Kölner Stadtteile: Riehl – mehr als nur Zoo und Flora

Ich bin sehr stolz, in der Reihe über die „Kölschen Veedel“ heute einen prominenten Gastautor begrüßen zu dürfen: Joachim Brokmeier ist ein ausgewiesener Kenner der Kölner Stadtgeschichte.

Der ausgewiesene Köln-Kenner und Riehl-Experte Jochaichm Brokmeier, rechts eines seiner Bücher über Riehl. Bilder: Joachim Brokmeier
Der ausgewiesene Köln-Kenner und Riehl-Experte Jochaichm Brokmeier, rechts eines seiner Bücher über Riehl. Bilder: Joachim Brokmeier

Der Spezialist für den Stadtteil Riehl hat bereits mehrere Bücher über dieses Veedel veröffentlicht und publiziert regelmäßig in Tages- und Fachzeitungen. Heute schreibt er im „Köln-Ding der Woche“ über diesen ganz besonderen Stadtteil.

Ein großes DANKE an Joachim Brokmeier!


Kölner Stadtteile:
Riehl – mehr als nur Zoo und Flora

Im Jahr 1936 sorgte Riehl mit einem Mordfall über Wochen für Schlagzeilen – ein „Mord ohne Leiche“. Vermisst wurde die Witwe Grass, die alleine mit ihrem Verwalter Josef Ludwigs auf dem mittlerweile abgebrochenen Pilgram’schen Hof1Am Botanischen Garten 1-3 lebte. 

Eines Tages war die Witwe verschwunden. Schnell fiel der der Verdacht auf Josef Ludwig, der jedoch beteuerte, die Witwe wäre nur krank. Seltsam nur, dass Ludwig auf einmal jede Menge Geld in Kölner Lokalen verprasste. Selbstverständlich wurde er von der Polizei befragt – und Riehl wurde wegen dieses Falls weit über die Grenzen Kölns hinaus bekannt.

Tatsächlich ist Riehl aber mehr als nur der Tatort einer Kriminalgeschichte.

In Riehl ließen die Kölner Erzbischöfe ihre Münzen prägen

Beim Bau der Mülheimer Brücke wurden römische und im weiteren Riehl fränkische Funde gemacht. Riehl war, bis zur Säkularisierung im Jahr 1803, über 400 Jahre eine „Herrlichkeit“ des Klosters Altenberg.2„Herrlichkeit“ bedeutet, dass das Kloster Altenberg das Lehnsrecht und die Gerichtsbarkeit über Riehl ausübte.

Obwohl das Gebiet vorrangig landwirtschaftlich geprägt war, gab es dort auch eine Münzprägestätte der Kölner Erzbischöfe. Noch heute erinnert der Straßenname „An der Münze“ daran. Diese Straße gehört nunmehr zum Stadtteil Neustadt-Nord.

Riehl im Jahr 1789 (gelb schraffierte Fläche) und heute (rote Markierung), Karte: Burgbann von Köln, Wilhelm Fabricius
Riehl im Jahr 1789 (gelb schraffierte Fläche auf der linksrheinischen Seite) und heute (rote Markierung), Karte: Burgbann von Köln, Wilhelm Fabricius

Tatsächlich ist Riehl „geschrumpft“: Reichte es ursprünglich vom Rhein bis zur Niehler Straße und von der heutigen Einfahrt zum Niehler Hafen bis zur Kölner Stadtmauer, so sind heute die Grenzen des Stadtteils von der Mülheimer Brücke bis zur Zoobrücke und vom Rhein bis zur Amsterdamer Straße. Hier leben heute3Stand: September 2024 ca. 12 000 Einwohner.

Nach der Säkularisierung wurde Riehl 1802 der Gemeinde Longerich zugeordnet. 1886 bildete Riehl mit Nippes eine eigenständige Gemeinde. Das war aber nur von kurzer Dauer. Bereits 1888 wurde auch Riehl – wie viele andere Gemeinden, zum Beispiel Marienburg, Raderberg mit Raderthal, Zollstock oder Deutz – nach Köln eingemeindet.

Der alte Zooeingang mit den Hirschen, Bild: Sammlung Brokmeier
Der alte Zooeingang mit den Hirschen, Bild: Sammlung Brokmeier

Flora, Zoo und Vergnügungspark ziehen die Kölner an

Riehl entwickelte sich rasch zu einem bedeutenden Vergnügungsviertel von Köln. Bereits 1860 wurde der Kölner Zoo eröffnet und fand bei den Kölnern wegen der exotischen Tiere großen Zuspruch. Die 1864 eröffnete Flora war eher etwas für die „Hautevolee“ von Köln. Den Eintritt konnten sich nur wenige Reiche leisten. Das Festhaus glänzte mit seinem 57 Meter langen Glaskuppeldach und auch das französische Parterre4Ein prächtig gestalteter Bereich mit Blumenrabatten, ornamentalen Rasenflächen und Tortenbeeten. konnte vom Tor aus bewundert werden – ohne Eintritt zu bezahlen.

Der Eingang zur Flora, Bild: Sammlung Brokmeier
Der Eingang zur Flora, Bild: Sammlung Brokmeier

1909 entstand dann auf dem Gelände der Gaststätte Hohenzollerngarten5an der Riehler Straße von der Frohngasse bis zum Neußer Wall der „Amerikanische Vergnügungspark“ mit vielen Attraktionen wie Wasserrutsche, Gebirgsbahn, Lachhaus (Spiegelkabinett) und einem Karussell. In der „Münchener Bierhalle“, der „Kölnischen Bierhalle“ oder auch im „Café am See“ gab es Bier, Kaffee und mehr für die Ausflügler.

Der Amerikanische Vergnügungspark, Bild: Sammlung Brokmeier
Der Amerikanische Vergnügungspark, Bild: Sammlung Brokmeier

Nach dem ersten Weltkrieg wurde das Gelände in „Luna Park“ umbenannt, aber bereits 1927 geschlossen, weil der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer beschloss, den Grüngürtel bis zum Rhein zu verlängern.

Da der Zoo, die Flora, der Vergnügungspark und der Festplatz (heute Skulpturenpark) besonders an Wochenenden viele Besucher anzogen, entstand an der Ecke Frohngasse / Riehler Straße / Rheinuferstraße eine „Fressmeile“. Der Kurfürstengarten, die Süddeutsche Bierhalle, das Fischerhaus Gerstenbroich und das Wattlers Fischerhaus waren die bekannteren Häuser. In der Nähe des Zoos gab es auch das Riehler Haus, das Café Zillisch und den „Blauen Affen“.

Von den zahlreichen Gasthäusern an der Frohngasse existiert nur noch Wattler's Fischerhaus, heute Restaurant Richters, Bild: Sammlung Brokmeier
Von den zahlreichen Gasthäusern an der Frohngasse existiert nur noch Wattler’s Fischerhaus, heute Restaurant Richters, Bild: Sammlung Brokmeier

Doch auch die diese Gasthäuser an der Frohngasse sind durch den Ausbau des Grüngürtels 1927 verschwunden. Lediglich Wattler’s Fischerhaus am Rhein – heute Restaurant Richters – überlebte.

 Die Riehler Radrennbahn

Ein besonderes sportliches Highlight war die „Riehler Radrennbahn“, die 1889 zunächst als Sandbahn – gesponsert durch die Gummiwerke Clouth – eröffnet wurde. Hier fanden viele internationale Rennen statt. Das Gelände der Radrennbahn wurde aber auch für andere Veranstaltungen genutzt: So war unter anderem 1890 Buffalo Bill mit seiner Wild West Show dort zu Gast. Im Jahr  1910 demonstrierten hier etwa 15.000 Menschen gegen das Dreiklassenwahlrecht.

Die Riehler Radrennbahn, Bild: Sammlung Brokmeier
Die Riehler Radrennbahn, Bild: Sammlung Brokmeier

Als dann ab 1920 das Müngersdorfer Stadion mit einer Radrennbahn ausgebaut wurde, verblasste der Glanz und 1955 wurde die Riehler Radrennbahn endgültig geschlossen. Heute befindet sich genau an dieser Stelle der Elefantenpark und der Spielplatz im Zoo.

Um 1900 war Riehl der größte Militärstandort von Köln

Nach Gründung des Deutschen Reiches wurde Riehl zum größten Militärstandort in Köln ausgebaut. So entstand 1893 die Kaserne für das Feldartillerie-Regiment Nr. 59 an der Ecke Amsterdamer Straße / Barbarastraße. Heute befindet sich dort das Bundesverwaltungsamt. Diese Anlage wurde 1899 nach Osten wesentlich erweitert, wobei ein gewisser Herr Fischer die Bauten finanzierte und diese an den Fiskus verpachtete. Noch heute gehört diese Anlage einer Erbengemeinschaft.

Die Wache des Infanterie Regiments 65 in der Kaserne Boltensternsstraße, Bild: Sammlung Brokmeier
Die Wache des Infanterie Regiments 65 in der Kaserne Boltensternsstraße, Bild: Sammlung Brokmeier

1890 wurden an der Boltensternstraße in Höhe der Hittoffstraße fünf Militärbaracken errichtet. Das Gelände für eine spätere Kasernenstadt an dieser Stelle in Richtung Rhein musste zunächst um zwei Meter aufgeschüttet werden, um dort ca. 80 Kasernenbauten zu errichten. In dieser Kasernenstadt fanden dann ein Infanterieregiment und zwei Pionierbataillone Unterkunft.

Der Schießstand nördlich der Kaserne Boltensterstraße, Bild: Sammlung Brokmeier
Der Schießstand nördlich der Kaserne Boltensterstraße, Bild: Sammlung Brokmeier

Die im Norden angrenzende „Mülheimer Heide“ war das Übungsgelände für die Soldaten mit einem Schießstand. Dort ist es heute viel friedlicher: Hier wurden u.a. Schrebergärten, Wohnhäuser und der Niehler Hafen angelegt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Riehler Kasernenbauten bis 1926 durch die englischen Soldaten belegt.

Hochwasser in der Boltensternstraße - die Kaserne war nur per Boot erreichbar, Bild: Sammlung Brokmeier
Hochwasser in der Boltensternstraße – die Kaserne war nur per Boot erreichbar, Bild: Sammlung Brokmeier

Der Rhein mit seinem Hochwasser gefährdet Riehl

Die Hochwasser des Rheins waren eine ständige Gefahr für Riehl. Um überhaupt dort bauen zu können, wurden alle geplanten Baugrundstücke und geplanten Straßen um bis zu zwei Meter angehoben.

Am linken Bildrand der Deich und rechts das Vorflutgelände Rheinaue, Bild: Sammlung Brokmeier
Am linken Bildrand der Deich und rechts das Vorflutgelände Rheinaue, Bild: Sammlung Brokmeier

Aber auch diese Anhebung bot keinen dauerhaften Schutz vor den Fluten des Rheins. Daher wurde, im Zusammenhang mit dem Bau der Mülheimer Hängebrücke (1927-1929), ein Deich zum Schutz von Riehl gebaut und ein Vorflutgelände zum Schutz von Mülheim angelegt. Da ist heute die „Rheinaue“

Bis heute ein wichtiger Rheinübergang

Der Rheinübergang bei Riehl war seit jeher ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Bereits 1268 gab es eine Fährgerechtsame6Eine Fährgerechtsame ist das Recht zur Erhebung von Gebühren für die Übersetzung von Personen, Gütern oder Fahrzeugen mit einer Fähre über einen Fluss. nach Mülheim.

Die Einweihung der Hängebrücke im Jahr 1929, Bild: Sammlung Brokmeier
Die Einweihung der Hängebrücke im Jahr 1929, Bild: Sammlung Brokmeier

Um 1700 wurde eine Gierponte7Eine Gierponte wird auch Gierseilfähre, Gierfähre, oder „Fliegende Brücke“ genannt. Das Prinzip ist, dass ein Floß zur Fortbewegung die Strömung des zu überquerenden Flusses ausnutzt. eingerichtet. 1888 wurde die Mülheimer Schiffbrücke in Betrieb genommen. Allerdings reichte deren Kapazität nicht aus, um das stetig steigende Verkehrsaufkommen zu bewältigen. So wurde von 1927 – 1929 eine Hängebrücke errichtet, die nach der Kriegszerstörung 1951 wieder in Betrieb genommen wurde und nun bereits seit vielen Jahren8Stand: September 2024 saniert wird.

Die Seilbahn im Jahr 1957 mit Blick auf den Fordturm, der 1963 abgerissen wurde. Bild: Sammlung Brokmeier
Die Seilbahn im Jahr 1957 mit Blick auf den Fordturm, der 1963 abgerissen wurde. Bild: Sammlung Brokmeier

Die Rheinseilbahn

Seit 1957 verfügt Riehl auch über ein ganz besonderes Verkehrsmittel: Zur Bundesgartenschau wurde die Rheinseilbahn eröffnet – die erste einen Fluss überquerende Seilbahn Deutschlands. Doch dieses bei Kölnern und Besuchern äußerst beliebte Verkehrsmittel wurde im September 1963 wegen des Baus der Zoobrücke demontiert. Doch das war mit den Kölner nicht zu machen! Auf Druck der Bevölkerung beschloss der Stadtrat die Wiederinbetriebnahme mit einer etwas veränderten Trassenführung mit gleichzeitiger Überquerung der Zoobrücke.

In der "Goldenen Hochzeitsgondel" der Kölner Seilbahn können Brautpaare den Bund fürs Leben schließen, Bild: Kölner Seilbahn-Gesellschaft mbH
In der „Goldenen Hochzeitsgondel“ der Kölner Seilbahn können Brautpaare den Bund fürs Leben schließen, Bild: Kölner Seilbahn-Gesellschaft mbH

Und so verbindet diese Seilbahn heute immer noch das Deutzer Parkgelände mit dem Zoo und der Flora. Für Kölnerinnen und Kölner, die sich auf ewig binden wollen, besteht seit 2008 die Möglichkeit, in einer goldenen Hochzeitsgondel standesamtlich zu heiraten. Kleiner Haken: In die Gondel passen nur das Brautpaar und der Standesbeamte oder die Standesbeamtin.

Eindrucksvolle Villen

Der alte bauliche Kern von Riehl entstand um 1900 an der heutigen Stammheimer Straße zwischen der Hittorfstraße und der Pionierstraße. Es waren meist dreigeschossige Häuser und erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Erdgeschosswohnungen in Geschäfte umgebaut. In diesem Bereich lag auch das Postgebäude, die erste Riehler Schule und gegenüber an der Ecke Pionierstraße die Riehler Katholische (Not)Kirche.

Stammheimer-Str. 9-11 vor1945, Bild: Sammlung Brokmeier

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Stammheimer-Str. 9-11 vor1945, Bild: Sammlung Brokmeier

Am Anfang der Stammheimer Straße, in Höhe des Zoos, entstanden um 1900 sehr prachtvolle Stadthäuser im neuklassizistischen Stil, im Neobarock und im Jugendstil, welche fast alle heute noch existieren und das Flair von Riehl bestimmen.

In Köln war in den 1920 Jahren die Wohnungsnot sehr groß und die Familien wollten raus aus den Mietskasernen in der Innenstadt. So plante der Architekt Manfred Faber an dem Riehler Tal eine lichtdurchflutete Wohnanlage mit 631 Wohnungen, die 1929 bezogen wurden und unter dem Namen „Naumannsiedlung“ bekannt ist.

