Ein paar Fragen an Rudolf Nickenig: „Köln ist eine merkwürdige Weinstadt.“

Dr. Rudolf Nickenig
Dr. Rudolf Nickenig hat ein Buch zur „Weinstadt Köln“ veröffentlicht, Bild: Nickenig

Dr. Rudolf Nickenig als Weinexeperten zu bezeichnen wäre eine glatte Untertreibung. Dieser Mann „lebt“ das Kulturgut Wein. Geboren als Sohn einer Winzerfamilie aus Boppard lernte er das Winzerhandwerk von der Pike auf.

Bevor er Referent beim Deutschen Weinbauverband wurde, studierte er Lebensmittelwissenschaft in Bonn und promovierte über „Polyphenole in Weißweinen“. Von 1986 bis 2018 war Nickenig Generalsekretär des Weinbauernverbands. Während dieser Zeit war er auch Chefredakteur der Fachzeitschrift „Der Deutsche Weinbau“. Er arbeitete in verschiedenen Europäischen Spitzenverbänden des Weinbaus, ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Weinakademie (DWA) und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Gesellschaft für Geschichte des Weines e.V.

Buch: „Köln – eine merkwürdige Weinstadt“

Rudolf Nickenig hat bereits mehrere Bücher über Wein veröffentlicht. Sein jüngstes Werk allerdings hat es in sich: „Köln – eine merkwürdige Weinstadt“ ist ein Buch über die Weinhistorie Kölns. In der Stadt mit dem (selbsternannten) besten Bier der Welt. Ein klarer Fall für den Köln-Lotsen – das muss aufgeklärt werden.

Ich treffe Rudolf Nickenig ausgerechnet in einem Brauhaus. Und wir reden dort über Wein. Klingt seltsam, aber man gewöhnt sich dran. Für den Autor übrigens kein Widerspruch, er sagt: „Heute ist Köln ohne Frage eine Biermetropole.“ Und stößt mit einem frischgezapftem Kölsch mit mir an. „Aber das war nicht immer so. Köln hat ein von Wein geprägtes Vorleben. Wetten, dass ich das nachweisen kann?“.

Ich schlage lieber nicht ein, denn ich kenne sein neues Buch. Dort geht es um genau eine solche Wette: Wilhelm, der mich ganz stark an den Weinexperten Nickenig erinnert, wettet mit seinem Freund Karl darum, dass er nachweisen kann, dass Wein in Köln eine viel wichtigere Rolle gespielt hat als bekannt.

Kölner besitzen Weinberge an der Ahr, am Mittelrhein und an der Mosel 

Und dann zieht Wilhelm alle Register: Er erklärt, dass die ersten Kölner Reben von den Römer mitgebracht wurden, damit man den Wein nicht immer mühevoll importieren musste. Um den wachsenden Bedarf zu decken, bemühten sich die betuchten Kölner, in den Besitz von Weinbergen an der Ahr, am Mittelrhein und an der Mosel zu kommen. So gibt es einen schriftlichen Nachweis, dass Erzbischof Kunibert von Köln bereits im Jahr 643 Besitzer eines Weinbergs in Boppard ist.

Augenzwinkernd erläutert der fiktive Wilhelm seinem Freund, dass es in der 200jährigen Geschichte des organisierten Karnevals noch nie ein Motto zum Bier gab, aber immerhin vier Mal der Wein zum Thema wurde.

Rudolf Nickenig: "Köln – Eine merkwürdige Weinstadt", 176 Seiten, 19,95 €, Marzellen Verlag Köln 2022 ISBN 978-3-937795-79-9
Rudolf Nickenig: „Köln – Eine merkwürdige Weinstadt„, 176 Seiten, 19,95 €, Marzellen Verlag Köln 2022, ISBN 978-3-937795-79-9

Das Buch liest sich mit seinen 3 x 11 Kapiteln genauso flüssig und leicht wie sich ein gekühlter Weißwein trinken lässt. Und wer, wie beim Wein, die ganzen Aromen genau aufspüren will, wird im umfangreichen Anhang mit Begriffserläuterungen und weiterführender Literatur fündig.


 

Ein paar Fragen an … Dr. Rudolf Nickenig

Herr Dr. Nickenig – die Frage aller Frage: Rot oder Weiß? Oder Rosé? Oder am Ende doch Kölsch?

„Rut un wiess wie lieb ich dich!“ Da kann ich den Bläck Fööss zustimmen. Mal bevorzuge ich einen Rotwein, mal einen Weißwein, mal einen blanc de noir.

Die Kölner früherer Jahrhunderten liebten den „Weißen Roten“ der damaligen Zeit, den Bleichert, sowohl den Ahr- als auch den Rheinbleichert.

Köln und Kölsch zusammen klingt hervorragend – Köln und Wein hingegen passt auf den ersten Blick nicht wirklich gut zusammen. Richtig?

Auf den ersten Blick kommt es einem merkwürdig vor. Es lohnt sich daher, sich mit der Weinhistorie der Stadt Köln nicht bierernst, sondern weinfröhlich zu beschäftigen.

Wie kamen Sie auf die Idee, über die Stadt mit dem (selbsternannten) besten Bier der Welt ausgerechnet ein Weinbuch zu schreiben?

Vor einigen Jahren hatte ich ein Buch über das Weinbaugebiet Mittelrhein1Vom harten Hengst zum feurigen Riesling“, Verlag Matthias Ess , Bad Kreuznach , 2015, 19,80 Euro geschrieben. Bei den Recherchen wurde mir klar, dass der Weinbau in früherer Zeit nicht am Siebengebirge aufhörte.

Ich zweifelte auch an der Abgrenzung von Heinrich Böll:
„Der Weintrinkerrhein hört ungefähr bei Bonn auf, geht dann durch eine Art Quarantäne, die bis Köln reicht; hier fängt der Schnapstrinkerrhein an; das mag für viele bedeuten, dass der Rhein hier aufhört. Mein Rhein fängt hier an,…“ Den Halbsatz will ich nicht kommentieren. Wie weit der „Weintrinkerrhein“, aber auch der „Weinerzeugerrhein“ ging, wollte ich genauer recherchieren und dieser Weg führte zur merkwürdigen Weinstadt Köln.

Die fleißigen Heinzelmännchen sorgten auch für den Wein in Köln, Detailansicht des Heinzelmännchenbrunnens, Bild: Raimond Spekking
Die fleißigen Heinzelmännchen sorgten auch für den Wein in Köln, Detailansicht des Heinzelmännchenbrunnens, Bild: Raimond Spekking

Die Heinzelmännchen brauen kein Bier, sondern keltern Wein. Ist das der Beweis für den Kölner Weinanbau?

Wir alle kennen aus Kindertagen die merkwürdigen Aktivitäten der Kölner Heinzelmännchen. Aber Hand aufs Herz: wissen Sie noch welchen Handwerkern die Heinzelmännchen halfen?

Sie schufteten nachts für die Zimmerleute (Vers 2), die Bäcker (Vers 3), die Fleischer (Vers 4), die Schneider (Vers 6) – mit dem verheerenden Ende aufgrund der neugierigen Schneidersfrau, die die Heinzelmännchen vertrieb. Und wem halfen sie im Vers 5?

….
Die Männlein sorgten um den Wein,
Und schwefelten fein
Alle Fässer ein,
Und rollten und hoben
Mit Winden und Kloben,
Und schwenkten
Und senkten,
Und gossen und panschten
Und mengten und manschten.
Und eh der Küfer noch erwacht,
War schon der Wein geschönt und fein gemacht!

Überraschenderweise halfen die Heinzelmännchen in der Bierstadt Köln keinen Bierbrauern, sondern Weinküfern. Das ist kein Beweis für den Kölner Weinbau, aber ein Hinweis, dass zu Zeiten der Heinzelmännchen oder vielleicht sogar zu Zeiten des Autors August Kopisch – er schrieb das Gedicht 1838 – Wein in Köln einen höheren Stellenwert als Bier hatte!

Aber mal ganz ehrlich: Es wurde doch damals nur deswegen Wein getrunken, weil es lebensgefährlich war, das verunreinigte Wasser zu trinken.

Die Einen sagen so, die Anderen sagen so. Warum haben sie Wein und kein Bier getrunken, das ist doch die Frage.

Aber ernsthaft: Wein wurde in der frühen Neuzeit nur von den reichen Bürgern als Genussmittel betrachtet, nur sie konnten sich gute teure Weine leisten. Für die ärmeren Schichten war der Hygieneeffekt von billigen Weinen sicher wichtig. 

Schon den Römern war es auf die Dauer zu lästig, das Grundnahrungsmittel Wein in Amphoren aus dem Süden einzuführen. Also selber anbauen. Aber was für eine Qualität hatten die in Köln produzierten Weine?

Um die Frage beantworten zu können, müssen wir uns auf Quellen der damaligen Zeit stützen. Wir wissen aus den Aufzeichnungen von Hermann Weinsberg (1518-1597), einem Kölner Ratsherrn, der in seinem mehrbändigen Gedenkebuch penibel sein Verhalten und seinen Konsum aufzeichnete, dass er seinen selbst angebauten Wein lieber anderen schenkte als selbst zu trinken. Das lässt tief blicken.

In der gleichen Periode, genauer gesagt im Jahr 1531, reiste der Buchhändler Johann Haselberg vom Bodensee durch Deutschland und besang in mehreren hunderten Versen Köln. Darin finden sich die Verszeilen:

„Schoen wingarten siecht ma da rings umb:
Vil wins wegs zu Coelln, in einer sum
O tzwey dausent fuder sues und saur
Allein nur inerhalb der rinck maur.“

Süß und sauer!

Das Stapelhaus war lange Zeit ein wichtiger Umschlagsplatz für verderbliche Güter, insbesondere Fisch, Postkarte von ca. 1900, Wizico Verlag
Das Stapelhaus war lange Zeit ein wichtiger Umschlagsplatz für Güter, Postkarte von ca. 1900, Wizico Verlag

War es am Ende vielleicht auch das Stapelrecht, welches den Kölner Zugriff auf die besten Weine ermöglichte?

Da spricht manches dafür. Das Stapelrecht war eine Gelddruckmaschine, das dem Kölner Stadtsäckel über Jahrzehnte die höchsten Steuereinnahmen brachte. Kauf­leu­te durften mit ih­ren Weinschiffen nicht an Köln vor­bei fah­ren, oh­ne die­se in Köln zu ent­la­den und ei­ne Zeit lang zum Ver­kauf an­zu­bie­ten. Die Vorschriften sind noch viel weitgehender, im Buch sind sie skizziert.

Es ist naheliegend, dass die  Kölner Patrizier mit diesem Stapelrecht-Geklüngel nicht nur ein exklusives Wissen über die Qualität der Weine, sondern auch genügend Einnahmen hatten, um sich die besten Weine leisten zu können. 

Weingärten der Kartäuser, ca. 1571, Ausschnitt des Mercator - Stadtplanes
Weingärten der Kartäuser, ca. 1571, Ausschnitt des Mercator – Stadtplanes

Wieviel Wein wurde tatsächlich in Köln angebaut?

Für die damalige Zeit unfassbar viel! Immerhin ein Viertel der Fläche innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern waren bis ins 17. Jahrhundert mit Reben bepflanzt, rund 90 Hektar, mehr als 100 Fußballplätze. Heute gibt es am Mittelrhein keinen Weinbauort mehr, der eine so große Rebfläche hat. Anfang des 19. Jahrhunderts waren es immerhin noch 65 Hektar. Mit der Intensivierung des Städtebaus war es lohnender, sein Weinbaugrundstück zu verkaufen als Wein anzubauen.

Welche „Relikte“ des Weinanbaus finde ich heute noch in Köln?

Wir haben das Buch im Kölner Weindepot/Weinmuseum vorgestellt. Die Reben auf dem Dach sind eine „merkwürdige“ Erinnerung an den historischen Kölner Weinanbau.

Bei dieser Gelegenheit traf ich auch den Kölner Stadtwinzer Thomas Eichert, der am Chlodwigplatz Qualitäten erzielt, von denen die Winzer im Mittelalter nur träumen konnten. Es gibt sicher noch mehr „Memorials“, nicht zuletzt zählen Straßennamen oder Weinkneipen dazu.

Ob im Gürzenich, Kristallsaal oder Sartory: Auf den Karnevalssitzungen herrscht „Weinzwang“. Ist das die letzte kölsche Weintradition?

Sicher nicht, denn dieser Zwang ist keine Kölner Tradition, er findet sich vielerorts. Schon im alten Knigge ist zu lesen: Zwang tötet alle edle, freiwillige Hingebung.

Könnte Köln durch den Klimawandel in Zukunft ein attraktives Weinanbaugebiet werden?

