Elo Wilhelm Sambo: Der Blaue Funke an d´r Spetz vum Rusemondachszoch

Elo Wilhelm Sambo als Kesselpauker der Blauen Funken führt den Kölner Rosenmontagszug an
Elo Wilhelm Sambo als Kesselpauker der Blauen Funken führt den Kölner Rosenmontagszug an

Ganz Köln kannte ihn, die Pänz haben ihn geliebt,: Elo Wilhelm Sambo, der Kesselpauker der Blauen Funken. Ein Mann mit schwarzer Hautfarbe im Karneval. Und das nicht irgendwo, sondern ganz vorne im Rosenmontagszug.

Die Blauen Funken haben seit 1870 „de Spetz vum Rusemondachszoch“. Das bedeutet, dass sie mit ihrer Kapelle den Rosenmontagszug anführen. Und vor der Kapelle ritten immer vorneweg die Kesselpauker. Somit hatte Sambo ab Ende der 1920er Jahre bis 1933 faktisch den Kölner Rosenmontagszug eröffnet.

Geboren in einer Kolonie des Deutschen Reichs

Bis es zu seiner Karriere im Kölner Karneval kam, hatte Elo Wilhelm Sambo bereits viel erlebt. Er wurde 1885 in Yaoundé in Kamerun geboren. Ob der 1. April sein tatsächliches Geburtsdatum ist, lässt sich bis heute nicht zweifelsfrei nachweisen.

Im Jahr seiner Geburt wurde Kamerun zum „Schutzgebiet“ des Deutschen Reichs, die europäischen Mächte hatten Afrika unter sich aufgeteilt. Neben der wirtschaftlichen Ausplünderung der Kolonien wurden auch Menschen als Exoten mit nach Europa genommen – schwarze Dienstboten galten als schick.

Dieses Schicksal trifft auch den angeblichen Waisen Elo Sambo. Der kaiserliche Rittmeister Stolzenberg brachte den sechsjährigen Jungen im Jahr 1891 mit ins Deutsche Reich. Da Kaiser Wilhelm II. sein Patenonkel wurde, erhielt der Junge den zweiten Vornamen „Wilhelm“.

Karriere im kaiserlichen Militär

Über seine schulische Ausbildung und Werdegang ist nichts bekannt, vermutlich wurde er in einem Militär-Waisenhaus in Potsdam erzogen und soll auch dort eine Ausbildung zum Pferdeknecht gemacht haben. Erst ab 1905 ist der weitere Lebensweg dokumentiert. Sambo trat als Freiwilliger am 1. Oktober 1905 in die 4. Kompanie des Eisenbahner-Regiments Nr. 1 ein.

Ob die militärische Karriere tatsächlich freiwillig war, darf durchaus bezweifelt werden. Vermutliche Gründe waren wahrscheinlich eher der Mangel an Alternativen für einen Afrikaner im Kaiserreich.

Nach zwei Jahren wechselte er in das „Leib-Gardehusaren-Regiment“ und wurde dort zum Kesselpauker ausgebildet. Auch schon sein Vorgänger als Kesselpauker in diesem Regiment war afrikanischer Herkunft. Diese schwarzen Kesselpauker ritten regelmäßig in roter Uniform auf einem Schimmel vor der Kapelle. Durch diese schwarz-rot-weiße Farbkombination wurden die Farben des Deutschen Kaiserreiches repräsentiert.

Eine Postkarte von 1928 zeigt Elo Wilhelm Sambo in der Uniform des Leib-Gardehursaren-Regiments, Bild: Digitale Sammlungen der Universität zu Köln
Eine Postkarte von 1928 zeigt Elo Wilhelm Sambo in der Uniform des Leib-Gardehursaren-Regiments, Bild: Digitale Sammlungen der Universität zu Köln

Als einer der wenigen Personen afrikanischer Herkunft kämpfte Sambo im Ersten Weltkrieg auf Seiten des Deutschen Reichs. Er wurde an der Westfront und im Osten eingesetzt und dort schwer verwundet.

Sein damaliger Regimentsadjudant schrieb über Elo Wilhem, Sambo:

„Als ich im Frühjahr 1915 zur Infanterie versetzt wurde, kam Sambo zu mir und meinte: „Nehmen der Rittmeister mich mit, ich lasse mich auch für ihn totschießen.“1Quelle: Höxtersche Zeitung vom 9. Dezember 1933

Für seinen Einsätze erhielt der das Verwundetenabzeichen und das „Eiserne Kreuz 2. Klasse“. Nach seiner Genesung kämpfte er – unbestätigten Quellen zufolge – in Palästina. Dort soll er im Jahr 1918 in englische Gefangenschaft geraten sein.

Sambo kehrte 1919 aus der Kriegsgefangenschaft zurück und wurde wieder als Kesselpauker im 4. Reiter-Regiment in Potsdam eingesetzt. 1923 wurde er aus der Armee entlassen.

Ende 1920er zieht Sambo nach Köln

Während sein Militäreinsatz relativ gut dokumentiert wurde, ist über sein Privatleben sehr wenig bekannt. Er arbeitete kurze Zeit als Fremdenführer in Potsdam, zog dann aber nach Münster und wurde dort „Kaffee-Koch“ in der Konditorei seines ehemaligen Kriegskameraden Albin Middendorp.

Ganz uneigennützig wird die Einstellung Sambos durch Middendorp nicht gewesen sein. Der „Exot“ Sambo wurde als Werbefigur für das exotische Getränk Kaffee eingesetzt. Für die Münsteraner der 1920er Jahre war ein schwarzer Mann durchaus besonders und so hatte der „Kaffee-Koch“ Sambo den Kaffee-Absatz in Middendorps Konditorei mit Sicherheit steigern können.

Wie lange genau Sambo in Münster war, lässt sich nicht genau nachvollziehen. Aber gegen Ende der 1920er Jahre zieht er nach Köln.

Mitglied der Blauen Funken

Angeblich kam er wegen einer Frau nach Köln. Er wäre nicht der erste Mann, der wegen der Liebe nach Köln kommt. Doch ob das tatsächlich so war, lässt sich nicht belegen. Die Beziehung einer weißen Frau zu einem schwarzen Mann war eher geduldet als erwünscht, daher gibt es auch keine Belege für diese These.

Vermutlich hat Elo Wilhelm Sambo in der Kölner Südstadt gelebt. Er wurde wurde er auch Mitglied der Blauen Funken.

Elo Wilhelm Sambo in der Mitte vor den Kesselpauken
Elo Wilhelm Sambo in der Mitte vor den Kesselpauken

Unstrittig und vielfach belegt waren seine Leistungen als Musiker bei dem Leibgarde-Husaren-Regiment. Sambo spielt dort wieder die Kesselpauke. Die Konzerte und insbesondere die Leistungen Sambos  wurden in vielen Zeitungen ausdrücklich gelobt. So lautete es in der „Bergischen Post“ vom 8. Februar 1927:

„Die Sensation des Abends bildete das Auftreten des schwarzen Kameruners Elo Wilhelm Sambo, des letzten Paukenschlägers der Garde-Leibhusaren, der in voller Friedensuniform nochmal seine geliebte Pauke schlug und dafür natürlich mit lebhaftem Beifall bedacht wurde.“

Das „Altenaer Kreisblatt“ schrieb am 1. Dezember 1927:

„Die Musik kam dann wieder zu ihrem Recht und war es u. a. Kamerad, Vizewachtmeister Elo Wilhelm Sambo, der in der schmucken Uniform des ehemaligen Leibgarde-Husaren-Regiments als Kesselpauker auftrat und tosenden Beifall erntete.“

Und die „Langenberger Zeitung“ vom 27. Oktober 1928 berichtete:

„Mit Beginn des 3. Teiles … kam durch den Saal von acht Fanfarenbläsern eskortiert eine weitere „Zugnummer“, des Abends, der Kameruner Elo Wilhelm Sambo, der sich in die Friedensuniform des ehemaligen Leibgarde-Husaren-Regiments „geschmissen“ hatte. Ungeheurer Jubel setzte ein und es sang der ganze Saal den von der Musik intonierten „Treuen Husar“ mit.“

Pompöse Beerdigung auf dem Südfriedhof

Wilhelm Elo Sambo starb im Alter von nur 48 Jahren am 12. Juli 1933 in Köln. Über die Umstände seines Todes ist zwar nichts bekannt, allerdings gibt es ausführliche Berichte über sein Begräbnis auf dem Kölner Südfriedhof. Sein Sarg wurde begleitet von den uniformierten Vertretern des Leib-Garde-Husaren-Regiments und des Gardevereins Kölns. Es ist auch davon auszugehen, dass die Blauen Funken bei der Beerdigung anwesend waren.

Neben seinem Stahlhelm wurde auch ein Kranz, gestiftet vom Kaiser, am Grab niedergelegt. Dieses Grab existiert heute leider nicht mehr.

"Sambo, der Kaiserpauker", Nachruf auf Elo Wilhelm Sambo in der Höxterschen Zeitung vom 9. Dezember 1933
„Sambo, der Kaiserpauker“, Nachruf auf Elo Wilhelm Sambo in der Höxterschen Zeitung vom 9. Dezember 1933

Nie mehr nach Kamerun zurückgekehrt

Ob Sambo in Köln glücklich war oder nicht, ist nicht bekannt. Aber sein größter Lebenstraum, noch einmal nach Kamerun zu reisen, wurde nicht wahr. Das könnte an den fehlenden finanziellen Mitteln gelegen haben oder aber daran, dass Kamerun ab 1919 keine Kolonie des Deutschen Reichs mehr war.

Ebenfalls unerfüllt blieb sein dokumentierter Wunsch, sein Paukenpferd „Otto“ pflegen zu dürfen – auf eigene Kosten. Dazu schrieb die Höxtersche Zeitung vom 9. Dezember 1933 in einem Nachruf auf Elo Wilhelm Sambo:

„Ebenso bezeichnend wie die Anhänglichkeit an sein Regiment war seine Bitte, sein altes Paukenpferd Otto auf seine Kosten in Pflege zu geben, der jedoch nicht entsprochen werden konnte. Nun hat das treue Pferd seinen Herrn überlebt, es bekommt noch heute sein Gnadenbrot“

Was bleibt ist der stolze schwarze Mann, der mit seinen Pauken bis 1933 an d´r Spetz des Rosenmontagszugs ritt. Ob er diese Position auch unter den nationalsozialistischen Machthabern hätte weiterhin behalten dürfen, darf stark bezweifelt werden.

Die kölschen Pänz aber haben Elo Wilhelm Sambo als imposanten Star des Zochs geliebt.


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Peco Bauwens – Fußballfunktionär im NS-Regime und auch nach 1945

Peter Joseph „Peco“ Bauwens, hier im Jahr 1928, Bild: gemeinfrei
Peter Joseph „Peco“ Bauwens, hier im Jahr 1928, Bild: gemeinfrei

Es war am 6. Juli 1954, zwei Tage nach Endspiel der Fußball WM in Bern. Nicht wenige halten dieses Fußballspiel für den eigentlichen „Gründungstag“ der Bundesrepublik Deutschland. Der Titelgewinn löste damals ein „Wir-sind-wieder-wer“-Gefühl aus.

Und im Überschwang dieser Gefühle hielt Peter Joseph „Peco“ Bauwens, erster Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), im Münchener Löwenbräukeller eine Rede.1In diesem Lokal fanden auch von 1940 bis 1943 Versammlungen der NSDAP anlässlich des Jahrestages des Hitlerputsches von 1923 statt. Der Tonfall der Rede erinnerte den Redakteur des Bayerischen Rundfunks Wolf Posselt fatal an das so gerade einmal vor neun Jahren  grandios gescheiterte „1000-Jährige Reich“ .

Peco Bauwens wörtlich:2Ein Transkript der Rede ist hier verfügbar: https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/45594/ssoar-hsr-trans-2015-27-blecking-Die_Rede_des_Fuball-Bund_Prasidenten.pdf?sequence=1

„ … und da haben die Jungens es wirklich gezeigt, was ein gesunder Deutscher, der treu zu seinem Land steht, zu leisten vermag. Sie haben in dem Land des Tells daran gedacht „ans Vaterland, ans Teure schliess Dich an, das halte fest mit deinem ganzen Herzen und hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft. …“3Bauwens zitiert hier Schiller, Wilhelm Tell

„… dieser Repräsentanz besten Deutschtums im Ausland …“

„ … ausnahmsweise vom Führerprinzip im guten Sinne des Wortes …“.

Das war dann auch dem Bayerischen Rundfunk zu viel. Die Live-Übertragung der Rede wurde nach wenigen Minuten mit dem Hinweis, dass die Sendezeit verstrichen sei, schlichtweg abgebrochen. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete Bauwens Auftritt als „Entgleiste Rede“, und auch Bundespräsident Theodor Heuss missbilligte öffentlich die Aussagen Bauwens.

„Ein zuverlässiger Sekundant des Regimes“

Dass ausgerechnet Bauwens sich nationalsozialistischer Terminologie bediente, hätte aber niemand verwundern dürfen. Das Bauwens-Familienunternehmen profitierte von lukrativen Bauaufträgen des NS-Unrechtsregimes und betrieb ein Zwangsarbeiterlager.4ZDF History: „Das dunkle Erbe“, https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x-history/das-dunkle-erbe–nazis-im-deutschen-fussball-100.html, abgerufen am 06.07.2024 Peco Bauwens erwies sich stets „.. als ein zuverlässiger Sekundant des Regimes.“5Björn Thomann, „Peco Bauwens, Ehrenpräsident des Deutschen Fußball Bundes (1886-1963)“ Portal Rheinische Geschichte, https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/peco-bauwens-/DE-2086/lido/57c575e63f36a2.92887888. Seine Mitgliedschaft in der NSDAP währte allerdings nur ein Jahr. Bauwens wurde wegen seiner jüdischen Frau Elise Bauwens, geborene Gidion, wieder aus der Partei ausgeschlossen.