Das Naumannviertel, Bild: Sammlung Brokmeier
Das Naumannviertel, Bild: Sammlung Brokmeier

Der heutige Wohnwert in Riehl ist durch die noch erhaltenen Villen für die englischen Besatzungssoldaten von 1919 bis 1926 geprägt. Zwischen der Straße Am Botanischen Garten und der Amsterdamer Straße sind damals etwa 100 Gebäude – meist Einfamilienhäuser – für die höheren Dienstgrade entstanden.

Kasernen werden zu den „Riehler Heimstätten“

Da das Rheinland nach dem ersten Weltkrieg entmilitarisiert wurde und die englischen Soldaten abgezogen waren, standen die Kasernenbauten an der Boltensternstraße leer. Die damalige Leiterin des Wohlfahrtsamtes, Dr. Hertha Kraus, hatte die Idee, einen Teil der Häuser in eine Alteneinrichtung umzuwandeln. Ihr Ziel war es, die Wohnungsnot in Köln zu lindern, die Krankenhäuser in Köln von Pflegefällen zu entlasten und einen Ersatz für das baufällige Siechenheim in der Quentelstraße zu schaffen.

rst Kaserne Boltensternstraße und dann Riehler Heimstätten, heute SBK – die Sozial-Betriebe-Köln. Bild: Sammlung Brokmeier
rst Kaserne Boltensternstraße und dann Riehler Heimstätten, heute SBK – die Sozial-Betriebe-Köln. Bild: Sammlung Brokmeier

So entstanden im Jahr 1927 die „Riehler Heimstätten“ – eine modellhafte dreistufige Einrichtung für Menschen mit und ohne Pflegebedarf:

  • Gruppe 1: Ein Wohnstift mit 730 Senioren, die sich selbst versorgen konnten.
  • Gruppe 2: Ein Versorgungsheim für 420 Menschen, die nicht pflegebedürftig waren, sich aber nicht alleine versorgen konnten.
  • Gruppe 3: Ein Pflegeheim für 680 hilfsbedürftige Menschen.

Aus den „Riehler Heimstätten“ wurden die SBK – die Sozial-Betriebe-Köln. Diese Einrichtung genießt bis heute einen guten Ruf in der Seniorenbetreuung.

Die Kirche St. Engelbert von Dominikus Böhm, Bild: Sammlung Brokmeier
Die Kirche St. Engelbert von Dominikus Böhm, Bild: Sammlung Brokmeier

Die „Zitronenpressse“ von Böhm in Riehl

Für die Riehler Einwohner gab es viele Kirchen, wie z. B. die katholische Notkirche an der Pionierstraße, die Kreuzkapelle an der Stammheimer Straße für die evangelischen Christen mit dem Nachfolgebau, der Stephanuskirche an der Brehmstraße.

Von ganz besonderer Bedeutung ist aber die St. Engelbert-Kirche am Riehler Gürtel, erbaut von 1930 bis 1932. Die eigenwillige Architektur des Architekten Dominikus Böhm irritierte nicht nur die Gemeindemitglieder, sondern auch die Geistlichkeit. Auf hohem Podest erheben sich die parabelförmigen, mit Backsteinen verblendeten Außenwände. Das Metalldach ist zwischen den einzelnen Wandstücken tief eingekerbt und heruntergezogen. Der Chor springt aus dem achtteiligen Kreisgrundriss hervor. Bei den Riehler Bürger war das Gotteshaus schnell als „Zitronenpresse“ bekannt.

Riehl heute ist klein und fein un "e Jeföhl". Foto Happe, Sammlung Brokmeier
Riehl heute ist klein und fein un „e Jeföhl“. Foto Happe, Sammlung Brokmeier

Heute ist Riehl „klein aber fein“

Nach wie vor extrem beliebt sind Flora und Botanischer Garten. Insbesondere seit diese ab den 1920er Jahren auch für die breite Öffentlichkeit zugänglich wurden.

Die Rheinaue mit dem Deich, der durch eine Lindenallee bis zur Mülheimer Brücke bekrönt ist, lädt zum Sonnen, zum Grillen, zum Radfahren und zu Spaziergängen ein. Zur Bundesgartenschau 1975 wurde ein Teil des Geländes mit einbezogen und auch das bekannte Tivoli bestand hier einige Zeit.

Heute ist Riehl „klein aber fein“. Die lang zurückreichende Geschichte, Ausflugsziele wie Zoo und Flora und auch die direkte Nähe zum Rhein machen Riehl zu einem der bevorzugten Kölner Veedel, das auch durch viele Vereine und Gemeinschaftsaktivitäten belebt wird.

Und wie war das jetzt mit der Witwe Grass?

Der schlagzeilenträchtige Fall der Witwe Grass mündete 1936 in einem spektakulären Indizienprozess: Der von der Polizei befragte Verwalter Josef Ludwigs, der dadurch auffiel, dass er sehr viel Geld in Kölner Gasthäusern verprasste, verstrickte sich bei seiner Vernehmung in Widersprüche. Doch nach wie vor war die Leiche der Witwe nicht aufzufinden. Allerdings bemerkten die Nachbarn einen „widerlichen Brandgeruch“.

Schlagzeile aus dem "Oberbergischen Boten" vom 7. April 1936 zum Urteil gegen Josef Ludwigs
Schlagzeile aus dem „Oberbergischen Boten“ vom 7. April 1936 zum Urteil gegen Josef Ludwigs

Ludwigs wird verhaftet, wegen Mordes angeklagt und schließlich auch zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt – allerdings fehlte der echte Beweis seiner Schuld.

Aber: Der Leichnam der Witwe wurde nicht gefunden. Bis heute.


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Kölner Stadtteile: Kalk (Teil 2) – vom Ersten Weltkrieg bis heute

Die Kalker Hauptstraße um 1905, Bild: Historisches Archiv der Stadt Köln, Außenstelle Porz
Die Kalker Hauptstraße um 1905, Bild: Historisches Archiv der Stadt Köln, Außenstelle Porz

Im Köln-Ding der Woche „Kölsche Stadtteile Kalk – Teil 1“ ging es um die Entwicklung Kalks bis zur Verleihung der Stadtrechte im Jahr 1881. Dieser zweite Teil beschreibt die Entwicklung dieses Stadtteils bis heute.


Umbruch im Ersten Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg führte ab 1914 zu einer Zäsur in der Entwicklung Kalks. Die Produktion der florierenden Industrie wurde auf kriegswichtige Güter umgestellt. Die Chemische Fabrik Kalk produzierte Sprengstoffe und Munition, die verschiedenen Maschinenbaubetrieben produzierten Rüstungsgüter. In den anderen Betrieben herrschte akuter Rohstoffmangel – die Produktion kam zum Erliegen.

Die Lebensmittelversorgung wurde rationiert, nur durch mobile „Gulaschkanonen“ konnte die Versorgung sichergestellt werden. Der daraus resultierende Unmut der Bevölkerung führte zu Streiks in den Betrieben. Höhepunkt war der 6. Juli 1917. An diesem Tag streikten mehr als 12.000 Arbeitnehmer in Kalk und Deutz. Um die Produktion der kriegswichtigen Güter nicht zu gefährden, erfüllten die Arbeitgeber die Forderungen der Streikenden.

Nach dem Krieg war die Umstellung der Produktion auf zivile Güter schwieriger als gedacht. Rohstoffe waren weiterhin Mangelware. Zusammen mit der hohen Inflation ab 1922 geriet auch in Kalk die Industrie in eine schwere Krise. Die Folge waren Massenarbeitslosigkeit und soziale Unruhen. Erst mit der Einführung der Rentenmarkt im Jahr 1923 und neuen Produktionsmethoden wie Fließbandarbeit erholten sich die Betriebe.

Blick in den Maschinensaal der Kalker Fabrik Mayer & Cie, (1913), Bild: Wilhelm Wendlandt : Die deutsche Industrie (1888-1913)
Blick in den Maschinensaal der Kalker Fabrik Mayer & Cie, (1913), Bild: Wilhelm Wendlandt : Die deutsche Industrie (1888-1913)

Kalk im Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg

Der Historiker Dr. Fritz Bilz hat sich intensiv mit der Geschichte Kalks beschäftigt und auch, zusammen mit der Geschichtswerkstatt Kalk, verschieden Bücher zu Kalk veröffentlicht.  

Bilz verweist auf die vergleichsweise niedrigen Wahlergebnisse für die NSDAP in Kalk. Die klassischen Arbeiterviertel in Kalk, wie z.B. an der Kalk-Mülheimer Straße oder der Vietorstraße wiesen hohe Stimmenanteile der Arbeiterparteien KPD und SPD auf.

Anders, so Bilz, verhielt sich das bei den Unternehmern in Kalk. Diese kooperierten mit den braunen Machthabern und konnten so, auch durch den Einsatz von Zwangsarbeitern, stark profitieren. Wie schon vor dem Ersten Weltkrieg wurden wieder vermehrt Rüstungsgüter produziert. So baute man bei Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) neben Lokomotiven auch Motoren für Panzer und U-Boote.

Durch diese Rüstungsproduktion war Kalk ein Hauptziel der Bombenangriffe auf Köln. Bei einem Angriff in der Nacht vom 3. auf den 4. Juli 1943 wurden große Teile des KHD-Werkes zerstört. Die Bombardierungen zerstörten etwa 90% der Industrieanlagen in Kalk. Die Zivilbevölkerung wurde fast vollständig evakuiert. Bei Kriegsende lebten nur noch etwa 300 Menschen in Kalk.

Volle Auslastung im Wirtschaftswunder

Wie überall mussten nach dem Krieg auch in Kalk zunächst die Trümmer weggeräumt werden. Riesige Schuttmassen wurden abgefahren, so entstand auch der „Vingster Berg“, einer der zahlreichen Trümmerhügel in Köln. Schnell wurde auch wieder mit der Produktion begonnen und die durch Bomben zerstörten Wohnhäuser wieder aufgebaut, um die benötigen Arbeiter unterzubringen.

Ehemalige Fabrikationshalle von Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) in Köln-Kalk, Bild: Rolf H., Public domain, via Wikimedia Commons
Ehemalige Fabrikationshalle von Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) in Köln-Kalk, Bild: Rolf H., Public domain, via Wikimedia Commons

In den Wirtschaftswunder-Zeiten wuchs Kalk wieder, die Betriebe waren voll ausgelastet. Aus Mangel an einheimischen Arbeitskräften wurden Gastarbeiter angeworben. Der Anteil der Migranten in Kalk stieg, durch günstige Mieten und die vielen Arbeitsplätze, rasch an. Anders als in der Vorkriegszeit waren in Kalk jetzt vorrangig zwei Branchen vertreten: Metallverarbeitende Betriebe und die chemische Industrie.

Der Kalkberg im März 2016, Bild: Raimond Spekking & Elke Wetzig / CC BY-SA 4.0
Der Kalkberg im März 2016 mit der Hubschrauberstation, Bild: Raimond Spekking & Elke Wetzig / CC BY-SA 4.0

Auch in Kalk waren in diesen Zeiten die Fragen des Umweltschutzes zweitrangig. So hat die Chemische Fabrik Kalk bis 1972 Abfälle aller Art so lange aufeinander geschüttet, bis der gut 30 Meter hohe Kalkberg entstanden ist. Was genau dabei alles verklappt wurde, kann heute niemand mehr sagen. Der Versuch, auf dem Kalkberg eine Station für Rettungshubschrauber  einzurichten ist gescheitert. Aktuell laufen die Bemühungen einer Bürgerinitiative, den Kalkberg als Naherholungsgebiet freizugeben.

Rezession ab Mitte der 1970er, U-Bahnbau Kalker Hauptstraße 

Ab etwa der Mitte der 1970er Jahre setzte auch in Kalk eine massive Rezession ein. Betriebe wie die Metallgießerei Peter Stühlen oder die Stahlbaufirma Albert Liesegang wurden Ende der 1970er Jahre geschlossen. KHD baute ab 1983 insgesamt 3.400 Arbeitsplätze ab. 1993 verloren die letzten der ursprünglich 2.400 Beschäftigten bei der Chemischen Fabrik Kalk ihre Arbeitsplätze. 

Dieser Niedergang betraf auch den Kalker Einzelhandel – viele Geschäfte mussten schließen. Das Infrastrukturprojekt „U-Bahn-Bau“ auf der Kalker Hauptstraße sorgte dafür, dass die Kalker Hauptstraße bis zur Eröffnung der Strecke im Jahr 1980 über Jahre hinweg eine Großbaustelle war. Der Bau der Strecke verzögerte sich massiv, weil Wasser in die Baugruben drang.

Probleme, die sich in ähnlicher Form bei der Nord-Süd-Stadtbahn etwa 30 Jahre später wiederholen würden und die eine Warnung für den geplanten U-Bahnbau der Ost-West-Strecke am Heumarkt bzw. Neumarkt sein sollten.

Atomschutzbunker in der Haltestelle Kalk-Post

Zusammen mit der U-Bahn wurde auch in der Haltestelle Kalk-Post ein riesiger Bunker angelegt. Dieses, für den „Kalten Krieg“ typische Bauwerk, sollte nach einem Atomangriff fast 2.400 Menschen für 14 Tage Schutz bieten.

Zugang zur Zwischenebene der Haltestelle Kalk Post in Köln-Kalk. Durch die hellen Bodenplatten ist der Bereich erkennbar, an dem dicke Stahltüren das Innere der Haltestelle zum Schutz vor einem Atomschlag hermetisch abgeriegelt hätten. Bild: Katharina Grünwald/Landschaftsverband Rheinland, CC-BY (2020)
Zugang zur Zwischenebene der Haltestelle Kalk Post in Köln-Kalk. Durch die hellen Bodenplatten ist der Bereich erkennbar, an dem dicke Stahltüren das Innere der Haltestelle zum Schutz vor einem Atomschlag hermetisch abgeriegelt hätten. Bild: Katharina Grünwald/Landschaftsverband Rheinland, CC-BY (2020)

Der Kalker Bunker war riesig: Von der U-Bahnhaltestelle sollte ein etwa 75 Meter Gang zu der insgesamt etwa 2.500 Quadratmeter großen Anlage führen. Immerhin eine Fläche so groß wie sechs Turnhallen. Neben dem Kalker Bunker gab es noch eine vergleichbare Anlage im U-Bahnhof Friesenplatz.

Der Vorsitzender der „Kölner Dokumentationsstätte Kalter Krieg“ Robert Schwienbacher weist darauf hin, dass die Nutzung des Bunkers darauf ausgelegt war, dass ein Kriegsgegner seinen Atombombenangriff mindestens 14 Tage vorher ankündigt. Nur dann wäre ausreichend Zeit gewesen, die Betten aufzubauen, Lebensmittel einzulagern und die Öltanks zu befüllen. Und der Bunker hätte auch nur funktionieren können, wenn die Bedienmannschaft der komplexen Anlage rechtzeitig eingetroffen wäre.1„Zivilschutzanlage und Atombunker im U-Bahnhof Kalk Post”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-255072, abgerufen am 30.06.2024

Die Anlage wurde erst im Jahr 2005 offiziell außer Dienst gestellt und ist heute eine Außenstelle des Kölner Festungsmuseums. Eine Besichtigung ist möglich, weitere Infos dazu auf der Website des Kölner Festungsmuseum e.V.

