Und? Erkennst du diesen Platz? Das ist der Barbarossaplatz um 1900
Die Band Querbeat hat dem Barbarossplatz ein Lied gewidmet. Der Text passt fast perfekt:
„Guten Morgen Barbarossaplatz Bist du auch noch wach? Hast du auch die letzte Nacht wieder durchgemacht?“
Korrekt müsste es aber heißen „Hast du auch die letzten Jahre wieder durchgemacht?“. Denn so sieht er aus: verbraucht, dreckig, runtergekommen. Eben genau so wie jemand, der jahrzehntelang einfach durchgemacht hat. Der Barbarossaplatz ist, so der ehemalige Stadtkonservator Ulrich Krings in einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers 1Kölner Stadt-Anzeiger vom 12.09.2019„der am meisten vernachlässigste Platz der Stadt“.
Okay, zugegeben: In unserer leider an vielen Stellen hässlichen Stadt gibt es noch eine ganze Reihe anderer Anwärter auf den Titel „Schrecklichster Platz“. Der Ebertplatz ist mit Sicherheit weit vorne, aber auch der Breslauer Platz, der Neumarkt oder die Domplatte sind in den Top Ten. Angeführt wird diese aber eindeutig vom Barbarossaplatz.
Was macht einen Platz aus?
Plätze haben in einer Stadt spezielle Funktionen. Der Stadtplaner Dr. Ulrich Hatzfeld dazu 2 In einem Beitrag zu „Stadt macht Platz – NRW macht Plätze, Dokumentation Landeswettbewerb 2004/05“, https://stadtbaukultur-nrw.de/site/assets/files/1561/stadtmachtplatz2004_dokumentation.pdf: „Plätze als städtebauliche Kunstwerke, als Gegenstand des städtebaulichen Denkmalschutzes, als innerstädtische Freiräume, als Orte der sozialen und ethnischen Integration, als politische Bühnen und vieles mehr.“
Betrachtet man den Barbarossaplatz, versagt dieser in jeglicher Dimension: Kein Kunstwerk, kein Denkmalschutz, definitiv kein Freiraum, von sozialer und ethnischer Integration Lichtjahre entfernt und als politische Bühne unbrauchbar. Barbarossaplatz: Sechs, setzen.
Och, wat wor dat fröher schön.
Tatsächlich was das nicht immer so. Betrachtet man Fotos längst vergangener Zeit, so war der Barbarossaplatz tatsächlich mal schön. Mit einem Springbrunnen in der Mitte, Platz zum Flanieren, Bäumen und schönen Gebäuden.
Der Barbarossaplatz um 1890
Der Barbarossaplatz war Teil einer ganzen Reihe von attraktiven Plätzen, die durch den Ausbau der Ringe entstanden sind. Der Abriss der mittelalterlichen Stadtmauer um das Jahr 1880 schaffte dringend benötigten Platz, um an der Stelle des ehemals freien Schussfelds einen Prachtboulevard zu errichten – die Ringe entstanden. An den Stellen, wo die großen Ausfallstraßen die Ringe kreuzten, wurden Plätze geschaffen. So entstanden unter anderem der Rudolfplatz, der Ebertplatz und auch der Barbarossaplatz.
Dieser wurde am 10. Mai 1883 eingeweiht und benannt nach Friedrich I., einem Stauferkaiser. Gut, dass dieser Kaiser (wegen seines roten Barts „Barbarossa“ genannt) bereits 1190 starb. Ansonsten würde er wohl kaum zulassen, dass sein Name für die Scheußlichkeit von Platz missbraucht wird.
Wachsender Verkehr und Nachkriegsarchitektur
Allerdings sorgte nicht erst die Zerstörung der Stadt im zweiten Weltkrieg und der Wiederaufbau für die Verschandelung des Platzes. Bereits in den 1930er Jahren veränderte sich der Barbarossaplatz. Zugunsten des wachsenden Verkehrs wurde aus der Grünfläche ein Kreisverkehr, Straßenbahnen kreuzten den Platz.
Der Neuaufbau nach dem Krieg gab dem Barbarossaplatz dann den Rest. Ulrich Krings3Kölner Stadt-Anzeiger vom 12.09.2019 dazu: „Das Konzept der autogerechten Stadt … ist hier ganz brutal zum Tragen gekommen.“ Niemand, so Krings, habe sich um die Randbebauung gekümmert. „Es wimmelt hier nur so von Scheußlichkeiten“. Recht hat er.
Impressionen vom Barbarossplatz
Kein Platz, eher eine große Kreuzung
Heute ist vom Platzcharakter nichts mehr übrig. Der Platz ist eine gigantische große Kreuzung. Immerhin sieben Straßen kreuzen sich hier und vier Stadtbahnen-Linien überqueren den Barbarossplatz. Wer einmal versucht hat, diesen Platz zu Fuß zu überqueren, wird auch im Verkehr von Neapel, Istanbul oder Kairo überleben. Alle Pläne einer Neugestaltung, wie zum Beispiel die Straßenbahn unter die Erde zu legen, wurden aus finanziellen Gründen nicht weiterverfolgt.
Kein Wunder, dass es in dem Song von Querbeat auch lautet:
„Die Nacht sieht man uns an, alle Farben im Gesicht Barba so bist du, und so bin ich“
Jan Kamensky hat eine sehenswerte Vision für den Bararossaplatz entwickelt: Weg mit den Autos, mehr Platz für die Menschen, für das Video bitte auf das Bild klicken, Bild: Jan Kamensky, VISUAL UTOPIAS
VISUAL UTOPIAS: So schön könnte der Barbarossaplatz aussehen
Wie der Barbarossaplatz ohne Autos aussehen könnte, zeigt der Utopist Jan Kamensky. Seine Überzeugung: Es ist wichtig, zu sehen, was passiert, wenn wir die von Autos dominierten Straßen in menschenfreundliche Orte verwandeln. Deshalb erstellt Kamensky utopische, autofreie Animationen von Plätzen wie zum Beispiel der Karl-Marx-Allee in Berlin, dem Rosenberger Platz in Stuttgart oder der Kohlberger Straße in Wien.
Besonders beeindruckend: Seine Vision des Barbarossaplatzes. So wird in dem Video aus dem hässlichsten Platz Kölns einer der schönsten Plätze der Stadt. Besonders schön ist auch seine Vision der heute durchaus hässlichen Komödienstraße. Tipp: Das Video unbedingt bis zum Ende schauen, hier klatscht sogar der Dom Beifall!
Der Garten der Religionen – Ruheoase mitten in der Großstadt, Bild: Uli Kievernagel
Oase der Ruhe in der (fast unmittelbarer) Nähe: Der Garten der Religionen
Gerade mal 400 Meter Luftlinie vom Barbarossaplatz entfernt liegt einer einem der schönsten und zugleich unbekanntesten Plätze der Domstadt: Der „Garten der Religionen“.
Die „Schönheit Kölns“ in der Stunksitzung
Auch die Stunksitzung legt den Finger in die Wunde: In der Nummer „Der andere Rieu“ aus dem Jahr 2018 wird die (vermeintliche) „Schönheit Kölns“ besungen. (Danke an Marlies für diese Ergänzung! )
Querbeat, Bild: Scanjetter, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Dann Bar, Bar, Kneipe, Bar Nichts muss und alles kann Das soll niemals aufhören, zu gut ist diese Zeit Egal wohin es geht, ich bin dabei
Jetzt schon ins Bett zu gehen wär‘ viel zu easy, zu easy Ich hol‘ mir auf die Hand noch schnell ’n Cheesy ’n Cheesy, oh Ich leb‘ im größten Dorf, das niemals schläft Erzähl es deinem Chef, uh
Guten Morgen Barbarossaplatz Bist du auch noch wach? Hast du auch die letzte Nacht wieder durchgemacht? Guten Morgen Barbarossaplatz Bist du auch noch wach? Meine Drinks gehen hoch und ich leg‘ nochmal los Und ich mach‘ den Tag zur Nacht Und alle machen Stippefott
Die gelben Schiffe hupen die graue Stunde weg Alles rausgehauen für’n guten Swag Die Nacht sieht man uns an, alle Farben im Gesicht Barba so bist du und so bin ich
Feuerwasser, Dancen und Matrazensport sind genau mein Ding Feuerwasser, Dancen und Matrazensport sind genau mein Ding Erzähl das deinem Chef, uh
Guten Morgen Barbarossaplatz Bist du auch noch wach? Hast du auch die letzte Nacht wieder durchgemacht? Guten Morgen Barbarossaplatz Bist du auch noch wach? Meine Drinks gehen hoch und ich leg‘ nochmal los Und ich mach‘ den Tag zur Nacht
Und alle machen Stippefott
So sexy Links, rechts, links, rechts Und alle machen Stippefott So sexy Links, rechts, links, rechts
Guten Morgen Barbarossaplatz (guten Morgen Barbarossaplatz) Bist du auch noch wach? (bist du auch noch wach?) Hast du auch die letzte Nacht wieder durchgemacht? (ooh oh) Guten Morgen Barbarossaplatz (guten Morgen Barbarossaplatz) Bist du auch noch wach? (bist du auch noch wach?)
Meine Drinks gehen hoch und ich leg‘ nochmal los Und ich mach‘ den Tag zur Nacht
Guten Morgen Barbarossaplatz Ooh oh
Meine Drinks gehen hoch und ich leg‘ nochmal los Und ich mach‘ den Tag zur Nacht
Und alle machen Stippefott So sexy Links, rechts, links, rechts Und alle machen Stippefott So sexy Links, rechts, links, rechts
Film „Über Barbarossaplatz“
Der WDR hat mit „Über Barbarossaplatz“ dem Platz auch den passenden Film gewidmet. In diesem 2016 gedrehten Film fühlt sich die Psychologin Greta nach dem Selbstmord ihres Mannes mitschudig an dessen Tod.
Caroline Ströbele schreibt dazu in der Zeit Online4Zu hart für die Couch – Über Barbarossaplatz bei Zeit Online, abgerufen am 27. April 2017: „Köln hat die interessanteste Rolle in diesem Film. Die Stadt ist lärmig und aggressiv, keine Spur Kölner Fröhlichkeit. Der Verkehrslärm des titelgebenden Barbarossaplatzes übertönt jedes Gespräch, die Menschen sind brutal, überall wird geschoben und gedrängelt, es ist immer zu voll und zu laut.“
Christian Buß schreibt auf spiegel.de zu „Über Barbarossaplatz“: „In „Über Barbarossaplatz“ geht es mit den Psychos und Psychotherapeuten nun durchs zerklüftete Köln. Den nervösen Puls des Films geben Freejazz und Gabber-Techno vor, der Soundtrack stammt von Kölner (und Düsseldorfer) Künstlern um die Bands Colorist und Stabil Elite. Mitten im Driften und Dröhnen durchs Verkehrschaos Kölns wird der Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann zitiert, der – ausgerechnet – in London bei einem Verkehrsunfall gestorben ist; oder es wird am Tresen über Rainer Werner Fassbinders Fernsehserie „Acht Stunden sind kein Tag“ gequatscht, die ebenfalls in Köln spielt. Ein bisschen Orientierung für all die Unbehausten in diesem etwas anderen Heimatfilm.“
In der Frankfurter Rundschauscreibt D.J. Frederiksson: „Auch der Titel mit seiner Verortung im innenstädtischen Köln ist kein Zufall. Die Umgebung, die sonst beim Filmemachen so gründlich wie irgend möglich ausgesperrt wird, lädt Bonny herzlich in seinen Film ein. Babygeschrei, Stadtbahnrattern, Handyklingeln und immer wieder Straßenrauschen – selbst in den intimsten Therapieszenen ist die Stadt als Nebenfigur stets präsent. Als hässlich verbaute, lärmende Nebenfigur.
All das sorgt für einen Realismus, der der üblichen TV-Ästhetik einen Zerrspiegel vorhält: Schaut her, so sehen echte Tragödien aus, wenn sie echten Menschen in einer echten Stadt passieren. Möglich ist das natürlich nur durch das herausragende Spiel der Darsteller. Dass Bibiana Beglau zu den Großen im Charakterfach gehört, wusste man. Bei Joachim Król vergaß man das früher manchmal, hier aber wird man mal wieder eindrücklich daran erinnert. Und Franziska Hartmann, die bisher nur am Thalia auffiel und mit dieser Tour de Force ihr TV-Debüt gibt, muss als veritable Entdeckung gelten. Selbst wer vor provokativen Themen wie sexueller Erniedrigung oder vor dem anspruchsvollen Stil zurückschreckt, sollte sich allein wegen dieser Schauspielleistungen den Film anschauen.“
Bei Hochwasser gab es einen zweiten Verlauf des Rheins östlich von Deutz. Ein große Gefahr für die Stadt Köln. Karte: OpenStreetMap
Es wäre für die Stadt Köln eine Katastrophe gewesen! Der Rhein fließt nicht im gewohnten Flussbett, sondern sucht sich einen neuen Verlauf. Statt westlich verläuft der Fluss auf einmal ab Poll östlich an Deutz vorbei, um dann erst in Mülheim ins alte Flussbett zurückzukehren.
