Kölsche Schimpfwörter, Teil IV: Nöll bis Sackjeseech

Der Schäl, ein listiges Schlitzohr, Bild: Hänneschen-Thaater
Der Schäl, ein listiges Schlitzohr, Bild: Hänneschen-Theater

Podcast Schimpfwörter 16

Heute geht es in der Reihe „Kölsche Schimpfwörter“ um alles zwischen Nöll und Sackjeseech. Alle Teile der Serie findet ihr hier: Kölsche Schimpfwörter

Nöll

Bitte nicht verwechseln: „Nöll“ ist sowohl die kölsche Bezeichnung für den Vornamen Arnold und gleichzeitig auch ein Wort für Nase. Wenn ein Mensch über eine besonders große Nase verfügt, wird er Nöll gerufen. Spannend wäre es, einen Arnold mit einer ganz besonders großen Nase zu treffen.

Nöttelefönes

Ein kleinlicher Mensch, der an allem rumnörgelt. Das entsprechende Adjektiv lautet nöttelich.

Der Neumarkt - eine verkehrsumtoste Insel in der Stadt, Bild: Raimond Spekking
Der Neumarkt – eine verkehrsumtoste Insel in der Stadt, Bild: Raimond Spekking

Nümaatskraat

Mit „Nümaat“ ist der Kölner Neumarkt gemeint. Mit „Krat“, „Kraat“ oder „Krad“ bezeichnet der Kölner eine Kröte. Der Nümmaatskraat ist ein Mensch, der sich (bevorzugt am Neumarkt) herumtreibt um zwielichtigen Geschäften nachzugehen. Eng verwandt sind die Begriffe „Nümaatsbroder“ für einen faulen, arbeitsscheuen Menschen und „Nümaatsflitsche“ für eine Umhertreiberin.

Nützje

Willi Ostermann singt in seinem Lied „Kölsche Mädcher künne bütze“:

„Su e Bützche vun ´nem Nützche,
Jung dat schmeck wie Appeltaat“

Das hier beschriebene Nützje ist ein attraktives Mädchen. Insofern taugt Nützje nur bedingt als Schimpfwort.

Ömstandskriemer

Und wieder wartest du weitere zehn Minuten, weil sich der Ömstandskriemer mal wieder nicht entscheiden kann, ob er mit oder ohne Regenschirm rausgeht. Es geht also um jemand, der um alles Umstände macht, der kompliziert ist. Ein Umstandskrämer halt.

Ein Pattevugel ist eigentlich ein Papierdrachen. Bild: Ecinazuz, Pixabay
Ein Pattevugel ist eigentlich ein Papierdrachen. Bild: Ecinazuz, Pixabay

Pattevugel

Ein (Papier-)Drache ist ein Pattevugel. Und wenn ein Mensch, ähnlich wie ein Drachen, mit weiten Gewändern hereinschneit, (das betrifft gerne ältere Tanten) wird auch dieser zu einem Pattevugel.

Peffernas

Menschen, die sich für etwas Besseres halten, nennt der Kölner „Pfeffernase“. Das gilt natürlich ganz besonders für die Menschen in dem Dorf mit D, nördlich von Köln.

Pimock

Ein eigentlich abwertend gemeinter Ausdruck für Ausländer oder Fremde. So wurden im Rheinland die Flüchtlinge nach dem 2. Weltkrieg „Pimocke“ genannt. Doch – ähnlich wie beim Begriff „Krade“  scheint sich die Bewertung zu drehen.

So lautet eine Zeile der kölschen Hymne „Unser Stammbaum“
„Un ich wor ne Pimock, hück laach ich met üch met.“

"De Plaat": Jürgen Zeltinger, Bild: Raimond Spekking
„De Plaat“: Jürgen Zeltinger, Bild: Raimond Spekking

Plaatekopp

Eher ein Zustand als Schimpfwort. Die „Plaat“ beschreibt eine Glatze. Folglich ist ein Plaatekopp jemand ohne Haare. Köln berühmteste (und zeitweilig auch berüchtigste) „Plaat“ war Jürgen Zeltinger, Schöpfer so schöner Lieder wie „Asi mit Niwoh“ oder „Mallorca, Sommer, Sonne, Herzinfarkt“.

Plackfissel

Mit „Plack“ sind Ausschlag, Schorf oder sonstige Hautunreinheiten, z.B. Herpes, gemeint. Das Wort hat eine Renaissance durch die Jugendsprache erfahren. Der Ausdruck „Da krieg ich Plack von.“ steht für Ekel und Abscheu. Der Begriff Plackfissel wird übergreifender verwendet und steht für einen ungepflegten, ungewaschenen Menschen.

Sackjeseech

Eines meiner Lieblingsschimpfwörter. Hier passt alles rein. Ein „Sackgesicht“ kann ein hässlicher, ein unangenehmer, ein missgünstiger oder ein einfach ein widerlicher Mensch sein. Das Wort passt immer.

Eine wunderbare Umschreibung dieses Typs Mensch liefert Gerd Köster mit seinem Song „Sackjeseech“. Besonders schön ist der Plural in der dritten Strophe:

„Un ding Frau es och e Sackjeseech,
un ding Kinder sin och Sackjeseechtere.“

Schäl

Damit ist „schielen“ gemeint. Gleichzeitig bedeutet der Ausdruck aber auch „falsch“ oder „unredlich“. Und das trifft auf einen der Protagonisten im Hänneschen Theater zu: Der „Schäl“ schielt, ist oft hinterhältig und versucht andere zu seinem eigenen Vorteil zu hintergehen.


Übersicht kölsche Schimpfwörter


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Kölsche Schimpfwörter, Teil III: Kniesbüggel bis Mutzepuckel

Laut - aber meistens liebevoll: Kölsche Schimpfwörter, Bild: www.JenaFoto24.de / pixelio
Laut – aber meistens liebevoll: Kölsche Schimpfwörter, Bild: www.JenaFoto24.de / pixelio

Podcast Schimpfwörter 16

Nachdem wir bereits die Schimpfwörter von Aaapefott bis Flabes und von Föttchesföhler bis Klaafschnüss kennen, geht es heute um Kniesbüggele, dä Lällbeck und dä Lötschendötsch. Alle Teile der Serie findet ihr hier: Kölsche Schimpfwörter

Gesungen klingen diese Wörter übrigens noch besser. Hört mal rein in den „Kölschen Explezeer“ von Toni  Steingass. 

Kniesbüggel

Ein Geizhals. Der Begriff „Knies“ beschreibt eigentlich Dreck. Der Begriff stammt von ungepflegten, dreckigen Menschen, die zu geizig waren, Geld für ihre Sauberkeit auszugeben. Wird heute aber nur noch für geizige Menschen verwendet. Daher stammt auch das Wort „kniestich“ für geizig.

Klüttebuur

Die Klütte ist ein Stück gepresste Kohle, besser bekannt als Brikett. Der „Buur“ ist eigentlich ein Bauer. Gemeint ist hier aber der Torfstecher. Da diese Arbeit eher körperlich als geistig anstrengend ist, wird mit Klüttebuur ein einfältiger Mensch bezeichnet.

Knubbelfutz

Ähnlich wie „Föttche aan d´r Äd“ handelt es sich bei dem Knubbelfutz um eine kleine, oft gedrungene Person. Allerdings kann, insbesondere bei Kleinkindern, der Begriff auch verniedlichend angewendet werden: „Luur ens, es dat nit en klein Knubbelfutz.“

Knüselskopp

Ein knüselicher Mensch ist ein dreckiger, ungepflegter Zeitgenosse. Knüsel beschreibt, genau wie Knies, klebrigen Dreck. Wird gerne auch als Schimpfwort in der Form „knüsselije Pitter“ verwendet, egal, ob die damit bezeichnete Person tatsächlich Pitter (also Peter) heißt oder nicht.

Kötter

Wenn der Kölsche „köttet“, dann bittet er jemanden um etwas. Somit ist kötten eigentlich ein Begriff für betteln, allerdings ein etwas feinerer Begriff. Die einhellige Meinung der Kölschen in meiner Nachbarschaft: Wer köttet, der ist nicht so penetrant.

Kotzkümpsche

… ist die fast schon niedliche kölsche Umschreibung eines echten Kotzbrockens. 

Kraad / Krad

Eines der vielschichtigsten kölschen Schimpfwörter. Das Kölsch-Lexikon der Akademie för uns kölsche Sproch übersetzt das Wort mit „Kradepack“ kurz und knapp mit „Pöbel“. Im Wrede (das renommierte Kölsch-Lexikon) ist Krad auch ein Schimpfwort. Allerdings hat sich Bedeutung heute geändert, wie auch meine nicht repräsentative Thekenumfrage ergeben hat.

