
Es war am 14. April 1912 gegen 23:40 Uhr, als Alfred Nourney an Bord der Titanic bemerkt, dass der Whisky in seinem Glas ein wenig schwankt. Viele Menschen um ihn herum bekommen den kleinen Stoß nicht mit. Dabei hat das damals modernste Schiff der Welt soeben einen Eisberg gerammt. Und damit sein Schicksal besiegelt. Zwei Stunden und 40 Minuten später versank der Ozeanriese in den eisigen Fluten des Atlantiks.
Bei dem Unglück kamen 1.514 Passagiere ums Leben. 712 Menschen überlebten das Unglück, unter Ihnen der Kölner Alfred Nourney, der unter dem Pseudonym „Baron Alfred von Drachstedt“ reiste.
Fahrt nach Amerika, um Ehre zu retten
Alfred Nourney, geboren am 26. Februar 1892 stammte aus einer reichen Kölner Weinhändlerfamilie. Schon sehr früh begeisterte sich der technikverliebte Junge für die Fliegerei. So berichtet der Kölner Lokal-Anzeiger vom 22. Januar 1912: “… Sodann bestieg einer seiner Kölner Schüler, Alfred Nourney, den Aeroplan, nahm die Kurven sehr kurz und schnell und landete im Gleitflug. …“.

Und auch sonst lebte Nourney anscheinend eher im Gleitflug, denn seine Reise mit der Titanic trat der junge Draufgänger nicht ganz freiwillig an: Angeblich soll er ein Hausmädchen der Nourneys geschwängert haben. Um ihn aus der „Schusslinie“ zu bringen, soll Alfred vorübergehend bei der amerikanischen Verwandtschaft untergebracht werden.
Doch der junge Hallodri macht aus der Pflicht eine Tugend. Kaum hatte er in Cherbourg auf dem luxuriösen Dampfer eingecheckt, gönnte er sich ein Upgrade auf die 1. Klasse und nennt sich fortan „Baron Alfred von Drachstedt“, wohl um besser in die feine Gesellschaft der 1. Klasse zu passen. Und unter den Millionären fühlte sich der junge Kölner pudelwohl. So telegraphierte er von Bord aus einen Tag vor dem Unglück an seine Mutter:
„Liebe Mutter – Ich bin so glücklich auf meiner ersten Klasse! Ich kenne schon sehr nette Leute! Einen Brillantenkönig! Mister Astor einer der reichsten Amerikaner ist an Bord! Tausend Küsse – Alfred.“
Außerdem schickt er ein weiteres Telegramm an ein gewisses „Fräulein Jarkonska“ in Köln, Rothgerberbach, „Drahtlosen Kuss, in Liebe Alfred.“ Vermutlich handelte es sich dabei um jene Dame, wegen der er Europa verlassen musste.

