Der Dreikönigenschrein – Das Prunkstück des Kölner Doms

Der Dreikönigenschrein im Kölner Dom, Bild: Beckstet, Wikimedia Commons
Der prunkvolle Dreikönigenschrein im Kölner Dom, Bild: Beckstet, Wikimedia Commons

Im Jahr 2005 war die Premiere: Passend zum Weltjugendtag fand die erste Dreikönigswallfahrt im Kölner Dom statt. Seitdem lädt der Dom jedes Jahr um den Kirchweihtag des Domes, dem 27. September, zur Dreikönigswallfahrt ein. Im Mittelpunkt stehen dabei selbstverständlich die „Drei wichtigsten Imis“ für Kölle: Caspar, Melchior und Balthasar, die Heiligen Drei Könige. Deren Reliquien, die sich seit 1164 in Köln befinden,  werden seit etwa 1220 im Dreikönigenschrein aufbewahrt.

Heute wird der Dreikönigsschrein durch eine ganz spezielle, alarmgesicherte Vitrine geschützt. Doch das war in den letzten Jahrhunderten nicht immer so, was zur Folge hatte, dass der Schrein mehrfach durch Diebstahl beschädigt wurde. Und – immer wieder bedingt durch Kriege – auch schon mehrere unfreiwillige Reisen unternommen hatte.

Standesgemäße Ausstellung der Reliquien

Erzbischof Rainald von Dassel brachte 1164 die Reliquien aus Mailand nach Köln. Ganz unfreiwillig haben die Mailänder diese wertvollen Gebeine nicht hergeben, sondern es handelte sich um Kriegsbeute. Nach einem prächtigen Einzug in die Stadt durch die Dreikönigspforte wurden die Gebeine der Heiligen Drei Könige im Hildebold-Dom, einem Vorgängerbau des heutigen Kölner Doms, ausgestellt.

Doch schnell stellte sich den Kölnern die Frage: Wie können wir die Reliquien standesgemäß ausstellen? Und so entstand ab ca. 1190 bis um 1225 der Dreikönigenschrein. Die Realisierung des Schreins wird dem Goldschmied Nikolaus von Verdun zugeschrieben, wobei nicht endgültig geklärt ist, ob er auch persönlich an dem Schrein gearbeitet hat. Da an dem Schrein über 30 Jahre lang gearbeitet wurde, ist davon auszugehen, dass verschiedenste Künstler an der Realisierung mitgewirkt haben.

Und um auch den Schrein mit seinem für die Gläubigen unschätzbar wertvollen Inhalt richtig in Szene zu setzen, entschieden sich die Kölschen, den Dom um den Dreikönigsschrein drumherum zu bauen. Ganz klar: Ohne Caspar, Melchior und Balthasar gäbe es heute keinen gotischen Kölner Dom.

Abbild einer Kirche oder drei Sarkophage?

Der Schrein wiegt eine halbe Tonne, ist über zwei Meter lang und etwa 150 cm hoch. Es handelt sich um eine Konstruktion aus Eichenholz, die aufwendig mit Gold, Silber, Edelsteinen sowie antiken Gemmen verziert wurde. Auf dem Schrein wird die christliche Geschichte von den Anfängen des Alten Testaments bis zum Jüngsten Gericht dargestellt.

Die Rückseite des Dreikönigenschreins. Gut zu erkenen, dass es sich um drei Einheiten handelt. Bild: Xennex
Die Rückseite des Dreikönigenschreins. Gut zu erkennen, dass es sich um drei Einheiten handelt. Bild: Xennex

Der Schrein wirkt wie eine kleine Kirche mit zwei Seitenschiffen und einem Hauptschiff. Allerdings ist es umstritten, ob diese Anmutung tatsächlich von den Künstlern so gewünscht war. Tatsächlich stehen zwei Reliquienschreine nebeneinander und zusätzlich steht ein dritter Schrein auf diesen beiden. Besonders deutlich wird dies, wenn man sich die Rückseite des Dreikönigenschreins ansieht.

Die Frontseite des Dreikönigenschreins mit geöffneter Trapezplatte, Bild: Elya, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Die Frontseite des Dreikönigenschreins mit geöffneter Trapezplatte, Bild: Elya, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Die Stirnseite des Dreikönigenschreins ist aus reinem Gold gefertigt. Auf ihr ist unter anderem die Anbetung der Könige und die Taufe Christi zu sehen. Die sogenannte „Trapezplatte“ in der Mitte wird zu ganz besonderen Anlässen, zum Beispiel am Dreikönigstag (6. Januar), abgenommen. Dann ist der Blick auf die innenliegenden Schädel möglich. Früher war es üblich, dass Pilger Gegenstände oder Gebetszettelchen einem Geistlichen reichten, der diese mit einer silbernen Zange an die Schädel hielt. So wurden diese zu Berührungsreliquien und für Pilger unschätzbar wertvoll.

Der ursprüngliche Schrein wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach überarbeitet und restauriert. Neue Figuren kamen hinzu, der Schrein wurde massiv verkürzt, bei Diebstählen beschädigt und machte weite Reisen.

Der Schrein macht über die Jahrhunderte eine kleine Reise durch den Dom

Zunächst wurde der Schrein im alten Dom aufgestellt. Doch dieses Bauwerk war nicht dazu geeignet, die extrem große Menge an Pilgern, die den Schrein sehen wollten, aufzunehmen. Zudem setzte sich ein neuer Baustil durch: Die Gotik. So wurde der alte Dom als nicht mehr standesgemäß für die überaus wichtige Reliquie angesehen.

Am 15. August 1248 war dann der Baubeginn des neuen gotischen Doms. Ursprünglich sollte der Schrein exakt in der Vierung, dem Schnittpunkt von Lang- und Querhaus, aufgestellt werden. Allerdings verzögerten sich bekanntlich die Bauarbeiten am Dom erheblich, und es sollte 632 Jahre bis zur Vollendung dauern.

Zumindest der Chor wurde 1322 fertiggestellt und der Dreikönigenschrein wurde in der zentralen Achskapelle im Chor präsentiert. Ein äußerst praktischer Aufstellort: So konnten die Pilger durch den Chorumgang an dem Schrein vorbei geführt werden. Damit der wertvolle Schrein nicht beschädigt wurde, versah man diesen mit einem rot-goldenen Gitter.

Ein rotes Gitter schützte den Dreikönigenschrein, Darstellung von 1633, Bild: Kölnisches Stadtmuseum, gemeinfrei, via Wikimedia Commons
Ein rotes Gitter schützte den Dreikönigenschrein, Darstellung von 1633, Bild: Kölnisches Stadtmuseum, gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Diebe beschädigen den Dreikönigenschrein

Als im Jahre 1434 ein Stück einer Fiale1Fialen sind aus Stein gemeißelte, schlanke, spitz auslaufende Türmchen. abbrach und den Schrein nur knapp verfehlte, wurde dieses nicht nur als Wunder angesehen, sondern auch als Grund, den Schrein aus Sicherheitsgründen zunächst in der Sakristei aufzubewahren.

Am 28. Januar 1574 wurde der Schrein Opfer eines dreisten Diebstahls. Ein oder mehrere Diebe, die nie gefasst wurden, brachen Edelsteine aus dem Kunstwerk. Darunter war auch ein großer Kameo2Ein als Relief bearbeiteter Schmuckstein., der sogenannte „Ptolemäer-Kameo“. Kurios: Exakt dieser Schmuckstein wurde 1952 im Wiener Kunsthistorischen Museum wiedergefunden.

Von etwa 1690 bis 1889 schützte ein Marmormausoleum den Dreiköinigenschrein, Bild: gemeinfrei
Von etwa 1690 bis 1889 schützte ein Marmormausoleum den Dreiköinigenschrein, Bild: gemeinfrei

Um den Schrein besser zu schützen, wurde dieser etwa 1690 mit einem Marmormausoleum überbaut. Teile dieses barocken Bauwerks sind heute noch im Dom zu sehen und bilden die Rückwand des Altars der Schmuckmadonna in der Nähe des Nordeingangs.

Das Mausoleum für den Dreikönigenschrein wurde 1889 abgerissen und 1920 zur Altarwand umgebaut. Seit 1963 ist es der Altar für die Schmuckmadonna. Bild: Elya, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Das Mausoleum für den Dreikönigenschrein wurde 1889 abgerissen und 1920 zur Altarwand umgebaut. Seit 1963 ist es der Altar für die Schmuckmadonna. Bild: Elya, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Der Schrein wurde in den verschiedenen Kriegen ausgelagert

Kurz vor dem Einmarsch der französischen Truppen am 6. Oktober 1794 wurde der Dreikönigenschrein zerlegt und in Sicherheit gebracht. Nach einer abenteuerlichen Reise über eine Abtei in der Nähe von Arnsberg landete dieser in Frankfurt. Nach zähen Verhandlungen kam der Schrein Juni 1803 nach Köln zurück, allerdings schwer beschädigt. Außerdem fehlten die getrennt aufbewahrten Reliquien.

Erst 1808 konnte der restaurierte Schrein wieder im Chor des noch nicht fertiggestellten Doms mit den Reliquien aufgestellt werden. Ab 1864 wurde der Schrein in die Domschatzkammer verlegt und nur noch an hohen Festtagen präsentiert. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs im Jahr 1918 wurde der Schrein wegen Sicherheitsbedenken zusammen mit dem gesamten Domschatz zur Sicherheit auf die rechtsrheinische Seite ausgelagert.

Ein ähnliches Schicksal sollte das Kunstwerk im Zweiten Weltkrieg erleben. Bereits ab 1936 wurden exakt passende Kisten sowie eine unterirdische Kammer für den Fall der Fälle vorbreitet. Ab 1939 wurden der Schrein zusammen mit weiteren wertvollen Kunstgegenständen dort gelagert.

Durch den Schock und die massiven Zerstörungen des sogenannten „Tausend-Bomber-Angriff“ in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1942 auf Köln wurde beschlossen, den Dreikönigenschrein in das fränkische Pommersfelden auszulagern. Doch ab September 1944 erschien auch diese Unterbringung nicht mehr sicher genug.

Der Plan, den Schrein in Fulda zu lagern, scheiterte daran, dass Fulda noch während des Transports dorthin massiv bombardiert wurde. So musste der Transport nach Siegen umgeleitet werden. Allerdings war die Tür des ausgewählten Bunkers nicht groß genug – der Schrein passte schlichtweg nicht rein. So kam der Schrein am 19. September 1944 wieder zurück nach Köln und sollte dort auch die letzten Kriegsmonate verbleiben.

Hightech-Schutz für ein einzigartiges Kunstwerk

Seit 1948 steht der Schrein wieder an seinem Platz im Chorumgang des Doms. Bereits damals wurde dieser mit einer Vitrine geschützt, welche 1965 erneuert wurde. Diese Vitrine bestand aus einem speziellen Sicherheitsglas, in welches ein Alarmdraht eingelassen wurde. Doch dieser Draht rostete im Laufe der Jahrzehnte und färbte das Glas zunehmend grün.

Um den Schrein wieder besser sichtbar zu machen und die Sicherheit zu gewährleisten, wurde 2004 eine komplett neue Vitrine angeschafft. Auch diese Vitrine ist ein Meisterwerk: Das speziell entspiegelte Glas besteht aus fünf Panzerglasscheiben. Angeblich würde man mit einer Axt mehr als 45 Minuten benötigen, alle fünf Lagen zu durchschlagen. Von oben und unten schützt ein zentimeterdicker Stahlboden den Schrein.

Eine moderne Hightech-Kabine schützt seit 2004 den Dreikönigenschrein, Bild: Pedelecs , CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Eine moderne Hightech-Kabine schützt seit 2004 den Dreikönigenschrein, Bild: Pedelecs , CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Die gesamte Vitrine kann elektrisch hoch und runtergefahren werden. Hoch geht es immer dann, wenn dann Dreikönigenwallfahrt ansteht. Dann können die Gläubigen unter dem Schrein hindurch pilgern.

Eine solche Konstruktion hat ihren Preis. Barbara Schock-Werner, die erste Frau im Amt des Kölner Dombaumeisters, dazu im Kölner Stadt-Anzeiger3Kölner Stadt-Anzeiger vom 25.09.2019:

„Die Kosten beliefen sich auf den Gegenwert eines kleinen Einfamilienhauses. Aber zum Schutz und zur Präsentation eines einzigartigen Kunstwerks musste es eben auch das Beste vom Besten sein.“

Was ist denn tatsächlich in dem Schrein?

Tatsächlich wurde der Inhalt des Dreikönigenschreins zuletzt am 21. Juli 1864 eingehend unter Anwesenheit von 35 Zeugen untersucht. Bei dieser Prüfung wurden verschiedene Gebeine gefunden:

  • Die drei Schädel, die man Caspar, Melchior und Balthasar zuordnet, sind tatsächlich drei Männerschädel von Männern im unterschiedlichen Lebensalter.
  • Zusätzlich fand man in dem Schrein Knochen dreier verschiedener Männer und zusätzlich viele kleinere Knochen, z.B. Fuß- und Handwurzelknochen, Wirbel und Rippen von mindestens zwei nicht exakt zuzuordnenden Personen. Möglicherweise handelt es sich dabei um Gebeine des Heiligen Nabor und des Heiligen Felix.
  • Außerdem wurden einzelne Knochen eines Kleinkindes gefunden. Woher diese genau stammen, kann nicht exakt belegt werden. Möglicherweise stammen die aus einem bereits um 1800 eingeschmolzenen Reliquiar der „Unschuldigen Kinder“, welches im Dom stand.
  • Es wurden auch Gebeine gefunden, die man dem Heiligen Gregor von Spoleto zuordnete. Diese Zuordnung ist wahrscheinlich zutreffend, weil ein Pergamentstreifens mit der Inschrift: „sct Gregorii. prb et mr“ gefunden wurden und weil ein im Schrein befindlicher Unterkiefer exakt zur außerhalb des Schreins befindlichen Schädelreliquie des Heiligen Gregors passt.