Das Polizeipräsidium in Kalk, Bild: Raimond Spekking
Das Polizeipräsidium in Kalk, Bild: Raimond Spekking

Vom Industriestandort zum Dienstleistungs- und Verwaltungsstandort

Seit vielen Jahren bestehen massive Anstrengungen, die Attraktivität von Kalk zu erhöhen. Dazu gehören Neubauten wie das große Wohnareal auf dem ehemaligen Gebiet der Chemischen Fabrik Kalk. Um das stark verunreinigte Gelände zu sanieren, unter anderem war der Boden mit Schwefel verseucht, wurde auf etwa 40 Hektar Fläche das gesamte Erdreich abgetragen.

Mit Ansiedlungen wie dem Odysseum, ein Ort für temporäre Ausstellungen, dem Polizeipräsidium am Walter-Pauli-Ring, zahlreichen städtischen Ämtern am Ottmar-Pohl-Platz und auch dem Einkaufszentrum „Köln Arcaden“ auf der Kalker Hauptstraße soll dem Stadtteil eine neue Attraktivität verliehen werden. Dazu gehört auch die im September 2022 eröffnete „Sünner Brauwelt“ im historischen Sünner Brauhaus an der Kalker Hauptstraße. Hier dreht sich alles um Bier und Spirituosen.

In keinem guten Zustand: Die ehemaligen Werkhallen von Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) in Kalk, Bild: Bild Florian Wächter, Pixabay
In keinem guten Zustand: Die ehemaligen Werkhallen von Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) in Kalk, Bild: Bild Florian Wächter, Pixabay

Die Stadt hat die ehemalige Hauptverwaltung der Klöckner-Humboldt-Deutz-Werke gekauft. Auf dem weitläufigen Gelände soll eine Mischung aus Kultur, Gewerbe und Wohnen entstehen.

Kalk als Kriminalitätsbrennpunkt

Trotz aller Bemühungen wird Kalk weiterhin als sozialer Brennpunkt bezeichnet. Kriminalität, Drogen, soziale Missstände haben diesem Stadtteil einen zweifelhaften Ruhm eingebracht.

Graffiti in Köln-Kalk, Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Graffiti in Köln-Kalk, Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Der Rapper Eko Fresh (Jahrgang 1983) ist auch in Kalk aufgewachsen. Die Situation im Problembezirk Kalk ist regelmäßig Thema seiner Lieder. In seinem Song „Gheddo“ (Eko Fresh feat. Bushido) lautet es:

Eko Fresh Ghetto Chef Junge denn es muß sein, Eko
Köln Kalk Hartz 4 komm in meine Hood rein. Fresh
Komm und guck was es heißt im Block hier zu Wohnen,
Wo man Leben muß von Drogen oder Prostitution.

Seit Oktober 2022 werden Teile von Kalk, genau wie der Bereich um den Dom, die Ringe, der Breslauer Platz, der Ebertplatz, der Neumarkt und der Wiener Platz mit Videokameras überwacht. Die Polizei bezeichnet diese Areale als „ … Kriminalitätsbrennpunkte mit einer Vielzahl an Delikten, deren Anzahl und Qualität sich im Vergleich zum Kölner Stadtgebiet signifikant abheben.“2Quelle: Polizei Köln, Polizeiliche Videobeobachtung in Köln, https://koeln.polizei.nrw/artikel/polizeiliche-videobeobachtung-in-koeln, abgerufen am 22. Juni 2024. Die Videobilder werden von der Polizei rund um die Uhr beobachtet, um sich anbahnende Straftaten frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.

Diese Videoüberwachung ist umstritten. So hat die Initiative „Kameras stoppen“ wiederholt gegen gegen die polizeiliche Videoüberwachung in Kalk geklagt. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln steht zur Zeit3Stand: 3. Juli 2024 noch aus.

Viele Autos - wenig Platz: Die Kalker Hauptstraße. Bild: Rolf H. (Rolf Heinrich, Köln), CC BY 3.0 via Wikimedia Commons
Viele Autos – wenig Platz: Die Kalker Hauptstraße. Bild: Rolf H. (Rolf Heinrich, Köln), CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

Kalker Hauptstraße: „So wie es ist, ist es Mist.“

Aktuell4Stand Juli 2024 wird über die Umgestaltung der Kalker Hauptstraße debattiert. Die Bezirksbürgermeisterin Claudia Greven-Thürmer bezeichnet diese Straße als „Schlagader des Bezirks“ – schon bevor die U-Bahn gebaut wurde. Allerdings, so Greven-Thürmer im Kölner Stadt-Anzeiger5Ausgabe vom 4. Juli 2024„Aus dem oberirdischen Freiraum nach dem Bau wurde nichts gemacht. Ich sage es ganz offen: Wir hätten schon längst eingreifen müssen. Maßnahmen sind überfällig.“ Das Fazit der Bezirksbürgermeisterin: „So wie es ist, ist es Mist.“

Durch Umgestaltungen wie zum Beispiel eine Einbahnstraßenregelung oder die Neuanordnung der Parkplätze soll mehr Raum für Fußgänger, Radfahrer und auch die Außengastronomie geschaffen werden.

Allerdings ist jetzt zunächst Verwaltung gefragt, einen Entwurf vorzulegen. Dort sind allerdings die Kapazitäten sehr eng. Erst 2025 soll ein Plan vorgelegt werden.

Hoffentlich schaffen das die Planer rechtzeitig – denn sonst droht ihnen, wie schon Tommi in „Voll normaaaal“ lebenslanges Köln-Kalk Verbot.


Gedenktafel für Karl Küpper am Haus Kalker Hauptstr. 215 in Köln-Kalk.
Gedenktafel für Karl Küpper am Haus Kalker Hauptstr. 215 in Köln-Kalk.

Büttenredner Karl Küpper betrieb eine Kneipe auf der Kalker Hauptstraße

Der Karneval und das Dritte Reich sind ein dunkles Kapitel. Zu den lobenswerten Ausnahmen gehört der Büttenredner Karl Küpper. Als „Ne Verdötschte“ machte sich Küpper auf Kölns Karnevalsbühnen über die Nazis lustig. Ein Klassiker waren seine Auftritte, die Hand zum Hitlergruß ausgetreckt und die Frage in den Raum „Is et am rääne?“ oder auch „Su huh litt der Dreck bei uns im Keller.“

Gleich zweimal wurde Karl Küpper von den Nazis von den Bühnen verbannt: Zunächst 1939 mit einem ausgesprochenen Auftrittsverbot durch die braunen Machthaber. In der Nachkriegszeit wurde er zum zweiten Mal Opfer der vermeintlichen Eliten. Die alten Nazis, die es in Politik und Gesellschaft wieder zu Ruhm und Ehre gebracht haben, stellten ihn mit einem faktischen Auftrittsverbot kalt. Um Geld zu verdienen, betrieb Karl Küpper von 1960 bis 1970 auf der Kalker Hauptstraße die Kneipe „Küppers Karl“.

Die ganze Geschichte zum „Verdötschten“ gibt es hier:
Is et am rääne? – Büttenredner Karl Küpper


Alternativer Karneval in Kalk: Fatal Banal. Immer mit der Hausband Kalk-Kapelle, Bild: Uli Kievernagel
Alternativer Karneval in Kalk: Fatal Banal. Immer mit der Hausband Kalk-Kapelle, Bild: Uli Kievernagel

Kalk Kapelle – die Hausband von Fatal Banal

Garantiert „tuschfrei“, gerne mit (lokal-) politischen Seitenhieben und herrlich respektlos wird seit 1992 zunächst im BÜZE / Bürgerzentrum Köln-Ehrenfeld, aktuell in den Abenteuerhallen Kalk, frecher, alternativer Karneval gefeiert.

Die Hausband trägt, nach einer Abstimmung unter den Fans, den Namen „Kalk Kapelle“

Fatal Banal - alternativer Karneval aus Ehrenfeld
Fatal Banal – alternativer Karneval, garantiert tuschfrei

Das Papiermodell und sein großes Vorbild: Der Kalker Wasserturm, Bild: Jens Neuhaus, www.papierdenkmal.de
Das Papiermodell und sein großes Vorbild: Der Kalker Wasserturm, Bild: Jens Neuhaus, www.papierdenkmal.de

Das Wahrzeichen von Kalk als Bastelbogen

Das gesamte Gelände der Chemischen Fabrik Kalk (CFK) wurde saniert. Übrig blieb nur der im Jahr 1904 errichtete Wasserturm. Mit seinen 43 Meter Höhe ist dieses Backsteinbauwerk zu einem Symbol für Kalk geworden und steht unter Denkmalschutz. 

Jens Neuhaus, Jahrgang 1985, lebt in Kalk. Seine Leidenschaft sind Bastelbögen: „Meine Bastelbögen sind eine Liebeserklärung an ebenjene Bauwerke, die den Menschen etwas bedeuten.“ Und so hat er einen Bastelbogen zum Kalker Wasserturm entworfen und stellt diesen kostenlos auf seiner Seite „Papierdenkmal“ zum Download zur Verfügung.

Ausschnitt aus dem Bastelbogen zum Kalker Wasserturm. Kostenloser Download auf der Website Papierdenkmal von Jens Neuhaus
Ausschnitt aus dem Bastelbogen zum Kalker Wasserturm. Kostenloser Download auf der Website Papierdenkmal von Jens Neuhaus

Neuhaus schätzt die Einfachheit des Materials: „Ohne im Fachhandel teure Plastikteile zu kaufen, entstehen Papiermodelle allein aus der eigenen Kreativität und Fingerfertigkeit heraus. Ein geradezu anachronistischer Reiz ergibt sich daraus, dass der Kartonmodellbau keine Abkürzungen zulässt: Nur geduldiges Arbeiten in den Mußestunden führt zu einem sauberen Ergebnis.“

Gewinnspiel

Die ersten drei Menschen, die mir ein Bild des selbst gebastelten Papier-Wasserturms schicken, lade ich auf eine Stadtführung mit mir ein. Also ran an Schere und Kleber, ich freue mich auf eure Bilder.

Schickt die Bilder bitte an uli@koeln-lotse.de


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Kölner Stadtteile: Kalk (Teil 1) – vom beliebten Ausflugsziel zum bedeutendem Industrieort

Die Industriestadt Kalk im Jahre 1908, kurz vor der Eingemeindung in die Stadt Köln. Bild: http://www.koeln-kalk.net/3kalk/Kknkbwts.htm, Public domain, via Wikimedia Commons
Die Industriestadt Kalk im Jahre 1908, kurz vor der Eingemeindung in die Stadt Köln. Bild: http://www.koeln-kalk.net/3kalk/Kknkbwts.htm, Public domain, via Wikimedia Commons

Es war im Jahr 1994 – auf einmal kannte (fast) ganz Deutschland Kölns Stadtteil Kalk:

„Pass op Jung, du kriss he Köln-Kalk Verbot!“

Dieses Köln-Kalk Verbot betraf einen gewissen Tommie, die Hauptfigur in Tom Gerhardts eher fragwürdigen Komödie „Voll normaaal“. Die Deutschen lachten über den eher tumben Tommie – und auch über die Darstellung des Stadtteils Kalk. Hellmuth Karasek, einer der renommiertesten Film- und Literaturkritiker Deutschlands, schrieb im SPIEGEL dazu:

„Deutschland, wo es am prallsten ist; Köln-Kalk, ein Spießer-Alptraum; nur durch Gerhardts rüde Scherze zu ertragen, kurz, die heile, unheilvolle Aldi-Welt.“1Heile Aldi-Welt in Der Spiegel, Ausgabe 46/1994

Und tatsächlich war nicht nur das Niveau des Films, sondern auch der Ruf von Kalk Ende der 1980er eher schlecht. Werksschließungen und ein massiver Abbau von Arbeitsplätzen brachten hohe Arbeitslosenzahlen mit sich. Kalk wurde zum „Problembezirk“ und hat sich bis heute, trotz massiver Anstrengungen der Stadt Köln, nicht davon erholt.

Früher noch beliebter Ausflugsort

Dabei war Kalk früher ein idyllisches Fleckchen und – heute unvorstellbar – ein Erholungsort. So beschreibt der ehemalige Lehrer Peter Simons das Örtchen Kalk als ein

„… Dörfchen mit wenigen Häusern und einer kleinen Muttergotteskapelle. Dahin wandern die Städter an Sonntagnachmittagen mit Kind und Kegel, nehmen Brote mit und in kleinen Tüten gemahlenen Kaffee. Für etliche Pfennige erhält man dort in einer Wirtschaft kochendes Wasser, so bereitet man sich den Kaffee selbst und freut sich von Herzen bei Sang und Spiel auf dem Rasen unter den Obstbäumen der Gärten.“2Peter Simons, Illustrierte Geschichte von Deutz, Kalk, Vingst und Poll: ein Beitrag zur Geschichte des kurkölnischen Amtes Deutz

Und tatsächlich war Kalk bis zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert ein kleiner, unscheinbarer und ländlicher Fleck auf der Landkarte. Aber der stetig steigende Anzahl der Pilger zum Bildnis der „Schmerzhaften Mutter Gottes“ führte ab etwa 1815 zu einem Boom: Die Kalker versorgten die Pilger mit Wasser, Kaffee oder Tee. Und mit Sicherheit auch mit „geistigen“ Getränken. Es entstanden Kaffeehäuser und Restaurants, zum Teil mit gestalteten Gartenanlagen und Tiergehegen.

Allerdings war Kalk immer noch sehr dünn besiedelt, im Jahr 1843 gab es gerade einmal 96 Einwohner. Dies sollte sich mit der Ansiedlung der ersten Industriebetriebe radikal verändern.

Das noch "unberührte Kalk", weit vor dem befestigten Deutz, Ausschnitt aus der Karte "Rheinland und Westfalen" (1834-1855), Bild: Geobasis NRW
Das noch „unberührte Kalk“, weit vor dem befestigten Deutz, Ausschnitt aus der Karte „Rheinland und Westfalen“ (1834-1855), Bild: Geobasis NRW

Baustoff oder Kalk-Lagerstätte?

Es ist nicht eindeutig geklärt, ob der Ortsname tatsächlich vom Baustoff Kalk oder vom mittelhochdeutschen Wort „Kolk“ abstammt.

Für die Version „Baustoff Kalk“ spricht die Vermutung, dass die Römer zum Bau der Colonia Claudia Ara Agrippinensium das heutige Gebiet von Kalk genutzt haben, um dort den Baustoff Kalk zu lagern.

Für die Variante „Kolk“ spricht, dass im mittelhochdeutschen Wortschatz damit ein Morast oder Sumpf, bezeichnet wurde. Und tatsächlich war die Gegend rund um das heutige Kalk früher eine eher feuchte, sumpfige Ecke.

Die Schenkungsurkunde aus dem Jahr 1003 (Ausschnitt). "Kalk" wird in der 5. Zeile (2. Wort) erwähnt. Bild: gemeinfrei
Die Schenkungsurkunde aus dem Jahr 1003 (Ausschnitt). „Kalk“ wird in der 5. Zeile (2. Wort) erwähnt. Bild: gemeinfrei

Die erste urkundliche Erwähnung von Kalk stammt aus dem Jahr 1003. Dort wird von Erzbischof Heribert festgelegt, dass das damals noch „Kalka“ genannte Gebiet der Benediktinerabtei Deutz gegenüber den „Zehnt“ abgabepflichtig ist.3Der „Zehnt“ ist eine Steuer in Form von Geld oder Naturalien. Ab spätestens 1298 besaß das St.-Severins-Stift das Gebiet.

