Gastautorin: Irene Geuer
Ich bin sehr stolz, eine renommierte Gastautorin für dieses „Köln-Ding der Woche“ gewonnen zu haben: Irene Geuer ist freiberufliche Journalistin, Autorin und Moderatorin aus Köln. Sie hat Ethnologie, Politikwissenschaften und Spanisch in Köln studiert und als Moderatorin für diverse Sendungen in öffentlich-rechtlichen Sendern gearbeitet. Sie hat als Hochschuldozentin gearbeitet und schreibt auch Hörspiele.
Vielen ist ihre Stimme aus dem Zeitzeichen des WDR bekannt. Sie wohnt in meiner Nachbarschaft in Köln-Raderberg und teilt meine Liebe zu Köln.
Geköpft und doch lebendig Hermann von Goch – Finanzgenie im Mittelalter
von Irene Geuer
Er ist kein Wiedergänger, kein Untoter, der nach seiner Hinrichtung in Köln-Raderberg sein Unwesen treibt. Und doch ist er hunderte Jahre nach seinem Tod so lebendig wie kaum ein anderer.
Hermann von Goch wird am 7. Mai 1398 auf dem Richtplatz, da wo heute der Kölner Großmarkt ist, seinen Kopf verlieren. Viele meinen zu Unrecht. Denn das, was ihm vorgeworfen wurde, soll überhaupt nicht stimmen. Aber von Goch war dem Kölner Stadtrat unheimlich, sie wollten ihn loswerden. Und so musste er zugeben, eine Intrige gegen die Stadt gesponnen und ein Heer engagiert zu haben, um die politische Ordnung zu stürzen.
Einer der reichsten Männer Kölns
Wahrscheinlich ist das alles Quatsch und der Folter geschuldet. Denn Hermann von Goch war ein Freund des guten Lebens, der mit Streit oder gar Krieg und Überfall absolut nichts zu tun haben wollte. Sehr viel erstrebenswerter waren ganz andere Dinge. Wenn zum Beispiel ein neues Gewürz mit den Schiffen im Kölner Hafen anlandete, dann war er der erste, der es kaufte. Gäste bewirtete er mit erlesenen Weinen, Fisch, Fleisch, Gebäck und Obst. Die Tafel bog sich, wenn er einlud. Hermann von Goch war im 14. Jahrhundert einer der reichsten Männer Kölns. Er war ein schlauer Kerl, hatte eine sehr gute Menschenkenntnis und konnte hervorragend mit Geld umgehen. Vor allem mit dem Geld anderer, die er beriet.
Von Goch ist Prokurator – also Verwalter. Und was Geld angeht, seiner Zeit weit voraus. Er ist findig darin, Geld anzulegen, er streut seine Investitionen breit, er legt viel Geld in Immobilien an, als Sicherheit für seine Geldgeschäfte. Kurzum er ist ein Finanzjongleur. Und das im Mittelalter! Der Mann macht sich das „Who is Who“ des späten Mittelalters zur Kundschaft: Grafen, Fürsten, Bischöfe oder Päpste. Die Herren von Jülich-Berg und die Herzöge von Geldern, auch König Karl IV lassen von Goch die Finanzgeschäfte verwalten, um nur einige Beispiele zu nennen. Für seine Dienste wird er fürstlich entlohnt.
Schriftlicher Nachlass ist bis heute erhalten
Woher er seine unternehmerischen Talente hat, ist noch nicht erforscht. Obwohl man so viel über ihn weiß, was ein kleines Wunder ist. Denn Hermann von Gochs schriftlicher Nachlass ist bis heute erhalten. Aber nur ein Teil dieser wertvollen Dokumente wurde bislang gesichtet und bewertet. Eine Schande könnte man sagen. Denn aus diesem Nachlass gehen viele Details darüber hervor, wie die Menschen im Mittelalter lebten.