Klingt aberwitzig – aber diese Gefahr drohte ab ca. dem 12. Jahrhundert. Und es passierte bereits vereinzelt bei Hochwasser und Eisgängen: In Köln kam nur noch ein flaches Rinnsal an, der Fluss suchte sich ein neues Bett. Höchste Alarmstufe für die Stadt, denn damit war die grundsätzliche Schiffbarkeit des Rheins gefährdet und somit Kölns Wohlstand. Ohne den Handel, welcher zum größten Teil über den Rhein abgewickelt wurde, und ohne das äußerst lukrative Stapelrecht wäre Köln bedeutungslos geworden.
Köln ohne Rhein? Undenkbar!
Daher wurde bereits seit dem 12. Jahrhundert das Poller Rheinufer befestigt, um eine solche „Umleitung“ zu verhindern. Durch Anpflanzungen und Dämme entlang der heutigen Poller Wiesen sollte verhindert werden, dass Köln vom Rheinstrom abgeschnitten würde.
Problematisch war allerdings, dass Poll damals noch nicht zur Stadt gehörte, sondern zu den Besitztümern des Erzbischofs, mit dem die Kölner regelmäßig im handfesten Streit lagen. Doch auch der Erzbischof war nicht daran interessiert, dass Köln seinen Rang als Handelsmetropole verlieren könnte. Großzügig erlaubte der Kirchenmann, dass die Kölner Weiden zur Uferbefestigung auf seinem Grund pflanzen durften – allerdings auf Kosten der Kölner Bürgerschaft.
Ausschnitt aus einer Federzeichnung von 1583 mit den „Poller Köpfen“, Bild: Stadtarchiv Köln
Mammutprojekt „Poller Köpfe“
Doch diese Uferbefestigung war nicht stark genug, um bei Hochwasser nachhaltig eine mögliche Veränderung des Flussbettes zu unterbinden. Daher nahm die Stadt Köln im Jahr 1557 das Poller Ufer in Erbpacht, um ein Mammutprojekt in Angriff zu nehmen: Die „Poller Köpfe“. Auch hier bat der Erzbischof die Kölner kräftig zur Kasse: Die Pachtzahlung bestand in zwei Tonnen Heringen pro Jahr und zusätzlich in einem vergoldeten Geschirr – und für jeden neuen Erzbischof auch ein neues Goldgeschirr.
Ab 1560 begannen die Bauarbeiten. Es wurden schwere Uferbefestigungen („Köpfe“) angelegt. Dafür wurden massive Eichenstämme mit Querbalken im Flussgrund befestigt. Die so entstanden Kästen wurden mit Basaltbrocken gefüllt. Die Dimensionen dieser Anlage waren gewaltig: Mehrere Hundert Meter lange und etwa acht Meter breite Konstruktionen, welche bis zu 3 Meter aus dem Wasser herausragten. Zur Beschaffung des nötigen Bauholzes erwarb die Stadt Köln ein eigenes Waldgrundstück.
Um das Bollwerk gegen die Kräfte des Rheins noch weiter zu sichern, wurden alte und beschädigte Rheinschiffe angekauft und – beschwert mit Steinen und gesichert durch in den Boden getriebene Eichenpfähle – gezielt unmittelbar vor den Poller Köpfen versenkt. Damit die Pflege des Bauwerks gesichert war, stellte die Stadt eigens einen „Weidenhüter“ ein: Ein städtischer Beamter mit Wohnsitz auf der Anlage, der diese ständig im Blick hatte.
Im Jahr 1641 wurde ein steinernes Wehr zur Unterstützung der Anlage eingebaut. Aber erst mit Bau des Deutzer Hafens ab 1895 wurden die weit in den Rhein ragenden Bestandteile der Poller Köpfe entfernt und durch moderne Befestigungsanlagen ersetzt. Die Halbinsel „Poller Werth“ wurde zum Deutzer Hafen.
Die Poller Wiesen heute, rechts der Deutzer Hafen, Bild: ToLo46, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Poller Wiesen sind heute Bodendenkmal
Als Uferbefestigung sind heute nur noch die in den Rhein ragenden Buhnen auf den Poller Wiesen zu sehen, die Reste der „Poller Köpfe“ liegen unter den Poller Wiesen.
Diese sind nicht nur ein beliebtes Erholungsgebiet, sondern auch als Bodendenkmal geschützt. Im Jahr 2003 wurden dort bei Niedrigwasser zwei im 16. Jahrhundert gezielt zur Verstärkung der „Poller Köpfe“ versenkte „Niederländer“1Ein spezieller Schiffstyp zum Frachttransport auf dem Rhein. gefunden. Doch die Archäologen kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus: Bei Probegrabungen stellte sich heraus, dass bis zu 100 weitere Schiffe dort gezielt versenkt wurden.
Sogenannte „Niederländer“ für Fahrten auf dem Rhein bis zur Nordsee, Bild: Ausschnitt aus der Stadtansicht von Anton Woensam, 1531
Als dann noch Kampfmittelräumer die Poller Wiese für den Papstbesuch anlässlich des Weltjugendtags 2005 in Köln – der Papst hielt vom Schiff aus eine Ansprache für die auf den Poller Wiese versammelten Gläubigen – auf eventuell im Schlick verborgene Weltkriegsbomben untersuchten, fanden sie auch mit Hilfe der dabei eingesetzten Metalldetektoren Teile der alten Befestigungsanlagen der „Poller Köpfe“, wie Eisenschuhe zur Verankerung der Eichenbalken. Daher wurden die Poller Wiesen am 24. Oktober 2005 in die Bodendenkmalliste eingetragen.
Der Papst beim Weltjugendtag 2005 in Köln. Die Gläubigen im Vordergrund stehen auf den Poller Wiesen, Bild: Ingrid Schultz, Copyrighted free use, via Wikimedia Commons
Und wenn man sich heute bei gutem Wetter auf den Poller Wiesen sonnt und den Drachen, die dort regelmäßig steigen, zusieht, ahnt man kaum, dass genau hier massive Uferbefestigungen gestanden haben. Ohne diese wäre Köln eventuell vom Rhein abgeschnitten worden.
Die Kalker Hauptstraße um 1905, Bild: Historisches Archiv der Stadt Köln, Außenstelle Porz
Im Köln-Ding der Woche„Kölsche Stadtteile Kalk – Teil 1“ging es um die Entwicklung Kalks bis zur Verleihung der Stadtrechte im Jahr 1881. Dieser zweite Teil beschreibt die Entwicklung dieses Stadtteils bis heute.
Umbruch im Ersten Weltkrieg
Der Erste Weltkrieg führte ab 1914 zu einer Zäsur in der Entwicklung Kalks. Die Produktion der florierenden Industrie wurde auf kriegswichtige Güter umgestellt. Die Chemische Fabrik Kalk produzierte Sprengstoffe und Munition, die verschiedenen Maschinenbaubetrieben produzierten Rüstungsgüter. In den anderen Betrieben herrschte akuter Rohstoffmangel – die Produktion kam zum Erliegen.
Die Lebensmittelversorgung wurde rationiert, nur durch mobile „Gulaschkanonen“ konnte die Versorgung sichergestellt werden. Der daraus resultierende Unmut der Bevölkerung führte zu Streiks in den Betrieben. Höhepunkt war der 6. Juli 1917. An diesem Tag streikten mehr als 12.000 Arbeitnehmer in Kalk und Deutz. Um die Produktion der kriegswichtigen Güter nicht zu gefährden, erfüllten die Arbeitgeber die Forderungen der Streikenden.
Nach dem Krieg war die Umstellung der Produktion auf zivile Güter schwieriger als gedacht. Rohstoffe waren weiterhin Mangelware. Zusammen mit der hohen Inflation ab 1922 geriet auch in Kalk die Industrie in eine schwere Krise. Die Folge waren Massenarbeitslosigkeit und soziale Unruhen. Erst mit der Einführung der Rentenmarkt im Jahr 1923 und neuen Produktionsmethoden wie Fließbandarbeit erholten sich die Betriebe.
Blick in den Maschinensaal der Kalker Fabrik Mayer & Cie, (1913), Bild: Wilhelm Wendlandt : Die deutsche Industrie (1888-1913)
Kalk im Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg
Bilz verweist auf die vergleichsweise niedrigen Wahlergebnisse für die NSDAP in Kalk. Die klassischen Arbeiterviertel in Kalk, wie z.B. an der Kalk-Mülheimer Straße oder der Vietorstraße wiesen hohe Stimmenanteile der Arbeiterparteien KPD und SPD auf.
Anders, so Bilz, verhielt sich das bei den Unternehmern in Kalk. Diese kooperierten mit den braunen Machthabern und konnten so, auch durch den Einsatz von Zwangsarbeitern, stark profitieren. Wie schon vor dem Ersten Weltkrieg wurden wieder vermehrt Rüstungsgüter produziert. So baute man bei Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) neben Lokomotiven auch Motoren für Panzer und U-Boote.
Durch diese Rüstungsproduktion war Kalk ein Hauptziel der Bombenangriffe auf Köln. Bei einem Angriff in der Nacht vom 3. auf den 4. Juli 1943 wurden große Teile des KHD-Werkes zerstört. Die Bombardierungen zerstörten etwa 90% der Industrieanlagen in Kalk. Die Zivilbevölkerung wurde fast vollständig evakuiert. Bei Kriegsende lebten nur noch etwa 300 Menschen in Kalk.
Volle Auslastung im Wirtschaftswunder
Wie überall mussten nach dem Krieg auch in Kalk zunächst die Trümmer weggeräumt werden. Riesige Schuttmassen wurden abgefahren, so entstand auch der „Vingster Berg“, einer der zahlreichen Trümmerhügel in Köln. Schnell wurde auch wieder mit der Produktion begonnen und die durch Bomben zerstörten Wohnhäuser wieder aufgebaut, um die benötigen Arbeiter unterzubringen.
Ehemalige Fabrikationshalle von Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) in Köln-Kalk, Bild: Rolf H., Public domain, via Wikimedia Commons
In den Wirtschaftswunder-Zeiten wuchs Kalk wieder, die Betriebe waren voll ausgelastet. Aus Mangel an einheimischen Arbeitskräften wurden Gastarbeiter angeworben. Der Anteil der Migranten in Kalk stieg, durch günstige Mieten und die vielen Arbeitsplätze, rasch an. Anders als in der Vorkriegszeit waren in Kalk jetzt vorrangig zwei Branchen vertreten: Metallverarbeitende Betriebe und die chemische Industrie.
Der Kalkberg im März 2016 mit der Hubschrauberstation, Bild: Raimond Spekking & Elke Wetzig / CC BY-SA 4.0
Auch in Kalk waren in diesen Zeiten die Fragen des Umweltschutzes zweitrangig. So hat die Chemische Fabrik Kalk bis 1972 Abfälle aller Art so lange aufeinander geschüttet, bis der gut 30 Meter hohe Kalkberg entstanden ist. Was genau dabei alles verklappt wurde, kann heute niemand mehr sagen. Der Versuch, auf dem Kalkberg eine Station für Rettungshubschrauber einzurichten ist gescheitert. Aktuell laufen die Bemühungen einer Bürgerinitiative, den Kalkberg als Naherholungsgebiet freizugeben.
Rezession ab Mitte der 1970er, U-Bahnbau Kalker Hauptstraße
Ab etwa der Mitte der 1970er Jahre setzte auch in Kalk eine massive Rezession ein. Betriebe wie die Metallgießerei Peter Stühlen oder die Stahlbaufirma Albert Liesegang wurden Ende der 1970er Jahre geschlossen. KHD baute ab 1983 insgesamt 3.400 Arbeitsplätze ab. 1993 verloren die letzten der ursprünglich 2.400 Beschäftigten bei der Chemischen Fabrik Kalk ihre Arbeitsplätze.
Dieser Niedergang betraf auch den Kalker Einzelhandel – viele Geschäfte mussten schließen. Das Infrastrukturprojekt „U-Bahn-Bau“ auf der Kalker Hauptstraße sorgte dafür, dass die Kalker Hauptstraße bis zur Eröffnung der Strecke im Jahr 1980 über Jahre hinweg eine Großbaustelle war. Der Bau der Strecke verzögerte sich massiv, weil Wasser in die Baugruben drang.
Probleme, die sich in ähnlicher Form bei der Nord-Süd-Stadtbahn etwa 30 Jahre später wiederholen würden und die eine Warnung für den geplanten U-Bahnbau der Ost-West-Strecke am Heumarkt bzw. Neumarkt sein sollten.
Atomschutzbunker in der Haltestelle Kalk-Post
Zusammen mit der U-Bahn wurde auch in der Haltestelle Kalk-Post ein riesiger Bunker angelegt. Dieses, für den „Kalten Krieg“ typische Bauwerk, sollte nach einem Atomangriff fast 2.400 Menschen für 14 Tage Schutz bieten.
