Die Gaffeln – 400 Jahre lang prägende Institutionen der Politik in Köln

Der Kölner Stadtrat, Kupferstich nach einer Zeichnung von Johann Toussyn (1608-nach 1660), Original im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, um 1655. (Gemeinfrei)
Der Kölner Stadtrat, Kupferstich nach einer Zeichnung von Johann Toussyn (1608-nach 1660), Original im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, um 1655. (Gemeinfrei)

Bis weit in das 14. Jahrhundert bestimmten in Köln die „Geschlechter“ die Geschicke der Stadt. Die „Geschlechter“ waren Familien mit so klangvollen Namen wie Lyskirchen, Quattermart, Hardevust oder Overstolz. Mit absolutem Selbstverständnis regierten diese Familien aus der Oberschicht selbstherrlich Köln.

Um diese Macht zu untermauern, hatten die Geschlechter die Abstammungssage erfunden: Sie wären die Nachfahren der von Kaiser Trajan in die Colonia Claudia Ara Agrippinensium (CCAA) geschickten römischen Senatoren. Und deshalb hätten nur sie nur das Recht, die Stadt zu regieren.

Diese von den Geschlechtern erfundene Sage stammt aus dem frühen 14. Jahrhundert. Offensichtlich schwand war die Macht der Geschlechter, daher mussten irgendwelche Geschichten zur Sicherung des Einflusseses dieser Familien erfunden werden.  

Proteste gegen die Geschlechter

Tatsächlich kam die Vorherrschaft der Geschlechter ab etwa der zwei­ten Hälf­te des 14. Jahr­hun­derts erheblich ins Wanken. Die Handwerker, in Handwerksbruderschaften organisiert und die Gilden, als Zusammenschluss von Kaufleuten, begannen sich gegen die Ge­schlech­ter zu weh­ren.

Dafür organisierten sie sich in sogenannten „Gaffeln“.  Der eigentliche „Startschuss“ für die Bildung der Gaffeln war die Verabschiedung des Kölner Verbundbriefs im Jahre 1396. Zwar gab es auch schon vereinzelt „Gaffeln“ als Zusammenschlüsse. Diese entstanden aber eher aus einem sozial-religiösem Anspruch, wie zum Beispiel die für 1354 nachgewiesene “fra­ter­ni­tas S. Spi­ri­tus de fo­ro Fer­ri et de Sub­lo­biis“. Diese Bru­der­schaft von Kauf­leu­ten war mit hoher Wahrscheinlichkeit der Vorläufer der Gaf­fel „Ei­sen­markt“ und warb Spenden für die Leprakranken auf Melaten ein.

Eine „Gaffel“ ist eine Tranchier- oder Vorlegegabel

Klaus Militzer weist in seinem Aufsatz „Gaffeln, Amter, Zünfte – Handwerker und Handel vor 600 Jahren“ [Jahrbuch 67 des kölnischen Geschichtsvereins e. V. 1996, Seite 41 ff] darauf hin, dass ab ca. 1350 der Begriff „Gaffel“ für Zusammenschlüsse von Personen unterschiedlicher Art verwendet wurde.

Die „Gaffel“ ist ursprünglich eine Gabel, allerdings geht es hier um eine Tranchier- oder Vorlegegabel. Denn im 14. Jahrhundert war es nicht üblich, eine Gabel zu benutzen. Es gab Messer, mit denen das Essen in handliche Stücke geschnitten wurde. Gegessen wurde mit den Fingern. Größere Fleischstücke wurde auf einem Holzbrett mit einer Tranchiergabel, der „Gaffel“, fixiert, mit einem Messer klein geschnitten und dann auf die einzelnen Teller gelegt. 

So wurde auch bei den feierlichen Essen der Zusammenschlüsse verfahren und schnell wurden die Vereinigungen der Handwerker und Kaufleute als „Gaffeln“ bezeichnet.

Die „Gaffel“ ist ursprünglich eine Gabel, allerdings geht es hier um eine Tranchier- oder Vorlegegabel.
Die „Gaffel“, eine Tranchier- oder Vorlegegabel.

 

Eine Gaffel war nicht unbedingt eine bestimmte Zunft oder Gilde, sondern mehrere Zünfte bzw. Gilden konnten sich zu einer Gaffel zusammenschließen. Und da jeder Bürger einer Gaffel beitreten musste, standen die Gaffeln auch für weitere Mitglieder offen.