Todesanzeige von Elise Bauwens in der Kölnischen Zeitung vom 17. September 1940
Todesanzeige von Elise Bauwens in der Kölnischen Zeitung vom 17. September 1940

Elise Bauwens beging am 16. September 1940 Selbstmord. Björn Thomann weist in seinem Artikel „Peco Bauwens, Ehrenpräsident des Deutschen Fußball Bundes (1886-1963)“ auf die ungeklärten Umstände dieses Suizids hin:

„Am 16.9.1940 be­ging Elise Bau­wens Selbst­mord, die Hin­ter­grün­de wer­fen noch im­mer Fra­gen auf. Zwei­fels­oh­ne sah sie sich durch das na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Re­gime ei­nem star­ken psy­chi­schen Druck aus­ge­setzt. Pe­co Bau­wens ver­wies nach 1945 stets auf den Sui­zid sei­ner Ehe­frau, um sich selbst als ein Op­fer des „Drit­ten Rei­ches“ dar­zu­stel­len und sei­nen Kri­ti­kern ent­ge­gen­zu­tre­ten, die ihm ei­ne zu ge­rin­ge Dis­tanz zum Na­tio­nal­so­zia­lis­mus at­tes­tier­ten.“6Portal Rheinische Geschichte, https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/peco-bauwens-/DE-2086/lido/57c575e63f36a2.92887888

Den Selbstmord seiner Frau führte Peco Bauwens nach dem Krieg immer wieder an, um sich als ein Op­fer des Regimes dar­zu­stel­len. Auch in einem Brief im Herbst 1945 an FIFA Präsident Jules Rimet betont Bauwens seine Rolle als Gegner des NS-Regimes:

„Wäre ich nicht der schlechteste Mensch der Welt, wenn ich auch nur die kleinsten Handlangerdienste für diejenigen getätigt hätte, die meine Frau auf dem Gewissen haben?“

Tatsächlich kann bezweifelt werden, dass Bauwens, dem zahlreiche außereheliche Affären nachgesagt wurden, stark um seine Frau getrauert hat. Sein bereits 1948 verstorbener Sohn Pe­ter-Franz sah die Ursache für den Freitod seiner Mutter auch weniger in den Repressalien der Nationalsozialisten als mehr im Verhalten des Vaters. „Er hat Mutter auf dem Gewissen.“ so Peter Franz Bauwens.7Arthur Heinrich: „Eine saubere Geschichte“, DIE ZEIT vom 16.03.2006 Nr.12, https://www.zeit.de/2006/12/A-Bauwens/komplettansicht, abgerufen am 09.07.2024

Im Mai 1951 hei­ra­te­te Peco Bauwens die Witwe Jo­han­na Eleo­no­re Schult­heiss.

„Proletensport Fußball“ in der Kindheit

Geboren wurde Peter Joseph „Peco“ Bauwens am Heiligabend 1886 in Köln. Sein Vater war der erfolgreiche Bauunternehmer Peter Bauwens. Im Alter von zehn Jahren wurde „Peco“ bei einem Unfall mit einer Kutsche schwer verletzt, es drohte die Amputation des linken Beins. Zur Genesung sollte der Junge Sport treiben. Fußball erwies sich als ideal.

Dass ausgerechnet der Spross einer Oberschichten-Familie den „Proletensport“ Fußball betrieb, war außergewöhnlich. Immer wieder betonte Bauwens, dass er, von immerhin 600 Schülern in seiner Schule, der einzige war, der of­fi­zi­ell Fuß­ball spie­len durfte.

Nach bestandenem Abitur studiert Bauwens zunächst Rechtswissenschaften in Berlin, anschließend in Bonn. Für die von ihm behauptete Promotion in Leipzig zum „Doktor der Rechte“ gibt es keine Belege, weder im Universitätsmatrikel, noch in der Hörerliste oder im Promotionsbuch der Juristischen Fakultät. Und auch im „Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums“ sucht man die Dissertation des Peter Joseph Bauwens vergeblich.

Aktiver Fußballer und erfolgreicher Schiedsrichter

Nachweisbar sind hingegen seine Erfolge als Fußballer. Der Stürmer spielte für den VfL Köln 1899. Am 16. Mai 1910 lief Bauwens für die deutsche Nationalmannschaft auf. Die 0:3 Niederlage gegen Belgien sollte sein einziges Länderspiel als aktiver Fußballer bleiben.

Bauwens bei den Olympischen Spielen in 1928 in Amsterdam, Fotograf unbekannt
Bauwens (ganz rechts) bei den Olympischen Spielen in 1928 in Amsterdam, Fotograf unbekannt

Erfolgreicher war seine Karriere als Schiedsrichter. In den Jahren zwischen 1920 und 1930 war Bauwens einer der besten deutschen Schiedsrichter. Bauwens leitete 82 Länderspiele, darunter auch das Finale des Olym­pi­schen Fuß­ball­tur­niers 1936 in Ber­lin.

Das „Endspiel ohne Ende“

Durchaus kurios war das von ihm geleitete Spiel End­spiel um die Deut­sche Meis­ter­schaft 1921/22 zwi­schen dem HSV und dem 1. FC Nürn­berg: Das Spiel dauerte insgesamt satte 294 Minuten.

Ein Elfmeterschießen war damals noch nicht vorgesehen. Die Regeln sahen bei Gleichstand eine Verlängerung von 2 x 15 Minuten vor. Sollte es danach immer noch unentschieden stehen, gab es eine weitere Verlängerung von 15 Minuten. Und danach noch eine Verlängerung. Und danach noch eine Verlängerung – solange, bis es einen Sieger gab. Eventuell also auch unendlich.

Die Zeitung "Wochenbild" (Ausgabe Nr. 25/1922) zum „Endspiel ohne Ende“
Die Zeitung „Wochenbild“ (Ausgabe Nr. 25/1922) zum „Endspiel ohne Ende“

Als es zwischen den Hamburgern und den Nürnbergern am 18. Juni 1922 in der 189 Minute (!) immer noch unentschieden stand, pfiff Schiedsrichter Peco Bauwens das Spiel wegen der einbrechenden Dunkelheit ab. Etwa sieben Wochen später gab es ein Wiederholungsspiel. Doch auch dieses ging in die Verlängerung. In dieser Verlängerung waren die Nürnberger nur noch zu sieben Mann auf dem Platz: Zwei Spieler hatten die Rote Karte gesehen, zwei Spieler schieden verletzt aus.

Da das Regelwerk aber vorschrieb, dass jede Mannschaft mit mindestens acht Mann auf dem Platz zu stehen hatte8Damals gab es noch keine Auswechslungen, die Startformation musste das Spiel zu Ende spielen. pfiff Bauwens das Spiel ab und wertete es eigenmächtig als Sieg für den HSV. Diese Entscheidung wurde später kassiert – die Saison 1921/22 wird in den DFB-Statistiken „ohne Meister“ geführt.

Peco Bauwens als Unternehmer

Bauwens trat 1913 in das elterliche Bauunternehmen ein. Dieses wurde, nach dem Tod seines Vaters, von seinen beiden älteren Brüdern Camillus und Jean Bauwens geleitet. Peco Bauwens übernahm die Verantwortung der „Ostabteilung“ mit Nie­der­las­sun­gen unter anderem in Kö­nigs­berg und Po­sen.

In der Chronik des Unternehmens9https://www.bauwens.de/chronik, abgerufen am 10. Juli 2024 wird die Geschichte des Unternehmens in sechs Blöcken unterteilt. Der Block „1873 bis 1929“ wird vom Unternehmen selbst wie folgt beschrieben:

„Die Anfangszeit nach der Gründung ist geprägt von rascher Expansion, die sich über das gesamte ehemalige deutsche Reichsgebiet erstreckt.“

Die beiden älteren Brüder melden sich im Ersten Weltkrieg freiwillig zum Militärdienst10Arthur Heinrich: „Eine saubere Geschichte“, DIE ZEIT vom 16.03.2006 Nr.12, https://www.zeit.de/2006/12/A-Bauwens/komplettansicht, abgerufen am 09.07.2024, Peco Bauwens leitet die Firma alleine.

In dieser Phase, insbesondere in der Zeit von 1914 bis 1918, baute das Unternehmen vorrangig stra­te­gisch be­deu­ten­de Ver­tei­di­gungs­anlagen. Später, in den 1920er Jah­ren, spezialisierte sich das Bauunternehmen auf Großprojekte, wie zum Beispiel den Bau der Au­to­bahn­stre­cke Köln-Bonn oder die neuen Ford-Werke in Köln-Merkenich.

Die Ford-Werke in der Zeitung "Der Mittag", Ausgabe Nr. 134 vom 11. Juni 1931
Die Ford-Werke in der Zeitung „Der Mittag“, Ausgabe Nr. 134 vom 11. Juni 1931

Der nächste Block der Firmenchronik fasst die Jahre von 1930 bis 1979 zusammen, eine durchaus bemerkenswerte Auswahl der Zeitspanne. In der Firmenchronik dazu lautet es:

„Trotz der Widrigkeiten, die von allen einen großen Willen zum Neubeginn erfordern, entwickelt sich Bauwens zielstrebig weiter.“

Ein Hinweis, dass in den Kriegsjahren Zwangsarbeiter im Unternehmen beschäftigt wurden, fehlt. Auf Nachfrage der Macher der Dokumentation „ZDF History: „Das dunkle Erbe – Nazis im deutschen Fußball“11ZDF History: „Das dunkle Erbe“, https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x-history/das-dunkle-erbe–nazis-im-deutschen-fussball-100.html, abgerufen am 06.07.2024 antwortet das Unternehmen:

„Der Firma Bauwens liegen aus den 40er Jahren keine eigenen Akten vor, die Hinweise geben, dass die Firma Bauwens Zwangsarbeiter beschäftigt hatte. Es gibt jedoch andere Quellenangaben, die darstellen, dass bei der Firma Bauwens möglicherweise acht oder gar die von ihnen benannten 100 Personen zwangsbeschäftigt waren.“

Heute12Stand: 10. Juli 2024 ist das Unternehmen Bauwens mit 490 Mitarbeitern an sechs Standorten in Deutschland tätig. Die Website weist stolz auf „3,3 Mrd. € anteilig betreutes Projektentwicklungsvolumen inkl. Joint Ventures zum 31.03.2024“ hin.13Unternehmenswebsite
Bauwens GmbH & Co. KG, https://www.bauwens.de/ueber-uns, abgerufen am 10. Juli 2024

Erfolgreich als Funktionär

Noch während seiner aktiven Zeit als Schiedsrichter verfolgte Peco Bauwens eine Karriere als Fußballfunktionär. Finanziell war er durch das Bauunternehmen abgesichert. Der DFB schreibt in seinem Nachruf „Der selbstbewusste Mann lebte für den Sport, aber nie vom Sport, der ihm aber zu einer gewissen Popularität verhalf.“14Peco Bauwens – Der Schiedsrichter mit dem offenen Wort“, https://www.dfb.de/index.php?id=1000653, abgerufen am 7. Juli 2024

Peco Bauwens (in der Mitte, mit Mantel.) beglückwünscht 1936 den Meister in der Bezirksklasse SV Beuel, Bild: Archiv SV 06 Beuel
Peco Bauwens (in der Mitte, mit Mantel.) beglückwünscht 1936 den Meister in der Bezirksklasse SV Beuel, Bild: Archiv SV 06 Beuel

Schon 1932 wurde er in das Exe­ku­tiv­ko­mi­tee der FI­FA ge­wählt. Sein Ziel war, dem DFB, damals die größte Sportorganisation der Welt, in dieser Organisation ein größeres Gewicht zu Ungunsten der kleineren Verbände zu verschaffen. Gleichzeitig versuchte er, noch nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, die WM 1942 nach Deutschland zu holen. Beides vergeblich. Stattdessen wurde er selber im Mai 1945 aus dem Exe­ku­tiv­ko­mi­tee der FI­FA ausgeschlossen. Sein Protest dagegen blieb erfolglos.

Ganz anders seine Karriere beim DFB: Von 1950 bis 1962 war Peco Bauwens Präsident des DFB. Unter seiner Führung wurde der DFB bereits im September 1950 wieder Mitglied der FIFA. Der völlig überraschende Gewinn der Weltmeisterschaft 1954 war somit auch ein Triumph für Peco Bauwens.

„Fußball ist kein Frauensport“

Unter seiner Führung wurde der Frauenfußball verboten. In einer Erklärung des DFB zum Thema Frauenfußball vom 30. Juli 1955 lautet es:

„Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden, und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.“

Den Vereinen wurde verboten, Damenfußballabteilungen aufzubauen oder Plätze zur Verfügung zu stellen. Peco Bauwens bezog auch unmissverständlich Stellung gegen den Frauenfußball: „Fußball ist kein Frauensport. Wir werden uns mit dieser Angelegenheit nie ernsthaft beschäftigen.“15Michael Bulla: Die Entwicklung des Frauenfußballs in Deutschland. Norderstedt 2009

Zum Glück hatte Bauwens hier Unrecht: Die DFB-Frauen sollten 2003 und 2007 die Weltmeisterschaft und 1989, 1991, 1995, 1997, 2001, 2005, 2009 und 2013 die Europameisterschaft gewinnen. Und waren damit erfolgreicher als die Herrennationalmannschaft. 

Die Bauwens-Familiengrabstätte auf Melaten. Hier wurde auch Peco Bauwens erste Frau Elise bestattet. Bild: Geolina163, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Die Bauwens-Familiengrabstätte auf Melaten. Hier wurde auch Peco Bauwens erste Frau Elise bestattet. Bild: Geolina163, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Grab auf Melaten

Bauwens gab 1962 sein Amt als DFB-Präsident auf und wurde direkt zum Ehrenpräsidenten gewählt. Am 17. November 1963 starb Peco Bauwens. Er wurde in der Familiengrabstätte auf Melaten beigesetzt. Seine Sargträger waren Mitglieder der Weltmeisterschaft von 1954, unter anderem Horst Eckel, To­ni Tu­rek und Fritz Wal­ter.