Zugang zur Zwischenebene der Haltestelle Kalk Post in Köln-Kalk. Durch die hellen Bodenplatten ist der Bereich erkennbar, an dem dicke Stahltüren das Innere der Haltestelle zum Schutz vor einem Atomschlag hermetisch abgeriegelt hätten. Bild: Katharina Grünwald/Landschaftsverband Rheinland, CC-BY (2020)
Der Kalker Bunker war riesig: Von der U-Bahnhaltestelle sollte ein etwa 75 Meter Gang zu der insgesamt etwa 2.500 Quadratmeter großen Anlage führen. Immerhin eine Fläche so groß wie sechs Turnhallen. Neben dem Kalker Bunker gab es noch eine vergleichbare Anlage im U-Bahnhof Friesenplatz.
Der Vorsitzender der „Kölner Dokumentationsstätte Kalter Krieg“ Robert Schwienbacher weist darauf hin, dass die Nutzung des Bunkers darauf ausgelegt war, dass ein Kriegsgegner seinen Atombombenangriff mindestens 14 Tage vorher ankündigt. Nur dann wäre ausreichend Zeit gewesen, die Betten aufzubauen, Lebensmittel einzulagern und die Öltanks zu befüllen. Und der Bunker hätte auch nur funktionieren können, wenn die Bedienmannschaft der komplexen Anlage rechtzeitig eingetroffen wäre.1„Zivilschutzanlage und Atombunker im U-Bahnhof Kalk Post”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-255072, abgerufen am 30.06.2024
Die Anlage wurde erst im Jahr 2005 offiziell außer Dienst gestellt und ist heute eine Außenstelle des Kölner Festungsmuseums. Eine Besichtigung ist möglich, weitere Infos dazu auf der Website des Kölner Festungsmuseum e.V.,
Das Polizeipräsidium in Kalk, Bild: Raimond Spekking
Vom Industriestandort zum Dienstleistungs- und Verwaltungsstandort
Seit vielen Jahren bestehen massive Anstrengungen, die Attraktivität von Kalk zu erhöhen. Dazu gehören Neubauten wie das große Wohnareal auf dem ehemaligen Gebiet der Chemischen Fabrik Kalk. Um das stark verunreinigte Gelände zu sanieren, unter anderem war der Boden mit Schwefel verseucht, wurde auf etwa 40 Hektar Fläche das gesamte Erdreich abgetragen.
Mit Ansiedlungen wie dem Odysseum, ein Ort für temporäre Ausstellungen, dem Polizeipräsidium am Walter-Pauli-Ring, zahlreichen städtischen Ämtern am Ottmar-Pohl-Platz und auch dem Einkaufszentrum „Köln Arcaden“ auf der Kalker Hauptstraße soll dem Stadtteil eine neue Attraktivität verliehen werden. Dazu gehört auch die im September 2022 eröffnete „Sünner Brauwelt“ im historischen Sünner Brauhaus an der Kalker Hauptstraße. Hier dreht sich alles um Bier und Spirituosen.
In keinem guten Zustand: Die ehemaligen Werkhallen von Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) in Kalk, Bild: Bild Florian Wächter, Pixabay
Die Stadt hat die ehemalige Hauptverwaltung der Klöckner-Humboldt-Deutz-Werke gekauft. Auf dem weitläufigen Gelände soll eine Mischung aus Kultur, Gewerbe und Wohnen entstehen.
Kalk als Kriminalitätsbrennpunkt
Trotz aller Bemühungen wird Kalk weiterhin als sozialer Brennpunkt bezeichnet. Kriminalität, Drogen, soziale Missstände haben diesem Stadtteil einen zweifelhaften Ruhm eingebracht.
Graffiti in Köln-Kalk, Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Der Rapper Eko Fresh (Jahrgang 1983) ist auch in Kalk aufgewachsen. Die Situation im Problembezirk Kalk ist regelmäßig Thema seiner Lieder. In seinem Song „Gheddo“ (Eko Fresh feat. Bushido) lautet es:
Eko Fresh Ghetto Chef Junge denn es muß sein, Eko
Köln Kalk Hartz 4 komm in meine Hood rein. Fresh
Komm und guck was es heißt im Block hier zu Wohnen,
Wo man Leben muß von Drogen oder Prostitution.
Seit Oktober 2022 werden Teile von Kalk, genau wie der Bereich um den Dom, die Ringe, der Breslauer Platz, der Ebertplatz, der Neumarkt und der Wiener Platz mit Videokameras überwacht. Die Polizei bezeichnet diese Areale als „ … Kriminalitätsbrennpunkte mit einer Vielzahl an Delikten, deren Anzahl und Qualität sich im Vergleich zum Kölner Stadtgebiet signifikant abheben.“2Quelle: Polizei Köln, Polizeiliche Videobeobachtung in Köln, https://koeln.polizei.nrw/artikel/polizeiliche-videobeobachtung-in-koeln, abgerufen am 22. Juni 2024. Die Videobilder werden von der Polizei rund um die Uhr beobachtet, um sich anbahnende Straftaten frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.
Diese Videoüberwachung ist umstritten. So hat die Initiative „Kameras stoppen“ wiederholt gegen gegen die polizeiliche Videoüberwachung in Kalk geklagt. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln steht zur Zeit3Stand: 3. Juli 2024 noch aus.
Viele Autos – wenig Platz: Die Kalker Hauptstraße. Bild: Rolf H. (Rolf Heinrich, Köln), CC BY 3.0 via Wikimedia Commons
Kalker Hauptstraße: „So wie es ist, ist es Mist.“
Aktuell4Stand Juli 2024 wird über die Umgestaltung der Kalker Hauptstraße debattiert. Die Bezirksbürgermeisterin Claudia Greven-Thürmer bezeichnet diese Straße als „Schlagader des Bezirks“ – schon bevor die U-Bahn gebaut wurde. Allerdings, so Greven-Thürmer im Kölner Stadt-Anzeiger5Ausgabe vom 4. Juli 2024: „Aus dem oberirdischen Freiraum nach dem Bau wurde nichts gemacht. Ich sage es ganz offen: Wir hätten schon längst eingreifen müssen. Maßnahmen sind überfällig.“ Das Fazit der Bezirksbürgermeisterin: „So wie es ist, ist es Mist.“
Durch Umgestaltungen wie zum Beispiel eine Einbahnstraßenregelung oder die Neuanordnung der Parkplätze soll mehr Raum für Fußgänger, Radfahrer und auch die Außengastronomie geschaffen werden.
Allerdings ist jetzt zunächst Verwaltung gefragt, einen Entwurf vorzulegen. Dort sind allerdings die Kapazitäten sehr eng. Erst 2025 soll ein Plan vorgelegt werden.
Hoffentlich schaffen das die Planer rechtzeitig – denn sonst droht ihnen, wie schon Tommi in „Voll normaaaal“ lebenslanges Köln-Kalk Verbot.
Gedenktafel für Karl Küpper am Haus Kalker Hauptstr. 215 in Köln-Kalk.
Büttenredner Karl Küpper betrieb eine Kneipe auf der Kalker Hauptstraße
Der Karneval und das Dritte Reich sind ein dunkles Kapitel. Zu den lobenswerten Ausnahmen gehört der Büttenredner Karl Küpper. Als „Ne Verdötschte“ machte sich Küpper auf Kölns Karnevalsbühnen über die Nazis lustig. Ein Klassiker waren seine Auftritte, die Hand zum Hitlergruß ausgetreckt und die Frage in den Raum „Is et am rääne?“ oder auch „Su huh litt der Dreck bei uns im Keller.“
Gleich zweimal wurde Karl Küpper von den Nazis von den Bühnen verbannt: Zunächst 1939 mit einem ausgesprochenen Auftrittsverbot durch die braunen Machthaber. In der Nachkriegszeit wurde er zum zweiten Mal Opfer der vermeintlichen Eliten. Die alten Nazis, die es in Politik und Gesellschaft wieder zu Ruhm und Ehre gebracht haben, stellten ihn mit einem faktischen Auftrittsverbot kalt. Um Geld zu verdienen, betrieb Karl Küpper von 1960 bis 1970 auf der Kalker Hauptstraße die Kneipe „Küppers Karl“.
Garantiert „tuschfrei“, gerne mit (lokal-) politischen Seitenhieben und herrlich respektlos wird seit 1992 zunächst im BÜZE / Bürgerzentrum Köln-Ehrenfeld, aktuell in den Abenteuerhallen Kalk, frecher, alternativer Karneval gefeiert.
Die Hausband trägt, nach einer Abstimmung unter den Fans, den Namen „Kalk Kapelle“.
Fatal Banal – alternativer Karneval, garantiert tuschfreiDas Papiermodell und sein großes Vorbild: Der Kalker Wasserturm, Bild: Jens Neuhaus, www.papierdenkmal.de
Das Wahrzeichen von Kalk als Bastelbogen
Das gesamte Gelände der Chemischen Fabrik Kalk (CFK) wurde saniert. Übrig blieb nur der im Jahr 1904 errichtete Wasserturm. Mit seinen 43 Meter Höhe ist dieses Backsteinbauwerk zu einem Symbol für Kalk geworden und steht unter Denkmalschutz.
Jens Neuhaus, Jahrgang 1985, lebt in Kalk. Seine Leidenschaft sind Bastelbögen: „Meine Bastelbögen sind eine Liebeserklärung an ebenjene Bauwerke, die den Menschen etwas bedeuten.“ Und so hat er einen Bastelbogen zum Kalker Wasserturm entworfen und stellt diesen kostenlos auf seiner Seite „Papierdenkmal“ zum Download zur Verfügung.
Neuhaus schätzt die Einfachheit des Materials: „Ohne im Fachhandel teure Plastikteile zu kaufen, entstehen Papiermodelle allein aus der eigenen Kreativität und Fingerfertigkeit heraus. Ein geradezu anachronistischer Reiz ergibt sich daraus, dass der Kartonmodellbau keine Abkürzungen zulässt: Nur geduldiges Arbeiten in den Mußestunden führt zu einem sauberen Ergebnis.“
Gewinnspiel
Die ersten drei Menschen, die mir ein Bild des selbst gebastelten Papier-Wasserturms schicken, lade ich auf eine Stadtführung mit mir ein. Also ran an Schere und Kleber, ich freue mich auf eure Bilder.
Die Industriestadt Kalk im Jahre 1908, kurz vor der Eingemeindung in die Stadt Köln. Bild: http://www.koeln-kalk.net/3kalk/Kknkbwts.htm, Public domain, via Wikimedia Commons
Es war im Jahr 1994 – auf einmal kannte (fast) ganz Deutschland Kölns Stadtteil Kalk:
„Pass op Jung, du kriss he Köln-Kalk Verbot!“
Dieses Köln-Kalk Verbot betraf einen gewissen Tommie, die Hauptfigur in Tom Gerhardts eher fragwürdigen Komödie „Voll normaaal“. Die Deutschen lachten über den eher tumben Tommie – und auch über die Darstellung des Stadtteils Kalk. Hellmuth Karasek, einer der renommiertesten Film- und Literaturkritiker Deutschlands, schrieb im SPIEGEL dazu:
„Deutschland, wo es am prallsten ist; Köln-Kalk, ein Spießer-Alptraum; nur durch Gerhardts rüde Scherze zu ertragen, kurz, die heile, unheilvolle Aldi-Welt.“1Heile Aldi-Welt in Der Spiegel, Ausgabe 46/1994
Und tatsächlich war nicht nur das Niveau des Films, sondern auch der Ruf von Kalk Ende der 1980er eher schlecht. Werksschließungen und ein massiver Abbau von Arbeitsplätzen brachten hohe Arbeitslosenzahlen mit sich. Kalk wurde zum „Problembezirk“ und hat sich bis heute, trotz massiver Anstrengungen der Stadt Köln, nicht davon erholt.
Früher noch beliebter Ausflugsort
Dabei war Kalk früher ein idyllisches Fleckchen und – heute unvorstellbar – ein Erholungsort. So beschreibt der ehemalige Lehrer Peter Simons das Örtchen Kalk als ein
„… Dörfchen mit wenigen Häusern und einer kleinen Muttergotteskapelle. Dahin wandern die Städter an Sonntagnachmittagen mit Kind und Kegel, nehmen Brote mit und in kleinen Tüten gemahlenen Kaffee. Für etliche Pfennige erhält man dort in einer Wirtschaft kochendes Wasser, so bereitet man sich den Kaffee selbst und freut sich von Herzen bei Sang und Spiel auf dem Rasen unter den Obstbäumen der Gärten.“2Peter Simons, Illustrierte Geschichte von Deutz, Kalk, Vingst und Poll: ein Beitrag zur Geschichte des kurkölnischen Amtes Deutz
Und tatsächlich war Kalk bis zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert ein kleiner, unscheinbarer und ländlicher Fleck auf der Landkarte. Aber der stetig steigende Anzahl der Pilger zum Bildnis der „Schmerzhaften Mutter Gottes“ führte ab etwa 1815 zu einem Boom: Die Kalker versorgten die Pilger mit Wasser, Kaffee oder Tee. Und mit Sicherheit auch mit „geistigen“ Getränken. Es entstanden Kaffeehäuser und Restaurants, zum Teil mit gestalteten Gartenanlagen und Tiergehegen.