Bis 1794 gehörte Kalk zum kurkölnischen Amt Deutz und wurde dann während der französischen Besatzung zunächst dem Herzogtum Nassau-Usingen und ab 1806 dem Großherzogtum Berg übertragen. Ab 1808 war Kalk ein Teil der Mairie Deutz.

Die „Schmerzhafte Mutter Gottes“

In einem kleinen Heiligenhäuschen stand ab ca. 1423 das Bildnis der „Schmerzhaften Mutter Gottes“. Es zeigt die leidende Maria mit dem Leichnam des vom Kreuz abgenommenen Jesus. Dieser Darstellung wurden wundertätige Heilkräfte nachgesagt, weil Kalk im Jahr 1665 von der Pest verschont blieb, während in den umliegenden Orten zahlreiche Opfer zu beklagen waren.

Darstellung der „Schmerzhaften Mutter Gottes“ aus dem 15. Jahrhundert in der Kalker Kapelle
Darstellung der „Schmerzhaften Mutter Gottes“ aus dem 15. Jahrhundert in der Kalker Kapelle

So wurde zum Dank ab 1666/1667 die Kalker Kapelle erbaut, die sich zur Pilgerstätte entwickelte. Dies war der Beginn der Wallfahrt zur „Schmerzhaften Mutter Gottes“ von Kalk. Im Jahr 1710 wurden bereits 700 Pilger gezählt, drei Jahre später schätzte man die Anzahl der der Pilger bereits auf mehrere Tausend Menschen.

Ab 1931 etabliert sich auch die Männerwallfahrt nach Kalk. Immer zwei Wochen vor Ostern pilgern Kölner Männer schweigend zur Kalker Kapelle. Dann wird an der „Schmerzhaften Mutter Gottes“ gebetet.

„Vom Dritten Reich befreie uns!“

In der Zeit der Nationalsozialisten wurde diese Wallfahrt auch zum politischen Statement. Im Jahr 1933 wurden bei der Prozession Flugblätter mit der Aufschrift „Von Satans Reich befreie uns!“ verteilt. Schnell wurde diese zu „Vom Dritten Reich befreie uns!“ umgewandelt. Die Zahl der Pilger wuchs stark an, 1935 sollen etwa 35.000 Männer schweigend nach Kalk gezogen sein. Wahrscheinlich wurde diese Anzahl Pilger in den Folgejahren noch übertroffen, doch die nationalsozialistischen Machthaber verhinderten die Veröffentlichung der Teilnehmerzahlen. Im Jahre 1940 wurden die Wallfahrten zur Kalker Kapelle von den braunen Machthabern verboten.

Die Kalker Kapelle wurde am 18. August 1941 durch einen schweren Bombentreffer vollständig zerstört. Dass die Darstellung der „Schmerzhaften Mutter Gottes“ unversehrt unter den Trümmern gefunden wurde, trug erheblich zu der Heiligenverehrung bei.

Das Interesse an der Männerwahlfahrt nahm in den 1990er Jahren erheblich ab, im Jahr 2004 nahmen nur einige Hundert Männer am Schweigegang teil. Erst durch eine große Kampagne mit durch privaten Spenden finanzierten Zeitungsanzeigen konnte die Teilnehmerzahl wieder auf mehr als tausend Männer gesteigert werden.

Kalk wird „Boomtown“

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Industrialisierung auch in Kalk massiv Fahrt auf. 1850 wurde die Porzellanfabrik Kalk gebaut, 1858 gründeten Julius Vorster und Hermann Grüneberg die Chemische Fabrik Vorster & Grüneberg, aus der später die Chemische Fabrik Kalk hervorgehen sollte.

Die Chemische Fabrik Kalk (CFK) im Jahre 1859, Bild: Hermann Gruenberg, Public domain, via Wikimedia Commons
Die Chemische Fabrik Vorster & Grüneberg, später Chemische Fabrik Kalk (CFK) im Jahre 1859, Bild: Hermann Gruenberg, Public domain, via Wikimedia Commons

Versuche, Braunkohle in Kalk abzubauen, stellten sich als nicht wirtschaftlich dar. Das Zechengelände wurde 1858 an die Gebrüder Sünner verkauft. Noch heute befindet sich an diesem Ort die Sünner-Brauerei – die älteste Kölsch-Marke.

Der Grundstein der heutigen Klöckner Humboldt Deutz AG wurde 1856 mit der Gründung der Maschinenfabrik Sievers & Co. gelegt. 1864 zogen Nikolaus August Otto und Eugen Langen mit ihrer Gasmotorenfabrik N. A. Otto & Cie von der Kölner Innenstadt nach Kalk. Aus diesem Unternehmen entstand die heute weltweit tätige Deutz AG.

Kalk war als Industriestandort begehrt, weil es außerhalb der zweiten Rayonlinie der preußischen Befestigungen lag. Der Rayon ist der Bereich rund um militärische Festungen, der nicht bebaut werden durfte. Kalk lag außerhalb dieser Zone, und es gab reichlich Platz.

Kalk lag außerhalb der "Zweiten Rayonlinie" (gestrichelte Linie etwa in der Mitte der Karte), Bild: Karte der Köln-Mindener Eisenbahn, Ausschnitt Köln-Deutz und Kalk
Kalk lag außerhalb der „Zweiten Rayonlinie“ (gestrichelte Linie etwa in der Mitte der Karte), Bild: Karte der Köln-Mindener Eisenbahn, Ausschnitt Köln-Deutz und Kalk

Damit die notwendigen Arbeitskräfte relativ schnell ihre Arbeitsplätze erreichen konnten, wurde bereits am 20. Mai 1877 eine Verbindung der „Päädsbahn“4Eine von Pferden gezogene  Straßenbahn. von Deutz und Kalk eingeweiht.

Kalk war Mitte des 19. Jahrhunderts eine echte „Boomtown“: Von 1843 bis 1880 stieg die Einwohnerzahl Kalks um mehr als 950% von knapp 100 Menschen auf über 9.500 Einwohner.

Kalk bekommt Stadtrechte

Mit dem Wachstum der Bevölkerung erhielt Kalk 1881 die Stadtrechte. Sofort machte sich der neugegründete Stadtrat daran, ein Stadtwappen für Kalk zu entwerfen. Dieses Wappen sollte zum einen die industrielle Entwicklung Kalks aufgreifen, aber auch die historische Wallfahrtskapelle berücksichtigen.

Das Wappen der Stadt Kalk (1881 -1910) zeigt die Kalker Kapelle und die Bedeutung Kalks als Industriestandort.
Das Wappen der Stadt Kalk (1881 -1910) zeigt die Kalker Kapelle und die Bedeutung Kalks als Industriestandort.

Da im preußischen Staat alles eindeutig geregelt wurde, musste das Wappen vom Königlich Preußischen Heroldsamt in Berlin abgesegnet werden, bevor Wilhelm I. in seiner Eigenschaft als König von Preußen am 20. Juli 1883 der Stadt Kalk das Wappen verlieh.

Während noch in den 1880er Jahren viele umliegende Ortschaften, darunter auch Poll und Deutz, nach Köln eingemeindet wurden, behielt Kalk noch bis 1910 seine Eigenständigkeit und wurde erst am 1. April 1910 zusammen mit Vingst und Gremberg eingemeindet.

Allerdings mussten die Kölner den Kalkern ihre Eigenständigkeit teuer „abkaufen“. In dem Vertrag zur Eingemeindung mit der Stadt Köln wurde explizit vereinbart:

  • Der Bau einer Badeanstalt,
  • der Bau von Spielplätzen,
  • die Erhaltung des Kalker Schlachthofes,
  • jährlich 30.000 Mark für Straßenbauarbeiten und
  • die Übernahme der städtischen Beamten Kalks in den Dienst der Stadt Köln.

Kalk konnte auch selbstbewusst auftreten: Es lebten dort mehr als 27.000 Einwohner, die zahlreichen Industrieunternehmen machten Kalk zu einer der größten und wohlhabendsten Industriestädte in Preußen.

Und heute? Im zweiten Teil über Kalk wird es um die Umbrüche in den beiden Weltkriegen, die Wirtschaftswunderzeit und die aktuelle Situation in Kalk gehen.


Das Papiermodell und sein großes Vorbild: Der Kalker Wasserturm, Bild: Jens Neuhaus, www.papierdenkmal.de
Das Papiermodell und sein großes Vorbild: Der Kalker Wasserturm, Bild: Jens Neuhaus, www.papierdenkmal.de

Das Wahrzeichen von Kalk als Bastelbogen

Das gesamte Gelände der Chemischen Fabrik Kalk (CFK) wurde saniert. Übrig blieb nur der im Jahr 1904 errichtete Wasserturm. Mit seinen 43 Meter Höhe ist dieses Backsteinbauwerk zu einem Symbol für Kalk geworden und steht unter Denkmalschutz. 

Jens Neuhaus, Jahrgang 1985, lebt in Kalk. Seine Leidenschaft sind Bastelbögen: „Meine Bastelbögen sind eine Liebeserklärung an ebenjene Bauwerke, die den Menschen etwas bedeuten.“ Und so hat er einen Bastelbogen zum Kalker Wasserturm entworfen und stellt diesen kostenlos auf seiner Seite „Papierdenkmal“ zum Download zur Verfügung.

Ausschnitt aus dem Bastelbogen zum Kalker Wasserturm. Kostenloser Download auf der Website Papierdenkmal von Jens Neuhaus
Ausschnitt aus dem Bastelbogen zum Kalker Wasserturm. Kostenloser Download auf der Website Papierdenkmal von Jens Neuhaus

Neuhaus schätzt die Einfachheit des Materials: „Ohne im Fachhandel teure Plastikteile zu kaufen, entstehen Papiermodelle allein aus der eigenen Kreativität und Fingerfertigkeit heraus. Ein geradezu anachronistischer Reiz ergibt sich daraus, dass der Kartonmodellbau keine Abkürzungen zulässt: Nur geduldiges Arbeiten in den Mußestunden führt zu einem sauberen Ergebnis.“

Gewinnspiel

Die ersten drei Menschen, die mir ein Bild des selbst gebastelten Papier-Wasserturms schicken, lade ich auf eine Stadtführung mit mir ein. Also ran an Schere und Kleber, ich freue mich auf eure Bilder.

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Das Ehrengrab von Heinrich Welsch auf dem Kalker Friedhof, Bild: A.Savin
Das Ehrengrab von Heinrich Welsch auf dem Kalker Friedhof, Bild: A.Savin

Der Lehrer Welsch – Dreimol Null es Null, bliev Null

Der besungene und unvergessene Lehrer Welsch war nie in der Kaygasse tätig, sondern in der Hollweghstraße in Kalk.

Die ganze Geschichte zu diesem besonderem Pädagogen, der seiner Zeit weit voraus war, gibt es hier: Der Lehrer Welsch – Dreimol Null es Null, bliev Null


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Kölner Stadtteile: Libur – hier wohnen die glücklichsten Kölner!

Kein Kölner Stadtteil liegt näher an Italien: Libur ist das südlichste Veedel der Stadt.
Kein Kölner Stadtteil liegt näher an Italien: Libur ist das südlichste Veedel der Stadt.

Der kleine Stadtteil Libur ist Kölns Veedel der Rekorde:

  • Libur ist der, gemessen an der Zahl der Einwohner, kleinste Stadtteil Kölns. Stand 31. Dezember 2022 gab es genau 1.145 Liburer.
  • Libur hat auch niedrigste Bevölkerungsdichte innerhalb Kölns: Hier leben gerade einmal 180 Einwohner je Quadratkilometer. Zum Vergleich: In Köln leben, im Durchschnitt über alle Veedel, die Menschen etwa 15x so gedrängt. Es sind exakt 2.679 Einwohner je Quadratkilometer. Noch krasser wird der Unterschied, wenn man sich enge Südstadt ansieht: Hier leben auf einem Quadratkilometer mehr als 13.000 Menschen.
  • Kein Kölner Stadtteil liegt näher an Italien: Libur ist das südlichste Veedel der Stadt.

Vielleicht sind das auch die Gründe, warum in Libur nachweislich die glücklichsten Kölner leben.

Haus am Grabhügel

Die Gegend um Libur wurde bereits vor sehr langer Zeit besiedelt. Eine dort gefundene Axt lässt vermuten, dass es dort bereits in der Jungsteinzeit (circa 5.500 – 4.900 v. Chr.) eine erste Siedlung der sogenannten „Bandkeramiker“1Die Bandkeramik bzw. bandkeramische Kultur ist die erste auf Ackerbau und Viehzucht basierende Kultur der Jungsteinzeit mit Verbreitungsgebieten in ganz Mitteleuropa.  Der Name „Bandkeramiker“ bezieht sich auf die bandartigen Verzierungen auf ihren Tongefäßen. gab.

Ausschnitt aus der "Karte der politischen und administrativen Eintheilung der heutigen preussischen Rheinprovinz für das Jahr 1789“, hier ist Libur noch als „Liebour“ verzeichnet. Bild: Wilhelm Fabricius
Ausschnitt aus der „Karte der politischen und administrativen Eintheilung der heutigen preussischen Rheinprovinz für das Jahr 1789“, hier ist Libur noch als „Liebour“ verzeichnet. Bild: Wilhelm Fabricius

Der erste schriftliche Nachweis stammt aus dem Jahr 1183. In einer Sammlung von Wunderberichten wird die Ortschaft „villula lebure“ erwähnt. In späteren Aufzeichnungen lautet der Name „Lebur“. Weitere Schreibweisen lauten Liebour und Liebuire. Die erste Silbe „Le“ im Althochdeutschen könnte „Obdach“ bedeuten, „bûr“ bezeichnet ein kleines Haus. Eine andere Interpretation geht davon aus, dass sich die erste Silbe auf „Leo“, einen Grabhügel bezieht. Zusammen mit „bûr“ könnte das Haus am Grabhügel“ bedeuten.

Schon seit dem Mittelalter gehörte Libur zum Herzogtum Berg. Während der französischen Besatzung des Rheinlands (von 1794 bis 1814/15) war Libur Teil des Grand-Duché de Berg et de Clèves2Die französische Bezeichnung für das Großherzogtum Berg., anschließend wurde es Teil der Preußischen Rheinprovinz. 1929 erfolgte die Eingemeindung nach Porz. Durch das von den Porzern so ungeliebte „Köln-Gesetz“ wurde auch Libur 1975 Teil der Stadt Köln.

Eigenständiger, dörflicher Charakter

Libur hat bis heute sein dörfliches Erscheinungsbild erhalten. Das liegt auch daran, dass Libur eher isoliert liegt und daher nicht mit den Nachbargemeinden, z.B. Lind oder Wahn, zusammengewachsen ist. So beschreibt auch die Stadt Köln Libur als „Weiler mit achteckigem Ortskern, auf den zahlreiche Straßen von den umliegenden Dörfern zulaufen. … Das immer noch etwas abgeschiedene Libur inmitten agrarisch genutzter Flächen hat noch einen Gutteil seines ländlichen Charakters bewahrt.“

Typische Backsteinbauten in der Pastor-Huthmacher-Straße in Köln-Libur, Bild: Franz-Josef Knöchel, Landschaftsverband Rheinland / CC BY 4.0
Typische Backsteinbauten in der Pastor-Huthmacher-Straße in Köln-Libur, Bild: Franz-Josef Knöchel, Landschaftsverband Rheinland / CC BY 4.0

Diese Abgeschiedenheit hat Libur zwar den eigenständigen, dörflichen Charakter gesichert, gleichzeitig ist die aber die Verkehrsanbindung des Ortes eher schlecht – es gibt gerade eine Buslinie. Trotzdem gibt es Verkehrslärm in Libur: Je nach Wind und Abflugrouten sind die startenden Flieger des nah gelegenen Flughafens Köln/Bonn leider gut zu hören.

