Kölner Stadtteile: Deutz – Veedel zwischen Historie und Moderne

Deutz um 1900 mit der geöffneten Schiffbrücke und dem Bahnhof Schiffbrücke am Deutzer Rheinufer, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons
Deutz um 1900 mit der geöffneten Schiffbrücke und dem Bahnhof Schiffbrücke am Deutzer Rheinufer, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons

Im Kölner Lokal-Anzeiger war es am 1. April 1888 nur eine Meldung auf Seite drei unter „Locales“, für das stolze, eigenständige Deutz aber das Ende der Eigenständigkeit: Nach mehr als 1.500 Jahren wird Deutz nach Köln eingemeindet und hört auf, als eigenständiger Ort zu existieren.

Die Eingemeindung vieler bis 1888 eigenständiger Gemeinden nach Köln als Meldung auf Seite 3 unter "Locales" im Kölner Local-Anzeiger vom 1. April 1888
Die Eingemeindung vieler bis 1888 eigenständiger Gemeinden nach Köln als Meldung auf Seite 3 unter „Locales“ im Kölner Local-Anzeiger vom 1. April 1888

Die Eingemeindung betraf aber nicht nur Deutz, sondern viele weitere bis dahin eigenständige Gemeinden. Unter anderem Ehrenfeld, Müngersdorf, Nippes oder auch das rechtsrheinische Poll.

Doch die Deutzer hatten etwas besser verhandelt: So wurde der Bürgermeister von Deutz Beigeordneter in Köln, das Standesamt verblieb im Deutzer Rathaus, und es gab Geld für verschiedene Baumaßnahmen. Trotzdem war es für die traditionell freiheitsliebenden, stolzen Deutzer schwer zu verkraften: Ab diesem Tag war das wirtschaftlich prosperierende Deutz nur noch ein Stadtteil von Köln.

Modell des Kastells Divitia, Bild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0
Modell des Kastells Divitia, Bild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0

Keimzelle: Das römische „Kastell Divitia“ 

Begonnen hatte alles um das Jahr 308 n. Chr. herum: Um die wichtige Colonia Claudia Ara Agrippinensium, unser heutiges Köln, vor den rechtsrheinischen Germanen zu schützen, wurde in Deutz das Kastell Divitia errichtet. Der Rhein bildete die eigentliche Grenze, das Kastell diente als Brückenkopf der Römer im „Land der Barbaren“. Geschützt wurde dadurch auch die Konstantinbrücke, die erste feste Brücke über den Rhein.

Darstellung der Konstantinbrcke aus dem Jahr 1608 mit viel künstlerischer Freiheit, so gab es z.B. keinen Turm in der Brückenmitte
Darstellung der Konstantinbrücke aus dem Jahr 1608 mit viel künstlerischer Freiheit, so gab es z.B. keinen Turm in der Brückenmitte

Nachdem die Franken ab etwa 355 n. Chr. regelmäßig Köln angriffen, geben die Römer die Stadt im Jahr 462 n. Chr. auf. Aus dem Kastell wurde später ein fränkischer Königshof. Die genaue Entwicklung von Deutz in diesen Jahren ist unklar. Erst mit Erzbischof Heribert, der an der Stelle des Hofes im Jahr 1003 ein Benediktinerkloster gründete, nahm die Entwicklung von Deutz wieder Fahrt auf. Im Jahr 1230 wurde Deutz zur Stadt erhoben.

Deutz im Machtkampf zwischen Köln und den Grafen von Berg

Und genau diese Stadt Deutz stand im Zentrum der Machtkämpfe zweier Rivalen: Auf der linksrheinischen Seite die Freie Reichsstadt Köln, auf der rechtsrheinischen Seite die Grafen von Berg.

Mehrfach wurde Deutz überfallen, geplündert, gebrandschatzt. Der Ort verlor die Stadtrechte und wurde zu einer „Vrijheit“1Eine Art „Stadtrechte light“. herabgestuft. Im Jahr 1538 verbrannten durch eine Brandstiftung große Teile von Deutz. Im sogenannten „Kölner Krieg“ 1583 zerstörten marodierende Truppen die Ortschaft sogar nahezu vollständig.