Im Nachruf des DFB16„Peco Bauwens – Der Schiedsrichter mit dem offenen Wort“, https://www.dfb.de/index.php?id=1000653, abgerufen am 7. Juli 2024 auf den Ehrenpräsidenten lautet es

„ … gehört somit zu jenen Funktionären, die sowohl unter der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft als auch nach 1945 exponierte Ämter im Fußball ausübten.“

Somit bringt es auch der DFB auf den Punkt: Peco Bauwens war vor und nach dem Krieg in verantwortlicher Position. Dass es sich bei dieser Person um einen Verfolgten des Nazi-Regimes handelte, ist schwer zu glauben.

Umstrittene Peco-Bauwens-Allee in Müngersdorf

Im März 1967 wurde eine kleine Straße im Sportpark Müngersdorf nach Peco Bauwens benannt. Heute führt diese Straße zu verschiedenen Einrichtungen der Sporthochschule.

Die Peco-Bauwens-Allee in Müngersdorf, Bild: Uli Kievernagel
Die Peco-Bauwens-Allee in Müngersdorf, Bild: Uli Kievernagel

In der Sitzung vom 28. August 202317 Sitzung Bezirksvertretung 3 (Lindenthal)TOP 8.1.5 Ö: Überprüfung von Straßennamen auf nationalsozialistischen Vergangenheit hat die Bezirksvertretung Lindenthal auf Antrag aller Fraktionen und Einzelmandatsträger – mit Ausnahme der AfD – eine Überprüfung von Straßennamen auf nationalsozialistische Vergangenheit beschlossen. Zu diesem Prüfauftrag gehört auch die Peco-Bauwens-Allee.

Das Ergebnis dieser Überprüfung steht noch aus.


In eigener Sache

Ich habe diesen Artikel im Juli 2024 und noch einmal im August 2024 der Pressestelle der Bauwens GmbH & Co. KG vorgelegt. Der Artikel wurde zwar abgerufen, es erfolgte aber keine Reaktion. 


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Ein paar Fragen an: Emmi von „Emmi kocht einfach“

Emmi in ihrer Küche. Immer dabei: Frische , saisonale Zutaten, Bild: Emmi Prolic, www.emmikochteinfach.de
Emmi in ihrer Küche. Immer dabei: Frische,  saisonale Zutaten, Bild: Emmi Prolic, www.emmikochteinfach.de

Ich bin zu Gast bei Emmi von „Emmi kocht einfach“. Das ist ein Blog für einfache Rezepte, die gelingen. Immer wenn man irgendein Rezept googelt, landet man bei Emmi. Bei mir waren es die Rinderrouladen. Und sie sind gelungen. Dank Emmis Rezept!

Emmi kommt zwar eigentlich aus Franken, lebt, arbeitet und kocht in Köln. Ihr Blog ist eine Quelle für Rezepte, auf die man sich verlassen kann. Auch ohne große Kocherfahrung.

Während wir uns unterhalten, fällt ganz oft das Wort „gelingsicher“. Das gefällt mir: Emmi veröffentlicht Rezepte, für die man weder Profikoch sein muss, nicht erst ein halbes Monatsgehalt in einem speziellen Laden investieren muss und auch keine Küche mit allem schnick-schnack braucht.

Hühnerfrikassee von Emmi - ein duftender Traum. Bild: Emmi Prolic, www.emmikochteinfach.de
Hühnerfrikassee von Emmi – ein duftender Traum. Bild: Emmi Prolic, www.emmikochteinfach.de

Genau so wie für das Hühnerfrikassee, welches Emmi so ganz nebenbei, während wir miteinander sprechen, zubereitet. Erstaunlich: Emmi bekommt die Mehlschwitze ganz ohne Klümpchen hin – daran scheitere ich regelmäßig. Aber sie nimmt mir die Angst und meint „Es ist doch völlig egal, wenn sich in der Soße noch das ein oder andere kleine Klümpchen befindet, sie wird ganz bestimmt auch so schmecken.“ Und das scheint schon das nicht ganz so geheime Geheim-Rezept von Emmi Prolic zu sein: Einfach machen! Habt Spaß beim Kochen und keinen Stress.

Auch Emmi macht sich keinen Stress. Während wir uns unterhalten, zerläuft die Butter im Topf und sie rührt das Mehl für die Mehlschwitze unter – so ganz nebenbei. Und ohne Klümpchen.

Emmi – warum gibt es heute das Hühnerfrikassee?

Ich hatte noch Hähnchen übrig. Und so ein Frikassee  ist eine prima Resteverwertung von Hähnchenfleisch. Egal ob gekocht oder gebraten, es passt und gelingt immer. Und auch mein Sohn liebt dieses Essen. 

Seit einiger Zeit wird viel über Lebensmittelverschwendung und Resteverwertung diskutiert und ich frage mich deshalb oft, wie es früher eigentlich war. Meine Oma zum Beispiel hat mit den Lebensmitteln gekocht, die im Vorrat waren. Frisches Gemüse kam saisonal dazu und Fleisch je nach dem auch. Aus vielen Zutaten, die vom Essen übrig waren, hat sie wieder etwas gezaubert. In diese Kategorie fällt auch mein klassisches Hühnerfrikassee Rezept.

Ist das dein Lieblingsgericht? Oder womit kann man dich – zumindest beim Essen – richtig glücklich machen?

Mein absolutes Lieblingsgericht ist und bleibt Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat. Dafür lasse ich alles stehen und liegen. Wahlweise kann es auch Schnitzel Wiener Art mit Putenfleisch sein und ja, manchmal esse ich gerne auch Pommes dazu.

Pfannkuchen gehören zu den beliebstesten Rezepten bei "Emmi kocht einfach", Bild: Emmi Prolic, www.emmikochteinfach.de
Pfannkuchen gehören zu den beliebstesten Rezepten bei „Emmi kocht einfach“, Bild: Emmi Prolic, www.emmikochteinfach.de

Ist das auch das Lieblingsgericht der Leser deines Blogs?

Nein, obwohl ich auch meine Zubereitungsvariante auf den Blog gestellt habe. Die Rezept-Lieblinge auf meinem Blog sind Rindergulasch, Spaghetti Carbonara und Pfannkuchen.  

Mich kann man mit Muschelgerichten bis nach Düsseldorf jagen. Gibt es auch Dinge, die du absolut nicht magst?

Mich kannst du mit Innereien-Gerichten jagen, ich würde dafür noch weiter flüchten als Düsseldorf, zum Beispiel passenderweise nach Essen in meine alte Wahlheimat. Doppeldeutig, du verstehst 😉!?

Weil du andere mit Essen glücklich machen willst, betreibst du seit 2017 den Blog „Emmi kocht einfach“. Was unterscheidet deinen Blog von den vielen Rezept-Seiten im Internet?

Ehrlich gesagt will ich sie nicht nur glücklich machen, sondern sie vor allem unterstützen, wenn sie täglich aufs Neue den Alltagsspagat zwischen Beruf und Haushalt meistern müssen. Ich habe das selbst jahrelang zwischen Zeitnot und Familienküche durchlebt. Diese Unterstützung war von Beginn an mein Ansinnen und Antrieb bei der Arbeit rund um den Blog, nämlich eine zuverlässige Rezept-Quelle zu sein, auf die man sich „in der Not“, wenn einem die Ideen ausgehen, verlassen kann. Ich stecke deshalb viel Herzblut und Gewissenhaftigkeit in die Rezeptentwicklung. Sie sind im Ablauf durchdacht und ich versuche keine Fragen offen zu lassen, sie sind von mir selbst mehrfach erprobt, damit sie für jeden gelingsicher sind und oft verpasse ich ihnen noch ein iTüpfelchen.

Für dich ist „Saisonalität“ beim Essen ganz wichtig. Warum sollte ich im Oktober keinen Spargel essen oder keine Erdbeeren im Januar? Steht doch alles im Supermarkt im Regal!

Ja, mir ist das wahnsinnig wichtig immer wieder darüber zu sprechen, denn dieses ständig verfügbare Schlaraffenland, in dem wir leben hat sehr viele negative Auswirkungen auf unsere Umwelt und uns selbst. Außerhalb der heimischen Saison haben wir es immer mit Importware zu tun. Ein Irrsinn ist der Transport, oft sind es bis zu 10.000 Flugkilometer, die das Gemüse im Winter zurücklegt, dazu kommt manche Sorten werden unreif geerntet und dafür nicht mit guten Mittelchen behandelt. Erdbeeren oder Tomaten im frühen oder späten Winter werden übrigens auch zum Beispiel in Spanien in riesigen Gewächshäusern angebaut. Dort wird mit Pflanzenschutzmitteln gearbeitet, damit in dem vorherrschend feuchten Klima der Gewächshäuser sich keine Pilze und andere Schädlinge vermehren. Auch der Energieaufwand dieser Gewächshäuser ist nicht zu verachten und auch, was sie an Wassermengen für die Bewässerung benötigen.

In meiner idealen Welt würden sich die Menschen viel mehr damit beschäftigen, was unsere heimischen Felder, Bäume und Sträucher aus der eigenen Region in der jeweiligen Jahreszeit bereitstellen, dann wenn sie mit der Kraft des Klimas bzw. der Sonne wachsen und gedeihen können. Man kann nichts Besseres für sich selbst und die Umwelt tun… Ein wirklich abendfüllendes Thema.

Es sieht immer fantastisch aus! Hier der "Spaghettikürbis mit Schinken und Käse". Bild: Emmi Prolic, www.emmikochteinfach.de
Es sieht immer fantastisch aus! Hier der „Spaghettikürbis mit Schinken und Käse“. Bild: Emmi Prolic, www.emmikochteinfach.de

Wenn man in deinen Blog reinschaut, sieht immer alles perfekt gelungen aus. Bei mir sehen meine Kochergebnisse nie so aus wie auf den wunderschönen Bildern. Hand aufs Herz: Schummelst du? Oder geht bei dir nie etwas schief? 

Selbstverständlich geht auch bei mir beim Kochen manchmal was daneben. Wenn ich aber das Rezept für die Fotoproduktion koche und fotografiere, was ich übrigens beides selbst mache, geht glücklicherweise sehr selten etwas schief. Fürs Foto muss ich manchmal mit ein paar Tricks arbeiten, um das Gericht von seiner besten Seite zu zeigen, aber die verrate ich natürlich nicht 😉 .

Dein Blog ist in deiner heimischen Küche gestartet – heute treffen wir uns in Räumen, die fast schon wie ein Studio wirken. War es von vornherein der Plan, den Blog professionell zu betreiben?

Nein das hatte ich nicht im Sinn. Du musst wissen, ich hatte mehr als ein Jahr zuvor meine Vollzeit-Tätigkeit als leitende Angestellte an den Nagel gehängt, um ganz für meinen damals 6jährigen Sohn da sein zu können… um nichts mehr in seinem Leben zu verpassen. Ich habe meine Leidenschaft am Kochen wiederentdeckt und natürlich täglich frisch für ihn bzw. uns alle drei gekocht. Dann kam der Wunsch in mir auf, diese Rezepte zu veröffentlichen, auf eine besondere Weise, gut erklärt, absolut verlässlich und gelingsicher, für alle gestressten Menschen da draußen wie ich es auch einer war. Ich hatte damit einen Nerv getroffen und meine Community wurde immer größer und auch die Wahrnehmung von Kooperationspartner, die bei mir anklopften. So nahm alles einen Lauf.  

Bist du ganz alleine? Oder hast du ein Team, welches dich unterstützt? 

Mein Mann ist seit einigen Jahren mein Geschäftspartner. Wir betreiben den Blog gemeinsam. Er ist unter anderem für die Vermarktung und den ganzen technischen Teil verantwortlich. Bei unseren zahlreichen Aufgaben rund um den Blog unterstützen uns sehr viele externe Partner aber mittlerweile haben wir in der Tat auch intern ein kleines Team an Mitarbeitern. Anders wäre es nicht mehr zu stemmen.

Bei so viel Aufwand entstehen auch Kosten. Wie refinanzierst du deinen Blog?

Das ist schnell erklärt, wenn du auf meine Seite „Emmi kocht einfach“  gehst, siehst du einige Werbeplatzierungen, so wie du ja zum Beispiel auch Werbung auf anderen Webseiten siehst oder im Privatfernsehen. So finanzieren wir uns heute hauptsächlich.

In Emmis Shop gibt es ihre Kochbücher und ausgewählte, hochwertige Produkte.
In Emmis Shop gibt es ihre Kochbücher und ausgewählte, hochwertige Produkte.

Dazu kommen noch die Einnahmen für meine Kochbücher, die ich schreibe und die Einnahmen aus unserem Shop

Sind irgendwann mal alle Rezepte gekocht? Wie sind deine Pläne für die Zukunft?

Nein, das wird nie der Fall sein. So wie die Menschheit sich verändert, verändert sich auch die Kulinarik und es wird immer wieder neue Facetten geben. Wie in der Musik oder der Kunst, Bereiche die ebenfalls nie zum Stillstand kommen..


Genau wie alle anderen Menschen in meiner Rubrik „Ein paar Fragen an …“ hat auch Emmi zu meinen „kölschen Fragen“ Rede und Antwort gestanden.

  1. Du kommst ursprünglich aus Franken. Schäufele, „Drei im Weggla“ und die Biere aus der Region sind sensationell. Zieht es dich ab und zu zurück dorthin?

Ja regelmäßig, mein Bruder mit Familie lebt noch dort, aber auch Tanten und Onkels. Auch eine meiner besten Freundinnen aus Jugendtagen lebt dort, wir haben uns nie aus den Augen verloren und ich besuche sie immer, wenn ich kann.

  1. Wenn nicht Köln – wo sonst könntest du wohnen? Und warum gerade dort?

Ich würde im Münchner Umland leben. Das ist meine Herzensgegend, weil ich die Berge so sehr liebe. Von dort könnte ich sie in der Ferne sehen, wäre schnell dort, hätte aber auch die Großstadt München in Reichweite, in der auch Freunde von uns leben.

  1. Welche kölsche Eigenschaft zeichnet dich aus?

Bodenständig“ und „kommunikativ“. Gehört das überhaupt dazu?