Übrigens: In den 1980er Jahren wurden die Stoffreste untersucht, welche die verschiedenen Gebeine umhüllen. Diese stammen nachweislich aus dem 2. bis 4. Jahrhundert nach Christus.

Und: Sind das im Schrein denn jetzt die echten Heiligen Drei Könige?

Die Frage nach der Authentizität der Gebeine wird immer wieder gestellt. Die Antwort auf die Frage „Sind das denn die echten Heiligen drei Könige?“ beantwortet der Kölner Kunsthistoriker Helmut Fußbroich wie folgt:

„Aber da kann man ohne rot zu werden, sagen, nä, die können nicht echt sein, weil es sich eben um eine Geschichte handelt, die keine Historie erzählen will.“ 

Somit bleibt es offen, wessen Gebeine wirklich im Dreikönigenschrein liegen. Vielleicht ist ja gerade dieses Rätsel, was die Faszination ausmacht. Oder, um es mit niemand geringeren als Goethe, zu sagen:

„Geschichte, Überlieferung, Mögliches, Unwahrscheinliches, Fabelhaftes mit Natürlichem, Wahrscheinlichem, Wirklichem bis zur letzten und individuellsten Schilderung zusammengeschmolzen, entwaffnet wie ein Märchen alle Kritik.“

Und das ist eine schöne, typisch rheinisch-katholische, Aussage.


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Ein paar Fragen an Willem Fromm: Köln hat eine erzählenswerte Geschichte!

Willem Fromm ist Historiker und ein absoluter Köln-Experte, Bilder: Willem Fromm
Willem Fromm ist Historiker und ein absoluter Köln-Experte, Bilder: Willem Fromm

Eigentlich dachte ich immer, mich gut in der Geschichte Kölns auszukennen. Zumindest bis ich angefangen habe, den Podcast „Eine Geschichte der Stadt Köln“ zu hören. Seitdem ist mir klar: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.

In diesem unglaublich umfassenden Podcast kann man zuhören, wie Köln wächst: von den Römern bis in unsere Zeit.

Der Mann hinter diesem erfolgreichen Podcast ist der Historiker Willem Fromm. Ich habe mich mit ihm mitten in der Stadt getroffen, am Rheinufer, dort wo vor etwa 1700 Jahren die Konstantinbrücke stand – über die Willem übrigens auch locker eine Stunde erzählen kann.

Doch jetzt interessiert mich mehr seine Sicht auf die Geschichte der Stadt.

Willem, du bist ein absoluter Köln-Geschichts-Experte. Was sind deiner Meinung nach die drei wichtigsten Daten bzw. Ereignisse in der Kölner Stadtgeschichte?

Natürlich empört sich in mir das Historikerherz, hier nur drei Ereignisse nennen zu dürfen! Auf die gesamten 2.000 Jahre lang geblickt würde ich sagen:

  1. Agrippina verlieh Köln im Jahr 50 n. Chr. den Rang einer Kolonie, was damals was Positives war im Vergleich zu späteren Zeiten, wodurch die Stadt einen Vorteil am Rhein erhielt.
  2. In den 950er-Jahren wurden die Erzbischöfe unter Bruno I. auch weltliche Stadtherren und sicherten Köln durch ihre direkte Nähe zum Kaiserhof viele Vorteile. Sie verschafften der Stadt wirtschaftliche Privilegien und vor allem die Reliquien für die Stadt. Nur von hier aus war der Weg zum gotischen Neubau des Doms 1248 möglich, die Erlangung des Stapelrechts 1259 und die Befreiung von der direkten erzbischöflichen Herrschaft nach der Schlacht von Worringen 1288 möglich.
  3. Die Zeit von 1933-1945: hier erlebte Köln die moralische und physische Zerstörung erst durch die Nazis, einschließlich Plänen zum nahezu kompletten Abriss des Martinsviertels und der rechten Rheinseite. Dann folgte die Vernichtung des über 2.000 Jahre gewachsenen Stadtkerns durch den Zweiten Weltkrieg.
Die blaue Uniform der protestantischen Preußen hat zum Begriff "Blauköpp" geführt, Bild: Knötel (1883)
Willem Fromm meint, dass die Ablehnung der Preußen in Köln völlig überschätzt wird, Bild: Knötel (1883)

Und was wird deiner Meinung nach völlig überschätzt?

Die angebliche Ablehnung allen Preußischen durch Köln im 19. Jahrhundert. Natürlich gab es in Köln ab 1815 Kräfte, die den preußischen Staat ablehnten. Aber spätestens ab der Reichsgründung 1871 waren die Eliten in Köln weitestgehend treue preußische Staatsbürger.

Hast du ein Lieblingsfigur aus der langen Stadtgeschichte? Und warum gerade diese Person?

Wer sich intensiv mit Geschichte beschäftigt hat, wird meist zum Zyniker. Wir wissen selbst zu gut, dass keine historische Persönlichkeit unschuldig oder moralisch einwandfrei ist. Das kann sie auch nicht sein. So wie du und ich es auch nicht sind.

Und genau hier drin finde ich, liegt die Faszination an der Geschichtsforschung. Oft ist es einfach auch das Versuchen eines Eintauchens in die Gedankenwelt einer historischen Figur, die spannend ist.

Agrippina - Kölns Stadtgründerin, Bild: Uli Kievernagel
Schade, dass Willem Fromm Agrippina, die vermeintliche Mörderin, nicht mehr befragen kann, Bild: Uli Kievernagel

Da würde ich zu gerne mal die römische Kaiserin Agrippina befragen, wie sie die Dinge gesehen hat und ob das wirklich damit übereinstimmt, was andere, die ihr nicht freundlich gegenüberstanden, über sie geschrieben haben: Gift-Mischerin, Mörderin oder gar schlechte Mutter? Wir kennen ihre Seite der Geschichte nicht.

Diese für mich quälende Wissenslücke macht sie für mich zu meiner Lieblingsfigur. Denn ein Mensch, den man bereits durch und durch kennt und der keine Geheimnisse mehr hat, ist doch langweilig.

Du bist positiv Köln-verrückt. Wann fing diese Leidenschaft an? 

Manchmal ist einfach etwas von Beginn an da. Als Kind löcherte ich meine Eltern mit Fragen über die Geschichte Kölns. Einfach so! Früh erzählte man mir also, dass Köln von den sagenhaft großartigen Römern gegründet wurden und die damals schon Swimmingpools hatten. Doch dann haben die Germanen den Abfluss der Schwimmbecken durch ihre langen Haare verstopft. Die Römer zogen beleidigt ab und das Wissen darüber ging verloren.

Ich drückte mir die Nase platt und schaute in die Tiefe der Mikwe auf dem Rathausplatz, dem mittelalterlichen jüdischen Ritualbad, wenn wir da vorbeigingen.

Die Kölner Mikwe war das Ritualbad der mittelalterlichen Judengemeinde von Köln, Bild: HOWI - Horsch, Willy, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons
Die Kölner Mikwe war das Ritualbad der mittelalterlichen Judengemeinde von Köln, Bild: HOWI – Horsch, Willy, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

Und als es im letzten Kindergartenjahr bei mir eine Dom-AG angeboten wurde, habe ich alles getan um an die begehrten und begrenzten Plätze zu kommen. Mit Erfolg. Das war echt toll. Turmbesteigung, Mosaike selber basteln aus Papierschnipseln und die Welt auch unter dem Dom besichtigen. Als Schülerpraktikant war ich dann 2006 bei der Dombauverwaltung, insbesondere beim Verlag Kölner Dom. Prof. Dr. Barbara Schock-Werner, die erste Frau im Amt des Kölner Dombaumeisters, hat damals richtig durchgepowert in dem Laden.

Ich habe gesehen, wie das Richter-Fenster erstellt wurde, das Buch über den Schrein der Heiligen Drei Könige wurde damals gelayoutet und Autor Frank Schätzing stieg für ein Fotoshooting für sein Hörbuch seiner Romane auf den Vierungsturm. Das alles in den nur drei Wochen des Schülerpraktikums. Toll!

Da wusste ich, Geschichte ist meine Leidenschaft, die ich weiterverfolgen möchte. Meine Klassenlehrerin am Hansa-Gymnasium hat mich ebenfalls echt toll gefördert in meiner Leidenschaft für Geschichte.

Du hast Geschichte dann auch an der Uni studiert?

Ich hatte mich für Geschichte in Köln, Bonn und ja, auch Düsseldorf beworben. Zusagen erhielt ich von allen dreien, aber irgendwie zog es mich nach Bonn. Es war eine Bauchentscheidung. Auch wenn es nur ein Katzensprung war, reizte es mich, außerhalb von Köln zu studieren.

Das Tolle an Bonn ist, dass die Stadt gerade groß genug, aber auch nicht zu klein ist. Mit der Residenz der Kölner Erzbischöfe als Unihauptgebäude und einer schönen Villa am Rhein als Sitz des Instituts für Geschichtswissenschaft, war für mich schon ein Reiz. Letzteres liegt auch direkt am Alten Zoll mit Biergarten in den warmen Monaten.

Die Seminare waren von der Atmosphäre durchweg immer sehr familiär und alle begegneten sich dort auf Augenhöhe. Die Profs und Angestellten am Lehrstuhl kannten jeden mit Namen, selbst die Pförtner, die einen mit dem oft nicht vorhandenen Kleingeld für den Kopierer aushalfen und einen Geldschein in Münzen umtauschten. Es war echt sehr schön, ich denke gerne an die Zeit zurück.

Natürlich reizte mich die Uni Bonn auch fachlich mit der renommierten Rheinischen Landesgeschichte und mit ihrem hohen Alter, Gründung 1818, übrigens als Ausgleich für die Schließung der Kölner Uni einige Jahre zuvor, hat sie die Entwicklung der Geschichtswissenschaft in Deutschland maßgeblich mitgeprägt und damit eine reiche wissenschaftliche Tradition.

Du hast 2020 deinen Podcast „Eine Geschichte der Stadt Köln“ gestartet. Was ist die Idee dahinter? 

Als erstes will ich anmerken, dass dies kein „es-war-Corona-und-ich-hatte-Zeit-Podcast“ ist. Die ersten sechs Folgen hatte ich schon im Sommer 2019 erstellt. Doch erst über die Weihnachtstage hatte ich dann endlich den Mut, sie zu veröffentlichen, was dann Ende Januar 2020 auch geschah. Ich finde Podcasts ein sehr persönliches Format, da man hierbei nur die Stimme der aufnehmenden Person hört.

Der Podcast "The History of Rome" von Mike Duncan war eine wichtige Inspiration für Willem Fromms eigenen Podcast zur Geschichte Kölns
Der Podcast „The History of Rome“ von Mike Duncan war eine wichtige Inspiration für Willem Fromms eigenen Podcast zur Geschichte Kölns

Ich selbst habe immer gerne den Podcast „The History of Rome“ gehört von Mike Duncan. Sein Podcast ist quasi der Großvater der Geschichte-Podcasts, da er schon 2007 erschien. Da wusste die überwältigende Mehrheit noch nicht, was Podcasts überhaupt sind. Mike Duncan ging in seinem Hörspiel die Geschichte des römischen Reiches von Anfang bis Ende durch. Immerhin rund 1.300 Jahre. Das inspirierte mich, das gleiche für Köln zu starten. Eine erzählte Geschichte Kölns von der Steinzeit bis heute.

Inzwischen fahre ich aber mehrgleisig, in sogenannten „Schnipsel-Folgen“ weiche ich auch oft von der starren Chronologie ab und erzähle, was ich möchte über die Kölner Stadtgeschichte oder führe Interviews mit Menschen, die was über Kölns Geschichte zu erzählen haben.

Wieviel Stunden Podcast sind daraus bis heute geworden?

Bei nun 60 veröffentlichten Folgen seit 2021 müssten es so ungefähr 50 Stunden sein in etwa. Wer also eine zweitägige Reise vor sich hat – hört doch mal rein. 😉

Und wieviel Stunden kommen noch? Wann willst du im „Heute“ ankommen?

Das ist schwierig abzusehen. Man könnte meinen, ich habe ja bereits die Hälfte geschafft, da wir im Jahr 1100 angekommen sind im Podcast. Man darf aber nicht vergessen, dass die historische Quellenlage immer besser wird und von der schieren Menge immer mehr wird, je näher wir der Gegenwart kommen.

So toll die römische Antike Kölns zu erzählen ist, vieles bleibt bis heute im Dunkeln. Wo befand sich das Amphitheater der Stadt, das es nachweislich gegeben haben muss? Oder zwischen den Jahren 100 n. Chr. bis 250 n. Chr. etwa gibt es keinerlei schriftliche Aufzeichnung über das römische Köln. Die Jahre musste ich notgedrungen überspringen.

Ab dem Jahr 1200 wird es dann richtig wild und ereignisreich in der Kölner Stadtgeschichte, dass man Gefahr läuft, was zu vergessen zu erzählen. Ich habe vor zwei Jahren aber einen groben Fahrplan bis 1288 ausgearbeitet, wann welche Folge mit welchem Thema erscheint. Bis ich da ankomme, vergehen laut diesem Plan noch zwei Jahre, obwohl ich bereits im Jahr 1100 angekommen bin.

Ein Mammutwerk: Der Podcast "Eine Geschichte der Stadt Köln" von Willem Fromm
Ein Mammutwerk: Der Podcast „Eine Geschichte der Stadt Köln“ von Willem Fromm

Ein Mammutwerk! Was treibt dich an, dich dieser gewaltigen Aufgabe zu stellen?

