Das Attentat von Volkhoven: „Das Herz der Stadt stand still.“

Gedenktafel zum Attentat in Volkhoven am 11. Juni 1964, Bild: Raimond Spekking
Gedenktafel zum Attentat in Volkhoven am 11. Juni 1964, Bild: Raimond Spekking

Es war der 11. Juni 1964 gegen 10 Uhr: Der 42jährige Attentäter S. drang mit einem selbstgebastelten Flammenwerfer und einer rasiermesserscharfen Lanze in die Volksschule in Köln-Volkhoven ein. Er ermordete acht Kinder und zwei Lehrinnen. Weitere 20 Kinder und zwei Lehrerinnen erlitten schwere Verletzungen, die sie in ihrem ganzen Leben beeinträchtigen sollten. Der Name des Attentäters ist bekannt. Um ihm nicht auch noch posthum eine Bühne zu bieten und auch aus Respekt vor den Opfern nenne ich in diesem Artikel den Namen des Täters nicht.

Ein ganz normaler Donnerstag wird zum Inferno

Es war ein ganz normaler Donnerstag in der Volkhovener Volksschule. Etwa 380 Kinder und acht Lehrkräfte hielten sich auf dem Schulgelände auf. Ein sonniger Tag, auf dem Schulhof turnte eine Gruppe Mädchen, es war die Sportstunde bei Lehrerin Anna Langohr. In den Klassen wurde Rechnen und Schreiben unterrichtet – Schulbetrieb wie immer.

Doch dann kam S. auf den Schulhof. Bewaffnet mit einem selbstgebauten Flammenwerfer und einer etwa 1,50 Meter langen Lanze betritt er das Schulgelände. Besonders perfide: Er hatte speziell angefertigte Keile dabei, mit denen er das Tor zum Schulhof verkeilte. Vor der Tür wurde S. von drei Schülerlotsen angesprochen. Sie hielten ihn für einen Handwerker, der das Tor reparieren wollte. Der Attentäter reagierte nicht auf die Schülerlotsen.

Das Schulhofs-Tor. Der Attentäter hatte dieses verkeilt. Zur Zeit des Attentats waren im Hof zusätzlich Baracken als Schulräume aufgebaut. Bild: Lucia Clemens, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Das Schulhofs-Tor. Der Attentäter hatte dieses verkeilt. Zur Zeit des Attentats waren im Hof zusätzlich Baracken als Schulräume aufgebaut. Bild: Lucia Clemens, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

In der Ecke des Schulhofs bemerkte die Lehrerin Anna Langohr den Täter und stellte sich schützend vor die Kinder. S. zögerte nicht und richtete den Flammenwerfer auf die Lehrerin, deren Kleidung sofort in Brand gerät. Danach ging er zum Pavillon der vierten Klasse, schlägt ein Fenster ein und richtete den Flammenwerfer durch das Fenster in das Klassenzimmer. Sofort stand die Kleidung zahlreicher Kinder und der Lehrerin in Brand. Ein Junge schaffte es, den Raum zu verlassen, wurde aber direkt von S. mit dem Flammenwerfer angegriffen und ebenfalls in Brand gesetzt.

Danach greift der Attentäter einen zweiten Klassenraum an. Er schlägt auch hier Fenster ein und setzte den Flammenwerfer solange ein, bis der Tank leer war. In diesem Klassenraum gelang es der Lehrerin Gertrud Bollenrath, bei einigen Kindern die Flammen zu ersticken. Erst danach läuft sie auf den Schulhof, um sich den S. in den Weg zu stellen. Dieser sticht die Lehrerin mit der Lanze nieder. 

Die ehemaligen Baracken auf dem Schulgelände wurden abgerissen, das Schulhaus steht noch heute. Bild: Superbass, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Die ehemaligen Baracken auf dem Schulgelände wurden abgerissen, das Schulhaus steht noch heute. Bild: Superbass, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Täter nimmt Pflanzengift

In den beiden noch nicht angegriffenen Pavillons versuchen die beiden Lehrerinnen, Frau Kuhr und Frau Kunz, von innen die Türen zu blockieren und halten die Türklinken fest. Dem Attentäter gelingt es aber, die Tür aufzureißen. Ursula Kuhr stürzt ihm entgegen und wird von Lanzenstichen in den Oberschenkel verletzt. Sie kann sich zwar wieder erheben, wird aber von S. mit einem weiteren Lanzenstich in den Rücken getroffen.