  1. Was würdest du morgen in unserer Stadt ändern?

Putzkolonnen losschicken, die die Straßen reinigen und die verschmierten Wände übermalen und das täglich. Im Vergleich zu anderen Großstädten auf den vorderen Plätzen hat Köln meines Erachtens viel Nachholbedarf und könnte in einem ganz anderen Licht erstrahlen. Das Stadtbild ist streckenweise echt schmuddelig und dreckig.

  1. Nenne ein/zwei/drei Gründe, warum man Köln morgen verlassen sollte.

Da fällt mir ehrlicherweise kein Grund ein. Wie gesagt, Köln ist keine Schönheit, packt einen aber emotional. Die Toleranz der Kölner ist außergewöhnlich und das macht doch eine Stadt am Ende wirklich lebenswert.

  1. Wo ist dein Lieblingsplatz in Köln?

Die Besucherplattform im Triangle-Tower in Deutz, es gibt meiner Ansicht nach keine schönere Aussicht auf die Stadt.

  1. Was machst du zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch?

Ich gehöre zu denjenigen die mittlerweile am liebsten flüchten, wenn es meine Zeit erlaubt. Ich finde das, was aus dem Straßenkarneval geworden ist schrecklich, das hat für mich nicht mehr viel mit Brauchtum zu tun.

  1. Wo drüber laachs de dich kapott?

Wenn jemand Grimassen zieht und extremes Talent dafür hat, da kann ich nicht anders, da liege ich unter dem Tisch vor Lachen.

Rievkooche - Emmis kölsches Lieblingsessen. Bild: Emmi Prolic, www.emmikochteinfach.de
Rievkooche – Emmis kölsches Lieblingsessen. Bild: Emmi Prolic, www.emmikochteinfach.de
  1. Jetzt kommt für eine Köchin die wichtigste Frage: Was ist dein kölsches Lieblingsgericht?

Ganz weit vorne der Rievkooche 😊

  1. Dein Lieblingsschimpfwort auf Kölsch?

Fiese Möpp, das hatte ich relativ schnell drauf.

  1. Bitte vervollständige den Satz: Köln ist …

… „im Herzen“ schön.


Ich darf mitessen. Danke, Emmi! Bild: Emmi Prolic, www.emmikochteinfach.de
Ich darf mitessen. Danke, Emmi! Bild: Emmi Prolic, www.emmikochteinfach.de

Das Hühnerfrikassee ist mittlerweile fertig. Ein duftender Traum. Emmi sieht mich an und stellt lachend einen zusätzlichen Teller auf den Tisch.

Ich bin genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort.


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Der Kaffee für Staatsoberhäupter kommt aus der Kölner Südstadt

Das Formula Uno am Zugweg in der Kölner Südstadt - hier soll es den besten Espresso Kölns geben. Bild: Uli Kievernagel
Das Formula Uno am Zugweg in der Kölner Südstadt – hier soll es den besten Espresso Kölns geben. Bild: Uli Kievernagel

Wenn Köln tatsächlich die nördlichste Stadt Italiens sein sollte, dann ist der Zugweg in der Südstadt so etwas wie die Via Appia: Italienisches Lebensgefühl pur. Wesentlich verantwortlich dafür ist Carmelo Bennardo. Er führt das italienische Kultcafé „Formula Uno“ und ermöglicht damit der Südstadt „La dolce vita“.

„Ich habe zwei Präsidenten.“

Dass es im Formula Uno den besten Espresso Kölns gibt, hat sich anscheinend schon bis nach Berlin rumgesprochen. Denn nur so ist es zu erklären, dass Carmelo beim Staatsbesuch des italienischen Präsidenten Sergio Mattarella Ende September 2024 Kaffee servieren durfte.

Bundespräsident Steinmeier hatte den italienischen Präsidenten im Rahmen seines Staatsbesuchs eingeladen, mit dem Schiff von Bonn nach Köln zu fahren, um in der Domstadt die prächtige Kathedrale zu besichtigen. Den Kaffee auf dem Schiff durfte der Kölner Carmelo Bennardo servieren. Für ihn Herzensangelegenheit: „Ich habe zwei Präsidenten. Einmal den deutschen, Herrn Steinmeier, und einmal den Herrn Mattarella.“

Carmelo Bennardo (Mitte) und seine zwei Präsidenten: Sergio Mattarella und Frank-Walter Steinmeier, Bild: Carmelo Bennardo
Carmelo Bennardo (Mitte) und seine zwei Präsidenten: Sergio Mattarella (links) und Frank-Walter Steinmeier (rechts), Bild: Carmelo Bennardo

Einfaches Leben – auf hohem Niveau 

Das Carmelo sogar Staatsoberhäuptern Kaffee servieren darf hätte er selber vor 56 Jahren nicht gedacht. Er kam, als sechsjähriger Junge, zusammen mit seinem Vater im März 1968 nach Köln.

Für den Sizilianer war in Köln alles anders. Er erinnert sich an die großen Häuser und daran, dass es kalt war. Prompt fiel ein paar Wochen nach seiner Ankunft Schnee. Bernardo: „Das war das erste Mal, dass ich in meinem Leben Schnee gesehen habe.“1: „Mit einem guten Kaffee ist es wie mit einer Formel in der Chemie – alles muss stimmen.“ Ein Interview mit Carmelo Bennardo, dem Inhaber des italienischen Kultcafés „Formula Uno“ von Daniel Zakharov, https://www.danielzakharov.de/project/interview-camelo-bennardo 

Damals gab es bereits die italienischen Gemeinschaften in der Südstadt, in Kalk oder auch in Ehrenfeld, daher wurde Carmelo in Köln schnell heimisch.  Es sollte allerdings noch lange dauern, bis er das „Formula Uno“ übernehmen konnte. Vorher war in dem Ladenlokal ein Gemüseladen, bis Anfang der 1970er Jahre der in der Südstadt bekannte italienische Gastronom Franco di Pirra dort ein Café eröffnete. In diesem Café gab es zwar auch schon Kleinigkeiten zu essen, aber es war, wie Bernardo sagt, ein „Männercafé“.

Im Jahr 1999 übernahm Carmelo Bernardo das Café von einem Freund. Der Beginn einer kölsch-italienischen Erfolgsgeschichte. Der neue Gastronom ändert Interieur und Angebot – das „Formula Uno“ wird zum Kultcafé. Stammgast Freddy aus der Kölner Südstadt beschreibt das Café wie folgt: „Hier ist einfaches Leben, aber auf sehr hohem Niveau. Auch weil es hier den besten Espresso Kölns gibt.“

Der beste Espresso Kölns

In einem Interview aus dem Jahr 2018 beschreibt Carmelo das Geheimnis eines richtig guten Kaffees wie folgt:

„Um einen guten Kaffee zu machen, muss die Maschine gut eingestellt sein und auch ein guter Kaffee verwendet werden. Es ist sehr ähnlich wie bei einer Formel in der Chemie. Alles muss stimmen. Wenn nur ein Detail nicht stimmt, dann wird nichts stimmen. Heute macht die Qualität sehr viel aus, denn man kann das nicht wie vor 30 Jahren machen. Die Leute hatten damals einen Espresso bestellt, aber das, was sie bekommen haben, konntest du nicht Espresso nennen – das war schwarzes Wasser. Heute achten sehr, sehr viele darauf, wie der Espresso in der Tasse ist, wie man den Zucker rein kippt, wie der Kaffee schmeckt. Heute verstehen einfach sehr viele Leute, was ein Espresso ist und wie er schmecken muss und nicht nur der Italiener, der das aus Italien schon kennt.“2„Mit einem guten Kaffee ist es wie mit einer Formel in der Chemie – alles muss stimmen.“ Ein Interview mit Carmelo Bennardo, dem Inhaber des italienischen Kultcafés „Formula Uno“ von Daniel Zakharov, https://www.danielzakharov.de/project/interview-camelo-bennardo 

Der Zugweg wird zum Fußballstadion

Doch nicht nur der Espresso macht das Formula Uno bekannt. Während Fußballwelt- oder Europameisterschaften herrscht im Zugweg regelmäßig der Ausnahmezustand: Waren es zunächst nur zwei Fernseher draußen vor dem Café wurde die Straße mehr und mehr zur Fußball-Feiermeile. Girlanden und Wimpel, quer über die Straßen gespannt, Menschenmassen auf der Straße, kein Durchkommen mehr. Klar, dass so etwas sofort das Ordnungsamt der Stadt auf den Plan ruft, so bei der WM 2006.

Der Zugweg wird regelmäßig zur Fußballstadion, Bild: Café Formula Uno
Der Zugweg wird regelmäßig zur Fußballstadion, Bild: Café Formula Uno

Doch auch hier wusste sich Carmelo Bennardo zu helfen: Er ließ den Zugweg auf eigene Kosten sperren. Trotz hoher Kosten war der Wirt begeistert: „Es war ja wunderbar und einfach sehr, sehr, sehr schön!“3„Mit einem guten Kaffee ist es wie mit einer Formel in der Chemie – alles muss stimmen.“ Ein Interview mit Carmelo Bennardo, dem Inhaber des italienischen Kultcafés „Formula Uno“ von Daniel Zakharov, https://www.danielzakharov.de/project/interview-camelo-bennardo 

Der mittlerweile eingekölschte Italiener liebt Deutschland, Köln und die Südstadt. Nur wenn es beim Fußball zum direkten Aufeinandertreffen der Squadra Azzurra und der deutschen Nationalmannschaft kommt schlägt sein Herz für Italien: „Köln ist meine Heimat. Ich bin im Jahr 11,5 Monate hier und vielleicht zwei Wochen da unten. Nichtsdestotrotz werde ich immer ein Sizilianer bleiben.“4„Mit einem guten Kaffee ist es wie mit einer Formel in der Chemie – alles muss stimmen.“ Ein Interview mit Carmelo Bennardo, dem Inhaber des italienischen Kultcafés „Formula Uno“ von Daniel Zakharov, https://www.danielzakharov.de/project/interview-camelo-bennardo 

In diesem Video beschreibt Carmelo, wie er den beiden Präsidenten Kaffee servieren durfte. Quelle: Carmelo Bennardo 

Wie ein Präsident Kaffee trinken ist täglich möglich!

Als er am 28. September 2024 dann dir große Ehre hatte, sowohl dem italienischen als auch dem deutschen Präsidenten auf dem Schiff Kaffee servieren zu dürfen, erfüllte sich ein Traum. „Es ist mir eine Ehre, meinen zwei Präsidenten zu servieren.“

Und beiden Präsidenten hat es sichtlich geschmeckt.


Die Bar Formula Uno am Zugweg

Wer auch mal wie ein Präsident Kaffee trinken will, sollte unbedingt das Café besuchen:
Formula Uno, Zugweg 2, 50677 Köln
Geöffnet ist das Café täglich von 7 – 22 Uhr, Samstag ab 8 Uhr, Sonntag ab 9 Uhr


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Kölsche Originale: Der Lehrer Welsch – Dreimol Null es Null, bliev Null

Gedenktafel, in d'r Kayjass Nummer Null (Kaygasse, Ecke Großer Griechenmarkt),Bild: 1971markus@wikipedia.de, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Gedenktafel, in d’r Kayjass Nummer Null (Kaygasse, Ecke Großer Griechenmarkt),Bild: 1971markus@wikipedia.de, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Jedes kölsche Schulkind kennt diesen Text:

„En d’r Kayjass Nummer Null steiht en steinahl Schull,
un do hammer dren studeet.
Unser Lehrer, dä hieß Welsch,
sproch en unverfälschtes Kölsch ...
… Dreimol Null es Null, bliev Null,
denn mer woren en d‘r Kayjass en d’r Schull.“

Bei dem von den „Drei Laachduve“ aus der Session 1938/39 besungenen Lehrer handelt es sich um Heinrich Welsch, und genau dieser Lehrer Welsch hat tatsächlich ein musikalisches Denkmal verdient.

Allerdings war Welsch nie in der Kaygasse tätig, sondern leitete im rechtsrheinischen Kalk eine Sonderschule für Kinder, die einer besonderen Fürsorge bedurften. Man kann davon ausgehen, dass die „Drei Laachduve“ Welsch wegen des Reims in die Kaygasse versetzt haben, denn die ursprüngliche Schule lag in der Hollweghstraße . Das hätte doch das Reimschema arg strapaziert.

Geburtshaus von Heinrich Welsch in Arzdorf, Bild: Wolfgang Lietzau
Geburtshaus von Heinrich Welsch in Arzdorf, Bild: Wolfgang Lietzau
Welsch – ein Pädagoge mit Herz

Heinrich Welsch wurde 1848 in Arzdorf, heute ein Ortsteil von Wachtberg, geboren. Er war ausgebildeter Lehrer mit einem Examen des Königlich Preußischen Lehrerseminars in Brühl. Nach verschiedenen Stationen, unter anderem in Worringen und Sülz, kam er 1881, mitten in der industriellen Revolution, nach Kalk. Erschreckt über die Verhältnisse in der Arbeiterschaft erkannte Welsch sehr schnell, dass Bildung der Schlüssel zum sozialen Erfolg seiner Schüler war. Im Jahr 1905 gründete er die „Hilfsschule“ in Kalk. Der Lehrer Welsch kümmerte sich rührend um seine Schüler – nicht selbstverständlich in einer Zeit, in der der Rohrstock noch als pädagogisches Mittel galt. So brachte er zum Beispiel Mädchen, die wegen einer ungewollten Schwangerschaft verstoßen wurden, wieder zurück zu ihren Familien.

Das Ehrengrab von Heinrich Welsch auf dem Kalker Friedhof, Bild: A.Savin
Das Ehrengrab von Heinrich Welsch auf dem Kalker Friedhof, Bild: A.Savin

Zu seinen Bemühungen um die Bildung gehört auch, dass Welsch 1884 mit 1.700 von ansässigen Betrieben gespendeten Büchern die erste Volksbibliothek in Kalk gründete. Heinrich Welsch schied im Jahr 1914 aus dem Schuldienst aus und verstarb 1935. Sein Grab auf der dem Friedhof in Kalk ist ein Ehrengrab, die Stadt Köln kümmert sich um die Grabpflege.