Ich habe schon immer nach dem „Warum?“ gefragt. Geschichte ist interpretierte Vergangenheit. Ich wollte immer wissen, warum etwas in unserem Alltag so ist, wie es ist. Trotz allen schweren Umbrüchen in der Kölner Geschichte, ist diese bis heute in unserer Stadt an vielen Orten noch spürbar, oft sogar zum Anfassen!

Des Weiteren hat sich trotz meines erfolgreich abgeschlossenen Geschichtsstudiums nie wirklich die Chance ergeben im Feld der Geschichtsforschung zu arbeiten. Jobs, insbesondere jene mit der man eine Familie ernähren kann, sind in dem Felde rar und daher hart umkämpft. Was ich niemanden verübeln kann. Als Ventil dafür dient mir der Podcast.

Und ehrlich gesagt, hat das doch auch viele Vorteile so: ich habe völlige Freiheit, was ich wie recherchiere und präsentiere. Ich kann selbstständig bestimmen, wann ich was veröffentliche. Dadurch habe ich mir quasi meinen eigenen ehrenamtlichen Historikerberuf nach eigenem Maß geschaffen.

Verdienst du Geld mit deinem Podcast?

Ja, ich verdiene etwas Geld damit. Gewinne erwirtschafte ich damit aber nicht. Ich weise mein Publikum nach jeder Folge höflich und kurz darauf hin seit kurzem, dass sie mir per Paypal ein kleines Trinkgeld überweisen können. Des Weiteren kann man mich langfristig auf einer Plattform namens Patreon.com unterstützen. Follower können mir pro Folge auf diesem Weg zwischen einem und fünf Euro überweisen.

Hier ist aber auch wichtig die Ausgabenseite zu beachten. Bücher kaufen, Gebühren fürs Podcast-Hosting und Website-Hosting, Domain-Lizenzen, Software-Lizenzen, Hardware (etwas geht immer kaputt) wie Mikros, Speicherkarten, Laptops, Kabel, das portable Aufnahmegerät und Fahrtkosten zu meinen Interviewgästen. All das kostet mich monatlich einen Betrag, der so um die 150 Euro liegt.

In letzter Zeit halten sich Ausgaben und Trinkgelder fast schon die Waage. Ich freue mich über jede noch so kleine Zuwendung. Und ja, natürlich wäre es schön, eines Tages auch mit einem kleinen Plus herauszugehen.

Wieviel Zeit investierst du ungefähr pro Woche in den Podcast?

Das ist schwer zu sagen. Die Recherchearbeit integriere ich oft in meinen Alltag. Abends auf der Couch mit meiner Frau beim Fernsehschauen habe ich ein Buch in der Hand und mache mir Notizen. Da ist schwer abzuschätzen wie viel Zeit jeweils mit der Glotze und jeweils mit dem Recherchieren draufgeht. Es ist auch vom Thema abhängig. Eine Folge über den Alten Dom schreibe ich an einem Abend aus meinem Kopf direkt runter. Eine Folge über das Gerichtswesen des mittelalterlichen Kölns lässt mich mitunter nächtelang verzweifeln.

Bei Aufnahme und Schnitt ist es ziemlich einfach zu messen. Pro aufgenommener Minute brauche ich ungefähr zwei Minuten zum Nachbearbeiten. Dauert eine Folge 40 Minuten, brauche ich 80 Minuten zum Schneiden und Bearbeiten. Ein Versprecher hier, ein neu aufgenommener Satz da.

Eine Podcastfolge zu erstellen ist übrigens nur 30 Prozent der gesamten Arbeit bei einem Podcast. 70 Prozent geht in die Öffentlichkeitsarbeit. Das geht weitestgehend über die Sozialen Medien wie Facebook, Instagram und TikTok. Anders ist es kaum möglich, wenn man nicht Unsummen für klassische Werbung ausgeben kann, wie es bei den meisten Podcasts von Privatpersonen ist. Dem „Köln-Ding der Woche“-Podcast wird es da ja sicherlich ähnlich gehen.

Auf Social Media versuche ich die Menschen durch Artikelbeiträge und vor allem durch das Erstellen meiner Kurzfilmreihe über Kölns Geschichte zu begeistern.

Der Podcast zur Geschichte der Stadt Köln erschien zunächst auf Englisch.
Der Podcast zur Geschichte der Stadt Köln erschien zunächst auf Englisch.

Der Podcast erschien zunächst auf Englisch, erst danach auf Deutsch. Wieso?

Wir müssen uns ins Jahr 2019 zurückversetzen. Vor Corona und bevor dadurch die große Podcastwelle in Deutschland losrollte. Doch im Jahr 2019 war die deutsche Podcastlandschaft noch recht überschaubar. So nahm ich an, dass dieses neue Medium eher ein internationales Publikum ansprechen müsste. Daher auf Englisch.

Zusätzlich mochte ich die Idee, Menschen auf der ganzen Welt zu zeigen, dass Köln mehr ist als nur Kölsch, Dom, FC und Karneval. Alles tolle Dinge an unserer Stadt, keine Frage! Aber eben nicht alles, was in 2.000 Jahre Stadtgeschichte prägend war.

Was hören wir als nächstes im Podcast?

Die nächste Folge 1Stand: 10. September 2023 wird ein richtiger Krimi. Das Sprichwort „Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte!“ trifft hier so richtig zu im Jahr 1106. Kaiser Heinrich IV. und sein Sohnemann Heinrich V., streiten sich über die Macht im Reich. Der jüngere Heinrich hatte den Vater eigentlich schon aufs Altenteil geschickt. Immerhin hatte der bereits 50 Jahre der Regentschaft auf dem Buckel. Doch der greise Kaiser denkt gar nicht ans Aufgeben.

Dieser eigentliche dynastische Konflikt auf Reichsebene nutzt die Kölner Bürgerschaft für den eigenen Vorteil schamlos aus. So bietet die Stadt dem geschassten alten Kaiser Heinrich IV. Zuflucht. In Köln wird er zwar gebührend empfangen, aber dafür verlangt man natürlich eine Gegenleistung. Eine riesige Stadterweiterung wünscht man sich, gegen den Willen des Stadtherrn, dem Erzbischof von Köln! Wer wird sich also durchsetzen? Viel steht auf dem Spiel. Denn der junge Heinrich V. sammelt ein Heer und wird Köln im Jahr 1106 frontal angreifen. Wie das wohl ausgehen wird? Erfahrt es am 11. September! Überall dort, wo es Podcasts gibt.  


Genau wie alle anderen Menschen in meiner Rubrik „Ein paar Fragen an …“ hat auch Willem Fromm zu meinen „kölschen Fragen“ Rede und Antwort gestanden.

Wenn nicht Köln – wo sonst könntest du leben? Und warum gerade dort?

Eine Ranch in Oklahoma. Mit Hühnerstall, einem Fischteich und meiner US-amerikanischen Gastfamilie als Nachbarn. Natürlich nur für ein paar Wochen. Dann geht’s wieder nach Köln.

Welche kölsche Eigenschaft zeichnet dich aus?

Ich reise gerne in die Welt hinaus, aber freue mich immer wie verrückt wieder nach Hause zu kommen. Wenn die Domspitzen in der Ferne das erste Mal wieder auftauchen. Ich glaube jeder kennt das Gefühl, der hier zuhause ist.

Was würdest du morgen in unserer Stadt ändern?

Wie hoch war das Zeichenlimit hier noch mal? 😉 Ich finde es schade, dass die Stadt oftmals unorganisiert scheint. Eine Großstadt zu organisieren ist selbstverständlich eine Wahnsinnsaufgabe und ich möchte mir selbstverständlich nicht anmaßen es besser machen zu können. Aber gerade mein aktueller Urlaub in geschichtsträchtige Großstädte wie Edinburgh und London haben mir vor Augen geführt, dass gerade die Kölner Altstadt, die ja der Hauptanlaufpunkt für Besuchende ist, eher vernachlässigt wirkt. Woran das genau liegt oder wer daran schuld ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Wir reden viel über Missstände in dieser Stadt und benennen sie deutlich. Was ich vermisse, ist jemand an verantwortlicher Stelle, der sich den Hut aufsetzt und sagt: „Problem erkannt, ich werde alles tun und ich bin die Ansprechperson dafür.“ Stattdessen wird meist das Problem hin und her geschoben und bleibt im Ungefähren. Und keiner will es anpacken.

 

Der Vierungsturm des Kölner Doms mit dem goldenen Stern von Betlehem, Bild: CEphoto, Uwe Aranas, CC-BY-SA-3.0
Der Vierungsturm des Kölner Doms ist der Lieblingsplatz von Willem Fromm, Bild: CEphoto, Uwe Aranas, CC-BY-SA-3.0

Wo ist dein Lieblingsplatz in Köln?

Auf dem Vierungsturm des Kölner Doms.

Was machst du zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch?

Mein Standardprogramm: Donnerstag eher ruhig halten, aber Berliner kaufen und abends Kölsch trinken gehen. Sonntags den Zug in Porz schauen. Montags mit der auswärtigen Verwandtschaft sich den Rosenmontagszug anschauen, glücklicherweise kenne ich Spots, wo es nicht so voll ist. Dienstags dann noch den Nippeser Zug. Ich gestehe aber auch, dass mir in manchen Jahren ein Urlaub nach Hamburg oder in die Niederlande lieber waren.

Und was zwischen Aschermittwoch und Weiberfastnacht?

Ich mache da so einen Podcast, keine Ahnung, ob ich das hier schon angemerkt habe. 😉

Wat hät für dich noch immer jood jejange?

Der Support durch Familie und Freunde.

Halve Hahn, Bild: Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)
Halve Hahn, das kölsche Lieblingsessen des Historikers Willem Fromm, Bild: Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)

Dein kölsches Lieblingsessen?

Das mag zwar ziemlich simpel klingen, aber bei einer gewissen schwarz-gelben Bäckerei hole ich mir gelegentlich gerne auf die Hand ne Halve Hahn. Da verbindet sich auch übrigens meine eigene Identität. Das rheinländische Röggelchen mit dem niederländischen Gouda.

Dein Lieblingsschimpfwort auf Kölsch?

Leider sind viele Schimpfwörter oft sehr diskriminierend, daher würde ich… Ach, was soll’s, es ist du „Du bes en fiese Möpp!“ alternativ „Ahl Kraad“. Beide benutze ich wirklich zu oft.

Bitte vervollständige den Satz: Köln ist …

en Jungfrau un en ahle Möhn.


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Katharina Henot – die vermeintliche Hexe

Figur von Katharina Henot auf dem Rathausturm. Deutlich zu erkennen: Die Flammen des Scheiterhaufens. Sie ist in guter Gesellschaft: Die Figur neben ihr ist Friedrich Spee von Langenfeld, ein Kritiker der Hexenprozesse, Bild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
Figur von Katharina Henot auf dem Rathausturm. Deutlich zu erkennen: Die Flammen des Scheiterhaufens. Sie ist in guter Gesellschaft: Die Figur neben ihr ist Friedrich Spee von Langenfeld, ein Kritiker der Hexenprozesse, Bild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Podcast Henot 5

Die sogenante „Hexenverfolgung“ ist ein trauriges Kapitel. Es gibt keine sichere Angabe zu den Opfern, manche Quellen gehen von bis zu 60.000 Toten aus. Darunter waren auch Männer, allerdings fanden überwiegend Frauen als vermeintliche „Hexen“ den Tod. So auch die Kölnerin Katharina Henot (oder auch Henoth, je nach Quelle), die am 19. Mai 1627 ermordet wurde.

Neid auf das lukrative Postmeister-Amt

Katharinas Vater Jacob Henot hatte seit 1579 das hochangesehene Amt des kaiserlichen Postmeisters in Köln inne. Doch seine Bestrebungen, Generalpostmeister zu werden, riefen die Neider aus dem Haus Taxis auf den Plan und führten zu 20 Jahren voller Streit um das lukrative Amt. Faktisch führten Katharina und ihr Bruder Hartger die Post-Geschäfte.

Als ihr Vater im Jahr 1625 im damals unglaublich hohen Alter von 94 Jahren starb, hielten die Geschwister den Tode des Familienoberhaupts zunächst geheim, um nicht die Geschäfte zu gefährden. Der Schwindel flog auf – und die Familie Henot verlor in einem Prozess das Recht auf die Postmeisterei an die Fürsten von Taxis.

Katharina wird der „Peinlichen Befragung“ unterworfen

Zeitgleich kamen in Köln Gerüchte auf, Katharina sei eine Hexe. Beweise waren z. B. eine Raupenplage in einem Kölner Kloster. Die Beschuldigte strengte daraufhin einen Prozess zum Beweis ihrer Unschuld an. Doch die Vorwürfe gegen Katharina häuften sich, sie wurde unter anderem wegen Schadenzaubers, Verbreitung von Zank und „Unzucht mit adeligen Herren“  angeklagt.

Daher wurde sie im Januar 1627 festgenommen und der „Peinlichen Befragung“ unterzogen. Die „Peinliche Befragung“ wurde bei Inquisitionsprozessen eingesetzt. Der Begriff ist von Pein abgeleitet bedeutet deswegen schmerzhaft. Tatsächlich handelt es sich um Folter mit dem Ziel, ein Geständnis zu erhalten. Der Einsatz der Folter wurde zur damaligen Zeit als durchaus legitim angesehen.1Leider wird auch heute noch von finsteren Regimen rund um den Erdball gefoltert. Danke an Thomas für diese Ergänzung.

So könnte auch die "Peinliche Befragung" Katharina Henots ausgesehen haben, Bild: Jan Luyken (1649 – 1712), Public domain, via Wikimedia Commons
So könnte auch die „Peinliche Befragung“ Katharina Henots ausgesehen haben, Bild: Jan Luyken (1649 – 1712), Public domain, via Wikimedia Commons

Insgesamt wurde die vermeintliche Hexe drei Mal gefoltert. Doch Katharina blieb standhaft und verweigerte ein Geständnis ihrer Hexerei. Eigentlich hätte der Prozess hier enden müssen, denn nach den damals gültigen Gesetzen hätte sie nach der dritten Folter ohne Geständnis freigelassen werden müssen. Trotzdem wurde sie zum Tode verurteilt.