Krönzel, oder Knurschele, Bild: Annamartha / pixelio
Krönzel, oder Knurschele, Bild: Annamartha / pixelio

Krönzel

Eine Krönzel ist eigentlich eine Stachelbeere. Als Schimpfwort verwendet ist eine zimperliche Person gemeint, also eine Zimperliese oder Mimose.

Kühmbroder

Der „Kühmebroder“ ist den ganzen Tag nur am jammern und beschwert sich über Gott und die Welt. Das Wort „kühmen“ bedeutet eigentlich „seufzen“. Daher kann sich bildhaft vorstellen, wie der Kühmbroder immer und zu jeder Gelegenheit laut kühmt „Nä – fröher wor alles besser.“

Külkopp oder Küleskopp

Külkopp ist eine Kaulquappe. Und diese zeichnet sich durch einen überdimensionierten Kopf aus. Übertragen auf den Menschen ist der Külkopp  ein eigensinniger Dickkopf.

Labberitz

Ein Dummkopf und törichter Mensch.  Adam Wrede bezieht sich hier auf die Körperhaltung des Beschimpften: „Schelte auf einen lang aufgeschlossenen Menschen  mit schlaffem, schlodderigen Gang und lässigfer Haltung.“

Labbes

In der Regel als „Lange Labbes“ verwendet, bezeichnet Labbes eine einfältige Person, die eher schlicht im Kopf ist.    

Lällbeck

Dieses schöne Wort wird heute leider nicht mehr so oft verwendet. Gemeint ist jemand, der zwar keine Ahnung hat, aber trotzdem mitreden will. Ein anderes, gängigeres kölsches Wort für solche Menschen ist „Schwaadlappe“

Lötschendötsch

Das Lieblingsschimpfwort von Schwester Antonia. In der hochdeutschen Übersetzung könnte man „Blödmann“ oder „Dummkopf“ sagen. Allerdings, so Schwester Antonia, hat Lötschendötsch „in seiner kölschen Form noch einen sympathisch-liebkosenden Unterton und lässt den Angesprochenen nicht verzweifelt zurück.“

Lotterbov

Wer in den Tag rein lebt und zu Streichen aufgelegt ist, ist ein Lotterbov – ein eher liebenswürdiger Taugenichts.

Beliebte "Währung" zum maggeln: Zigaretten, Bild: Bundesarchiv / CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Nach dem Krieg wurde mit Zigaretten gemaggelt, Bild: Bundesarchiv / CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Maggeler

Mit „maggeln“ beschreibt der Kölner die Fähigkeit, zumeist illegale Geschäfte abzuwickeln. Somit haftet „maggeln“ in Köln etwas illegales an. Dabei stammt das Wort von „makeln“ ab und meint somit „vermitteln“ bzw. „Geschäfte vermitteln“. Also eine durchaus legale Tätigkeit. Für den Kölschen aber ist die Sachlage eindeutig: Der Makler als Vermittler von Geschäften ist ein ordnungsgemäßer Händler, der „Maggeler“ hingegen ist der Schwarzhändler.

Möhn

Ursprünglich ist die „Möhn“ die Tante mütterlicherseits. Der Begriff leitet sich von „Muhme“ (Mutterschwester) ab. Heute werden als „ahl Möhn“ alte  Frauen bezeichnet.

Der Geizige rafft alles für sich und will nichts abgeben, Bild: Allegorie des Geizes (Jakob Matham, ca. 1587), public domain, via Wikimedia Commons
Der Geizige rafft alles für sich und will nichts abgeben, Bild: Allegorie des Geizes (Jakob Matham, ca. 1587), public domain, via Wikimedia Commons

Mömmesfresser

Etwas eklig: Dem Mömmesfresser wird nachgesagt, dass er so geizig ist, dass er lieber seine eigene Mömmesse (Popel) isst als sich etwas zu gönnen. Ein Geizhals also.

Möpp

Eine Schimpfwort-Allzweckwaffe. Mit „Möpp“ wird ein Hund bezeichnet, als „fiese Möpp“ kann man alles und jeden bezeichnen, der einem nicht gefällt.

Muuzepuckel oder Mutzepuckel

Du willst feiern – aber einer macht die ganze Stimmung kaputt. Der ist der Muuzepuckel, also ein Nörgler oder Zankteufel. Wenn jemand (ständig) schlecht gelaunt ist, dann ist diese Person muuzich und man will eigentlich nichts mit ihr zu tun haben.


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Kölsche Schimpfwörter, Teil II: Föttchesföhler bis Klävbotz

Fünf Asse auf der Hand? Vorsicht, hier ist ein Fuuteler unterwegs!
Fünf Asse auf der Hand? Vorsicht, hier ist ein Fuuteler unterwegs!

Podcast Schimpfwörter 16

Nachdem wir bereits die Schimpfwörter von Aaapefott bis Flabes kennengelernt haben, widmen wir uns heute den Föttchesföhlern, der Klävbotz und der Klaafschnüss. Alle Teile der Serie findet ihr hier: Kölsche Schimpfwörter

Föttchesföhler

Eigentlich ein viel zu schönes Wort für eine sehr unappetitliche Sache. Es handelt sich hier um einen Grabscher, der gerne Frauen anpackt. Mit dem „Föttche“ ist der (weibliche) Po gemeint.

Föttche aan d´r Äd

Ein äußerst „sprechendes“ Schimpfwort: Das Föttche ist das Gesäß, die Äd ist die Erde. Folglich handelt es sich bei einer so bezeichneten Person um jemanden, der das Gesäß nah am Boden trägt, also klein ist.

Johann Arnold Klütsch, genannt "Fressklötsch", um 1834, Portait von Simon Meister, aus dem Buch "Kölsche Originale", Reinhold Louis, Greven Verlag Köln, 1985
Johann Arnold Klütsch, genannt „Fressklötsch„, um 1834, Portait von Simon Meister, aus dem Buch „Kölsche Originale“, Reinhold Louis, Greven Verlag Köln, 1985

Fressklötsch

Jemand, der regelmäßig zu viel isst, wird Fressklötsch genannt. Pate stand hier das Kölsche Original Johann Arnold Klütsch.

Fuuteler

Wenn jemand, in der Regel bei einem Spiel, betrügt oder mogelt, dann fuutelt er und ist somit ein Fuuteler.

Halvjehang

Wenn einem die Klamotten am Körper wie ein Sack herunterhängen und man den Eindruck hat, die Person hat schon einmal halb am Galgen gehangen, dann handelt es um en Halfjehang.

Nette Ganoven: Die ehemalige kölsche Band Hanak, Bild: HANAK, https://www.hanak-live.de/
Nette Ganoven: Die ehemalige kölsche Band Hanak, Bild: HANAK, https://www.hanak-live.de/

Hanak

Ein Hanak ist liebevoll gemeint ein Spitzbube. Es kann sich aber auch, je nach Zusammenhang, um einen Gauner handeln. Die kölsche Band Hanak  orientierte sich eher an der ersteren Variante. Nette Halunken halt.

Herringsbändijer

Wenn jemand es gerade mal schafft, einen Hering zu bändigen, dann handelt es sich um einen kraftlosen, antriebslosen Menschen.

Ein "Hipp" ist eine Ziege - oder eine eher hagere und nicht wirklich attraktive Person, congerdesign, Pixabay
Ein „Hipp“ ist eine Ziege – oder eine eher hagere und nicht wirklich attraktive Person, congerdesign, Pixabay

Hipp

„Hätt kromme Bein, die Hipp vüm Nüümaat
En Hokenas, en platte Hühnerbruss
Ich ben doch mindestens dubbelt esu schön wie dat“

so lautet es in dem Lied „Hipp vüm Nüümaat“ von Trude Herr. Und damit ist eigentlich fast alles gesagt. Tatsächlich ist „Hipp“ der Begriff für eine Ziege. Und die als „Hipp“ bezeichnete Frau ist eine eher hagere und nicht wirklich attraktive Person.

Huddeler

Wer „huddelt“ leistet nachlässige, unordentliche Arbeit.