Aufstand der Weber und die „no­va or­di­na­tio“

Diese ersten Gaffeln und die Zünfte begannen sich ab ca. 1360 gegen die Vorherrschaft der Geschlechter zu wehren. Ein erstes, einschneidendes Ereignis war ein bestimmter Zoll, der völlig ohne vorherige Absprache oder Information auf In­itia­ti­ve der Geschlechter eingeführt wurde. Mit­glie­der der Gaf­feln Ei­sen­mark­t und Wol­len­am­t führten den Widerstand gegen diese Willkür an protestierten erfolgreich gegen diese Abgabe.  

Im Jahr 1370 kam es zum Aufstand der Weber und diese setzten eine Neuordnung, die „no­va or­di­na­tio“, der städtischen Verfassung am 2. Juli 1370 durch. So wurde der Rat im Sinne der machtbewussten Weber neu zusammengesetzt und Mit­glie­der von Zünf­ten, Kor­po­ra­tio­nen und Gaf­feln dorthin entsandt. Somit wurden die Gaffeln zum ersten Mal Teil der städtischen Verfassung.

Allerdings nutzten die die Weber ihre einflussreiche Stellung, um Beschlüsse zu ihrem Vorteil zu fassen. Dazu gehörten eine Steuer auf Wein (Weinfuhrakzise) oder eine Vermögensteuer (Schoß). Während die Weinfuhrakzise die Weinkaufleute benachteiligte, wurden durch den „Schoß“ reiche Kaufleute und Patrizier belastet. Die Weber aber, gerade frisch an der Macht, wurden bei diese speziellen Abgaben verschont.

Die sogenannte „Weberherrschaft“ wird dann auch in der Koelhoffschen Chronik [Eine aus dem Jahr 1499 stammende Chronik über die Stadt Köln von Johann Koelhoff dem Jüngeren] wie folgt beschrieben:

Es war wunderlich und fremd anzusehen, als Köln … allzeit regiert war … von fünfzehn adeligen Geschlechtern … An deren Stelle saßen nun die Weber.“

Daher bildete sich eine Koalition aus Gaffeln und Geschlechtern um die „Weberherrschaft“ zu beseitigen. Es kam zur „Kölner Weberschlacht von 1371“, die We­ber erlitten eine ver­nich­ten­de Nie­der­la­ge und die „no­va or­di­na­tio“ wur­de au­ßer Kraft ge­setzt.

Die Kölner Weberschlacht von 1371, Holzschnitt aus der Koelhoffschen Chronik von 1499. (Gemeinfrei)
Die Kölner Weberschlacht von 1371, Holzschnitt aus der Koelhoffschen Chronik von 1499. (Gemeinfrei)

Die „Freunde“ gegen die „Greifen“

Aber auch innerhalb der Geschlechter rumorte es und es bildeten sich zwei Fraktionen heraus: Die „Freunde“ und die „Greifen“. In den „Freunden“ waren vorrangig die alten, machtbewussten Geschlechter vertreten, mit den „Grei­fen“ sym­pa­thi­sier­ten vor allem Grup­pie­run­gen, die bisher noch nicht in den städtischen Machtzirkeln vertreten waren.

An­geb­li­che Über­le­gun­gen der „Freun­de“ be­züg­lich der Auf­lö­sung der bestehenden Kauf­leu­te- und Hand­wer­ker­ge­sell­schaf­ten ließen die Situation 1396 eskalieren. Der Kölner Stadtschreiber Gerlach vom Hauwe schrieb in seinem „Neuen Buch“:

„Als die Partei der „Freunde“ und deren Angehörige im Schöffenkolleg und im Rat gewahr geworden seien, daß die Ämter und Gaffeln beschlossen hätten, sich zusammenzuschließen, und daß sie an Macht gewönnen, hätten sie beraten, wie sie Gaffeln und Gesellschaften hätten unterdrücken können. Ein Ausgleich sei nicht zu erzielen gewesen. Schließlich hätten sich die „Freunde“ im Amtleutehaus von Airsburg am Mühlenbach am 16. Juni 1396, einem Freitag, abends versammelt und am folgenden Tag ein Gebot erlassen, über dessen genauen Inhalt wir nicht unterrichtet sind. Dieses Gebot habe der Gemeinde und den Gaffeln mißfallen. Am Sonntag seien die „Freunde“ wieder im Amtleutehaus von Airsburg zusammengekommen, nun aber bewaffnet. Am Abend desselben Tages habe Constantin von Lyskirchen vom Heumarkt, ein Schöffe, die Versammlung verlassen, habe sein Pferd bestiegen, sei zu den Gaffeln geritten und habe die dort wartenden Männer gefragt, ob sie nicht schlafen gehen wollten. Daraufhin hätten die Befragten geantwortet, daß sie schlafen gehen würden, wenn sie die Zeit dafür gekommen sähen.“

Diese hochnäsige Anweisung des Patriziers von Lyskirchen sollte das Fass zum Überlaufen bringen. Der adlige Herr wurde vom Pferd gerissen und gefangen genommen. Neben von Lyskirchen nahmen die Gaffeln „Ei­sen­mark­t“, „Wind­eck“ und „Him­mel­reich“ etwa weitere 50 „Freunde“ gefangen.

Es wurde ein pro­vi­so­ri­scher Rat mit der Aufgabe gebildet, ei­ne neue Ver­fas­sung aus­zu­ar­bei­ten. 1396 entstand der Verbundbrief und wurde so etwas wie das „Grundgesetz“ der Stadt Köln.

Ausschnitt des Verbundbriefes mit den Siegeln der Gaffeln, Bild: HOWI - Horsch, Willy, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons
Ausschnitt des Verbundbriefes mit den Siegeln der Gaffeln, Bild: HOWI – Horsch, Willy, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

Der Verbundbrief – das „Grundgesetz“ der Stadt Köln.

In Verbundbrief wurden die Gaffeln ausdrücklich genannt und mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet. Es gab 22 Gaffeln:

  • Wollenwebergaffel
    zugehörige Zünfte: Wollenweber, Tuchscherer, Weißgerber
  • Eysenmarkt
    Gesellschaft von Kaufleuten, vielleicht ursprünglich Gilde der Eisenhändler
  • Schwartzhauß
    zugehörige Zünfte: Blauleinenfärber, Waidhändler
  • Goldschmiedegaffel
    zugehörige Zünfte: Goldschläger, Goldspinnerinnen
  • Windeck
    Gesellschaft der Kaufleute auf dem Altermarkt
  • Buntwerkergaffel
    zugehörige Zünfte: Kürschner
  • Himmelreich
    Korporation von Kaufleuten
  • Bindelmacher
    zugehörige Zünfte: Gürtler, Drechsler, Bürstenbinder, Nadelmacher, Kammmacher, Blechschlager
  • Aren
    zugehörige Zünfte: Riemenschneiderzunft
  • Fischmengergaffel
    zugehörige Zünfte: Fischmenger, Schiffer, Buchbinder
  • Schmiedegaffel
    zugehörige Zünfte: Schmiede, Schlosser, Messerschmiede, Stückgießer, Achsenmacher
  • Schilderer und Glaswörter
    zugehörige Zünfte: Maler, Glaser, Sattler
  • Steinmetze und Zimmerleute
    zugehörige Zünfte: Steinmetzer, Zimmerleute, Schreiner, Kannenbäcker, Bildhauer, Bildschneider, Leyendecker, Pflasterer
  • Bäckergaffel
    zugehörige Zünfte: Bäcker
  • Fleischergaffel
    zugehörige Zünfte: Fleischer
  • Schneidergaffel
    zugehörige Zünfte: Schneider, Hutstoffierer
  • Schuhmacher
    zugehörige Zünfte: Schuhmacher, Altschuhmacher, Lederreider
  • Sarwörtergaffel1Sar = Pflugschar, Wörter = Werker, hier: Rüstungswerkleute
    zugehörige Zünfte: Harnischmacher, Schwertfeger, Barbiere, Handschuhmacher, Taschenmacher, Hutmacher, Korbmacher
  • Kannengießergaffel
    zugehörige Zünfte: Kannengießer, Hammacher, Seiler
  • Fassbindergaffel
    zugehörige Zünfte: Fassbinder
  • Leinenwebergaffel
    zugehörige Zünfte: Zeichenweber, Sartuchmacher, Decklackenweber, Bombassin-, Caffee-, u. Baratamt
  • Brewer
    zugehörige Zünfte: Brauer

