
Diese Folge vom „Köln Ding der Woche“ ist diesmal nicht in unserem Studio entstanden, sondern ein Auswärtsspiel: Im Schokoladenmuseum, mit Blick auf Rhein, Dom und Riesenrad.
Wir dürfen mit Annette Imhoff sprechen. Sie ist die Chefin des Hauses. Und natürlich versorgt uns Annette bestens – auf dem Tisch liegt Schokolade, bevor überhaupt jemand „Aufnahme“ sagen kann.
„Museum für Schokolade? Das ist doch völlig verrückt!“
Annette erzählt die Geschichte, als wäre sie schon immer da gewesen – aber am Anfang stand eine ziemlich verrückte Idee. Ihr Vater, Hans Imhoff, übernimmt 1972 das marode Traditionsunternehmen Stollwerck, rettet alte Maschinen, Schilder, Sammelbilder und Akten vor der Verschrottung und lagert alles erstmal in Porz ein. Ein bisschen wie ein Sammler, der sagt: „Wegschmeißen? Auf keinen Fall! Das hat doch Geschichte!“
Daraus entsteht zunächst nur eine interne „Schokokammer“. Aber Imhoff denkt größer. Er wettet mit sich selbst: Wenn zu einer großen Jubiläumsausstellung im Gürzenich genügend Besucher kommen, baut er ein echtes Museum. Die Ausstellung wird ein Volltreffer – der Gürzenich voll mit Schokolade, der erste Schokoladenbrunnen, der anfangs eher Explosion als Installation ist. Die Schokolade spritzt bis an die Decke, die Flecken kann Annette Jahre später in einer Doku noch zeigen. Wette gewonnen, Ausrede weg: Das Museum muss her.
Die Stadt ist anfangs alles andere als begeistert. Ein Museum für Kunst? Klar. Für Stadtgeschichte? Auch gut. Aber für Schokolade? „Dat kann doch nix werden“ so einige Miesmacher aus der Stadtgesellschaft.
Annettes Mutter bekommt von ihrem Mann den Auftrag: „Such uns einen Standort.“ Sie findet die Rheinauhafen-Spitze – damals noch eher Baracke als Designviertel. Dass heute genau diese Lage ein Schlüssel zum Erfolg ist, erzählt Annette mit einem leisen Schmunzeln. Man merkt: Da oben sitzt einer auf einer Schokoladenwolke und freut sich, dass die Skeptiker von damals neidisch auf sein Museum schauen.

Vom Tropenhaus bis zur Trembleuse – Schokolade mit allen Sinnen
In dem Gespräch führt Annette uns nochmal gemeinsam durch das Museum. Los geht es für Besucher im Foyer, dann direkt in die Tropen: Anbaugebiete, Schattenbäume, feuchte Luft. Man schwitzt, die Brille beschlägt, und Annette erklärt, dass Kakao zwar Sonne mag, aber nicht unbedingt die pralle Hitze – daher die Schattenbäume. Im Tropenhaus wachsen echte Kakaopflanzen, die Früchte werden sogar geerntet und zu Schokolade verarbeitet. Mehr Gag als Massenproduktion, aber total echt.
Dann geht es weiter: Plantagen in Afrika und Lateinamerika, der Kreislauf von Armut, kleine Anbauflächen, Kinderarbeit – und gleichzeitig positive Beispiele, wie versucht wird, etwas zu verbessern. Ein echtes Holzboot, mit dem früher Kakaosäcke zu den Schiffen gebracht wurden, steht mitten im Museum. Kein Deko-Objekt, sondern Zeitzeuge.
Die Reise führt dann in die Industie: Wie kommt der Kakao nach Europa? Was passiert in Hamburg im Hafen? Warum sind die Weltmarktpreise für Kakao aktuell völlig verrückt? Im Museum läuft ein Live-Ticker, der die aktuellen Preise zeigt – und Annette meint trocken: „Darüber könnten wir einen eigenen Podcast machen.“

Danach stehen die Zutaten im Mittelpunkt: Wie wird aus Kakaobohnen Milch-, Zartbitter- oder weiße Schokolade? Unten im Haus gibt es eine kleine echte Fabrik, in der Mini-Täfelchen produziert werden. Der Clou: Ein Roboterarm fischt auf Knopfdruck eine Tafel aus der laufenden Produktion – wenn man im richtigen Moment drückt. Das ist schon allein vom Spieltrieb her genial.
Oben wird es feiner: handwerkliche Manufaktur, Schokoladenfiguren, Pralinenherstellung, Dragees mit Nüssen oder Espressobohnen, selbst gestaltete individuelle Tafeln. Annette grenzt es charmant ab: Unten ist Industrie, oben Handwerk – und alles dazwischen ist ein Schokotraum.