S. nimmt noch auf dem Schulhof in suizidaler Absicht das hochgiftige Pflanzenschutzmittel E 605 zu sich, bevor er vom Schulhof über einen Zaun klettert und flieht.  Zwischenzeitlich sind Polizisten am Tatort eingetroffen und verfolgen S. Sie könnten ihn auf einem Bahndamm stellen und werden von dem Täter mit der Lanze angegriffen. Erst nach einem gezielten Pistolenschuss in den Oberschenkel konnte S. überwältigt werden.

Der aus einer Pflanzenspritze selbstgebaute Flammenwerfer wird im Kölner Stadtmuseum ausgestellt, Bild: Uli Kievernagel
Der aus einer Pflanzenspritze selbstgebaute Flammenwerfer wird im Kölner Stadtmuseum ausgestellt, Bild: Uli Kievernagel

Versorgung der Opfer

Zufällig vorbeikommende Mitarbeiter der städtischen Müllabfuhr gelingt es, dass durch den Keil blockierte Tor aufzubrechen und die immer noch brennenden Kinder zu löschen. Zur Versorgung der Opfer halten sie vorbeifahrende Fahrzeuge an und sorgen so dafür, dass viele Kinder so noch vor dem Eintreffen der Rettungskräfte in umliegenden Krankenhäusern versorgt werden. Währenddessen treffen Sanitäter der Feuerwehr und des Malteser Hilfsdienstes ein. Außerdem verstärken Bundeswehr-Sanitäter aus der (heutigen) Lüttich-Kaserne die Kräfte.

In den Krankenhäusern – die verletzen Kinder wurden in die Kliniken Heilig-Geist-Krankenhaus, Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße, Vinzenz-Krankenhaus in Nippes und die Kölner Universitätsklinik gebracht – konnten die durch die massiven Brandverletzungen entstellten Kinder zunächst nicht alle zweifelsfrei identifiziert werden. Später wurde eine Lehrerin mit der Rettungsmedaille des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet, weil sie die Kinder in den Krankenhäusern identifizierte.

Bei einzelnen Kindern wurden durch die Verbrennungen bis zu 90% der Körperoberfläche zerstört. Noch vier Wochen nach der Tat schwebten zehn Kinder in Lebensgefahr, erst zwei Monate später waren alle Kinder außer Lebensgefahr. Allerdings mussten 19 Kinder sowie die Lehrerin Anna Langohr noch Monate im Krankenhaus verbringen, ein Jahr nach der Tat war ein Mädchen immer noch im Krankenhaus. Alle Opfer mussten weiter ärztlich behandelt werden.

Bericht aus der Honnefer Volkszeitung vom 12. Juni 1964 zum Attentat in Volkhoven
Bericht aus der Honnefer Volkszeitung vom 12. Juni 1964 zum Attentat in Volkhoven

Wochenlange Vorbereitung auf das Attentat

Die späteren Ermittlungen zeigen, dass S. das Attentat sehr akribisch geplant hatte. Der gelernte Dreher hatte an die Spitze seiner Lanze einen extrem scharfen Dreikantschaber montiert. Die brennbare Flüssigkeit in dem selbstgebauten Flammenwerfer hatte er speziell aus Benzin, Öl und Lackverdünner gemischt.

Bei der Vernehmung kurz vor seinem Tod, den er selbst durch das Pflanzengift E605 herbeigeführt hatte, gab er an, die Tat schon seit mehr als acht Wochen geplant zu haben. Als Motiv für die Tat gab er an, dass man ihn töten wollte. Er würde weder die Kinder noch die Lehrerinnen kennen, weitere Angaben wären, so S., „zu langatmig“.

Vorher hatten Ärzte bei S. einen „Schizophrenen Defektzustand und paranoide Entwicklung“ festgestellt. Da er aber als nicht gefährlich eingestuft wurde, konnte er auch nicht in eine Anstalt eingewiesen werden. Der Attentäter verstarb am Abend des 11. Juni 1964.