Im Kölner Stadtmuseum lagern die Alltagsgegenstände, die man von Goch bei seiner Festnahme abgenommen hat. Sehr gut erhalten. Da gibt es z.B. seinen Gürtel, von dem man weiß, dass der Kölner Geschäftsmann nicht dünn gewesen ist. Sichergestellt wurde ein silberner Reiselöffel mit ausklappbarem Stiel, ein Messer, mehrere Beutel für verschiedene Währungen, aufwendig gefertigt aus Brokat oder Seide. Außerdem Münzprobiernadeln, mit der von Goch die Echtheit des Geldes überprüfen konnte, wie auch ein Goldprobierstein und einige Siegel.
Geburtsdatum unbekannt
Eigentlich ist Hermann von Goch Geistlicher. Wann er geboren wurde, ist nicht geklärt. Das erste Mal wird er in mittelalterlichen Schriften im Jahr 1373 erwähnt. Damals verleiht ihm Kaiser Karl IV eine Urkunde, worin der seine treue Gefolgschaft und große Tüchtigkeit rühmt. Damit verbunden ist die Befreiung von Steuern und Zöllen und Schutz für Angehörige und Gesinde. Diese Urkunde ist wohl der erste große Karrieresprung in Hermanns Leben. Viele Verträge wird er mit adeliger und geistlicher Prominenz abschließen. Meist mit einem Schutzbrief oder einer Schutzklausel versehen, um gegebenenfalls seinen Kopf zu retten, falls es Streit gibt.
Er hat einen treuen Gefährten, seinen Schwager Goswin. Und dieser Schwager zeigt auch, dass Hermann verheiratet war. Mit Irmgard. Die beiden haben 9 Kinder. Als von Goch die Kölner Bürgerrechte 1385 erwirbt, lässt er diese Ehe legitimieren. Natürlich vom Papst!
Auch die Kirche ist Kundin bei Goch. Der Erzbischof von Köln nimmt ihn als seinen Secretarius auf und überträgt ihm das Siegleramt und die Verwaltung der Einkünfte in Köln. Wieder ein Karrieresprung. Dadurch wird er auch erzbischöflicher Pächter, der die Grut verwaltet. Damals wird in Köln Bier ohne Hopfen hergestellt, die Grut ist eine Kräutermischung, die zum Würzen des Biers verwendet wurde . Und nur er darf diese Zutat anbauen. Alle Brauer müssen notgedrungen die Grut bei ihm kaufen. Eine kleine Goldgrube – für von Goch.
Goch kauft fast die halbe Stadt Köln auf
Er lebt seinen Reichtum in vollen Zügen aus. Er kauft fast die halbe Stadt auf. Im gehören 45 Liegenschaften, die steinerne Absicherung seiner Kreditgeschäfte. Er kauft Weinberge und Ackerland vor den Toren der Stadt. Köln ist im späten Mittelalter Boomtown. Durch das Stapelrecht hat die Stadt alles zu bieten, was man kaufen kann. Köln ist zu dieser Zeit die größte Stadt nördlich der Alpen, beliebt bei Händlern und Reisenden, die Hermann von Goch gerne zu sich in seine luxuriöse Residenz einlädt. Dass er ein großzügiger Gastgeber ist, zeigen die erhaltenen Haushaltsbücher.
Er war „ene staatse Kääl“. Dafür zahlte Hermann von Goch auch einen gesundheitlichen Preis. Er litt, wie man damals sagte, an Harnruhr, also an Diabetes und er hatte Blasensteine, deren Abgang äußerst schmerzhaft war. Das verrät sein ebenfalls erhaltenes Tagebuch. Er ist Familienmensch und umhegt seine Kinder. Mehr als 30 Prozent seiner Gesamtausgaben gehen für die Studienkosten eines Sohnes drauf. Darin auch Kleider, Schuhe, Bücher und Nachhilfeunterricht.
Alle neun Söhne und Töchter wird er gut verheiraten oder in vornehmen Klöstern unterbringen. Tochter Stina z.B. ehelicht einen Lombarden, also einen, dem Zinsgeschäfte erlaubt sind. Eine andere heiratet einen gutsituierten Kaufmann.