5000 Jahre Schokolade, barocke Schaumshow und ein Zäunchen fürs Bett
Annette holt im Interview weit aus: Als das Museum 1993 eröffnet wurde, sprach man von 3000 Jahren Kulturgeschichte der Schokolade. Heute weiß man durch Funde in Ecuador, dass es eher 5000 Jahre sind. Und genau das will das Museum zeigen: nicht nur die Süßigkeit aus dem Supermarkt, sondern die ganze Kultur dahinter.
Ein Highlight ist der neue immersive Raum, intern „Holodeck“ genannt. Vier Projektoren, Surround-Sound, und plötzlich steht man mittendrin. Weiter geht es. Man kann den Weg des Kakaos nach Europa und die Geschichte dahinter erkunden, wie aus einem rituellen Getränk ein Luxusgut für den Adel wurde.

Dann kommt eine von Annettes Lieblingsgeschichten: Warum sind alte Kakaotassen so schlank und hoch? Früher wurde das Fett der Kakaobohnen nicht getrennt, der Kakao war also richtig fettig und bildete oben eine Schicht, wie bei einer Vinaigrette. Also musste man kräftig schäumen. Schlanke, hohe Tassen sorgten dafür, dass man nicht nur Schaum trank – Kölsch-Fans fühlen sich hierverstanden.
Und dann die „Trembleuse“ – eine Tasse mit Zäunchen in der Untertasse, damit bei der Aufstehzeremonie der Dame im Bett nichts verschüttet wird. Die Kombination aus Bett, Adel und Kakao hat irgendwas herrlich Übertriebenes.
Natürlich kommt Annette nicht daran vorbei, auch über dunkle Kapitel zu sprechen: Kolonialismus, rassistische Figuren wie der „Sarotti-Mohr“, historische Werbung. Das Museum zeigt diese Dinge nicht nostalgisch verklärt, sondern kritisch und einordnend. Man spürt: Hier soll niemand mit blinden Zuckerglasaugen durch die Geschichte stolpern.

Ganz oben endet der Rundgang dann mit einem lauten, bunten Finale: Markenwelten, Milka-Kuh, Ü-Ei, Ritter Sport und Co. Es blinkt, es rauscht, es ist ein bisschen Instagram-Playground, ein bisschen Kindheitserinnerung – und einfach der perfekte Ort für Selfies nach so viel Input.
„Lindt“ steht am Haus – eine besondere Partnerschaft
Die Frage, warum draußen am Museum groß „Lindt“ steht, kommt natürlich. Annette erklärt nüchtern: Stollwerck wurde verkauft und Lindt aus Aachen ist der neue Partner geworden.

Die Kooperation ist eng, aber klar geregelt: Im Museum wird mit Lindt-Masse produziert, der Name steht am Gebäude – inhaltlich bleibt das Museum unabhängig. In den Ausstellungen tauchen auch andere Marken auf, im Shop werden viele unterschiedliche Hersteller präsentiert. Es ist kein Lindt-Showroom, sondern ein Schokoladenmuseum mit besonderer Partnerschaft, sagt Annette – und man hört raus, dass ihr diese Unterscheidung wichtig ist.
Wer kommt – und wer erstaunlich selten
Auf die Frage nach dem „typischen“ Besucher lacht Annette fast ein bisschen. Das Bild sei extrem bunt: Schulklassen, Familien, Technikfans, Nachhaltigkeitsmenschen, Akademiker, Leute, die noch nie in einem Museum waren und hier zum ersten Mal erleben, dass Kultur nicht weh tun muss.
Fast die Hälfte der Gäste kommt aus dem Ausland. Kölsche dagegen? Nur etwa sechs Prozent der Besucher kommen aus einem Umkreis von zehn Kilometern. Für ein Haus, das so bekannt ist, findet Annette das „ein bisschen wenig“ – und nutzt den Podcast charmant als Steilvorlage: „Ihr könnt ruhig öfter kommen. Es ist alles neu!“ Seit 2020 wurden über zwölf Millionen Euro investiert, viele Bereiche komplett umgebaut. Wer „vor Corona“ das letzte Mal da war, erkennt vieles nicht wieder.
Keine Zuschüsse, aber eine Menge Wirkung
Ein spannender Teil des Gesprächs dreht sich um die Struktur: Das Museum ist eine Kultur- und Bildungseinrichtung – aber ohne städtische oder staatliche Zuschüsse. Es funktioniert wie ein mittelständisches Unternehmen, zahlt Miete an eine Gesellschaft, die zu großen Teilen der gemeinnützigen Imhoff-Stiftung gehört. In Gastronomie, Shop und Museum werden rund 300 Menschen beschäftigt..
Die Imhoff-Stiftung wiederum fördert in Köln, was oft hinten runterfallen würde: Freizeit- und Therapieangebote, Kunst- und Kulturprojekte, Bildungsinitiativen, Karnevalsprojekte, Unterstützung für Menschen, die es schwerer haben als andere.
Zum 25-jährigen Jubiläum hat die Stiftung die „Bessermacher von Köln“ ausgezeichnet – 25 Vereine und Initiativen, deren Geschichten aus über 600 Einsendungen ausgewählt wurden. Alle schwärmen noch vom Gala-Abend im Rathaus: viel Emotion, viel Stolz und ganz viel Köln-Gefühl. Annette fasst es pointiert zusammen: „Wir verdienen mit dem Museum einen Teil des Geldes, das wir in der Stiftung wieder ausgeben.“
Für die Bescucher des Schokoladenmuseums heißt das: Wer ein Ticket kauft, bezahlt nicht nur den Besuch am Schokobrunnen, sondern unterstützt indirekt Projekte in der ganzen Stadt.