Grabstätte Ursula Kuhr auf dem Südfriedhof, Bild: Thomas Salditt
Grabstätte Ursula Kuhr auf dem Südfriedhof, Bild: Thomas Salditt

Die Opfer

Die Lehrerin Ursula Kuhr verstarb noch am Tatort. Die ebenfalls mit der Lanze attackierte Gertrud Bollenrath erlag noch am gleichen Tag im Heilig-Geist-Krankenhaus ihren Verletzungen.

In den folgenden drei Wochen sollten acht der schwer durch Brandwunden verletzen Kinder sterben: Dorothea Binner, Klara Kröger, Stephan Lischka, Renate Fühlen, Rosel Röhrig, Ruth Hoffmann, Karin Reinhold und Ingeborg Hahn.

Diese acht Kinder wurden auf dem Friedhof in Weiler gemeinsam beigesetzt. An der Beerdigung der ersten vier verstorbenen Kinder am 20. Juni 1964 nahmen mehr als 2.000 Menschen teil. Die Trauerfeier hielt der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings. Fünf Jahre später wurde auf dem gemeinsamen Grab der getöteten Kinder eine Säule aufgestellt, auf der sich von Flammen umschlungene Blätter finden.

Das Grabmal für die acht getöteten Kinde bei dem Attentat in Volkhoven. In der Mitte ist ein Denkmal des Kölner Bildhauers Elmar Hillebrand aufgestellt. Auf dieser Säule sind von Flammen umschlungene Blätter dargestellt. Bild: Lucia Clemens, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Das Grabmal für die acht getöteten Kinde bei dem Attentat in Volkhoven. In der Mitte ist ein Denkmal des Kölner Bildhauers Elmar Hillebrand aufgestellt. Auf dieser Säule sind von Flammen umschlungene Blätter dargestellt. Bild: Lucia Clemens, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Ursula Kuhr wurde in einem Ehrengrab auf dem Südfriedhof bestattet. Zur Erinnerung trägt die Grundschule Volkhovener Weg in Köln-Heimersdorf den Namen Ursula-Kuhr-Schule. Außerdem gibt es einen Ursula-Kuhr-Weg in Volkhoven.

Das Grab der Lehrerin Gertrud Bollenrath befindet sich auf dem Kölner Nordfriedhof. Nach ihr wurde eine Förderschule für Lernbehinderte in Volkhoven/Weiler benannt, die allerdings wegen eines Neubaus 2016 abgerissen wurde. Seit 2018 trägt die Förderschule Soldiner Straße in Heimersdorf den Namen „Gertrud-Bollenrath-Schule“.

Das Grabmal von Gertrud Bollenrath - mit Gedenkstein auf dem Kölner Nordfriedhof, Bild: Egidius~dewiki, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Das Grabmal von Gertrud Bollenrath – mit Gedenkstein auf dem Kölner Nordfriedhof, Bild: Egidius~dewiki, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Bei der Beisetzung von Ursula Kuhr und Gertrud Bollenrath sprach auch der damalige Oberbürgermeister Theo Burauen. Seine Worte:

„Das Herz der Stadt stand still.“


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Deutschlandfunk – Kalenderblatt vom 11. Juni 2024

Im „Kalenderblatt“ des Deutschlandfunks erinnert Irene Geuer an das Attentat in Volkhoven. Reinhören lohnt sich, es kommen auch die Betroffenen  zu Wort. 


Die Simultanhalle in Volkhoven, Bild: Elke Wetzig (Elya), CC BY-SA 3.0
Die Simultanhalle in Volkhoven, Bild: Elke Wetzig (Elya), CC BY-SA 3.0

Simultanhalle

Die verkohlten Pavillons der Volksschule in Köln-Volkhoven wurden abgerissen, nur das Schulgebäude blieb stehen. Dort erinnert heute eine Gedenktafel an das Attentat. Auf dem ehemaligen Schulhof wurde 1979 die „Simultanhalle“, ein Versuchsgebäude für das Museum Ludwig errichtet.


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