Im Köln-Ding der Woche „Kölsche Stadtteile Kalk – Teil 1“ ging es um die Entwicklung Kalks bis zur Verleihung der Stadtrechte im Jahr 1881. Dieser zweite Teil beschreibt die Entwicklung dieses Stadtteils bis heute.
Umbruch im Ersten Weltkrieg
Der Erste Weltkrieg führte ab 1914 zu einer Zäsur in der Entwicklung Kalks. Die Produktion der florierenden Industrie wurde auf kriegswichtige Güter umgestellt. Die Chemische Fabrik Kalk produzierte Sprengstoffe und Munition, die verschiedenen Maschinenbaubetrieben produzierten Rüstungsgüter. In den anderen Betrieben herrschte akuter Rohstoffmangel – die Produktion kam zum Erliegen.
Die Lebensmittelversorgung wurde rationiert, nur durch mobile „Gulaschkanonen“ konnte die Versorgung sichergestellt werden. Der daraus resultierende Unmut der Bevölkerung führte zu Streiks in den Betrieben. Höhepunkt war der 6. Juli 1917. An diesem Tag streikten mehr als 12.000 Arbeitnehmer in Kalk und Deutz. Um die Produktion der kriegswichtigen Güter nicht zu gefährden, erfüllten die Arbeitgeber die Forderungen der Streikenden.
Nach dem Krieg war die Umstellung der Produktion auf zivile Güter schwieriger als gedacht. Rohstoffe waren weiterhin Mangelware. Zusammen mit der hohen Inflation ab 1922 geriet auch in Kalk die Industrie in eine schwere Krise. Die Folge waren Massenarbeitslosigkeit und soziale Unruhen. Erst mit der Einführung der Rentenmarkt im Jahr 1923 und neuen Produktionsmethoden wie Fließbandarbeit erholten sich die Betriebe.
Kalk im Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg
Der Historiker Dr. Fritz Bilz hat sich intensiv mit der Geschichte Kalks beschäftigt und auch, zusammen mit der Geschichtswerkstatt Kalk, verschieden Bücher zu Kalk veröffentlicht.
Bilz verweist auf die vergleichsweise niedrigen Wahlergebnisse für die NSDAP in Kalk. Die klassischen Arbeiterviertel in Kalk, wie z.B. an der Kalk-Mülheimer Straße oder der Vietorstraße wiesen hohe Stimmenanteile der Arbeiterparteien KPD und SPD auf.
Anders, so Bilz, verhielt sich das bei den Unternehmern in Kalk. Diese kooperierten mit den braunen Machthabern und konnten so, auch durch den Einsatz von Zwangsarbeitern, stark profitieren. Wie schon vor dem Ersten Weltkrieg wurden wieder vermehrt Rüstungsgüter produziert. So baute man bei Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) neben Lokomotiven auch Motoren für Panzer und U-Boote.
Durch diese Rüstungsproduktion war Kalk ein Hauptziel der Bombenangriffe auf Köln. Bei einem Angriff in der Nacht vom 3. auf den 4. Juli 1943 wurden große Teile des KHD-Werkes zerstört. Die Bombardierungen zerstörten etwa 90% der Industrieanlagen in Kalk. Die Zivilbevölkerung wurde fast vollständig evakuiert. Bei Kriegsende lebten nur noch etwa 300 Menschen in Kalk.
Volle Auslastung im Wirtschaftswunder
Wie überall mussten nach dem Krieg auch in Kalk zunächst die Trümmer weggeräumt werden. Riesige Schuttmassen wurden abgefahren, so entstand auch der „Vingster Berg“, einer der zahlreichen Trümmerhügel in Köln. Schnell wurde auch wieder mit der Produktion begonnen und die durch Bomben zerstörten Wohnhäuser wieder aufgebaut, um die benötigen Arbeiter unterzubringen.