Wenn man die klimatischen Voraussetzungen für den Weinbau betrachtet: ja. Wenn man die Bodenpreise in Köln und drumherum betrachtet: eher nein. Im Buch haben Wilhelm und Karl eine futuristische Perspektive gesehen:

„Der Klimawandel wird eine völlig neue Architektur in Köln notwendig machen. Markus Wittling wird mit seinem Weinberg auf dem Dach seiner Vinothek als Pionier von Cologne Urban Viticulture in die Geschichte eingehen. Die Architekten werden Hochhäuser mit auskragenden Fassaden für das Anbringen von Pflanzen bauen, um die Wohnungen und Büros zu beschatten und um Energie zu sparen und zu gewinnen. Ganz Köln wird eine einzige Flora sein – und das Tollste ist, die Begrünungen der steilen Dächer der historischen Kirchen und der modernen Fassaden der Skyliners werden mit Reben erfolgen! Kurzum: bei der 2000-Jahrfeier Kölns im Jahr 2050 werden in Köln viel mehr Reben wachsen als zur Zeit der Stadtgründung, vielleicht sogar mehr als im Mittelalter!“

Was für eine tolle Vision! 


Genau wie alle anderen Menschen in meiner Rubrik „Ein paar Fragen an …“ hat auch Dr. Rudolf Nickenig zu meinen „kölschen Fragen“ Rede und Antwort gestanden.

Wenn nicht Köln – wo sonst könntest du leben? Und warum gerade dort?

Umgekehrt. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, in Köln zu leben, wenn ich es mir leisten könnte, ein Stadthaus mit Weinkeller und großer Dachterrasse zu erwerben, auf der ich die autochthone kölsche Rebsorte, den Blauen Kölner, anbauen würde.

Welche kölsche Eigenschaft zeichnet dich aus?

Ein merkwürdiger Respekt vor dem Kölner Grundgesetz.

Was würdest du morgen in unserer Stadt ändern?

… den Rebenanbau fördern, insbesondere die Rebsorte Blauer Kölner.

Nenne ein/zwei/drei Gründe, warum man Köln morgen verlassen sollte.

Siehe Antwort zu Frage 1. Solange ich keinen Wein in Köln anbaue, mache ich mir darüber keine bierernsten Gedanken.

Wo ist dein Lieblingsplatz in Köln?

Im Dom, um den Dom und um den Dom herum.

Welche KölnerInnen haben dich beeinflusst / beeindruckt?

… die Heinzelmännchen und die Köbesse.

Was machst du zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch?

… bedauern, dass ich kein Kölner bin.

Und was zwischen Aschermittwoch und Weiberfastnacht?

… hoffen, dass ich im nächsten Leben Kölner werde (s. Antwort auf Frage 1).

Wat hät für dich noch immer jood jejange?

… zwei Gläser Kölsch statt einem Glas Wein zu trinken und umgekehrt.

Wo drüber laachs de dich kapott?

Das versuche ich zu vermeiden, wäre ja schade um mich.

Dein kölsches Lieblingsessen?

Bitte nicht weitersagen: Saure Nierchen.2Okay. Versprochen. Behalte ich nur für mich. 🙂

Dein Lieblingsschimpfwort auf Kölsch?

Mir gefällt „Fiese Möpp“; mir würde es bei Bedarf nicht einfallen, aber einen Typen als „Kotzkümpsche“ zu bezeichnen, fände ich gut.

Bitte vervollständige den Satz: Köln ist …

merkwürdig.


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Karl-Küpper-Preis für Rolly Brings – „Rebell mit Beamtenstatus“

Die Verleihung des Karl-Küpper-Preises an Rolly Brings, von links: Henriette Reker, Rolly Brings, Bernhard Conin, Christoph Kuckelkorn, Bild: Raimond Spekking
Die Verleihung des Karl-Küpper-Preises an Rolly Brings, von links: Henriette Reker, Rolly Brings, Bernhard Conin, Christoph Kuckelkorn, Bild: Raimond Spekking

Alle zwei Jahre wird in Köln der „Karl-Küpper-Preis“ verliehen. Dieser Preis erinnert an den unbeugsamen Büttenredner Karl-Küpper und wird an Menschen vergeben, die sich für den Schutz der Demokratie und gegen Rassismus, Antisemitismus und jede Form der Diskriminierung engagieren. Preisträger im Jahr 2022 ist der Musiker Rolly Brings. Er erhält diesen Preis für seinen Mut und seine Hartnäckigkeit, immer wieder für Demokratie und Gerechtigkeit einzustehen.

Ausgewählt wurde Rolly Brings von einer Jury bestehend aus Oberbürgermeisterin Henriette Reker, dem Präsidenten des Festkomitees Kölner Karneval Christoph Kuckelkorn, dem Vorsitzenden der Freunde und Förderer des Kölnischen Brauchtums Bernhard Conin, dem langjährigen Direktor des NS-Dokumentationszentrums Dr. Werner Jung sowie einem Vertreter der Familie von Karl Küpper.

Der Karl-Küpper-Preis, eine wunderschöne Hommage an den unangepassten Büttenredner, Gestaltung und Bild: Gestalteratelier Werner Blum
Der Karl-Küpper-Preis, eine wunderschöne Hommage an den unangepassten Büttenredner, Gestaltung und Bild: Gestalteratelier Werner Blum

Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert. Die erste Preisträgerin im Jahr 2020 war die Kapitänin Carola Rackete. Zu den unsäglichen Reaktionen in den sogenannten „Sozialen Medien“ auf diese Preisverleihung habe ich bereits im Oktober 2020 Stellung bezogen.

„Rebell mit Beamtenstatus“

Rolly Brings wurde am 19. Juli 1943 in Köln geboren. Er verließ bereits mit 14 Jahren die Familie und wurde Seemann. Zurück in Köln verdiente er sich zunächst sein Geld als Hilfsarbeiter, später macht er eine Maschinenschlosserlehre bei Ford. Doch auch dieser Beruf füllte ihn nicht aus. Der Musiker Stephan Brings über seinen Vater: „Er stand immer bis zu den Oberschenkeln im Öl und hat dann gemerkt, dat kann et nich sein.“1„Dann wird aufgeräumt“ – Stephan Brings über Karneval und Kommunismus, und Journalismus von links, abgerufen am 22.11.2022. Rolly Brings nutzte eine Chance im Rahmen der Begabtenförderung: Er konnte ohne Abitur studieren und wurde Lehrer für die Fächer Deutsch, Englisch und Gesellschaftslehre.

Allerdings war und ist der „Rebell mit Beamtenstatus“ unbequem. Dies hat insbesondere der frühere Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes zu spüren bekommen: Als die Hauptschule Piusstraße, an welcher Brings zu diesem Zeitpunkt unterrichtete, im laufenden Betrieb asbestsaniert werden sollte, wollte der engagierte Lehrer Brings das so nicht hinnehmen. Er organisierte mit seinen Schülern bei seinem Dienstherrn eine Sitzblockade – direkt vor dem Büro Antwerpes im Regierungspräsidium. Der „Kurfürst“ Antwerpes war äußerst erbost, und die Auseinandersetzung der beiden Herren ist wohl äußerst deftig abgelaufen.

Rolly Brings bei einem Auftritt in Köln-Ehrenfeld (2007), Bild: Elke Wetzig (Elya), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Rolly Brings bei einem Auftritt in Köln-Ehrenfeld (2007), Bild: Elke Wetzig (Elya), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Gegen den Strich und immer aufrecht

Rolly Brings liebt seine Heimatstadt Köln – aber immer auf eine sehr kritische Weise. Dabei ist er auf die oft als „unregierbar“ bezeichneten Kölner und auf die lange Geschichte der Stadt stolz. Die Kölsche Sprache ist für ihn keine Folklore, sondern einfach näher dran am Menschen. Er schreibt und denkt in Kölsch, weil „Wenn wir Kölsch sprechen, sind Herz und Kopf mit von der Partie.“ Verlässt er Köln, stellt sich automatisch Heimweh ein.

Allerdings verklärt Brings Köln nicht – ganz im Gegenteil. Er sorgt mit seiner Musik und seinen Aktionen für kritische Erinnerungen an über viele Jahre verdrängte Zeiten, insbesondere an die Zeit des Nationalsozialismus. So veranstaltet er seit 1983 jedes Jahr am 10. November für die im Jahr 1944 ermordeten Edelweißpiraten2Als Edelweißpiraten bezeichnete man während der Zeit des Nationalsozialismus oppositionelle Gruppierungen von Jugendlichen, die sich weigerten, der Hitlerjugend beizutreten. eine Gedenkfeier.

Dieses Engagement hat ihm viel Gegenwind eingebracht. Als er in der Aula seiner Schule eine Gedenkveranstaltung für die Edelweißpiraten organisierte, brachte ihm das eine Vorladung zum Schulrat ein, weil er damit ja auch „Kriminelle“ gewürdigt habe. „Wo“, fragt Dr. Werner Jung in seiner Laudatio zur Verleihung des Preises, „stünden wir heute, wenn Du nicht schon damals dagegengehalten hättest?“

Hier zeigt sich die wohltuende Unangepasstheit eines Rolly Brings: Gegen den Strich und immer aufrecht. Genau wie Karl Küpper.

Rolly Brings steht in der Tradition des großen Karl Küpper

Obwohl Rolly Brings schon verschiedene Ehrungen erhalten hat – unter anderem wurde er mit dem renommierten Rheinlandtaler und dem Giesberts-Lewin-Preis der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ausgezeichnet – ist der Karl-Küpper-Preis auch für ihn eine besondere Anerkennung. Sohn Peter Brings: „Bei vielen anderen Dingen sind ihm die Reaktionen egal, etwa auf seine Musik oder wenn einem seine Meinung nicht gefällt. Aber dieser Preis … erstaunlich, was der mit ihm macht.“

Mit Rolly Brings wird ein ebenso kritischer wie konstruktiver Mensch ausgezeichnet. Durch seine Hartnäckigkeit, gegen jedwede Obrigkeit vorzugehen, steht er ganz in der Tradition des großen Karl Küpper.

Ne janz hätzlische Jlöckwonsch, leeven Rolly Brings!


Der Historiker Werner Jung, langjähriger Leiter des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, Bild: Raimond Spekking
Der Historiker Dr. Werner Jung, langjähriger Leiter des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, Bild: Raimond Spekking

Laudatio von Werner Jung

Die äußerst lesenswerte Laudatio auf den Preisträger hat Dr. Werner Jung, der langjährigen Direktor des NS-Dokumentationszentrums, gehalten. Diese steht auf der Website des Dokumentationszentrums zum Download zur Verfügung.


1848 von unge, ein Projekt von Rolly Brings, Bild: Rolly Brings

 

Die Website von Rolly Brings

Auf der lesenswerten Website von Rolly Brings finden sich viele Texte und Informationen zu seinen Projekten, unter anderem zum Projekt „1848“ , und „Logbuch 1“.  

http://www.rollybrings.de/


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Die Figuren am Rathausturm – eine kölsche Posse

Das Kölner Rathaus, hier auf einem Kupferstich um etwa 1655, Bild: Künstler unbekannt, via Wikimedia Commons
Gut zu erkennen: Das erste Figurenprogramm auf dem Kölner Rathausturm, hier auf einem Kupferstich um etwa 1655, Bild: Künstler unbekannt, via Wikimedia Commons

Su jet jitt et nur in Kölle! Wir machen zwar Dinge gerne schon mal mehrfach, aber was am Rathausturm in den 1980er passiert ist, ist leider irgendwie typisch kölsch.

Der im Stil der Spätgotik errichtete Rathausturm ist reich mit Zinnen und Vorhangbögen geschmückt. Am auffälligsten sind aber die 124 Figuren von Persönlichkeiten, die die Geschichte der Stadt Köln geprägt haben.

So findet sich dort heute eine bunte Mischung kölscher Prominenz, zum Beispiel Agrippina, Jan von Werth, Katharina Henot, Johann Maria Farina bis hin zu Nikolaus Otto. Es bedurfte allerdings mehrerer Anläufe, bis diese Figuren fest und sicher auf dem Turm standen.

Die Vorgeschichte: Die ersten Figuren stammten aus dem 15. Jahrhundert

Bereits mit Fertigstellung des Turms im Jahr 1414 war der Turm mit Figurten ausgestattet. Welche Figuren sich ursprünglich dort befanden, ist heute nicht mehr bekannt.

In den Jahren hatten Wind und Wetter den Figuren so massiv zugesetzt, dass diese anfingen, ganz oder in Teilen abzufallen. So beschloss der Rat am 22. Mai 1694 aus Sicherheitsgründen, die Figuren abzunehmen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde ein neues Figurenprogramm beschlossen. Diese Figuren wurden zwischen 1891 und 1901 in Auftrag gegeben.

Das Kölner Rathaus um 1900 - noch bevor die Figuren bis etwa 1902 neu aufgestellt wurden. Photochromdruck, Künstler unbekannt, Public domain, via Wikimedia Commons
Das Kölner Rathaus um 1900 – noch bevor die Figuren neu aufgestellt wurden. Photochromdruck, Künstler unbekannt, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Aufstellung dieser neuen Figuren war in Gruppen eingeteilt: Im Erdgeschoss war Platz für Fürsten und Erzbischöfe, im ersten Obergeschoss für Repräsentanten der Geschlechterherrschaft, eine Etage darüber für Repräsentanten der Zünfte. Das dritte Obergeschoss war für Männer der Künste und der Wissenschaft vorbehalten und im obersten Geschoss wachten die Schutzheiligen der Stadt über die Bürger. Die Letzte dieser Figuren wurde im Jahr 1902 aufgestellt.

