Der Weihnachtsfrieden von 1914

Eine Darstellung des Weihnachtsfriedens von 1914, veröffentlicht auf der Titelseite der Illustrated London News am 9. Januar 1915. Bild: Frederic Villiers, Public domain, via Wikimedia Commons
Eine Darstellung des Weihnachtsfriedens von 1914, veröffentlicht auf der Titelseite der Illustrated London News am 9. Januar 1915. 

Der Weihnachtsfrieden von 1914
von Irene Geuer 

 

Die allerschönste Weihnachtsgeschichte spielt nicht weit von hier, in Flandern. Und doch müssen wir lange reisen, um sie zu erleben: 110 Jahre in die Vergangenheit

Es ist der 24. Dezember 1914. Eine sternenklare Nacht, bitterkalt. Der große Krieg dauert nun schon fünf Monate. Unglaublich.  Der Kaiser hatte versprochen, dass sie wieder zurück sein werden, ehe die ersten Blätter fallen und jetzt liegt Schnee in der Luft und dieser Krieg will nicht vorangehen.

Die Soldaten auf deutscher und alliierter Seite haben Schützengräben ausgehoben und sich in eine nicht enden wollende Stellung gebracht. Kriegsstarre und doch sterben jeden Tag Männer auf beiden Seiten. Da das Grundwasser in dieser Gegend sehr hoch liegt braucht es nicht lange, bis alle Soldaten in den Gräben nasse Füße haben und durch den Matsch waten. Wer stolpert und fällt hat ein echtes Problem.

Ein klappbarer Weihnachtsbaum, geeignet, um mit der Feldpost verschickt zu werden. Bild: Nightflyer, CC0, via Wikimedia Commons
Ein klappbarer Weihnachtsbaum, geeignet, um mit der Feldpost verschickt zu werden. Bild: Nightflyer, CC0, via Wikimedia Commons

Weihnachtsbaum auf dem Wall

Es ist also schon dunkel an diesem 24. Dezember. Plötzlich fallen Schüsse. Die Briten eröffnen das Feuer, aufgeschreckt durch Licht auf der gegenüberliegenden Seite. Doch dann reiben sich die Tommis ungläubig sich die Augen. Da steht ein Weihnachtsbaum mit Kerzen auf dem Wall des deutschen Schützengrabens. Klein aber unverkennbar, ein Geschenk von zu Hause.

Noch ist dieser Krieg keiner, der den Hunger im Gepäck hat. Die Feldpost hat Dosenfleisch, Kekse, Tabak und kleine Geschenke gebracht. Briefe von der liebsten und den Eltern. Die deutschen Soldaten singen „Stille Nacht“.

Dann passiert es: Einer der britischen Soldaten krabbelt aus dem Schützengraben, die Arme erhoben in einer Hand Zigaretten und Streichhölzer und er singt „Silent Night“, die Melodien werden eins. Und doch so ein Mut wie er sich das traut. Ein Schuss hätte genügt. Doch er geht weiter, Schritt für Schritt. Dieses Mal reiben sich die Deutschen die Augen. Da steht der Tommy im Niemandsland und schaut erwartungsvoll herüber.

Soldaten reichen sich die Hände

Und dann, einer nach dem anderen, krabbelt wie der Brite zuvor, aus dem Graben. Immer mehr sind es auf beiden Seiten. Sie reichen sich die Hände und sie versuchen sich in der jeweils anderen Sprache „Frohe Weihnachten“ zu wünschen. Die Briten werden von einem „rusty german“, einem „rostigen Deutsch“ erzählen, dass sie noch irgendwo im Gedächtnis auftreiben.

Britische und deutsche Truppenangehörige treffen sich während des inoffizellen Weihnachtsfriedens im Niemandsland. Bild: Robson Harold B, Public domain, via Wikimedia Commons
Britische und deutsche Truppenangehörige treffen sich während des inoffizellen Weihnachtsfriedens im Niemandsland. Bild: Robson Harold B, Public domain, via Wikimedia Commons

Sie werden zusammen ihre Toten in diesem Niemandsland begraben. Sie stellen ihre Laternen auf die Wälle zu Lichterketten. Die Tommis laden die Fritzen ein, ihren Schützengraben zu besuchen und siehe da kein Unterschied: Schlamm, Gewehre und die obligatorischen Mädchenbilder an den Wänden. Männer sind alle gleich.

Das Schlachtfeld wird zum Fußballfeld

Während anderswo weiter beschossen und getötet wird, gibt es hier an diesem Frontabschnitt ein weiteres Wunder. Ein Schotte zeigt den Deutschen nicht nur, was er tatsächlich unter seinem Kilt trägt. Er hat auch einen Lederfußball dabei. „Wir nahmen unsere Mützen als Torpfosten.“ wird der Brite Jake Turner zwei Tage später seiner Familie schreiben und später wird er Fotos von dem Fußballspiel schicken, die ein Kamerad von Turner geschossen hat.

Das Schlachtfeld wird zum Fußballfeld und die Bilder zeigen fröhliche Gesichter und junge Männer, denen so mancher Knopf an der Uniform fehlt – Tauschobjekt und Freundschaftsbeweis. Adressen werden ausgetauscht, Fotos von der Verlobten gezeigt. Die Briten schicken Christmas Pudding rüber, den die Deutschen als „Serviettenkloß“ identifizieren. Schnaps wird rum gereicht.

Diese Skulptur in Mesen, Belgien, erinnert an den Weihnachtsfrieden von 1914. Bild: L'imaginaire, CC0, via Wikimedia Commons
Diese Skulptur in Mesen, Belgien, erinnert an den Weihnachtsfrieden von 1914. Bild: L’imaginaire, CC0, via Wikimedia Commons

Kriegsgericht und Zuchthaus bei Wiederholung

Mehrere Tage soll dieser Weihnachtsfrieden gedauert haben, dann wird er zutiefst verurteilt. Die Truppen werden ausgetauscht, die Heeresleitungen auf beiden Seiten drohen mit Kriegsgericht und Zuchthaus, sollte sich je so etwas wieder ereignen.

9,5 Millionen Menschen werden in diesen Krieg sterben. Der Überlebende Murdoch M. Wood wird 1930 vor dem britischen Parlament sagen: „Wären wir der damals in Flandern auf uns allein gestellt gewesen, es wäre nie ein weiterer Schuss gefallen.“

Das Fußballspiel endete übrigens mit 3 zu 2 für uns. Den Krieg gewannen die Alliierten.

Erheben wir das Glas auf die Soldaten in Flandern von damals. Auf sich allein gestellt wäre kein weiterer Schuss gefallen.

Frohe Weihnachten!


Dieser Beitrag stammt von Irene Geuer

Ich bin sehr stolz, eine renommierte Gastautorin für dieses „Köln-Ding der Woche“ gewonnen zu haben: Irene Geuer ist freiberufliche Journalistin, Autorin und Moderatorin aus Köln. Sie hat Ethnologie, Politikwissenschaften und Spanisch in Köln studiert und als Moderatorin für diverse Sendungen in öffentlich-rechtlichen Sendern gearbeitet. Sie hat als Hochschuldozentin gearbeitet und schreibt auch Hörspiele.

Vielen ist ihre Stimme aus dem Zeitzeichen des WDR bekannt. Sie wohnt in meiner Nachbarschaft in Köln-Raderberg und teilt meine Liebe zu Köln.

Irene Geuer, Kölner Journalistin, Autorin und Moderatorin, Bild: Geuer
Irene Geuer, Kölner Journalistin, Autorin und Moderatorin, Bild: Geuer

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