Auf Melaten hingerichtet

Am 19. Mai 1627 wurde das Urteil auf Melaten vollstreckt. Der Scharfrichter erwürgte die von der Folter stark gezeichnete Katharina Henot, ihr Leichnam wurde verbrannt. Dieser Mord war der Auftakt zu einer ganzen Serie von Hexenprozessen im „Hillige Kölle“. Bis 1630 wurden mindestens 24 weitere Frauen als Hexen ermordet.

Es sollte aber noch mehr als 380 Jahre bis zur Rehabilitation der vermeintlichen Hexen dauern. Erst im Februar 2012 beschloss der Rat der Stadt Köln, auf Antrag der Nachfahren von Katharina Henot, die Rehabilitierung von insgesamt 38 Frauen, die im Zuge der Hexenprozesse verurteilt worden waren.


Heute trägt eine Straße in Ehrenfeld und eine Schule in Kalk ihren Namen. Das Historische Archiv begründet die Namensgebung der Schule wie folgt (Auszug):
„Ihre Persönlichkeit lässt mit Selbstbewusstsein, Gerechtigkeitssinn und Standhaftigkeit Eigenschaften erkennen, denen heute der Stellenwert von demokratischen Tugenden zugemessen wird.“

Die Bläck Fööss haben ihr mit dem Lied „Katharina Henot“  ein musikalisches Denkmal gesetzt. Den Text gibt es auf der Website der Föös.


Ein großes DANKE an Franz-Josef Knöchel vom Informationssystem  KuLaDig – Kultur. Landschaft. Digital. für wertvolle Korrekturhinweise zu diesem Artikel.


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Agrippina – Sex, Intrigen und Mord

Agrippina - Kölns Stadtgründerin, Bild: Uli Kievernagel
Agrippina – Kölns Stadtgründerin, Bild: Uli Kievernagel

Podcast Agrippina Folge 3

Wer glaubt, Intrigen, Morde und Sex an Königs- und Kaiserhöfen wären alles nur Erfindungen der Fantasy-Literatur, sollte sich unbedingt mal mit der Kölner Stadtgeschichte beschäftigen: Die Geschichte um unsere Stadtgründerin Agrippina bietet alle Zutaten für ein eigenes Epos mit Mord, Inzest und jeder Menge Intrigen.

Fakt ist, dass Agrippina – mehr oder weniger – ein kölsches Mädchen ist. Immerhin wurde sie in Köln geboren. Ihr Vater Germanicus war Heerführer der riesigen Armee, die die schmähliche Niederlage der Römer in der Varus-Schlacht rächen sollte. Just als diese Armee im Oppidum Ubiorum, dem späteren Köln, stationiert war, wurde Agrippina im Jahr 15 oder 16 n. Chr geboren. Über ihre Jugend ist nichts bekannt.

Ihr Bruder war der berüchtigte Kaiser Caligula, der Agrippina und ihre beiden Schwestern wie Göttinnen verehren lies. Doch das Glück währte nicht lange. Agrippina war in eine Verschwörung gegen ihren Bruder verstrickt und entging dem Tod nur durch die Verbannung auf die Insel Ponza im Tyrrhenischen Meer. Wie gut für Agrippina, dass Caligula selber im Jahr 41 n. Chr. ermordet wurde – so konnte sie zurück in die „upper class Gesellschaft“ Roms.

Entbrannt in völligem Verlangen nach Schreckensherrschaft

Ihr Plan, über verschiedene einflussreiche Ehemänner ihre Stellung in der römischen Gesellschaft zu festigen, ging ordentlich schief: In erster Ehe heiratete sie einen Politiker, der selber wegen Inzestes mit seiner Schwester angeklagt wurde. Aus dieser Ehe entstammt ihr einziges Kind: Lucius Domitius Ahenobarbus, besser bekannt als Nero.

Auch ihr zweiter Ehemann stand ihrem Aufstieg im Weg – er starb an einer Pilzvergiftung. Durch das (wohl durch Agrippina selbst beschleunigte) Ableben ihres zweiten Mannes war sie frei für ihre dritte Ehe: Im Alter von 33 Jahren heiratete sie den 25 Jahre älteren Kaiser Claudius. Eigens für diese Ehe wurde ein Gesetz zur Ehe zwischen Verwandten geändert, denn immerhin war Claudius ihr Onkel.

Jetzt war Agrippina fast am Ziel: Sie sorgte dafür, dass Claudius ihr den Titel einer römischen Kaiserin verlieh und gleichzeitig ihren Sohn Nero adoptierte. Um ihre Macht zu festigen, ging Agrippina über Leichen, der römische Historiker Tacitus beschrieb Agrippina als „entbrannt in völligem Verlangen nach Schreckensherrschaft“.

Köln wird zu Colonia Claudia Ara Agrippinensium

In dieser Zeit verlieh sie auch ihrem Geburtsort am Rhein den Titel einer römischen Kolonie. Colonia Claudia Ara Agrippinensium (CCAA) entstand, daraus erwuchs das heutige Köln. Sicher ist:  Nur durch die Rechte einer Colonia, einer römischen Kolonie, konnte Köln wachsen und sich zu einer der wichtigsten Städte im Römischen Reich entwickeln. Die Kölner verklären diese Entscheidung gerne als Agrippinas Liebeserklärung an ihren Geburtsort. Tatsächlich wollte sie damit aber vermutlich nur ihre Geburt im „Barbarenland“ verschleiern und ihre Macht festigen – immerhin ist die Bennenung einer römischen Kolonie nach einer Frau einzigartig. 

Nero, Sohn von Agrippina und Kaiser, Bild: Bibi Saint-Pol
Nero, Sohn von Agrippina und Kaiser, Bild: Bibi Saint-Pol

Nero wird Kaiser und lässt seine Mutter umbringen

Doch Agrippina war noch nicht am Ziel angekommen: Sie wollte unbedingt ihren Sohn Nero auf den Kaiserthron bringen. Unglücklich war nur, dass ihr Ehemann Kaiser Claudius selber einen Sohn aus einer früheren Ehe hatte, welcher als Nachfolger vorgesehen war. Erneut sorgte ein Pilzgericht für die Lösung. Claudius starb an einer Vergiftung und Nero konnte Kaiser werden. Der römischen Gesellschaft gefiel dieses Arrangement nicht, hinter ihrem Rücken wurden Nero und seiner Mutter „inzestuöser Verkehr“ unterstellt.

Nero selber war aus ähnlichem Holz geschnitzt wie seine Mutter. Er empfand Agrippina zunehmend als Rivalin um die Macht. Zunächst verstieß er sie vom Kaiserhof, danach schlugen etliche Mordanschläge, als Unfälle getarnt, fehl und schließlich ließ Nero seine eigene Mutter 59 n. Chr. umbringen.

Da kann man feststellen: Echt schwierige Familienverhältnisse! 


Die Jungfrau im Kölner Dreigestirn. Das Ornat erinnert an Agrippina, Bild: Festkomitee Kölner Karneval/Coelln Coleuer
Die Jungfrau im Kölner Dreigestirn. Das Ornat erinnert an Agrippina, Bild: Festkomitee Kölner Karneval/Coelln Coleuer

Agrippina wird jedes Jahr auf das neue geehrt: Die Jungfrau im Kölner Dreigestirn steht für die Uneinnehmbarkeit der Stadt. Das römisch anmutende Gewand erinnert an die Stadtgründerin.


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Die „Poller Köpfe“- Köln ohne Rhein?

Bei Hochwasser gab es einen zweiten Verlauf des Rheins östlich von Deutz. Ein große Gefahr für die Stadt Köln. Karte: OpenStreetMap
Bei Hochwasser gab es einen zweiten Verlauf des Rheins östlich von Deutz. Ein große Gefahr für die Stadt Köln. Karte: OpenStreetMap

Es wäre für die Stadt Köln eine Katastrophe gewesen! Der Rhein fließt nicht im gewohnten Flussbett, sondern sucht sich einen neuen Verlauf. Statt westlich verläuft der Fluss auf einmal ab Poll östlich an Deutz vorbei, um dann erst in Mülheim ins alte Flussbett zurückzukehren.

Klingt aberwitzig – aber diese Gefahr drohte ab ca. dem 12. Jahrhundert. Und es passierte bereits vereinzelt bei Hochwasser und Eisgängen: In Köln kam nur noch ein flaches Rinnsal an, der Fluss suchte sich ein neues Bett. Höchste Alarmstufe für die Stadt, denn damit war die grundsätzliche Schiffbarkeit des Rheins gefährdet und somit Kölns Wohlstand. Ohne den Handel, welcher zum größten Teil über den Rhein abgewickelt wurde, und ohne das äußerst lukrative Stapelrecht wäre Köln bedeutungslos geworden.

Köln ohne Rhein? Undenkbar!

Daher wurde bereits seit dem 12. Jahrhundert das Poller Rheinufer befestigt, um eine solche „Umleitung“ zu verhindern. Durch Anpflanzungen und Dämme entlang der heutigen Poller Wiesen sollte verhindert werden, dass Köln vom Rheinstrom abgeschnitten würde.

Problematisch war allerdings, dass Poll damals noch nicht zur Stadt gehörte, sondern zu den Besitztümern des Erzbischofs, mit dem die Kölner regelmäßig im handfesten Streit lagen. Doch auch der Erzbischof war nicht daran interessiert, dass Köln seinen Rang als Handelsmetropole verlieren könnte. Großzügig erlaubte der Kirchenmann, dass die Kölner Weiden zur Uferbefestigung auf seinem Grund pflanzen durften – allerdings auf Kosten der Kölner Bürgerschaft.

Ausschnitt aus einer Federzeichnung von 1583 mit den "Poller Köpfen", Bild: Stadtarchiv Köln
Ausschnitt aus einer Federzeichnung von 1583 mit den „Poller Köpfen“, Bild: Stadtarchiv Köln

Mammutprojekt „Poller Köpfe“

Doch diese Uferbefestigung war nicht stark genug, um bei Hochwasser nachhaltig eine mögliche Veränderung des Flussbettes zu unterbinden. Daher nahm die Stadt Köln im Jahr 1557 das Poller Ufer in Erbpacht, um ein Mammutprojekt in Angriff zu nehmen: Die „Poller Köpfe“. Auch hier bat der Erzbischof die Kölner kräftig zur Kasse: Die Pachtzahlung bestand in zwei Tonnen Heringen pro Jahr und zusätzlich in einem vergoldeten Geschirr – und für jeden neuen Erzbischof auch ein neues Goldgeschirr.

Ab 1560 begannen die Bauarbeiten. Es wurden schwere Uferbefestigungen („Köpfe“) angelegt. Dafür wurden massive Eichenstämme mit Querbalken im Flussgrund befestigt. Die so entstanden Kästen wurden mit Basaltbrocken gefüllt. Die Dimensionen dieser Anlage waren gewaltig: Mehrere Hundert Meter lange und etwa acht Meter breite Konstruktionen, welche bis zu 3 Meter aus dem Wasser herausragten. Zur Beschaffung des nötigen Bauholzes erwarb die Stadt Köln ein eigenes Waldgrundstück.

Um das Bollwerk gegen die Kräfte des Rheins noch weiter zu sichern, wurden alte und beschädigte Rheinschiffe angekauft und – beschwert mit Steinen und gesichert durch in den Boden getriebene Eichenpfähle – gezielt unmittelbar vor den Poller Köpfen versenkt. Damit die Pflege des Bauwerks gesichert war, stellte die Stadt eigens einen „Weidenhüter“ ein: Ein städtischer Beamter mit Wohnsitz auf der Anlage, der diese ständig im Blick hatte.

Im Jahr 1641 wurde ein steinernes Wehr zur Unterstützung der Anlage eingebaut. Aber erst mit Bau des Deutzer Hafens ab 1895 wurden die weit in den Rhein ragenden Bestandteile der Poller Köpfe entfernt und durch moderne Befestigungsanlagen ersetzt. Die Halbinsel „Poller Werth“ wurde zum Deutzer Hafen.

Die Poller Wiesen heute, rechts der Deutzer Hafen, Bild: ToLo46, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Die Poller Wiesen heute, rechts der Deutzer Hafen, Bild: ToLo46, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Poller Wiesen sind heute Bodendenkmal 

Als Uferbefestigung sind heute nur noch die in den Rhein ragenden Buhnen auf den Poller Wiesen zu sehen, die Reste der „Poller Köpfe“ liegen unter den Poller Wiesen.

Diese sind nicht nur ein beliebtes Erholungsgebiet, sondern auch als Bodendenkmal geschützt. Im Jahr 2003 wurden dort bei Niedrigwasser zwei im 16. Jahrhundert gezielt zur Verstärkung der „Poller Köpfe“ versenkte „Niederländer“1Ein spezieller Schiffstyp zum Frachttransport auf dem Rhein. gefunden. Doch die Archäologen kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus: Bei Probegrabungen stellte sich heraus, dass bis zu 100 weitere Schiffe dort gezielt versenkt wurden.

Sogenannte "Niederländer" für Fahrten auf dem Rhein bis zur Nordsee. Am linken Bildrand ist das Holzgestell zu erkennen, welches die Anlegestellen der Ober- und Niederländer trennt, Bild: Ausschnitt aus der Stadtansicht von Anton Woensam, 1531
Sogenannte „Niederländer“ für Fahrten auf dem Rhein bis zur Nordsee, Bild: Ausschnitt aus der Stadtansicht von Anton Woensam, 1531

Als dann noch Kampfmittelräumer die Poller Wiese für den Papstbesuch anlässlich des Weltjugendtags 2005 in Köln – der Papst hielt vom Schiff aus eine Ansprache für die auf den Poller Wiese versammelten Gläubigen – auf eventuell im Schlick verborgene Weltkriegsbomben untersuchten, fanden sie auch mit Hilfe der dabei eingesetzten Metalldetektoren Teile der alten Befestigungsanlagen der „Poller Köpfe“, wie Eisenschuhe zur Verankerung der Eichenbalken. Daher wurden die Poller Wiesen am 24. Oktober 2005 in die Bodendenkmalliste eingetragen.