Allerdings war Kalk immer noch sehr dünn besiedelt, im Jahr 1843 gab es gerade einmal 96 Einwohner. Dies sollte sich mit der Ansiedlung der ersten Industriebetriebe radikal verändern.
Das noch „unberührte Kalk“, weit vor dem befestigten Deutz, Ausschnitt aus der Karte „Rheinland und Westfalen“ (1834-1855), Bild: Geobasis NRW
Baustoff oder Kalk-Lagerstätte?
Es ist nicht eindeutig geklärt, ob der Ortsname tatsächlich vom Baustoff Kalk oder vom mittelhochdeutschen Wort „Kolk“ abstammt.
Für die Version „Baustoff Kalk“ spricht die Vermutung, dass die Römer zum Bau der Colonia Claudia Ara Agrippinensium das heutige Gebiet von Kalk genutzt haben, um dort den Baustoff Kalk zu lagern.
Für die Variante „Kolk“ spricht, dass im mittelhochdeutschen Wortschatz damit ein Morast oder Sumpf, bezeichnet wurde. Und tatsächlich war die Gegend rund um das heutige Kalk früher eine eher feuchte, sumpfige Ecke.
Die Schenkungsurkunde aus dem Jahr 1003 (Ausschnitt). „Kalk“ wird in der 5. Zeile (2. Wort) erwähnt. Bild: gemeinfrei
Die erste urkundliche Erwähnung von Kalk stammt aus dem Jahr 1003. Dort wird von Erzbischof Heribert festgelegt, dass das damals noch „Kalka“ genannte Gebiet der Benediktinerabtei Deutz gegenüber den „Zehnt“ abgabepflichtig ist.3Der „Zehnt“ ist eine Steuer in Form von Geld oder Naturalien. Ab spätestens 1298 besaß das St.-Severins-Stift das Gebiet.
Bis 1794 gehörte Kalk zum kurkölnischen Amt Deutz und wurde dann während der französischen Besatzung zunächst dem Herzogtum Nassau-Usingen und ab 1806 dem Großherzogtum Berg übertragen. Ab 1808 war Kalk ein Teil der Mairie Deutz.
Die „Schmerzhafte Mutter Gottes“
In einem kleinen Heiligenhäuschen stand ab ca. 1423 das Bildnis der „Schmerzhaften Mutter Gottes“. Es zeigt die leidende Maria mit dem Leichnam des vom Kreuz abgenommenen Jesus. Dieser Darstellung wurden wundertätige Heilkräfte nachgesagt, weil Kalk im Jahr 1665 von der Pest verschont blieb, während in den umliegenden Orten zahlreiche Opfer zu beklagen waren.
Darstellung der „Schmerzhaften Mutter Gottes“ aus dem 15. Jahrhundert in der Kalker Kapelle
So wurde zum Dank ab 1666/1667 die Kalker Kapelle erbaut, die sich zur Pilgerstätte entwickelte. Dies war der Beginn der Wallfahrt zur „Schmerzhaften Mutter Gottes“ von Kalk. Im Jahr 1710 wurden bereits 700 Pilger gezählt, drei Jahre später schätzte man die Anzahl der der Pilger bereits auf mehrere Tausend Menschen.
Ab 1931 etabliert sich auch die Männerwallfahrt nach Kalk. Immer zwei Wochen vor Ostern pilgern Kölner Männer schweigend zur Kalker Kapelle. Dann wird an der „Schmerzhaften Mutter Gottes“ gebetet.
„Vom Dritten Reich befreie uns!“
In der Zeit der Nationalsozialisten wurde diese Wallfahrt auch zum politischen Statement. Im Jahr 1933 wurden bei der Prozession Flugblätter mit der Aufschrift „Von Satans Reich befreie uns!“ verteilt. Schnell wurde diese zu „Vom Dritten Reich befreie uns!“ umgewandelt. Die Zahl der Pilger wuchs stark an, 1935 sollen etwa 35.000 Männer schweigend nach Kalk gezogen sein. Wahrscheinlich wurde diese Anzahl Pilger in den Folgejahren noch übertroffen, doch die nationalsozialistischen Machthaber verhinderten die Veröffentlichung der Teilnehmerzahlen. Im Jahre 1940 wurden die Wallfahrten zur Kalker Kapelle von den braunen Machthabern verboten.
Die Kalker Kapelle wurde am 18. August 1941 durch einen schweren Bombentreffer vollständig zerstört. Dass die Darstellung der „Schmerzhaften Mutter Gottes“ unversehrt unter den Trümmern gefunden wurde, trug erheblich zu der Heiligenverehrung bei.
Das Interesse an der Männerwahlfahrt nahm in den 1990er Jahren erheblich ab, im Jahr 2004 nahmen nur einige Hundert Männer am Schweigegang teil. Erst durch eine große Kampagne mit durch privaten Spenden finanzierten Zeitungsanzeigen konnte die Teilnehmerzahl wieder auf mehr als tausend Männer gesteigert werden.
Kalk wird „Boomtown“
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Industrialisierung auch in Kalk massiv Fahrt auf. 1850 wurde die Porzellanfabrik Kalk gebaut, 1858 gründeten Julius Vorster und Hermann Grüneberg die Chemische Fabrik Vorster & Grüneberg, aus der später die Chemische Fabrik Kalk hervorgehen sollte.
Die Chemische Fabrik Vorster & Grüneberg, später Chemische Fabrik Kalk (CFK) im Jahre 1859, Bild: Hermann Gruenberg, Public domain, via Wikimedia Commons
Versuche, Braunkohle in Kalk abzubauen, stellten sich als nicht wirtschaftlich dar. Das Zechengelände wurde 1858 an die Gebrüder Sünner verkauft. Noch heute befindet sich an diesem Ort die Sünner-Brauerei – die älteste Kölsch-Marke.
Der Grundstein der heutigen Klöckner Humboldt Deutz AG wurde 1856 mit der Gründung der Maschinenfabrik Sievers & Co. gelegt. 1864 zogen Nikolaus August Otto und Eugen Langen mit ihrer Gasmotorenfabrik N. A. Otto & Cie von der Kölner Innenstadt nach Kalk. Aus diesem Unternehmen entstand die heute weltweit tätige Deutz AG.
Kalk war als Industriestandort begehrt, weil es außerhalb der zweiten Rayonlinie der preußischen Befestigungen lag. Der Rayon ist der Bereich rund um militärische Festungen, der nicht bebaut werden durfte. Kalk lag außerhalb dieser Zone, und es gab reichlich Platz.
Kalk lag außerhalb der „Zweiten Rayonlinie“ (gestrichelte Linie etwa in der Mitte der Karte), Bild: Karte der Köln-Mindener Eisenbahn, Ausschnitt Köln-Deutz und Kalk
Damit die notwendigen Arbeitskräfte relativ schnell ihre Arbeitsplätze erreichen konnten, wurde bereits am 20. Mai 1877 eine Verbindung der „Päädsbahn“4Eine von Pferden gezogene Straßenbahn. von Deutz und Kalk eingeweiht.
Kalk war Mitte des 19. Jahrhunderts eine echte „Boomtown“: Von 1843 bis 1880 stieg die Einwohnerzahl Kalks um mehr als 950% von knapp 100 Menschen auf über 9.500 Einwohner.
Kalk bekommt Stadtrechte
Mit dem Wachstum der Bevölkerung erhielt Kalk 1881 die Stadtrechte. Sofort machte sich der neugegründete Stadtrat daran, ein Stadtwappen für Kalk zu entwerfen. Dieses Wappen sollte zum einen die industrielle Entwicklung Kalks aufgreifen, aber auch die historische Wallfahrtskapelle berücksichtigen.
Das Wappen der Stadt Kalk (1881 -1910) zeigt die Kalker Kapelle und die Bedeutung Kalks als Industriestandort.
Da im preußischen Staat alles eindeutig geregelt wurde, musste das Wappen vom Königlich Preußischen Heroldsamt in Berlin abgesegnet werden, bevor Wilhelm I. in seiner Eigenschaft als König von Preußen am 20. Juli 1883 der Stadt Kalk das Wappen verlieh.
Während noch in den 1880er Jahren viele umliegende Ortschaften, darunter auch Poll und Deutz, nach Köln eingemeindet wurden, behielt Kalk noch bis 1910 seine Eigenständigkeit und wurde erst am 1. April 1910 zusammen mit Vingst und Gremberg eingemeindet.
Allerdings mussten die Kölner den Kalkern ihre Eigenständigkeit teuer „abkaufen“. In dem Vertrag zur Eingemeindung mit der Stadt Köln wurde explizit vereinbart:
Der Bau einer Badeanstalt,
der Bau von Spielplätzen,
die Erhaltung des Kalker Schlachthofes,
jährlich 30.000 Mark für Straßenbauarbeiten und
die Übernahme der städtischen Beamten Kalks in den Dienst der Stadt Köln.
Kalk konnte auch selbstbewusst auftreten: Es lebten dort mehr als 27.000 Einwohner, die zahlreichen Industrieunternehmen machten Kalk zu einer der größten und wohlhabendsten Industriestädte in Preußen.
Und heute? Im zweiten Teil über Kalk wird es um die Umbrüche in den beiden Weltkriegen, die Wirtschaftswunderzeit und die aktuelle Situation in Kalk gehen.
Das Papiermodell und sein großes Vorbild: Der Kalker Wasserturm, Bild: Jens Neuhaus, www.papierdenkmal.de
Das Wahrzeichen von Kalk als Bastelbogen
Das gesamte Gelände der Chemischen Fabrik Kalk (CFK) wurde saniert. Übrig blieb nur der im Jahr 1904 errichtete Wasserturm. Mit seinen 43 Meter Höhe ist dieses Backsteinbauwerk zu einem Symbol für Kalk geworden und steht unter Denkmalschutz.
Jens Neuhaus, Jahrgang 1985, lebt in Kalk. Seine Leidenschaft sind Bastelbögen: „Meine Bastelbögen sind eine Liebeserklärung an ebenjene Bauwerke, die den Menschen etwas bedeuten.“ Und so hat er einen Bastelbogen zum Kalker Wasserturm entworfen und stellt diesen kostenlos auf seiner Seite „Papierdenkmal“ zum Download zur Verfügung.
Neuhaus schätzt die Einfachheit des Materials: „Ohne im Fachhandel teure Plastikteile zu kaufen, entstehen Papiermodelle allein aus der eigenen Kreativität und Fingerfertigkeit heraus. Ein geradezu anachronistischer Reiz ergibt sich daraus, dass der Kartonmodellbau keine Abkürzungen zulässt: Nur geduldiges Arbeiten in den Mußestunden führt zu einem sauberen Ergebnis.“
Gewinnspiel
Die ersten drei Menschen, die mir ein Bild des selbst gebastelten Papier-Wasserturms schicken, lade ich auf eine Stadtführung mit mir ein. Also ran an Schere und Kleber, ich freue mich auf eure Bilder.
Acht der 40 „Kölner Köpfe“ in der U-Bahnhaltestelle Appellhofplatz, Bild: Uli Kievernagel
Etwa 25.000 Menschen sehen täglich die Mona Lisa im Louvre. Dafür steht man stundenlang an und zahlt einen hohen Eintritt. Ebenfalls ungefähr 25.000 Menschen steigen täglich am Appellhofplatz in die Bahn. Und sehen nicht nur ein Portrait, sondern gleich 40. Und das völlig kostenlos. Ohne anzustehen.
Seit 1990 gibt es die „Kölner Köpfe“ in der U-Bahnhaltestelle. Hier kann man dem Schauspieler Willy Millowitsch, der Franziskanerin Schwester Ansgaria, dem Fußballer Pierre Littbarski und 37 weiteren bekannten und unbekannten Kölnerinnen und Kölnern in die Augen sehen.
Stencil – aus Schablonen entstehen Kunstwerke
Urheber dieses Kunstwerks sind die vier Freunde Justus Herrmann, Ralf Jesse, Hans-Peter Dürhager und Andreas Paulun, die sich Ende der 1980er regelmäßig in Ehrenfeld trafen. Bei einem dieser Treffen im Jahr 1988 zeigte Paulun seinen Kumpels ein sogenanntes „Stencil“. Stencil ist der englische Begriff für Schablone. Mit einer solchen Schablone werden Graffitis hergestellt. Stencils stammen ursprünglich aus den 1970er Jahren aus Frankreich und werden dort „pochoir“, nach dem französischen Wort für Schablone, genannt.