Imi

Eigentlich kein Schimpfwort sondern eher eine Feststellung. Als „Imi“ werden in Köln alle Zugezogenen oder „unechten“ Kölner bezeichnet. Dabei stammt der Begriff nicht von Immigrant ab sondern von „imitiert“. Der Imi versucht also, den Kölner zu imitieren. Zuerst aufgetaucht ist dieser Begriff in dem Lied Sag´ens Blotwoosch von Gerd Jussenhoven:

„Sag´ens Blotwoosch, ich garranteeren der,
wer nit richtig Blotwoosch sage kann, dat es
´ne Imi, ´ne Imi, ´ne Imi, ´ne imitierte Kölsche ganz gewess.
´ne Imi, ´ne Imi, ´ne imitierte Kölsche ganz gewess.“

Jööz

Besonders Kinder jööze, damit ist heulen gemeint. Ein Jööz ist demnach ein wehleidiger Mensch oder ein Jammerlappen.

Kabänes

Den Kabänes kann man trinken, dabei handelt es sich um einen Kräuterlikör mit immerhin 30% Alkohol. Als Schimpfwort geht es um einen großen, schweren und breiten Mann, ein “Kabänes vun enem Käl“

Kalventräjer

Der Kalventräjer trägt Kälver, also Kälber, zum Metzger – eine wenig glamouröse Tätigkeit. Folglich ist ein so bezeichneter Mensch eher unbedeutend.

Vor dem Ehrenfelder Neptunbad steht ein Brunnen mit einem „Kappesboor“, der auf einer mit Kohl gefüllten Kiste sitzt. Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Vor dem Ehrenfelder Neptunbad steht ein Brunnen mit einem „Kappesboor“, der auf einer mit Kohl gefüllten Kiste sitzt. Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Kappesboor

Die Bauern, die rund um die Stadt viel Kappes (damit ist Kohl gemeint) in allen möglichen Sorten anbauten und in die Stadt zum Verkauf brachten, wurden zunächst als dörfische Tölpel missachtet. Das änderte sich mit den verschiedenen Stadterweiterungen. Denn auf einmal wurden viele Bauern dank ihrer ausgedehnten Ländereien, die jetzt zur Stadt gehörten, steinreich. Allerdings wussten viele dieser Menschen nicht, wie man sich „städtisch“ benimmt. Daher wurde „Kappesboor“ zum Schimpfwort.

Kesselflecker

Meine Oma sagte immer „Die han sich jezänk wie de Kesselflecker.“ Offensichtlich handelt es sich bei den Kesselflickern um streitbare Menschen. Dabei waren die Kesselflicker nur herumreisende Handwerker, die gegen geringen Lohn kaputte Kessel ausgebessert haben. Allerdings hielten die jeweils ortsansässigen Schmiede die Kesselflicker für Pfuscher. Vielleicht kommt daher auch die Geringschätzung.

Klaafmuul oder Klaafschnüss

Klar: Der Kölner redet gerne, erzählt viel, plaudert rum und tratscht. Diesen Vorgang nennt man „klaafe“. Aber irgendwann wird es auch dem tolerantesten Kölschen zu viel. Dann wird der, der  zu viel labert als Kaafmuul oder Klaafschnüss bezeichnet.

Klävbotz

Er sitzt den ganzen Tag in der Kneipe, wie mit der Hose (die „Botz“) an seinem Stuhl festgeklebt. Und er will einfach nicht gehen, auch wenn der Wirt schon dreimal die letzte Runde eingeläutet hat.


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Kölsche Schimpfwörter, Teil I: Von Aaapefott bis Flabes

Schimpfen auf Kölsch, derb aber grundsätzlich liebevoll

Podcast Schimpfwörter 16

Jede Mundart hat ihr jeweils eigenes Repertoire an Schimpfwörtern. So auch die kölsche Sprooch. Von Ähnzebär bis Wibbelstätz – für jede Person und Situation gibt es  ein geeignetes Wort. Allerdings sind die meisten dieser Schimpfwörter  – so derb sie manchmal auch klingen – oft liebevoll gemeint.

Schwester Antonia zum Beispiel umschreibt ihr Lieblingsschimpfwort „Lötschendötsch“ zum Beispiel so „Es hat in einer kölschen Form noch einen sympathisch-liebkosenden Unterton und lässt den Angesprochenen nicht verzweifelt zurück.“ Schöner kann man es nicht sagen. Werfen wir also einen Blick in das große Repertoire kölscher Schimpfworte. Alle Teile der Serie findet ihr hier: Kölsche Schimpfwörter

Aapefott

Ein „Aap“ ist ein Affe, die „fott“ ist das Gesäß. Pack beides zusammen und es geht (höflich ausgedrückt) um einen Affenhintern.

Aaschkröffer

Adam Wrede beschreibt den „Arschriecher“ fast noch zurückhaltend als Schmeichler oder Speichellecker. Tatsächlich handelt es sich hier um Mitmenschen, die um ihren eigenen Vorteil willens alles tun. Dazu gehört es auch, in den Allerwertesten zu kriechen, zum Beispiel beim Vorgesetzten.

En "Ähz" ist eine Erbse. Und so werden auch kleine, rundliche Menschen bezeichnet, Bild goosebumps98 auf Pixabay
En „Ähz“ ist eine Erbse. Und so werden auch kleine, rundliche Menschen bezeichnet, Bild goosebumps98 auf Pixabay

Ähz

Eigentlich eine Erbse. Und genau wie eine Erbse ist die so beschimpfte Person klein und rund – ein kleines Dickerchen.

Ähzebär

Der Ähzebär (Erbsenbär) ist ein Karnevalskostüm und verkörpert den Winter. Als Schimpfwort ist damit eine griesgrämige, schlecht gelaunte Person gemeint.

Ähzezeller

Erbsenzähler sind kleinliche, pingelige Menschen, die alles ganz genau nehmen.

Avjebröhte

Ein ganz ausgekochter Mitmensch, der andere eiskalt betrügt.

Babaditzje

Grundsätzlich ist dieses Wort die neutrale bis positive Bezeichnung für ein kleines Kind.“Nä, wat es dat für e lecker Babaditzje“ ist ein typischer Ausdruck der Omas und Opas für ihre Enkel. In Zusammenhang mit einem Erwachsenen ist dabei aber eine Person gemeint, die sich kindisch, unreif, benimmt.

Eine Begine, Bild: Holzschnitt von Matthäus Brandis (1489), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Eine Begine, Bild: Holzschnitt von Matthäus Brandis (1489), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Bejing

Beginen waren Frauen, die in einer Gemeinschaft ähnlich der eines Klosters lebten, allerdings mit weitreichenden weltlichen Freiheiten und ohne dauerhaft bindende Gelübde. Oft handelte es sich dabei um unverheiratete oder verwitwete Frauen.

Die Skepsis in der Bevölkerung gegenüber den Beginen drückte sich auch in Spruch

„Bejine sin nit wie se schinge.
e ston hinger der Jardinge
un sage: Do hinge, do kütt de Minge.“
1Beginen sind nicht wie sie scheinen.
Sie stehen hinter den Gardinen
uns sagen: Da hinten, da kommt der Meinige.

Bellrämmel

Eine durchaus wüste Beschimpfung für einen Menschen, der alles „rammeln“ will.

Bessem

Tatsächlich ein Besen. Und auch eine unangenehme, schroffe Frau.

Die blaue Uniform der protestantischen Preußen hat zum Begriff "Blauköpp" geführt, Bild: Knötel (1883)
Die blaue Uniform der protestantischen Preußen hat zum Begriff „Blauköpp“ geführt, Bild: Knötel (1883)

Blaukopp

„Dat sin Blauköpp pflegte meine Oma im besten rheinisch-katholischem Selbstverständnis zu sagen. Mit Blauköpp bezeichnet der Kölsche alle Personen, die evangelisch sind. Tatsächlich war die Bezeichnung Blauköpp (also „Blaue Köpfe“) tatsächlich ursprünglich abwertend gemeint. Heute bezeichnen sich die Protestanten selber ausgenzwinkernd als Blauköpp und feiern sogar unter dem Titel „Blauköpp Alaaf“ eine eigene Karnevalssitzung.

Stolz trägt er den Künstlernamen "Dä Blötschkopp": Marc Metzger, Büttenredner im Karneval, Bild: Elke Wetzig (Elya), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Stolz trägt er den Künstlernamen „Dä Blötschkopp“: Marc Metzger, Büttenredner im Karneval, Bild: Elke Wetzig (Elya), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Blötschkopp

Eine dumme Person, bei der eine „Blötsch“ (eine Delle) am Kopf dafür verantwortlich ist, dass diese Person nicht richtig denken kann.