Der Papst beim Weltjugendtag 2005 in Köln. Die Gläubigen im Vordergrund stehen auf den Poller Wiesen, Bild: Ingrid Schultz, Copyrighted free use, via Wikimedia Commons
Der Papst beim Weltjugendtag 2005 in Köln. Die Gläubigen im Vordergrund stehen auf den Poller Wiesen, Bild: Ingrid Schultz, Copyrighted free use, via Wikimedia Commons

Und wenn man sich heute bei gutem Wetter auf den Poller Wiesen sonnt und den Drachen, die dort regelmäßig steigen, zusieht, ahnt man kaum, dass genau hier massive Uferbefestigungen gestanden haben. Ohne diese wäre Köln eventuell vom Rhein abgeschnitten  worden. 

Und dann wäre es aus gewesen mit „Köln am Rhein“. 


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Kölner Stadtteile: Deutz – Veedel zwischen Historie und Moderne

Deutz um 1900 mit der geöffneten Schiffbrücke und dem Bahnhof Schiffbrücke am Deutzer Rheinufer, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons
Deutz um 1900 mit der geöffneten Schiffbrücke und dem Bahnhof Schiffbrücke am Deutzer Rheinufer, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons

Im Kölner Lokal-Anzeiger war es am 1. April 1888 nur eine Meldung auf Seite drei unter „Locales“, für das stolze, eigenständige Deutz aber das Ende der Eigenständigkeit: Nach mehr als 1.500 Jahren wird Deutz nach Köln eingemeindet und hört auf, als eigenständiger Ort zu existieren.

Die Eingemeindung vieler bis 1888 eigenständiger Gemeinden nach Köln als Meldung auf Seite 3 unter "Locales" im Kölner Local-Anzeiger vom 1. April 1888
Die Eingemeindung vieler bis 1888 eigenständiger Gemeinden nach Köln als Meldung auf Seite 3 unter „Locales“ im Kölner Local-Anzeiger vom 1. April 1888

Die Eingemeindung betraf aber nicht nur Deutz, sondern viele weitere bis dahin eigenständige Gemeinden. Unter anderem Ehrenfeld, Müngersdorf, Nippes oder auch das rechtsrheinische Poll.

Doch die Deutzer hatten etwas besser verhandelt: So wurde der Bürgermeister von Deutz Beigeordneter in Köln, das Standesamt verblieb im Deutzer Rathaus, und es gab Geld für verschiedene Baumaßnahmen. Trotzdem war es für die traditionell freiheitsliebenden, stolzen Deutzer schwer zu verkraften: Ab diesem Tag war das wirtschaftlich prosperierende Deutz nur noch ein Stadtteil von Köln.

Modell des Kastells Divitia, Bild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0
Modell des Kastells Divitia, Bild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0

Keimzelle: Das römische „Kastell Divitia“ 

Begonnen hatte alles um das Jahr 308 n. Chr. herum: Um die wichtige Colonia Claudia Ara Agrippinensium, unser heutiges Köln, vor den rechtsrheinischen Germanen zu schützen, wurde in Deutz das Kastell Divitia errichtet. Der Rhein bildete die eigentliche Grenze, das Kastell diente als Brückenkopf der Römer im „Land der Barbaren“. Geschützt wurde dadurch auch die Konstantinbrücke, die erste feste Brücke über den Rhein.

Darstellung der Konstantinbrcke aus dem Jahr 1608 mit viel künstlerischer Freiheit, so gab es z.B. keinen Turm in der Brückenmitte
Darstellung der Konstantinbrücke aus dem Jahr 1608 mit viel künstlerischer Freiheit, so gab es z.B. keinen Turm in der Brückenmitte

Nachdem die Franken ab etwa 355 n. Chr. regelmäßig Köln angriffen, geben die Römer die Stadt im Jahr 462 n. Chr. auf. Aus dem Kastell wurde später ein fränkischer Königshof. Die genaue Entwicklung von Deutz in diesen Jahren ist unklar. Erst mit Erzbischof Heribert, der an der Stelle des Hofes im Jahr 1003 ein Benediktinerkloster gründete, nahm die Entwicklung von Deutz wieder Fahrt auf. Im Jahr 1230 wurde Deutz zur Stadt erhoben.

Deutz im Machtkampf zwischen Köln und den Grafen von Berg

Und genau diese Stadt Deutz stand im Zentrum der Machtkämpfe zweier Rivalen: Auf der linksrheinischen Seite die Freie Reichsstadt Köln, auf der rechtsrheinischen Seite die Grafen von Berg.

Mehrfach wurde Deutz überfallen, geplündert, gebrandschatzt. Der Ort verlor die Stadtrechte und wurde zu einer „Vrijheit“1Eine Art „Stadtrechte light“. herabgestuft. Im Jahr 1538 verbrannten durch eine Brandstiftung große Teile von Deutz. Im sogenannten „Kölner Krieg“ 1583 zerstörten marodierende Truppen die Ortschaft sogar nahezu vollständig.

Gleichzeitig wurde der rechtsrheinische Ort zur Zuflucht für die 1424 aus dem linksrheinischen Köln vertriebenen Juden, später auch für die im „Hillije Kölle“ so ungeliebten Protestanten. So entwickelte sich Deutz und wurde liberaler, freier, aufgeschlossener und fremdenfreundlicher als das linksrheinische Köln und erlebte so nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs (1618 – 1648) einen Wirtschaftsaufschwung.

Das Kürassier-Denkmal "Lanzenreiter" an der Deutzer Rheinpromnenade erinnert an die Preußische Garnison in Deutz, Bild: Raimond Spekking
Das Kürassier-Denkmal „Lanzenreiter“ an der Deutzer Rheinpromnenade erinnert an die Preußische Garnison in Deutz, Bild: Raimond Spekking

Die Preußen verändern Deutz massiv

Mit der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress 1814/15 änderte sich für Köln und Deutz fast alles: Die Preußen erschufen aus Köln die „Festung Cöln“. Auch rechtsrheinisch wehte ein neuer, stark militärisch geprägter Wind. In Deutz entstand die große Dragoner Kaserne, der größte Teil der Deutzer Bevölkerung bestand aus Soldaten oder Mitarbeitern der Militärverwaltung.

Die Deutzer Schiffbrücke um 1900, Bild: US- Library of Congress
Die Deutzer Schiffbrücke um 1900, Bild: US- Library of Congress

Gleichzeitig stieg die Bedeutung von Deutz als Verkehrsknotenpunkt. Die Deutzer Schiffbrücke, errichtet 1822, war die erste Kölner Brücke nach der Konstantinbrücke. Vorher mussten sich die Kölner etwa 900 Jahre mit Fähren behelfen, um die Rheinseiten zu wechseln.

Deutz wird bedeutender Industriestandort und Eisenbahnknotenpunkt

In Köln entwickelte Nicolaus August Otto einen neuartigen Motor – eine Erfindung, die die Welt und auch Deutz grundlegend verändern sollte. Zusammen mit Eugen Langen gründete er die Motorenfabrik „N.A. Otto & Cie“. Doch der Platz in der Servasgasse, fast noch im Schatten des Doms, reichte nicht aus. Ein neues Werksgelände entstand in Deutz. Ähnlich ging es der ursprünglich am Kartäuserwall befindlichen Seilerei Felten & Guilleaume2Von den Kölnern gerne als „faul & gemütlich“ bezeichnet., die genau wie auch die Chemische Fabrik Kalk im Rechtsrheinischen weitläufige Produktionsstätten errichtete.

Um die neuen Industriegebiete zu erschließen und dem stetig wachsenden Bedarf nach Mobiltät gerecht zu werden, konkurrierten mit der „Bergisch Märkischen Eisenbahn“ (BME) und der „Cöln- Mindener-Eisenbahn“ (CME) zwei Eisenbahngesellschaften, wobei jede ihr eigenes, exklusives Schienennetz betrieb. So entstanden zwei große Kopfbahnhöfe und zwei kleinere Bahnhöfe in Deutz – viele Eisenbahnstrecken durchzogen den Stadtteil und schnitten Deutz vom Rheinufer ab.

Der Bahnhof Schiffbrücke direkt am Deutzer Rheinufer, vorne das Stammhaus der Brauerei Sünner an der Deutzer Freiheit, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons
Der Bahnhof Schiffbrücke direkt am Deutzer Rheinufer, vorne das Stammhaus der Brauerei Sünner an der Deutzer Freiheit, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons

Deutzer Eisenbahnjammer

Diese Entwicklung machte aus dem zuvor beschaulichen Örtchen ohne Rücksicht auf Verluste einen Industriestandort. Insbesondere die Tatsache, dass das Rheinufer durch Bahndämme Deutz faktisch vom Fluss abschnitt, erzürnte die Deutzer und führte zum „Deutzer Eisenbahnjammer“:

Der "Deutzer Eisenbahnjammer" in der Kölnischen Zeitung vom 23. April 1899
Der „Deutzer Eisenbahnjammer“ in der Kölnischen Zeitung vom 23. April 1899

Der Autor beklagte:

„Was ist aus unserm schönen Deutz geworden! Einst ein blühendes Städtchen am Rheinufer … Kein Ort am ganzen Rheinstrom vermochte den malerischen Zauber, die behagliche Geselligkeit darzubieten … uns arme Deutzer hat man durch einen garstigen Eisenbahndamm vom Rheine abgetrennt.  … Tempi passati…“

Gleichzeitig entwickelte sich Deutz zum Amüsierviertel, denn die bis zur Eingemeindung dort eingeräumten Freiheiten führten auch dazu, dass sich insbesondere auf der Prachtstraße Deutzer Freiheit zahllose Gaststätten, Glücksspielbetriebe, Tanzlokale und – für die katholisch geprägten linksrheinischen Kölner unerhört – „Lusthäuser“ ansiedelten.

Rege Bautätigkeit

Schnell entstanden wichtige Infrastrukturprojekte wie der Deutzer Hafen (1907), der Deutzer Bahnhof (1913) und die Messehallen (1923), welche zur „Pressa – Internationalen Presseausstellung“ (1928) massiv ausgebaut werden.  

Die Nationalsozialisten hatten ganz besondere  Pläne für Deutz. Dort sollte ein riesiges „Gauforum“ mit gigantischen Parteibauten und einem großem Aufmarschgelände entstehen. Dafür wäre Deutz nahezu verschwunden. Gut, dass diese Spinnereien nie verwirklicht wurden.

Die Kriegsfolgen waren auch in Deutz verheerend. Hier traf es das rechtsrheinische Köln genau so heftig wie den linksrheinischen Innenstadtbereich. Mit dem Wiederaufbau bekam auch die Entwicklung von Deutz wieder positive Impulse. Die Brücken wurden wieder instandgesetzt, bereits 1947 fanden wieder erste Ausstellungen und Messen statt, bis 1950 standen bereits 52.000 Quadratmeter Hallenfläche wieder zur Verfügung.

Deutz wird Sitz des LVR und der Lufthansa

Mit der umstrittenen Ansiedlung der Hauptverwaltung des Landschaftsverbandes Rheinlandes in Köln3Der Sitz auch der Vorgängerinstitutionen war traditionell in Düsseldorf. Ende der 1950er Jahre nahm Deutz weiter Schwung auf. Die Ford-Werke richteten mitten in Deutz im sogenannten „Ford-Hochhaus“ zahlreiche Großraumbüros ein. Auch die Lufthansa hatte von 1970 bis 2007 im Lufthansa-Hochhaus, heute Lanxess Tower, direkt am Rhein ihren Hauptsitz. Im Deutzer Rheinpark fanden 1957 und 1971 jeweils eine Bundesgartenschau statt.

Prachtstück in Deutz: Der Rheinboulevard, Bild: Raimond Spekking
Prachtstück in Deutz: Der Rheinboulevard, Bild: Raimond Spekking

„Boomtown Deutz“: Düx kütt üvver Kölle

1998 wurde die Kölnarena eröffnet, zeitgleich mit dem „Technischen Rathaus“ der Stadt. Die alten Messehallen wurden im Jahr 2010 neue Heimat des Fernsehsenders RTL und Versicherers HDI. Neue ICE-Gleise im Deutzer Bahnhof ermöglichen Hochgeschwindigkeitsfahrten. So ist der Frankfurter Flughafen von Deutz aus in nur 48 Minuten zu erreichen.

Fazit: Deutz hat eine erfolgreiche Entwicklung genommen. Zwar nennen die Kölner Deutz immer noch spöttisch „Schäl Sick“ – doch mittlerweile ist das schon anerkennend gemeint. Und wenn schon die kölschen Lokalheiligen, die Bläck Fööss, der Schäl Sick huldigen, dann hat Deutz alles erreicht:

Hey Kölle, pass op! Jetz ändert sich die Zick.
Düx kütt üvver Kölle, jetz es et bal su wick.4
„Schal Sick“, Bläck Fööss


Lotsentour „Schäl Sick is schick!“  

Meine Stadtführung „Schäl Sick is schick!“ bietet einen wunderbaren Einblick in dieses ganz besondere Veedel.


Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena Emons Verlag Köln ISBN 978-3-7408-1565-3 12,00 Euro, erhältlich in jeder Buchhandlung
Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena

Der Autor Michael Kriegel hat sein Herz an Deutz verloren, seit er Mitte der 1970er Jahre auf der „Schäl Sick“ studiert hat. Und diese Liebe hat er in dem lesenswerten Buch „Deutz – vom Römischen Kastell zur Köln-Arena“ verewigt.