Wappen der Kölner Gaffeln, Ausschnitt aus: Birboum, Michel L.; Rieger [Verl.] Quelle: http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/Ansicht3949_090/0001

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Wappen der Kölner Gaffeln, Ausschnitt aus: Birboum, Michel L.; Rieger [Verl.] Quelle: http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/Ansicht3949_090/0001

Je­der Kölner Bür­ger und auch die sogenannten „Ein­ge­ses­se­nen“ (Ein­woh­ner oh­ne Bür­ger­recht) waren gezwungen, sich ei­ner die­ser Gaf­feln an­zu­schließen. Falls ein Bürger oder „Ein­ge­ses­se­ner“ kei­ner Zunft oder Gilde an­ge­hör­te, konn­te dieser sei­ne Gaf­fel frei wäh­len.

Kompetenzen und Pflichten der Gaffeln

Zu den Kompetenzen der Gaffel gehörte insbesondere das aktive Wahlrecht: Nur die Mitglieder einer Gaffel konnten den Rat wählen. Dies schloss ca. 80 Prozent der Bevölkerung aus. So waren Frauen, Tagelöhner, alle nichtkatholischen Menschen, Geistliche und nichtehelich Geborene von allen politischen Einflussmöglichkeiten ausgeschlossen.

Zu den wesentlichen Pflichten der Gaffeln gehörte die Verteidigung der Stadt. So wurde in der „Wachtordnung“ exakt festgelegt, welchen Teil der Stadtmauer bzw. welche Torburg die einzelnen Gaffeln zu bewachen hatten. Die Gaffeln übernahmen auch die Sicherung hochrangiger Besucher und repräsentierten bei Veranstaltungen die Stadt. Zwar war der Rat weiterhin alleiniger Vertreter Kölns nach außen, doch die Gaffeln gehörten mit der Verabschiedung des Verbundbriefs im Jahr 1396 zu den wich­tigs­ten Ver­fas­sungs­or­ga­nen.

Le­dig­lich ein Wech­sel der städ­ti­schen Eli­ten

Die Gaf­feln repräsentierten zwar nur knapp 20 Prozent der Kölner Bevölkerung, hatten aber die politischen Entscheidungen fest in der Hand. Auch weil sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht an eine Mitgliedschaft in einer der Gaffeln gebunden war. So kommt Christian Hillen in seiner Darstellung „Die Kölner Gaffeln“2Portal Rheinische Geschichte, https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-koelner-gaffeln/DE-2086/lido/5e98015879dc69.22344533^, abgerufen am 2. Juni 2024 zu dem Schluss:

„Ei­ne de­mo­kra­ti­sche Ver­fas­sung im heu­ti­gen Sin­ne war dies si­cher nicht, wenn­gleich sich der Kreis der­je­ni­gen Bür­ger, die Zu­gang zu po­li­ti­scher Mit­wir­kung und Ent­schei­dungs­fin­dung hat­ten, deut­lich er­wei­tert hat­te. Vor al­lem wa­ren die stän­di­schen Schran­ken be­sei­tigt wor­den. … Zwar wur­den die po­li­ti­schen und ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Ver­hält­nis­se ver­än­dert, aber im Grun­de ge­nom­men fand le­dig­lich ein Wech­sel der städ­ti­schen Eli­ten statt. Die al­ten Eli­ten wur­den aber nicht völ­lig ver­prellt, son­dern man ver­such­te sie in die neue Ord­nung zu in­te­grie­ren.“

Man kann also festhalten, dass es einen Austausch der Herrschaft gegeben hatte: Weg von den Geschlechtern hin zu den Gaffeln. Die Privilegien der Gaffeln sollten etwa 400 Jahre lang Bestand haben, bis die Franzosen Köln einnahmen.

Und heute noch erinnert die Marke Gaffel-Kölsch
an die Zeiten der Kölner Gaffeln.

Der Name "Gaffel-Kölsch" erinnert an die Gaffeln, Bild: Privatbrauerei Gaffel
Der Name „Gaffel-Kölsch“ erinnert an die Gaffeln, Bild: Privatbrauerei Gaffel

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