Bökes

Wenn ein Kind schreit und jammert, dann „bökt“ es. Folglich ist ein Bökes ein kleiner Schreihals, der um jeden Fall die Aufmerksamkeit erreichen will.

Boor

Der Bauer. In dem Zusammenhang als Schimpfwort eine Bezeichnung für einen ungehobelten, ungebildeten Menschen. Aber eigentlich ist der Kölsche ja stolz auf singe „Boor“, der auch im Dreigestirn als der „Kölsche Boor“ die Wehrhaftigkeit der Stadt verkörpert.

Botzedresser

Ein Hosenscheisser, also jemand, der sich schnell vor Angst in die Hosen macht.

Büggel

Ein Büggel ist ein Beutel, eine Tasche. Sobald aber jemand als „ahle Büggel“ (alter Beutel) bezeichnet wird, meint man damit einen unangenehmen Menschen, mit dem man eigentlich nichts zu tun haben will.

Büggelschnigger

„Büggel“ ist der Beutel, „schniggen“ bedeutet schneiden. Als „Beutelschneider“ wurden Diebe bezeichnet, die den Geldbeutel, der früher mit einem Riemen am Gürtel befestigt wurde, abschnitten. Heute meint man damit aber keinen Dieb, sondern jemanden, der zu teure Waren verkauft, also einen Wucherer.

Dillendopp

Ein Dillepndopp ist eigentlich ein Kreisel. Aber mit Dillendopp kann man auch einen Menschen bezeichnen, der keine Ruhe findet und sich genau wie ein Kreisel ständig um sich selbst dreht.

iDötzchen sind Erstklässler, Bild Gerd Altmann, Pixabay
iDötzchen sind Erstklässler, Bild Gerd Altmann, Pixabay

Dotz / Dötzje

Eigentlich ist Dotz ein kleiner, eher rundlicher Gegenstand. Als Dotz oder Dötzje bezeichnet man eher kleine und oft auch eher rundliche Menschen. Und der „Dotz“ hat es sogar in seiner Form als „i-Dötzchen“ in deutschen Sprachgebrauch gebracht.

Warum das „i“ vor den Dotz gesetzt wurde, erklärt die Sendung mit der Maus so:

Das Wort „I-Dötzchen“ stammt ursprünglich aus dem Rheinland. Dort ist ein „Dotz“ etwas ganz Kleines – Erstklässler sind die Jüngsten an der Schule, die „Dötzchen“. Das „i“ haben diese Erstklässler früher als ersten Buchstaben gelernt. Daher I-Dötzchen.

Drießkerl oder auch Drisskerl

Menschen, die sich unverschämt verhalten und immer nur das Beste für sich rausholen wollen, sind (wörtliche Übersetzung) Scheißkerle.

Drömeldier

Ein Trampeltier. Jemand, der sich normalerweise ohne böse Absicht ungeschickt verhält.

Drüje Manes

Die kölsche Kurzform für Hermann ist „Manes“. Und „drüje“ oder auch „drüsch“ bedeutet trocken. Somit ist ´ne „Drüje Manes“ ein eher trockener und schweigsamer Zeitgenosse. Denn wer nicht viel redet, ist dem Kölner zunächst mal suspekt.

Der "Drüje Pitter" macht auf diesem Bild hier seinem Namen alle Ehre: Mit "drüsch" oder "drüg" meint der Kölsche "trocken", Bild: Uli Kievernagel
Der „Drüje Pitter“ macht auf diesem Bild hier seinem Namen alle Ehre: Mit „drüsch“ oder „drüg“ meint der Kölsche „trocken“, Bild: Uli Kievernagel

Drüje Pitter

Eigentlich ein Brunnen am Dom, der sich dadurch auszeichnet, seiner Hauptaufgabe, Wasser zu sprengen, nicht nachkommt. Und genau so bezeichnet der Kölsche auch äußerst trockene Menschen, die keinen Humor haben.

Ferkesstecher

Vom Wortsinn her ein Metzger: Ferkes ist ein Ferkel, der Ferkesstecher sticht dieses ab. Übertragen ist damit ein Schwarzarbeiter gemeint, der billig und an den Behörden – insbesondere am Finanzamt- vorbei Arbeiten übernimmt.

Fiddel

Gemeint ist hier nicht die Geige bzw. Fiedel, im kölschen „Fiddel“, sondern eine weibliche Person, die nachlässig und unordentlich ist.

Fiese Möpp

Dem „Fiese Möpp“ geht man lieber aus dem Weg. Dabei handelt es sich um jemanden, der unredlich ist. Der „Möpp“ ist übrigens das kölsche Wort für Hund. So kann man den „Fiese Möpp“ auch als „Linken Hund“ bezeichnen. Wird übrigens auch gerne in der Form „widerliche Möpp” verwendet. Hat aber dieselbe Bedeutung.

Flabes, Flaabes, Flabbes

Ein nicht ausschließlich negativ gemeinter Ausdruck für einen Menschen, der naiv, dümmlich, ungeschickt oder einfach nicht ernst, dabei aber grundsätzlich liebenswert ist. Der Begriff wird aber manchmal auch für einen sehr großen Menschen verwendet, im Sinne von langer Lulatsch.


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Ein paar Fragen an Willem Fromm: Köln hat eine erzählenswerte Geschichte!

Willem Fromm ist Historiker und ein absoluter Köln-Experte, Bilder: Willem Fromm
Willem Fromm ist Historiker und ein absoluter Köln-Experte, Bilder: Willem Fromm

Eigentlich dachte ich immer, mich gut in der Geschichte Kölns auszukennen. Zumindest bis ich angefangen habe, den Podcast „Eine Geschichte der Stadt Köln“ zu hören. Seitdem ist mir klar: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.

In diesem unglaublich umfassenden Podcast kann man zuhören, wie Köln wächst: von den Römern bis in unsere Zeit.

Der Mann hinter diesem erfolgreichen Podcast ist der Historiker Willem Fromm. Ich habe mich mit ihm mitten in der Stadt getroffen, am Rheinufer, dort wo vor etwa 1700 Jahren die Konstantinbrücke stand – über die Willem übrigens auch locker eine Stunde erzählen kann.

Doch jetzt interessiert mich mehr seine Sicht auf die Geschichte der Stadt.

Willem, du bist ein absoluter Köln-Geschichts-Experte. Was sind deiner Meinung nach die drei wichtigsten Daten bzw. Ereignisse in der Kölner Stadtgeschichte?

Natürlich empört sich in mir das Historikerherz, hier nur drei Ereignisse nennen zu dürfen! Auf die gesamten 2.000 Jahre lang geblickt würde ich sagen:

  1. Agrippina verlieh Köln im Jahr 50 n. Chr. den Rang einer Kolonie, was damals was Positives war im Vergleich zu späteren Zeiten, wodurch die Stadt einen Vorteil am Rhein erhielt.
  2. In den 950er-Jahren wurden die Erzbischöfe unter Bruno I. auch weltliche Stadtherren und sicherten Köln durch ihre direkte Nähe zum Kaiserhof viele Vorteile. Sie verschafften der Stadt wirtschaftliche Privilegien und vor allem die Reliquien für die Stadt. Nur von hier aus war der Weg zum gotischen Neubau des Doms 1248 möglich, die Erlangung des Stapelrechts 1259 und die Befreiung von der direkten erzbischöflichen Herrschaft nach der Schlacht von Worringen 1288 möglich.
  3. Die Zeit von 1933-1945: hier erlebte Köln die moralische und physische Zerstörung erst durch die Nazis, einschließlich Plänen zum nahezu kompletten Abriss des Martinsviertels und der rechten Rheinseite. Dann folgte die Vernichtung des über 2.000 Jahre gewachsenen Stadtkerns durch den Zweiten Weltkrieg.
Die blaue Uniform der protestantischen Preußen hat zum Begriff "Blauköpp" geführt, Bild: Knötel (1883)
Willem Fromm meint, dass die Ablehnung der Preußen in Köln völlig überschätzt wird, Bild: Knötel (1883)

Und was wird deiner Meinung nach völlig überschätzt?

Die angebliche Ablehnung allen Preußischen durch Köln im 19. Jahrhundert. Natürlich gab es in Köln ab 1815 Kräfte, die den preußischen Staat ablehnten. Aber spätestens ab der Reichsgründung 1871 waren die Eliten in Köln weitestgehend treue preußische Staatsbürger.

Hast du ein Lieblingsfigur aus der langen Stadtgeschichte? Und warum gerade diese Person?