Bei dem Stencil wird eine vorgefertigte Schablone auf einen Untergrund gedrückt und die Farbe durchgesprüht. Kombiniert man mehrere Schablonen, entstehen bunte Motive. Und diese können dann beliebig oft und sehr schnell in unterschiedlichen Farben wiederholt dargestellt werden – ideal für illegale Graffitis.
Doch den vier Freunden kam ein anderer Gedanke: Kein eilig nachts gesprühtes Graffiti irgendwo an einer Mauer in der Stadt, sondern geschützt an einem Ort. Nicht der Vergänglichkeit preisgegeben, sondern zeitlos.
Die Haltestelle Appellhofplatz, auf den Säulen in der Mitte: Die Kölner Köpfe, Bild: ReferenceBK, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Die U-Bahnhaltestelle als idealer Ort
Eine U-Bahnhaltestelle erschien den Künstlern als idealer Ort: Viele Passanten steigen dort täglich ein und aus, die kurze Wartezeit kann dem Kunstwerk gewidmet werden. Heute würde das so nicht mehr funktionieren: Die Menschen nutzen jede noch so kurze Möglichkeit und starren in ihr Smartphone. Daran war 1990, zur Eröffnung des Kunstwerks „Kölner Köpfe“ an der Haltestelle Appellhofplatz, noch nicht zu denken.
Zusätzlich ist eine U-Bahnhaltestelle nicht der Witterung ausgesetzt. Als idealer Ort für die Stencils wurden die Säulen zwischen den Gleisen ausgemacht: Geschützt, aber trotzdem frei einsehbar.
Auch die Motive waren schnell klar: Menschen aus Köln, prominent oder unbekannt. Dabei ging es dem Künstlerkollektiv nicht darum, „einzelne Menschen hervorzuheben aus der anonymen Masse, sondern mit neuen Mitteln die alte Geschichte von Einzigartigkeit und Vielfalt, von deren gegenseitiger Bedingtheit und ihrer Bedrohung durch Anonymität und Masse neu zu erzählen.“1KölnTakt 2-2019, Zeitungsbeilage der KVB, September 2019
Idealerweise gibt es in der Haltestelle 20 Säulen. Auf jede Säule passen drei Portraits auf die Vorder- und drei auf die Rückseite. Macht insgesamt Platz für 120 Portraits. So konnte jeder der vier Künstler zehn Portraits in dreifacher Ausfertigung anfertigen.
Gezeigt werden die Portraits von 40 Menschen, die in Stadt leben. Prominente und Lück wie ich und du. Und so ist ebenso der Kopf von Alfred Biolek neben dem Portrait von Thomas Kehr, einem Fahrradkurier, zu finden wie auch das Bild der Nonne Schwester Ansgaria, das neben Willy Millowitsch seinen Platz findet. Der Travestiekünstler Fine de Cologne wurde abgebildet, genau wie der Boxer Milorad Jevremovic oder Anja Friehoff, die als „Frau des Augenblicks“ ihren Platz gefunden hat. Abgebildet wurden auch der Imbissbesitzer Adnan, Musiker Jürgen Zeltinger, Philosophieprofessor Günter Schulte und der Kölner Sammler Hermann Götting. Und 29 weitere Menschen.
Auch die KVB-Mitarbeiterin Lydia Prangenberg, geb. Rick, ist ein „Kölner Kopf“. Früher wurde sie oft auf das Portrait angesprochen, heute zeigen ihre Enkel und Urenkel stolz das Bild von Oma oder Uroma ihren Freunden.
Der unbekannte Künstler „Tabot Velud“
Für heutige Verhältnisse nahezu unvorstellbar: KVB und Stadt Köln stimmten der flott skizzierten Idee schnell und unkompliziert zu, als Hauptsponsor wurde Reynolds Tobaccos (Camel, Lucky Strike oder Pall Mall) gewonnen.
Plakette „Kölner Köpfe“ in der U-Bahnhaltestelle Appellhofplatz, Bild: Uli Kievernagel
Als Künstler hinter dem Kunstwerk wurde „Talbot Velud“ genannt. Dieser Name hat keinerlei Bedeutung. Justus Herrmann dazu „Damit wollten wir nur möglichst viel Nebel verbreiten.“ Das ist bestens gelungen. In einem Artikel der ehemaligen Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner zu den Kunstwerken in der Kölner U-Bahn schreibt die Architektin und Kunsthistorikerin zu den „Kölner Köpfen“: “Ein Schild an der Schmalseite eines der Bahnsteige nennt neben dem Namen des Kunstwerks „Kölner Köpfe“ und seines Gestalters Tabot Velud auch einen großen Tabakkonzern als Sponsor. Über Velud habe ich sonst nichts weiter in Erfahrung bringen können.“2Barbara Schock-Werner: Kölner U-Bahn-Stationen in der Kritik – Die Kunst in Kölns Untergrund, Kölner Stadt-Anzeiger vom 2.Dezember 2014.
Kunstwerk ist heute „rechtslos“
Heute würde man sich wünschen, dass die Verantwortlichen mal ein paar Eimer Farbe an die Säulen der Haltestelle werfen und insgesamt mal etwas saubermachen würden. Allerdings: Wieso sollte es hier anders sein, wenn doch die ganze Stadt eher knüsselich daherkommt?
Der ursprüngliche Nutzungsvertrag für die Säulen mit den „Kölner Köpfen“ wurde für zehn Jahre unterschrieben und ist bereits im Jahr 2000 ausgelaufen. Seitdem ist das Kunstwerk eigentlich „rechtslos“. Aber das kümmert in Köln keinen Menschen. Auch nicht die seit der Eröffnung des Kunstwerks im Jahr 1990 bereits etwa 300 Millionen Menschen, die dieses mittlerweile gesehen haben.
Da kann noch nicht einmal die Mona Lisa mithalten.
Die leere, verlassene Station Heumarkt. Und trotzdem fährt eine Bahn durch. Zumindest akustisch. Bild: Uli Kievernagel
Noch mehr Kunst in der U-Bahn gibt es am Heumarkt. Dort fährt täglich der Ghosttrain durch.
Die Deutzer Kettenhängebrücke im Jahr 1925, Bild: Book „1000 Years of Rhenish Art“ from 1925, Public domain, via Wikimedia Commons
Tagtäglich rollen tausende Autofahrer und Radfahrer vorbei und selbst die Fußgänger laufen meistens uninteressiert weiter: Das letzte Stück der alten Kettenhängebrücke steht auf der Deutzer Brücke – und es bekommt nicht die Beachtung, die es verdient hätte. Immerhin wiegt dieses Teil fast eine Tonne, und ist neun Meter lang. Das Bauteil stammt aus der Deutzer Kettenhängebrücke, die bei ihrem Einsturz im Februar 1945 Hunderte Menschen mit in den Tode gerissen hat.
Bei Bauarbeiten im Jahr 1977 zufällig gefundes Teil der Deutzer Kettenhängebrücke, Bild: Uli Kievernagel
Eine „unechte“ Hängebrücke
Nachdem der steigende Verkehr im Zuge der Industrialisierung stark zugenommen hatte, wurde es Anfang des 20. Jahrhunderts in Köln unumgänglich, neue Brücken zu bauen. Zwar gab es die Deutzer Schwimmbrücke, die aber den wesentlichen Nachteil hatte, dass sie für durchfahrende Schiffe immer erst aufwändig geöffnet werden musste.
Doch die Realisierung einer Brücke exakt an dieser Stelle, an der 1600 Jahre vorher mit der Konstantinbrücke bereits die erste feste Rheinquerung stand, war schwieriger als zunächst angenommen.
Die Brücke musste hoch genug sein, um den Schiffen eine Mindestdurchfahrthöhe zu garantieren. Gleichzeitig erschwerte die Bodenbeschaffenheit am Ufer die Konstruktion: Eine „echte“ Hängebrücke leitet die Kräfte in massive Widerlager am Ufer ein, wie zum Beispiel die Mülheimer Brücke. Aber der durch Rheinkiesel geprägte, eher „schwammige“, Boden in der Innenstadt machte dieses Konstruktionsprinzip unmöglich.
Daher entschied man sich für eine „unechte Hängebrücke“. Bei diesem Brückentyp gibt es keine massive Aufhängung am Ufer, sondern die Verankerung der Kabel erfolgt durch Befestigung an den Fahrbahnrändern. Deswegen sind kräftige, von einem zum anderen Ende der Brücke durchlaufende, Versteifungsträger notwendig.
Der „Cölner Brückenstreit“
Bereits im Jahr 1898 gab es einen ersten Wettbewerb für eine feste Straßenbrücke zwischen Heumarkt und Deutzer Freiheit – allerdings ergebnislos. Auch weitere Ausschreibungen verliefen im Sande.
Bis man zur Konstruktions-Entscheidung der „selbstverankerten, versteiften Kettenhängebrücke“ kam, wurden 38 (!) Entwürfe diskutiert und wieder verworfen bis der 39. Vorschlag eine Mehrheit im Stadtrat bekam.1Quelle: Der SPIEGEL „Kontrapunkt am Rhein“ vom 01.01.1957Dies ist der Beweis: Früher war auch nicht alles besser, schneller und einfacher!
Die Deutzer Hängebrücke, Fotograf: unbekannt
Den Zuschlag bekamen im Jahr 1912 die Firmen MAN Werk Gustavsburg (Stahlüberbau) und Grün & Bilfinger (Unterbauten). Allerdings gab es nach der Auftragsvergabe Ärger: Die „Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hütten-AG“ behauptete, der Siegerentwurf wäre ein Plagiat ihres Entwurfs aus dem Jahr 1911.
Es kam zu einem Gerichtsverfahren. Die Gutachter gaben sich im Landgericht Köln die Klinke in die Hand, erst im April 1914 gab es eine außergerichtliche Einigung. Bis dahin war das Verfahren weit über die Grenzen der Domstadt als „Cölner Brückenstreit“ bekannt.
Massive Baumaßnahmen – bis heute sichtbare Lücken
Noch während das Gerichtsverfahren lief war 1913 Baubeginn der Deutzer Hängebrücke. Dafür waren massive Auffahrtsrampen erforderlich. Auf der Deutzer Seite wurden in Höhe der Deutzer Freiheit zahlreiche Gebäude abgebrochen und der am Deutzer Ufer (heute Rheinboulevard) befindliche „Bahnhof Schiffsbrücke“ musste abgerissen werden.
Vorläufer der Deutzer Kettenhängebrücke: Die Deutzer Schiffbrücke, hier um 1900, Bild: US- Library of Congress
Gravierender jedoch waren die Baumaßnahmen auf der linksrheinischen Seite. Die Häuser auf der Markmanngasse, der Rheinuferstraße und am Heumarkt wurden abgebrochen, um Platz für die Rampen zu schaffen. Noch heute klafft hier ein „Loch“ in der Bebauung. Auch der Heumarkt, zuvor ein nahezu geschlossener Platz, wurde durch die Rampen zur Brücke zum Verkehrsknotenpunkt.
Harmonische und elegante Form
Am 3. Juli 1915 war es soweit: Die Brücke mit einem Konstruktionsgewicht von rund 6.200 Tonnen und Kosten von mehr als sieben Millionen Mark wurde eröffnet. Allerdings fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit: In Europa tobte der Erste Weltkrieg, große Feierlichkeiten passten nicht in die Zeit.
„Berühmt wurde die 1913-15 erbaute Deutzer Brücke auch hinsichtlich ihrer harmonischen und eleganten Form. Der Rhein wurde mit drei Öffnungen im Verhältnis 1: 2: 1 überspannt. Die Mittelöffnung war 185 Meter weit. Die Brücke war einschließlich der Pylonen eine reine Stahlkonstruktion, bei der sich die ganze architektonische Gestaltungskraft auf das Ingenieurbauwerk konzentrierte. Es war ein frühes Beispiel für die Aufhebung der im 19. Jahrhundert noch so gewichtigen Trennung von Architektur und Ingenieurwesen.“
Später wurde die Brücke, zu Ehren des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (1847 – 1934), in „Hindenburgbrücke“ umbenannt.
Postkarte der Deutzer Kettenhängerbrücke, Bildquelle: unbekannt, gescannt von und mit freundlicher Genehmigung von Derzsi Elekes Andor
Einsturz am 28. Februar 1945 fordert Hunderte Todesopfer
Im zweiten Weltkrieg wurden die Kölner Brücken stark beschädigt oder sogar vollständig gesprengt, zum Teil durch Bomben der Alliierten, zum Teil durch die Wehrmacht selber.
Die 8. US-Luftflotte erhielt Anfang Januar 1945 den Befehl, die letzten vier Kölner Rheinbrücken zu zerstören. Bis Mitte Januar wurden daher gezielt Angriffe auf die Brücken geflogen. Einige der schweren Bomben mit bis zu 1.000 Kilogramm Gewicht trafen zwar auch die Brücken, durchschlugen allerdings nur die Fahrbahnen und explodierten relativ wirkungslos im Rhein.