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Der Eigelstein – 2.000 Jahre Geschichte auf 570 Meter Straße

Die Wanderbäume vor der Eigelsteintorburg, Bild: Wanderbaumallee Köln
Blick in den heute verkehrsberuhigten Eigelstein, Bild: Wanderbaumallee Köln

Podcast Eigelstein-Stüverhoff 14

Der Eigelstein ist gerade mal 570 Meter lang – und trotzdem eine der sagenumwobensten und ältesten Straßen in Köln. Als Teil der römischen Hauptachse in Nord-Süd-Richtung (sog. „Cardo maximus“) war der Eigelstein eine wichtige Verkehrsader für die Römer auf dem Weg in die bedeutenden Legionslager Novaesium (Neuss) und Castra Vetera (Xanten). Noch heute ist dieser Weg auf einer Karte gut zu erkennen: Vom römischen Nordtor über die Marzellenstraße, Eigelstein, Neusser Straße über die Niehler Straße geht es schnurgerade zum Rheinufer und von da aus weiter nach Neuss und Xanten.

Kein Adler, sondern Pinienzapfen

Um gleich mit einem weit verbreiteten Vorurteil aufzuräumen: Nein – die Historiker gehen nicht (mehr) davon aus, dass sich der Name „Eigelstein“ von „Adler“ herleitet. Obwohl der Verdacht nahe liegt, denn immerhin war das Wappentier der römischen Legionen der Adler (lateinisch aquila). Außerdem nannten die Franzosen die Straße „Rue de L` Aigle“ (Straße des Adlers oder Adlerstraße).

Allerdings gab es an den Ausfallstraßen der römischen CCAA regelmäßig Friedhöfe. So auch am Eigelstein. Auf den Gräbern wurden oft Pinienzapfen aus Stein angebracht, diese galten als Symbol der Unsterblichkeit. Die Kölner gingen davon aus, dass es sich Eicheln handelte und nannten die steinernen Zapfen „Eychelsteyne“. Und von da aus ist es nur noch ein kurzer Weg zum „Eigelstein“.

Eines der vielen Gasthäuser am Eigelstein: Der "Brüsseler Hof" (1840)
Eines der vielen Gasthäuser am Eigelstein: Der „Brüsseler Hof“ (1840)

Handwerker Viertel – mit vielen Gaststätten

Rund um den „Eygelsteyn“ siedelten sich im Mittelalter viele Handwerker an. Und diese hatten anscheinend beträchtlichen Durst: Bereits 1170 erwarb „Ezelin der Bruer“ ein Haus und wurde somit der erste namentlich genannte Bierbrauer Kölns – ein echter Pionier!

Im Jahr 1838 gab es am Eigelstein insgesamt 18 Brauereien. Und noch bis 2015 wurde hier Bier gebraut, zuletzt von der Gaffel-Brauerei, die heute ihr Bier rechtsrheinisch, in Gremberghoven, braut. Den Durst kann man am Eigelstein aber immer noch hervorragend stillen, unter anderem im Weinhaus Vogel oder in der bereits 1760 gegründeten Gaststätte „Em Kölsche Boor“

Urjels-Palm in der Bierdeckel-Serie "Kölsche Originale", Bild: Bild: rs-bierdeckel.de, Reinhold Schäfer
Urjels-Palm in der Bierdeckel-Serie „Kölsche Originale“, Bild: Bild: rs-bierdeckel.de, Reinhold Schäfer

Heimat kölscher Originale

Am Eigelstein lebten auch Johann Arnold Klütsch (1775 – 1845), in Köln als „Fressklötsch“ bekannt. Ein legendärer Vielfraß und hochgeachteter Bürger. Und auch der als vornehme Straßenmusikant bekannte Johann Joseph Palm (1801 – 1882) – genannt „Orjels-Palm“ – lebte in dieser Straße.

Früher Kappesboore, in den 1970er „Klein Istanbul“

Wirft man einen Blick in die Mercator-Stadtansicht von 1570. ist der Eigelstein eine eher abgelegene Straße. In der Weidengasse, die auf ungefähr halber Höhe in den Eigelstein mündet, kann man auf der alten Ansicht noch einfache Strohhütten erkennen. Hier haben damals die als „Kappesbure“ bezeichneten Kohlbauern sowie die Stadtsoldaten und auch Wäscherinnen in prekären Verhältnissen gelebt.

Deutlich aurf diesem Ausschnitt des Mercator - Stadtplanes zu erkennen: Die Weidengasse war früher kaum bebaut
Deutlich aurf diesem Ausschnitt des Mercator – Stadtplanes zu erkennen: Die Weidengasse war früher kaum bebaut

Ab den 1970er Jahren war insbesondere die Weidengasse ein bei der türkischen Bevölkerung sehr beliebtes Wohnviertel. Hier wurde auch 1974 der erste türkische Gemüseladen Kölns eröffnet.

Allerdings ist in diesem sehr urbanen Viertel die Gentrifizierung festzustellen: Immer mehr wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängen die weniger zahlungskräftigen Einwohner. Aber noch finden sich hier unzählige Schnellimbisse mit türkischen Spezialitäten. Der Rauch, der insbesondere beim Grillen der Dönerspieße entsteht, sorgt regelmäßig für Ärger bei den (neuen) Anwohnern.

Die 1970er Jahre war auch das kriminelle Milieu der Stadt stark am Eigelstein vertreten. Insbesondere „Im Stavenhof“, einer kleinen, engen Seitengasse, boomte die Prostitution.

Heute ist der Eigelstein eine in weiten Teilen autofreie Fahrradstraße – was aber regelmäßig zu Konflikten zwischen herumschlendernden Fußgängern und eiligen Lastenradfahrern führt.

Das "Schmalste Haus Kölns", Eigelstein 115, Bild: wowo2008, Public domain, via Wikimedia Commons
Das „Schmalste Haus Kölns“, Eigelstein 115, Bild: wowo2008, Public domain, via Wikimedia Commons

Attraktion: Das schmalste Wohnhaus Kölns

Es ist zwar 30 Meter lang, aber nur 2,56 breit: Das schmalste Wohnhaus Kölns befindet sich am Eigelstein Hausnummer Nr. 115. Kurios: Das Haus hat keine eigene Außenwände sondern wurde zwischen die Brandmauern der beiden Nachbargebäude gebaut. Ebenfalls platzsparend: Die Badezimmer sind über Schiebetüren abgetrennt, die Treppen zu den oberen Stockwerken wurden nach außen gelegt.

Am Eigelstein ist Musik

Selbstverständlich darf in einer Stadt, die sich selbst regelmäßig feiert und besingt auch ein Lied zum Eigelstein nicht fehlen: Die kölsche Band „Räuber“ hat dieser Straße mit dem äußerst eingängigen Lied „Am Eigelstein es Musik“ ein musikalisches Denkmal gesetzt.

Etwas feinsinniger die Lieder, die der Straße „Unter Krahnenbäumen“ gewidmet sind. Diese Straße mündet auf Höhe der Weidengasse in den Eigelstein. Willi Ostermann besingt 1936 das „Kinddauf-Fess Unger Krahnebäume“, Wolfgang Niedecken bezeichnet diese Ecke 2004 in seinem Lied „Unger Krahnebäume“ als „Schattenseite des Doms“:

Rään un Sonnensching und Harel, Eirestein un WiggejassLang nit mieh heher jefahre, och mit wirklich jetzt verpassSonnenbank un Dönerbuude, Ahn- un Verkauf, JlitzerkrommEinmohl mieh erinnjeroode en die Schattesick vum Dom

Von 1979 bis 1988 gab es auch Eigelstein Musikproduktion GmbH. Dieses Label brachte 1979 das BAP-Album „BAP rockt andere kölsche Leeder“ und 1980 das deutlich rockigere „Affjetaut“ heraus.

Heinrich Böll wird von Schwester Antonia wegen seiner Fähigkeit, Menschen zu analysieren und diese Erkenntnis zu formulieren sehr geschätzt. Bild: Harald Hoffmann
Heinrich Böll hat in dem Essay „Straßen wie diese“ seine Sehnsucht nach Straßen wie „Unter Krahnebäume“ beschrieben, Bild: Harald Hoffmann

Heinrich Böll: „Straßen wie diese“

Durch Heinrich Böll hat es das Eigelstein-Viertel auch in die Weltliteratur geschafft. Als Nachwort zu dem sehenswerten Bildband „Unter Krahnenbäumen – Bilder aus einer Straße“ des Kölner Fotografs Chargesheimer schreibt Böll:

„Durch Straßen wie diese führte mein Schulweg, sieben Jahre lang; viele tausend Male bin ich durch solche Straßen gegangen, aber nie in sie eingedrungen; erst viel später – in der Erinnerung begriff ich, was Straßen wie diese bedeuten, ich begriff es, wie man plötzlich Träume begreift, wenn ich in fremden Städten stundenlang durch Straßen ging und eine wie diese suchte, aber nicht fand.“


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Das Weinhaus Brungs – gefährdetes Baudenkmal mitten in der Stadt

Das Gasthaus Brungs in der Kölner Innenstadt, Bild: Raimond Spekking
Das Gasthaus Brungs in der Kölner Innenstadt, Bild: Raimond Spekking

Es ist sehr zentral und ist trotzdem irgendwie versteckt: Das Weinhaus Brungs, ein sehr geschichtsträchtiger Bau. Von außen durchaus beeindruckend, aber spätestens, wenn man die Treppe heruntergeht, bekommen sowohl der Kölner als auch der Tourist den Mund vor Staunen nicht mehr zu: Hier gibt es noch Reste der römischen Stadtbefestigung – Geschichte zum Anfassen. Tatsächlich sind hier die Reste des römischen Stadttors „Marspforte“ zu sehen.

Geschichtsträchtiges Gebäude

Im 16. Jahrhundert hatte sich das Viertel rund um die Marspforte rasant entwickelt: In unmittelbarer Nähe der beiden wichtigen Warenumschlagsplätze Alter Markt und Heumarkt sowie dem Machtzentrum Rathaus florierte hier das Geschäft.

Dabei war das alte, an dieser Stelle noch bestehende, römische Stadttor wohl eher hinderlich. So hatte der Kölner Ratsherr Hermann von Weinsberg in seinen berühmten Tagebüchern notiert, dass es an den Bögen des Stadttors sehr schmutzig sei, weil jeder seinen Unrat dort ablud. Hier ein gekürzter Auszug aus dem Tagebuch von Hermann Weinsberg zur Marspforte:1 Die ursprüngliche Handschrift ist nur für Experten lesbar, Details dazu gibt es beim Weinsberg-Projekt.

Auszug aus den Tagebuch von Hermann Weinsberg, die ursprüngliche Handschrift ist nur für Experten lesbar
Eine sinngemäße Übersetzung:

Auszug aus den Tagebuch von Hermann Weinsberg, die ursprüngliche Handschrift ist nur für Experten lesbar

Weinsberg berichtete, dass der Kölner Ratsherr Gillis Eifler an genau der Stelle des abgerissenen Stadttors zwei Stadthäuser errichtete. Wie damals üblich wurde nicht komplett neu gebaut, sondern bestehende Mauern in den Neubau integriert. Und so sind die Reste des Stadttors heute Bestandteil des Gewölbekellers im Weinhaus Brungs.

Das antike Kellergewölbe im Weinhaus Brungs mit zwei Grinköpfen, Bild: HOWI - Horsch, Willy, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons
Das antike Kellergewölbe im Weinhaus Brungs mit zwei Grinköpfen, Bild: HOWI – Horsch, Willy, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

Die ebenfalls dort angebrachten Fratzenmasken sind sogenannte „Grinköpfe“. Diese gehören eigentlich auf die Giebel von Stadthäusern. Durch das Maul dieser Fratzen konnten Seile gezogen werden, und so wurden schwere Waren in die Speicherräume unter den Dächern gehoben.

Häuser werden zusammengelegt

Etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts kaufte die Familie Brungs beide Gebäude. Um mehr Platz zu schaffen, wurden aus zwei Häusern eins. Den Durchgang markiert ein markanter neogotischer Spitzbogen mit dem in den Stein verewigten Stadtnarren „Worbel“.

Laut Überlieferung soll es diesen Worbel tatsächlich gegeben haben. Er hieß Pankratz Weinstock und unterhielt im 12. Jahrhundert die Stadtgesellschaft mit seinen Späßen.

Massive Zerstörung im Krieg – heute Institution in der Innenstadt

Im Zweiten Weltkrieg wurde auch das Gasthaus Brungs schwer beschädigt und wiederaufgebaut. Daher stammt die Inneneinrichtung aus anderen Häusern und wurde hier wieder eingebaut, wie zum Beispiel die hölzerne Wendeltreppe aus dem 18. Jahrhundert.

Heute behauptet sich das Weinhaus Brungs zwischen den vielen Brauhäusern in der Innenstadt. Auf der Touristik-Website TripAdisor nimmt dieses Restaurant Platz 62 von 1.699 gelisteten Häusern in Köln ein2Stand: 1. März 2023. Gäste loben das Essen und die Weinkarte.

Das Gasthaus Brungs in der Kölner Innenstadt, Bild: Horsch, Willy - HOWI, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons
Das Gasthaus Brungs in der Kölner Innenstadt, Bild: Horsch, Willy – HOWI, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

Stadt kauft Gebäude – weitere Nutzung ungewiss

Im Zuge der Arrondierung3Arrondierung ist der Einbezug angrenzender Flächen zu einem bestimmten Grundstück. der Flächen rund um das Rathaus hat die Stadt Köln Ende 2019/Anfang 2020 das Gebäude erworben.