Wer sich intensiv mit Geschichte beschäftigt hat, wird meist zum Zyniker. Wir wissen selbst zu gut, dass keine historische Persönlichkeit unschuldig oder moralisch einwandfrei ist. Das kann sie auch nicht sein. So wie du und ich es auch nicht sind.

Und genau hier drin finde ich, liegt die Faszination an der Geschichtsforschung. Oft ist es einfach auch das Versuchen eines Eintauchens in die Gedankenwelt einer historischen Figur, die spannend ist.

Agrippina - Kölns Stadtgründerin, Bild: Uli Kievernagel
Schade, dass Willem Fromm Agrippina, die vermeintliche Mörderin, nicht mehr befragen kann, Bild: Uli Kievernagel

Da würde ich zu gerne mal die römische Kaiserin Agrippina befragen, wie sie die Dinge gesehen hat und ob das wirklich damit übereinstimmt, was andere, die ihr nicht freundlich gegenüberstanden, über sie geschrieben haben: Gift-Mischerin, Mörderin oder gar schlechte Mutter? Wir kennen ihre Seite der Geschichte nicht.

Diese für mich quälende Wissenslücke macht sie für mich zu meiner Lieblingsfigur. Denn ein Mensch, den man bereits durch und durch kennt und der keine Geheimnisse mehr hat, ist doch langweilig.

Du bist positiv Köln-verrückt. Wann fing diese Leidenschaft an? 

Manchmal ist einfach etwas von Beginn an da. Als Kind löcherte ich meine Eltern mit Fragen über die Geschichte Kölns. Einfach so! Früh erzählte man mir also, dass Köln von den sagenhaft großartigen Römern gegründet wurden und die damals schon Swimmingpools hatten. Doch dann haben die Germanen den Abfluss der Schwimmbecken durch ihre langen Haare verstopft. Die Römer zogen beleidigt ab und das Wissen darüber ging verloren.

Ich drückte mir die Nase platt und schaute in die Tiefe der Mikwe auf dem Rathausplatz, dem mittelalterlichen jüdischen Ritualbad, wenn wir da vorbeigingen.

Die Kölner Mikwe war das Ritualbad der mittelalterlichen Judengemeinde von Köln, Bild: HOWI - Horsch, Willy, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons
Die Kölner Mikwe war das Ritualbad der mittelalterlichen Judengemeinde von Köln, Bild: HOWI – Horsch, Willy, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

Und als es im letzten Kindergartenjahr bei mir eine Dom-AG angeboten wurde, habe ich alles getan um an die begehrten und begrenzten Plätze zu kommen. Mit Erfolg. Das war echt toll. Turmbesteigung, Mosaike selber basteln aus Papierschnipseln und die Welt auch unter dem Dom besichtigen. Als Schülerpraktikant war ich dann 2006 bei der Dombauverwaltung, insbesondere beim Verlag Kölner Dom. Prof. Dr. Barbara Schock-Werner, die erste Frau im Amt des Kölner Dombaumeisters, hat damals richtig durchgepowert in dem Laden.

Ich habe gesehen, wie das Richter-Fenster erstellt wurde, das Buch über den Schrein der Heiligen Drei Könige wurde damals gelayoutet und Autor Frank Schätzing stieg für ein Fotoshooting für sein Hörbuch seiner Romane auf den Vierungsturm. Das alles in den nur drei Wochen des Schülerpraktikums. Toll!

Da wusste ich, Geschichte ist meine Leidenschaft, die ich weiterverfolgen möchte. Meine Klassenlehrerin am Hansa-Gymnasium hat mich ebenfalls echt toll gefördert in meiner Leidenschaft für Geschichte.

Du hast Geschichte dann auch an der Uni studiert?

Ich hatte mich für Geschichte in Köln, Bonn und ja, auch Düsseldorf beworben. Zusagen erhielt ich von allen dreien, aber irgendwie zog es mich nach Bonn. Es war eine Bauchentscheidung. Auch wenn es nur ein Katzensprung war, reizte es mich, außerhalb von Köln zu studieren.

Das Tolle an Bonn ist, dass die Stadt gerade groß genug, aber auch nicht zu klein ist. Mit der Residenz der Kölner Erzbischöfe als Unihauptgebäude und einer schönen Villa am Rhein als Sitz des Instituts für Geschichtswissenschaft, war für mich schon ein Reiz. Letzteres liegt auch direkt am Alten Zoll mit Biergarten in den warmen Monaten.

Die Seminare waren von der Atmosphäre durchweg immer sehr familiär und alle begegneten sich dort auf Augenhöhe. Die Profs und Angestellten am Lehrstuhl kannten jeden mit Namen, selbst die Pförtner, die einen mit dem oft nicht vorhandenen Kleingeld für den Kopierer aushalfen und einen Geldschein in Münzen umtauschten. Es war echt sehr schön, ich denke gerne an die Zeit zurück.

Natürlich reizte mich die Uni Bonn auch fachlich mit der renommierten Rheinischen Landesgeschichte und mit ihrem hohen Alter, Gründung 1818, übrigens als Ausgleich für die Schließung der Kölner Uni einige Jahre zuvor, hat sie die Entwicklung der Geschichtswissenschaft in Deutschland maßgeblich mitgeprägt und damit eine reiche wissenschaftliche Tradition.

Du hast 2020 deinen Podcast „Eine Geschichte der Stadt Köln“ gestartet. Was ist die Idee dahinter? 

Als erstes will ich anmerken, dass dies kein „es-war-Corona-und-ich-hatte-Zeit-Podcast“ ist. Die ersten sechs Folgen hatte ich schon im Sommer 2019 erstellt. Doch erst über die Weihnachtstage hatte ich dann endlich den Mut, sie zu veröffentlichen, was dann Ende Januar 2020 auch geschah. Ich finde Podcasts ein sehr persönliches Format, da man hierbei nur die Stimme der aufnehmenden Person hört.

Der Podcast "The History of Rome" von Mike Duncan war eine wichtige Inspiration für Willem Fromms eigenen Podcast zur Geschichte Kölns
Der Podcast „The History of Rome“ von Mike Duncan war eine wichtige Inspiration für Willem Fromms eigenen Podcast zur Geschichte Kölns

Ich selbst habe immer gerne den Podcast „The History of Rome“ gehört von Mike Duncan. Sein Podcast ist quasi der Großvater der Geschichte-Podcasts, da er schon 2007 erschien. Da wusste die überwältigende Mehrheit noch nicht, was Podcasts überhaupt sind. Mike Duncan ging in seinem Hörspiel die Geschichte des römischen Reiches von Anfang bis Ende durch. Immerhin rund 1.300 Jahre. Das inspirierte mich, das gleiche für Köln zu starten. Eine erzählte Geschichte Kölns von der Steinzeit bis heute.

Inzwischen fahre ich aber mehrgleisig, in sogenannten „Schnipsel-Folgen“ weiche ich auch oft von der starren Chronologie ab und erzähle, was ich möchte über die Kölner Stadtgeschichte oder führe Interviews mit Menschen, die was über Kölns Geschichte zu erzählen haben.

Wieviel Stunden Podcast sind daraus bis heute geworden?

Bei nun 60 veröffentlichten Folgen seit 2021 müssten es so ungefähr 50 Stunden sein in etwa. Wer also eine zweitägige Reise vor sich hat – hört doch mal rein. 😉

Und wieviel Stunden kommen noch? Wann willst du im „Heute“ ankommen?

Das ist schwierig abzusehen. Man könnte meinen, ich habe ja bereits die Hälfte geschafft, da wir im Jahr 1100 angekommen sind im Podcast. Man darf aber nicht vergessen, dass die historische Quellenlage immer besser wird und von der schieren Menge immer mehr wird, je näher wir der Gegenwart kommen.

So toll die römische Antike Kölns zu erzählen ist, vieles bleibt bis heute im Dunkeln. Wo befand sich das Amphitheater der Stadt, das es nachweislich gegeben haben muss? Oder zwischen den Jahren 100 n. Chr. bis 250 n. Chr. etwa gibt es keinerlei schriftliche Aufzeichnung über das römische Köln. Die Jahre musste ich notgedrungen überspringen.

Ab dem Jahr 1200 wird es dann richtig wild und ereignisreich in der Kölner Stadtgeschichte, dass man Gefahr läuft, was zu vergessen zu erzählen. Ich habe vor zwei Jahren aber einen groben Fahrplan bis 1288 ausgearbeitet, wann welche Folge mit welchem Thema erscheint. Bis ich da ankomme, vergehen laut diesem Plan noch zwei Jahre, obwohl ich bereits im Jahr 1100 angekommen bin.