Trotzdem zeigte das Bombardement Wirkung: Am 6. Januar krachte die Südbrücke ein, am 28. Januar brach die Rodenkirchener Autobahnbrücke zusammen.
Das NS-DOK hat im Rahmen der Ausstellung „Kriegsende in Köln“ auch Originalzitate zu den Bombardements auf die Brücken veröffentlicht. So schrieb Christa Lehmacher am 11. Januar 1945 einen Brief an ihren Bruder:
„Wir haben am vergangenen Samstag, am Sonntag, und gestern einen schweren Angriff auf Köln gehabt. Die Mülheimer Brücke lag ja schon lange im Wasser. Jetzt haben sie die Südbrücke, die noch den ganzen Transport rüber ließ, auch ins Wasser gelegt. Die Hindenburg- und Hohenzollernbrücke haben auch schwere Treffer erhalten, sind aber beide noch befahrbar. Die Rodenkirchener Brücke ist auch schwer mitgenommen, hängt aber auch noch am Seidenfaden.“
Am 28. Februar 1945 kam es auf der Deutzer Hängebrücke zur Katastrophe: Es wurden Reparaturarbeiten durchgeführt, gleichzeitig war das Bauwerk durch Flüchtlinge und Militärfahrzeuge, die noch schnell versuchten, sich ins Rechtsrheinische abzusetzen, stark belastet und stürzte ein.
Das zerstörte Köln am Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Trümmer der Deutzer Kettenhängebrücke liegen im Rhein. Bild: gemeinfrei / U.S. Department of Defense, Fotograf: Jack Clemmer
Bedingt durch die Kriegswirren ist bis heute unklar, wie viele Opfer dieser Einsturz forderte. Es ist aber davon auszugehen, dass mehrere Hundert Menschen hier ihr Leben verloren.
Neue Deutzer Brücke nutzt alte Rampen und Brückenpfeiler
Nach dem Krieg wurden schnell neue Brücken errichtet. An der Stelle der Deutzer Hängebrücke wurde ab 1947 die neue Deutzer Brücke gebaut. Die erste Stahlkastenträgerbrücke der Welt wurde am 16. Oktober 1948 eingeweiht. Der Bau konnte auch deswegen so zügig beendet werden, weil die neue Brücke sowohl die alten Rampen als auch die Brückenpfeiler der Deutzer Hängebrücke nutzt.
Ursprüngliche Lage des 1977 gefunden Kettenglieds, Quelle Bild der Brücke: unbekannt, Bild: Kettenglied Uli Kievernagel
Das auf der Brücke ausgestellte Kettenglied wurde erst 1977 zufällig bei Bauarbeiten im Rhein gefunden. Und bleibt bis heute mehr oder weniger unbeachtet.
Es sei denn, man steht mal wieder auf der Brücke im Stau.
Alle bisher erschienenen Geschichten zu den Kölner Brücken
Er ist mit 24 Tonnen so schwer wie fünf ausgewachsene Elefanten. Und wenn er sich meldet, ist er lauter als eine ganze Herde Elefanten: Die Petersglocke, von den Kölnern liebevoll „Decke Pitter“ genannt, ist die größte Glocke im Dom. Und war bis Ende November 2016 auch die größte freischwingende Glocke der Welt. Diesen Rekord hat der Decke Pitter an eine noch eine Tonne schwerere Glocke in Bukarest verloren.
Vorläufer Kaiserglocke war noch schwerer
Vor dem Decke Pitter hing die „Kaiserglocke“ im Dom. Mit mehr als 27 Tonnen Gewicht war die Kaiserglocke sogar noch 3 Tonnen schwerer als die Petrusglocke. Allerdings hatte die 1874 gegossene Kaiserglocke kein langes Leben: Während des Ersten Weltkriegs wurde sie eingeschmolzen, um aus dem Metall „kriegswichtiges Material“, vorrangig Kanonen, herzustellen.
Aber die Kölner wollten wieder eine neue, große Glocke für den Dom. Doch neben der Finanzierung einer solchen Glocke gab es auch Probleme, überhaupt einen Glockengießer für eine neue Riesenglocke zu finden. Schon beim Guß der „Kaiserglocke“ waren die Giesser verzweifelt, weil der Guss zweimal missglückt war.
Am 31. März 1922, nahm der Glockengießermeister Heinrich Ulrich aus Apolda in Thüringen den Auftrag an. Durch die Inflation war der Preis der Glocke für Gießermeister Ulrich schwer kalkulierbar. Schon der ursprüngliche Betrag bei Auftragserteilung im Jahr 1922 lag bei 60 Millionen Mark. Doch die stetig wachsende Geldentwertung machte eine seriöse Kalkulation in Reichsmark unmöglich. Um überhaupt abgesichert zu sein, verlangte Ulrich zusätzlich 5.000 US-Dollar, die von reichen Kölnern gespendet wurden. Tragisch: Heinrich Ulrich, der Glockengießer, der den Decke Pitter erschaffen hat, erlebte die Einweihung seines Meisterwerks nicht. Er starb im Februar 1924 an einer Grippe.
Glockengießer Heinrich Ulrich war sichtlich stolz auf sein Werk, so schrieb er diese Postkarte an seinen Kollegen Kurtz „Domglocke ist glänzend ausgefallen. Reines C0 mit großer Oberterz wie verlangt. Äußeres prächtig.“, Bild: Herbert Ulrich († 1924), Public domain, via Wikimedia Commons
Guss am 5. Mai 1922
So wurde der „Decke Pitter“ am 5. Mai 1922 im thüringischen Apolda gegossen, Dafür waren mehr als 30 Festmeter Fichtenholz nötig, um das notwendige Metall zu schmelzen. Und dann ging es ganz flott: In weniger als 10 Minuten war die Glocke gegossen. Allerdings dauerte es zwei Wochen, bis das Metall ausgekühlt war.
Es sollte aber noch bis November 1924 dauern, bevor die Glocke ihre Reise nach Köln antreten konnte. Hintergrund war, dass die Franzosen das Ruhrgebiet besetzt hatten. So bestand die Gefahr, dass die Glocke als Reparationsgut von den Franzosen dort beschlagnahmt werden könnte. Daher verbrachte der „Decke Pitter“ zunächst anderthalb Jahre in Apolda und entwickelte sich dort zum Zuschauer-Magneten.
Bis Ende 1924 verblieb der Decke Pitter in Apolda und wurde dort zum Zuschauermagneten, Bild: Archiv Margarete Schilling, Apolda, Foto aus dem Jahr 1923, CC0, via Wikimedia Commons
Per Bahn kam die Glocke im November 2024 nach Köln. Das letzte Wegstück bis zum Dom begleiteten tausende begeisterte Kölner.
Angekommen in Köln musste für die 24 Tonnen schwere Glocke der Dachstuhl im Dom verstärkt werden. Und da die 3,20 Meter hohe und 3,22 Meter breite Glocke nicht durch die Türen passte, wurde ein Mittelpfeiler im Hauptportal ausgebaut.
Erste Glockenschläge am Heiligabend 1924
Die ersten Glockenschläge der Petersglocke erklangen am Heiligabend 1924. Allerdings nur drei Mal, dann riss ein Seil, und die Glocke blieb stumm. Es sollte bis Oktober 1925 dauern, bis der Decke Pitter wieder läutete.
Der Decke Pitter mit dem neuen Klöppel, Bild: Raimond Spekking
Die Inschrift auf der Petersglocke lautet:
St. Peter bin ich genannt
schütze das deutsche Land.
Geboren aus deutschem Leid
ruf ich zur Einigkeit.
Klöppelbruch 2011
Es geschah am Dreikönigstag 2011 morgens um 6:35 Uhr: Beim Läuten der Petersglocke brach der etwa 800 kg schwere Klöppel auseinander. Bis auf die Domplatte war das Krachen des herabfallenden Metalls zu hören.
Hintergrund war die unsachgemäße Aufhängung des Klöppels. Der alte Klöppel war nicht mehr zu retten, deswegen wurde im Oktober 2011 ein neuer Klöppel geschmiedet. Am 2. Dezember 2011 war erstmals wieder der tiefe Klang des Decke Pitter zu hören.
Der Decke Pitter und der abgebrochene, 800 kg schwere, Klöppel, Bild: Elke Wetzig (Elya) E-Mail: ew_wp@web.de, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Läuteordnung
Im Juli 2021 titelt der Kölner Express „Schonkur für den Decken Pitter“: Ein Riss in der Glocke, welcher bereits seit den 1950er Jahren bekannt war, machte es erforderlich, den Pitter seltener und jeweils kürzer zu läuten. Damit soll die Langlebigkeit der Glocke gesichert werden.
Der Decke Pitter ist aktuell1Stand 3. Mai 2024 an folgenden Tagen zu hören:
5. Januar, Einläuten Erscheinung des Herrn
19:30 Uhr montags bis samstags, 20:00 Uhr sonntags
6. Januar, Erscheinung des Herrn
9:40 Uhr
Osternacht
22:15 Uhr
Ostersonntag
9:40 Uhr
Vorabend Christi Himmelfahrt
19:30 Uhr
Christi Himmelfahrt
9:40 Uhr
Vorabend Pfingstsonntag
20:00 Uhr
Pfingstsonntag
9:40 Uhr
28. Juni, Einläuten Heiliger Peter und Paul
19:30 Uhr montags bis samstags, 20:00 Uhr sonntags
29. Juni Heiliger Peter und Paul
9:40 Uhr sonntags, 18:10 Uhr montags bis samstags
26. September, Einläuten Weihetag Dom
19:30 Uhr montags bis samstags, 20:00 Uhr sonntags
27. September , Weihetag Dom
9:40 Uhr sonntags, 18:10 Uhr montags bis samstags
7. Dezember, Einläuten Mariä Empfängnis
19:30 Uhr montags bis freitags
8. Dezember, Mariä Empfängnis
18:10 Uhr montags bis freitags, samstags vor dem Hochamt
am 9.12. um 18:10 Uhr, statt am 8.12., wenn der 8.12. ein Sonntag ist
24. Dezember, Weihnachten
19:20 Uhr,
Einläuten des Weihnachtsfestes durch die Kölner Innenstadtkirchen
23:10 Uhr,
Christmette in der Heiligen Nacht
Wenn die Glocke zwischendurch läutet, ist etwas Besonderes passiert: Entweder ist der Papst oder der jeweilige Kölner Erzbischof verstorben. Dann läutet der Decke Pitter 30 Minuten lang und bis zu Beisetzung des Papstes bzw. Erzbischofs täglich um 12 Uhr.
109 Meter hoch und nicht wirklich geliebt: Der Vierungsturm des Kölner Doms, Bild: CEphoto, Uwe Aranas
Auch im Vierungsturm des Doms hängen Glocken: Die Angelusglocke, die Wandlungsglocke und die Mettglocke. Bitte beachten: Der Name der Mettglocke hängt nicht mit einem kölschen Lieblingsessen ,sondern mit dem Begriff „Mette“, einem nächtlichen oder frühmorgendlichen Gottesdienst, zusammen.
Das Kölnische Stadtmuseum, Bild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0
Seit dem 23. März 2024 haben wir Kölner endlich wieder unser Stadtmuseum. Nachdem das alte Quartier im Zeughaus bereits 2017 wegen eines massiven Wasserschadens aufgegeben werden musste, war das Stadtmuseum ein Museum ohne Heimat. Bis jetzt.
Zwar ist der neue Standort im ehemaligen Kaufhaus Sauer in der Minoritenstraße nur als Interimsstandort vorgesehen – wer aber Köln kennt, dem ist auch klar: Solche Übergangslösungen haben in Kölle immer eine sehr, sehr lange Lebenszeit.
Von der Hahnentorburg über das Zeughaus in das ehemalige Kaufhaus
Die Ausstellung zur kölschen Stadtgeschichte hat bereits eine lange Reise hinter sich: Wie bei so vielen Museen in Köln bildete die umfangreiche Sammlung Ferdinand Franz Wallrafs den Grundstock. Ab 1888 wurde die Stadtgeschichte in der Hahnentorburg ausgestellt und ab 1902 zusätzlich in der Eigelsteintorburg. Da die Aufteilung auf zwei Standorte alles andere als optimal war, erwog man bereits 1912, das Zeughaus als Ausstellungsort zu nutzen. Allerdings machte der Erste Weltkrieg diese Pläne zunichte.
Auch der Plan, die alte Kürassierkaserne der Preußen in Deutz als „Rheinisches Museum“ zu nutzen, musste wegen der Weltwirtschaftskrise verschoben werden. Die Nationalsozialisten erkannten das propagandistische Potenzial eines solches Museums und eröffneten dort am 21. Mai 1936 das „Haus der Rheinischen Heimat“ in Deutz.
