Wenn es bei der Kölner Fortuna im Südstadion gut läuft, erschallt neben den obligatorischen „Fortuna“-Rufen auch „Zollstock ist das Maß aller Dinge.“ Was zunächst vermessen scheint, ist aber tatsächlich die Wahrheit: Mit einem Zollstock lassen sich alle beliebigen Dinge vermessen. Nur hat der Name des Kölschen Veedels Zollstock nichts mit dem gleichnamigen Gliedermaßstab zu tun, sondern mit einer ehemaligen Zollgrenze.
Zollgrenze zwischen erzbischöflichem Gebiet und der freien Reichsstadt Köln
Bevor der eigentliche Stadtteil entstand, fanden sich auf dem Gebiet des heutigen Zollstocks nur Kappesboore1Bauern, die Kohl anbauen. und, dank des lehmreichen Bodens, einige Ziegeleien. Erst 1877 findet sich die erste Erwähnung des Ortsnamens Zollstock in „Grevens Adressbuch“. Doch den eigentlichen Zollstock, welcher die Zollgrenze bildete, gab es bereits etwa 100 Jahre früher.
Schon seit etwa 1770 wurden vor den Stadttoren der Stadt Köln Schlagbäume aufgestellt. Die Zollgrenze bildete der Bischofsweg. Dieser Bischofsweg2Nicht zu verwechseln mit dem heutigen Bischofsweg als Verbindung zwischen Bonner Straße und Vorgebirgsstraße. lief einmal rund um die damalige Stadt Köln und markierte die Grenze zwischen der Reichsstadt Köln und den vom Erzbischof kontrollierten Territorien, abgegerenzt durch Schlagbäume. Auch im heutigen Zollstock befand sich ein solcher Schlagbaum.
Zuerst wenig wohnliche Gegend, später „Schutzmannshausen“
Ab ca. 1815/16 gehörte das heutige Zollstocker Gebiet zur Bürgermeisterei Rondorf. Die Lehmhütten in Zollstock und die Kiesgruben führten dazu, dass es in Zollstock, so der Bürgerverein Zollstock, „aussah wie eine Mondlandschaft: Brachgelände, Mulden, Erdhügel, einige größere Gruben am Gottes- und Zollstocksweg reichten sogar bis aufs Grundwasser.“
Verständlich, dass sich hier zunächst nur wenige Menschen niederlassen wollten. So wurden für das Jahr 1880 gerade einmal 102 Einwohner verzeichnet. Im Zuge der zahlreichen Eingemeindungen im Jahr 1888 wurde der Stadtteil nach Köln eingemeindet – ein Glücksfall für Zollstock. Denn mit dieser Eingemeindung siedelten sich zahlreiche Unternehmen und damit auch deren Arbeitnehmer an.
So begann Zollstock ab dem Jahr 1900 massiv zu wachsen. Zahlreiche Wohnungsbaugenossenschaften errichteten Siedlungsbauten, vorrangig für Beamte. Schnell bürgerte sich daher der Begriff „Schutzmannshausen“ ein. Diese Wohnhäuser, unter anderem auch von Wilhelm Riphahn, prägen noch immer das Zollstocker Stadtbild. Heute leben mehr als 23.000 Menschen in diesem Stadtteil.
Straßenbahn selber bezahlt?
Zollstock ist durch die Straßenbahnlinie 12 angebunden. Karlheinz Steimel, Vorsitzender des Zollstocker Bürgervereins im Jahr 2008, stellte klar, dass Zollstocker Geschäftsleute und Bürger schon ab 1900 für eine Anbindung ans Straßenbahnnetz kämpften. Doch der Bau der Straßenbahn wurde von der Stadt erst beschlossen wurde, nachdem die „Vereinigung der Fabrik-, Haus- und Grundbesitzer von Köln Zollstock“ 50.000 Goldmark dafür gesammelt hatte.
Angeblich hätten die Zollstocker 1904 als einziger Stadtteil für die Schienen der Straßenbahn selber zahlen müssen.
„Man muss ja auch nicht alles glauben, was man so hört … – mer kann et ävver jot wigger verzälle!“, so der Ur-Zollstocker, Stadtführer, Buchautor und Liedermacher Günter Schwanenberg zu der „Ortslegende“ rund um die bezahlte Straßenbahn. Tatsächlich, so Schwanenberg, wurden wohl auch andere Stadtteile zur Kasse gebeten.