Massive Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg

Das Rathaus wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört. Vom Rathausturm stand gerade noch ein Drittel. Es gab sogar Überlegungen, den Turm gänzlich abzureißen und neu aufzubauen. Doch die Kölner Handwerkerschaft erinnerte sich an ihre alte Zunft-Tradition und initiierte die „Bauhütte Rathausturm“. So wurde der Rathausturm, nach der Errichtung durch die Zünfte Anfang des 15. Jahrhunderts, im 20. Jahrhundert von den Kölnern Handwerkern gerettet.

Der zum größten Teil zerstörte Rathausturm im Jahr 1945, Fotograf: unbekannt
Der zum größten Teil zerstörte Rathausturm im Jahr 1945, die Figuren wurden fast vollständig zerstört, Fotograf: unbekannt

Von 1950 bis in das Jahr 1975 wurde an dem Rathausturm gebaut und das Gebäude originalgetreu wieder aufgebaut. Allerdings waren von den bis 1902 aufgestellten Figuren auf dem Turm nach dem Bombardement des Zweiten Weltkriegs kaum noch etwas übrig.

Neues Figurenprogramm in den 1980er Jahren: Bei 124 neuen Figuren gerade einmal fünf Frauen.

Die Stadt setzte eine Historikerkommission mit der Aufgabe, eine neue Auswahl an Figuren vorzuschlagen, ein. Die Bedingungen waren lediglich, dass weder lebende Personen noch „negative Figuren“ abgebildet werden dürfen.

Die Kommission benötigte gerade einmal fünf Jahre, um ein entsprechendes Figurenprogramm zu erarbeiten. So konnte endlich im Jahr 1986 das Konzept vom Kulturausschuss verabschiedet und dem Stadtrat zur Abstimmung vorgelegt werden. Bei dieser Stadtratssitzung muss es hoch hergegangen sein, denn die Fraktion der Grünen verweigerte konsequent die Zustimmung. Mit Recht!

Eine der wenigen Frauen auf dem Rathausturm: Die erfolgreiche Unternehmerin Fygen Lutzenkirchen (1450-1515), Bild: Raimond Spekking
Eine der wenigen Frauen auf dem Rathausturm: Die erfolgreiche Unternehmerin Fygen Lutzenkirchen (1450-1515), Bild: Raimond Spekking

Was die Grünen auf die Palme brachte: Die Kommission hatte bei den 124 Figuren gerade einmal fünf Frauen vorgeschlagen. Mit anderen Worten: In der mehr als 2.000 Jahre alten Stadtgeschichte sollen Frauen gerade einmal mit 4% berücksichtigt werden. Ein Eklat.

Überarbeitung des Figurenprogramms

Die Kommission wurde noch einmal beauftragt, das Programm zu überarbeiten. 1988 wurde der neue Vorschlag mit dem immer noch mickrigen Ergebnis, dass jetzt gerade einmal 18 Frauen berücksichtigt wurden, vom Stadtrat verabschiedet.

Was von dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission übrig blieb, war das Konzept, welche Figurengruppe wo ihren Platz finden sollte:

  • Im Erdgeschoss befinden sich Persönlichkeiten „Herrscher und herrschergleiche Personen“.
  • Danach folgen vom ersten bis zum dritten Obergeschoss „Für die Stadt wichtige Persönlichkeiten“.
  • Ganz oben ist der „Kölsche Himmel“: Die Schutzpatrone und Heiligen der Stadt
Adolf Clarenbach (rechts),auf Melaten hingerichteter evangelischer Reformator, Statue am Rathaus, Bild: Raimond Spekking
Die Figur von Adolf Clarenbach (rechts), auf Melaten hingerichteter evangelischer Reformator, Bild: Raimond Spekking

Die Stadt muss kötten gehen

Nach den Irrungen und Wirrungen um die inhaltliche Ausgestaltung des Figurenprogramms war die nächste Hürde die Finanzierung der Figuren. Da die Stadt – wie immer – klamm war, ging man kötten. Die Idee: Kölner Unternehmen, Verbände, Bürger, Vereine etc. wurden angefragt, ob sie nicht die Patenschaft über eine oder mehrere Figuren übernehmen könnten. Diese Patenschaft war damit verbunden, die entsprechende Figur auch zu stiften. Kein ganz günstiges Vergnügen – immerhin kostete damals eine Figur rund 25.000 DM. Für diesen Betrag konnte man im Jahr 1988 einen gut ausgestatten Audi 80 kaufen.

Doch die Kölner ließen sich nicht lumpen: So stifteten unter anderem das Bankhaus Sal. Oppenheim (Figur: Abraham Oppenheim), die Agrippina-Versicherung (Figur: Agrippina), der Verlag M. DuMont Schauberg (Figur: Karl Joseph Daniel DuMont), die Alfred Schütte GmbH (Figur: Meister Eckhart, Hans Imhoff (Figur: Severin von Köln), die Gerling-Versicherung (Figur: Gereon), Klosterfrau Melissengeist (Figur: Maria Clementine Martin), EMI Electrola (Figur: Jaques Offenbach) oder Klöckner-Humboldt-Deutz (Figur: Nicolaus Otto).

Figur des Nikolaus Gülich am Kölner Rathausturm (in der Mitte). Links neben ihm ist Johann Maria Farina, Bild: Raimond Spekking
Figur des Nikolaus Gülich am Kölner Rathausturm (in der Mitte). Links neben ihm ist Johann Maria Farina, Bild: Raimond Spekking

Aber auch die Willi-Ostermann-Gesellschaft (Figur: Willi Ostermann), der 1. FC Köln (Figur: Bernhard Letterhaus) sowie die Kreishandwerkerschaft Köln (Figur: Heilige Ursula) und die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung Köln (Figur: Nikolaus Gülich) traten als Stifter auf. Genau wie das Erzbistum Köln (Figur: Edith Stein), der Evangelische Stadtkirchenverband Köln (Figur: Adolf Clarenbach) oder der Kölner Brauerei-Verband (mehrere Figuren, u.a. Kaiser Augustus.)

Konservierung der Figuren für die Ewigkeit

Um die Figuren für eine lange Zeit haltbar zu machen, wurden diese mit Acrylharz getränkt. Grundsätzlich eine gute Idee. Denn die in der Gebäudeabdichtung, zum Beispiel auch am Dom, regelmäßig verwendeten Acrylharze haben eine gute Optik und eine hohe Beständigkeit. Nur war diese Konservierungsmethode leider nicht bei dem für die Figuren verwendeten Tuffstein geeignet.

Die Figur des Engelbert von Berg war eines der ersten Opfer der falschen Konservierungsmethode. Die Figur des Albertus Magnus wurde nicht mit Acrylharz getränkt und blieb unversehrt. Bild: Raimond Spekking
Die Figur des Engelbert von Berg war eines der ersten Opfer der falschen Konservierungsmethode. Die Figur des Albertus Magnus wurde nicht mit Acrylharz getränkt und blieb unversehrt. Bild: Raimond Spekking

Bereits nach zehn Jahren zeigten sich erste Risse in der Figur des „Engelbert von Berg“. Der Restaurator Thomas Lehmkuhl erkannte, dass der eher poröse Tuffstein der Figuren sich massiv mit dem Acrylharz vollgesaugt hatte. Das führte dazu, dass die Figuren, die vor der Behandlung mit dem Konservierungsmittel etwa 220 kg gewogen haben, danach aber satte 300 kg auf die Waage brachten.

Fachmann Lehmkuhl erklärte, dass der Tuffstein durch die große Menge Acrylharz hart und spröde wird. Lehmkuhl weiter: „Und gleichzeitig erhöht sich dadurch bei Sonnenschein oder Frost die thermische Belastung des Steins.“1„Risse im Kölner Turmpersonal!“, Welt am Sonntag vom 11. Dezember 2005

Die Originalfigur der Heiligen Ursula steht bei der Kreishanderwerkerschaft im Stapelhaus, auf dem Rathaus ist eine Kopie angebracht, Bild: Uli Kievernagel
Die Originalfigur der Heiligen Ursula steht bei der Kreishanderwerkerschaft im Stapelhaus, auf dem Rathaus ist eine Kopie angebracht, Bild: Uli Kievernagel

Eine Untersuchung der Figuren ergab, dass diese nicht mehr zu retten waren. Die Figuren zeigten massive Risse und bröselten vor sich hin.

Zwar wurde der „Schwarze Peter“, wer denn nun schuld an der Misere sei, noch hin- und hergeschoben. Doch die Tatsache, dass ausgerechnet die Figuren von Adolph Kolping und Albertus Magnus keine Auflösungserscheinungen zeigten, war Beweis genug: Diese beiden waren, genau wie 20 weitere Figuren, nicht mit dem Acrylharz getränkt worden und in einem tadellosen Zustand.

Neue Figuren im Jahr 2008

Aber: Die restlichen etwa 100 Figuren mussten neu beschafft werden. Daher startete die Stadt eine neue Spendenaktion, und viele der bereits etwa zehn Jahre zuvor so freigiebigen Gönner öffneten erneut die Geldbörse. So konnten exakte Kopien der Figuren erstellt werden. Immerhin hatte man gelernt: Die neuen Figuren wurden nicht aus Tuffstein, sondern aus einem speziellen französischen Kalkstein (Savonnières-Kalkstein) hergestellt.

Einige der ursprünglichen Figuren fanden anschließend ihren Platz in den Gärten oder Häuser der Stifter. Aber immerhin konnten im November 2008 alle 124 Plätze auf dem Rathaus wieder von den neuen Figuren eingenommen werden.

Mal sehen, wie lange die Figuren diesmal halten!


Ein bemerkenswertes Detail: Der Sockel der Figur von Konrad von Hochstaden, Bild: Raimond Spekking
Ein bemerkenswertes Detail: Der Sockel der Figur von Konrad von Hochstaden, Bild: Raimond Spekking

Autofellatio-Figur

Und dann befindet sich auch noch Figur von Konrad von Hochstaden am Rathaus. Er war als Konrad I. von 1238 bis 1261 Erzbischof von Köln und legte am 15. August 1248 den Grundstein zum Kölner Dom. Insofern gebührt ihm sicherlich ein Platz auf dem Rathausturm.

Allerdings irritiert ein kleines, aber durchaus sehenswertes Detail an der Statue: Der Sockel zeigt einen Mann mit nackten Hintern, der sein eigenes Geschlechtsteil im Mund hat. Der Fachbegriff für diese fast schon akrobatische Art der Selbstbefriedigung lautet „Autofellatio“.

Fraglich nur, weshalb dieser Sockel überhaupt seinen Platz auf dem Rathaus gefunden hat und wie das mit Konrad von Hochstaden zusammenhängt. Der ehemalige Stadtkonservator Ulrich Krings erläutert „Das ist ein ganz beliebtes Motiv gewesen. Dabei ging es darum, der Obrigkeit quasi den Arsch hinzuhalten. Mit derber, zur Schau gestellter Sexualität sollte gezeigt werden, dass einem die Moral- oder auch Ordnungsvorstellungen der Obrigkeit wurscht waren.“

Verständlich: In einer Zeit, in der die wenigsten Lesen und Schreiben konnten, mussten bildliche Darstellungen „griffig“ eine Botschaft vermitteln. Beliebt dabei: Darstellungen der sieben Todsünden, in diesem Fall die Wollust.

Dass es allerdings ausgerechnet Konrad von Hochstaden erwischt hat, ist eher Zufall. Denn das Original des „Autofellation-Sockels“ stammt ungefähr aus dem Jahr 1410. Und damals stand eine andere,  nicht mehr bekannte Figur auf dem Platz, den heute der ehemalige Erzbischof einnimmt.

Aber da wir in Kölle ja schon immer Probleme mit unseren Bischöfen hatten, Josef Frings ausdrücklich ausgenommen, muss Konrad von Hochstaden stellvertretend für diese Menschen auf diesem speziellen Sockel stehen.


Insgesamt befinden sich 124 Figuren auf dem Rathausturm

Erdgeschoss

  • Augustus
  • Marcus Vipsanius Agrippa
  • Agrippina die Jüngere
  • Postumus
  • Konstantin der Große
  • Sigibert von Köln
  • Plektrudis
  • Karl der Große
  • Otto I.
  • Theophanu
  • Heinrich IV.
  • Heinrich II. (England)
  • Otto IV.
  • Innozenz III.
  • Friedrich II.
  • Rudolf I.
  • Urban VI.
  • Friedrich III.
  • Maximilian I.