Zukunftspläne, Besuchertipps – und ein Versprechen in Schokolade
Zum Schluss geht der Blick nach vorne. Die Partnerschaft mit Lindt läuft langfristig, der Hafenweihnachtsmarkt bekommt einen neuen Betreiber, es stehen Umbauten an: neue WCs, moderne Garderobe, ein komplett neu gestalteter Shop. Bei den Besucherzahlen will man nochmal zulegen – vor allem an den Tagen, die bisher nicht völlig überfüllt sind.
Auf die Frage, ob die eine Million Besucher im Jahr drin wäre, sagt Annette: Rein rechnerisch ja – wenn alle ein bisschen weniger auf die Idee kämen, gleichzeitig am zweiten Weihnachtstag zu kommen. Januar-Montage dagegen hätten noch Luft nach oben.
Praktischer Tipp von ihr: Online Zeitfenstertickets buchen, besonders an Wochenenden, Feiertagen und in den Ferien. So wird niemand weggeschickt, weil „heute leider ausverkauft“ ist – und drinnen tritt man sich weniger auf die Füße.
Ein Versprechen:
Der millionste Besucher in einem Jahr wird in Schokolade aufgewogen
Zum Abschied wird es dann noch einmal herrlich kölsch: Unseren Vorschlag, den einmillionsten Besucher in einem Jahr in Schokolade aufzuwiegen nimmt Annette sofort begeistert auf: „Dafür wäre ich sofort.“
Und vielleicht sitzt irgendwo da oben wirklich Hans Imhoff auf einer Schokoladenwolke, guckt runter auf Rhein, Dom und sein Museum – und ist stolz auf sein Lebenswerk.

Genau wie alle anderen Menschen in der Rubrik „Ein paar Fragen an …“ hat auch Annette Imhoff zu den „Kölschen Fragen“ Rede und Antwort gestanden.
Wenn nicht Köln – wo sonst könntest du wohnen? Und warum gerade dort?
Ich lebe sehr gern hier. Hier lebt meine Familie, die meisten meiner Freunde wohnen hier, meine Arbeit ist hier. Aktuell wüsste ich nicht, wo ich sonst leben könnte.
Welche kölsche Eigenschaft zeichnet dich aus?
Vielleicht die kölsche Mischung aus Bodenständigkeit und Offenheit.
Was würdest du morgen in unserer Stadt ändern?
Im Wahlkampf1Annette meint den Kommunalwahlkampf 2025 ist viel darüber geredet worden. Ich glaube, Sicherheit, Ordnung, Sauberkeit sind sicherlich die großen Themen. Dazu noch bezahlbarer Wohnraum und weniger Baustellen in der Stadt. Aber die Umsetzung ist ein dickes Brett und ich wünsche unserem neuen Oberbürgermeister Torsten Burmester Mut und Ausdauer.

Wo ist dein Lieblingsplatz in Köln?
Mit einem Cappuccino bei uns im Schokoladenmuseum auf der Terrasse – mit Blick auf den Rhein.
Welche KölnerInnen haben dich beeinflusst / beeindruckt?
Mein Vater Hans Imhoff mit seiner Freude am Unternehmertum und seiner Entscheidungsfreude hat mich stark geprägt.

Was machst du zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch?
Der Straßenkarneval reizt mich nicht, bis auf den Rosenmontagszug. Ich durfte bereits dreimal dort mitgehen. Und das ist großartig. Wenn man das einmal miterleben darf – das ist hochemotional und extrem beeindruckend.
Und was zwischen Aschermittwoch und Weiberfastnacht?
Den Rest des Lebens.
Wat hät für dich noch immer jood jejange?
Das ist eine schwierige Frage. Ich versuche immer positiv und mit Optimismus in die Zukunft zu schauen. Die Frage nach „jood jejange“ richtet sich eher auf die Vergangenheit. Ich denke eher an das, was vor uns liegt. Hier sollte jeder seinen Beitrag zu leisten. Ich zum Beispiel habe einen gestalterischen Anspruch und möchte Verantwortung übernehmen und Dinge besser machen.
Wo drüber laachs de dich kapott?
Wenn jemand mit viel Selbstironie über sich selber lachen kann.

Was ist dein kölsches Lieblingsgericht?
Eindeutig Rieevkooche.
Dein Lieblingsschimpfwort auf Kölsch?
Fiese Möpp.
Bitte vervollständige den Satz: Köln ist …
… ein Gefühl! Auch ein bisschen chaotisch, sehr herzlich und immer ein Zuhause.