Das Zeughaus, bis 2017 Heimat des Kölnischen Stadtmuseums. Bild: Raimond Spekking
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam erneut der Gedanke auf, dem Stadtmuseum im Zeughaus eine Heimat zu geben. Doch der Wiederaufbau des im Krieg stark beschädigten Gebäudes verzögerte sich. Erst 1958 wurde die Dauerausstellung eröffnet, die dort bis zu dem Wasserschaden im Jahr 2017 gezeigt wurde.
Der schlechte Zustand des Zeughauses machte eine Fortführung der Ausstellung unmöglich. Daher gab es 2018 einen Ratsbeschluss, das ehemalige Modehaus Franz Sauer als Interimsquartier zu nutzen. Doch es sollte noch bis 2024 dauern, bis die Ausstellung dort eröffnet werden konnte.
Eine perfekte Darstellung – mit nur 0,1% aller möglichen Exponante
Der Umzug in das ehemalige Kaufhaus stellte die Kuratoren vor eine eigentlich unlösbare Aufgabe: Nur 750 Quadratmeter stehen dort für die Dauerausstellung zur Verfügung. Allerdings gibt es etwa 500.000 Ausstellungsstücke, gezeigt werden können davon nur etwa 650 Exponate, weniger als 0,1%.
Stefan Lewejohann (links) und Sascha Pries (rechts), die beiden Kuratoren der Ausstellung im Kölnischen Stadtmuseum, Bilder: Kölnisches Stadtmuseum
Diese Aufgaben haben die Kuratoren exzellent gelöst, indem man sich von einer lexikonartigen Darstellung der Stadtgeschichte gelöst hat. Stattdessen wurde, so Stefan Lewejohann, einer der Kuratoren, ein „fragender Ansatz“ gewählt:
„Wir erzählen die Kölner Stadtgeschichte jetzt durch einen fragenden Ansatz. Das heißt, dass wir emotionale Fragen stellen und dadurch episodenhaft die Kölner Stadtgeschichte erklären. Zu diesen Fragen zählt beispielsweise „Was lieben wir?“, „Was macht uns Angst?“, „Was verbindet uns?“ oder „Worauf haben wir Lust?“.“
Raum der Stadtgeschichte – mit innovativer Technologie
Um aber auch einen Überblick über die Geschichte der Stadt zu bieten, haben die Kuratoren an den Beginn der Ausstellungsrunde den „Raum der Stadtgeschichte“ platziert. Hier werden kurz und kompakt die wichtigsten Entwicklungen der Stadt, von der römischen Kolonie über die Franken zur mittelalterlichen Handelsmetropole, zur kurzen, aber nachhaltigen Besetzung durch die Franzosen und die anschließende Befestigung durch die Preußen, die Gleichschaltung im NS-Unrechtsstaat ab 1933, die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs bis hin zur heutigen Medienstadt, in aller Kürze gezeigt.
Das Kölner Stadtmodell zeigt die Stadt im Jahr 1571. Und durch Augmented-Reality bietet dieses Modell eine echte Zeitreise, Bild: RBA, S. Walz, rba_d040440_03
Kern dieses Ausstellungsteils ist das riesige Stadtmodell. Dieses Modell zeigt Köln im Jahr 1571 und wurde bereits im „alten“ Stadtmuseum viel bewundert.
Doch jetzt gibt es eine aufregende Neuerung: Mittels Augmented-Reality können Besucher direkt im Stadtmodell digital in verschiedene Epochen der Stadtgeschichte eintauchen. So schweben auf einmal über der alten Ansicht der Stadt 120 Sehenswürdigkeiten, die in 13 verschiedene Epochen der Stadtgeschichte erkundet werden können. Und zwischendurch regnet es sogar Kamelle. Zumindest virtuell.
Frageräume als Orte der (Selbst-)Reflexion
Trotz aller virtueller Ausflüge blieb für die Ausstellungsmacher das Problem, auf vergleichsweise kleiner Fläche die Stadtgeschichte lebendig zu machen. Daher hat man sich für einen durchaus unkonventionellen Weg entschieden: Weg von der klassischen Chronologie oder Jahrhundert-Räumen hin zu acht aktuellen Fragen, die die Besucher beschäftigen und emotional berühren. Fragen wie: „Was lieben wir?“, „Worauf hoffen wir?“, „Was macht uns Angst?“, „Was verbindet uns?“, „Was macht uns wütend?“, „Worauf haben wir Lust?“, „Woran glauben wir?“ und „Was bewegt uns?“ bilden das Grundgerüst der neuen Dauerausstellung.
In der Abteilung „Woran glauben wir?“: Auch eine Art von Religion: Die Kutte eines FC-Fans, Bild: Privatbesitz RBA, T. Kreusler, rba_d060046_02
Dieser völlig neue Ansatz bietet Raum für Raum eine äußerst spannende Zusammenstellung: So werden in dem Raum „Woran glauben wir?“ erwartungsgemäß das christliche, das jüdische und das muslimische Köln vorgestellt. Diesen Religionen werden dann aber andere „Götter“ als Ersatzreligionen gegenübergestellt, zum Beispiel der Fußball. Nicht umsonst bezeichnen viele Fans die Stars ihrer Lieblingsvereine als „Götter“.
Gleich daneben: „Götze Geld“. Gezeigt werden die älteste Münze des Stadtmuseums, der „Triens/Drittel-Goldschilling“ (ca. Ende 6. Jahrhunderts) über die „Kölner Mark“ (aus dem 15. Jahrhundert) bis hin zu Zwei-Euro-Münze mit dem Kölner Dom (aus dem Jahr 2011).
Der von einem Schwert durchbohrte Kopf des (vermeintlichen) Kämpfers gegen den kölschen Klüngel, Nikolaus Gülich (Bronzeplastik), Bild: Uli Kievernagel
Klüngel, „Lust auf Lust“ und „Heimweh nach Köln“
Der Raum „Was macht uns wütend?“ zeigt, was die wütenden Kämpfe früherer Generationen für Gerechtigkeit gebracht haben: freie und demokratische Wahlen, eine unabhängige Justiz, ein gerechtes Steuersystem, die Abschaffung der Todesstrafe und die Trennung von Kirche und Staat. Wichtigstes Exponat ist hier der von einem Schwert durchbohrte Kopf des (vermeintlichen) Kämpfers gegen den kölschen Klüngel, Nikolaus Gülich.
Saftiger wird es im Raum „Worauf haben wir Lust?“. Hier geht es um Sex, Genuss und Freizügigkeit. So wird neben einem speziellen „Stadtplan für Männer“ aus dem Jahr 1972 auch die legendäre und Afri-Cola Werbung mit eher lasziven Nonnen aus dem Jahr 1967 gezeigt.
Im Raum „Was lieben wir?“ gehen die Ausstellungsmacher der besonderen Liebe der Kölner zu ihrer Stadt nach. Diese, oft auch übertriebene, „Heimattümelei“ zeigt sich in den zahllosen Liedern über Dom, Rhing und Sunnesching.
Die Ausstellung nähert sich diesem Thema äußerst reflektiert. Passend zum Lied „Heimweh nach Köln“ von Willi Ostermann wird das Essgeschirr des Kölners Johann Borsari gezeigt, der dieses während seiner sowjetischen Kriegsgefangenschaft mit dem Dom verziert hat.
Modernstes Museum Kölns auf engem Raum
Wahrscheinlich war es gerade die räumliche Enge, welche die Museumsmacher dazu gebracht hat, völlig neue Wege zu gehen. Wenn nur 650 von ca. 500.000 Exponaten gezeigt werden können, sind innovative Wege unumgänglich. Entstanden ist Kölns modernstes Museum. So weist der Direktor des Hauses, Dr. Matthias Hamann, auch ausdrücklich darauf hin:
„Der neue Standort ist nicht nur ein Interim. Es ist eine entscheidende Etappe auf dem Weg zum Stadtmuseum der Zukunft.“
Und hier liegt Hamann richtig: Obwohl das Haus als Interim bezeichnet wird, werden wir uns noch viele, viele Jahre und vielleicht sogar Jahrzehnte an der spannenden, modernen Ausstellung erfreuen können.
Wettet jemand dagegen?
Daten und Fakten zum Kölnischen Stadtmuseum
Adresse
Minoritenstr. 13
50667 Köln
Öffnungszeiten
Dienstags: 10:00 bis 20:00 Uhr
Mittwochs bis sonntags: 10:00 bis 17:00 Uhr
Der Corona-Briefkasten von Ana und Lea aus Raderberg, Bild: Uli Kievernagel
Das neueste Exponat der Stadtgeschichte kommt aus meiner Nachbarschaft in Raderberg
Während der Corona-Beschränkungen konnten die Kinder meiner Nachbarschaft nicht miteinander spielen. Stattdessen haben sie sich kleine Briefkästen gebastelt und konnten so zumindest Nachrichten austauschen.
Ich hatte im Jahr 2020 Stefan Lewejohann vom Stadtmuseum auf diese Briefkästen aufmerksam gemacht. Er hat dankend die Schenkung der Kinder angenommen und einige dieser Briefkästen als Dokumente der Zeitgeschichte in den Bestand des Stadtmuseums übernommen. Und einer dieser Briefkästen ist tatsächlich das neueste Exponat im „Raum der Stadtgeschichte“ und hängt jetzt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Verbundbrief oder zum Stadtsiegel. Was für eine Ehre!
Der etwa zwei Meter große Findling mit kyrillscher Inschrift auf der NS-Gedenkstätte im Gremberger Wäldchen. Bis heute ist unbekannt, wer den Stein aufgestellt hat. Bild: Uli Kievernagel
Still ist es hier schon seit langer Zeit nicht mehr. Eingezwängt zwischen der A4, dem Östlichen Zubringer und der S-Bahn liegt das Gremberger Wäldchen. Zwar wurde das Wäldchen um etwa 1900 speziell als Naherholungsgebiet konzipiert, aber durch das stetige Rauschen des Verkehrslärms kann das Wäldchen diese Funktion heute nicht mehr erfüllen. Und wird es in Zukunft noch weniger, wenn der geplante Ausbau der A4 erfolgen sollte.
Eingezwängt zwischen Autobahn und S-Bahnstrecke: Das Gremberger Wäldchen. Der geplante Ausbau der A4 gefährdet die Gedenkstätte, Karte: OpenStreetMap
Mittendrin liegt die „Gedenkstätte Gremberger Wäldchen“. Diese Gedenkstätte erinnert an osteuropäische Zwangsarbeit*innen, die hier zwischen 1941 und 1945 von den nationalsozialistischen Machthabern ermordet wurden.
Eher unscheinbare Gedenkstätte
Eingefasst von einem Jägerzaun erscheint das Gelände zunächst wie ein kleiner Friedhof mitten im Wald. Am Eingang erklärt eine Tafel, aufgestellt von der Stadt Köln, dass es sich um eine Gedenkstätte handelt.
Die NS-Gedenkstätte im Gremberger Wäldchen, Bild: Uli Kievernagel
Auf dem Gelände befindet sich ein knapp zwei Meter hoher Findling mit kyrillischer Inschrift. Wer diesen Findling aufgestellt hat, ist bis heute nicht bekannt.1Kölner Stadt-Anzeiger: Kölns geheimnisvollste Orte vom 4. Februar 2019, https://www.ksta.de/koeln/das-sind-koelns-geheimnisvollste-orte-sote-239029, abgerufen am 15. März 2024 Kurz nach dem Krieg stand der Stein auf einmal dort. Und ohne russische Sprachkenntnisse war auch die Inschrift nicht zu lesen.
Erst 1985 wurde auf Initiative der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes eine Steintafel mit der Übersetzung der kyrillischen Inschrift des Findlings am Eingang aufgestellt:
Die Inschrift der Platte ist eine Übersetzung des kyrillschen Texts auf dem Findling, Bild: Uli Kievernagel
Der Text auf Steintafel lautet:
„Hier sind 74 sowjetische Bürger begraben, die während ihrer Gefangenschaft unter dem Faschismus in den Jahren 1941 bis 1945 ermordet wurden.“
An dieser Steintafel am Eingang ist auf einem Sockel ein Relief angebracht. Dieses Relief zeigt das Keramikrelief „Trauernde Eltern“ des Künstlers Klaus Balke. Ursprünglich war dieses Relief aus Bronze gefertigt. Allerdings wurde diese Bronzeplastik im Jahr 2020 gestohlen und im Januar 2022 durch das motivgleiche Relief aus Keramik ersetzt.
Auf dem Sockel ist ein Zitat aus der „Kriegsfibel“ von Bertolt Brecht angebracht:
„Und alles Mitleid, Frau, nenn ich gelogen,
das sich nicht wandelt in den roten Zorn,
der nicht mehr ruht, bis endlich ausgezogen,
dem Fleisch der Menschheit dieser alte Dorn.“
Das Relief „Trauernde Eltern“ von Klaus Balke, Bild: Uli Kievernagel
Krankensammellager als Sterbeort
Die Gedenkstätte zeigt nicht annähernd, welches unvorstellbare Grauen sich hier ereignet hat. In der Nähe der Gedenkstätte befand sich von Anfang der 1940er Jahre bis 1945 ein Krankensammellager. Hier wurden kranke Menschen und Schwangere, die als Zwangsarbeiter in Köln arbeiten mussten, dem Sterben überlassen. Insbesondere an Tuberkulose erkrankte Menschen starben hier einen unwürdigen Tod.