Erstes Obergeschoss

  • Hildebold von Köln
  • Ida (St. Maria im Kapitol)
  • Rupert von Deutz
  • Rainald von Dassel
  • Nikolaus von Verdun
  • Sela Jude
  • Gerhard Unmaze
  • Konrad von Hochstaden
  • Gerhard von Riele
  • Matthias Overstolz
  • Gerhard Overstolz
  • Gottfried Hagen
  • Johann I. (Brabant)
  • Meister Eckhart
  • Hilger Quattermart von der Stesse
  • Stefan Lochner
  • Heinrich von Beeck
  • Ulrich Zell
  • Fygen Lutzenkirchen
  • Heinrich Agrippa von Nettesheim
  • Hermann von Neuenahr der Ältere
  • Adolf Clarenbach
  • Anton Woensam
  • Arnold von Siegen
  • Johannes Gropper
  • Hermann von Weinsberg
  • Heinrich Sudermann
  • Michael von Aitzing
  • Caspar Ulenberg
  • Peter Paul Rubens

Zweites Obergeschoss

  • Jan von Werth
  • Joost van den Vondel
  • Aegidius Gelenius
  • Melchior von Reidt
  • Katharina Henot
  • Friedrich Spee von Langenfeld
  • Anna Maria de Heers
  • Anna Maria van Schurman
  • Nikolaus Gülich
  • Johann Maria Farina
  • Ferdinand Franz Wallraf
  • Heinrich Gottfried Wilhelm Daniels
  • Maria Clementine Martin
  • Peter Heinrich Merkens
  • Sulpiz Boisserée
  • Georg Simon Ohm
  • Friedrich Wilhelm IV.
  • Ernst Friedrich Zwirner
  • Robert Blum
  • Ludolf Camphausen
  • Abraham Oppenheim
  • August Reichensperger
  • Karl Joseph Daniel DuMont
  • Ferdinand Hiller
  • Mathilde Franziska Anneke
  • Moses Hess
  • Gustav von Mevissen
  • Jacques Offenbach
  • Karl Marx
  • Hermann Heinrich Becker
  • Franz Carl Guilleaume

Drittes Obergeschoss:

  • Max Bruch
  • Nicolaus August Otto
  • Eugen Langen
  • Hermann Josef Stübben
  • Mathilde von Mevissen
  • Karl Trimborn
  • Wilhelm Marx
  • Max Isidor Bodenheimer
  • Benedikt Schmittmann
  • Georg Fritze
  • Hans Böckler
  • Konrad Adenauer
  • Willi Ostermann
  • Amalie Lauer
  • Joseph Kardinal Frings
  • Christine Teusch
  • Wilhelm Sollmann
  • Josef Haubrich
  • Hertha Kraus
  • Bernhard Letterhaus
  • Irmgard Keun
  • Heinrich Böll

Viertes Obergeschoss 

  • Petrus
  • Kaspar
  • Melchior
  • Balthasar
  • Gereon von Köln
  • Ursula von Köln
  • Maternus
  • Severin von Köln
  • Evergislus
  • Kunibert von Köln
  • Weißer Ewald
  • Schwarzer Ewald
  • Agilolf von Köln
  • Bruno I.
  • Heribert von Köln
  • Anno II.
  • Bruno von Köln
  • Engelbert I. von Köln
  • Albertus Magnus
  • Johannes Duns Scotus
  • Adolph Kolping
  • Edith Stein

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Alfred Nourney – ein Kölner überlebt den Untergang der Titanic

Alfred Nourney (1892-1972), ein Überlebender des Titanic-Untergangs aus Köln, Fotograf: unbekannt, Bild: Sammlung Günter Bäbler, Titanic-Verein Schweiz
Alfred Nourney (1892-1972), ein Überlebender des Titanic-Untergangs aus Köln, Fotograf: unbekannt, Bild: Sammlung Günter Bäbler, Titanic-Verein Schweiz

Es war am 14. April 1912 gegen 23:40 Uhr, als Alfred Nourney an Bord der Titanic bemerkt, dass der Whisky in seinem Glas ein wenig schwankt. Viele Menschen um ihn herum bekommen den kleinen Stoß nicht mit. Dabei hat das damals modernste Schiff der Welt soeben einen Eisberg gerammt. Und damit sein Schicksal besiegelt. Zwei Stunden und 40 Minuten später versank der Ozeanriese in den eisigen Fluten des Atlantiks.

Bei dem Unglück kamen 1.514 Passagiere ums Leben. 712 Menschen überlebten das Unglück, unter Ihnen der Kölner Alfred Nourney, der unter dem Pseudonym „Baron Alfred von Drachstedt“ reiste.

Fahrt nach Amerika, um Ehre zu retten

Alfred Nourney, geboren am 26. Februar 1892 stammte aus einer reichen Kölner Weinhändlerfamilie. Schon sehr früh begeisterte sich der technikverliebte Junge für die Fliegerei. So berichtet der Kölner Lokal-Anzeiger vom 22. Januar 1912: “… Sodann bestieg einer seiner Kölner Schüler, Alfred Nourney, den Aeroplan, nahm die Kurven sehr kurz und schnell und landete im Gleitflug. …“.

Ein Artikel im im Kölner Lokal-Anzeiger vom 22. Januar 1912 beschreibt Alfred Nourneys Flugkünste
Ein Artikel im im Kölner Lokal-Anzeiger vom 22. Januar 1912 beschreibt Alfred Nourneys Flugkünste

Und auch sonst lebte Nourney anscheinend eher im Gleitflug, denn seine Reise mit der Titanic trat der junge Draufgänger nicht ganz freiwillig an: Angeblich soll er ein Hausmädchen der Nourneys geschwängert haben. Um ihn aus der „Schusslinie“ zu bringen, soll Alfred vorübergehend bei der amerikanischen Verwandtschaft untergebracht werden.

Doch der junge Hallodri macht aus der Pflicht eine Tugend. Kaum hatte er in Cherbourg auf dem luxuriösen Dampfer eingecheckt, gönnte er sich ein Upgrade auf die 1. Klasse und nennt sich fortan „Baron Alfred von Drachstedt“, wohl um besser in die feine Gesellschaft der 1. Klasse zu passen. Und unter den Millionären fühlte sich der junge Kölner pudelwohl. So telegraphierte er von Bord aus einen Tag vor dem Unglück an seine Mutter:

„Liebe Mutter – Ich bin so glücklich auf meiner ersten Klasse! Ich kenne schon sehr nette Leute! Einen Brillantenkönig! Mister Astor einer der reichsten Amerikaner ist an Bord! Tausend Küsse – Alfred.“

Außerdem schickt er ein weiteres Telegramm an ein gewisses „Fräulein Jarkonska“ in Köln, Rothgerberbach, „Drahtlosen Kuss, in Liebe Alfred.“ Vermutlich handelte es sich dabei um jene Dame, wegen der er Europa verlassen musste.

Die Titanic bei der Abfahrt aus Southampton, Bild: Francis Godolphin Osbourne Stuart, gemeinfrei, via Wikimedia Commons
Die Titanic bei der Abfahrt aus Southampton, Bild: Francis Godolphin Osbourne Stuart, gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Neugierde rettet sein Leben

Alfred erkundet voller Begeisterung das Schiff und dringt dabei auch in Räume vor, die eigentlich der Besatzung vorbehalten sind. So entdeckte er auch eine kleine eiserne Wendeltreppe, die von der Kommandobrücke über alle Decks bis fast zum Kiel der Titanic führte. Diese Entdeckung sollte ihm später das Leben retten.

Am Tag des Unglücks selber dinierte der junge Nourney zunächst im Speisesaal der 1. Klasse, um danach im Rauchersalon bei ein paar Whisky mit seinen neuen Bekannten eine Runde Bridge zu spielen. Als es um 23.40 Uhr leicht rumpelt, werden die Gespräche zunächst etwas leiser, doch keiner ahnt, in welcher Gefahr sich die Menschen an Bord befinden. Die Maschinen liefen genauso weiter wie nur Augenblicke später die Gespräche der Upper Class-Passagiere.

Doch Alfred Nourney hat ein ungutes Gefühl. Er eilt in seine Kabine, holt seinen Mantel und inspizierte das Deck des großen Schiffs. Dort entdeckt er zwar Eisbrocken auf dem menschenleeren Deck, aber sonst keine weiteren Unregelmäßigkeiten. Bis wenig später die Maschinen aussetzen.

Jetzt schrillen die Alarmglocken und Nourney will zurück ins Schiff, doch die Türen sind verschlossen. Dann erinnert er sich an die kleine eiserne Wendeltreppe, die er bei seinen Streifzügen entdeckt hat. Er geht diese Treppe hinunter und stellt fest, dass bereits Wasser in das Schiff eingedrungen ist.

Warnung verhallt ungehört

Schnell eilt er zurück in der Rauchersalon, um die anderen Passagiere zu warnen. Doch die sind wenig beeindruckt von dem aufgeregten „Baron von Drachstedt“. Ein Amerikaner meint nur, dass wahrscheinlich lediglich ein Rohr geplatzt sei – „Oh – it doesn´t matter.“ Doch damit liegt er gänzlich falsch.

Zurück auf dem Deck stellt Nourney fest, dass die Rettungsboote klargemacht werden. Ganz Pragmatiker geht er zunächst zur Küche, um sich mit Whisky und Sandwiches einzudecken, bevor er – nach eigener Aussage – den Matrosen hilft, Passagiere auf die Rettungsboote zu bringen. Dann bricht, so Nourney, Panik aus und Schüsse fallen. In dem folgenden Chaos, so Nourney, wird er mitgerissen und kann sich gerade noch so an einem der Boote festhalten. Dieses wird, noch nicht einmal voll besetzt, um 0:45 Uhr zu Wasser gelassen.

Noch Jahrzehnte später kann sich Alfred Nourney an den Untergang des Luxusliners erinnern:

„Als die Titanic nun wirklich sank, das dauerte eine ganze Weile. Das donnerte – rrrrummms – als sie sich auf den Kopf setzte. Und weg war sie. Und dann kam die schlimmste Zeit, es sind ja, na etwa tausend Leute mit dem Sog runter, dann trieben die in dem eiskalten Wasser und schrien um Hilfe. Und das war wie ein – huuuuuuu – wie ein Sirenenton, dieses Schreien. Und dieser Todesschrei, dieser Notschrei von tausend Menschen, kreischend, das war ein Akkord wie ein Sirenenton, grauenhaft, und dieses Schreien hat über eine Stunde gedauert.“1Quelle: Deutschlandfunk Kultur, „Ein religiös verwerteter Untergang“ von Andreas Malessa, 14.04.2012, https://www.deutschlandfunkkultur.de/ein-religioes-verwerteter-untergang-100.html, abgerufen am 8. Mai 2022

Überwältigt von den Eindrücken und den Strapazen schlief Alfred Nourney auf dem Rettungsboot ein, welches um 5:10 Uhr von dem Dampfer „Carpathia“, welches als erstes am Unglücksort erscheint, aufgenommen wird.

Ein Rettungsboot der Titanic, aufgenommen von einem Passagier der Carpathia, Fotograf: unbekannt, Bild: gemeinfrei / National Archives, Northeast Region, New York City, Records of District Courts of the United States
Ein Rettungsboot der Titanic, aufgenommen von einem Passagier der Carpathia, Fotograf: unbekannt, Bild: gemeinfrei / National Archives, Northeast Region, New York City, Records of District Courts of the United States

Einzelne Quellen behaupten, dass sich Nourney an Bord der Carpathia wenig dankbar verhalten habe. So soll er angeblich einen ganzen Stapel Decken, der unter den frierenden Passgieren verteilt werden sollte, alleine für sich in Anspruch genommen haben.2Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger,
Ein Kölner überlebt das Titanic-Unglück vom 13.01.2012, https://www.ksta.de/redaktion/erlebnisbericht-der-koelner-alfred-nourney-ueberlebt-das-titanic-unglueck-237858, abgerufen am 20.05.2022

Auch scheinen seine materiellen Verluste doch stark übertrieben zu sein. So gibt er gegenüber der White Star Linie, der Betreibergesellschaft der Titanic, an, Verluste im Wert von zigtausend Dollar erlitten zu haben. Darunter acht Anzüge, zwei Abendanzüge, zwei Jagdanzüge, vier Mäntel, 40 Oberhemden, 15 Schlafanzüge, 14 Paar Schuhe, 10 Sets von Unterwäsche, 40 Kragen, zehn Paar Handschuhe, 120 Krawatten, 50 Taschentücher, einen Diamantring, mit Edelsteinen besetzte Manschettenknöpfe, zwei silberne Zigarettenetuis und eine silberne Haarbürste.

Grab auf Melaten

Die Carpathia lief am Abend des 18. April 1912 in New York ein. Nur wenige Wochen später kehrte Nourney wieder zurück nach Europa. Er lebte in Frankreich und Spanien, allerdings ohne die noch an Bord der Titanic so schrecklich vermisste „Fräulein Jarkonska“ vom Rothgerberbach.

Todesanzeige des Titanic-Überlebenden Alfred Nourney, erschienen in der Honnefer Volkszeitung am 17. November 1972
Todesanzeige des Titanic-Überlebenden Alfred Nourney, erschienen in der Honnefer Volkszeitung am 17. November 1972

Stattdessen vertreibt er sich die Zeit mit Autorennen, heiratet später eine andere Dame, bekommt mit ihr zwei Töchter und lässt sich in Bad Honnef nieder. Er arbeitet als Vertreter für Mercedes Benz und engagiert sich stark im örtlichen Tennisclub.

Alfred Nourney, der als junger Mann den Untergang der Titanic überlebt hat, stirbt am 15. November 1972 im Alter von 80 Jahren. Er wird auf Melaten beigesetzt, dort besitzt die Familie Nourney eine repräsentative Grabstätte.