Ein Mammutwerk: Der Podcast "Eine Geschichte der Stadt Köln" von Willem Fromm
Ein Mammutwerk: Der Podcast „Eine Geschichte der Stadt Köln“ von Willem Fromm

Ein Mammutwerk! Was treibt dich an, dich dieser gewaltigen Aufgabe zu stellen?

Ich habe schon immer nach dem „Warum?“ gefragt. Geschichte ist interpretierte Vergangenheit. Ich wollte immer wissen, warum etwas in unserem Alltag so ist, wie es ist. Trotz allen schweren Umbrüchen in der Kölner Geschichte, ist diese bis heute in unserer Stadt an vielen Orten noch spürbar, oft sogar zum Anfassen!

Des Weiteren hat sich trotz meines erfolgreich abgeschlossenen Geschichtsstudiums nie wirklich die Chance ergeben im Feld der Geschichtsforschung zu arbeiten. Jobs, insbesondere jene mit der man eine Familie ernähren kann, sind in dem Felde rar und daher hart umkämpft. Was ich niemanden verübeln kann. Als Ventil dafür dient mir der Podcast.

Und ehrlich gesagt, hat das doch auch viele Vorteile so: ich habe völlige Freiheit, was ich wie recherchiere und präsentiere. Ich kann selbstständig bestimmen, wann ich was veröffentliche. Dadurch habe ich mir quasi meinen eigenen ehrenamtlichen Historikerberuf nach eigenem Maß geschaffen.

Verdienst du Geld mit deinem Podcast?

Ja, ich verdiene etwas Geld damit. Gewinne erwirtschafte ich damit aber nicht. Ich weise mein Publikum nach jeder Folge höflich und kurz darauf hin seit kurzem, dass sie mir per Paypal ein kleines Trinkgeld überweisen können. Des Weiteren kann man mich langfristig auf einer Plattform namens Patreon.com unterstützen. Follower können mir pro Folge auf diesem Weg zwischen einem und fünf Euro überweisen.

Hier ist aber auch wichtig die Ausgabenseite zu beachten. Bücher kaufen, Gebühren fürs Podcast-Hosting und Website-Hosting, Domain-Lizenzen, Software-Lizenzen, Hardware (etwas geht immer kaputt) wie Mikros, Speicherkarten, Laptops, Kabel, das portable Aufnahmegerät und Fahrtkosten zu meinen Interviewgästen. All das kostet mich monatlich einen Betrag, der so um die 150 Euro liegt.

In letzter Zeit halten sich Ausgaben und Trinkgelder fast schon die Waage. Ich freue mich über jede noch so kleine Zuwendung. Und ja, natürlich wäre es schön, eines Tages auch mit einem kleinen Plus herauszugehen.

Wieviel Zeit investierst du ungefähr pro Woche in den Podcast?

Das ist schwer zu sagen. Die Recherchearbeit integriere ich oft in meinen Alltag. Abends auf der Couch mit meiner Frau beim Fernsehschauen habe ich ein Buch in der Hand und mache mir Notizen. Da ist schwer abzuschätzen wie viel Zeit jeweils mit der Glotze und jeweils mit dem Recherchieren draufgeht. Es ist auch vom Thema abhängig. Eine Folge über den Alten Dom schreibe ich an einem Abend aus meinem Kopf direkt runter. Eine Folge über das Gerichtswesen des mittelalterlichen Kölns lässt mich mitunter nächtelang verzweifeln.

Bei Aufnahme und Schnitt ist es ziemlich einfach zu messen. Pro aufgenommener Minute brauche ich ungefähr zwei Minuten zum Nachbearbeiten. Dauert eine Folge 40 Minuten, brauche ich 80 Minuten zum Schneiden und Bearbeiten. Ein Versprecher hier, ein neu aufgenommener Satz da.

Eine Podcastfolge zu erstellen ist übrigens nur 30 Prozent der gesamten Arbeit bei einem Podcast. 70 Prozent geht in die Öffentlichkeitsarbeit. Das geht weitestgehend über die Sozialen Medien wie Facebook, Instagram und TikTok. Anders ist es kaum möglich, wenn man nicht Unsummen für klassische Werbung ausgeben kann, wie es bei den meisten Podcasts von Privatpersonen ist. Dem „Köln-Ding der Woche“-Podcast wird es da ja sicherlich ähnlich gehen.

Auf Social Media versuche ich die Menschen durch Artikelbeiträge und vor allem durch das Erstellen meiner Kurzfilmreihe über Kölns Geschichte zu begeistern.

Der Podcast zur Geschichte der Stadt Köln erschien zunächst auf Englisch.
Der Podcast zur Geschichte der Stadt Köln erschien zunächst auf Englisch.

Der Podcast erschien zunächst auf Englisch, erst danach auf Deutsch. Wieso?

Wir müssen uns ins Jahr 2019 zurückversetzen. Vor Corona und bevor dadurch die große Podcastwelle in Deutschland losrollte. Doch im Jahr 2019 war die deutsche Podcastlandschaft noch recht überschaubar. So nahm ich an, dass dieses neue Medium eher ein internationales Publikum ansprechen müsste. Daher auf Englisch.

Zusätzlich mochte ich die Idee, Menschen auf der ganzen Welt zu zeigen, dass Köln mehr ist als nur Kölsch, Dom, FC und Karneval. Alles tolle Dinge an unserer Stadt, keine Frage! Aber eben nicht alles, was in 2.000 Jahre Stadtgeschichte prägend war.

Was hören wir als nächstes im Podcast?

Die nächste Folge 1Stand: 10. September 2023 wird ein richtiger Krimi. Das Sprichwort „Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte!“ trifft hier so richtig zu im Jahr 1106. Kaiser Heinrich IV. und sein Sohnemann Heinrich V., streiten sich über die Macht im Reich. Der jüngere Heinrich hatte den Vater eigentlich schon aufs Altenteil geschickt. Immerhin hatte der bereits 50 Jahre der Regentschaft auf dem Buckel. Doch der greise Kaiser denkt gar nicht ans Aufgeben.

Dieser eigentliche dynastische Konflikt auf Reichsebene nutzt die Kölner Bürgerschaft für den eigenen Vorteil schamlos aus. So bietet die Stadt dem geschassten alten Kaiser Heinrich IV. Zuflucht. In Köln wird er zwar gebührend empfangen, aber dafür verlangt man natürlich eine Gegenleistung. Eine riesige Stadterweiterung wünscht man sich, gegen den Willen des Stadtherrn, dem Erzbischof von Köln! Wer wird sich also durchsetzen? Viel steht auf dem Spiel. Denn der junge Heinrich V. sammelt ein Heer und wird Köln im Jahr 1106 frontal angreifen. Wie das wohl ausgehen wird? Erfahrt es am 11. September! Überall dort, wo es Podcasts gibt.  


Genau wie alle anderen Menschen in meiner Rubrik „Ein paar Fragen an …“ hat auch Willem Fromm zu meinen „kölschen Fragen“ Rede und Antwort gestanden.

Wenn nicht Köln – wo sonst könntest du leben? Und warum gerade dort?

Eine Ranch in Oklahoma. Mit Hühnerstall, einem Fischteich und meiner US-amerikanischen Gastfamilie als Nachbarn. Natürlich nur für ein paar Wochen. Dann geht’s wieder nach Köln.

Welche kölsche Eigenschaft zeichnet dich aus?

Ich reise gerne in die Welt hinaus, aber freue mich immer wie verrückt wieder nach Hause zu kommen. Wenn die Domspitzen in der Ferne das erste Mal wieder auftauchen. Ich glaube jeder kennt das Gefühl, der hier zuhause ist.

Was würdest du morgen in unserer Stadt ändern?

Wie hoch war das Zeichenlimit hier noch mal? 😉 Ich finde es schade, dass die Stadt oftmals unorganisiert scheint. Eine Großstadt zu organisieren ist selbstverständlich eine Wahnsinnsaufgabe und ich möchte mir selbstverständlich nicht anmaßen es besser machen zu können. Aber gerade mein aktueller Urlaub in geschichtsträchtige Großstädte wie Edinburgh und London haben mir vor Augen geführt, dass gerade die Kölner Altstadt, die ja der Hauptanlaufpunkt für Besuchende ist, eher vernachlässigt wirkt. Woran das genau liegt oder wer daran schuld ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Wir reden viel über Missstände in dieser Stadt und benennen sie deutlich. Was ich vermisse, ist jemand an verantwortlicher Stelle, der sich den Hut aufsetzt und sagt: „Problem erkannt, ich werde alles tun und ich bin die Ansprechperson dafür.“ Stattdessen wird meist das Problem hin und her geschoben und bleibt im Ungefähren. Und keiner will es anpacken.