Tausende Sprenggranten in der Liburer „Schullekul“

Im März 1957 stand das ruhige Libur auf einmal im Zentrum des Interesses. Der Kölner-Stadt-Anzeiger hatte berichtet, dass „… Schulkinder erzählt hätten, sie würden aus dem Teich Handgranaten, Flak- und Panzergeschosse herausholen, sie zerlegen, weiße Säckchen mit Pulver hervorholen und diese in der Abenddämmerung anzünden.“

Mit „dem Teich“ war der Liburer Löschteich gemeint. Dieser lag neben der Volksschule und wurde daher nur „Schullekul“ genannt. Es war zwar in Libur ein offenes Geheimnis, dass Wehrmachtssoldaten, kurz bevor die Amerikaner einrückten, ihre Spuren verwischten und die Waffen kurzerhand in dem Löschteich versenkten. Aber es gab keinerlei Aufzeichnung, wie viele und welche Waffen dort entsorgt wurden.

Der ehemalige Feuerlöschteich Schullekul wurde Ende der 1950er in einen Bolzplatz umgewandelt. Bild: Jotpe, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Der ehemalige Feuerlöschteich Schullekul wurde Ende der 1950er in einen Bolzplatz umgewandelt. Bild: Jotpe, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Tatsächlich handelte es sich bei der Schullekul um ein stinkendes, modriges Gewässer, welches – unabhängig vom Fund der Kampfmittel – saniert werden sollte. Nur wollte weder die Porzer Stadtverwaltung noch die Bezirksregierung die Verantwortung und somit die Kosten dafür übernehmen. Erst mit dem Artikel im Stadt-Anzeiger und der somit öffentlich gewordenen Gefährdung der Dorfjugend kam Bewegung in die Angelegenheit und es wurde ein Dringlichkeitsbeschluss gefasst: Die Schullekul wurde ausgepumpt und die Kampfmittel-Räumer machten große Augen. Immerhin wurden

  • 522 Sprenggranten
  • 692 Infanterie-Patronen
  • 121 Stielhandgranaten
  • 14 Gewehre
  • 6 Maschinengewehre

sowie weitere diverse „Granaten und weitere Munition“ aus dem schlammigen Gewässer geborgen. Der Teich verschwand und an der Stelle ist heute ein Sportplatz zu finden.

Viel Land – wenig Menschen: Das dörfliche Libur. Bild: aachim3, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
Viel Land – wenig Menschen: Das dörfliche Libur. Bild: aachim3, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Veedels-Check: Libur auf Platz 1

Heute ist Libur ganz vorne in Kölle: Im Veedels-Check des Kölner-Stadt-Anzeigers3aus dem Jahr 2018 machte Libur das Rennen und landete auf dem ersten Platz aller kölschen Veedel. Fast 80% der Bewohner gaben an, nicht aus Libur weg ziehen zu wollen. Dabei spielt auch der „kölsche Veedelscharakter“ des Dorfes eine Rolle: Auf die Frage, wie kölsch Libur ist, landete das kleine Libur auf Platz acht von allen 86 Kölner Stadtteilen.

Vergleich Bevölkerungsdichte, Graphik: Uli Kievernagel
Vergleich Bevölkerungsdichte, Graphik: Uli Kievernagel

Kleiner Wermutstropfen: Selbst die eingefleischten Libur-Fans bemängeln die fehlenden Einkaufsmöglichkeiten und die eher schlechte Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr.

Aber das machen Initiativen wie der „Junggesellenverein Libur“, der Weihnachtsbasar der Katholischen Frauengemeinschaft und das Straßenfest „Der längste Desch vun Libur“ wieder wett. Und auch im Karneval pflegt das „Rekord-Dorf“ Libur eine ganz besonderen Tradition: Hier stehen die Jecken am Straßenrand und werfen Kamelle für die Pänz, die im Zoch mitgehen.

Also noch ein weiterer Rekord:
In Libur gibt es den „verkehrtesten“ Karnevalszoch von ganz Köln.


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Klettenberg wird in „Knollendorf“ umbenannt +++ Eilmeldung +++

Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat am 1. April 2023 verkündet, dass der Stadtteil Klettenberg in Knollendorf umbenannnt wird. Bild: Jens Koch, Bearbeitung Uli Kievernagel

Eingeweihte wussten es schon länger – doch am 1. April 2024 wird es amtlich: Der Kölner Stadtteil „Klettenberg“ wird in „Knollendorf“ umbenannt.

Oberbürgermeister Henriette Reker dazu: „Wir folgen mit dieser Namensänderung einem starken Wunsch der Klettenberger Bürger. Schon lange wünschen sich die Bewohner dieses Veedels einen ausdrucksstarken Namen. Diesen haben wir mit Knollendorf gefunden.“

Ab jetzt immer pünktlich: In Knollendorf fahren Busse und Bahnen der KVB - Knollendorfer Verkehrs-Betriebe mit dem markanten Logo "Woosch un Öllig"
Ab jetzt immer pünktlich: In Knollendorf fahren Busse und Bahnen der KVB – Knollendorfer Verkehrs-Betriebe mit dem markanten Logo „Woosch un Öllig“

Unabhängiges Veedel entsteht

Mit dieser Namensänderung geht auch eine umfassende Verwaltungsreform einher: Das neue Viertel Knollendorf wird nicht länger Stadtteil des Stadtbezirks 3 (Lindenthal) sein, sondern es entsteht ein von der Stadt Köln komplett unabhängiges Veedel. So wird auch der beliebte Klettenbergpark in „Knollendorfpark“ umbenannt. Busse und Bahnen in Knollendorf fahren unter dem neuen Logo der KVB – Knollendorfer Verkehrs Betriebe. 

Stolz zeigt der Speimanes die Hänneschen-Blootwosch, Bild: Hänneschen-Theater
Der neue Veedels-Bürgermeister Hermann Speichel (rechts) ist immer da, wenn es um die Wurst geht. Links: Oberbürgermeisterin Henriette Reker, Bild: Hänneschen-Theater

„Wir geben damit der Bevölkerung Knollendorfs größtmöglich Autarkie“, so Henriette Reker bei der heutigen Pressekonferenz. Die Oberbürgermeisterin weiter: „Veedels-Bürgermeister von Knollendorf wird Hermann Speichel, der bereits bewiesen hat, dass er – gerade wenn es um die Wurst geht – immer einen kühlen Kopf bewahrt.“

Der so geehrte Hermann Speichel, von den Knollendorfern nur zärtlich „Speimanes“ genannt, stand für ein persönliches Interview (gottseidank!) nicht zur Verfügung.

Tünnes, mit bürgerlichen Namen Anton Schmitz, ist gutmütig, hilfsbereit und ein einfach gestrickter Charakter, Bild: Hänneschen-Theater
Anton Schmitz freut sich auf günstiges Kölsch & Schabau, Bild: Hänneschen-Theater

Steuern auf Alkohol werden abgeschafft

Im Knollendorfer Gasthaus, ehemals bekannt als Petersberger Hof, reibt sich Wirt Peter Mehlwurm voller Vorfreude die Hände. Denn Bürgermeister Speichel hat ihm versprochen, als erste Amtshandlung die Steuern auf Alkohol abzuschaffen. „Dann kommen auch die Gäste aus Zollstock und Sülz. Das wird ein gutes Geschäft.“

Auch der im Veedel nur als „Tünnes“ bekannte Anton Schmitz freut sich, kann doch gerade der Freund von Kölsch und Schabau eine Menge Geld sparen.

Aus "Klettenberg" wird Knollendorf. Bild: Hänneschen Theater
Aus „Klettenberg“ wird Knollendorf. Bild: Hänneschen Theater, Bearbeitung: Uli Kievernagel

Kritische Stimmen

Die Ordnungsmacht im neuen Knollendorf wird vom schnauzbärtigen Dorfpolizisten Schnäuzerkowski repräsentiert. Sichtlich gestresst murmelt der Vertreter der Staatsgewalt: „Der janze Platz ist verhaftet.“

Wahrscheinlich übt der gesetztestreue Ordnungshüter bereits seinen Text, wenn Scharen trinkfreudiger Kölner aus den Nachbarvierteln im Knollendorfer Gasthaus einfallen. Der Vertreter der Schmier hat sichtlich Angst, dass es in seinem Viertel zu ähnlichen Bildern wie an Karneval im Kwartier Latäng kommen könnte.

Der Schäl, ein listiges Schlitzohr, Bild: Hänneschen-Thaater
Ist dieser Herr der anonyme Beschwerdeführer gegen Veedels-Bürgermeister Speichel? Bild: Hänneschen-Thaater

Es gibt aber auch andere kritische Stimmen. Unsere Redaktion haben anonyme Hinweise per e-mail erreicht. Ein gewisser Herr S. beschwert sich: „Ich wäre der bessere Bürgermeister. Hermann „Speimanes“ Speichel ist nicht geeignet, unser Veedel auch wirtschaftlich nach vorne zu bringen. Dafür bin ich dank meiner Kontakte der viel bessere Mann.“ Erste Recherchen haben ergeben, dass die Nachricht mit der Adresse „schael@knollendorf.de“ abgeschickt wurde. Das Investigativ-Team des Köln-Lotsen ist zuversichtlich, die Identität des S. schnell zu ermitteln.

Der junge und immer fröhliche Knollendorfer Johannes Knoll ist aber wie immer aufgeschlossen:

„Et kütt wie et kütt. Un et hätt noch immer joot jejange.
Ävver
mer losse doch he nit et Hännesche mit uns mache!“


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Das „Köln-Gesetz“ machte 1975 Köln zur Millionenstadt

Die Stadtbezirke und Stadtteile Kölns, Bild: TUBS, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons
Die Stadtbezirke und Stadtteile Kölns, Bild: TUBS, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Die Karnevalisten hatten es geahnt! Das Motto der Session 1974/75 lautete „Seid umschlungen Millionen“. Und tatsächlich hatte die Stadt Köln es pünktlich zum 1. Januar 1975 geschafft: Man war eine Millionenstadt.

Möglich wurde dies durch das „Köln-Gesetz“.1Bitte nicht verwechseln mit dem „Kölschen Grundgesetz“. Das ist etwas völlig anderes. Dieses Gesetz hieß im besten Amts-Deutsch „Gesetz zur Neugliederung der Gemeinden und Kreise des Neugliederungsraumes Köln“ und war Teil einer ebenso umfassenden wie auch umstrittenen Gebietsreform in Nordrhein-Westfalen.

Zu kleine Gemeinden kommen Aufgaben nicht nach

Auch die größten Kritiker dieser Gebietsreform mussten zugeben, dass die Gemeinden, Kreise und Städte in Nordrhein-Westfalen dringend neu geordnet werden sollten. Viele Kommunen waren zu schlichtweg zu klein, um ihren kommunalen Aufgaben wie Infrastruktur, Kultur, oder Finanzen eigenständig nachzukommen. 

Die kleinteilige Gliederung spiegelte sich auch in der Anzahl der Gemeinden wider: Es gab im Jahr 1965 insgesamt 2362 Gemeinden in NRW. Mehr als die Hälfte dieser Gemeinden hatten unter 1000 Einwohnern, die kleinste Gemeinde hatte gerade einmal drei Einwohner – eine Reform war dringend notwendig. Folglich startete CDU/FDP- Landesregierung Nordrhein-Westfalens unter Ministerpräsident Franz Meyers (CDU) im Jahr 1966 ein erstes Neugliederungsprogramm, welches hauptsächlich den ländlichen Raum betraf.

Stadt Köln sieht Chance für schnelles Wachstum

Mit der zweiten Stufe der Neugliederung ab 1969 wurden auch die Grenzen der Kommunen in den Ballungsräumen neu geregelt. So brachte die SPD/FDP-Landesregierung unter Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) am 24. Mai 1974 einen Gesetzentwurf für das „Köln-Gesetz“ in den Landtag ein.

Die Stadt Köln hatte zu diesem Thema auch bereits 1972 eindeutig Stellung bezogen, sah man doch auch die Chance auf ein schnelles Wachstum:

„Die Grenzen der kommunalen Gebietseinheiten in unserem Lande stammen großenteils noch aus dem vorigen Jahrhundert;2Damit ist hier das 19. Jahrhundert gemeint sie hemmen nicht nur zahlreiche Gemeinden in ihrer Entwicklung, sondern wirken vielfach auch anachronistisch, da inzwischen vornehmlich in den Ballungsgebieten neue Lebens, Siedlungs- und Wirtschaftsräume entstanden sind. Dieser Entwicklung haben sich aber die Grenzen der kommunalen Einheiten nicht angepaßt.“3Quelle: Das Großzentrum Köln. Neuordnungsvorschlag der Stadt Köln zur kommunalen Gebietsreform. Herausgegeben von der Stadt Köln, 1972, Seite 5

Zweites Neugliederungsprogramm macht Köln zur Millionenstadt

Das „Gesetz zur Neugliederung der Gemeinden und Kreise des Neugliederungsraumes Köln“ trat am 1. Januar 1975 in Kraft und machte Köln, dank den Eingemeindungen 192.000 neuer Bürger kurzfristig zu Millionenstadt.

Die Bevölkerungsentwicklung Kölns. Mit den Eingemeindungen 1975 wurde Köln zur Millionenstadt - allerdings nur kurz. Bild: Summer ... hier! (Diskussion), CC0, via Wikimedia Commons
Die Bevölkerungsentwicklung Kölns. Mit den Eingemeindungen 1975 wurde Köln zur Millionenstadt – allerdings nur kurz. Bild: Summer … hier! (Diskussion), CC0, via Wikimedia Commons

Der größte „Fang“ für die Domstadt war mit 83.000 Menschen Porz, gefolgt von Rodenkirchen mit ca. 45.000 Bürgern, 24.000 aus Lövenich, 10.000 Neu-Bürger aus Esch und 4.000 aus Widdersdorf.  Außerdem wurde auch Wesseling mit ca. 25.000 Bürgern eingemeindet. Auch flächenmäßig machte Köln einen gewaltigen Sprung von 25.000 auf 47.000 Hektar.

Der „Kölner Polyp, der weit ins Land greift“

Bis heute trauern viele Gemeinden der verlorenen Eigenständigkeit nach. Besonders ausgeprägt ist diese Einstellung in Köln-Porz. Der Historiker Frank Schwalm nennt diesen Lokalpatriotismus „Porztümelei“.4Kölner Stadt-Anzeiger vom 26.01.2015 Dabei war, so Schwalm, „Porz eigentlich keine gewachsene Stadt. Sie entstand erst 1928 aus der Zusammenlegung von Wahn und Heumar“. Ein Redner in Düsseldorfer Landtag sprach in einer Sitzung sogar vom „Kölner Polyp, der weit ins Land greift“.