Die Grabstätte der Familie Nourney auf der sogenannten "Millionenallee" auf dem Melatenfriedhof in Köln-Lindenthal (2020). Bild: Grünwald, Katharina, Landschaftsverband Rheinland, CC-BY
Die Grabstätte der Familie Nourney auf der sogenannten „Millionenallee“ auf dem Melatenfriedhof in Köln-Lindenthal (2020).
Bild: Grünwald, Katharina, Landschaftsverband Rheinland, CC-BY

Grabstätte der Familie Nourney

Eine detaillierte Beschreibung der großen Nourney-Grabstätte auf dem Melatenfriedhof haben Katharina Grünwald und Franz-Josef Knöchel auf dem Portal KuLaDig – Kultur. Landschaft. Digital. veröffentlicht. 


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Dä Appel-Jupp – ein ganz besonderer kölscher Heiliger

Die Marienstatue in St. Maria im Kapitol mit Äpfeln zur Erinnerung an den Appel-Jupp, Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Die Marienstatue in St. Maria im Kapitol mit Äpfeln zur Erinnerung an den Appel-Jupp, Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Touristen, die es nicht nur in den Dom, sondern bis in die Kirche St. Maria im Kapitol schaffen, wundern sich: Wieso liegen an der Marienstatue im Chor immer frische Äpfel? Der Kölsche schmunzelt, packt seinen mitgebrachten Apfel aus, legt ihn an die Marienstatue und freut sich diebisch, mal wieder für Verwirrung gesorgt zu haben.

Ein frommer, kleiner Junge aus Köln

Um das Jahr 1150 rum lebte in Köln der kleine Hermann. Ein ganz normaler Junge seiner Zeit, der sich mit seinen Freunden die Zeit vertrieb. Hermann war aber auch sehr, sehr fromm. Und so ging er, immer wenn er Zeit hatte, für ein kurzes Gebet in seine Pfarrkirche St. Maria im Kapitol.

In bester rheinisch-katholischer Art führte er regelmäßig Gespräche mit Maria, der Mutter Gottes. Sie wurde für ihn zu einer Freundin, der er in tiefstem Kölsch von seinen Sorgen, Nöten aber auch von seinen Freuden erzählte. Und er wartete vergeblich darauf, dass ihm die Statue auch einmal antwortete.

Ein Apfel für das Jesuskind

Bis zum Nikolaustag. An diesem Tag hatte der fromme Hermann vom Nikolaus einen besonders schönen Apfel bekommen. Hermann war schnell klar: Diesen Apfel wird er dem Jesuskind schenken.

Sofort ging er in die Kirche, und dann geschah das ersehnte Wunder: Die Statue der Maria erwachte zum Leben, nahm den Apfel und gab diesem dem Jesuskind. Für Hermann wurde ein Traum wahr. In Zukunft besuchte er noch öfters Maria mit dem Jesuskind, er spielte mit dem kleinen Jesus und brachte ihm noch weitere Geschenke mit. Für moderne, aufgeklärte Menschen eine eher bizarre Vorstellung.

Anthonis van Dyck,: Vision des Hermann Joseph, um 1630, Bild: Public domain, via Wikimedia Commons
Anthonis van Dyck,: Vision des Hermann Joseph, um 1630, Bild: Public domain, via Wikimedia Commons

Der Theologe Manfred Becker-Huberti sieht hinter dieser Geschichte einen ganz anderen Sinn. In einem Interview im Domradio erklärt er: „Das sieht für heutige Leute eher komisch aus. … Aber der Sinn, der dahinter steckt, ist ein anderer. Die Maria ist die neue Eva. Und die alte Eva hat die Schuld in die Welt gebracht, indem sie einen Apfel vom Baum der Erkenntnis heruntergenommen hat und rein gebissen hat. Dieser Apfel ist in den Händen der Eva das Symbol für die Erbschuld und in den Händen der Maria für die Befreiung von der Schuld. Der Hermann-Joseph ist derjenige, der sie um diese Erlösung bittet, das heißt, den Apfel an das Jesuskind weiterzugeben.“1Quelle: Domradio Ob der eher volkstümlich geprägte Glaube im 12. Jahrhundert diese Interpretation geteilt hätte, kann aber durchaus bezweifelt werden.

Große Marienverehrung

Hermann trat mit zwölf Jahren in das Kloster der Prämonstratenser in Steinfeld in der Eifel ein, studierte in Friesland, kehrte nach Steinfeld zurück und wurde dort zum Priester geweiht. Er war als Seelsorger im Umkreis des Klosters tätig.

Hermann war zeitlebens ein großer Marienverehrer und bekam, durch eine „mystische Vermählung mit der Gottesmutter Maria“ den Beinamen Joseph. Seine große Frömmigkeit führte zu weiteren Wundern. So sollen bei seinen Gottesdiensten regelmäßig in dem Kelch Rosen erschienen sein, deren Duft ganze Gotteshäuser erfüllt habe.

Hermann schrieb auch erbauliche Texte und Lieder. So wird ihm auch das älteste bekannte Herz-Jesu-Lied „Gruß an das heiligste Herz-Jesu“ zugeschreiben. Dort lautet es:

Öffne dich gleich einer Rose,
Duftend aus dem Blätterschoße,
Und vereine meinem Herzen
Deinen Duft und deine Schmerzen.
Wer liebt, was muss der leiden nicht?

Bis in das fast schon biblische Alter von 90 Jahren hielt Hermann an der Marienverehrung fest. Er starb am 7. April 1241 oder 1252.

Der Hermann-Joseph-Brunnen am Waidmarkt zeigt die entscheidende Szene: Maria nimmt von Hermann dem Apfel entgegen, Bild: Raimond Spekking
Der Hermann-Joseph-Brunnen am Waidmarkt zeigt die entscheidende Szene: Maria nimmt von Hermann dem Apfel entgegen, Bild: Raimond Spekking

Erinnerung in Köln als Appel-Jupp

Heute erinnern sich Kölner an ihren Hermann Joseph als „Appel-Jupp“, also „Apfel-Joseph“. Und so finden sich regelmäßig besagte Äpfel an der Marienstatue in St. Maria im Kapitol.

Zusätzlich wurde ihm ein Brunnen gewidmet. Dieser Brunnen steht am Waidmarkt und zeigt an seiner Spitze die ganz entscheidende Szene für das Leben vom Appel-Jupp: Maria nimmt von ihm dem Apfel entgegen.

Hermann-Josef-Brunnen am Waidmarkt um 1895, Fotograf: unbekannt
Damals noch im Mittelpunkt des Platzes, heute eher „an den Rand geschoben“: Der Hermann-Joseph-Brunnen am Waidmarkt um 1895, Fotograf: unbekannt

Heute geht der Brunnen am Waidmarkt etwas unter. Werner Schmidt schreibt, der Brunnen wirke „wie ein an den Platzrand geschobenes sperriges Möbel“.2Werner Schmidt: Der Bildhauer Wilhelm Albermann (1835–1913). Leben und Werk. In: Werner Schäfke (Hrsg.): Publikationen des Kölnischen Stadtmuseums. Band 3. Köln 2001 Auch Ronald Füllbrandt von den Kölschgängern sieht den Standort kritisch: „Der Brunnen stand am Platzeingang und war ein herrlicher Blickfang. Heute, nachdem sich das Stadtbild grundlegend verändert hat, ist sein Platz nicht mehr besonders schön. Er steht da, wie in die Ecke gedrängt und wird kaum beachtet.“3Quelle: Kölschgänger

Dann doch lieber – in bester kölscher Tradition – Äpfel zur Marienstatue in St. Maria im Kapitol bringen.


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Robert Pferdmenges – erfolgreicher Bänker und „Strippenzieher“ für Adenauer

Robert Pferdmenges hält die Rede als Alterspäsident bei der konstituierenden Sitzung des 4. Deutschen Bundestages am 17 Oktober 1961, Bild: Bundesarchiv, B 145 Bild-F011609-0006, Rolf Unterberg, CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Robert Pferdmenges hält die Rede als Alterspäsident bei der konstituierenden Sitzung des 4. Deutschen Bundestages am 17 Oktober 1961, Bild: Bundesarchiv, B 145 Bild-F011609-0006, Rolf Unterberg, CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Die beiden kannten sich bereits mehr als 42 Jahre, als Adenauer dem Bankier Robert Pferdmenges das „Du“ anbot. Das war an Adenauers 85. Geburtstag. Zu diesem Zeitpunkt war Pferdmenges auch bereits 81 Jahre alt. So wurde Robert Pferdmenges zum einzigen Menschen, der auf „Du und Du“ mit dem Kanzler war. Daher gilt der Bankier Pferdmenges bei Historikern als einziger wirklicher Freund des in persönlichen Dingen eher unterkühlten ersten deutschen Bundeskanzlers.  

Erfolgreicher Bänker – Friedrich Engels als (angeheirateten) Onkel  

Geboren wurde Robert Pferdmenges am 27. März 1880 in Mönchengladbach als zweites von neun Kindern des Textilunternehmers Wilhelm Albert Pferdmenges und seiner Frau Helene. Nach Abitur und Banklehre machte er Karriere bei verschiedenen Banken mit Positionen in Antwerpen und London. Im Jahr 1919 zog er mit seine Frau Dora und den beiden Kinder nach Köln und wurde Vorstand der A. Schaaffhausen’scher Bankverein Actiengesellschaft.

Kurios: Sein (angeheirateter) Onkel war ein gewisser Friedrich Engels aus Wuppertal. Pferdmenges dazu: „Es ist nicht wahr, daß ich ihn je gesehen hätte. Aber es stimmt, daß es in unseren Familien ein geflügeltes Wort gab, das immer dann drohend angewandt wurde, wenn jemand über die bürgerlichen Stränge schlug: “Du wirst noch wie Onkel Friedrich.‘1DER SPIEGEL 5/1954 vom 26.01.1954. Diese Gefahr bestand beim Bankier Pferdmenges eher nicht.

1931 wechselte Pferdmenges die Position: Vom bisher angestellten Manager verschiedener Bankhäuser zum Teilhaber des Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim jr. & Cie. Dort war er bis 1953 persönlich haftender Gesellschafter.

Pferdmenges – die „graue Eminenz“ Adenauers

Konrad Adenauer hatte dem erfolgreichen Manager viel zu verdanken: Obwohl keine eindeutigen Beweise vorliegen, gehen Historiker davon aus, dass es Robert Pferdmenges war, der Adenauer, welcher 1930 nahezu sein gesamtes Vermögen durch Fehlspekulation am Aktienmarkt verloren hatte, finanziell rettete.

Und auch die CDU profitierte von den Fähigkeiten des Strippenziehers Pferdmenges. Denn der Mann mit den besten Kontakten in die Industrie und Wirtschaft organisierte die notwendigen Spenden, ohne die die Kassen der CDU in den aufreibenden Wahlkämpfen der 1950er Jahre leer geblieben wären.

Gleichzeitig war er in der gerade neu gegründeten CDU der Mann, der den bürgerlich-evangelischen Flügel repräsentierte, während Adenauer als Katholik eher in der Tradition der Zentrumspartei stand. Daher drängte Adenauer den Protestanten Pferdmenges zu einer Kandidatur bei der ersten Bundestagswahl: 

Brief von Adenauer an Pferdmenges am vom 1. Juli 1949, Quelle: Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, 12.02/3
Brief von Adenauer an Pferdmenges am vom 1. Juli 1949, Quelle: Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, 12.02/3

Nur eine einzige Rede im Bundestag – und diese auch nur gezwungenermaßen

Pferdmenges gab dem Drängen Adenauers nach und war von 1950 bis zu seinem Tode im Jahr 1962 Mitglied des Bundestags. Allerdings war nicht der Plenarsaal und das Rednerpult sein eigentliches Arbeitsgebiet. Viel mehr agierte er im Hintergrund und diente Adenauer als „machtvoller, finanzkapitalistischer Drahtzieher der Politik in jenen Jahren“2Der SPIEGEL: Adenauers Mann für die Moneten, 05.11.2006

Seine in zwölf Jahren einzige Rede im Parlament hielt Pferdmenges auch eher unfreiwillig: Als Alterspräsident eröffnete er Mitte Oktober 1961 die vierte Legislaturperiode. Allerdings war er nicht der klassische „Hinterbänkler“, sondern ein Machtmensch, der genau wusste, welche Strippen im richtigen Moment zu ziehen sind.

Die Pferdmengesstraße in Marienburg erinnert an Robert Pferdmenges, Bild: Uli Kievernagel
Die Pferdmengesstraße in Marienburg erinnert an Robert Pferdmenges, Bild: Uli Kievernagel

Pferdmenges fungiert als Platzhalter für die Oppenheim-Familie

Als die nationalsozialistischen Machthaber die Familie Oppenheim im Jahr 1938 wegen derer jüdischen Wurzeln aus der Bank drängten, stell­te sich Pferd­men­ges vor die Fa­mi­lie und rettete das Bankhaus, indem er es zwar formell übernahm, die Fa­mi­lie Op­pen­heim blieb aber im Hintergrund Haupt­ei­gen­tü­mer. So fungierte er von 1938 bis 1947 als Platzhalter für die Eigentümerfamilie. Damit war auch eine Namensänderung verbunden. Aus Sal. Oppenheim wurde Pferd­men­ges & Co.. Für die Nationalsozialisten galt die Bank somit als „ari­siert“. Im Jahr 1947 konnte die Familie Oppenheim die Bank wieder übernehmen und unter der ursprünglichen Bezeichnung Sal. Oppenheim jr. & Cie. die Geschäfte wieder aufnehmen.