Kölns größer Friedhof liegt in Zollstock
Die Endhaltestelle der Zollstocker Straßenbahnlinie 12 ist heute an Kölns größtem Friedhof, dem Südfriedhof. Auch wenn die Promi-Dichte nicht so hoch ist wie auf dem Melatenfriedhof, haben auf dem Südfriedhof eine ganze Reihe bekannter Kölner ihre letzte Ruhe gefunden. Und da das Villenviertel Marienburg zum Beerdigungsbezirk des Südfriedhofs gehört, gibt es auch hier eine kleine „Millionenallee“.
Der eher an einen Park erinnernde Friedhof, eröffnet am 1. April 1901, weist nicht das typische schachbrettartige Muster von Friedhöfen auf. Die bogenförmig angelegten Wege des ältesten Teils des Friedhofs laden dazu ein, nicht systematisch über das Gelände zu gehen. Eher lässt man sich treiben, erkundet auch kleinere Gräberfelder.
Indianer mitten in der Stadt?
Eine Besonderheit ist die sogenannten „Indianersiedlung“ in Zollstock. Auf einem Gelände in der Nähe des Südfriedhofs wurden Ende der 1920er Jahre für bedürftige Menschen Behelfssiedlungen zugelassen. Die Auflagen für den Bau waren, um die Kosten möglichst niedrig zu halten, sehr gering. Allerdings musste schnell nach Erteilung eines „Bauscheins“ mit dem Bau begonnen werden. Wie und was gebaut wurde, wurde den Bauherren überlassen.
So entstanden sehr individuelle Bauten, die nach dem Zweiten Weltkrieg auch von Flüchtlingen und später von Studenten, die alternative Wohnformen suchten, genutzt wurden.
Doch schon seit den 1960er Jahren wurde über eine Erweiterung des Südfriedhofs nachgedacht. Dafür wurden die sich im städtischen Besitz befindlichen Parzellen der Indianersiedlung geräumt, berichtet der ausgewiesene Zollstock-Kenner Günter Schwanenberg. Die Parzellen, die sich im Besitz der Bahn befanden, blieben unangetastet.
Allerdings waren die Hippies und Kommunarden in der Siedlung von Seiten der Stadt wenig erwünscht. Daher beschloss man 1978 eine Änderung des Flächennutzungsplans: Die Indianersiedlung sollte verschwinden, stattdessen sollte der Südfriedhof vergrößert und auch Gewerbeflächen angeboten werden. Doch die Siedler zeigten sich wehrhaft und organisierten sich erfolgreich. Sie gründeten eine Genossenschaft und kauften das Gelände Ende der 1990er Jahre.
Der Begriff „Indianersiedlung“ stammt von dem Autor Hans Conrad Zander, ebenfalls Bewohner dieser Siedlung. Er besuchte Indianer-Reservate und stellte Ähnlichkeiten mit der Siedlung in Zollstock fest. Diese sei, so Zander, ähnlich eigenwillig und naturverbunden und er prägte daher den Begriff „Indianersiedlung“.
Denn Fortuna, dat simmer all he
Auch wenn sich der SC Fortuna Köln immer als „Südstadtverein“ präsentiert: Tatsächlich liegen Stadion und Geschäftsstelle in Zollstock. Wenn die Vereins-Hymne am Spieltag durch das Stadion an der Vorgebirgsstraße schallt und sich alle bei „Dausend Fahne, nur ze ahne“ in den Armen liegen, ist allen leidgeprüften Fortuna-Fans klar, dass es irgendwann so weit sein wird:
„Eines Tages wird’s geschehen,
ja dann fahren wir nach Mailand,
um Fortuna Köln zu sehen.“
Zollstocker sind gut organisiert!
Auch unabhängig von den „Indianern“ zeigt sich Zollstock sehr gut organisiert. Nicht nur wegen des Bürgervereins Zollstock, immerhin einer der größten und ältesten Bürgervereine Kölns, sondern auch wegen zahlreicher Initiativen und Vereine wie zum Beispiel
- „Zollstäck lääv e.V.“ für ein lebendiges Veedel,
- „Die Freunde Freunde des Zollstocker Dienstagszugs e.V.“, die sich auch außerhalb des Karnevals für ihren Stadtteil einsetzen,
- die „Adler-Schützen“,
- der Selbsthilfeverein für Menschen mit und ohne chronische Erkrankungen „DIVHA – Köln e.V.„.