Die Porzer wehren sich, zunächst erfolgreich, gegen eine Eingemeindung
Die Porzer wehren sich gegen die Eingemeindung

So schlossen sich die Porzer, wie auch die Rodenkirchener, einer Klage der Wesselinger gegen die Eingemeindung an. Doch während Wesseling Recht bekam und zum 1. Juli 1976 wieder eigenständig wurde, seien Porz und Rodenkirchen, so der Verfassungsgerichtshof, „eng genug mit der Nachbarstadt verknüpft“ und blieben Teile der Stadt Köln.

Mit Wesseling verlor Köln aber nicht nur den Zugriff auf die lukrativen Gewerbesteuerzahler der chemischen Industrie, sondern auch den Status als Millionenstadt. Es sollte bis 2010 dauern, bis Köln sich wieder mit dem Titel „Millionenstadt“ schmücken durfte.

Repräsentanten-Entlassungsprogramm

Selbstverständlich fielen durch die Reform viele Pöstchen in der kommunalen Verwaltung weg. Schnell machte das Schlagwort vom „Repräsentanten-Entlassungsprogramm“ die Runde. Damit würde auch, so der Vorwurf, die Bürgernähe verloren gehen. Immerhin wurde durch die Gebietsreform die Anzahl der Gemeinden von 2.362 auf 396 gesenkt.

Dem Vorwurf der fehlenden Bürgernähe entgegnete man mit den neu eingerichteten Bezirksvertretungen. Allerdings sind diese Bezirksvertretungen bis heute weder mit den notwendigen finanziellen Mitteln noch mit ausreichenden Rechten ausgestattet, um das durch die Gebietsreform verloren gegangene Gefühl der kommunalen Mitwirkung kompensieren zu können.

Die Wesselinger wehren sich erfolgreich gegen die Eingemeindung nach Köln, Bild: Stadtarchiv Wesseling
Die Wesselinger wehren sich erfolgreich gegen die Eingemeindung nach Köln, Bild: Stadtarchiv Wesseling

Keine 0221-Telefonvorwahl in Sürth oder Porz

Bis heute sind die Auswirkungen der Gebietsreform spürbar. Je nach Stadtteil haben die Telefonanschlüsse, z. B. in Sürth oder auch in Porz, andere Vorwahlen. Die Verwaltung und Gerichtsbezirke wurden neu geregelt, so müssen bis heute die Kölner aus Zollstock, Raderberg oder Marienburg ihre neuen Pässe in Rodenkirchen abholen.

Durch die rückgängig gemachte Eingliederung Wesselings konnte sich zumindest der vermasselte Einsatz Kölner Feuerwehrleute, die kurz nach der Reform in Wesseling eingesetzt wurden, nicht wiederholen: Weil ihnen unbekannt war, dass Wesseling über ein eigenes Krankenhaus verfügte, fuhren sie mit einem Patienten bis nach Köln.

Und die Karnevalisten wählten nach „Seid umschlungen Millionen“ (Session 1974/75) das Motto der nachfolgenden Session weniger verfänglich und widmeten die Session 1975/76 ihrem geliebten Kölner Komponisten: „Sang und Klang mit Willi Ostermann.

Dagegen konnten auch die Wesselinger nicht klagen.


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Kölner Stadtteile: Porz – acht gewaltige Schornsteine als Wahrzeichen

Das Rhenania-Phosphatwerk Porz am Rhein mit seinen markanten acht Schornsteinen um etwa 1920
Das Rhenania-Phosphatwerk Porz am Rhein mit seinen markanten acht Schornsteinen um etwa 1920

Vielleicht hat kein Stadtteil je ein so beeindruckendes Wahrzeichen gehabt wie Porz1Abgesehen von der Innenstadt mit dem Dom. Ungezählt sind die Postkarten, die das ehemalige Wahrzeichen von Porz zeigen.

Die acht Schornsteine des „Rhenania-Phosphatwerk Porz am Rhein“ (früher „Rheinische Portland Cementwerke“) thronten noch bis 1929 über dem Rheinufer. Bereits fünf Jahre zuvor hatte man das Werk, das Düngemittel herstellte, wegen seiner Unrentabiliät schließen müssen. 1930 wurde die Fabrik abgerissen und von 1964 bis 1967 das Porzer Krankenhaus auf dem Gelände errichtet. Deswegen sucht man die gewaltigen Schornsteine heute vergebens.

Neben dem Rhenania Phosporwerk siedelten sich zwei weitere Fabriken in Porz an: Die Eisenverarbeitung der Adelenhütte und die Spiegelglaswerke Germania.

Angestellten- und Arbeiterhäuser in der Germania-Siedlung Porz
Angestellten- und Arbeiterhäuser in der Germania-Siedlung Porz, Bild: gemeinfrei

Bedeutung als Gerichtsstätte

Doch trotz Industrie ist Porz nie eine reine Industriestadt und trotz des Namens wahrscheinlich auch keine römische Siedlung gewesen. Der älteste bekannte Beleg für Porz stammt aus dem Jahr 1019, dennoch wird der Name auf das Lateinische zurückgeführt, auf „porta“, Tor oder Tür, oder auf „portus“, der Hafen. Aufgrund der Lage scheint die Übersetzung Hafen näher zu liegen, obwohl das im Süden gelegene Zündorf über die Jahrhunderte hinweg einen weitaus größeren Einfluss als Hafen- und Handelsplatz hatte. Es habe sich vielmehr um eine kleine Anlegestelle für eine Fährverbindung zur anderen Rheinseite gehandelt, heißt es in der Forschung.

Sicher ist, dass Porz mehr als 500 Jahre lang eine große Bedeutung für die Rechtsprechung hatte. Bereits im Jahr 1286 wird Porz als eine so genannte übergeordnete Gerichtsstätte erwähnt. Nach einer großen Verwaltungsreform im Jahr 1555 wird dies bestätigt und die Zuständigkeit von Porz erweitert: Die herrschenden Grafen von Berg, deren Gebiet im Rechtsrheinischen an Köln, Deutz und Poll angrenzte, erheben Porz zum zentralen Hauptgericht für alle Landgerichte südlich der Wupper (das gesamte heutige rechtsrheinische Köln sowie Bensberg und Odenthal). Außerdem wird Porz zum Verwaltungszentrum für die umliegenden Dörfer. Das Gebiet entspricht in etwa dem heutigen Stadtbezirk Porz (ohne Poll, aber mit Heumar).

Konkurrenz mit Wahn und Heumar

Damit hatte Porz über Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte eine herausragende Rolle gespielt, ohne wirklich ein Zentrum zu sein. Im Jahr 1808, Porz dürfte so etwa 170 Einwohner zu dieser Zeit gezählt haben, erneuerte das Herzogtum Berg seine Verwaltung und Porz musste das erste Mal in seiner Geschichte eine Niederlage einstecken Der Einfluss der Gemeinde verschwand. Es entstanden die Bürgermeistereien Heumar mit den nördlichen und die Bürgermeisterei Wahn mit den südlichen Dörfern des heutigen Stadtbezirkes.

Porz mit den Nachbargemeinden um etwa 1820
Porz mit den Nachbargemeinden um etwa 1820

Eine Erhebung der Einwohnerzahlen aus dem Jahr 1828 verdeutlicht zumindest die Größe von Porz und der umliegenden Dörfer; allein in Niederzündorf wurden 640, in Oberzündorf 276 Einwohner gezählt. In Langel lebten damals 564, in Westhoven 304 und in Porz 268 Menschen.

Im Jahr 1875 wurde der Amtssitz von der Bürgermeisterei Heumar nach Porz verlegt, denn der Amtssitz folgte dem, der das Amt innehatte; 1910 schließlich wurde das Rathaus in Porz gebaut. 1928 wurde die Bürgermeisterei Heumar in Bürgermeisterei Porz umbenannt. Schon damals gab es erste Überlegungen, Porz nach Köln  einzugemeinden.

Selbstständigkeit bleibt erhalten – zunächst

Am 9. März 1919 war die Halle des Kölner Hofes am Rheinufer einfach zu klein, um allen interessierten Bürgern Einlass zu gewähren. Man stimmte damals zwar prinzipiell einer Eingemeindung zu, hielt „die augenblickliche Zeit aber nicht für geeignet (…), derselben näher zu treten.“ Köln, hieß es, könne wirtschaftliche und strukturelle Hilfe nicht im ausreichenden Maße bieten. Die Verbesserungen bei der Versorgung mit Wasserleitungen, Strom, Straßen oder auch Schulen konnte Köln damals nicht leisten, sodass der Gemeinderat sich am 12. Februar 1920 für die weitere Selbstständigkeit entschied.

Die Porzer wehren sich, zunächst erfolgreich, gegen eine Eingemeindung
Die Porzer wehrten sich, zunächst erfolgreich, gegen eine Eingemeindung

Auch nach dem Krieg konnte sich Porz einer Eingemeindung widersetzen. Noch immer sah man in dem Anschluss an Köln „weder für die Wirtschaft noch für den einzelnen Gemeindebürger einen Vorteil“. Stattdessen stieg die Zahl der Einwohner der Gemeinde Porz und überschritt zu Beginn der 1950er Jahre die 30.000er Marke. Auf Antrag erhielt Porz im September 1951 von der Landesregierung die Stadtrechte verliehen.

Eingemeindung nach Köln im Jahr 1975 

In den 1970er Jahren erlebte Porz die zweite Niederlage in seiner langen Geschichte. Man sah in der Stadt kein richtiges Mittelzentrum, das, wie etwa Leverkusen, neben Köln bestehen könne. Porz hatte erfolglos versucht, sich mit der Neugestaltung der Innenstadt in die Riege der modernen und großen Städte einzureihen. Die Experten meinten: Zu viele Menschen pendeln nach wie vor nach Köln; es fehlen Einrichtungen aller Art und Arbeitsplätze, als dass Porz unabhängig bleiben könne:

„Die Grenzen der kommunalen Gebietseinheiten in unserem Lande stammen großenteils noch aus dem vorigen Jahrhundert;2Damit ist hier das 19. Jahrhundert gemeint sie hemmen nicht nur zahlreiche Gemeinden in ihrer Entwicklung, sondern wirken vielfach auch anachronistisch, da inzwischen vornehmlich in den Ballungsgebieten neue Lebens, Siedlungs- und Wirtschaftsräume entstanden sind. Dieser Entwicklung haben sich aber die Grenzen der kommunalen Einheiten nicht angepaßt“3Quelle: Das Großzentrum Köln. Neuordnungsvorschlag der Stadt Köln zur kommunalen Gebietsreform. Herausgegeben von der Stadt Köln, 1972, Seite 5

 

Mit dem Köln-Gesetz des Landes Nordrhein-Westfalen endete nach gut 23 Jahren die Eigenständigkeit von Porz am 1. Januar 1975.


Teile dieses Textes durfte ich mit freundlicher Genehmigung des Emons-Verlags aus dem Buch „Kölns 85 Stadtteile“ von Christian Schuh übernehmen.


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Kölner Stadtteile: Zollstock – das Maß aller Dinge!

Das Zollstockwappen: Unter den Drei Kronen des Kölner Wappens ist der Zollstock, das Zollhäuschen und das Pflaster des Zollstockswegs abgebildet.
Das Zollstockwappen: Unter den drei Kronen des Kölner Wappens ist der Zollstock, das Zollhäuschen und das Pflaster des Zollstockswegs abgebildet.

Wenn es bei der Kölner Fortuna im Südstadion gut läuft, erschallt neben den obligatorischen „Fortuna“-Rufen auch „Zollstock ist das Maß aller Dinge.“ Was zunächst vermessen scheint, ist aber tatsächlich die Wahrheit: Mit einem Zollstock lassen sich alle beliebigen Dinge vermessen. Nur hat der Name des Kölschen Veedels Zollstock nichts mit dem gleichnamigen Gliedermaßstab zu tun, sondern mit einer ehemaligen Zollgrenze.

Zollgrenze zwischen erzbischöflichem Gebiet und der freien Reichsstadt Köln

Bevor der eigentliche Stadtteil entstand, fanden sich auf dem Gebiet des heutigen Zollstocks nur Kappesboore1Bauern, die Kohl anbauen. und, dank des lehmreichen Bodens, einige Ziegeleien. Erst 1877 findet sich die erste Erwähnung des Ortsnamens Zollstock in „Grevens Adressbuch“. Doch den eigentlichen Zollstock, welcher die Zollgrenze bildete, gab es bereits etwa 100 Jahre früher.

Schon seit etwa 1770 wurden vor den Stadttoren der Stadt Köln Schlagbäume aufgestellt. Die Zollgrenze bildete der Bischofsweg. Dieser Bischofsweg2Nicht zu verwechseln mit dem heutigen Bischofsweg als Verbindung zwischen Bonner Straße und Vorgebirgsstraße. lief einmal rund um die damalige Stadt Köln und markierte die Grenze zwischen der Reichsstadt Köln und den vom Erzbischof kontrollierten Territorien, abgegerenzt durch Schlagbäume. Auch im heutigen Zollstock befand sich ein solcher Schlagbaum.

Der Bischofsweg folgt im Abstand der Stadtmauer und "umrundet" die Stadt Köln, Bild: Schweidkarte aus dem 17. Jahrhundert.
Der Bischofsweg folgt im Abstand der Stadtmauer und „umrundet“ die Stadt Köln, Bild: Schweidkarte aus dem 17. Jahrhundert.

Zuerst wenig wohnliche Gegend, später „Schutzmannshausen“

Ab ca. 1815/16 gehörte das heutige Zollstocker Gebiet zur Bürgermeisterei Rondorf. Die Lehmhütten in Zollstock und die Kiesgruben führten dazu, dass es in Zollstock, so der Bürgerverein Zollstock, „aussah wie eine Mondlandschaft: Brachgelände, Mulden, Erdhügel, einige größere Gruben am Gottes- und Zollstocksweg reichten sogar bis aufs Grundwasser.“

Verständlich, dass sich hier zunächst nur wenige Menschen niederlassen wollten. So wurden für das Jahr 1880 gerade einmal 102 Einwohner verzeichnet. Im Zuge der zahlreichen Eingemeindungen im Jahr 1888 wurde der Stadtteil nach Köln eingemeindet – ein Glücksfall für Zollstock. Denn mit dieser Eingemeindung siedelten sich zahlreiche Unternehmen und damit auch deren Arbeitnehmer an.

So begann Zollstock ab dem Jahr 1900 massiv zu wachsen. Zahlreiche Wohnungsbaugenossenschaften errichteten Siedlungsbauten, vorrangig für Beamte. Schnell bürgerte sich daher der Begriff „Schutzmannshausen“ ein. Diese Wohnhäuser, unter anderem auch von Wilhelm Riphahn, prägen noch immer das Zollstocker Stadtbild. Heute leben mehr als 23.000 Menschen in diesem Stadtteil.

Die von dem renommierten Kölner Architekten Wilhelm Riphahn 1927-30 konzipierte Wohnsiedlung in Zollstock, Bild: Asperatus, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Die von dem renommierten Kölner Architekten Wilhelm Riphahn 1927-30 konzipierte Wohnsiedlung in Zollstock, Bild: Asperatus, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Straßenbahn selber bezahlt?

Zollstock ist durch die Straßenbahnlinie 12 angebunden. Karlheinz Steimel, Vorsitzender des Zollstocker Bürgervereins im Jahr 2008, stellte klar, dass Zollstocker Geschäftsleute und Bürger schon ab 1900 für eine Anbindung ans Straßenbahnnetz kämpften. Doch der Bau der Straßenbahn wurde von der Stadt erst beschlossen wurde, nachdem die „Vereinigung der Fabrik-, Haus- und Grundbesitzer von Köln Zollstock“ 50.000 Goldmark dafür gesammelt hatte.