Dies führte später zu dem Vorwurf, Pferdmenges wäre ein „Nazi-Bänker“ gewesen. Es ist davon auszugehen, dass diese Vorwürfe haltlos sind. Tatsächlich wurde Pferdmenges nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 im Zusammenhang mit der Fahndung nach seinem Geschäftspartner Waldemar von Oppenheim sogar fest­ge­nom­men. Gegen ihn wurde ein Berufsverbot verhängt und er wurde auf sei­nem Gut in der Mark Bran­den­burg un­ter Haus­ar­rest ge­stellt.

Nach dem Krieg wurde Robert Pferdmenges von den Alliierten als „politisch einwandfrei“ beurteilt und auch ein eigens eingerichteter Untersuchungsausschuss der Kölner Stadtverordnetenversammlung bestätigte dies. Auch die Familie Oppenheim betonte, dass Pferdmenges durch die Zurverfügungstellung seines Namens das Bankhaus gerettet hatte.

Mandate in 27 (!) Aufsichtsräten 

Pferdmenges kehrte im Sommer 1945 nach Köln zurück und wurde bereits im September 1946 zum Präsidenten der Industrie- und Handelskammer ernannt. Der Netzwerker im Hintergrund führte erfolgreich die Bankgeschäfte des Bankhauses Oppenheim und sammelte Aufsichtsposten wie andere Menschen Briefmarken. So war er ab 1954 in 27 Aufsichtsräten vertreten.

Darunter waren Unternehmen wie Felten & Guilleaume, die Klöckner-Werke AG, die Nordstern Versicherung, Bahlsens Keksfabrik in Hannover oder auch die Zuckerfabrik von Pfeifer & Langen.

Robert Pferdmenges und Konrad Adenauer im Deutschen Bundestag (Mai 1960), Bild: Bundesarchiv, B 145 Bild-F008112-0015 / Egon Steiner, CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Robert Pferdmenges und Konrad Adenauer im Deutschen Bundestag (Mai 1960), Bild: Bundesarchiv, B 145 Bild-F008112-0015 / Egon Steiner, CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Jahrzehntelange Freundschaft mit Adenauer

Verständlich, dass der streitlustige Adenauer den eher ausgleichenden Bänker eng an seiner Seite wissen wollte. So half der Vermittler Pferdmenges dem Kanzler nicht nur, die Mitbestimmung in der Montanindustrie im bürgerlichen Lager durchzusetzen, sondern auch die großen Spannungen zwischen Adenauer und seinem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard auszugleichen. Es ist davon auszugehen, dass ohne den Vermittler Robert Pferdmenges die Regierung im dritten (1957 – 1961) und vierten (1961 – 1963) Kabinett Adenauers zerbrochen wäre. Deshalb ist es zu verstehen, dass ausgerechnet ein protestantischer Bänker zum einzigen Duz-Freund Adenauer wurde.

Robert Pferdmenges verstarb am 28. September 1962 im Alter von 82 Jahren in seiner Wahlheimat Köln. Sein Grab befindet sich auf dem evangelischen Friedhof in Mönchengladbach. Bei der Trauerfeier in der Kölner IHK3am 3. Oktober 1962 betonte Adenauer seine äußerst enge Verbindung zu seinem (vermutlich einzigen echten) Freund:

 „Wir haben uns zunächst in Köln nach dem ersten Weltkrieg kennengelernt. Wir sind uns bald nahe gekommen und schlossen Freundschaft, die jahrzehntelang bis jetzt gedauert hat, und niemals in ihrer Harmonie getrübt war, eine Freundschaft, die durch alle Zeiten und Wechselfälle des Lebens gewahrt wurde von ihm und von mir.“


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Kölsche Originale: Fressklötsch – legendärer Vielfraß und hochgeachteter Bürger

Johann Arnold Klütsch, genannt "Fressklötsch", um 1834, Portait von Simon Meister, aus dem Buch "Kölsche Originale", Reinhold Louis, Greven Verlag Köln, 1985
Johann Arnold Klütsch, genannt „Fressklötsch“, um 1834, Portait von Simon Meister, aus dem Buch „Kölsche Originale“, Reinhold Louis, Greven Verlag Köln, 1985

Um Johann Arnold Klütsch, in Köln als „Fressklötsch“ bekannt, ranken sich unzählige Legenden:

„Er hat ein 1.000 Pfund schweres Kanonenrohr eigenhändig weggeschleppt.“

„Er hat ein ganzes Rad Käse auf einen Schlag gegessen.“

„Er hat einen Franzosen mitsamt Wachhaus einfach weggetragen.“

„Er hat ein ganzes Kalb gegessen – und dazu noch ein ganzes Brot.“

„Nur er war in der Lage, die originale Rüstung Jan von Werths zu tragen.“

Wieviel Wahrheit in diesen Erzählungen steckt, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Fest steht, dass Johann Arnold Klütsch eine beeindruckende Karriere hingelegt hat – vom Analphabeten bis zum geachteten Geschäftsmann und Geschäftspartner von Ferdinand Franz Wallraf. Doch die kolportierten Geschichten über seine Fähigkeit, Unmengen trinken und essen zu können sowie über seine gewaltige Köperkraft überstrahlen alles.

Bärenstark und immer hungrig

Die bekannteste Legende rund um Fressklötsch ist die Geschichte mit dem holländischen Käse: Als Lohn dafür, dass der bärenstarke Klütsch beim Entladen eines Schiffs aus Holland geholfen hatte, erhielt er ein ganzes Rad Käse. Auf dem Weg nach Hause passierte er die Zollgrenze der Stadt. Doch statt, wie vom Zöllner aufgefordert, den fälligen Steuersatz auf den Käse zu entrichten, setzte sich Fressklötsch ganz entspannt an den Wegesrand und fing an, unter den Augen der Grenzbeamten den Käse zu verspeisen. Als dieser restlos verputzt war, setze Klütsch ungerührt seinen weg in die Stadt fort. Ohne auch nur eine Taler Zoll zu bezahlen.1Andere Zeitgenossen war bei der Vermeidung der fälligen Zollsätze etwas raffinierter, wie die Geschichte von Bolze Lott beweist.

Wieviel Wahrheit in dieser Legende liegt bleibt offen. Genau wie die Geschichte, als Fressklötsch sich mit einem französischen Soldaten angelegt hatte. Dieser hatte darauf bestanden, dass Klütsch, wie vorgeschrieben, ohne Zigarre im Mund an ihm vorbeilaufen sollte. Klütsch sah das ganz anders, packte den Besatzungssoldaten, stellte ihn in sein kleines Wachhäuschen und setzte Soldat samt Wachhaus so nah an die Kaimauer des Rheins, dass der Soldat schlichtweg nicht mehr aus seinem Häuschen kam, ohne in den Fluß zu fallen.

Überhaupt hatte Johann Arnold Klütsch es so gar nicht mit den Franzosen. Angetrunken beobachtete er, wie in der Trankgasse französische Kanonen von einem Pferdefuhrwerk abgeladen wurden. Der bärenstarke Klütsch fackelte nicht lange und schnappte sich eine der Kanonen und lief damit schnell weg. Schnell wurde klar, dass in Köln nur Fressklötsch in der Lage wäre, solche Gewichte einfach fortzutragen. Doch in dem eilig anberaumten Gerichtsprozess wurde Klütsch freigesprochen, weil es Richter und Geschworene nicht für möglich hielten, dass ein einzelner Mann ein „1.000 Pfund schweres Geschützrohr“ stehlen könnte. Hocherfreut über den Freispruch schnappte sich Klütsch noch im Gerichtssaal das als Beweismittel herbeigeschaffte Kanonenrohr und verließ mit diesem unter dem Arm tänzelnd das Gebäude.

Kein tumber Vielfraß

Die legendären Geschichten um Fressklötsch beginnen bereits mit seiner Geburt: Je nach Quelle kursieren verschiedene Geburtsdaten. Gemäß seiner Todesanzeige wäre Klütsch am 23. Februar 1775 geboren. Im Kirchenbuch seiner Pfarre wird das Geburtsjahr mit 1778 angegeben, auch gemäß der Heiratsurkunde wäre er Jahrgang 1778. Egal welcher Quelle man traut: Als Klütsch am 29. November 1845 starb, hatte er mit mindestens 67 Jahren, vielleicht sogar 70 Jahren, ein fast schon biblisches Alter erreicht. Statistisch gesehen betrug im 19. Jahrhundert die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer etwas mehr als 35 Jahre.

Bei seiner Hochzeit am 13. April 1804 fehlt auch seine Unterschrift unter der Urkunde. Stattdessen wurde dort vermerkt „Ehegatte erklärt, er könne nicht schreiben.“ Packt man diese Information mit den erzählten Legenden über Fressklötsch zusammen, ergibt sich das Bild eines tumben, übermäßig gefräßigen Menschen.

Doch je mehr man über Johann Arnold Klütsch erfährt, desto mehr erkennt man, dass dieses Bild trügt. Tatsächlich war er ein angesehener Bürger und Geschäftsmann. Im Jahr 1804, zum Zeitpunkt der Heirat, war Klütsch Abdecker und handelte mit Fleischabfällen. Doch dann lernte er Schreiben und Lesen und wurde Altrüscher.2Altwarenhändler Er lernte den Gelehrten und in der Oberschicht verkehrenden Franz Ferdinand Wallraf kennen und durch ihn auch den Blick auf wertvolle Antiquitäten. So wurde aus dem Altwarenhändler Klütsch der Antiquitätenhändler Klütsch mit einem so hervorragenden Ruf, dass er sogar als Taxator für die Stadt Köln den Wert von Antiquitäten feststellte.

Fahnenstange der 2. Compagnie des Pompiers-Corps. Klütsch war Sous-Chef dieser Compagnie, Bild: Nicola, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Fahnenstange der 2. Compagnie des Pompiers-Corps. Klütsch war Sous-Chef dieser Compagnie, Bild: Nicola, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Wegbereiter der Feuerwehr

Dank seiner Freundschaft zu Ferdinand Franz Wallraf, einem der Mitbegründer des „Festordnenden Comités“3Welches später zum heute noch existierenden Festkomitee des Kölner Karnevals werden sollte. war Fressklötsch im Jahr 1823 ganz eng an dem Kreis von Menschen, welcher den Kölschen Karneval wiederbeleben sollte. In einem späteren Rosenmontagszug soll es Klütsch gewesen sein, der dank seiner Bärenkräfte als einziger in der Lage war, die aus dem Stadtmuseum geliehene Rüstung des Jan von Werth den ganzen Zug über tragen zu können.

Ebenfalls machte er sich einen Namen beim Aufbau der Freiwilligen Feuerwehr. Stolz trug der den Titel „Sous Chef der 2. Compagnie des Pompiers-Corps“.

Gemäß dem Totenzettel Johann Arnold Klütsch nachempfunden, Original: Historisches Archiv der Stadt Köln
Gemäß dem Totenzettel Johann Arnold Klütsch nachempfunden, Original: Historisches Archiv der Stadt Köln

Für die damaligen Verhältnisse hochbetagt verstarb Johann Arnold Klütsch im Alter von 67 – oder 70 Jahren – am 29. November 1845 an einer Unterleibsentzündung, welche wohl ein Lungenödem hervorgerufen hatte. Sein Totenzettel besagt, dass es sich um einen „wohlachtbaren Herrn“ gehandelt hätte.

Und das ist ein schöneres Vermächtnis als „nur“ als Kraftprotz und Vielfraß in die Geschichte einzugehen.


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Zum Tod von Fritz Schopps: Es wird still im Märchenwald.

Et Rumpelstilzje Fritz Schopps (1946 - 2022), Bild: Martin Schopps
Et Rumpelstilzje Fritz Schopps (1946 – 2022), Bild: Martin Schopps

Still wird es im Märchenwald
Eine Hommage an et Rumpelstilzje Fritz Schopps

Stille herrscht im Märchenwald,
Rapunzel friert, selbst Frau Holle ist kalt.

Schneewittchen und die sieben Zwerge sind ganz leise,
auch Rotkäppchen trauert auf seine eigene Art und Weise.

Jeder dort hat es mittlerweile erfahren:
Et Rumpelstilzje ist in den Märchenhimmel eingefahren.

Pinocchio weint kleine Holztränen,
der böse Wolf knirscht mit den Zähnen.

Wer, fragt Dornröschen, wird in Zukunft berichten
über die neuesten Märchenwald-Nachrichten?

Er ist jetzt fort, zieht nicht mehr den Hut,
zollt den Märchenwald-Figuren nicht mehr Tribut.

Gewitzt war er, mit spitzer Feder,
zog er auch manchmal derber vom Leder.

Getroffen hat immer die Richtigen,
ganz oft waren das die vermeintlich Hochwichtigen.