Lehrer-Welsch-Preis

Neben dem bekannten Lied lebt Heinrich Welsch aber auch im Lehrer-Welsch-Sprachpreis weiter. Die Kölner Sektion des Vereins Deutsche Sprache verleiht diesen seit 2004 an Personen oder Institutionen, die sich um die Hochsprache und den Erhalt der kölschen Sprache verdient gemacht haben.  Der Sänger Ludwig Sebus, selbst Preisträger im Jahr 2008, dazu im Kölner-Stadt-Anzeiger „Das Vermächtnis des legendären Lehrers Welsch ist doch viel mehr als Drei mal Null. Er verkörperte die kölsche Seele. Als Lehrer hat er alle Menschen gleich gesehen und gleich behandelt.“.  Erster Preisträger war Alexander von Chiari der im Motto des Rosenmontagszugs 2005 das Wort „Kids“ durch „Pänz“ ersetzte. Weitere Preisträger waren unter anderem „Die Sendung mit der Maus“ oder die Wise Guys.


Peter Kievernagel (1935 - 2023) war bei seinen Schülern als "Papa gnädig" bekannt. Bild: Uli Kievernagel
Peter Kievernagel (1935 – 2023) war bei seinen Schülern als „Papa gnädig“ bekannt. Bild: Uli Kievernagel

Ein andere Lehrer, bekannt als „Papa gnädig“

Ich widme dieses „Köln-Ding der Woche“ ausdrücklich meinem am 2. April 2023 verstorbenen Vater Peter Kievernagel, ebenfalls Lehrer. Seine Schüler sprachen von ihm als „Papa gnädig“, weil er bei Prüfungen auch schon mal gerne ein Auge zudrückte.

Ganz in der Tradition von Heinrich Welsch.


Tief im kollektiven Gedächtnis der Stadt verankert: Die "Kölschen Originale"
Tief im kollektiven Gedächtnis der Stadt verankert: Die „Kölschen Originale“

Weitere Geschichten zu den „Kölschen Originalen“ gibt es hier:


Zwar stammt das Lied von der „steinahl Schull“ im Original von den  „Drei Laachduve“, allerdings ist die überarbeitete Version der „Vier Botze“ die heimliche Hymne Kölns.


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Geköpft und doch lebendig: Hermann von Goch – Finanzgenie im Mittelalter

Darstellung einer Hinrichtung in Köln, Bild: Frans Hogenberg († 1590), Public domain, via Wikimedia Commons
Darstellung einer Enthauptung in Köln, Bild: Frans Hogenberg († 1590), Public domain, via Wikimedia Commons

Gastautorin: Irene Geuer

Ich bin sehr stolz, eine renommierte Gastautorin für dieses „Köln-Ding der Woche“ gewonnen zu haben: Irene Geuer ist freiberufliche Journalistin, Autorin und Moderatorin aus Köln. Sie hat Ethnologie, Politikwissenschaften und Spanisch in Köln studiert und als Moderatorin für diverse Sendungen in öffentlich-rechtlichen Sendern gearbeitet. Sie hat als Hochschuldozentin gearbeitet und schreibt auch Hörspiele.

Vielen ist ihre Stimme aus dem Zeitzeichen des WDR bekannt. Sie wohnt in meiner Nachbarschaft in Köln-Raderberg und teilt meine Liebe zu Köln.

Irene Geuer, Kölner Journalistin, Autorin und Moderatorin, Bild: Geuer
Irene Geuer, Kölner Journalistin, Autorin und Moderatorin, Bild: Geuer

Geköpft und doch lebendig Hermann von Goch – Finanzgenie im Mittelalter

von Irene Geuer

Er ist kein Wiedergänger, kein Untoter, der nach seiner Hinrichtung in Köln-Raderberg sein Unwesen treibt. Und doch ist er hunderte Jahre nach seinem Tod so lebendig wie kaum ein anderer.

Hermann von Goch wird am 7. Mai 1398 auf dem Richtplatz, da wo heute der Kölner Großmarkt ist, seinen Kopf verlieren. Viele meinen zu Unrecht. Denn das, was ihm vorgeworfen wurde, soll überhaupt nicht stimmen. Aber von Goch war dem Kölner Stadtrat unheimlich, sie wollten ihn loswerden. Und so musste er zugeben, eine Intrige gegen die Stadt gesponnen und ein Heer engagiert zu haben, um die politische Ordnung zu stürzen.

Einer der reichsten Männer Kölns

Wahrscheinlich ist das alles Quatsch und der Folter geschuldet. Denn Hermann von Goch war ein Freund des guten Lebens, der mit Streit oder gar Krieg und Überfall absolut nichts zu tun haben wollte. Sehr viel erstrebenswerter waren ganz andere Dinge. Wenn zum Beispiel ein neues Gewürz mit den Schiffen im Kölner Hafen anlandete, dann war er der erste, der es kaufte. Gäste bewirtete er mit erlesenen Weinen, Fisch, Fleisch, Gebäck und Obst. Die Tafel bog sich, wenn er einlud. Hermann von Goch war im 14. Jahrhundert einer der reichsten Männer Kölns. Er war ein schlauer Kerl, hatte eine sehr gute Menschenkenntnis und konnte hervorragend mit Geld umgehen. Vor allem mit dem Geld anderer, die er beriet.

Futteral (links) und Geldtasche (rechts) aus dem Nachlass Hermann von Goch. Bild: Jakob Heinrich von Hefner-Alteneck: Trachten, Kunstwerke und Geräthschaften vom frühen Mittelalter bis Ende des achtzehnten Jahrhunderts
Futteral (links) und Geldtasche (rechts) aus dem Nachlass Hermann von Goch. Bild: Jakob Heinrich von Hefner-Alteneck: Trachten, Kunstwerke und Geräthschaften vom frühen Mittelalter bis Ende des achtzehnten Jahrhunderts

Von Goch ist Prokurator – also Verwalter. Und was Geld angeht, seiner Zeit weit voraus. Er ist findig darin, Geld anzulegen, er streut seine Investitionen breit, er legt viel Geld in Immobilien an, als Sicherheit für seine Geldgeschäfte. Kurzum er ist ein Finanzjongleur. Und das im Mittelalter! Der Mann macht sich das „Who is Who“ des späten Mittelalters zur Kundschaft: Grafen, Fürsten, Bischöfe oder Päpste. Die Herren von Jülich-Berg und die Herzöge von Geldern, auch König Karl IV lassen von Goch die Finanzgeschäfte verwalten, um nur einige Beispiele zu nennen. Für seine Dienste wird er fürstlich entlohnt.

Schriftlicher Nachlass ist bis heute erhalten

Woher er seine unternehmerischen Talente hat, ist noch nicht erforscht. Obwohl man so viel über ihn weiß, was ein kleines Wunder ist. Denn Hermann von Gochs schriftlicher Nachlass ist bis heute erhalten. Aber nur ein Teil dieser wertvollen Dokumente wurde bislang gesichtet und bewertet. Eine Schande könnte man sagen. Denn aus diesem Nachlass gehen viele Details darüber hervor, wie die Menschen im Mittelalter lebten.

Im Kölner Stadtmuseum lagern die Alltagsgegenstände, die man von Goch bei seiner Festnahme abgenommen hat. Sehr gut erhalten. Da gibt es z.B. seinen Gürtel, von dem man weiß, dass der Kölner Geschäftsmann nicht dünn gewesen ist. Sichergestellt wurde ein silberner Reiselöffel mit ausklappbarem Stiel, ein Messer, mehrere Beutel für verschiedene Währungen, aufwendig gefertigt aus Brokat oder Seide. Außerdem Münzprobiernadeln, mit der von Goch die Echtheit des Geldes überprüfen konnte, wie auch ein Goldprobierstein und einige Siegel.

Siegel aus dem Nachlass Hermann von Goch, Bild: Kölnisches Stadtmuseum
Siegel aus dem Nachlass Hermann von Goch, Bild: Kölnisches Stadtmuseum

Geburtsdatum unbekannt

Eigentlich ist  Hermann von Goch Geistlicher. Wann er geboren wurde, ist nicht geklärt. Das erste Mal wird er in mittelalterlichen Schriften im Jahr 1373 erwähnt. Damals verleiht ihm Kaiser Karl IV eine Urkunde, worin der seine treue Gefolgschaft und große Tüchtigkeit rühmt. Damit verbunden ist die Befreiung von Steuern und Zöllen und Schutz für Angehörige und Gesinde. Diese Urkunde ist wohl der erste große Karrieresprung in Hermanns Leben. Viele Verträge wird er mit adeliger und geistlicher Prominenz abschließen. Meist mit einem Schutzbrief oder einer Schutzklausel versehen, um gegebenenfalls seinen Kopf zu retten, falls es Streit gibt.

Er hat einen treuen Gefährten, seinen Schwager Goswin. Und dieser Schwager zeigt auch, dass Hermann verheiratet war. Mit Irmgard. Die beiden haben 9 Kinder. Als von Goch die Kölner Bürgerrechte 1385 erwirbt, lässt er diese Ehe legitimieren. Natürlich vom Papst!

Auch die Kirche ist Kundin bei Goch. Der Erzbischof von Köln nimmt ihn als seinen Secretarius auf und überträgt ihm das Siegleramt und die Verwaltung der Einkünfte in Köln. Wieder ein Karrieresprung. Dadurch wird er auch erzbischöflicher Pächter, der die Grut verwaltet. Damals wird in Köln Bier ohne Hopfen hergestellt, die Grut ist eine Kräutermischung, die zum Würzen des Biers verwendet wurde . Und nur er darf diese Zutat anbauen. Alle Brauer müssen notgedrungen die Grut bei ihm kaufen. Eine kleine Goldgrube – für von Goch.

Goch kauft fast die halbe Stadt Köln auf

Er lebt seinen Reichtum in vollen Zügen aus. Er kauft fast die halbe Stadt auf. Im gehören 45 Liegenschaften, die steinerne Absicherung seiner Kreditgeschäfte. Er kauft Weinberge und Ackerland vor den Toren der Stadt. Köln ist im späten Mittelalter Boomtown. Durch das Stapelrecht hat die Stadt alles zu bieten, was man kaufen kann. Köln ist zu dieser Zeit die größte Stadt nördlich der Alpen, beliebt bei Händlern und Reisenden, die Hermann von Goch gerne zu sich in seine luxuriöse Residenz einlädt. Dass er ein großzügiger Gastgeber ist, zeigen die erhaltenen Haushaltsbücher.

Namenszug, den Hermann von Goch an mehrere seiner Gebrauchsgegenstände hat anbringen lassen. Bild: Jakob Heinrich von Hefner-Alteneck: Trachten, Kunstwerke und Geräthschaften vom frühen Mittelalter bis Ende des achtzehnten Jahrhunderts
Namenszug, den Hermann von Goch an mehrere seiner Gebrauchsgegenstände hat anbringen lassen. Bild: Jakob Heinrich von Hefner-Alteneck: Trachten, Kunstwerke und Geräthschaften vom frühen Mittelalter bis Ende des achtzehnten Jahrhunderts

Er war „ene staatse Kääl“. Dafür zahlte Hermann von Goch auch einen gesundheitlichen Preis. Er litt, wie man damals sagte, an Harnruhr, also an Diabetes und er hatte Blasensteine, deren Abgang äußerst schmerzhaft war. Das verrät sein ebenfalls erhaltenes Tagebuch. Er ist Familienmensch und umhegt seine Kinder. Mehr als 30 Prozent seiner Gesamtausgaben gehen für die Studienkosten eines Sohnes drauf. Darin auch Kleider, Schuhe, Bücher und Nachhilfeunterricht.

Alle neun Söhne und Töchter wird er gut verheiraten oder in vornehmen Klöstern unterbringen. Tochter Stina z.B. ehelicht einen Lombarden, also einen, dem Zinsgeschäfte erlaubt sind. Eine andere heiratet einen gutsituierten Kaufmann.

Die Historikerin Luise von Winterfeld, eine der wenigen Forschenden, die sich mit von Goch beschäftigt haben, schrieb 1925, dass er zu den Kölnern gehörte, die ihren Reichtum genossen und öffentlich zeigten und ihr Vermögen möglichst so anlegten, dass ihre Kinder ohne Mühe diesen Reichtum erhalten und vermehren konnten. Hermann von Goch war, was seine Kinder anging, eine Glucke.

Umtriebiger Geschäftsmann

Seine freundliche Art aber wird ihm zum Verhängnis. Er macht mit jedem, wirklich mit jedem, Geschäfte – ohne Ansehen der Person. Politisch bezieht er keine Stellung. Und da er sich von einem Herzog Wilhelm von Berg Ravensberg genauso bezahlen lässt, wie von einer Stadt Köln, die mit dem Herzog über Kreuz liegt, und da er Verbindungen zu Papst Urban VI unterhält, wie auch zum Gegenpapst Clemens VII, wird er vielen unheimlich.

Ab 1393 geht der Kölner Stadtrat gegen ihn vor. Von Goch soll mit seiner Grutpacht den Bürgern Schaden zugefügt haben. Er selbst spricht von einer Intrige und wird nicht gehört. Der Rat fordert von ihm eine horrende Summe als Schadenersatz. Einen Tag vor Fristende zahlt Hermann, mit Hilfe seines Lombardenschwiegersohnes. Trotzdem verkündet einen Tag später der Stadtrat einen Haftbefehl gegen von Goch. Und dabei passiert das, was uns heute das Leben des Hermann von Goch offenbart. Unterlagen werden beschlagnahmt, Haushalts- und Tagebücher, die nie wieder in den Besitz der von Gochs zurückgingen, sondern über Jahrhunderte hinweg archiviert wurden.

Unglaubwürdiges Geständnis durch Folter 

Nach der Haft verlässt er die Stadt, kehrt zwei Jahre später zurück, weil er glaubt, die Wogen hätten sich geglättet. Aber falsch gedacht. Die Hoffnung, seine Unschuld beweisen zu können, stirbt, als er das Stadttor passiert. Er hat weder einen Geleit- oder Schutzbrief dabei und wird sofort festgesetzt. Laut Anklage soll er die Zeit außerhalb Kölns genutzt haben, um einen Überfall auf die Stadt vorzubereiten.