In den Wirtschaftswunder-Zeiten wuchs Kalk wieder, die Betriebe waren voll ausgelastet. Aus Mangel an einheimischen Arbeitskräften wurden Gastarbeiter angeworben. Der Anteil der Migranten in Kalk stieg, durch günstige Mieten und die vielen Arbeitsplätze, rasch an. Anders als in der Vorkriegszeit waren in Kalk jetzt vorrangig zwei Branchen vertreten: Metallverarbeitende Betriebe und die chemische Industrie.
Auch in Kalk waren in diesen Zeiten die Fragen des Umweltschutzes zweitrangig. So hat die Chemische Fabrik Kalk bis 1972 Abfälle aller Art so lange aufeinander geschüttet, bis der gut 30 Meter hohe Kalkberg entstanden ist. Was genau dabei alles verklappt wurde, kann heute niemand mehr sagen. Der Versuch, auf dem Kalkberg eine Station für Rettungshubschrauber einzurichten ist gescheitert. Aktuell laufen die Bemühungen einer Bürgerinitiative, den Kalkberg als Naherholungsgebiet freizugeben.
Rezession ab Mitte der 1970er, U-Bahnbau Kalker Hauptstraße
Ab etwa der Mitte der 1970er Jahre setzte auch in Kalk eine massive Rezession ein. Betriebe wie die Metallgießerei Peter Stühlen oder die Stahlbaufirma Albert Liesegang wurden Ende der 1970er Jahre geschlossen. KHD baute ab 1983 insgesamt 3.400 Arbeitsplätze ab. 1993 verloren die letzten der ursprünglich 2.400 Beschäftigten bei der Chemischen Fabrik Kalk ihre Arbeitsplätze.
Dieser Niedergang betraf auch den Kalker Einzelhandel – viele Geschäfte mussten schließen. Das Infrastrukturprojekt „U-Bahn-Bau“ auf der Kalker Hauptstraße sorgte dafür, dass die Kalker Hauptstraße bis zur Eröffnung der Strecke im Jahr 1980 über Jahre hinweg eine Großbaustelle war. Der Bau der Strecke verzögerte sich massiv, weil Wasser in die Baugruben drang.
Probleme, die sich in ähnlicher Form bei der Nord-Süd-Stadtbahn etwa 30 Jahre später wiederholen würden und die eine Warnung für den geplanten U-Bahnbau der Ost-West-Strecke am Heumarkt bzw. Neumarkt sein sollten.
Atomschutzbunker in der Haltestelle Kalk-Post
Zusammen mit der U-Bahn wurde auch in der Haltestelle Kalk-Post ein riesiger Bunker angelegt. Dieses, für den „Kalten Krieg“ typische Bauwerk, sollte nach einem Atomangriff fast 2.400 Menschen für 14 Tage Schutz bieten.
Der Kalker Bunker war riesig: Von der U-Bahnhaltestelle sollte ein etwa 75 Meter Gang zu der insgesamt etwa 2.500 Quadratmeter großen Anlage führen. Immerhin eine Fläche so groß wie sechs Turnhallen. Neben dem Kalker Bunker gab es noch eine vergleichbare Anlage im U-Bahnhof Friesenplatz.
Der Vorsitzender der „Kölner Dokumentationsstätte Kalter Krieg“ Robert Schwienbacher weist darauf hin, dass die Nutzung des Bunkers darauf ausgelegt war, dass ein Kriegsgegner seinen Atombombenangriff mindestens 14 Tage vorher ankündigt. Nur dann wäre ausreichend Zeit gewesen, die Betten aufzubauen, Lebensmittel einzulagern und die Öltanks zu befüllen. Und der Bunker hätte auch nur funktionieren können, wenn die Bedienmannschaft der komplexen Anlage rechtzeitig eingetroffen wäre.1„Zivilschutzanlage und Atombunker im U-Bahnhof Kalk Post”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-255072, abgerufen am 30.06.2024
Die Anlage wurde erst im Jahr 2005 offiziell außer Dienst gestellt und ist heute eine Außenstelle des Kölner Festungsmuseums. Eine Besichtigung ist möglich, weitere Infos dazu auf der Website des Kölner Festungsmuseum e.V.,
Vom Industriestandort zum Dienstleistungs- und Verwaltungsstandort
Seit vielen Jahren bestehen massive Anstrengungen, die Attraktivität von Kalk zu erhöhen. Dazu gehören Neubauten wie das große Wohnareal auf dem ehemaligen Gebiet der Chemischen Fabrik Kalk. Um das stark verunreinigte Gelände zu sanieren, unter anderem war der Boden mit Schwefel verseucht, wurde auf etwa 40 Hektar Fläche das gesamte Erdreich abgetragen.