Angeblich hätten die Zollstocker 1904 als einziger Stadtteil für die Schienen der Straßenbahn selber zahlen müssen.

Die Linie 12, im Hintergrund die typischen Zollstocker Genossenschaftsbauten, Bild: Qualle, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Die Linie 12, im Hintergrund die typischen Zollstocker Genossenschaftsbauten, Bild: Qualle, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

„Man muss ja auch nicht alles glauben, was man so hört … – mer kann et ävver jot wigger verzälle!“, so der Ur-Zollstocker, Stadtführer, Buchautor und Liedermacher Günter Schwanenberg zu der „Ortslegende“ rund um die bezahlte Straßenbahn. Tatsächlich, so Schwanenberg, wurden wohl auch andere Stadtteile zur Kasse gebeten.

Kölns größer Friedhof liegt in Zollstock

Die Endhaltestelle der Zollstocker Straßenbahnlinie 12 ist heute an Kölns größtem Friedhof, dem Südfriedhof. Auch wenn die Promi-Dichte nicht so hoch ist wie auf dem Melatenfriedhof, haben auf dem Südfriedhof eine ganze Reihe bekannter Kölner ihre letzte Ruhe gefunden. Und da das Villenviertel Marienburg zum Beerdigungsbezirk des Südfriedhofs gehört, gibt es auch hier eine kleine „Millionenallee“. 

Licht und Schatten auf dem Kölner Südfriedhof, Bild: Thomas Salditt
Licht und Schatten auf dem Kölner Südfriedhof, Bild: Thomas Salditt

Der eher an einen Park erinnernde Friedhof, eröffnet am 1. April 1901, weist nicht das typische schachbrettartige Muster von Friedhöfen auf. Die bogenförmig angelegten Wege des ältesten Teils des Friedhofs laden dazu ein, nicht systematisch über das Gelände zu gehen. Eher lässt man sich treiben, erkundet auch kleinere Gräberfelder.

Indianer mitten in der Stadt?

Eine Besonderheit ist die sogenannten „Indianersiedlung“ in Zollstock. Auf einem Gelände in der Nähe des Südfriedhofs wurden Ende der 1920er Jahre für bedürftige Menschen Behelfssiedlungen zugelassen. Die Auflagen für den Bau waren, um die Kosten möglichst niedrig zu halten, sehr gering. Allerdings musste schnell nach Erteilung eines „Bauscheins“ mit dem Bau begonnen werden. Wie und was gebaut wurde, wurde den Bauherren überlassen.

So entstanden sehr individuelle Bauten, die nach dem Zweiten Weltkrieg auch von Flüchtlingen und später von Studenten, die alternative Wohnformen suchten, genutzt wurden. 

Doch schon seit den 1960er Jahren wurde über eine Erweiterung des Südfriedhofs nachgedacht. Dafür wurden die sich im städtischen Besitz befindlichen Parzellen der Indianersiedlung geräumt, berichtet der ausgewiesene Zollstock-Kenner Günter Schwanenberg. Die Parzellen, die sich im Besitz der Bahn befanden, blieben unangetastet.

Die Indanersiedlung in Köln-Zollstock, Bild: Superbass / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
Die Indanersiedlung in Köln-Zollstock, Bild: Superbass / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Allerdings waren die Hippies und Kommunarden in der Siedlung von Seiten der Stadt wenig erwünscht. Daher beschloss man 1978 eine Änderung des Flächennutzungsplans: Die Indianersiedlung sollte verschwinden, stattdessen sollte der Südfriedhof vergrößert und auch Gewerbeflächen angeboten werden. Doch die Siedler zeigten sich wehrhaft und organisierten sich erfolgreich. Sie gründeten eine Genossenschaft und kauften das Gelände Ende der 1990er Jahre.

Der Begriff „Indianersiedlung“ stammt von dem Autor Hans Conrad Zander, ebenfalls Bewohner dieser Siedlung. Er besuchte Indianer-Reservate und stellte Ähnlichkeiten mit der Siedlung in Zollstock fest. Diese sei, so Zander, ähnlich eigenwillig und naturverbunden und er prägte daher den Begriff „Indianersiedlung“.

Das Kölner Südstadion, Bild: Uli Kievernagel
Das Kölner Südstadion, Bild: Uli Kievernagel

Denn Fortuna, dat simmer all he

Auch wenn sich der SC Fortuna Köln immer als „Südstadtverein“ präsentiert: Tatsächlich liegen Stadion und Geschäftsstelle in Zollstock. Wenn die Vereins-Hymne am Spieltag durch das Stadion an der Vorgebirgsstraße schallt und sich alle bei „Dausend Fahne, nur ze ahne“ in den Armen liegen, ist allen leidgeprüften Fortuna-Fans klar, dass es irgendwann so weit sein wird:

Eines Tages wird’s geschehen,
ja dann fahren wir nach Mailand,
um Fortuna Köln zu sehen.“

Aus & für Zollstock: In diesem Veedel ist man bestens organisiert!
Aus & für Zollstock: In diesem Veedel ist man bestens organisiert!

Zollstocker sind gut organisiert!

Auch unabhängig von den „Indianern“ zeigt sich Zollstock sehr gut organisiert. Nicht nur wegen des Bürgervereins Zollstock, immerhin einer der größten und ältesten Bürgervereine Kölns, sondern auch wegen zahlreicher Initiativen und Vereine wie zum Beispiel

 
Der idyllische Kalscheurer Weiher, links befinden sich Büdchen und Bootsverleih, Bild: Unclesam999, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Der idyllische Kalscheurer Weiher, links befinden sich Büdchen und Bootsverleih, Bild: Unclesam999, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Einer der schönsten Biergarten Kölns befindet sich in Zollstock, am Kalscheurer Weiher. Im Grüngürtel betreibt eine Bürgerinitiative seit ein paar Jahren liebevoll ein Büdchen, für welches mehr als 40.000 Euro an Spenden eingeworben und viele tausend Stunden ehrenamtlicher Arbeit geleistet wurden. Für die Freizeitkapitäne gibt es einen Bootsverleih.

Zollstock aus Zollstock

Und wie war das jetzt mit „Maß aller Dinge“? Der Zollstocker Bürgerverein hat das mit dem „Zollstock aus Zollstock“ wörtlich genommen und zum 111jährigen Jubiläum tatsächlich einen Zollstock mit dem Zollstocker Wappen produzieren lassen.

Der „Zollstock aus Zollstock“ vom Allgemeinen Bürgerverein Zollstock e.V.
Der „Zollstock aus Zollstock“ vom Allgemeinen Bürgerverein Zollstock e.V., Bild: Uli Kievernagel

Jood jemaht!


111 Jahre Allgemeiner Bürgerverein Zollstock

Zum 111jährigen Jubiläum im Jahr 2019 hat der Allgemeine Bürgerverein Zollstock eine Festschrift herausgegeben. Der Ur-Zollstocker Günter Schwanenberg hat die Geschichte des Bürgervereins, die untrennbar mit der Geschichte des Veedels verbunden ist, aufgearbeitet.

Anders als übliche Festschriften, die oft nur aus Werbung des lokalen Einzelhandels bestehen, hat Schwanenberg akribisch, zum Teil kritisch, aber immer mit einem Augenzwinkern die 111 Jahre des Bürgervereins in 52 äußerst lesenswerte Seiten gefasst.


Der Theophanoplatz mitten in Zollstock, Bild: Quadworks, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Der Theophanoplatz mitten in Zollstock, Bild: Quadworks, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Zollstock: „Du häs Charme, ävver kei Minsch erkennt dat“

Die Bläck Föös haben neben der Fortuna-Vereinshymne auch noch einen zweiten Titel zu Zollstock im Repertoire. Im Lied „Zollstock“ aus der Feder von Hans Knipp heißt es:

Du liss janz noh bei d`r Maathall,
wick vun Amsterdam Rio un Rom,
m‘r läuf verdammp lang bes noh Knapsack
un och e joot Stöck bes zom Dom.

Joot versteck zwesche drei Täler,
Linden-, Bayen- un Raderthal,
recks Du Dich däm Himmel entjäje,
doch däm es dat völlich ejal.

Refrain:
Zollstock, Zollstock, Zollstock,
en Zollstock es et su schön.
Ding Kirche, Kneipe un Parkplätz,
ding Schreberjäde su jrön.

Zollstock, Zollstock, Zollstock, Zollstock,
die Melodie en mir klingk.
Dä kann sich jlöcklich schätze,
dä Dich om Stadtplan fingk.

Et Eifeltor es di Hätzstöck,
häs ne Friedhof, su still un su jroß.
Du häs Charme, ävver kei Minsch erkennt dat,
doch dat määt dir hätzlich winnich us.

Ding Mädche, die laache am Morje,
se laache d’r janze Daach,
se laache och noch am Ovend,
mein Jott, se laachen och de janze Naach.

Refrain:
Zollstock, Zollstock, Zollstock…

Du woods noch niemols besunge,
wä will, dä soll dat verston.
Do es noch kei Minsch drop jekumme,
dobei häs Du doch keinem jet jedon.

Ich ben leider nit he jebore,
ich kumm nur janz selden he hin.
Doch eine letzte Wunsch, dä hätt ich,
deef en Zollstock bejrave ze sin.

Refrain:
Zollstock, Zollstock, Zollstock…

Zollstock, Zollstock, Zoll- Zoll- Zollstock
E besje bes de wie ich
Ich kenne su- u – vill Minsche,
ävver keiner kennt mich.

Weißes Schiff, bring mich nach Zollstock
in die Heimat zurück.
Ich ston om Mond un luur op Zollstock.
Wann kütt die 12, ich muss noh Zollstock.
Zollstock, Zollstock schlof joot.


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Kölner Stadtteile: Deutz – Veedel zwischen Historie und Moderne

Deutz um 1900 mit der geöffneten Schiffbrücke und dem Bahnhof Schiffbrücke am Deutzer Rheinufer, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons
Deutz um 1900 mit der geöffneten Schiffbrücke und dem Bahnhof Schiffbrücke am Deutzer Rheinufer, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons

Im Kölner Lokal-Anzeiger war es am 1. April 1888 nur eine Meldung auf Seite drei unter „Locales“, für das stolze, eigenständige Deutz aber das Ende der Eigenständigkeit: Nach mehr als 1.500 Jahren wird Deutz nach Köln eingemeindet und hört auf, als eigenständiger Ort zu existieren.

Die Eingemeindung vieler bis 1888 eigenständiger Gemeinden nach Köln als Meldung auf Seite 3 unter "Locales" im Kölner Local-Anzeiger vom 1. April 1888
Die Eingemeindung vieler bis 1888 eigenständiger Gemeinden nach Köln als Meldung auf Seite 3 unter „Locales“ im Kölner Local-Anzeiger vom 1. April 1888

Die Eingemeindung betraf aber nicht nur Deutz, sondern viele weitere bis dahin eigenständige Gemeinden. Unter anderem Ehrenfeld, Müngersdorf, Nippes oder auch das rechtsrheinische Poll.

Doch die Deutzer hatten etwas besser verhandelt: So wurde der Bürgermeister von Deutz Beigeordneter in Köln, das Standesamt verblieb im Deutzer Rathaus, und es gab Geld für verschiedene Baumaßnahmen. Trotzdem war es für die traditionell freiheitsliebenden, stolzen Deutzer schwer zu verkraften: Ab diesem Tag war das wirtschaftlich prosperierende Deutz nur noch ein Stadtteil von Köln.

Modell des Kastells Divitia, Bild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0
Modell des Kastells Divitia, Bild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0

Keimzelle: Das römische „Kastell Divitia“ 

Begonnen hatte alles um das Jahr 308 n. Chr. herum: Um die wichtige Colonia Claudia Ara Agrippinensium, unser heutiges Köln, vor den rechtsrheinischen Germanen zu schützen, wurde in Deutz das Kastell Divitia errichtet. Der Rhein bildete die eigentliche Grenze, das Kastell diente als Brückenkopf der Römer im „Land der Barbaren“. Geschützt wurde dadurch auch die Konstantinbrücke, die erste feste Brücke über den Rhein.

Darstellung der Konstantinbrcke aus dem Jahr 1608 mit viel künstlerischer Freiheit, so gab es z.B. keinen Turm in der Brückenmitte
Darstellung der Konstantinbrücke aus dem Jahr 1608 mit viel künstlerischer Freiheit, so gab es z.B. keinen Turm in der Brückenmitte

Nachdem die Franken ab etwa 355 n. Chr. regelmäßig Köln angriffen, geben die Römer die Stadt im Jahr 462 n. Chr. auf. Aus dem Kastell wurde später ein fränkischer Königshof. Die genaue Entwicklung von Deutz in diesen Jahren ist unklar. Erst mit Erzbischof Heribert, der an der Stelle des Hofes im Jahr 1003 ein Benediktinerkloster gründete, nahm die Entwicklung von Deutz wieder Fahrt auf. Im Jahr 1230 wurde Deutz zur Stadt erhoben.

Deutz im Machtkampf zwischen Köln und den Grafen von Berg

Und genau diese Stadt Deutz stand im Zentrum der Machtkämpfe zweier Rivalen: Auf der linksrheinischen Seite die Freie Reichsstadt Köln, auf der rechtsrheinischen Seite die Grafen von Berg.

Mehrfach wurde Deutz überfallen, geplündert, gebrandschatzt. Der Ort verlor die Stadtrechte und wurde zu einer „Vrijheit“1Eine Art „Stadtrechte light“. herabgestuft. Im Jahr 1538 verbrannten durch eine Brandstiftung große Teile von Deutz. Im sogenannten „Kölner Krieg“ 1583 zerstörten marodierende Truppen die Ortschaft sogar nahezu vollständig.

Gleichzeitig wurde der rechtsrheinische Ort zur Zuflucht für die 1424 aus dem linksrheinischen Köln vertriebenen Juden, später auch für die im „Hillije Kölle“ so ungeliebten Protestanten. So entwickelte sich Deutz und wurde liberaler, freier, aufgeschlossener und fremdenfreundlicher als das linksrheinische Köln und erlebte so nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs (1618 – 1648) einen Wirtschaftsaufschwung.

Das Kürassier-Denkmal "Lanzenreiter" an der Deutzer Rheinpromnenade erinnert an die Preußische Garnison in Deutz, Bild: Raimond Spekking
Das Kürassier-Denkmal „Lanzenreiter“ an der Deutzer Rheinpromnenade erinnert an die Preußische Garnison in Deutz, Bild: Raimond Spekking

Die Preußen verändern Deutz massiv

Mit der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress 1814/15 änderte sich für Köln und Deutz fast alles: Die Preußen erschufen aus Köln die „Festung Cöln“. Auch rechtsrheinisch wehte ein neuer, stark militärisch geprägter Wind. In Deutz entstand die große Dragoner Kaserne, der größte Teil der Deutzer Bevölkerung bestand aus Soldaten oder Mitarbeitern der Militärverwaltung.

Die Deutzer Schiffbrücke um 1900, Bild: US- Library of Congress
Die Deutzer Schiffbrücke um 1900, Bild: US- Library of Congress

Gleichzeitig stieg die Bedeutung von Deutz als Verkehrsknotenpunkt. Die Deutzer Schiffbrücke, errichtet 1822, war die erste Kölner Brücke nach der Konstantinbrücke. Vorher mussten sich die Kölner etwa 900 Jahre mit Fähren behelfen, um die Rheinseiten zu wechseln.