Foltermethoden im Mittelalter, Bild: Public Domain
Foltermethoden im Mittelalter, Bild: Public Domain

Hermann von Goch beteuert seine Unschuld, wird wieder nicht gehört und stattdessen gefoltert. Und so wird er das bis heute unglaubwürdige Geständnis eines geplanten Überfalls ablegen. Da Hermann von Goch standesgerecht begraben wurde, ist davon auszugehen, dass er Reue gezeigt und somit die Sterbesakramente empfangen hatte.

Nachlass nur unvollständig unerforscht

Wissenschaftlich ist von Goch noch längst nicht begraben. Für Wirtschaftshistoriker oder Mittelalterexperten wäre es ein Fest, wenn es einen Forschungsauftrag über das Leben und den Nachlass des Hermann von Goch gäbe. Im Kölner Stadtarchiv lagert dieser Schatz, ohne je vollständig gehoben worden zu sein. So viele noch offene Fragen könnten vielleicht beantwortet werden: Wie war das wirklich mit den Vorwürfen gegen von Goch, wie genau hat er seine Geschäfte betrieben, welches Verhältnis hatte er zu seiner Frau oder den Angestellten, wie sah sein Alltag aus. Details, die über das Leben des Bürgertums im Mittelalter mehr verraten würden.

Und es könnte auch die Frage geklärt werden, warum Hermanns Söhne unglaublich viele Schuhe brauchten, wie die eine Ausgabenseite im Haushaltsbuch belegt.


Zeitzeichen: Der Kölner Geschäftsmann Hermann von Goch wird enthauptet (am 7.5.1398)

Irene Geuer hat ein sehr hörenswertes Zeitzeichen im WDR zu Hermann von Goch veröffentlicht: Ein wildes Leben im Mittelalter: Hermann von Goch war erst ein Mann der Kirche, wurde reich, heiratete – und nutzte seinen Einfluss, dass der Papst persönlich seine Ehe nachträglich erlaubte. In Köln besaß er bald ein Monopol auf das Biergewürz, alle Brauer musste diese „Grut“ bei ihm einkaufen. 

Reinhören lohnt sich! 

Das "Zeitzeichen" des WDR ist eine Radiosendung und greift täglich historische Daten auf, Bild: WDR
Das „Zeitzeichen“ des WDR ist eine Radiosendung und greift täglich historische Daten auf, Bild: WDR

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Kölsche Originale: Orjels-Palm – ein vornehmer Straßenmusikant

Johann Joseph Palm, genannt Orjels Palm, in Husarenuniform an seiner Drehorgel, Bild: unbekannter Fotograf
Johann Joseph Palm, genannt Orjels Palm, in Husarenuniform an seiner Drehorgel, Bild: unbekannter Fotograf

Am Ende seines Lebens war Johann Joseph Palm – genannt Orjels-Palm oder Urjels-Palm – schlichtweg zu schwach, um weiterhin die schwere Drehorgel zu tragen und zu bedienen. Um trotzdem noch ein paar Groschen zu verdienen, hing sich Orjels-Palm noch ein „Romantisches Panorama“ um – ein Schaukasten mit einer Bergszene – und flanierte damit auf der Straße und bei seinen Gönnern.

Geld war zeitlebens knapp bei einem Mann wie Orjels-Palm. In einer Zeit, in der an soziale Leistungen wie Kindergeld oder Renten noch nicht zu denken war, musste der Drehorgelspieler ein Dutzend eigener Kinder und dazu auch noch mindestens zwei Enkelkinder ernähren. Die einzige Unterstützung des Staates bestand darin, dem kriegsversehrten Orjels-Palm eine Konzession zum Drehorgelspielen zu erteilen.

Palm als Soldat bei den „Schwarzen Husaren“

Johann Joseph Palm wird am 28. April 1801 in der Kleinen Neugasse (heute Tunisstraße) geboren. Mit 14 Jahren beginnt er eine Lehre als Maler und Vergolder. Als Geselle will er eigentlich auf die „Walz“ gehen. Mit Walz, Wanderjahre, Tippelei oder Gesellenwanderung werden die Jahre der Wanderschaft eines Gesellen als Voraussetzungen zur Meisterprüfung bezeichnet. Doch da macht ihm das preußische Wehrgesetz einen Strich durch die Rechnung: Die Walz ist nur mit einem „Kundschaftsbüchlein“ zulässig. Und dieses Büchlein erhält man erst nach Ableistung des Wehrdiensts. Palm wird daher im Herbst 1820 in Danzig Rekrut bei den „Schwarzen Husaren“.

Zuhause in Köln nimmt währenddessen sein persönliches Schicksal eine unglückliche Wendung: Cäcilie Hack, seine Liebe seit früher Kindheit, hat sich mit einem anderen verlobt. Palm reist nach Köln, um Cäcilie umzustimmen. Vergeblich. Enttäuscht reist er schnell wieder ab, um in der Türkei, Russland und in Griechenland zu kämpfen.

Nur kurzes Glück mit der Jugendliebe

Nach einer Schussverletzung am Knie, die ihn zeitlebens quälen wird, kommt Palm im Jahr 1830 nach Köln zurück und holt sein Glück nach: Er heiratet die zwischenzeitlich verwitwete Cäcilie Hack. Zunächst ist das Familienglück groß, bis 1838 bekommen die beiden vier Kinder. Palm betreibt eine Werkstatt in seinem ursprünglich erlernten Beruf als Maler und Vergolder.

Doch das Familienglück des Johann Joseph Palm findet durch den Tod seiner Frau Cäcilie im August 1839 ein jähes Ende. Als alleinstehender Vater ist Palm überfordert und heiratet bereits im April 1840 Sophia Kollgraff. Mit ihr zeugt er bis 1847 weitere neun Kinder. Die stetig wachsende Familie erfordert ständig mehr Platz. Die Folge sind 15 Umzüge in 34 Jahren, davon achtmal innerhalb der Straße „Unter Krahnenbäumen“.

Johann Joseph Palm, genannt Orjels-Palm, auf dem Karl-Berbuer-Brunnen Bild: Uli Kievernagel
Johann Joseph Palm, genannt Orjels-Palm, auf dem Karl-Berbuer-Brunnen Bild: Uli Kievernagel

In den 1840er Jahren verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage der Familie dramatisch. Aufträge als Maler findet er kaum noch, zu vergolden gibt es nichts mehr. Zwei Kinder sterben an Unterernährung. Er stellt einen Rentenantrag – dieser wird jedoch postwendend abgelehnt. Allerdings erhält er die Konzession als Drehorgelspieler und eine kleine Beihilfe zur Anschaffung einer solchen Orgel.

Tadellos gekleidet und gepflegt

Palm machte sich in Köln als Drehorgelspieler schnell einen Namen. Er war immer tadellos gekleidet: Blitzsaubere Husaren-Uniform, auf Hochglanz polierte Stiefeln und eine hohe, schwarze Mütze auf dem Kopf. Das hat sich anscheinend sogar bis nach Berlin herumgesprochen, denn dort stand in der Zeitung: „Das ganze Gegenteil vom Maler Bock war der Orgels-Palm, ein vornehmer Straßenmusikant.“

Urjels-Palm in der Bierdeckel-Serie "Kölsche Originale", Bild: Bild: rs-bierdeckel.de, Reinhold Schäfer
Urjels-Palm in der Bierdeckel-Serie „Kölsche Originale“, Bild: Bild: rs-bierdeckel.de, Reinhold Schäfer

Und anders als seine Wettbewerber, die nur die üblichen Drehorgel-Stücke spielten, hatte Orjels-Palm auch eigene Stücke und Stücke seines Freundes Joseph Roesberg, der bereits mit dem Lied vom „Schnüsse Tring“ einen Karnevalshit gelandet hatte, im Repertoire.

Wo ist dann der Schwengel?

Eben dieser Joseph Roesberg erlaubte sich angeblich einen Scherz mit dem gutmütigen und stets heiteren Orjels-Palm. In Absprache mit dem Kirchenvorstand von Remagen sollte Palm sich dort als Organist vorstellen. Roesberg und seine Freunde spendierten Palm einen neuen Anzug und gaukelten ihm vor, dass er in der vollbesetzten Kirche am Kirmessonntag eine Probe seines Könnens als Orgelspieler abliefern sollte. Palm untersuchte fachmännisch die Orgel und soll dann gefragt haben „Wo is dann he dä Schwengel?“.

So schön diese Anekdote ist – sie kann aber leider nicht ganz der Wahrheit entsprechen. In der Remagener Pfarrkirche wurde nachweislich erst 1904 eine Orgel eingebaut. Und der gläubige Katholik Roesberg hätte wohl kaum einen Scherz mit der Kirche getrieben. Wahrscheinlicher ist es, dass der Freundeskreis um Roesberg dem Orjels-Palm nur etwas Gutes tun wollte und ihm unter einem Vorwand den neuen Anzug schenkte.

Fählen im och mänche Tön

Palm gehörte mit seiner Orgel bald zum Stadtbild. Johann Franz Weber, ein erfolgreicher Komponist kölscher Karnevalsmusik verewigt Orjels-Palm sogar in seinem Lied „Do deis meer leid“:

Met der Urgel trock erus
Künstler Palm von Hus ze Hus,
Fählen im och mänche Tön,
Schnüsse Tring spilt hä doch schön.
Doch sing Urgel manchmal brump
We en al, rostige Pump:
„Saht ens Palm“ su sähte Lück,
„Hät die Buchping hück?
Se deit uns leid,
Se deit uns leid,
Hat Ehr denn kei Gefühl?“1Übersetzung:
Mit der Orgel zieht er herum,
Künstler Palm, von Haus zu Haus.
Fehlen ihm auch manche Töne,
das Lied der „Schnüsse Tring“ spielt er doch schön.
Doch seien Orgel manchmal brummt
Wie eine rostige, alte Pumpe.
„Sagt mal, Palm“ so sagten die Leute,
„Hat die Bauchschmerzen heute?
Sie tut uns leid,
Sie tut uns leid,
Habt ihr denn kein Gefühl?“

Harte Arbeit für geringes Entgelt

Und Palm drehte fast 30 Jahre unermüdlich seine Orgel, um das notwendige Auskommen für die Familie zu verdienen. Dabei, so Reinhold Louis2 in seinem Buch „Kölner Originale“, Greven Verlag „… war er in der Tat harmlos: Palm lag nicht betrunken in der Gosse, er kam nicht in Konflikt mit den Gesetzeshütern, er war nicht verkommen, er borgte und schnorrte nicht, sondern leistete harte Arbeit für mehr oder weniger geringes Entgelt.“

Orjels-Palm kann in späteren Jahren die schwere Drehorgel nicht mehr bedienen und trägt stattdessen ein „Romantisches Panorama", Bild: unbekannter Fotograf
Orjels-Palm kann in späteren Jahren die schwere Drehorgel nicht mehr bedienen und trägt stattdessen ein „Romantisches Panorama“, Bild: unbekannter Fotograf

Und als die Orgel für den mittlerweile fast achtzigjährigen Palm schlichtweg zu schwer wird, sattelt er um und trägt das „Romantische Panorama“ um den Hals. Immer, um noch ein paar Groschen zu verdienen – die Kinder und Enkel haben schließlich Hunger.

Am 29. Januar 1882 stirbt Johann Joseph Palm. Und Köln verliert mit dem Straßenmusiker eines seiner Originale. Andere, die ihm als Straßenmusiker in Köln nachfolgen, werden weder so bekannt, noch als Original verehrt.

Ausnahmen: Klaus der Geiger und die Kelly-Family.
Aber das sind andere Geschichten.


Urenkel Emil Palm schreibt Musik für Ostermann

Es bleibt in der Familie: Der Urenkel von Orjels-Palm war Emil Palm (1890 – 1963). Und Emil Palm schrieb für Willi Ostermann, der selber kein Noten, lesen konnte, die von Ostermann vorgesungene Musik. 


Tief im kollektiven Gedächtnis der Stadt verankert: Die "Kölschen Originale"
Tief im kollektiven Gedächtnis der Stadt verankert: Die „Kölschen Originale“

Weitere Geschichten zu den „Kölschen Originalen“ gibt es hier:


 

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Der Köbes im Brauhaus – Mythos & Wahrheit

Ein Köbes mit einem Kranz Kölsch bei der Arbeit
Ein Köbes mit einem Kranz Kölsch bei der Arbeit

  

Er ist der unumstrittene Herr im Brauhaus: Der Köbes! Als Gast ist man geduldet. Mehr nicht. Der Köbes allein entscheidet, ob und wann man sein Kölsch bekommt, denn in einem kölschem Brauhaus bestellt man kein Kölsch: Der Köbes teilt es einem zu.

Dabei gehört der Köbes, genau wie die blankgescheuerten Holztische, die ausgesprochen hohe Lautstärke der Gäste und die kölsche Fooderkaat, zum Inventar eines Brauhauses.

Der Köbes ist die Person, die außerhalb Kölns als „Kellner“ oder „Ober“ bezeichnet wird. Eine Berufsbezeichnung, die der kölsche Köbes nicht gerne hört und Rufe wie „Hallo, Herr Ober“ schlichtweg ignoriert.

Weste, blauer Pullover, Lederschürze – der Köbes ist gut zu erkennen

Der Köbes ist gut erkennen: Die typische Kleidung ist eine Weste, blauer (Woll-)Pullover, Lederschürze und der Geldbeutel aus Leder. In der Hand trägt er den Kölschkranz aus Metall und im Gesicht eine leicht spöttische Miene, die dem Gast direkt signalisiert: Pass op Jung, ich bin hier der Chef!

Ein Köbes im Brauhaus Früh genießt sein Feierabendbier, Bild: Willy Horsch, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Ein Köbes im Brauhaus Früh genießt sein Feierabendbier, Bild: Willy Horsch, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Der ideale Köbes hat übrigens unendlich viele Rolle zu erfüllen: Er ist Geheimnisträger („Verzäll bloss nit minger Frau, dat ich he wor!“), kennt jeden Klaaf uss däm Veedel („Häste jehüürt: Dat Marie kritt alt widder e Kind“) und gibt gerne ungefragt medizinische und sonstige Ratschläge („Dat siebzehnte Kölsch ist jut für die Nieren“).