Reimen konnte er, wie kein Zweiter,
exakt auf den Punkt und immer heiter.

Im Saal hörten alle ihm aufmerksam zu,
den Meister zu stören, das war tabu!

Jetzt im Märchenhimmel ist er bei den ganz Großen,
de Doof Nuss un et Botterblömche wollen mit ihm anstoßen.

Da sitzt neben Ferdi Huick, dem Bergischen Landboten
der Toni Geller, beide lauschen Rumpelstilzchens Anekdoten.

Der ganze Märchenwald ist außer Rand und Band,
der Meister jetzt seinen Weg zu ihnen fand.

Auch der gestiefelte Kater erblasst jetzt vor Neid,
trägt doch jetzt Rumpelstilzchen die schönsten Stiefel weit und breit.

Die kunterbunte Jacke, die Feder am Hut,
jeder im Märchenwald erkennt den Fritz Schopps gut.

Ach wie gut, dass dort jeder weiß,
dass der Schopps eigentlich Rumpelstilzchen heißt.


Fritz Schopps – Et Rumpelstilzje (1946 – 2022)

Fritz Schopps wurde 1946 geboren, studierte Englisch, Geschichte und Mathematik auf Lehramt und war als Lehrer an der Willy-Brandt-Gesamtschule in Köln-Höhenhaus tätig. Ab den 1980er Jahren war er, mit roten Stiefeln, kunterbunter Flickenjacke und Hut mit großer Feder als Rumpelstilzje eine feste Größe im Kölner Karneval.

Schopps hatte mit seiner für ihn typischen Reimrede mit den neuesten Nachrichten aus dem Märchenwald immer die Gesellschaft und die Politik deutlich aber liebevoll aufs Korn genommen.

Als Rumpelstilzchen wollte er eigentlich im Jahr 2021 seine Karriere beenden, doch die Corona-Pandemie machte ihm einen Strich durch die Rechnung.  So plante er, noch ein Jahr dranzuhängen, um sich auf der Bühne von seinem Publikum zu verabschieden. Doch diese Chance hat er leider nicht mehr bekommen.

Fritz Schopps – et Rumpelstilzje – ist am 5. Juni 2022 im Alter von 76 Jahren verstorben.

Und wir Kölner ziehen den Hut vor einem ganz großen in der Bütt.


Ein großes DANKE an Martin Schopps, Sohn von Fritz Schopps, der mir das Bild für diesen Artikel zur Verfügung gestellt hat.

Martin Schopps ist doppelter Hinsicht in die Fußstapfen seines Vaters getreten: Er ist auch Lehrer und ist ein gern gesehener Redner und Moderator auf den (Karnevals-) Bühnen im ganzen Land..

Weitere Infos zu ihm gibt es auf seiner Website.

Martin Schopps


Wolfgang aus Köln hat mein Gedicht überarbeitet. Diese Version entspricht eher der Reimkunst von Fritz Schopps. Vielen Dank, dass ich diese Version veröffentlichen darf.

Im Märchenwald sich Stille zeigt.
Rapunzel friert, Frau Holle schweigt.
Schneewittchen mit den sieben Zwergen
trauert ratlos in den Bergen.
Rotkäppchen nimmt die Nachricht schwer:
Et Rumpelstielzche ist nicht mehr!
Pinocchio aus Holz weint Tränen,
Der  böse Wolf knirscht mit den Zähnen.
Wer, fragt Dornröschen, wird berichten die
neu‘sten Märchenwaldgeschichten?
Gezogen wird nicht mehr der Hut , 
dem Märchenwald fehlt der Tribut .
Gewitzt zog mit gespitzter Feder
auch manchmal derber er vom  Leder
Dabei traf genau die Richtigen,
 er die vermeintlich Superwichtigen !
Reimen konnt‘ er wie kein zweiter,
punktgenau und immer heiter.
Ernsthaft hörten alle zu,
Ihn zu stören, war Tabu !
Aufmerksam die Narren lauschten, 
danach stets Beifallsstürme rauschten.
Im Märchenhimmel bei den Großen 
vereint gemeinsam anzustoßen 
mem Botterblöömche und Doof Nuss
bereitet ihm jetzt Hochgenuss!
Mit Ferdi Huick, dem Landesboten
tauscht Toni Geller Anekdoten. 
Zu ihnen hat er sich gesellt
und grüßt uns aus der „ander‘n Welt“
Die schönsten Stiefel weit und breit
trägt Rumpelstielzchen, und vor Neid
erblasst der Kater und mit Graus
zieht er entnervt die Schuhe aus!
 
Die Jacke kunterbunt , die Feder
am Hut , so kennt bis heute jeder
FRITZ SCHOPPS , wie gut dass jeder weiß,
dass eigentlich er Rumpelstielzche heißt!
 

 


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Kölsche Originale: Fleuten-Arnöldche – gutmütiger Künstler mit einer ausgeprägten Schwäche für Alkohol

Der Musikant Arnold Wenger, bekannt als Fleuten-Arnöldche, auf dem Karl-Berbuer-Brunnen Bild: Uli Kievernagel
Der Musikant Arnold Wenger, bekannt als Fleuten-Arnöldche, auf dem Karl-Berbuer-Brunnen Bild: Uli Kievernagel

Eine Kölner Schankstube in den in 1860er Jahren: Eine ganze Schänke voller  fröhlicher Zecher, jeder einen vollen Becher Bier vor sich und in der Ecke steht ein kleingewachsener, pausbäckiger Mann und spielt auf seiner Flöte. Der kleine Mann mit der Flöte ist Arnold Wenger, in Köln aber als „Fleuten- Arnöldche“ bekannt: 

„In der Wirtsstube herrscht reges Leben und fast sämtliche Tische sind besetzt. Es sind nur Kölner in der Wirtsstube, Fremde sieht man nicht und man hört auch keinen fremden Dialekt; die Leute sprechen alle kölsch. … Die einzelnen Gruppen sind in lebhafter Unterhaltung begriffen, und es geht ziemlich laut dabei zu. … Doch plötzlich bemerkt man ein Getuschel an den Tischen, die Gäste stoßen sich an und aller Augen sind auf die Türe gerichtet, wo eben ein neuer Gast mit einer langen Flöte unter dem Arm hereingetreten war. Gleich am ersten Tisch wurde „Fleuten-Arnöldchen“, das war der neue Gast, festgehalten und herzlich begrüßt. Er bekam ein Glas Bier, das er in einem Zuge leerte, und dann blies er ein Stück auf seiner Flöte, während der Zappjung sein Glas wieder füllte.“1 Heinz Sartorius, ein Zeitzeuge, zitiert nach Reinhold Louis: Kölner Originale, Greven Verlag 1985, Seite 136

Gasthäuser, Flöte und der Alkohol bestimmen das Leben vom Flöten Arnöldche

Diese eindrucksvolle Schilderung beinhaltet fast alles, was das Leben von Arnold Wenger, genannt Fleuten-Arnöldche, auszeichnete: Geselligkeit, Gasthäuser, Flöte spielen und viel Alkohol. Wenger wurde am 12. Februar 1836 in Köln geboren. Sein Geburtshaus lag in der Sankt-Apern-Straße, unweit vom Römerturm. Und genau hier beginnt auch der Aufstieg und Fall des kölschen Musikanten.

Sein Vater betreibt eine Weinstube, so der frühe Zugang des jungen Arnold zum Alkohol. Außerdem ist der Vater ein talentierter Musiker, der Wert darauf legt, dass sein Sohn Noten lesen und ein Instrument, in diesem Fall Querflöte, zu spielen erlernt. Alkohol und Flöte – die Grundlagen des späteren Lebens vom Fleuten-Arnöldche wurden somit schon in frühester Kindheit gelegt.

Arnold Wenger, ermuntert vom Applaus der Zecher in der väterlichen Weinstube, beschließt, seinen Lebensunterhalt mit Musik zu bestreiten. Dabei hätte er auch die Begabung gehabt, in einem Orchester zu spielen. Allerdings entscheidet sich das Fleuten-Arnöldche dazu, als Straßenmusikant sein Geld zu verdienen. Eine fatale Entscheidung.

Er zieht mit seiner Flöte durch die kölschen Gaststuben. Der sanfte, gutmütige Flötenspieler war durchaus beliebt, und die Gäste in den Kneipen schätzten sein Flötenspiel. Seinen Lohn erhält er regelmäßig in flüssiger Form. Bis in die 1870er Jahre ging das auch noch halbwegs gut. Die Kölner Marktfrauen, eigentlich eher schroffe Naturen, schlossen den kleine Arnold ins Herz und versorgten ihn regelmäßig mit etwas zu essen – und auch zu oft mit Getränken.

Doch obwohl Fleuten-Arnöldche ein durchaus geübter Zecher war, kam es immer öfter zu „Totalausfällen“ und die Polizei musste den Trinker immer öfter von der Straße aufsammeln.

Ironie des Schicksals: Zwei Kölsche Originale begegnen sich – aber unfreiwillig

Ab 1875 eskalierte die Situation. Der völlig verwahrloste Wenger, übersät mit Eiterpusteln und gehüllt in schäbige, stinkende Kleidung, wurde in die Arbeitsanstalt Brauweiler eingewiesen. Er bekam keinen Alkohol und musste tatsächlich zum ersten Mal in seinem Leben körperlich arbeiten.

Genau hier kreuzen sich die Lebenswege zweier Kölscher Originale: Genau wie das Fleuten-Arnöldche ist auch das Kölsche Original Heinrich Peter Bock, besser bekannt als „Maler Bock“, in den 1870er Jahren ebenfalls unfreiwilliger Insasse in Brauweiler. Die beiden sind sich in ihrer tiefen, gegenseitigen Ablehnung einig: Der Bohémien Bock moniert, dass der eher einfältige Wenger ihm den Respekt verweigert und ihn mit „du“ anspricht. Arnold Wenger ist der abgehobene Lebemann Bock mit seiner oft gestelzten Sprache zuwider.

Et Fleuten-Arnöldche, Bild: rs-bierdeckel.de, Reinhold Schäfer
Et Fleuten-Arnöldche, Bild: rs-bierdeckel.de, Reinhold Schäfer

Unverhoffte Erbschaft von 6.000 Mark

Doch das Fleuten-Arnöldchen hatte Glück. Er erhielt eine unverhoffte Erbschaft in Höhe von 6.000 Mark. Dieses Geld versetzte ihn in die Lage, mit der Stadt Köln einen Vertrag auszuhandeln: Er zahlte die gesamte Erbschaft an die Stadt, diese verpflichtete sich im Gegenzug dazu, ihm zeitlebens eine Unterkunft zu bieten und ihn zu verpflegen.

So zog Fleuten-Arnöldche im November 1875 in das Bürgerhospital am Neumarkt. Doch auch hier konnte es der alkoholabhängige Wenger nicht lange aushalten. Sein geringes Taschengeld setzte er umgehend in Schnaps um. Mit den bekannten Auswirkungen. Daher wurde Arnold Wenger bereits ein Jahr später in die Krankenanstalt Lindenburg verlegt. Und hier gelang es den Ärzten und Therapeuten, den kranken Arnold Wenger wieder aufzubauen.

Und alle, die das Fleuten-Arnöldchen bereits abgeschrieben hatten, wurden eines Bessern belehrt. Der dank seiner Erbschaft als „Pensionär 1. Klasse“ geführte Wenger blühte regelrecht auf. Und auch seine Flöte kam wieder zu Ehren. Regelmäßig sonntags spielte das Fleuten-Arnöldche für alle in der Lindenburg. Und bekam dafür seinen verdienten Applaus.

So konnte Arnold Wenger seine letzten Lebensjahre zufrieden und – zumindest in der Lindenburg – geachtet verbringen, bis er am 25. Oktober 1902 dort an einem Kehlkopfleiden verstarb. Er wurde 66 Jahre alt – bei seinem Lebenswandel ein durchaus bemerkenswertes Alter.

Das "Fleuten-Arnöldche" als Sgraffito (Hauswand Alte Wallgasse 27-29), Bild: Sebastian Löder / CC BY 4.0
Das „Fleuten-Arnöldche“ als Sgraffito (Hauswand Alte Wallgasse 27-29), Bild: Sebastian Löder / CC BY 4.0

Flöte wird 2019 wiederentdeckt

Seine Flöte vermachte das Fleuten-Arnöldche dem Kölner Heimatverein. Von dort aus gelang das Instrument zum Kölnischen Stadtmuseum. Und geriet in Vergessenheit. Erst bei Aufräumarbeiten im Archiv im Jahr 2019 entdeckten Mitarbeiter des Museums die Flöte, die sich noch im Originalkarton befand.

Und die irgendwann, wenn das Museum in den am Roncalliplatz geplanten Neubau einzieht, erhält die Flöte des Kölner Originals Fleuten-Arnöldche mit Sicherheit einen Ehrenplatz.


Em Himmel es d´r Düvel loss

Da wäre ich auch gerne irgendwann mal mit dabei! In dem bekannten Schunkel-Walzer „Un et Arnöldche fleut“ von Karl Berbuer treffen sich die ganzen Kölner Originale im Himmel und feiern Karneval. Selbstverständlich mittendrin: Arnold Wenger mit seiner Flöte.