 

Der Vierungsturm des Kölner Doms mit dem goldenen Stern von Betlehem, Bild: CEphoto, Uwe Aranas, CC-BY-SA-3.0
Der Vierungsturm des Kölner Doms ist der Lieblingsplatz von Willem Fromm, Bild: CEphoto, Uwe Aranas, CC-BY-SA-3.0

Wo ist dein Lieblingsplatz in Köln?

Auf dem Vierungsturm des Kölner Doms.

Was machst du zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch?

Mein Standardprogramm: Donnerstag eher ruhig halten, aber Berliner kaufen und abends Kölsch trinken gehen. Sonntags den Zug in Porz schauen. Montags mit der auswärtigen Verwandtschaft sich den Rosenmontagszug anschauen, glücklicherweise kenne ich Spots, wo es nicht so voll ist. Dienstags dann noch den Nippeser Zug. Ich gestehe aber auch, dass mir in manchen Jahren ein Urlaub nach Hamburg oder in die Niederlande lieber waren.

Und was zwischen Aschermittwoch und Weiberfastnacht?

Ich mache da so einen Podcast, keine Ahnung, ob ich das hier schon angemerkt habe. 😉

Wat hät für dich noch immer jood jejange?

Der Support durch Familie und Freunde.

Halve Hahn, Bild: Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)
Halve Hahn, das kölsche Lieblingsessen des Historikers Willem Fromm, Bild: Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)

Dein kölsches Lieblingsessen?

Das mag zwar ziemlich simpel klingen, aber bei einer gewissen schwarz-gelben Bäckerei hole ich mir gelegentlich gerne auf die Hand ne Halve Hahn. Da verbindet sich auch übrigens meine eigene Identität. Das rheinländische Röggelchen mit dem niederländischen Gouda.

Dein Lieblingsschimpfwort auf Kölsch?

Leider sind viele Schimpfwörter oft sehr diskriminierend, daher würde ich… Ach, was soll’s, es ist du „Du bes en fiese Möpp!“ alternativ „Ahl Kraad“. Beide benutze ich wirklich zu oft.

Bitte vervollständige den Satz: Köln ist …

en Jungfrau un en ahle Möhn.


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„Unglückspfarrer“ begeht Doppelmord auf den Poller Wiesen

Die Kölnische Zeitung vom 20. September 1803 berichtete von der Tat: "Selten hat ... eine Sache so viel Gerede, so viel Abscheu und Grausen erregt ..."
Die Kölnische Zeitung vom 20. September 1803 berichtete von der Tat: „Selten hat … eine Sache so viel Gerede, so viel Abscheu und Grausen erregt …“

Am 29. Dezember 1803 fiel das Fallbeil und beendete das Leben von Peter Joseph Schäffer. Er wurde für den Doppelmord an den Schwestern Barbara und Katharina Ritter verurteilt und hingerichtet. Dieser Doppelmord im Jahr 1803 auf den Poller Wiesen hatte alles, was die Skandalpresse liebt: Geldgier, verbotene Liebe, Lügen, ein mörderischer Geistlicher und sehr viel Blut. Kein Wunder, dass dieser Kriminalfall auch unter dem Titel „Ein Vampyr im Priestergewand“ in die Kriminalgeschichte einging.

Hintergrund war der tiefe Fall des seinerzeit prominenten Pastors Peter Joseph Schäffer, der als Pfarrer in St. Maria in der Kupfergasse tätig war. Schäffer, ein respektierter Geistlicher, dessen Predigten sogar gedruckt wurden, hatte heimtückisch zwei Frauen umgebracht. Eine solche Konstellation führte Anfang des 19. Jahrhunderts zu großer Aufregung, und die Presse veröffentlichte eigens Sonderauflagen, um über den Fortschritt der Ermittlungen zu informieren.

Ein Mann aus bescheidenen Verhältnissen

Peter Joseph Schäffer wurde am 25. Juli 1766 in Ahrweiler geboren und wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Sein Vater war Gerichtsschreiber und trotz des äußerst kargen Auskommens der Familie wurde dem Sohn Peter Joseph bis zum 13. Lebensjahr der Schulbesuch ermöglicht – alles andere als eine Selbstverständlichkeit in der damaligen Zeit. Nach dem Schulabschluss setzte er seine Ausbildung bei den Minoriten in Sinzig fort und studierte anschließend in Köln und Bonn Theologie und Philosophie. Im Jahr 1792 wurde er in Straßburg zum Priester geweiht und war als Pfarrer in Uffholz und Sennheim, in der Nähe von Colmar, tätig.

Auffällig waren die jeweils sehr kurzen Dienstzeiten Schäffers in den Pfarreien. Gerüchten zufolge hatte der junge Pastor bereits damals erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Damit ging es ihm aber immer noch wesentlich besserer als seiner Schwester. Diese wohnte bereits in Köln, während Schäffer noch im Elsass tätig war. Sie wurde verurteilt „ein öffentliches Bordell gehalten, und ihre eigene Tochter den Männern zur Befriedigung sinnlicher Lüste hergegeben zu haben“. Das (vergleichsweise milde) Urteil: Ein Jahr Zuchthaus. Bei den Schäffers handelte es sich offensichtlich um eine ganz besondere Familie.

Schäffer lernt späteren Förderer im Gefängnis kennen

1794 nahmen die Franzosen das Elsass ein. Im revolutionären Frankreich Ende des 18. Jahrhundert wurden christliche Riten unter den Jakobinern verboten und viele Geistliche inhaftiert. So ging es auch Peter Joseph Schäffer, der in Besancon ins Gefängnis gesteckt wurde.

Marc-Antoine Berdolet, der Bischof von Aachen, förderte Peter Joseph Schäffer, Bild: Aegidius Johann Peter Joseph Scheuren (1774-1844), Public domain, via Wikimedia Commons
Marc-Antoine Berdolet, der Bischof von Aachen, förderte Peter Joseph Schäffer, Bild: Aegidius Johann Peter Joseph Scheuren (1774-1844), Public domain, via Wikimedia Commons

Dort lernte er den ebenfalls in Haft befindlichen Marc-Antoine Berdolet kennen. Eine Bekanntschaft, die sich später als äußerst nützlich erweisen würde, weil Berdolet im Jahr 1802 Bischof von Aachen wurde und seinen ehemaligen Mithäftling Schäffer stark förderte. So sorgte Berdolet dafür, dass Schäffer 1803 als Pfarrer in der St. Maria-Kirche in der Kupfergasse eingesetzt wurde.

Geheimer Ehevertrag des Pfarrers

Hätte Berdolet von dem Geheimnis im Leben Schäffers gewusst, hätte er ihn mit Sicherheit nicht gefördert. Denn in den Pfarrhäusern in Uffholz und Sennheim im Elsass lebten gemeinsam mit dem Pastor die Schwestern Barbara und Katharina Ritter unter einem Dach.

Auch wenn Haushälterinnen in katholischen Pfarrhaushalten nicht unüblich waren und heute noch sind, handelte es sich hier um eine ganz besondere Konstellation. Barbara Ritter war 20 Jahre älter als Schäffer, ihre Schwester Katharina war ungefähr im gleichen Alter wie der Pfarrer. Beide waren vermögend und überließen dem ständig klammen Schäffer ihr Geld und versorgten gleichzeitig auch noch den Haushalt. Was sie sonst noch im zölibatären Haushalts Schäffers so versorgten, ist den Quellen nicht zu entnehmen.

Die beiden Frauen, die immerhin Schäffers aufwändigen Lebensstil finanzierten, begehrten auf und verlangten von dem Pfarrer eine Absicherung. So kam es zu einem geheimen Ehevertrag zwischen Barbara Ritter und Peter Joseph Schäffer. Dieser Vertrag regelte exakt, wie Schäffer für seine geheime Ehefrau und deren Schwester zu sorgen hatte. Ein äußerst süffisanter und für Schäffer extrem riskanter Vertrag: Sollte jemals bekannt werden, dass er als katholischer Geistlicher eine (geheime) Ehe eingegangen ist, wäre seine Karriere erledigt.

Karriereschritt in Köln

So nutzte Schäffer auch die erste Chance, den beiden Schwester zu entkommen und folgte der Berufung durch die Förderung seines alten Freundes Berdolet. Dieser verfügte mittlerweile als Bischof von Aachen über erheblichen Einfluss und sorgte dafür, dass Schäffer in St. Maria in der Kupfergasse tätig werden konnte.