Mit Ansiedlungen wie dem Odysseum, ein Ort für temporäre Ausstellungen, dem Polizeipräsidium am Walter-Pauli-Ring, zahlreichen städtischen Ämtern am Ottmar-Pohl-Platz und auch dem Einkaufszentrum „Köln Arcaden“ auf der Kalker Hauptstraße soll dem Stadtteil eine neue Attraktivität verliehen werden. Dazu gehört auch die im September 2022 eröffnete „Sünner Brauwelt“ im historischen Sünner Brauhaus an der Kalker Hauptstraße. Hier dreht sich alles um Bier und Spirituosen.
Die Stadt hat die ehemalige Hauptverwaltung der Klöckner-Humboldt-Deutz-Werke gekauft. Auf dem weitläufigen Gelände soll eine Mischung aus Kultur, Gewerbe und Wohnen entstehen.
Kalk als Kriminalitätsbrennpunkt
Trotz aller Bemühungen wird Kalk weiterhin als sozialer Brennpunkt bezeichnet. Kriminalität, Drogen, soziale Missstände haben diesem Stadtteil einen zweifelhaften Ruhm eingebracht.
Der Rapper Eko Fresh (Jahrgang 1983) ist auch in Kalk aufgewachsen. Die Situation im Problembezirk Kalk ist regelmäßig Thema seiner Lieder. In seinem Song „Gheddo“ (Eko Fresh feat. Bushido) lautet es:
Eko Fresh Ghetto Chef Junge denn es muß sein, Eko
Köln Kalk Hartz 4 komm in meine Hood rein. Fresh
Komm und guck was es heißt im Block hier zu Wohnen,
Wo man Leben muß von Drogen oder Prostitution.
Seit Oktober 2022 werden Teile von Kalk, genau wie der Bereich um den Dom, die Ringe, der Breslauer Platz, der Ebertplatz, der Neumarkt und der Wiener Platz mit Videokameras überwacht. Die Polizei bezeichnet diese Areale als „ … Kriminalitätsbrennpunkte mit einer Vielzahl an Delikten, deren Anzahl und Qualität sich im Vergleich zum Kölner Stadtgebiet signifikant abheben.“2Quelle: Polizei Köln, Polizeiliche Videobeobachtung in Köln, https://koeln.polizei.nrw/artikel/polizeiliche-videobeobachtung-in-koeln, abgerufen am 22. Juni 2024. Die Videobilder werden von der Polizei rund um die Uhr beobachtet, um sich anbahnende Straftaten frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.
Diese Videoüberwachung ist umstritten. So hat die Initiative „Kameras stoppen“ wiederholt gegen gegen die polizeiliche Videoüberwachung in Kalk geklagt. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln steht zur Zeit3Stand: 3. Juli 2024 noch aus.
Kalker Hauptstraße: „So wie es ist, ist es Mist.“
Aktuell4Stand Juli 2024 wird über die Umgestaltung der Kalker Hauptstraße debattiert. Die Bezirksbürgermeisterin Claudia Greven-Thürmer bezeichnet diese Straße als „Schlagader des Bezirks“ – schon bevor die U-Bahn gebaut wurde. Allerdings, so Greven-Thürmer im Kölner Stadt-Anzeiger5Ausgabe vom 4. Juli 2024: „Aus dem oberirdischen Freiraum nach dem Bau wurde nichts gemacht. Ich sage es ganz offen: Wir hätten schon längst eingreifen müssen. Maßnahmen sind überfällig.“ Das Fazit der Bezirksbürgermeisterin: „So wie es ist, ist es Mist.“
Durch Umgestaltungen wie zum Beispiel eine Einbahnstraßenregelung oder die Neuanordnung der Parkplätze soll mehr Raum für Fußgänger, Radfahrer und auch die Außengastronomie geschaffen werden.
