Es muss ein hartes Los für die Professoren der Kölner Universität in den 1920er Jahren gewesen sein: Als ordentlich berufener Professor galt die „Residenzpflicht“. Diese Anordnung aus dem Beamtenrecht besagte, dass der Beamte seinen Wohnort in der Nähe des Dienstorts zu wählen hatte. Faktisch bedeutete dies, dass die jeweiligen Professoren nach Köln übersiedeln mussten.
„Ein Sprung vom sicheren Land ins Ungewisse“
Für viele der nach Köln berufenen Professoren eine Zumutung: Die Stadt bot schon damals viel zu wenig Wohnraum und die rar gesäten Wohnungen waren auch noch unverhältnismäßig teuer. Schnell kursierte an den Hochschulen, dass eine Berufung an die Kölner Universität „Ein Sprung vom sicheren Land ins Ungewisse“ wäre. Dies hatte zur Folge, dass etliche Professoren den Ruf nach Köln nicht annahmen.
Der Kölner Wissenschaftsbetrieb drohte an Attraktivität zu verlieren. Dies ging so weit, dass sich das Kultusministerium bereits kurz nach Eröffnung der Universität im Jahr 1919 gegen Neuberufungen aussprach, wenn diesen keine Wohnungen zur Verfügung gestellt werden konnten.1Nicola Kresken in „Geschichte in Köln“, Zeitschrift für Stadt- und Regionalgeschichte, Nr. 67 (2020)
Attraktive Häuser in hervorragender Lage
Zur Lösung des Problems handelten die Professoren selbst und gründeten am 4. Juni 1920 die „Baugenossenschaft Kölner Universität“. Ziel war es, attraktive Wohnmöglichkeiten für die Kölner Professoren zu schaffen.
Ungewöhnlich war die gewählte Gesellschaftsform einer Baugenossenschaft. Der Bauökonom Klaus Novy2Klaus Novy: Wohnreform in Köln. Geschichte der Baugenossenschaften Köln, 1986 führt dies auf die „sozialwissenschaftlich-sozialpolitische Ausrichtung“ der Gründungsmitglieder zurück. Zu diesen Gründungsmitglieder gehörten:
- Albert Dietrich, Pathologie
- Hans Driesch, Philosophie
- Hans Planitz, Rechtswissenschaften
- Heinrich Lehmann, Rechtswissenschaften
- Hugo Lindemann, Honorarprofessor und Sozialpolitiker
- Max Scheler, Philosophie
- Paul Honigsheim, Sozialwissenschaften
- Reiner Müller, Hygieniker
- Wilhelm Prion, Betriebswirtschaftslehre
Die Universität Köln war durch den Rektor Christian Eckert in der Gründungsversammlung vertreten.
Mit der Realisierung des Projektes wurde das sozialistische Bauunternehmen „Bauhütte“ beauftragt, die Stadt Köln stellte in Erbpacht attraktive Grundstücke in Marienburg zur Verfügung. Bereits im Januar 1921 begann der Bau der ersten Häuser der „Professorensiedlung“.
An der Wolfgang-Müller-Straße in fast direkter Rheinnähe entstanden sieben Doppelhäuser. Diese Häuser waren ansehnliche Villen mit sechs Zimmern, Nebenräumen, Mansardenzimmern und Dachkammern. Und sind symmetrisch um einen Platz gruppiert.
Architekt der Häuser wird von Nationalsozialisten in Auschwitz ermordet
Architekt der Siedlung war der 1879 in Karlsruhe geborene Manfred Faber. Er war einer der wichtigsten Architekten der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GAG. Gemeinsam mit Wilhelm Riphahn entwickelte er unter anderem auch die „Märchensiedlung“ in Holweide und Dellbrück.
Faber wurde, wegen seiner jüdischen Herkunft, 1936 aus dem Architekten- und Ingenieur-Verein Köln ausgeschlossen. 1942 wurde er zunächst im Messelager Köln interniert, später nach Theresienstadt und nach Auschwitz deportiert. Dort wurde er am 16. Mai 1944 umgebracht.