Neugierde rettet sein Leben
Alfred erkundet voller Begeisterung das Schiff und dringt dabei auch in Räume vor, die eigentlich der Besatzung vorbehalten sind. So entdeckte er auch eine kleine eiserne Wendeltreppe, die von der Kommandobrücke über alle Decks bis fast zum Kiel der Titanic führte. Diese Entdeckung sollte ihm später das Leben retten.
Am Tag des Unglücks selber dinierte der junge Nourney zunächst im Speisesaal der 1. Klasse, um danach im Rauchersalon bei ein paar Whisky mit seinen neuen Bekannten eine Runde Bridge zu spielen. Als es um 23.40 Uhr leicht rumpelt, werden die Gespräche zunächst etwas leiser, doch keiner ahnt, in welcher Gefahr sich die Menschen an Bord befinden. Die Maschinen liefen genauso weiter wie nur Augenblicke später die Gespräche der Upper Class-Passagiere.
Doch Alfred Nourney hat ein ungutes Gefühl. Er eilt in seine Kabine, holt seinen Mantel und inspizierte das Deck des großen Schiffs. Dort entdeckt er zwar Eisbrocken auf dem menschenleeren Deck, aber sonst keine weiteren Unregelmäßigkeiten. Bis wenig später die Maschinen aussetzen.
Jetzt schrillen die Alarmglocken und Nourney will zurück ins Schiff, doch die Türen sind verschlossen. Dann erinnert er sich an die kleine eiserne Wendeltreppe, die er bei seinen Streifzügen entdeckt hat. Er geht diese Treppe hinunter und stellt fest, dass bereits Wasser in das Schiff eingedrungen ist.
Warnung verhallt ungehört
Schnell eilt er zurück in der Rauchersalon, um die anderen Passagiere zu warnen. Doch die sind wenig beeindruckt von dem aufgeregten „Baron von Drachstedt“. Ein Amerikaner meint nur, dass wahrscheinlich lediglich ein Rohr geplatzt sei – „Oh – it doesn´t matter.“ Doch damit liegt er gänzlich falsch.
Zurück auf dem Deck stellt Nourney fest, dass die Rettungsboote klargemacht werden. Ganz Pragmatiker geht er zunächst zur Küche, um sich mit Whisky und Sandwiches einzudecken, bevor er – nach eigener Aussage – den Matrosen hilft, Passagiere auf die Rettungsboote zu bringen. Dann bricht, so Nourney, Panik aus und Schüsse fallen. In dem folgenden Chaos, so Nourney, wird er mitgerissen und kann sich gerade noch so an einem der Boote festhalten. Dieses wird, noch nicht einmal voll besetzt, um 0:45 Uhr zu Wasser gelassen.
Noch Jahrzehnte später kann sich Alfred Nourney an den Untergang des Luxusliners erinnern:
„Als die Titanic nun wirklich sank, das dauerte eine ganze Weile. Das donnerte – rrrrummms – als sie sich auf den Kopf setzte. Und weg war sie. Und dann kam die schlimmste Zeit, es sind ja, na etwa tausend Leute mit dem Sog runter, dann trieben die in dem eiskalten Wasser und schrien um Hilfe. Und das war wie ein – huuuuuuu – wie ein Sirenenton, dieses Schreien. Und dieser Todesschrei, dieser Notschrei von tausend Menschen, kreischend, das war ein Akkord wie ein Sirenenton, grauenhaft, und dieses Schreien hat über eine Stunde gedauert.“1Quelle: Deutschlandfunk Kultur, „Ein religiös verwerteter Untergang“ von Andreas Malessa, 14.04.2012, https://www.deutschlandfunkkultur.de/ein-religioes-verwerteter-untergang-100.html, abgerufen am 8. Mai 2022
Überwältigt von den Eindrücken und den Strapazen schlief Alfred Nourney auf dem Rettungsboot ein, welches um 5:10 Uhr von dem Dampfer „Carpathia“, welches als erstes am Unglücksort erscheint, aufgenommen wird.

Einzelne Quellen behaupten, dass sich Nourney an Bord der Carpathia wenig dankbar verhalten habe. So soll er angeblich einen ganzen Stapel Decken, der unter den frierenden Passgieren verteilt werden sollte, alleine für sich in Anspruch genommen haben.2Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger,
Ein Kölner überlebt das Titanic-Unglück vom 13.01.2012, https://www.ksta.de/redaktion/erlebnisbericht-der-koelner-alfred-nourney-ueberlebt-das-titanic-unglueck-237858, abgerufen am 20.05.2022
Auch scheinen seine materiellen Verluste doch stark übertrieben zu sein. So gibt er gegenüber der White Star Linie, der Betreibergesellschaft der Titanic, an, Verluste im Wert von zigtausend Dollar erlitten zu haben. Darunter acht Anzüge, zwei Abendanzüge, zwei Jagdanzüge, vier Mäntel, 40 Oberhemden, 15 Schlafanzüge, 14 Paar Schuhe, 10 Sets von Unterwäsche, 40 Kragen, zehn Paar Handschuhe, 120 Krawatten, 50 Taschentücher, einen Diamantring, mit Edelsteinen besetzte Manschettenknöpfe, zwei silberne Zigarettenetuis und eine silberne Haarbürste.
Grab auf Melaten
Die Carpathia lief am Abend des 18. April 1912 in New York ein. Nur wenige Wochen später kehrte Nourney wieder zurück nach Europa. Er lebte in Frankreich und Spanien, allerdings ohne die noch an Bord der Titanic so schrecklich vermisste „Fräulein Jarkonska“ vom Rothgerberbach.

Stattdessen vertreibt er sich die Zeit mit Autorennen, heiratet später eine andere Dame, bekommt mit ihr zwei Töchter und lässt sich in Bad Honnef nieder. Er arbeitet als Vertreter für Mercedes Benz und engagiert sich stark im örtlichen Tennisclub.
Alfred Nourney, der als junger Mann den Untergang der Titanic überlebt hat, stirbt am 15. November 1972 im Alter von 80 Jahren. Er wird auf Melaten beigesetzt, dort besitzt die Familie Nourney eine repräsentative Grabstätte.

Bild: Grünwald, Katharina, Landschaftsverband Rheinland, CC-BY
Grabstätte der Familie Nourney
Eine detaillierte Beschreibung der großen Nourney-Grabstätte auf dem Melatenfriedhof haben Katharina Grünwald und Franz-Josef Knöchel auf dem Portal KuLaDig – Kultur. Landschaft. Digital. veröffentlicht.
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