Diese Menschen wurden auf dem „Slawenfeld“ (Westfriedhof) verscharrt, da gemäß der NS-Ideologie die als „Untermenschen“ bezeichneten Slawen nicht zusammen mit den Toten der vermeintlichen „Herrenrasse“ begraben werden durften.
Der Tag des Grauens am 8. April 1945
Die Amerikaner erreichen am 5. März 1945 Köln und besetzen die linksrheinischen Stadtteile. Erst Wochen später erfolgt die Besetzung des rechtsrheinischen Kölns. In dieser Zeit versuchen die Nationalsozialisten alle Spuren ihrer Gräueltaten zu verwischen und räumen auch das Lager im Gremberger Wäldchen am 8. April 1945 wegen angeblicher „Seuchengefahr“.
Ein Mob aus NS-Funktionären, Männern aus dem Volkssturm und der Hitlerjugend feuerte wahllos in die Baracken. Akten der britischen Armee belegen, dass ein 17-Jähriger Hitlerjunge direkt unter Krankenbetten Feuer legte. Ein Gleichaltriger tötete Häftlinge des Lagers durch Genickschuss.
Dem Massaker fielen unzählige Menschen zum Opfer. Es ist davon auszugehen, dass diese an Ort und Stelle verscharrt wurden. Exakte Zahlen zu den Opfern liegen nicht vor. Erst am 12. April 1945 befreiten die Amerikaner die Überlebenden.
Obwohl britische Behörden die deutschen Strafverfolgungsbehörden später über die Gräueltaten informierten, wurden diese Täter nie verfolgt, es wurde noch nicht einmal ein Aktenzeichen angelegt.3Kölner Stadt-Anzeiger: Kölns geheimnisvollste Orte vom 4. Februar 2019, https://www.ksta.de/koeln/das-sind-koelns-geheimnisvollste-orte-sote-239029, abgerufen am 15. März 2024 Gebhard Aders, ehemaliger Leiter des Porzer Stadtarchivs, hatte nach intensiven Recherchen die Namen von zwei Tätern ermitteln können. Allerdings waren beide kurz zuvor gestorben. So sind diese Taten bis heute ungesühnt.
In der 1960er Jahren von Kindern als Spielplatz genutzt
Uwe Zinnow hat als Kind im Gremberger Wäldchen gespielt und kennt daher die Lage des Krankensammellagers:
„Das eigentliche Lager befand sich parallel zur Autobahn. Unmittelbar vor der Autobahnbrücke (Überführung Gremberger Ring) rechts den Weg rein. Links kurz vor dem Abhang zur Autobahn befindet sich noch der kleine Tiefbunker der Wachmannschaft. Als Kinder haben wir dort Ende der 60er Jahre unser „Räuberlager“ gehabt ohne den geschichtlichen Hintergrund zu wissen. Auf dem Weg lag überall Holzkohle, worüber wir uns damals schon wunderten. Es waren die Reste der Holzbaracken.“
Der Geograph Dr. Dietmar Hermsdörfer zeigt auf seinen Website verschiedene Karten, die „Köln im Wandel“ zeigen. Er hat dieses Bild rausgesucht, welches die Lage des Lagers zeigt:
Auf einem Bild aus dem Jahr 1951 sind in der Mitte noch die Reste des Barackenlagers zu erkennen. Die heutige Gedenkstätte liegt links davon. Gut zu erkennen: links unten die Eisenbahnbrücken über die A4 und rechts unten das Autobahn-Kreuz Gremberg. Bild: Geobasis NRW, Urheber: Hansa Luftbild AG, Eigentümer: Landesarchiv NRW, Bestand: RW0230
Seit Juni 2024 besteht Denkmalschutz
Zurzeit laufen die Planungen, die A4 zu verbreitern, auf Hochtouren. Ab etwa 2030 soll es auch am Gremberger Wäldchen mit den Bauarbeiten losgehen. Das Krankensammellager wurde am 27. Juni 2024 wurde offiziell als Bodendenkmal Nr. 506 unter Denkmalschutz gestellt.4Quelle: „Schutz des Bodendenkmals im Gremberger Wäldchen“ vom 22.01.2025, https://a4plus.koeln/aktuelles/schutz-des-bodendenkmals-im-gremberger-waldchen, abgerufen am 27.05.2025 und bleibt somit verschont. Die Autobahn GmbH des Bundes informiert dazu:
„Das Bodendenkmal wird vom geplanten 8-spurigen Ausbau der A4 nicht beeinträchtigt. Bereits die für die Bauaktivitäten benötigten Flächen und Baustraßen werden so geplant, dass diese den Bereich des Bodendenkmals nicht beanspruchen.“5Quelle: „Schutz des Bodendenkmals im Gremberger Wäldchen“ vom 22.01.2025, https://a4plus.koeln/aktuelles/schutz-des-bodendenkmals-im-gremberger-waldchen, abgerufen am 27.05.2025
Kein Kölner Stadtteil liegt näher an Italien: Libur ist das südlichste Veedel der Stadt.
Der kleine Stadtteil Libur ist Kölns Veedel der Rekorde:
Libur ist der, gemessen an der Zahl der Einwohner, kleinste Stadtteil Kölns. Stand 31. Dezember 2022 gab es genau 1.145 Liburer.
Libur hat auch niedrigste Bevölkerungsdichte innerhalb Kölns: Hier leben gerade einmal 180 Einwohner je Quadratkilometer. Zum Vergleich: In Köln leben, im Durchschnitt über alle Veedel, die Menschen etwa 15x so gedrängt. Es sind exakt 2.679 Einwohner je Quadratkilometer. Noch krasser wird der Unterschied, wenn man sich enge Südstadt ansieht: Hier leben auf einem Quadratkilometer mehr als 13.000 Menschen.
Kein Kölner Stadtteil liegt näher an Italien: Libur ist das südlichste Veedel der Stadt.
Vielleicht sind das auch die Gründe, warum in Libur nachweislich die glücklichsten Kölner leben.
Haus am Grabhügel
Die Gegend um Libur wurde bereits vor sehr langer Zeit besiedelt. Eine dort gefundene Axt lässt vermuten, dass es dort bereits in der Jungsteinzeit (circa 5.500 – 4.900 v. Chr.) eine erste Siedlung der sogenannten „Bandkeramiker“1Die Bandkeramik bzw. bandkeramische Kultur ist die erste auf Ackerbau und Viehzucht basierende Kultur der Jungsteinzeit mit Verbreitungsgebieten in ganz Mitteleuropa. Der Name „Bandkeramiker“ bezieht sich auf die bandartigen Verzierungen auf ihren Tongefäßen. gab.
Ausschnitt aus der „Karte der politischen und administrativen Eintheilung der heutigen preussischen Rheinprovinz für das Jahr 1789“, hier ist Libur noch als „Liebour“ verzeichnet. Bild: Wilhelm Fabricius
Der erste schriftliche Nachweis stammt aus dem Jahr 1183. In einer Sammlung von Wunderberichten wird die Ortschaft „villula lebure“ erwähnt. In späteren Aufzeichnungen lautet der Name „Lebur“. Weitere Schreibweisen lauten Liebour und Liebuire. Die erste Silbe „Le“ im Althochdeutschen könnte „Obdach“ bedeuten, „bûr“ bezeichnet ein kleines Haus. Eine andere Interpretation geht davon aus, dass sich die erste Silbe auf „Leo“, einen Grabhügel bezieht. Zusammen mit „bûr“ könnte das „Haus am Grabhügel“ bedeuten.
Schon seit dem Mittelalter gehörte Libur zum Herzogtum Berg. Während der französischen Besatzung des Rheinlands (von 1794 bis 1814/15) war Libur Teil des Grand-Duché de Berg et de Clèves2Die französische Bezeichnung für das Großherzogtum Berg., anschließend wurde es Teil der Preußischen Rheinprovinz. 1929 erfolgte die Eingemeindung nach Porz. Durch das von den Porzern so ungeliebte „Köln-Gesetz“ wurde auch Libur 1975 Teil der Stadt Köln.
Eigenständiger, dörflicher Charakter
Libur hat bis heute sein dörfliches Erscheinungsbild erhalten. Das liegt auch daran, dass Libur eher isoliert liegt und daher nicht mit den Nachbargemeinden, z.B. Lind oder Wahn, zusammengewachsen ist. So beschreibt auch die Stadt Köln Libur als „Weiler mit achteckigem Ortskern, auf den zahlreiche Straßen von den umliegenden Dörfern zulaufen. … Das immer noch etwas abgeschiedene Libur inmitten agrarisch genutzter Flächen hat noch einen Gutteil seines ländlichen Charakters bewahrt.“
Typische Backsteinbauten in der Pastor-Huthmacher-Straße in Köln-Libur, Bild: Franz-Josef Knöchel, Landschaftsverband Rheinland / CC BY 4.0
Diese Abgeschiedenheit hat Libur zwar den eigenständigen, dörflichen Charakter gesichert, gleichzeitig ist die aber die Verkehrsanbindung des Ortes eher schlecht – es gibt gerade eine Buslinie. Trotzdem gibt es Verkehrslärm in Libur: Je nach Wind und Abflugrouten sind die startenden Flieger des nah gelegenen Flughafens Köln/Bonn leider gut zu hören.
Tausende Sprenggranten in der Liburer „Schullekul“
Im März 1957 stand das ruhige Libur auf einmal im Zentrum des Interesses. Der Kölner-Stadt-Anzeiger hatte berichtet, dass „… Schulkinder erzählt hätten, sie würden aus dem Teich Handgranaten, Flak- und Panzergeschosse herausholen, sie zerlegen, weiße Säckchen mit Pulver hervorholen und diese in der Abenddämmerung anzünden.“
Mit „dem Teich“ war der Liburer Löschteich gemeint. Dieser lag neben der Volksschule und wurde daher nur „Schullekul“ genannt. Es war zwar in Libur ein offenes Geheimnis, dass Wehrmachtssoldaten, kurz bevor die Amerikaner einrückten, ihre Spuren verwischten und die Waffen kurzerhand in dem Löschteich versenkten. Aber es gab keinerlei Aufzeichnung, wie viele und welche Waffen dort entsorgt wurden.
Der ehemalige Feuerlöschteich Schullekul wurde Ende der 1950er in einen Bolzplatz umgewandelt. Bild: Jotpe, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Tatsächlich handelte es sich bei der Schullekul um ein stinkendes, modriges Gewässer, welches – unabhängig vom Fund der Kampfmittel – saniert werden sollte. Nur wollte weder die Porzer Stadtverwaltung noch die Bezirksregierung die Verantwortung und somit die Kosten dafür übernehmen. Erst mit dem Artikel im Stadt-Anzeiger und der somit öffentlich gewordenen Gefährdung der Dorfjugend kam Bewegung in die Angelegenheit und es wurde ein Dringlichkeitsbeschluss gefasst: Die Schullekul wurde ausgepumpt und die Kampfmittel-Räumer machten große Augen. Immerhin wurden
522 Sprenggranten
692 Infanterie-Patronen
121 Stielhandgranaten
14 Gewehre
6 Maschinengewehre
sowie weitere diverse „Granaten und weitere Munition“ aus dem schlammigen Gewässer geborgen. Der Teich verschwand und an der Stelle ist heute ein Sportplatz zu finden.
Viel Land – wenig Menschen: Das dörfliche Libur. Bild: aachim3, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
Veedels-Check: Libur auf Platz 1
Heute ist Libur ganz vorne in Kölle: Im Veedels-Check des Kölner-Stadt-Anzeigers3aus dem Jahr 2018 machte Libur das Rennen und landete auf dem ersten Platz aller kölschen Veedel. Fast 80% der Bewohner gaben an, nicht aus Libur weg ziehen zu wollen. Dabei spielt auch der „kölsche Veedelscharakter“ des Dorfes eine Rolle: Auf die Frage, wie kölsch Libur ist, landete das kleine Libur auf Platz acht von allen 86 Kölner Stadtteilen.
Kleiner Wermutstropfen: Selbst die eingefleischten Libur-Fans bemängeln die fehlenden Einkaufsmöglichkeiten und die eher schlechte Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr.
Aber das machen Initiativen wie der „JunggesellenvereinLibur“, der Weihnachtsbasar der Katholischen Frauengemeinschaft und das Straßenfest „Der längste Desch vun Libur“ wieder wett. Und auch im Karneval pflegt das „Rekord-Dorf“ Libur eine ganz besonderen Tradition: Hier stehen die Jecken am Straßenrand und werfen Kamelle für die Pänz, die im Zoch mitgehen.
Also noch ein weiterer Rekord:
In Libur gibt es den „verkehrtesten“ Karnevalszoch von ganz Köln.
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