Gelegentlich überziehen einzelne Köbesse schon mal etwas mit ihrer deftigen und manchmal unverschämt wirkenden Ausdrucksweise. Dann wird es auch dem Urkölschen zu viel. Aber das ist die Ausnahme. Eher spielen die kölschen Köbesse ihre Rolle als Muuzepuckel, so wie mir Toni aus Buchheim berichtete:

Meine Frau und ich sitzen im Peters Brauhaus. Uns schräg gegenüber eine achtköpfige Gruppe von Touristen. Sie sprechen Spanisch.
Irgendwann kommt der Köbes. Er gibt sein Bestes: schaut mürrisch, rotzt seine Worte unverständlich in den Raum und stellt ungefragt Kölsch vor die Gäste. Die gucken fragend, bemühen ihr bestes Englisch und bekommen zum Dank die Speisenkarte auf den Tisch geknallt.  Mehrfach geben sie später das Zeichen, bestellen zu wollen. Als sich der Köbes endlich bequemt, verströmt seine ganze Körperhaltung überschäumenden Abscheu. Meine Frau und ich gucken uns an. Sie sagt: „Das geht ja gar nicht. Was sollen die Touristen denn denken?“  Ich will gerade aufstehen und dem Köbes etwas zu seinem unmöglichen Verhalten sagen. Da wechselt dieser übergangslos ins Spanische, erklärt – so vermute ich – was es mit dem Köbes auf sich hat und erntet erleichtertes Lachen der Gäste und ihren donnernden Applaus. Danach ist unsere Stimmung im beschwingten  ‚Su jett jitt et nur in Kölle-Modus‘. Das ist so einer der Momente, wo ich einfach nur dankbar bin, im bunten Kölle zu leben.

Herkunft des Begriffs „Köbes“ ist unklar

Die gängige Legende besagt, dass der Name des Köbes von Jakobspilgern stammt. Diese hätten während ihrer oft monatelangen Pilgerreise zwischendurch in den Brauhäusern gearbeitet, um etwas Geld für die Reise zu verdienen. Der Kölner nennt den Jakob „Köbes“, und da die Pilger auf dem Weg zum Heiligen Jakob waren, hatten sie schnell den Spitznamen „Köbes“ bekommen. Allerdings gibt es für diese, zugegeben nette, Legende keine Belege.

Tatsächlich waren die Brauersburschen, die „Brauers-Pooschte“, als Köbes tätig. Diese schufteten tagsüber als Lehrjungen in der Brauerei und verdienten sich abends noch ein paar Mark als Köbes dazu. Wie es von diesen Brauers-Pooschte zum Begriff „Köbes“ kam ist unklar. Vielleicht war einer der Jungs namens Jakob besonders schlagfertig, und so wurde sein Vorname zum gesamten Gattungsbegriff. Aber auch das ist reine Spekulation.

Durstige Gäste warten im "Früh im Veedel" auf den Köbes, Bild: Gordito1869, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
Durstige Gäste warten im „Früh im Veedel“ auf den Köbes, Bild: Gordito1869, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Eins ist sicher: Der Köbes ist älter das Kölsch!

Klar ist aber, dass es den Köbes schon lange vor dem Kölsch gab. In einem Schreinsbuch1Schreinsbücher waren im mittelalterlichen Köln die Vorläufer der heutigen Grundbücher. aus dem 12. Jahrhundert wird ausdrücklich der Bierschenk Burkard erwähnt. Er betrieb eine Gastwirtschaft direkt neben der Kirche St. Maximin. In den historischen Unterlagen wird ausdrücklich „Burkardus dator cervisie“ erwähnt. Dies kann man mit „Burkard, der Bierschenker“ übersetzen. Somit ist Burkard der erste namentlich bekannte Köbes.  

Doch wer heute auf Spurensuche geht, wird weder Burkard noch die Kirche finden – auf diesem Gelände steht mittlerweile der Hauptbahnhof.

Heute arbeiten Menschen aus der ganzen Welt als Köbes

Auch wenn es immer wieder lautet „Nä – su ne echte Köbes jitt et hück nit mieh.“ ist das nicht richtig. Es gibt noch die schlagfertigen Typen, die zwar deftig, am Ende auch aber irgendwie charmant, Kölsch servieren. Wer das bezweifelt, sollte unbedingt mal sein Kölsch im Päffgen in der Salzgasse oder in der Schreckenskammer trinken.

Tatsächlich kommen aber heute auch viele der Servicekräfte in den Brauhäusern nicht aus Köln und verstehen nicht immer die typische Sprache der Kölner. Sie sind aber immer bemüht, in die großen Fußstapfen der alten, urkölschen Köbesse zu treten. Und auch hier gilt:

Su simmer all he hinjekumme,
mir sprechen hück all dieselve Sproch.
Mir han dodurch su vill jewonne.
Mir sin wie mer sin, mir Jecke am Rhing.2Bläck Fööss: Unser Stammbaum

Deswegen bleibt es auch bei dem ungeschriebenen Gebot, dem Köbes auch zwischendurch mal ein Kölsch auszugeben. In den meisten Brauhäusern ist es den Köbessen zwar ausdrücklich verboten, während der Arbeit zu trinken, aber wenn keiner in dem Moment hinschaut …

Und wie ist es mit den weiblichen Köbessen?

Ursprünglich waren die Köbesse ausschließlich Männer, weil in der Regel die Brauersburschen das Bier ausschenkten. Allerdings arbeiteten in vielen Gaststätten auch im 19.Jahrhundert schon Kellnerinnen. Ein Umstand, der einige Zeitgenossen doch sehr erregte. Ein gewisser Friedrich Pollads regte sich darüber so sehr auf, dass er 1891 das Bändchen „Das Unwesen der Kellnerinnenwirtschaften in Köln.“ veröffentlichte.

Pollad-Buch Kellnerinnen
 

Der Moralapostel Pollads verurteilte die weiblichen Bedienungen als „Animierdamen„, die ihre Gäste finanziell und moralisch in den Untergang führen würden. Dass – falls an dieser sinnlosen Behauptung etwas dran sein sollte – die Männer und auch der reichlich ausgeschenkte Alkohol eine Rolle spielen würde, ließ der Autor mal eben unter den (Bier-)Tisch fallen.

Heute arbeiten Frauen und Männer in diesem Beruf. Und jedem, der immer noch meint, dass die Frauen der Rolle als Köbes nicht gewachsen seien, möge mal einen Abend im „Vogel“ auf dem Eigelstein verbringen. Die dortigen weiblichen Köbesse zeigen jedem Gast seine Grenzen in Punkto Schlagfertigkeit und Trinkfestigkeit auf.

Bargeldloses Prinzip: Der Köbes macht für jedes Kölsch einen Strich, Bild: Uli Kievernagel
Bargeldloses Prinzip: Der Köbes macht für jedes Kölsch einen Strich, Bild: Uli Kievernagel

 

Zum Umgang mit dem Köbes

Ein dringender Hinweis: Bitte niemals versuchen, schlagfertiger als der Köbes zu sein. Das wird erstens nicht gelingen und zweitens könnte der Köbes es anschließend vergessen, weiterhin Kölsch zu servieren. Deshalb gibt es ein paar Regeln, die man bei einem Besuch im Brauhaus beachten sollte:

  • Noch bevor der Köbes mit dem ersten Kölsch kommt, legt man einen Bierdeckel vor sich auf dem Tisch.
  • Man ruft den Köbes nicht heran. Er wird schon kommen, sobald alle am Tisch sitzen.
  • Niemand sollte in einem kölschen Brauhaus Mischgetränke (z.B. Radler oder Kölsch-Cola) bestellen.
  • Der Köbes wird so lange ungefragt Kölsch bringen, bis man abwinkt oder einen Bierdeckel aufs Glas legt.
  • Es gilt – während des Trinkens – das bargeldlose Prinzip: Der Köbes macht Striche für jedes Kölsch auf den Bierdeckel.
  • Am Ende kommt dann doch Bargeld ins Spiel. Jeder zahlt seinen Deckel oder man teilt den gemeinsamen Deckel. In jedem Fall aber gibt man dem Köbes reichlich Trinkgeld!

Ja dann: Prost!

PS Besonders spannend: 1933 gab es ein „Köbes-Rennen“. Mehr dazu demnähx im Köln-Ding der Woche.


Collage Köbes

Köbes Underground, KöbesColonius, Marie-Luise Nikuta und Köbes-Likör

Köbes Underground
Weil der Köbes kölsches Kulturgut ist, nennt sich die Hausband der Stunksitzung Köbes Underground. Dabei ist der Name eine doppelte Hommage: Zum einen an den Köbes im Brauhaus, zum anderen erinnert „Underground“ an die Sängerin von Velvet Underground, die 1988 verstorbene Kölnerin Nico Päffgen.

KöbesColonius
Guido Hofmann war tatsächlich mal als Köbes in Köln tätig. Heute führt er als Stadtführer KöbesColonius Menschen aus aller Welt humorvoll und äußerst versiert durch Köln.

Marie-Luise Nikuta
Und die unvergessene „Mottoqueen“ Marie-Luise Nikuta trug als Erkennungszeichen auf der Bühne oft blaues Köbes-Outfit.

Kräuterlikör „Köbes“
Der Familienbetrieb VAN LAACK im Belgischen Viertel vertreibt unter anderem den Kräuterlikör „Köbes“ mit immerhin 32 % Alkohol.


Der Köbes – Kölsch Zappjungeleed

Es gibt unzählige Lieder über den Köbes. Das Lied „Der Köbes – Kölsch Zappjungeleed“ beschreibt sehr genau das Verhalten eines typischen Köbes und seinen Umgang mit den Gästen.

Der Köbes (Kölsch Zappjungeleed)
(aus: Carnevals – Lieder III. Bändchen, Herausgeber: Johannes Böttger – Selbstverlag)

Dä Köbes eß wie jeder weiß,
Als Zappjung wohlbekannt,
Un wann hä och nit Köbes heiß,
Wed hä doch su genannt.

Un eß de Weetschaff stief voll Lück
Dat mäht bei im nix uhs,
Hä denk bei sich „die Lück han Zick“
Un mäht sich gar nix druhs

Alles klopp dann wie verröck,
Rubbeldibbeldum, rubbeldibbeldum,
Met dem Glas an einem Stöck,
Rubbeldibbeldubbeldibbeldum.

Wann dann der Köbes kütt,
Schreit durchenein die Schwitt:

Refrain:
Köbes, Köbes ich ben dran,
Köbes, schnell ’nen halven Hahn!
Köbes, komm du boore Poosch,
Meinste, ich hät keinen Doosch?
Wann de nit bahl bei mich küß,
Do vun mir kein Drinkgeld kriß!
Wells de nit, dann loß et stonn,
Tränendeer, ich gonn!

Der Köbes kütt vum boore Land
Un kritt kum up de Muul,
Doch hät hä stets en offe Hand,
Eß lans ein Sick jet fuul.

Hä kritt e Kamesol gestrick
Vun Wölle bletzebloo,
Dann weed noh Köllen hä gescheck,
Der Köbes dä eß doh.

An de Spölbütt kütt he dann
Rubbeldibbeldumm, rubbeldibbeldum.
Zapp och ald ens dann un wann,
Rubbeldibbeldubbeldibbeldum.

Wann en de Stuvv hä kütt
Dann schreit de ganze Schwitt:

Refrain:

Köbes, Köbes ich ben dran …

Doch wann verledde kaum e Johr
Määt im et Zappe nix,
Der Köbes es dann, dat eß klor,
‚Ne Zappjung nett un fix.

Hä kennt sing Gäß, die hä bedeent,
Un schriev got op der Lei,
Wann einer sich jet ärg dren kneent,
Schriev hä e Glas derbei,

Och, dann weed sich expleziert,
Rubbeldibbeldumm, rubbeldibbeldum
Wat dä Köbes nit schineet
Rubbeldibbeldubbeldibbeldum

Doch bei dem Explezeer
Schreit alles glich noh Beer:

Refrain:
Köbes, Köbes ich ben dran …

Et Trinke och der Köbes kann,
Dat hätt hä flöck geleet,
Beim Esse stellt hä singe Mann,
Dat weiß wahl jede Weet.

Och rechne kann hä flöck un got,
Hä määt nit vill Buhei,
Grief nor ne Gaß noh Stock un Hot,
Steiht Köbes glich derbei.

Beim Bezahle wie verröck,
Rubbeldibbeldumm, rubbeldibbeldum
Söhk hä noh’m Fünfpenningstöck,
Rubbeldibbeldubbeldibbeldum

Wann hä et glich nit fingk,
Sitz alles do un gringk:

Refrain:
Köbes, Köbes ich ben dran …

Doch ihrlich eß hä, brav un treu,
Un Spare määt im Spaß,
Et Drinkgeld dräht hä nevvenbei
Sich höhsch dann op de Kaß.

Un wann hä dann bei Johren eß,
Kauf hä en Weetschaff sich,
Un all die Stammgäß ganz geweß
Gonn bei de Köbbes glich,

Och, dann sitz hä unschineet,
Rubbeldibbeldumm, rubbeldibbeldum
En der Thek als kölsche Weet,
Rubbeldibbeldubbeldibbeldum

Wann hä ens Rentner eß,
Schreit met hä ganz geweß:

Refrain:
Köbes, Köbes ich ben dran …


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Die Schwarze Madonna in der Kupfergasse – eine Heilige mit „Bodenhaftung“

St. Maria in der Kupfergasse, Bild: Raimond Spekking
St. Maria in der Kupfergasse, Bild: Raimond Spekking

Im „Hillige Kölle“ gibt es unendlich viele Erinnerungsstätten an Heilige, wie zum Beispiel den Dreikönigsschrein , die „Goldene Kammer“ in St. Ursula oder die Marienstatue in St. Maria im Kapitol mit Äpfeln zur Erinnerung an den Appel-Jupp.