Eigentlich wollte die Familie Brungs das Gebäude an eine Privatperson verkaufen. Ein entsprechender Kaufvertrag lag bereits vor, doch Ende 2019 entschloss sich der Stadtrat, von dem im Grundbuch eingetragenen Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen und das Gebäude für 3 Millionen Euro4Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger vom 17.01.2020 zu erwerben. Gleichzeitig sicherte die Stadt dem Pächter des Restaurants zu, dass der Pachtvertrag weiterlaufen solle.

Doch augenscheinlich wurde der Pachtvertrag zum Ende Februar 2023 gekündigt. Ob und wie es mit der Gastronomie im Weinhaus Brungs weitergeht, ist völlig offen. Auch ein anderweitiges Nutzungskonzept der Stadt liegt (noch) nicht vor.

Oder will sich unser Rat am Ende nur einen schnellen Weg  zum Wein sichern? Der Stadtführer und Köln-Experte Bernd Imgrund berichtet5„111 Kölner Kneipen, die man kennen muss“ von Bernd Imgrund und Thilo Schmülgen, dass der Notausgang des Gewölbekellers direkt unter das Rathaus führt. Und diesen kann man ja schließlich auch in die andere Richtung nutzen …

Konzept zur Weiternutzung dringend erforderlich!

Es bleibt die Hoffnung, dass schnell eine Weiternutzung des Gebäudes ansteht, damit dieses wunderschöne Gebäude nicht eine ähnliche Entwicklung wie zum Beispiel das Funkhaus in Raderthal durchmacht. Dieses gammelt mangels Entscheidung vor sich hin – vermutlich bis nichts mehr zu retten ist und es einfach abgerissen wird.


+++ UPDATE  Stand: Mai 2023 +++

 Das Team vom Weinhaus Brungs hat in der Decksteiner Mühle (Gleueler Str. 371, Köln-Deckstein) eine neue Heimat gefunden.
Viel Erfolg am neuen Standort!


 

Logo change.org
Petition: Das letzte Alt-Kölner Weinhaus darf nicht sterben!

Die „Freunde von Weinhaus Brungs“ haben auf der Plattform change.org eine Petition gestartet und fordern von der Stadt Köln:

Die Stadt Köln soll als Eigentümerin des Weinhauses Brungs dieses beispielhafte Denkmal erhalten, fachgerecht sanieren und als Juwel der Altstadt in seiner traditionsreichen Nutzung als Weinhaus dauerhaft weiterführen.

Aktuell6Stand 1. März 2023 haben 580 Personen diese Petition unterschrieben. Der Köln-Lotse übrigens auch.

Falls auch du diese Petition unterschreiben willst, findest du hier alle notwendigen Informationen:

Das letzte Alt-Kölner Weinhaus darf nicht sterben.
WIR WOLLEN WEINHAUS BRUNGS ERHALTEN!


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Die Figuren am Rathausturm – eine kölsche Posse

Das Kölner Rathaus, hier auf einem Kupferstich um etwa 1655, Bild: Künstler unbekannt, via Wikimedia Commons
Gut zu erkennen: Das erste Figurenprogramm auf dem Kölner Rathausturm, hier auf einem Kupferstich um etwa 1655, Bild: Künstler unbekannt, via Wikimedia Commons

Su jet jitt et nur in Kölle! Wir machen zwar Dinge gerne schon mal mehrfach, aber was am Rathausturm in den 1980er passiert ist, ist leider irgendwie typisch kölsch.

Der im Stil der Spätgotik errichtete Rathausturm ist reich mit Zinnen und Vorhangbögen geschmückt. Am auffälligsten sind aber die 124 Figuren von Persönlichkeiten, die die Geschichte der Stadt Köln geprägt haben.

So findet sich dort heute eine bunte Mischung kölscher Prominenz, zum Beispiel Agrippina, Jan von Werth, Katharina Henot, Johann Maria Farina bis hin zu Nikolaus Otto. Es bedurfte allerdings mehrerer Anläufe, bis diese Figuren fest und sicher auf dem Turm standen.

Die Vorgeschichte: Die ersten Figuren stammten aus dem 15. Jahrhundert

Bereits mit Fertigstellung des Turms im Jahr 1414 war der Turm mit Figurten ausgestattet. Welche Figuren sich ursprünglich dort befanden, ist heute nicht mehr bekannt.

In den Jahren hatten Wind und Wetter den Figuren so massiv zugesetzt, dass diese anfingen, ganz oder in Teilen abzufallen. So beschloss der Rat am 22. Mai 1694 aus Sicherheitsgründen, die Figuren abzunehmen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde ein neues Figurenprogramm beschlossen. Diese Figuren wurden zwischen 1891 und 1901 in Auftrag gegeben.

Das Kölner Rathaus um 1900 - noch bevor die Figuren bis etwa 1902 neu aufgestellt wurden. Photochromdruck, Künstler unbekannt, Public domain, via Wikimedia Commons
Das Kölner Rathaus um 1900 – noch bevor die Figuren neu aufgestellt wurden. Photochromdruck, Künstler unbekannt, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Aufstellung dieser neuen Figuren war in Gruppen eingeteilt: Im Erdgeschoss war Platz für Fürsten und Erzbischöfe, im ersten Obergeschoss für Repräsentanten der Geschlechterherrschaft, eine Etage darüber für Repräsentanten der Zünfte. Das dritte Obergeschoss war für Männer der Künste und der Wissenschaft vorbehalten und im obersten Geschoss wachten die Schutzheiligen der Stadt über die Bürger. Die Letzte dieser Figuren wurde im Jahr 1902 aufgestellt.

Massive Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg

Das Rathaus wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört. Vom Rathausturm stand gerade noch ein Drittel. Es gab sogar Überlegungen, den Turm gänzlich abzureißen und neu aufzubauen. Doch die Kölner Handwerkerschaft erinnerte sich an ihre alte Zunft-Tradition und initiierte die „Bauhütte Rathausturm“. So wurde der Rathausturm, nach der Errichtung durch die Zünfte Anfang des 15. Jahrhunderts, im 20. Jahrhundert von den Kölnern Handwerkern gerettet.

Der zum größten Teil zerstörte Rathausturm im Jahr 1945, Fotograf: unbekannt
Der zum größten Teil zerstörte Rathausturm im Jahr 1945, die Figuren wurden fast vollständig zerstört, Fotograf: unbekannt

Von 1950 bis in das Jahr 1975 wurde an dem Rathausturm gebaut und das Gebäude originalgetreu wieder aufgebaut. Allerdings waren von den bis 1902 aufgestellten Figuren auf dem Turm nach dem Bombardement des Zweiten Weltkriegs kaum noch etwas übrig.

Neues Figurenprogramm in den 1980er Jahren: Bei 124 neuen Figuren gerade einmal fünf Frauen.

Die Stadt setzte eine Historikerkommission mit der Aufgabe, eine neue Auswahl an Figuren vorzuschlagen, ein. Die Bedingungen waren lediglich, dass weder lebende Personen noch „negative Figuren“ abgebildet werden dürfen.

Die Kommission benötigte gerade einmal fünf Jahre, um ein entsprechendes Figurenprogramm zu erarbeiten. So konnte endlich im Jahr 1986 das Konzept vom Kulturausschuss verabschiedet und dem Stadtrat zur Abstimmung vorgelegt werden. Bei dieser Stadtratssitzung muss es hoch hergegangen sein, denn die Fraktion der Grünen verweigerte konsequent die Zustimmung. Mit Recht!

Eine der wenigen Frauen auf dem Rathausturm: Die erfolgreiche Unternehmerin Fygen Lutzenkirchen (1450-1515), Bild: Raimond Spekking
Eine der wenigen Frauen auf dem Rathausturm: Die erfolgreiche Unternehmerin Fygen Lutzenkirchen (1450-1515), Bild: Raimond Spekking

Was die Grünen auf die Palme brachte: Die Kommission hatte bei den 124 Figuren gerade einmal fünf Frauen vorgeschlagen. Mit anderen Worten: In der mehr als 2.000 Jahre alten Stadtgeschichte sollen Frauen gerade einmal mit 4% berücksichtigt werden. Ein Eklat.

Überarbeitung des Figurenprogramms

Die Kommission wurde noch einmal beauftragt, das Programm zu überarbeiten. 1988 wurde der neue Vorschlag mit dem immer noch mickrigen Ergebnis, dass jetzt gerade einmal 18 Frauen berücksichtigt wurden, vom Stadtrat verabschiedet.

Was von dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission übrig blieb, war das Konzept, welche Figurengruppe wo ihren Platz finden sollte:

  • Im Erdgeschoss befinden sich Persönlichkeiten „Herrscher und herrschergleiche Personen“.
  • Danach folgen vom ersten bis zum dritten Obergeschoss „Für die Stadt wichtige Persönlichkeiten“.
  • Ganz oben ist der „Kölsche Himmel“: Die Schutzpatrone und Heiligen der Stadt
Adolf Clarenbach (rechts),auf Melaten hingerichteter evangelischer Reformator, Statue am Rathaus, Bild: Raimond Spekking
Die Figur von Adolf Clarenbach (rechts), auf Melaten hingerichteter evangelischer Reformator, Bild: Raimond Spekking

Die Stadt muss kötten gehen

Nach den Irrungen und Wirrungen um die inhaltliche Ausgestaltung des Figurenprogramms war die nächste Hürde die Finanzierung der Figuren. Da die Stadt – wie immer – klamm war, ging man kötten. Die Idee: Kölner Unternehmen, Verbände, Bürger, Vereine etc. wurden angefragt, ob sie nicht die Patenschaft über eine oder mehrere Figuren übernehmen könnten. Diese Patenschaft war damit verbunden, die entsprechende Figur auch zu stiften. Kein ganz günstiges Vergnügen – immerhin kostete damals eine Figur rund 25.000 DM. Für diesen Betrag konnte man im Jahr 1988 einen gut ausgestatten Audi 80 kaufen.

Doch die Kölner ließen sich nicht lumpen: So stifteten unter anderem das Bankhaus Sal. Oppenheim (Figur: Abraham Oppenheim), die Agrippina-Versicherung (Figur: Agrippina), der Verlag M. DuMont Schauberg (Figur: Karl Joseph Daniel DuMont), die Alfred Schütte GmbH (Figur: Meister Eckhart, Hans Imhoff (Figur: Severin von Köln), die Gerling-Versicherung (Figur: Gereon), Klosterfrau Melissengeist (Figur: Maria Clementine Martin), EMI Electrola (Figur: Jaques Offenbach) oder Klöckner-Humboldt-Deutz (Figur: Nicolaus Otto).

Figur des Nikolaus Gülich am Kölner Rathausturm (in der Mitte). Links neben ihm ist Johann Maria Farina, Bild: Raimond Spekking
Figur des Nikolaus Gülich am Kölner Rathausturm (in der Mitte). Links neben ihm ist Johann Maria Farina, Bild: Raimond Spekking

Aber auch die Willi-Ostermann-Gesellschaft (Figur: Willi Ostermann), der 1. FC Köln (Figur: Bernhard Letterhaus) sowie die Kreishandwerkerschaft Köln (Figur: Heilige Ursula) und die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung Köln (Figur: Nikolaus Gülich) traten als Stifter auf. Genau wie das Erzbistum Köln (Figur: Edith Stein), der Evangelische Stadtkirchenverband Köln (Figur: Adolf Clarenbach) oder der Kölner Brauerei-Verband (mehrere Figuren, u.a. Kaiser Augustus.)

Konservierung der Figuren für die Ewigkeit

Um die Figuren für eine lange Zeit haltbar zu machen, wurden diese mit Acrylharz getränkt. Grundsätzlich eine gute Idee. Denn die in der Gebäudeabdichtung, zum Beispiel auch am Dom, regelmäßig verwendeten Acrylharze haben eine gute Optik und eine hohe Beständigkeit. Nur war diese Konservierungsmethode leider nicht bei dem für die Figuren verwendeten Tuffstein geeignet.

Die Figur des Engelbert von Berg war eines der ersten Opfer der falschen Konservierungsmethode. Die Figur des Albertus Magnus wurde nicht mit Acrylharz getränkt und blieb unversehrt. Bild: Raimond Spekking
Die Figur des Engelbert von Berg war eines der ersten Opfer der falschen Konservierungsmethode. Die Figur des Albertus Magnus wurde nicht mit Acrylharz getränkt und blieb unversehrt. Bild: Raimond Spekking

Bereits nach zehn Jahren zeigten sich erste Risse in der Figur des „Engelbert von Berg“. Der Restaurator Thomas Lehmkuhl erkannte, dass der eher poröse Tuffstein der Figuren sich massiv mit dem Acrylharz vollgesaugt hatte. Das führte dazu, dass die Figuren, die vor der Behandlung mit dem Konservierungsmittel etwa 220 kg gewogen haben, danach aber satte 300 kg auf die Waage brachten.

Fachmann Lehmkuhl erklärte, dass der Tuffstein durch die große Menge Acrylharz hart und spröde wird. Lehmkuhl weiter: „Und gleichzeitig erhöht sich dadurch bei Sonnenschein oder Frost die thermische Belastung des Steins.“1„Risse im Kölner Turmpersonal!“, Welt am Sonntag vom 11. Dezember 2005

Die Originalfigur der Heiligen Ursula steht bei der Kreishanderwerkerschaft im Stapelhaus, auf dem Rathaus ist eine Kopie angebracht, Bild: Uli Kievernagel
Die Originalfigur der Heiligen Ursula steht bei der Kreishanderwerkerschaft im Stapelhaus, auf dem Rathaus ist eine Kopie angebracht, Bild: Uli Kievernagel

Eine Untersuchung der Figuren ergab, dass diese nicht mehr zu retten waren. Die Figuren zeigten massive Risse und bröselten vor sich hin.