Gleichzeitig wurde der rechtsrheinische Ort zur Zuflucht für die 1424 aus dem linksrheinischen Köln vertriebenen Juden, später auch für die im „Hillije Kölle“ so ungeliebten Protestanten. So entwickelte sich Deutz und wurde liberaler, freier, aufgeschlossener und fremdenfreundlicher als das linksrheinische Köln und erlebte so nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs (1618 – 1648) einen Wirtschaftsaufschwung.

Das Kürassier-Denkmal "Lanzenreiter" an der Deutzer Rheinpromnenade erinnert an die Preußische Garnison in Deutz, Bild: Raimond Spekking
Das Kürassier-Denkmal „Lanzenreiter“ an der Deutzer Rheinpromnenade erinnert an die Preußische Garnison in Deutz, Bild: Raimond Spekking

Die Preußen verändern Deutz massiv

Mit der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress 1814/15 änderte sich für Köln und Deutz fast alles: Die Preußen erschufen aus Köln die „Festung Cöln“. Auch rechtsrheinisch wehte ein neuer, stark militärisch geprägter Wind. In Deutz entstand die große Dragoner Kaserne, der größte Teil der Deutzer Bevölkerung bestand aus Soldaten oder Mitarbeitern der Militärverwaltung.

Die Deutzer Schiffbrücke um 1900, Bild: US- Library of Congress
Die Deutzer Schiffbrücke um 1900, Bild: US- Library of Congress

Gleichzeitig stieg die Bedeutung von Deutz als Verkehrsknotenpunkt. Die Deutzer Schiffbrücke, errichtet 1822, war die erste Kölner Brücke nach der Konstantinbrücke. Vorher mussten sich die Kölner etwa 900 Jahre mit Fähren behelfen, um die Rheinseiten zu wechseln.

Deutz wird bedeutender Industriestandort und Eisenbahnknotenpunkt

In Köln entwickelte Nicolaus August Otto einen neuartigen Motor – eine Erfindung, die die Welt und auch Deutz grundlegend verändern sollte. Zusammen mit Eugen Langen gründete er die Motorenfabrik „N.A. Otto & Cie“. Doch der Platz in der Servasgasse, fast noch im Schatten des Doms, reichte nicht aus. Ein neues Werksgelände entstand in Deutz. Ähnlich ging es der ursprünglich am Kartäuserwall befindlichen Seilerei Felten & Guilleaume2Von den Kölnern gerne als „faul & gemütlich“ bezeichnet., die genau wie auch die Chemische Fabrik Kalk im Rechtsrheinischen weitläufige Produktionsstätten errichtete.

Um die neuen Industriegebiete zu erschließen und dem stetig wachsenden Bedarf nach Mobiltät gerecht zu werden, konkurrierten mit der „Bergisch Märkischen Eisenbahn“ (BME) und der „Cöln- Mindener-Eisenbahn“ (CME) zwei Eisenbahngesellschaften, wobei jede ihr eigenes, exklusives Schienennetz betrieb. So entstanden zwei große Kopfbahnhöfe und zwei kleinere Bahnhöfe in Deutz – viele Eisenbahnstrecken durchzogen den Stadtteil und schnitten Deutz vom Rheinufer ab.

Der Bahnhof Schiffbrücke direkt am Deutzer Rheinufer, vorne das Stammhaus der Brauerei Sünner an der Deutzer Freiheit, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons
Der Bahnhof Schiffbrücke direkt am Deutzer Rheinufer, vorne das Stammhaus der Brauerei Sünner an der Deutzer Freiheit, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons

Deutzer Eisenbahnjammer

Diese Entwicklung machte aus dem zuvor beschaulichen Örtchen ohne Rücksicht auf Verluste einen Industriestandort. Insbesondere die Tatsache, dass das Rheinufer durch Bahndämme Deutz faktisch vom Fluss abschnitt, erzürnte die Deutzer und führte zum „Deutzer Eisenbahnjammer“:

Der "Deutzer Eisenbahnjammer" in der Kölnischen Zeitung vom 23. April 1899
Der „Deutzer Eisenbahnjammer“ in der Kölnischen Zeitung vom 23. April 1899

Der Autor beklagte:

„Was ist aus unserm schönen Deutz geworden! Einst ein blühendes Städtchen am Rheinufer … Kein Ort am ganzen Rheinstrom vermochte den malerischen Zauber, die behagliche Geselligkeit darzubieten … uns arme Deutzer hat man durch einen garstigen Eisenbahndamm vom Rheine abgetrennt.  … Tempi passati…“

Gleichzeitig entwickelte sich Deutz zum Amüsierviertel, denn die bis zur Eingemeindung dort eingeräumten Freiheiten führten auch dazu, dass sich insbesondere auf der Prachtstraße Deutzer Freiheit zahllose Gaststätten, Glücksspielbetriebe, Tanzlokale und – für die katholisch geprägten linksrheinischen Kölner unerhört – „Lusthäuser“ ansiedelten.