Un et Arnöldche fleut, un d´r Herrgott hät sing Freud,
und d´r Ostermanns Will dä sing so schön,
es quietschen däm Palm sing Urgelstön,
un et Arnöldche fleut, un dr Herrgott hät sing Freud,
un der Läsche Nas ehr as wed nass,
weil Kölle nit unger geiht.


Michael Waßerfuhr von den Kölschgängern erzählt die Geschichte vom Fleuten-Arnöldche in einem wunderschönen Kölsch. Schaut mal rein, lohnt sich!


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Hans Imhoff – ein Herz aus Schokolade

Imhoff vor seinem wahr gewordenen Traum: Der Schokoladenbrunnen in seinem Schokoladenmuseum, Bild: Schokoladenmuseum Köln
Imhoff vor seinem wahr gewordenen Traum: Der Schokoladenbrunnen in seinem Schokoladenmuseum, Bild: Schokoladenmuseum Köln

„Ich wiege 100 Kilogramm, davon sind 80% aus Schokolade“ – so der Kölner „Schokoladen-König“ Hans Imhoff in einem Interview. Ob das tatsächlich stimmt? Eindeutig aber: Der Vollblutunternehmer hatte auf jeden Fall ein Herz aus Schokolade.

Hans Imhoff wird am 12. März 1922 in Köln geboren. Nach dem Besuch der Handelsschule und einer kaufmännischen Lehre war er nur kurz im Kriegseinsatz. Wegen eines Augenleidens wurde er 1943 ausgemustert.

Seine unternehmerische Karriere begann im Oktober 1945. Imhoff erhielt von den Besatzungsmächten in Alf an der Mosel die Genehmigung, mit Lebensmittel zu handeln. Hart am Rande der Legalität maggelt1Mit „maggeln“ bezeichnet der Kölner Geschäfte, die mindestens fragwürdig, oft aber auch illegal sind. Imhoff mit Waren aller Art. Besonders lukrativ: Er tauscht Wein von der Mosel gegen Gebrauchsgegenstände aller Art, zum Beispiel Werkzeug, Rasierklingen, oder Lebensmittel.

Keine Maschinen, keine Experten, keine Rohwaren – aber eine Vision

Im Juni 1948 gründet er in Bullay eine Schokoladenfabrik. Der Beginn einer erstaunlichen Karriere. Imhoff hatte zum Start der Schokoladenproduktion nichts: Keine Maschinen, keine Experten – nur eine Vision: Imhoff will ein großer Schokoladenproduzent werden.

Doch dazu fehlt ihm vor allem die wichtigste Zutat: Kakao. Aber der findige Imhoff hat auch hier eine Lösung: Er tauscht Lebensmittel gegen Schokolade aus Care-Paketen und schmilzt diese ein. Mit einer auf dem Schwarzmarkt beschafften Maschine entstehen so seine ersten Pralinen. Das Unternehmen wächst, Mitte 1958 beschäftigt Imhoff bereits 400 Mitarbeiter. Er wird zu Deutschlands jüngstem Millionär. Sein offenes Geheimnis: Er war ein „Kostenkiller“. Er investierte viel Geld, um möglichst preiswert zu produzieren. Immer nach dem neuesten Stand der Technik.

Produziert wird Massenware, welche in den Discountern sehr günstig angeboten wird. Die etablierten Markenhersteller wie Stollwerck oder Sprengel rümpfen die Nase, wenn der, aus ihrer Sicht, „Parvenü“ Imhoff auf Messen oder Kongressen der Branche erscheint. So verweigert ihm Dr. Bernhard Sprengel, Inhaber der Sprengel-Werke in Hannover, sogar auf einem Branchentreffen den Handschlag. Diese Ablehnung kränkte auf der einen Seite den selbstbewussten Imhoff, spornte ihn aber auf der anderen Seite an, ein eigenes Schokoladenimperium zu erschaffen.

Hans Imhoff - Vollblutunternehmer mit einem "Herz aus Schokolade". Bild: Schokoladenmuseum Köln
Hans Imhoff – Vollblutunternehmer mit einem „Herz aus Schokolade“. Bild: Schokoladenmuseum Köln

Wegfall der Preisbindung für Schokolade wird zu Risiko und Chance für Imhoff

Der direkte Wettbewerb der Schokoladenhersteller untereinander wurde seit 1952 durch eine staatliche festgelegte Preisbindung nahezu unterbunden. Erst 1964 wird diese Regel aufgehoben. Für Imhoff war das zunächst negativ: Die Markenschokolade wurde deutlich günstiger, die Kunden griffen nach dem Wegfall der Preisbindung eher zur Markenschokolade statt zu den günstigen Produkten aus der Imhoff-Produktion. Aber auch hier erkannte der Unternehmer seine Chance: er produzierte in seinen Werken für die Tobler-Werke, die nicht über genügend eigene Produktionskapazitäten verfügten.

Obwohl der Vertrag mit Tobler lukrativ war, wusste Imhoff, dass er nur dann zu den ganz großen der Branche gehören konnte, wenn er über eine eigene, anerkannte Marke verfügen würde. Diese Chance ergab sich 1970. Und Imhoff griff zu. 

Imhoff übernimmt Stollwerck

Im Jahr 1970 geriet der Schokoladenkonzern Stollwerck in die Krise – die Gebrüder Stollwerck hatten sich übernommen. Die enorme Produktvielfalt, der Historiker Ulrich Soénius spricht von mehr als 1.400 Produkten, veraltete Maschinen und Fehlentscheidungen des Managements führten zu einem Verlust in Höhe von 7,8 Millionen DM. Das Wirtschaftsmagazin Capital bezeichnete die Stollwerck AG als die „Versager des Jahres“.

In dieser Krise steigt auch noch die Deutsche Bank, bis zu diesem Zeitpunkt Stollwerck-Großaktionär, aus. Hans Imhoff greift zu und erwirbt von der Deutschen Bank das Aktienpaket. Er wurde mit 46,5 % Großaktionär von Stollwerck. Bis 2002 sollte sein Anteil auf 96% der Aktien anwachsen.

Und Imhoff beginnt unmittelbar mit der Sanierung des Unternehmens. Er streicht das überbordende Stollwerck-Sortiment von 1.400 Produkten auf weniger als 100. Gleichzeitig entließ er etwa 25% der Belegschaft und verkaufte das Stollwerck-Areal in der Südstadt. Hans Imhoff dazu: „Das Ganze ist zu alt. Wir haben industrielle Anlagen und Versorgungsanlagen, die über 100 Jahre hier stehen und die Kosten sind einfach zu hoch. Man kann ein altes Auto nicht uneingeschränkt fahren, eines Tages muss das auf den Schrottplatz.“ Ein neues Werk in Porz wurde gebaut.

„Dat is keine Kölsche“

Mit diesen Methoden machte sich der Schokoladenfabrikant wenig Freunde in Köln. Und als er dann auch noch die Produktion von kostengünstigen Kamelle für den Rosenmontagszug aus dem Sortiment streicht, platzt den Honorationen der ehrwürdigen kölschen Karnevalsgesellschaften der Kragen. „Dä nemp uns die Kamelle fott. Dat is keine Kölsche.“ verlautete aus den Führungsetagen der Korps und Gesellschaften.

Das knallharte Verhalten des Geschäftsmanns Imhoff führte zu einer gesellschaftlichen Isolation. Seine zweite Ehefrau Gerburg Imhoff konstatierte: „So richtige Kölner Freunde hatten wir in dieser Zeit nicht.“ Doch das spornte den Unternehmer Immer weiter an. Neben Stollwerck werden auch die Werke von Eszet und Waldbaur Teile des Imhoff-Konzern.

Bieterstreit mit Peter Ludwig um Sprengel

Auch Sprengel aus Hannover schlittert in die Krise und soll verkauft werden. Der Aachener Unternehmer Peter Ludwig war die unbestrittene Nummer Eins im europäischen Schokoladengeschäft. Mit ihm lieferte sich Imhoff ein wahres Bietergefecht um die renommierte Marke Sprengel.

Schlussendlich kam Imhoff zum Zuge und Sprengel wurde Teil des Imhoff-Schokoladen-Imperiums. Ausgerechnet Sprengel, dessen Chef Bernhard Sprengel dem aufstrebenden Unternehmer Imhoff einst den Handschlag verweigerte. Eine große Genugtuung für Imhoff, der zeitlebens um Anerkennung und Respekt kämpfte.

Jahreshauptversammlungen werden zur „Hans-Imhoff-Show“

Das Unternehmen expandiert, Imhoff gründet die Wäsche-Leasingfirma Larosé und erwirbt eine Fleisch- und Wurstwarenfabrik. Auch im Ausland wächst das Unternehmen. So entstehen neue Schokoladen-Fabriken in Ungarn, Polen und Russland.

In dieser Zeit der nahezu unbegrenzten Euphorie werden die Jahreshauptversammlungen der Stollwerck AG zu einer wahren Hans-Imhoff-Show. Das Handelsblatt vergleicht diese Hauptversammlungen mit dem Karneval. In „der Bütt“ steht Hans Imhoff. Ohne Manuskript erzählt er Witzchen, zu finanziellen Kennzahlen des Konzerns veranstaltet er ein Ratespiel: Richtige Antworten zur Bilanz werden mit 100-DM-Scheinen belohnt. Die Aktionäre erhalten eine opulente Bewirtung und üppige Schokoladenpakete. Hans Imhoff ist auf dem Zenit seiner Karriere.

Hans Imhoffs Vermächtnis: Das Schokoladenmuseum, Bild: Raimond Spekking
Hans Imhoffs Vermächtnis: Das Schokoladenmuseum, Bild: Raimond Spekking

Schokoladenmuseum als Denkmal in Köln – Nachfolgefrage schwierig

In dem Multimillionär Imhoff reifen in dieser Zeit auch die Gedanken, wie er sich zum einen in Köln verewigen kann, zum anderen, wie eine mögliche Nachfolge aussehen könnte. Sein Denkmal wird das unübersehbare Schokoladenmuseum direkt am Rhein.

Allerdings ist die Nachfolgefrage ungeklärt. Imhoffs Tochter Annette traut sich zwar zu, ein Unternehmen zu leiten, aber nicht den gesamten Konzern. Anfang der 2000er Jahre zeigt der jahrelange Stress seine Folgen, Hans Imhoff leidet zunehmend an gesundheitlichen Problemen. Gleichzeitig erlebt das Unternehmen eine veritable Krise. Der Handel mit den Discountern macht immer weniger Gewinn, Sprengel in Hannover macht große Verluste. Das Werk wird 2001 geschlossen.

Im April 2002 verkauft Imhoff den gesamten Konzern für 175 Millionen Euro an den Schweizer Schokoladenkonzern Barry Callebaut AG. In Köln wird noch bis 2005 Schokolade produziert – dann endet die Ära der Stollwerck-Schokolade.

Hans Imhoff stirbt nach langer Krankheit am 21. Dezember 2007. Was aber bleibt ist sein Denkmal: Das Schokoladenmuseum.


Die Imhoff-Stiftung fördert Projekte in Köln

Die gemeinnützige Imhoff Stiftung

Das Museumsgebäude des Schokoladenmuseums gehört der Imhoff-Stiftung. Der Clou: Die Mieteinahmen fließen in die Stiftung, welche wiederum Projekte in Köln fördert. So sind seit 2001 etwa 19 Millionen Euro in unterschiedliche Projekte aus den Bereichen Kunst und Kultur, Bildung/Kulturpädagogik, Wissenschaft und Forschung, Therapeutisches Reiten, Denkmalpflege und Heimatkunde ausgeschüttet worden. Beispiele:2Weitere geförderte Projekte werden auf der Website der Imhoff-Stiftung vorgestellt.

  • Afina – Assoziation für interkulturelle und nachbarschaftliche Arbeit
    Hier geht es speziell für Kinder und deren Eltern mit Migrationshintergrund auf Spurensuche in der Kölner Stadtgeschichte.
  • Plant-for-the-Planet-Akademie
    Spezielle Veranstaltungen, auf denen Kinder zu Botschaftern für Klimagerechtigkeit ausgebildet werden.
  • SingPause: Musikalische Ausbildung von Grundschulkindern
    Ausgebildete Singleiter/innen besuchen regelmäßig die Klassen und arbeiten mittels der renommierten Ward-Methode mit den Kindern.
  • Zentrum für Therapeutisches Reiten Köln e.V.
    In diesem speziellen Reitstall wurden 240.000 Therapieeinheiten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit unterschiedlichsten Behinderungen und Förderbedarf angeboten.

Anträge auf Förderung können über die Website der Imhoff-Stiftung gestellt werden. Ein wichtiges Förderkriterium: Das Projekt muss innerhalb Kölns initiiert und realisiert werden.


 

Die Hans-Imhoff-Straße in Deutz, Bild: Uli Kievernagel
Die Hans-Imhoff-Straße in Deutz, Bild: Uli Kievernagel

Hans-Imhoff-Straße in Deutz

Direkt am Messeglände in Deutz erinnert die Hans-Imhoff-Straße an den Mann  mit dem „Herz aus Schokolade“.


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