Zwar wurde der „Schwarze Peter“, wer denn nun schuld an der Misere sei, noch hin- und hergeschoben. Doch die Tatsache, dass ausgerechnet die Figuren von Adolph Kolping und Albertus Magnus keine Auflösungserscheinungen zeigten, war Beweis genug: Diese beiden waren, genau wie 20 weitere Figuren, nicht mit dem Acrylharz getränkt worden und in einem tadellosen Zustand.

Neue Figuren im Jahr 2008

Aber: Die restlichen etwa 100 Figuren mussten neu beschafft werden. Daher startete die Stadt eine neue Spendenaktion, und viele der bereits etwa zehn Jahre zuvor so freigiebigen Gönner öffneten erneut die Geldbörse. So konnten exakte Kopien der Figuren erstellt werden. Immerhin hatte man gelernt: Die neuen Figuren wurden nicht aus Tuffstein, sondern aus einem speziellen französischen Kalkstein (Savonnières-Kalkstein) hergestellt.

Einige der ursprünglichen Figuren fanden anschließend ihren Platz in den Gärten oder Häuser der Stifter. Aber immerhin konnten im November 2008 alle 124 Plätze auf dem Rathaus wieder von den neuen Figuren eingenommen werden.

Mal sehen, wie lange die Figuren diesmal halten!


Ein bemerkenswertes Detail: Der Sockel der Figur von Konrad von Hochstaden, Bild: Raimond Spekking
Ein bemerkenswertes Detail: Der Sockel der Figur von Konrad von Hochstaden, Bild: Raimond Spekking

Autofellatio-Figur

Und dann befindet sich auch noch Figur von Konrad von Hochstaden am Rathaus. Er war als Konrad I. von 1238 bis 1261 Erzbischof von Köln und legte am 15. August 1248 den Grundstein zum Kölner Dom. Insofern gebührt ihm sicherlich ein Platz auf dem Rathausturm.

Allerdings irritiert ein kleines, aber durchaus sehenswertes Detail an der Statue: Der Sockel zeigt einen Mann mit nackten Hintern, der sein eigenes Geschlechtsteil im Mund hat. Der Fachbegriff für diese fast schon akrobatische Art der Selbstbefriedigung lautet „Autofellatio“.

Fraglich nur, weshalb dieser Sockel überhaupt seinen Platz auf dem Rathaus gefunden hat und wie das mit Konrad von Hochstaden zusammenhängt. Der ehemalige Stadtkonservator Ulrich Krings erläutert „Das ist ein ganz beliebtes Motiv gewesen. Dabei ging es darum, der Obrigkeit quasi den Arsch hinzuhalten. Mit derber, zur Schau gestellter Sexualität sollte gezeigt werden, dass einem die Moral- oder auch Ordnungsvorstellungen der Obrigkeit wurscht waren.“

Verständlich: In einer Zeit, in der die wenigsten Lesen und Schreiben konnten, mussten bildliche Darstellungen „griffig“ eine Botschaft vermitteln. Beliebt dabei: Darstellungen der sieben Todsünden, in diesem Fall die Wollust.

Dass es allerdings ausgerechnet Konrad von Hochstaden erwischt hat, ist eher Zufall. Denn das Original des „Autofellation-Sockels“ stammt ungefähr aus dem Jahr 1410. Und damals stand eine andere,  nicht mehr bekannte Figur auf dem Platz, den heute der ehemalige Erzbischof einnimmt.

Aber da wir in Kölle ja schon immer Probleme mit unseren Bischöfen hatten, Josef Frings ausdrücklich ausgenommen, muss Konrad von Hochstaden stellvertretend für diese Menschen auf diesem speziellen Sockel stehen.


Insgesamt befinden sich 124 Figuren auf dem Rathausturm

Erdgeschoss

  • Augustus
  • Marcus Vipsanius Agrippa
  • Agrippina die Jüngere
  • Postumus
  • Konstantin der Große
  • Sigibert von Köln
  • Plektrudis
  • Karl der Große
  • Otto I.
  • Theophanu
  • Heinrich IV.
  • Heinrich II. (England)
  • Otto IV.
  • Innozenz III.
  • Friedrich II.
  • Rudolf I.
  • Urban VI.
  • Friedrich III.
  • Maximilian I.

Erstes Obergeschoss

  • Hildebold von Köln
  • Ida (St. Maria im Kapitol)
  • Rupert von Deutz
  • Rainald von Dassel
  • Nikolaus von Verdun
  • Sela Jude
  • Gerhard Unmaze
  • Konrad von Hochstaden
  • Gerhard von Riele
  • Matthias Overstolz
  • Gerhard Overstolz
  • Gottfried Hagen
  • Johann I. (Brabant)
  • Meister Eckhart
  • Hilger Quattermart von der Stesse
  • Stefan Lochner
  • Heinrich von Beeck
  • Ulrich Zell
  • Fygen Lutzenkirchen
  • Heinrich Agrippa von Nettesheim
  • Hermann von Neuenahr der Ältere
  • Adolf Clarenbach
  • Anton Woensam
  • Arnold von Siegen
  • Johannes Gropper
  • Hermann von Weinsberg
  • Heinrich Sudermann
  • Michael von Aitzing
  • Caspar Ulenberg
  • Peter Paul Rubens

Zweites Obergeschoss

  • Jan von Werth
  • Joost van den Vondel
  • Aegidius Gelenius
  • Melchior von Reidt
  • Katharina Henot
  • Friedrich Spee von Langenfeld
  • Anna Maria de Heers
  • Anna Maria van Schurman
  • Nikolaus Gülich
  • Johann Maria Farina
  • Ferdinand Franz Wallraf
  • Heinrich Gottfried Wilhelm Daniels
  • Maria Clementine Martin
  • Peter Heinrich Merkens
  • Sulpiz Boisserée
  • Georg Simon Ohm
  • Friedrich Wilhelm IV.
  • Ernst Friedrich Zwirner
  • Robert Blum
  • Ludolf Camphausen
  • Abraham Oppenheim
  • August Reichensperger
  • Karl Joseph Daniel DuMont
  • Ferdinand Hiller
  • Mathilde Franziska Anneke
  • Moses Hess
  • Gustav von Mevissen
  • Jacques Offenbach
  • Karl Marx
  • Hermann Heinrich Becker
  • Franz Carl Guilleaume

Drittes Obergeschoss:

  • Max Bruch
  • Nicolaus August Otto
  • Eugen Langen
  • Hermann Josef Stübben
  • Mathilde von Mevissen
  • Karl Trimborn
  • Wilhelm Marx
  • Max Isidor Bodenheimer
  • Benedikt Schmittmann
  • Georg Fritze
  • Hans Böckler
  • Konrad Adenauer
  • Willi Ostermann
  • Amalie Lauer
  • Joseph Kardinal Frings
  • Christine Teusch
  • Wilhelm Sollmann
  • Josef Haubrich
  • Hertha Kraus
  • Bernhard Letterhaus
  • Irmgard Keun
  • Heinrich Böll

Viertes Obergeschoss 

  • Petrus
  • Kaspar
  • Melchior
  • Balthasar
  • Gereon von Köln
  • Ursula von Köln
  • Maternus
  • Severin von Köln
  • Evergislus
  • Kunibert von Köln
  • Weißer Ewald
  • Schwarzer Ewald
  • Agilolf von Köln
  • Bruno I.
  • Heribert von Köln
  • Anno II.
  • Bruno von Köln
  • Engelbert I. von Köln
  • Albertus Magnus
  • Johannes Duns Scotus
  • Adolph Kolping
  • Edith Stein

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Der „Overather Kartoffelkrieg“ im Oktober 1923

"Anarchie im Aggertal" titelte das Mucher Tageblatt am 31. Oktober 1923
„Anarchie im Aggertal“ titelte das Mucher Tageblatt am 31. Oktober 1923

„Anarchie im Aggertal“ titelte das Mucher Tageblatt am 31. Oktober 1923. Und tatsächlich müssen sich Ende Oktober 1923 dramatische Szenen in den eher beschaulichen Örtchen Overath und Honrath abgespielt haben: Vom Hunger getriebene Kölner Bürger plünderten ganze Kartoffelfelder der bergischen Bauern, die sich ihrerseits mit Knüppeln, Mistgabeln und Dreschflegeln bewaffnet hatten, um ihr Hab und Gut zu schützen.

Drei Milliarden Mark für einen Zentner Kartoffeln

Die Not war, nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg, groß. Es herrschte Mangel an buchstäblich allem, was zum täglichen Leben gebraucht wurde. Verschärft wurde diese Situation durch die Hyperinflation: Ein Zentner Kartoffeln kostete drei Milliarden Mark.

Vor allem in Städten war die Lebensmittelversorgung desaströs. Die Menschen versetzten Schmuck, Uhren, Geschirr oder Teppiche, um an Lebensmittel zu kommen, denn das nahezu wertlos gewordene Papiergeld wollte keiner haben. Es wurde gemaggelt, der Schwarzmarkt boomte.

Hamsterfahrten zur Lebensmittelbeschaffung

In der Not waren viele Kölner auf „Hamsterfahrt“. Es ging mit der Eisenbahn ins Bergische Land oder in die Eifel, um bei den Bauern alle halbwegs transportablen Wertgegenstände gegen Lebensmittel zu tauschen. Besonders beliebt dabei: Kartoffeln, die relativ gut zu transportieren und zu lagern waren.

Viele der Hamsterfahrer hielten sich aber nicht damit auf, zu tauschen: Mit Hacken und Schaufeln liefen sie auf die Felder und plünderten die Felder der Bauern. Insbesondere die Kartoffelfelder an den Bahnstrecken im Bergischen Land waren betroffen, denn so war der Abtransport der gestohlenen Kartoffeln schnell und einfach möglich. Verständlich, dass die hungernden Kölner keine gern gesehenen Gäste waren.

Eine erfolgreiche "Hamsterfahrt", die gehamsterten Kartoffeln werden verladen. Bild: Bundesarchiv, Bild 183-S80285 / Walter Heilig / CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Eine erfolgreiche „Hamsterfahrt“, die gehamsterten Kartoffeln werden verladen. Bild: Bundesarchiv, Bild 183-S80285 / Walter Heilig / CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Eskalation im Oktober 1923

Ende Oktober 1923 spitzte sich die Situation zu. Die Bahn hatte sogar „Sonderzüge zum Kartoffelkauf“ von Köln nach Overath eingesetzt. Die Bergischen Bauern ahnten bereits, dass dies weniger zum „Kartoffelkauf“, sondern vielmehr zum „Kartoffelklau“ führen würde und baten um Polizeiunterstützung. Aber vergebens.

Daher griffen die Bergischen Bauern zur Selbsthilfe und formierten sich am 26. Oktober 1923 am Bahnhof, um die Kölner daran zu hindern, das Bahnhofsgebäude zu verlassen. Die Not war so groß, dass in Much sogar die Kirchenglocken geläutet wurden, um noch mehr Hilfe herbeizurufen.

Es kam zu wüsten Prügeleien, doch die zahlenmäßig überlegenen Kölner konnten die Kette rund um den Bahnhof durchbrechen. Das erschreckende Ergebnis: Ein erschossener Kölner, ein erschlagener Bauer, zahlreiche Schwerverletzte, geplünderte Höfe und zentnerweise gestohlene Kartoffeln.
Bei dem toten Bauern könnte es sich um den erst 28jährigen Ackergehilfen Emil van Drenke gehandelt haben, der infolge seiner Verletzungen am 27. Oktober 1923 verstarb.

Todesanzeige des möglichen Opfers des "Kartoffelkriegs" Emil van Drenke aus der Lindlarer Zeitung vom 31. Oktober 1923
Todesanzeige des möglichen Opfers des „Kartoffelkriegs“ Emil van Drenke aus der Lindlarer Zeitung vom 31. Oktober 1923

Overath stellt Bürgerwehr auf

Das sollte den Overathern nicht noch einmal passieren! Mit Unterstützung von Arbeitern und Bergleuten aus dem Umland stellten die Overather Bauern eine 1.500 Mann starke Bürgerwehr auf.

Der nächste „Kartoffel-Sonderzug“ aus Köln am 29. Oktober 1923 kam nur bis Honrath, eine Station vor Overath. Mit Waffengewalt wurde der Lokführer gezwungen, den Zug zu stoppen und nach Köln zurückzufahren. Auch dabei kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Je nach Quelle starben ein bis vier Menschen.

Das „Mucher Tageblatt“ vom 31. Oktober 1923 berichtete:

„Sonntag war der Andrang der Plünderer in der Gegend von Overath und Marialinden äußerst stark. Mancher Hof und manches Haus wurde völlig ausgeplündert, nicht allein von Kartoffeln, sondern auch von Getreide und Federvieh. Das letztere wurde mit Knüppeln totgeschlagen und in die Säcke gesteckt.“

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die französischen Militärverwaltung dem Treiben tatenlos zugesehen. Doch ab Anfang November reagierten die Besatzer: Der Zugverkehr von Köln nach Overath wurde für mehrere Wochen eingestellt und etwa 1.000 französische Soldaten sicherten die Overather Kartoffelfelder.

Eine Banknote mit den Nennwert "Hundert Billionen Mark"
Eine Banknote mit den Nennwert „Hundert Billionen Mark“

Währungsreform bringt Beruhigung

Aber erst die Umstellung von der „Mark“ (M) auf die „Rentenmark“ (RM) im November 1923 konnte die Situation beruhigen. Mit dem aberwitzig anmutenden Kurs von 1.000.000.000.000 M : 1 RM (1 Billion Mark zu 1 Rentenmark) wurde die Inflation beendet.

Und bereits 1924 waren die Tagesausflügler aus Köln, mit reichlich neuer Währung in den Taschen, wieder im Bergischen Land willkommen.

Auf weiterhin gute Nachbarschaft, liebe Overather, Mucher, Rösrather und Honrather!


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