Rege Bautätigkeit

Schnell entstanden wichtige Infrastrukturprojekte wie der Deutzer Hafen (1907), der Deutzer Bahnhof (1913) und die Messehallen (1923), welche zur „Pressa – Internationalen Presseausstellung“ (1928) massiv ausgebaut werden.  

Die Nationalsozialisten hatten ganz besondere  Pläne für Deutz. Dort sollte ein riesiges „Gauforum“ mit gigantischen Parteibauten und einem großem Aufmarschgelände entstehen. Dafür wäre Deutz nahezu verschwunden. Gut, dass diese Spinnereien nie verwirklicht wurden.

Die Kriegsfolgen waren auch in Deutz verheerend. Hier traf es das rechtsrheinische Köln genau so heftig wie den linksrheinischen Innenstadtbereich. Mit dem Wiederaufbau bekam auch die Entwicklung von Deutz wieder positive Impulse. Die Brücken wurden wieder instandgesetzt, bereits 1947 fanden wieder erste Ausstellungen und Messen statt, bis 1950 standen bereits 52.000 Quadratmeter Hallenfläche wieder zur Verfügung.

Deutz wird Sitz des LVR und der Lufthansa

Mit der umstrittenen Ansiedlung der Hauptverwaltung des Landschaftsverbandes Rheinlandes in Köln3Der Sitz auch der Vorgängerinstitutionen war traditionell in Düsseldorf. Ende der 1950er Jahre nahm Deutz weiter Schwung auf. Die Ford-Werke richteten mitten in Deutz im sogenannten „Ford-Hochhaus“ zahlreiche Großraumbüros ein. Auch die Lufthansa hatte von 1970 bis 2007 im Lufthansa-Hochhaus, heute Lanxess Tower, direkt am Rhein ihren Hauptsitz. Im Deutzer Rheinpark fanden 1957 und 1971 jeweils eine Bundesgartenschau statt.

Prachtstück in Deutz: Der Rheinboulevard, Bild: Raimond Spekking
Prachtstück in Deutz: Der Rheinboulevard, Bild: Raimond Spekking

„Boomtown Deutz“: Düx kütt üvver Kölle

1998 wurde die Kölnarena eröffnet, zeitgleich mit dem „Technischen Rathaus“ der Stadt. Die alten Messehallen wurden im Jahr 2010 neue Heimat des Fernsehsenders RTL und Versicherers HDI. Neue ICE-Gleise im Deutzer Bahnhof ermöglichen Hochgeschwindigkeitsfahrten. So ist der Frankfurter Flughafen von Deutz aus in nur 48 Minuten zu erreichen.

Fazit: Deutz hat eine erfolgreiche Entwicklung genommen. Zwar nennen die Kölner Deutz immer noch spöttisch „Schäl Sick“ – doch mittlerweile ist das schon anerkennend gemeint. Und wenn schon die kölschen Lokalheiligen, die Bläck Fööss, der Schäl Sick huldigen, dann hat Deutz alles erreicht:

Hey Kölle, pass op! Jetz ändert sich die Zick.
Düx kütt üvver Kölle, jetz es et bal su wick.4
„Schal Sick“, Bläck Fööss


Lotsentour „Schäl Sick is schick!“  

Meine Stadtführung „Schäl Sick is schick!“ bietet einen wunderbaren Einblick in dieses ganz besondere Veedel.


Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena Emons Verlag Köln ISBN 978-3-7408-1565-3 12,00 Euro, erhältlich in jeder Buchhandlung
Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena

Der Autor Michael Kriegel hat sein Herz an Deutz verloren, seit er Mitte der 1970er Jahre auf der „Schäl Sick“ studiert hat. Und diese Liebe hat er in dem lesenswerten Buch „Deutz – vom Römischen Kastell zur Köln-Arena“ verewigt.


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