- die Initiative „Zollstock im Wandel“,
- ZollstocKULTUR e.V.,
- oder Sportvereine wie Rot-Weiss Zollstock oder Arminia 09.
Einer der schönsten Biergarten Kölns befindet sich in Zollstock, am Kalscheurer Weiher. Im Grüngürtel betreibt eine Bürgerinitiative seit ein paar Jahren liebevoll ein Büdchen, für welches mehr als 40.000 Euro an Spenden eingeworben und viele tausend Stunden ehrenamtlicher Arbeit geleistet wurden. Für die Freizeitkapitäne gibt es einen Bootsverleih.
Zollstock aus Zollstock
Und wie war das jetzt mit „Maß aller Dinge“? Der Zollstocker Bürgerverein hat das mit dem „Zollstock aus Zollstock“ wörtlich genommen und zum 111jährigen Jubiläum tatsächlich einen Zollstock mit dem Zollstocker Wappen produzieren lassen.
Jood jemaht!
111 Jahre Allgemeiner Bürgerverein Zollstock
Zum 111jährigen Jubiläum im Jahr 2019 hat der Allgemeine Bürgerverein Zollstock eine Festschrift herausgegeben. Der Ur-Zollstocker Günter Schwanenberg hat die Geschichte des Bürgervereins, die untrennbar mit der Geschichte des Veedels verbunden ist, aufgearbeitet.
Anders als übliche Festschriften, die oft nur aus Werbung des lokalen Einzelhandels bestehen, hat Schwanenberg akribisch, zum Teil kritisch, aber immer mit einem Augenzwinkern die 111 Jahre des Bürgervereins in 52 äußerst lesenswerte Seiten gefasst.
Zollstock: „Du häs Charme, ävver kei Minsch erkennt dat“
Die Bläck Föös haben neben der Fortuna-Vereinshymne auch noch einen zweiten Titel zu Zollstock im Repertoire. Im Lied „Zollstock“ aus der Feder von Hans Knipp heißt es:
Du liss janz noh bei d`r Maathall,
wick vun Amsterdam Rio un Rom,
m‘r läuf verdammp lang bes noh Knapsack
un och e joot Stöck bes zom Dom.Joot versteck zwesche drei Täler,
Linden-, Bayen- un Raderthal,
recks Du Dich däm Himmel entjäje,
doch däm es dat völlich ejal.Refrain:
Zollstock, Zollstock, Zollstock,
en Zollstock es et su schön.
Ding Kirche, Kneipe un Parkplätz,
ding Schreberjäde su jrön.Zollstock, Zollstock, Zollstock, Zollstock,
die Melodie en mir klingk.
Dä kann sich jlöcklich schätze,
dä Dich om Stadtplan fingk.Et Eifeltor es di Hätzstöck,
häs ne Friedhof, su still un su jroß.
Du häs Charme, ävver kei Minsch erkennt dat,
doch dat määt dir hätzlich winnich us.Ding Mädche, die laache am Morje,
se laache d’r janze Daach,
se laache och noch am Ovend,
mein Jott, se laachen och de janze Naach.Refrain:
Zollstock, Zollstock, Zollstock…Du woods noch niemols besunge,
wä will, dä soll dat verston.
Do es noch kei Minsch drop jekumme,
dobei häs Du doch keinem jet jedon.Ich ben leider nit he jebore,
ich kumm nur janz selden he hin.
Doch eine letzte Wunsch, dä hätt ich,
deef en Zollstock bejrave ze sin.Refrain:
Zollstock, Zollstock, Zollstock…Zollstock, Zollstock, Zoll- Zoll- Zollstock
E besje bes de wie ich
Ich kenne su- u – vill Minsche,
ävver keiner kennt mich.Weißes Schiff, bring mich nach Zollstock
in die Heimat zurück.
Ich ston om Mond un luur op Zollstock.
Wann kütt die 12, ich muss noh Zollstock.
Zollstock, Zollstock schlof joot.
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