Deutz wird bedeutender Industriestandort und Eisenbahnknotenpunkt

In Köln entwickelte Nicolaus August Otto einen neuartigen Motor – eine Erfindung, die die Welt und auch Deutz grundlegend verändern sollte. Zusammen mit Eugen Langen gründete er die Motorenfabrik „N.A. Otto & Cie“. Doch der Platz in der Servasgasse, fast noch im Schatten des Doms, reichte nicht aus. Ein neues Werksgelände entstand in Deutz. Ähnlich ging es der ursprünglich am Kartäuserwall befindlichen Seilerei Felten & Guilleaume2Von den Kölnern gerne als „faul & gemütlich“ bezeichnet., die genau wie auch die Chemische Fabrik Kalk im Rechtsrheinischen weitläufige Produktionsstätten errichtete.

Um die neuen Industriegebiete zu erschließen und dem stetig wachsenden Bedarf nach Mobiltät gerecht zu werden, konkurrierten mit der „Bergisch Märkischen Eisenbahn“ (BME) und der „Cöln- Mindener-Eisenbahn“ (CME) zwei Eisenbahngesellschaften, wobei jede ihr eigenes, exklusives Schienennetz betrieb. So entstanden zwei große Kopfbahnhöfe und zwei kleinere Bahnhöfe in Deutz – viele Eisenbahnstrecken durchzogen den Stadtteil und schnitten Deutz vom Rheinufer ab.

Der Bahnhof Schiffbrücke direkt am Deutzer Rheinufer, vorne das Stammhaus der Brauerei Sünner an der Deutzer Freiheit, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons
Der Bahnhof Schiffbrücke direkt am Deutzer Rheinufer, vorne das Stammhaus der Brauerei Sünner an der Deutzer Freiheit, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons

Deutzer Eisenbahnjammer

Diese Entwicklung machte aus dem zuvor beschaulichen Örtchen ohne Rücksicht auf Verluste einen Industriestandort. Insbesondere die Tatsache, dass das Rheinufer durch Bahndämme Deutz faktisch vom Fluss abschnitt, erzürnte die Deutzer und führte zum „Deutzer Eisenbahnjammer“:

Der "Deutzer Eisenbahnjammer" in der Kölnischen Zeitung vom 23. April 1899
Der „Deutzer Eisenbahnjammer“ in der Kölnischen Zeitung vom 23. April 1899

Der Autor beklagte:

„Was ist aus unserm schönen Deutz geworden! Einst ein blühendes Städtchen am Rheinufer … Kein Ort am ganzen Rheinstrom vermochte den malerischen Zauber, die behagliche Geselligkeit darzubieten … uns arme Deutzer hat man durch einen garstigen Eisenbahndamm vom Rheine abgetrennt.  … Tempi passati…“

Gleichzeitig entwickelte sich Deutz zum Amüsierviertel, denn die bis zur Eingemeindung dort eingeräumten Freiheiten führten auch dazu, dass sich insbesondere auf der Prachtstraße Deutzer Freiheit zahllose Gaststätten, Glücksspielbetriebe, Tanzlokale und – für die katholisch geprägten linksrheinischen Kölner unerhört – „Lusthäuser“ ansiedelten.

Rege Bautätigkeit

Schnell entstanden wichtige Infrastrukturprojekte wie der Deutzer Hafen (1907), der Deutzer Bahnhof (1913) und die Messehallen (1923), welche zur „Pressa – Internationalen Presseausstellung“ (1928) massiv ausgebaut werden.  

Die Nationalsozialisten hatten ganz besondere  Pläne für Deutz. Dort sollte ein riesiges „Gauforum“ mit gigantischen Parteibauten und einem großem Aufmarschgelände entstehen. Dafür wäre Deutz nahezu verschwunden. Gut, dass diese Spinnereien nie verwirklicht wurden.

Die Kriegsfolgen waren auch in Deutz verheerend. Hier traf es das rechtsrheinische Köln genau so heftig wie den linksrheinischen Innenstadtbereich. Mit dem Wiederaufbau bekam auch die Entwicklung von Deutz wieder positive Impulse. Die Brücken wurden wieder instandgesetzt, bereits 1947 fanden wieder erste Ausstellungen und Messen statt, bis 1950 standen bereits 52.000 Quadratmeter Hallenfläche wieder zur Verfügung.

Deutz wird Sitz des LVR und der Lufthansa

Mit der umstrittenen Ansiedlung der Hauptverwaltung des Landschaftsverbandes Rheinlandes in Köln3Der Sitz auch der Vorgängerinstitutionen war traditionell in Düsseldorf. Ende der 1950er Jahre nahm Deutz weiter Schwung auf. Die Ford-Werke richteten mitten in Deutz im sogenannten „Ford-Hochhaus“ zahlreiche Großraumbüros ein. Auch die Lufthansa hatte von 1970 bis 2007 im Lufthansa-Hochhaus, heute Lanxess Tower, direkt am Rhein ihren Hauptsitz. Im Deutzer Rheinpark fanden 1957 und 1971 jeweils eine Bundesgartenschau statt.

Prachtstück in Deutz: Der Rheinboulevard, Bild: Raimond Spekking
Prachtstück in Deutz: Der Rheinboulevard, Bild: Raimond Spekking

„Boomtown Deutz“: Düx kütt üvver Kölle

1998 wurde die Kölnarena eröffnet, zeitgleich mit dem „Technischen Rathaus“ der Stadt. Die alten Messehallen wurden im Jahr 2010 neue Heimat des Fernsehsenders RTL und Versicherers HDI. Neue ICE-Gleise im Deutzer Bahnhof ermöglichen Hochgeschwindigkeitsfahrten. So ist der Frankfurter Flughafen von Deutz aus in nur 48 Minuten zu erreichen.

Fazit: Deutz hat eine erfolgreiche Entwicklung genommen. Zwar nennen die Kölner Deutz immer noch spöttisch „Schäl Sick“ – doch mittlerweile ist das schon anerkennend gemeint. Und wenn schon die kölschen Lokalheiligen, die Bläck Fööss, der Schäl Sick huldigen, dann hat Deutz alles erreicht:

Hey Kölle, pass op! Jetz ändert sich die Zick.
Düx kütt üvver Kölle, jetz es et bal su wick.4
„Schal Sick“, Bläck Fööss


Lotsentour „Schäl Sick is schick!“  

Meine Stadtführung „Schäl Sick is schick!“ bietet einen wunderbaren Einblick in dieses ganz besondere Veedel.


Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena Emons Verlag Köln ISBN 978-3-7408-1565-3 12,00 Euro, erhältlich in jeder Buchhandlung
Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena

Der Autor Michael Kriegel hat sein Herz an Deutz verloren, seit er Mitte der 1970er Jahre auf der „Schäl Sick“ studiert hat. Und diese Liebe hat er in dem lesenswerten Buch „Deutz – vom Römischen Kastell zur Köln-Arena“ verewigt.


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Kölner Stadtteile: Klettenberg – zunächst der Park, dann die Siedlung

Luftbild von Klettenberg aus dem Jahr 2017, Bild: Maximilian Schönherr, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Luftbild von Klettenberg aus dem Jahr 2017, Bild: Maximilian Schönherr, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

In Sachen „Grünanlagen“ hat Köln unter den deutschen Städten zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine führende Rolle gespielt. Unter der Regie von Fritz Encke, der 1903 von Berlin nach Köln wechselte und neuer Gartenbaudirektor wurde, entstanden bis Mitte der 1920er Jahre mehr als ein Dutzend städtischer Parks und Grünanlagen. Das erste größere Werk von Fritz Encke war der Klettenbergpark im Jahr 1905.

Bis dahin war Klettenberg ein mehr oder minder unbeschriebenes Blatt gewesen: Im Jahr 1888 hatte die Stadt Köln das weitgehend unbebaute Gebiet zwischen heutiger Luxemburger Straße und den Bahngleisen eingemeindet. Neben dem Gut Klettenberg war auf der gegenüberliegenden Seite der Luxemburger Straße (heutiges Sülz) noch eine Handvoll Häuser, in denen gerade mal 26 Menschen lebten. Es sollte für das neue Kölner Veedel noch 13 Jahre dauern, bis im Jahr 1901 eine Bauplanung vorgelegt wurde.

Der „Feurige Elias“

In der Zwischenzeit hatte am 20. Januar 1898 der „Feurige Elias“ seine regelmäßigen Fahrten von Bonn über das Vorgebirge und die Luxemburger Straße bis zum Barbarossaplatz aufgenommen. 1906 nahm zudem die „Cölnische Straßenbahn-Gesellschaft“ eine Linie über die Luxemburger Straße in Betrieb, die bis zur heutigen Sülzburgstraße verkehrte.

Die Vorgebirgsbahn "Der Feurige Elias", hier um 1900 auf dem Marktplatz in Brühl
Die Vorgebirgsbahn „Der Feurige Elias“, hier um 1900 auf dem Marktplatz in Brühl

Bevor also mit dem Bau des neuen Wohnortes Klettenberg begonnen wurde, waren Eisenbahn, Straßenbahn und auch der Klettenbergpark schon fertig. Geplant war das Siedlungsgebiet für finanziell gut gestellte Menschen wie Kaufleute, Beamte oder leitende Angestellte. Klettenberg sollte etwas Besonderes sein und vor allem Grünflächen bieten.

Siebengebirgsallee und Petersbergstraße sind heute bevorzugte und teure Wohnlagen

Bis heute ist die Siebengebirgsallee, die am Gottesweg die Luxemburger Straße bogenförmig verlässt und diese an der Geisbergstraße wieder erreicht, ein bevorzugtes Wohngebiet. Die Gründerzeithäuser wurden alle zwischen 1905 und 1914 errichtet, 337 Häuser waren zu Beginn des Ersten Weltkrieges fertig gestellt und bezogen worden.

Ein Haus an der Siebengebirgsallee, eine bevorzugte Wohngegend in Klettenberg, Bild: Hac60, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Ein Haus an der Siebengebirgsallee, eine bevorzugte Wohngegend in Klettenberg, Bild: Hac60, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Klettenbergpark wird zum Besuchermagenten

Mindestens genauso beliebt wie die Siebengebirgsallee ist der zuvor erwähnte Klettenbergpark. Gartenbaudirektor Fritz Encke errichtete innerhalb weniger Monate zwischen Nassestraße, Siebengebirgsallee und Luxemburger Straße diesen Park. Die ehemalige Kiesgrube und das brache Gelände gestaltete er mit einem Teich, einem Restaurant, über 250 großen Bäumen, zahllosen Rosen und 50 laufenden Metern Bank. Mit viel Erfolg – der neue Park wurde sehr schnell zu einem Magneten für die Kölner. Bereits kurz nach der Eröffnung erwies sich die provisorische Gastwirtschaft als viel zu klein.

Zu den 100 Tischen sollten noch weitere 50 aufgestellt werden. Außerdem genehmigte die Stadtverordnetenversammlung im April 1909 ein größeres  Restaurationsgebäude. Mit knapp 100.000 Mark war es um einige wenige tausend Mark teurer als die gesamte Parkanlage selbst. Das Restaurant wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Der Rosengarten im Klettenbergpark, Bild: Maximilian Schönherr, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Der Rosengarten im Klettenbergpark, Bild: Maximilian Schönherr, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Erfolgreich waren auch die Häuser und Wohnungen in Klettenberg: Viele Bürger aus Sülz gaben gern als Adresse Klettenberg an, obwohl sie eindeutig auf Sülzer Gebiet wohnten. Schließlich galt Klettenberg als die vornehmere Adresse, die Heimstatt für die so genannten besseren Kreise. Andere Sülzer hingegen störten sich daran nicht und stempelten die Klettenberger kurzerhand als hochmütig ab.

Mit dem Bau der Häuser und dem Park verschwand das, was eigentlich Klettenberg seit dem Jahr 1225 gewesen war: ein Gutshof mit einem Park voller Obstbäume, Gemüsegärten, einem kleinen Teich sowie vielen Alleebäumen und einem Berg. Das Gut Klettenberg begann einmal dort am Gottesweg, wo die Siebengebirgsallee auf die Luxemburger Straße stößt, war also weiter stadteinwärts als der heutige Klettenbergpark.

„Cletenbergh“ oder „Cleytenberch“ oder „Clettenbergh“

Auch wenn das Gartengut verschwand, so blieb doch wenigstens der Name; mal schrieb man „Cletenbergh“, mal „Cleytenberch“ oder auch „Clettenbergh“. Dem ersten Teil des Namens ist bislang noch niemand auf die Spur gegangen, zumindest wenn es um Köln-Klettenberg geht. In den Nachschlagewerken findet man unter Klettgau, Klettbach, Kleestadt, Clete als gemeinsame Wurzel „kled“, was so viel wie „klebrige Feuchtigkeit“ bedeuten soll.

Man könnte den ersten Namensteil Kletten- von Klettenberg aber auch auf das mittellateinische „cleta“ zurückführen, das keltischen Ursprung hat. Es steht für „Geflecht“ oder „Einzäunung“.

Als dritte Möglichkeit käme aber auch die Bedeutung „fester Ton, Lehm“ in Frage, wenn man Kletten- auf das mittelniederdeutsche „klei“ zurückführt. Nicht unwahrscheinlich, denn im Laufe der Jahrhunderte schrieb man unter anderem auch Cleytenberch.

Während die „klebrige Feuchtigkeit“ (zahlreiche tote Rheinarme in der Kölner Bucht) wie auch „der feste Ton, Lehm“ (zahlreiche Kiesgruben und Ziegeleien im 19. Jahrhundert unter anderem auch im benachbarten Sülz) durchaus mit Klettenberg in Verbindung gebracht werden können, leuchten die Worterklärungen „Geflecht“ und „Einzäunung“ nicht ohne weiteres ein.

Sprachwissenschaftler führen Clettemberg im Kreis Hohenstein auf die Bedeutung „Geflecht, Einzäunung“ zurück. Was für dieses ferne Clettemberg gilt, kann auch für unser Klettenberg gelten – kann, muss aber nicht.

Der zweite Teil des Namens Klettenberg weist eindeutig auf das Gelände hin, einen Berg, eine Anhöhe. So war im Volksmund die Formulierung „auf dem Klettenberg“ über Jahrhunderte gängig.


Kardinal Joseph Frings im Jahr 1959, Bild: City Archives Kerpen, CC BY 4.0
Kardinal Joseph Frings im Jahr 1959, Bild: City Archives Kerpen, CC BY 4.0

Kardinal Frings in Klettenberg 

Stefan hat selber lange in Klettenberg gewohnt. Und mir erzählt, dass Kardinal Frings seine Reden im Brunosaal1Das ist der Gemeindesaal der Klettenberger Brunokirche. gerne mit den Worten „Liebe Männer und Frauen aus Sülz, sehr geehrte Damen und Herren aus Klettenberg, …“ eingeleitet hat.

Dieses Bonmot ist, so Stefan, überliefert von einem Zeitzeugen aus dem Klerus. Vielen Dank für diese Ergänzung! 


Teiles dieses Texts durfte ich mit freundlicher Genehmigung des Emons-Verlags aus dem Buch „Kölns 85 Stadtteile“ von Christian Schuh übernehmen.


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