Die Historikerin Luise von Winterfeld, eine der wenigen Forschenden, die sich mit von Goch beschäftigt haben, schrieb 1925, dass er zu den Kölnern gehörte, die ihren Reichtum genossen und öffentlich zeigten und ihr Vermögen möglichst so anlegten, dass ihre Kinder ohne Mühe diesen Reichtum erhalten und vermehren konnten. Hermann von Goch war, was seine Kinder anging, eine Glucke.
Umtriebiger Geschäftsmann
Seine freundliche Art aber wird ihm zum Verhängnis. Er macht mit jedem, wirklich mit jedem, Geschäfte – ohne Ansehen der Person. Politisch bezieht er keine Stellung. Und da er sich von einem Herzog Wilhelm von Berg Ravensberg genauso bezahlen lässt, wie von einer Stadt Köln, die mit dem Herzog über Kreuz liegt, und da er Verbindungen zu Papst Urban VI unterhält, wie auch zum Gegenpapst Clemens VII, wird er vielen unheimlich.
Ab 1393 geht der Kölner Stadtrat gegen ihn vor. Von Goch soll mit seiner Grutpacht den Bürgern Schaden zugefügt haben. Er selbst spricht von einer Intrige und wird nicht gehört. Der Rat fordert von ihm eine horrende Summe als Schadenersatz. Einen Tag vor Fristende zahlt Hermann, mit Hilfe seines Lombardenschwiegersohnes. Trotzdem verkündet einen Tag später der Stadtrat einen Haftbefehl gegen von Goch. Und dabei passiert das, was uns heute das Leben des Hermann von Goch offenbart. Unterlagen werden beschlagnahmt, Haushalts- und Tagebücher, die nie wieder in den Besitz der von Gochs zurückgingen, sondern über Jahrhunderte hinweg archiviert wurden.
Unglaubwürdiges Geständnis durch Folter
Nach der Haft verlässt er die Stadt, kehrt zwei Jahre später zurück, weil er glaubt, die Wogen hätten sich geglättet. Aber falsch gedacht. Die Hoffnung, seine Unschuld beweisen zu können, stirbt, als er das Stadttor passiert. Er hat weder einen Geleit- oder Schutzbrief dabei und wird sofort festgesetzt. Laut Anklage soll er die Zeit außerhalb Kölns genutzt haben, um einen Überfall auf die Stadt vorzubereiten.
Hermann von Goch beteuert seine Unschuld, wird wieder nicht gehört und stattdessen gefoltert. Und so wird er das bis heute unglaubwürdige Geständnis eines geplanten Überfalls ablegen. Da Hermann von Goch standesgerecht begraben wurde, ist davon auszugehen, dass er Reue gezeigt und somit die Sterbesakramente empfangen hatte.
Nachlass nur unvollständig unerforscht
Wissenschaftlich ist von Goch noch längst nicht begraben. Für Wirtschaftshistoriker oder Mittelalterexperten wäre es ein Fest, wenn es einen Forschungsauftrag über das Leben und den Nachlass des Hermann von Goch gäbe. Im Kölner Stadtarchiv lagert dieser Schatz, ohne je vollständig gehoben worden zu sein. So viele noch offene Fragen könnten vielleicht beantwortet werden: Wie war das wirklich mit den Vorwürfen gegen von Goch, wie genau hat er seine Geschäfte betrieben, welches Verhältnis hatte er zu seiner Frau oder den Angestellten, wie sah sein Alltag aus. Details, die über das Leben des Bürgertums im Mittelalter mehr verraten würden.
Und es könnte auch die Frage geklärt werden, warum Hermanns Söhne unglaublich viele Schuhe brauchten, wie die eine Ausgabenseite im Haushaltsbuch belegt.
Zeitzeichen: Der Kölner Geschäftsmann Hermann von Goch wird enthauptet (am 7.5.1398)
Irene Geuer hat ein sehr hörenswertes Zeitzeichen im WDR zu Hermann von Goch veröffentlicht: Ein wildes Leben im Mittelalter: Hermann von Goch war erst ein Mann der Kirche, wurde reich, heiratete – und nutzte seinen Einfluss, dass der Papst persönlich seine Ehe nachträglich erlaubte. In Köln besaß er bald ein Monopol auf das Biergewürz, alle Brauer musste diese „Grut“ bei ihm einkaufen.
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