Doch zu kaum einer Heiligenfigur haben die Kölner eine so enge, fast schon persönliche, Bindung wie zu der Schwarzen Madonna in der Kupfergasse. Wenn meine Oma in der Innenstadt unterwegs war, gehörte ein Besuch dort genauso zum Pflichtprogramm wie das Einkaufen beim „Tietz“, dem heutigen Kaufhof.

Und der Bann der Schwarzen Madonna ist ungebrochen. Das zeigen auch die unendlich vielen Opferkerzen, die dort regelmäßig aufgestellt werden. Dabei wird die Schwarze Madonna bei allen möglichen Anliegen um Hilfe gebeten. So besucht auch traditionell das Kölner Dreigestirn am Karnevalssonntag die Schwarze Madonna, entzündet eine mit Karnevalsmotiven verzierte Kerze und bittet um gutes Wetter und einen erfolgreichen Ablauf des Rosenmontagszugs.

Eine dunkelhäutige Madonna

Die Madonna ist aus Lindenholz gefertigt. Dieses Holz hat eine weißlich/gelbliche bis maximal hellbräunliche Farbe. Der verstorbene Pfarrer an der Kirche St. Maria in der Kupfergasse, Werner Plänker, meinte, die Figur könne „… mit der dunklen Farbe auch das Leid und die Krankheit der Menschen, die zu ihr um Hilfe gefleht haben, angenommen haben.“ Das mag sein, wahrscheinlicher ist aber, dass der Ruß der unendlich vielen Opferkerzen die Figur geschwärzt hat. Immerhin steht die Figur bereits seit 1630 in Köln. Und hat – fast ein Wunder – alle Irrungen und Wirrungen in unserer Stadt bis heute unbeschadet überstanden.

Als dunkelhäutige Marienfigur ist die Schwarze Madonna in der Kupfergasse in guter Gesellschaft. Weltweit werden schwarze Madonnen verehrt, in Deutschland alleine 25 Exemplare. Die bekannteste Herleitung der schwarzen Madonnenfiguren bezieht sich auf das Hohelied Salomos in der Bibel. In dem recht „süffigen“, erotisch aufgeladenen Text lautet es:

„Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes; denn deine Liebe ist lieblicher als Wein. Es riechen deine Salben köstlich; dein Name ist eine ausgeschüttete Salbe, darum lieben dich die Mädchen. Zieh mich dir nach, so wollen wir laufen. Der König führte mich in seine Kammern. Wir wollen uns freuen und fröhlich sein über dich; wir preisen deine Liebe mehr als den Wein. Herzlich lieben sie dich. Ich bin braun, aber gar lieblich, ihr Töchter Jerusalems, …“ 1In anderen Übersetzungen lautet es auch „Ich bin schwarz, aber gar lieblich …“

Die Schwarze Madonna in der Kupfergasse, Bild: Willy Horsch, CC BY 3.0
Die Schwarze Madonna in der Kupfergasse, Bild: Willy Horsch, CC BY 3.0

Anmutige Figur, mit Schmuck überladen

Ein genauer Blick auf die Schwarze Madonna zeigt, dass die Figur sehr anmutig ist. Bernd Imgrund beschreibt die Figur als „Eindrucksvoll, das moderne Gesicht zeugt vom Stolz auf das Kind in ihren Armen, aber auch von tiefer Ruhe und Glaubensfestigkeit.“2Bernd Imgrund: 111 Kölner Orte, die man gesehen haben muss, emons-Verlag.

Dankbare Gläubige haben die Schwarzen Madonna mit Schmuckstücken beschenkt. Daher ist die Figur heute fast schon überladen, die gut gemeinten Gaben verhindern den ursprünglichen Blick die Figur.

Eine Heilige zum Anfassen

Und für die Kölschen ist und bleibt die Schwarze Madonna ursprünglich, also irgendwie eine Heilige zum Anfassen, die sich allen Anliegen annimmt. Und nur wer die kölschen Befindlichkeiten nicht kennt, ist darüber erstaunt, dass auch die Fans des ruhmreichen 1. FC Köln Opferkerzen aufstellen. Früher sollten diese Opferkerzen für die Meisterschaft sorgen, heute sollen diese wohl eher den drohenden Abstieg verhindern.

Hoffentlich wirkt es.


Bei d’r schwazze Madonna en d’r Kofferjass

Niemand geringeres als der großartige Ludwig Sebus hat der Schwarzen Madonna auch ein musikalisches Denkmal gesetzt. In seinem Lied „Bei d’r schwazze Madonna en d’r Kofferjass“ lautet es

Bei d´r Schwazze Madonna
en d´r Kofferjass,
brenne Kääze Dag en in un Dag us.
Bei d´r Schwazze Madonna
mäht manch einer Rass,
un keiner jeit heim ohne Trus.

Hochdeutsche Übersetzung:

Bei der Schwarzen Madonna
in der Kupfergasse
brennen Kerzen tagein und tagaus.
Bei der Schwarzen Madonna
macht manch einer Rast,
und keiner geht heim ohne Trost.


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Trude Herr: Niemals geht man so ganz

"Dat Pummel" - Trude Herr als kölsche Ulknudel, Bild: Trude-Herr-Fanclub
„Dat Pummel“ – Trude Herr als kölsche Ulknudel, Bild: Trude-Herr-Fanclub

Podcast Trude Herr, 22

„Niemals geht man so ganz
irgendwas von mir bleibt hier.“
(Trude Herr)

Dieses Lied gehört auf einer kölschen Beerdigung schon fast zum Inventar. Und auch als Zitat schmückt es viele Todesanzeigen in Köln & drumherum. Trude spielte im Jahr 1987, bereits schwer krank, diese kölsche Hymne zusammen mit Wolfgang Niedecken und Tommy Engel ein. Die Single klettert in den deutschen Charts auf Platz 20. Trude Herr selber starb – nach einem bewegten Leben – am 16. März 1991.

Kindheit in Mülheim

Ihre Kindheit verbringt Trude überwiegend in Köln-Mülheim. Ihr Vater war Mitglied der KPD und wurde 1933 wegen seiner politischen Gesinnung von den Nationalsozialisten verhaftet und für viele Jahre in ein Konzentrationslager verschleppt. Die Familie litt schwer unter dem Verlust, Trude wurde von ihrer Mutter und der sieben Jahre älteren Schwester Agy großgezogen. Der von Trude geliebte Vater starb 1961.

Die Familie wird 1943 ausgebombt und in das hessische Ewersbach evakuiert. In Dillenburg arbeitet sie als Schreibkraft im Krankenhaus, später im Einwohnermeldeamt. Nach dem Krieg kehren die Herrs wieder in das zerstörte Köln zurück und Trude arbeitet bei der der von der KPD herausgegebenen Zeitung „Die Volksstimme“.

Lange hält es die temperamentvolle Trude nicht am Schreibtisch aus: Bereits 1946 schließt sie sich einer Aachener Wanderbühne an und 1947 heuert sie beim großen Willy Millowitsch an. Doch der „Pummel“, wie Trude wegen ihrer schon damals stattlichen Figur, genannt wurde, wollte mehr und gründete im Jahr 1949 zusammen mit Gustav Schellhardt die „Kölner Lustspielbühne“. Leider ohne wirtschaftlichem Erfolg – das Theater musste schon kurz danach Konkurs anmelden und Trude verdiente sich ihren Lebensunterhalt im „Barberina“, einer Schwulen-Bar an der Hohe Pforte.

Als „Madame Wirtschaftswunder“ im Karneval

Erfolgreicher waren ihre Auftritte im Karneval. Als „Madame Wirtschaftswunder“ oder „Besatzungskind“ eroberte sie zwar ab Mitte der 1950er Jahre die Bühnen der Karnevalssäle, aber ihre oft vulgäre Art und die Gesellschaftskritik in ihren Büttenreden waren den konservativen Funktionären im Karneval ein Dorn im Auge. Als sie sich dann noch mit ihrer Nummer „Die Karnevalspräsidentengattin“ unmittelbar über die spaßbefreiten Frackträger lustig machte, war schnell Schluss mit lustig. Weitere Auftritte als „Präsidentengattin“ wurden ihr untersagt.

Trude Herr in den 1960er Jahren, Bild: Trude-Herr-Fanclub
Trude Herr in den 1960er Jahren, Bild: Trude-Herr-Fanclub

Somit war der Weg frei für die große Stadt: 1958 Trude wurde für das Revuetheater „Tingel-Tangel“ in Berlin engagiert. Dieses Engagement und ihre Präsenz in Berlin ebnete ihr auch den Weg ins Kino. In mehr als 30 Filmen mimte sie die rheinische Ulknudel, darunter auch Kassenschlager wie „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“ oder „Drillinge an Bord“ mit Heinz Erhardt. In dieser Zeit entstand auch mit „Ich will keine Schokolade“ ihr größter Hit.

Trude Herrs größter Hit "Ich will keine Schokolade"
Trude Herrs größter Hit „Ich will keine Schokolade“

Bei einer ihrer Reisen nach Afrika verliebte sich Trude in den Tuareg Ahmed M’Barek. Doch die 1969 geschlossene Ehe war nicht besonders glücklich und wurde 1976 geschieden. Glücklicher waren von 1970 bis 1976 ihre Inszenierungen mit eigenem Ensemble im Millowitsch-Theater. „Scheidung auf kölsch“, „Familie Pütz“ oder „Pflaumenschwemme“ waren erfolgreiche Stücke und führten gleichzeitig zu Streit mit Willy Millowitsch. Der eher deftige Humor Trude Herrs vertrug sich nicht mit Millowitschs Verständnis von Volkstheater.

Theater im Vringsveedel: „Ruhm hatten wir immer genug, nur kein Geld.“

Diese Konflikte führten dazu, dass Trude ihr eigenes Theater gründete. 1977 pachtete sie ein ehemaliges Kino auf der Severinstraße und gründete das „Theater im Vringsveedel“. Schnell wurde ihr Theater – gemessen an der Auslastung – zum erfolgreichsten in ganz Nordrhein-Westfalen. Gemessen am finanziellen Erfolg war es ein Flop. Trude Herrs lakonischer Kommentar dazu „Ruhm hatten wir immer genug, nur kein Geld.“ Nachdem sie vergeblich versuchte, städtische Zuschüsse zu erlangen, musste sie das Theater 1986 schließen.

Für Trude Herr selber, mittlerweile 59 Jahre alt, war es auch die Chance, etwas Neues zu machen. Sie ging ins Tonstudio und coverte auf der Platte „Ich sage, was ich meine“ internationale Hits. Aus „I Want To Know What Love Is“ wurde „Ich weiss jenau wat de meinz“ und „Beast of Burden“ wird zur „Hipp vum Nümaat“. Auf dieser Platte ist als letztes Stück auch „Niemals geht man so ganz“. Dieses Lied war ihr Abschiedsgeschenk an ihre Heimatstadt.

Trude Herr ist in Köln auch an eher unerwarteten Orten zu finden wie hier auf einem Stromkasten auf der Zwirnerstraße, ganz in der Nähe des Trude-Herr-Denkmals. Bild: Annette Esser
Trude Herr ist in Köln auch an eher unerwarteten Orten zu finden. Zum Beispiel auf einem Stromkasten auf der Zwirnerstraße, ganz in der Nähe des Trude-Herr-Denkmals. Bild: Annette Esser

Trude Herr stirbt in Südfrankreich an Herzversagen

Die schwer kranke Künstlerin zog noch im Jahr 1987 auf die Fidschi-Inseln und lernte dort ihren letzten Partner Samuel Bawesi kennen. 1991 kehrte sie für wenige Wochen noch einmal nach Köln zurück, um dann im Februar 1991 in die Nähe von Aix-en-Provence zu ziehen. Trude Herr starb dort am 16. März 1991 an Herzversagen.

Trude Herr ist tot – aber ihr Lied „Niemals geht man so ganz“ ist unvergänglich. Nicht nur auf kölschen Beerdigungen.


Trude-Herr-Schule im Mülheim

Im August 2020 hat die „11. Kölner Gesamtschule Mülheim“ verkündet, in Zukunft den Namen „Trude-Herr-Schule“ zu tragen. Weitere mögliche  Namenpatronen für die Schule waren die Edelweißpiratin Gertrud „Mucki“ Koch oder die von den Nationalsozialisten ermordete Ärztin Lilli Jahn. 

Es war kein einfache Entscheidung, so Schulleiterin Monika Raabe in einem Bericht der Kölner Stadt-Anzeigers. Man habe sich für Trude Herr entschieden, weil die in Mülheim aufgewachsene Künstlerin für Bodenständigkeit stehe, genau wie die Schule. 


 

Das Trude-Herr-Denkmal in der Kölner Südstadt, Bild: Raimond Spekking
Das Trude-Herr-Denkmal in der Kölner Südstadt, Bild: Raimond Spekking

Ähnlich turbulent wie ihr Leben ist auch die Geschichte um das Trude-Herr-Denkmal direkt am Bürgerhaus Stollwerck. Ohne schützende Glasur wurde dieses Denkmal im Jahr 2002 aufgestellt und verrottete. Gerettet wurde es erst 2012 durch eine Spende des Trude-Herr-Fanclubs.

Gedenktafel für Trude Herr vor ihrem ehemaligen Theater (heute das Oden-Kino) auf der Severinstraße
Gedenktafel für Trude Herr vor ihrem ehemaligen Theater (heute das Oden-Kino) auf der Severinstraße

Vor ihrem ehemaligen Theater in der Severinstraße ist seit 2012 eine Bronzetafel angebracht, welche an das „Theater im Vringsveedel“ und seine Gründerin erinnert.


Ein muskalisches Denkmal für Trude Herr setzte die Band L.S.E. mit dem Stück „Trudi“ auf dem Album „Für et Hätz un jä¬jen d’r Kopp“.

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 Dort lautet es:

Wä kennt en Kölle die Superfrau
Met däm unwahrscheinliche Körperbau?
Wä hät jedanz, jesunge un Theater jemat
Un keinem noh d’r Schnüss jeschwaad?

Diese Beschreibung hätte Trude Herr gefallen.


Ein großes DANKE an den Trude-Herr-Fanclub. Ich durfte für dieses Köln-Ding der Woche deren Bilder verwenden.


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