
Als Josef Stübben im Jahr 1881 seinen Dienst in Köln antrat, standen Stadt und Verwaltung vor einer Jahrhundertaufgabe. Der Abriss der mittelalterlichen Stadtmauer war im vollen Gange. Die Domstadt brauchte Platz zum Wachsen, Luft zum Atmen und Straßen, auf denen sich die Zukunft bewegen konnte. Stübbens Aufgabe war die Gestaltung der Kölner Neustadt – ein Werk, das bis heute das Gesicht der Stadt prägt.
Geboren wurde Hermann Josef Stübben am 10. Februar 1845 in Hülchrath (heute Stadt Grevenbroich). Er war das älteste von zehn Kindern, wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Nach dem Abitur in Düsseldorf absolvierte er sein Studium an der Bauakademie in Berlin. Bereits früh zeigte sich seine Affinität zum technischen, zugleich aber auch zum gestalterisch-gesellschaftlichen Anspruch der Stadtentwicklung. Er legte 1871 das Staatsexamen ab und wurde mit einem Stipendium ausgezeichnet – ein erster Fingerzeig für seine steile Karriere, die folgen sollte.
Köln: Stadterweiterung mit System
Nach ersten Jahren als Bauingenieur bei der Eisenbahn begann Stübbens Karriere als Stadtbaumeister in Aachen, wo er mit gerade einmal 31 Jahren die Verantwortung für den städtischen Hoch- und Tiefbau übernahm. Seine städtebaulichen Entwürfe, etwa für neue Wohngebiete und die Gesamtentwicklung Aachens, folgten einem damals revolutionären Denken: Nicht einzelne Häuser sollten geplant werden, sondern ganze Stadtteile im Zusammenhang – langfristig, mit Flexibilität für spätere Anpassungen. Diese Methodik begründete den modernen Städtebau. Wegen seiner außerordentlichen Verdienste ließ der Ruf aus Köln nicht lange auf sich warten.
Als Josef Stübben 1881 nach Köln kam, hatte die Stadt gerade einen folgenschweren Entschluss gefasst: Die mittelalterliche Befestigung, lange ein Hemmnis für jede Entwicklung, war gefallen. Die Stadt durfte sich nun über die alten Wälle hinaus entfalten. Die Vision: eine moderne Großstadt – offen, gesund, lebenswert. Den Wettbewerb zur Planung der Stadterweiterung gewann Stübben gemeinsam mit dem Architekten Karl Henrici. Doch es war Stübben, der das Projekt federführend umsetzte.

Das Zentrum seiner Planung: die Kölner Neustadt – ein Gürtel, der sich hufeisenförmig um das alte Stadtzentrum legte, gegliedert durch breite Alleen, großzügige Platzanlagen und eine klare funktionale Trennung von Wohn-, Verwaltungs- und Verkehrsbereichen. Es entstand die charakteristische Kölner Ringstraße, die zwischen 1886 und 1891 etappenweise eröffnet wurde. Stübbens Entwurf verband Repräsentation mit Funktionalität, Militärgeschichte mit urbaner Moderne: Aus dem einstigen Festungsring wurde ein Prachtboulevard.

Stübben berücksichtigte in seinen Planungen das zukünftige Wachstum Kölns und legte systematisch die Grundstruktur der neuen Viertel fest. Das war nicht nur vorausschauend – es war revolutionär.
Durchmischte Bebauung als soziale Innovation
Die Neustadt wurde in zwei große Bereiche unterteilt: Neustadt-Nord und Neustadt-Süd, flankiert von neuen Verkehrstrassen, durchzogen von grünen Promenaden. Das städtebauliche Raster folgte klaren Linien, jedoch aufgelockert durch Plätze wie den Zülpicher Platz, Rudolfplatz oder Ebertplatz.

Stübben plädierte für eine durchmischte Bebauung, in der Mietskasernen, Wohnhäuser für das gehobene Bürgertum und Einrichtungen der Daseinsvorsorge wie Schulen, Kirchen oder Krankenhäuser nebeneinander Platz fanden. Auch die Idee einer durchgehenden Straßenbeleuchtung, breiten Gehwegen und moderner Entwässerung wurde von ihm mitgedacht.
Ein Mann mit Weitblick
Stübbens Konzept für Köln war geprägt von Pragmatismus und Idealismus gleichermaßen. Er wollte keine „Traumstadt“, sondern eine funktionierende Metropole – gesund, sozial durchmischt, anpassbar. 1890 erschien sein Buch „Der Städtebau“, das zum Standardwerk wurde und internationale Aufmerksamkeit fand. Bis 1924 erlebte es drei Auflagen. Das Buch war weit mehr als ein Fachbuch – es war ein Manifest für den Städtebau als umfassende, gesellschaftlich relevante Disziplin.

In Köln wurde er 1889 zum Stadtbaurat, 1892 zum Beigeordneten ernannt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war er nicht mehr nur Fachmann, sondern auch Entscheider – ein Architekt, der Politik machen konnte.
Städtebau im Rheinland – und darüber hinaus
Neben Köln plante Stübben die Stadterweiterungen von Düsseldorf, Heerdt-Oberkassel, Saarlouis und Aachen. In Koblenz sah mab ebenfalls die Entwicklung der Stadt auf dem Gelände der geschleiften Festungsanlagen vor – dank der Erfahrungen aus Köln für Stübben eine vertraute Aufgabe. Auch in Belgien, etwa in Brügge, Antwerpen oder Brüssel, wurde Stübben als Planer tätig. Dass König Leopold II. von Belgien persönlich mit ihm über Städtebau sprach, zeigt die internationale Anerkennung seiner Arbeit.
Neben seiner Planungstätigkeit war Stübben auch in sozialen Fragen engagiert. Er trat für den Bau von Arbeiterwohnungen ein und gründete 1899 mit anderen den „Rheinischen Verein zur Förderung des Arbeiterwohnungswesens“. Als einer der Ersten erkannte er die Notwendigkeit gemeinnütziger Baugesellschaften, die auch ärmeren Bevölkerungsschichten menschenwürdiges Wohnen ermöglichten.

1904 verließ er Köln und ging nach Berlin. Dort arbeitete er als Oberbaurat im Preußischen Finanzministerium an der Umgestaltung der ehemaligen Festungsstadt Posen. Auch in seiner späten Karriere blieb er aktiv: Er gewann Städtebau-Wettbewerbe für Bilbao (1926) und Madrid (1930) und beriet sogar 1929 beim Ausbau der Vatikanstadt.
Seine Planung lebt im Stadtbild weiter
Stübben starb am 8. Dezember 1936 im Alter von 91 Jahren, beigesetzt wurde er in Berlin. Er war kein Theoretiker am Schreibtisch, sondern ein Mann der Umsetzung.
Für ihn war klar: Eine Stadt kann nur dann schön und lebenswert sein, wenn sie auch den praktischen Anforderungen entspricht – Verkehr, Hygiene, soziale Infrastruktur. Genau das hatte Köln zur Zeit seiner größten Expansion dringend gebraucht – und genau das lieferte Josef Stübben.

Ohne Stübben keine Kölner Neustadt. Ohne Neustadt kein modernes Köln. Was Josef Stübben für die Stadt am Rhein geleistet hat, reicht weit über das Ziehen von Straßenzügen hinaus. Er hat Köln auf ein neues Fundament gestellt – technisch, sozial, ästhetisch.
Ein Stadtbaumeister, der wusste, wie Städte wirklich funktionieren. Und dessen Planungsgeist bis heute im Stadtbild weiterlebt.
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