Allerdings ist jetzt zunächst Verwaltung gefragt, einen Entwurf vorzulegen. Dort sind allerdings die Kapazitäten sehr eng. Erst 2025 soll ein Plan vorgelegt werden.
Hoffentlich schaffen das die Planer rechtzeitig – denn sonst droht ihnen, wie schon Tommi in „Voll normaaaal“ lebenslanges Köln-Kalk Verbot.
Büttenredner Karl Küpper betrieb eine Kneipe auf der Kalker Hauptstraße
Der Karneval und das Dritte Reich sind ein dunkles Kapitel. Zu den lobenswerten Ausnahmen gehört der Büttenredner Karl Küpper. Als „Ne Verdötschte“ machte sich Küpper auf Kölns Karnevalsbühnen über die Nazis lustig. Ein Klassiker waren seine Auftritte, die Hand zum Hitlergruß ausgetreckt und die Frage in den Raum „Is et am rääne?“ oder auch „Su huh litt der Dreck bei uns im Keller.“
Gleich zweimal wurde Karl Küpper von den Nazis von den Bühnen verbannt: Zunächst 1939 mit einem ausgesprochenen Auftrittsverbot durch die braunen Machthaber. In der Nachkriegszeit wurde er zum zweiten Mal Opfer der vermeintlichen Eliten. Die alten Nazis, die es in Politik und Gesellschaft wieder zu Ruhm und Ehre gebracht haben, stellten ihn mit einem faktischen Auftrittsverbot kalt. Um Geld zu verdienen, betrieb Karl Küpper von 1960 bis 1970 auf der Kalker Hauptstraße die Kneipe „Küppers Karl“.
Die ganze Geschichte zum „Verdötschten“ gibt es hier:
Is et am rääne? – Büttenredner Karl Küpper
Kalk Kapelle – die Hausband von Fatal Banal
Garantiert „tuschfrei“, gerne mit (lokal-) politischen Seitenhieben und herrlich respektlos wird seit 1992 zunächst im BÜZE / Bürgerzentrum Köln-Ehrenfeld, aktuell in den Abenteuerhallen Kalk, frecher, alternativer Karneval gefeiert.
Die Hausband trägt, nach einer Abstimmung unter den Fans, den Namen „Kalk Kapelle“.
Das Wahrzeichen von Kalk als Bastelbogen
Das gesamte Gelände der Chemischen Fabrik Kalk (CFK) wurde saniert. Übrig blieb nur der im Jahr 1904 errichtete Wasserturm. Mit seinen 43 Meter Höhe ist dieses Backsteinbauwerk zu einem Symbol für Kalk geworden und steht unter Denkmalschutz.
Jens Neuhaus, Jahrgang 1985, lebt in Kalk. Seine Leidenschaft sind Bastelbögen: „Meine Bastelbögen sind eine Liebeserklärung an ebenjene Bauwerke, die den Menschen etwas bedeuten.“ Und so hat er einen Bastelbogen zum Kalker Wasserturm entworfen und stellt diesen kostenlos auf seiner Seite „Papierdenkmal“ zum Download zur Verfügung.
Neuhaus schätzt die Einfachheit des Materials: „Ohne im Fachhandel teure Plastikteile zu kaufen, entstehen Papiermodelle allein aus der eigenen Kreativität und Fingerfertigkeit heraus. Ein geradezu anachronistischer Reiz ergibt sich daraus, dass der Kartonmodellbau keine Abkürzungen zulässt: Nur geduldiges Arbeiten in den Mußestunden führt zu einem sauberen Ergebnis.“
Gewinnspiel
Die ersten drei Menschen, die mir ein Bild des selbst gebastelten Papier-Wasserturms schicken, lade ich auf eine Stadtführung mit mir ein. Also ran an Schere und Kleber, ich freue mich auf eure Bilder.
Schickt die Bilder bitte an uli@koeln-lotse.de
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