias", hier um 1900 auf dem Marktplatz in Brühl
Die Vorgebirgsbahn „Der Feurige Elias“, hier um 1900 auf dem Marktplatz in Brühl

Bevor also mit dem Bau des neuen Wohnortes Klettenberg begonnen wurde, waren Eisenbahn, Straßenbahn und auch der Klettenbergpark schon fertig. Geplant war das Siedlungsgebiet für finanziell gut gestellte Menschen wie Kaufleute, Beamte oder leitende Angestellte. Klettenberg sollte etwas Besonderes sein und vor allem Grünflächen bieten.

Siebengebirgsallee und Petersbergstraße sind heute bevorzugte und teure Wohnlagen

Bis heute ist die Siebengebirgsallee, die am Gottesweg die Luxemburger Straße bogenförmig verlässt und diese an der Geisbergstraße wieder erreicht, ein bevorzugtes Wohngebiet. Die Gründerzeithäuser wurden alle zwischen 1905 und 1914 errichtet, 337 Häuser waren zu Beginn des Ersten Weltkrieges fertig gestellt und bezogen worden.

Ein Haus an der Siebengebirgsallee, eine bevorzugte Wohngegend in Klettenberg, Bild: Hac60, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Ein Haus an der Siebengebirgsallee, eine bevorzugte Wohngegend in Klettenberg, Bild: Hac60, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Klettenbergpark wird zum Besuchermagenten

Mindestens genauso beliebt wie die Siebengebirgsallee ist der zuvor erwähnte Klettenbergpark. Gartenbaudirektor Fritz Encke errichtete innerhalb weniger Monate zwischen Nassestraße, Siebengebirgsallee und Luxemburger Straße diesen Park. Die ehemalige Kiesgrube und das brache Gelände gestaltete er mit einem Teich, einem Restaurant, über 250 großen Bäumen, zahllosen Rosen und 50 laufenden Metern Bank. Mit viel Erfolg – der neue Park wurde sehr schnell zu einem Magneten für die Kölner. Bereits kurz nach der Eröffnung erwies sich die provisorische Gastwirtschaft als viel zu klein.

Zu den 100 Tischen sollten noch weitere 50 aufgestellt werden. Außerdem genehmigte die Stadtverordnetenversammlung im April 1909 ein größeres  Restaurationsgebäude. Mit knapp 100.000 Mark war es um einige wenige tausend Mark teurer als die gesamte Parkanlage selbst. Das Restaurant wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Der Rosengarten im Klettenbergpark, Bild: Maximilian Schönherr, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Der Rosengarten im Klettenbergpark, Bild: Maximilian Schönherr, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Erfolgreich waren auch die Häuser und Wohnungen in Klettenberg: Viele Bürger aus Sülz gaben gern als Adresse Klettenberg an, obwohl sie eindeutig auf Sülzer Gebiet wohnten. Schließlich galt Klettenberg als die vornehmere Adresse, die Heimstatt für die so genannten besseren Kreise. Andere Sülzer hingegen störten sich daran nicht und stempelten die Klettenberger kurzerhand als hochmütig ab.

Mit dem Bau der Häuser und dem Park verschwand das, was eigentlich Klettenberg seit dem Jahr 1225 gewesen war: ein Gutshof mit einem Park voller Obstbäume, Gemüsegärten, einem kleinen Teich sowie vielen Alleebäumen und einem Berg. Das Gut Klettenberg begann einmal dort am Gottesweg, wo die Siebengebirgsallee auf die Luxemburger Straße stößt, war also weiter stadteinwärts als der heutige Klettenbergpark.

„Cletenbergh“ oder „Cleytenberch“ oder „Clettenbergh“

Auch wenn das Gartengut verschwand, so blieb doch wenigstens der Name; mal schrieb man „Cletenbergh“, mal „Cleytenberch“ oder auch „Clettenbergh“. Dem ersten Teil des Namens ist bislang noch niemand auf die Spur gegangen, zumindest wenn es um Köln-Klettenberg geht. In den Nachschlagewerken findet man unter Klettgau, Klettbach, Kleestadt, Clete als gemeinsame Wurzel „kled“, was so viel wie „klebrige Feuchtigkeit“ bedeuten soll.

Man könnte den ersten Namensteil Kletten- von Klettenberg aber auch auf das mittellateinische „cleta“ zurückführen, das keltischen Ursprung hat. Es steht für „Geflecht“ oder „Einzäunung“.

Als dritte Möglichkeit käme aber auch die Bedeutung „fester Ton, Lehm“ in Frage, wenn man Kletten- auf das mittelniederdeutsche „klei“ zurückführt. Nicht unwahrscheinlich, denn im Laufe der Jahrhunderte schrieb man unter anderem auch Cleytenberch.

Während die „klebrige Feuchtigkeit“ (zahlreiche tote Rheinarme in der Kölner Bucht) wie auch „der feste Ton, Lehm“ (zahlreiche Kiesgruben und Ziegeleien im 19. Jahrhundert unter anderem auch im benachbarten Sülz) durchaus mit Klettenberg in Verbindung gebracht werden können, leuchten die Worterklärungen „Geflecht“ und „Einzäunung“ nicht ohne weiteres ein.

Sprachwissenschaftler führen Clettemberg im Kreis Hohenstein auf die Bedeutung „Geflecht, Einzäunung“ zurück. Was für dieses ferne Clettemberg gilt, kann auch für unser Klettenberg gelten – kann, muss aber nicht.

Der zweite Teil des Namens Klettenberg weist eindeutig auf das Gelände hin, einen Berg, eine Anhöhe. So war im Volksmund die Formulierung „auf dem Klettenberg“ über Jahrhunderte gängig.


Kardinal Joseph Frings im Jahr 1959, Bild: City Archives Kerpen, CC BY 4.0
Kardinal Joseph Frings im Jahr 1959, Bild: City Archives Kerpen, CC BY 4.0

Kardinal Frings in Klettenberg 

Stefan hat selber lange in Klettenberg gewohnt. Und mir erzählt, dass Kardinal Frings seine Reden im Brunosaal1Das ist der Gemeindesaal der Klettenberger Brunokirche. gerne mit den Worten „Liebe Männer und Frauen aus Sülz, sehr geehrte Damen und Herren aus Klettenberg, …“ eingeleitet hat.

Dieses Bonmot ist, so Stefan, überliefert von einem Zeitzeugen aus dem Klerus. Vielen Dank für diese Ergänzung! 


Teiles dieses Texts durfte ich mit freundlicher Genehmigung des Emons-Verlags aus dem Buch „Kölns 85 Stadtteile“ von Christian Schuh übernehmen.


E-Mail-Newsletter

Das "Köln-Ding der Woche" per E-Mail frei Haus. Jede Woche sonntags ein neues Detail zur schönsten Stadt der Welt. Zum Hören als Podcast oder zum Lesen im Blog.

Aber immer kurz & knackig, immer subjektiv & voreingenommen. Und immer kostenlos!
Datenschutz *

Für den Fall, dass dich die standardisierte Anmeldeprozedur nervt, gibt es auch die kölsche Lösung: Schick mir einfach eine Mail an uli@koeln-lotse.de und ich trage dich in den Verteiler ein.


*Datenschutzerklärung