Professoren folgen Ruf nach Köln – auch wegen der Häuser in der Professorensiedlung
Mit den attraktiven Immobilien in der Marienburg hatte die Kölner Universität schnell die Nase vorn, wenn es darum ging, die klugsten Köpfe nach Köln zu berufen. Der damalige Rektor Christian Eckert (1874 – 1952) schrieb dazu an Oberbürgermeister Konrad Adenauer:
„Wohl habe ich darauf hingewiesen, dass es durch den Wohnungsbau dem Betreffenden ein schönes Haus mit Garten in Bester gegen Köln zur Verfügung gestellt würde, dessen Bewohnung nicht teurer sei als eine andere Mietwohnung in der Stadt.“
So folgte der Jurist Hans Lewald erst dann dem Ruf nach Köln, als ihm eines der Häuser in Marienburg zugesprochen wurde. Auch zur Bindung der Professoren an die Universität wurden die attraktiven Wohnangebote in Marienburg genutzt. Heinrich Mitteis, einer der bedeutendsten Rechtshistoriker des 20. Jahrhunderts, lehnte erst dann den Ruf nach Frankfurt ab, als man ihm eines der Häuser in der Professorensiedlung zusicherte.
Deutschlands genialste Siedlung
So entstand „Deutschlands genialste Siedlung“. 3Express vom 05.10.2018 In der Welt der Wissenschaft bekannte Namen wie Eugen Schmalenbach (1873 – 1955), der Begründer der Betriebswirtschaftslehre als akademisches Lehrfach oder auch der Jurist Hans Carl Nipperdey (1895 – 1968) wohnten in der Professorensiedlung.
Im Haus von Nipperdey wuchsen auch seine fünf Kinder auf, darunter Dorothee Sölle, geb. Nipperdey (1929 – 2003). Die streitbare Theologin errang nie die ihr zustehende Anerkennung im Wissenschaftsbetrieb. Diese Anerkennung sollte aber ihr Bruder Thomas Nipperdey (1927 – 1992) bekommen. Der Historiker veröffentlichte 1983 das dreibändige Werk „Deutsche Geschichte“ – das Standardwerk der neueren Geschichte.
Allerdings war Thomas Nipperdey als Kind in der Professorensiedlung nur mäßig glücklich, da die Kinder in der Nachbarschaft alle älter waren und als Spielkameraden ausschieden. Glück für ihn, dass er in der Straßenbahn „richtige Mittelschicht-Kinder, offener und zugänglicher für mich“4Express vom 05.10.2018 kennenlernte.
Auflösung der Genossenschaft
Ab etwa 1930 reifte der Plan, die Häuser der Professorensiedlung aus dem Einflussbereich der Universität zu lösen. Dafür sollte der Erbbauvertrag mit der Stadt Köln gelöst werden und die jeweiligen Bewohner die Möglichkeit bekommen, das Haus inklusive Grundstück zu kaufen.
Der Rektor der Universität Christian Eckert versuchte, diesen Plan zu vereiteln. Denn damit würde die Universität das Argument des hochwertigen und günstigen Wohnraums bei der Berufung von Professoren verlieren. Doch vergebens: 1937 wurde die „Baugenossenschaft Kölner Universität“ aufgelöst und die Häuser an die Professoren verkauft.
Immerhin machte das Modell der Baugenossenschaft Schule. Die Universitäten Leipzig, Aachen und Hamburg waren sehr an den Erfahrungen der Kölner interessiert.
Noch immer sehr begehrte Wohnlage
Die Häuser in der Wolfgang-Müller-Straße sind immer noch sehr begehrt. Die ruhige Lage ohne Durchgangsverkehr, die direkte Nähe zum Rhein und die großen Gärten mit ihren alten Bäumen hat aber ihren Preis: Diese Häuser sind alle heute mindestens zwei, eher aber drei Millionen Euro wert.
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