Es war typischer Nazi-Jargon, den die Fachzeitschrift „Illustrierter Rad-Rennsport“ im Juli 1934 veröffentlichte:
„Was sich vor unseren Augen abspielt ist das Emporfliegen eines Adlers zum Licht des Erfolgs. Auf seinen Flügeln trägt er Ruf und Ruhm des Landes, das er sein Vaterland nennt, der Stadt, die er Vaterstadt heißt.“
Adler – Vaterland – Ruhm. So etwas gefällt den braunen Machthabern. Was ihnen nicht gefallen haben dürfte: Der in diesem Text geehrte Albert Richter trägt kein Hakenkreuz auf seinem Trikot, verweigert bei Siegerehrungen den Hitlergruß und lässt sich von einem Juden managen.
Ein Ausnahmetalent im Radsport
Albert Richter war ein extrem erfolgreicher Kölner Radrennsportler. Geboren am 14. Oktober 1912 im proletarischen Ehrenfeld gewann Richter mehrfach den „Grand Prix de Paris“, wurde Amateur-Weltmeister, mehrfacher Deutscher Meister und gewann den „Großen Preis der Nationen“ sowie den „Großen Preis von Berlin“.
Dabei war seine Begeisterung für den Radsport dem Vater ein Dorn im Auge. Kein Wunder: Kaum ein Sport war so verletzungsanfällig. Daher trainierte Richter heimlich und versteckte die ersten Pokale im heimischen Elternhaus in der Sömmeringstraße 72 unter dem Bett.
Den sportlichen Durchbruch schafft er mit gerade mal 19 Jahren und wird Weltmeister der Amateur-Sprinter – der Beginn einer großen Radsport-Karriere. Noch im Jahr 1932 wechselt der talentierte Radrennfahrer in den Profi-Bereich und fährt auch hier in die Weltspitze.
Der Antifaschist Richter verweigert den Hitlergruß
Nach der Machtergreifung Hitlers spürte Richter den wachsenden Gegenwind. Sein Wechsel in den Profibereich wurde kritisiert. Sport hatte, nach nationalsozialistischer Ideologie, zur Wehrertüchtigung zu dienen. Das Idol der Nazis war ein Amateur, der seinen Sport zum Wohle des Vaterlands und nicht gegen Geld ausübte.
Noch kritischer aber war seine offensichtliche judenfreundliche Gesinnung. Sein Trainer, Manager und väterlicher Freund Ernst Berliner war Jude. Aber Richter hielt an seinem Trainer fest, auch als dieser 1937 in die Niederlande flüchtete. So trat Albert Richter gemeinsam mit seinem jüdischen Trainer 1938 bei der Bahn-Weltmeisterschaft in Amsterdam auf.
Trotzdem – oder gerade deswegen – versuchte die Gestapo mehrfach, Richter als Spitzel zu gewinnen. Dieser lehnte ab: „Ich habe im Ausland nur Freunde. Ich kann derartiges nicht tun.“ Tatsächlich lebte Richter lange in Paris. In der internationalen Radsport-Szene hatte er enge Freunde, darunter den Belgier Jef Scherens und den Franzosen Louis Gérardin. Gemeinsam mit Richter traten diese als „Die drei Musketiere“ bei den Radrennen auf.
Richter will aus Nazi-Deutschland fliehen
Als im September 1939 der Krieg ausbricht, will Albert Richter emigrieren. Es ist für ihn unmöglich, gegen Franzosen zu kämpfen: „Ich bin ein Deutscher, aber für Deutschland kann ich nicht kämpfen, wenn es sich gegen Frankreich wendet. Ich gehe nach Frankreich, nicht um mich der Wehrpflicht zu entziehen, sondern um nicht auf Menschen schießen zu müssen, die ich liebe, die mich lieben und denen ich so viel zu verdanken habe.“
Sein letztes Rennen fährt der Ausnahmesportler am 9. September 1939 – er gewinnt den „Großen Preis von Berlin“. Danach will er nur noch weg aus Nazi-Deutschland. Mit seinem Rad steigt er Silvester 1939 in einem Zug nach Basel. Fatal: Richter schmuggelt in den Reifen des Fahrrads versteckt 12.700 Reichsmark. Dabei handelt es sich nicht um sein eigenes Geld, sondern um Geld eines jüdischen Textilhändlers, welches Richter diesem in der Schweiz übergeben will. Doch dazu kommt es nicht mehr.
Bei einer vermeintlichen Routinekontrolle in Weil am Rhein wird das versteckte Geld gefunden. Es ist davon auszugehen, dass die Gestapo einen Tipp aus dem näheren Umfeld Richters erhalten hat. Richter wird verhaftet und in Lörrach inhaftiert.
Zwei Tage später erfährt die Familie von der Verhaftung. Sein Bruder Josef macht sich schnellstmöglich auf dem Weg nach Lörrach. Zu spät: In der Zelle findet Josef Richter nur noch die Leiche des Bruders. Offiziell heißt es zunächst „Selbstmord“, dann „Skiunfall“ und dann „auf der Flucht erschossen“. Es kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass nichts davon stimmt und Albert Richter von der Gestapo ermordet wurde.
Nazis wollen vergeblich Gedenken an Richter verhindern
Dem Nazi-Hetzblatt „Der Völkische Beobachter“ war der Tod des Radsportidols nur die Meldung „Heute rot – morgen tot.“ wert. Auch der gleichgeschaltete Radsport reagierte im Magazin „Deutsche Radfahrer“ prompt: „Sein Name ist für alle Zeiten in unseren Reihen gelöscht.“. Doch hier irrte die braune Propaganda.
In der DDR wurde ein Kinderheim nach ihm benannt, zwei Radrennbahnen trugen seinen Namen und 1965 gab es eine Albert-Richter-Sonderbriefmarke.
Die Bundesrepublik tat sich wesentlich schwerer mit dem Gedenken. Im Jahr 1966 erstatte Ernst Berliner, der Trainer und Freund Richters, Anzeige gegen unbekannt im Zusammenhang mit Richters Tod. Das Verfahren wurde allerdings bereits 1967 ohne Ergebnis eingestellt.
Erst mit ihren Recherchen zu ihrer 1998 veröffentlichten Richter-Biografie „Der vergessene Weltmeister“ sorgte die Historikerin und Journalistin Renate Franz dafür, dass Richter als Sportler wieder wahrgenommen wurde. Bereits seit 1996 trägt die Radrennbahn am Stadion seine Namen. Dort findet sich eine Bronzetafel mit der Inschrift „Zum Gedenken an Albert Richter – Opfer nationalsozialistischer Unmenschlichkeit“.
Die lebendigste Erinnerung an den Ausnahmesportler ist aber das jährliche Radrennen ihm zu Ehren. Start ist an der Sömmeringstraße in Ehrenfeld, wo Albert Richter aufwuchs.
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