Für Schäffer nicht nur ein willkommener Karriereschritt, er wurde immerhin Pfarrer im „Hillije Kölle“, sondern auch die Gelegenheit, vor den ihm lästig gewordenen Schwestern Barbara und Katharina zu fliehen. Gleichzeitig entkam er auch der Pflicht, das von den Schwestern geliehene Geld zurückzuzahlen und dem Risiko, dass der geheime Ehevertrag doch noch auffliegen würde. Meinte er.

Doch er hatte die Rechnung ohne die beiden Schwestern gemacht. Bereits wenig später tauchen die beiden in Köln auf. Sie hatten ihr Haus im Elsass verkauft und wollten wieder bei und mit Schäffer leben.

Der junge Pastor war wenig begeistert und „parkte“ die beiden zunächst in einem Gasthof bevor er sie, wie bereits zuvor im Elsass, in seinem Pfarrhaus versteckte.

Schäffer plant Mord

Das Arrangement schien zunächst zu funktionieren. Nie sah man Schäffer zusammen mit den beiden Damen. Doch diese waren verständlicherweise unzufrieden mit der Situation und begehrten auf.

Ihre Drohung: Sie würden die ganze Geschichte mit der geheimen Ehe öffentlich machen und den Bischof informieren. Außerdem wollten sie das Geld, welches sie Schäffer geliehen hatten, zurück. Für Schäffer stand seine ganze Karriere, sein ganzes Leben auf dem Spiel. Seine Furcht, alles zu verlieren, war übermächtig. Für den Pfarrer eine ausweglose Situation. In den späteren Verhören gab er zu Protokoll:

Aus dem Verhör Peter Joseph Schäffer, Doppelmord an den Poller Wiesen

Der „verzweifelte Entschluss“ war der Mord an den beiden Schwestern. Ganze zwei Monate plante er, wie er diese Tat umsetzen könnte.

Brutaler Doppelmord am Rhein

Am 6. September 1803 war es soweit. Schäffer gaukelte den Frauen vor, mit ihnen nach Bonn zu fahren, um Möbel für einen gemeinsamen Haushalt zu kaufen. Die drei setzten sich in eine Postkutsche. Dabei war Schäffer bemüht, den Anschein zu erwecken, nichts mit den beiden Damen zu tun zu haben und nur zufällig in der gleichen Kutsche zu sitzen.

Er nutzte die fehlende Ortskenntnis der Schwestern aus, und die Reisegesellschaft fuhr statt nach Bonn nur bis Wesseling und setzte mit der Fähre über den Rhein. Von dort aus ging es zurück nach Köln, bis zu den Poller Wiesen. Dort lockte er die Frauen in ein uneinsichtiges Gelände und gab vor, seine Uhr verloren zu haben. Barbara und Katharina Ritter sollten helfen, diese wiederzufinden.

Frauen „mit abgeschnittenen Hälsen“

Im dichten Gebüsch schlug er zunächst Barbara mit einem Knüppel mehrfach auf den Kopf, um ihr danach die Kehle durchzuschneiden. Die jüngere Katharina versuchte noch zu fliehen. Doch Schäffer holte sie ein, und ihr widerfuhr das gleiche Schicksal wie Barbara.

Illustration der grausamen Tat, Bild: Temmes „Criminal-Bibliothek“, um 1875
Illustration der grausamen Tat, Bild: Temmes „Criminal-Bibliothek“, um 1875

Es muss ein grauenhaftes Bild gewesen sein. Später sollte es lauten, an den Poller Wiesen wären Frauen „mit abgeschnittenen Hälsen“ gefunden worden. Schäffer versuchte noch, die Leichen in den Rhein zu werfen, schaffte dies aber nicht. Er entsorgte nur das Messer, wusch sich im Wasser des Flusses das Blut sorgfältig ab und ging zu Fuß nach Hause.

Erfolgreiche Fahndung

Am anderen Tag wurden die beiden Leichname von Passanten entdeckt. Doch niemand kannte die beiden Frauen, die von der Öffentlichkeit versteckt im Pfarrhaus gelebt hatten. So entschied sich die Polizei dazu, die beiden Leichen öffentlich auszustellen.

Die Taktik der Fahnder ging tatsächlich auf, denn es meldete sich ein Mitreisender aus der Postkutsche, der die beiden Frauen wiedererkannte. Dieser Zeuge gab zu Protokoll: „Der Mann gehörte offensichtlich zu den Frauen, wollte aber den Eindruck erwecken, diese nicht zu kennen.“ Ferner berichtete der Zeuge, dass es sich um einen Geistlichen gehandelt habe. Er konnte diesen Mann auch beschreiben. Mit diesen Informationen war es für die Polizei einfach, auf den Pastor von St. Maria in der Kupfergasse zu schließen. Wenige Tage später wurde Schäffer festgenommen.

Schäffer verwickelt sich in Widersprüche

Am 16. September 1803 kam es zur ersten Vernehmung. Schäffer gab an, tatsächlich mit den beiden Damen in der Postkutsche gesessen zu haben, er würde diese aber nicht kennen. Er hätte die Postkutsche in Wesseling verlassen, um nach Köln zurückzureisen. Doch seine Verteidigung hält nicht lange stand, denn der Schiffer der Rheinfähre erinnerte sich daran, dass Schäffer gemeinsam mit den beiden Frauen übergesetzt hatte.

Der Geistliche versuchte den Polizisten die nächste Lügengeschichte aufzutischen: Er habe mit den Frauen nach Bonn-Pützchen fahren wollen, man hätte aber unterwegs wegen einer Feier in Deutz den Weg dorthin genommen. In Poll wären die drei von Räubern überfallen worden. Diese Räuber hätten die Schwestern getötet, er hätte fliehen können. Verständlich, dass auch diese Geschichte nicht glaubhaft erscheint. Schäffer wurde am 17. September 1803 in Haft genommen.

Geständnis mit der Hoffnung auf Begnadigung

Einen Tag später gesteht Schäffer die Tat und gibt ein Geständnis mit allen blutigen Einzelheiten ab. Sein Kalkül: Sein Status als Geistlicher würde ihn vor der Strafverfolgung schützen. Wie sich später herausstellte, war dies eine fatal falsche Einschätzung.

Als er Ende Oktober in ein Gefängnis nach Aachen verlegt wurde, gab es ein sehr großes Interesse an dem Fall. Auf den Straßen „drängten sich mehrere Tausende hinzu. Man sah Gesichter bleich werden, man sah Thränen fließen“. Der „Unglückspfarrer“ hatte eine unrühmliche Prominenz erreicht.

In dem Aachener Gefängnis verfasste Schäffer eine Biographie. In dem Vorwort dazu lautet es:

Aus dem Vorwort der Autobiographie Peter Joseph Schäffers, Doppelmord an den Poller Wiesen

Immer noch fühlt sich der selbstverliebte Pfarrer als Opfer und geht fest von einer Begnadigung aus – wer würde schon einen Priester verurteilen? Neben der Biographie verfasst Schäffer im Gefängnis auch Gedichte, er beschreibt insgesamt 60 Bögen Papier.

Der Priester wird zum Tod verurteilt

Am 17. November 1803 beginnt in Aachen die Verhandlung. Sehr zum Erstaunen des Gerichts widerruft Schäffer sein Geständnis und hält eine Rede voller Pathos, in welcher er eine völlig neue Version des Tathergangs schildert.

Die neue, ebenfalls wenig glaubwürdige Version basierte auf der bereits bekannten Geschichte, dass tatsächlich Räuber die drei Reisenden überfallen und die beiden Schwestern getötet hätten. Neu war aber, dass einer der Räuber, von Reue getrieben, seine Taten bei Schäffer gebeichtet hätte. Um das Beichtgeheimnis zu wahren, hätte Schäffer sich als Täter dargestellt, weil er als Priester ja nicht verurteilt werden würde.

Wenig überraschend folgte das Gericht den Ausführungen nicht und verurteilte Schäffer zum Tod. Der Verurteilte versuchte noch vergeblich, eine Beschwerde bei einem übergeordneten Gericht in Paris einzureichen, doch diese wurde postwendend abgelehnt.

Schäffer wird in Aachen hingerichtet, Illustration auf einem Flugblatt, Verfasser unbekannt
Schäffer wird in Aachen hingerichtet, Illustration auf einem Flugblatt, Verfasser unbekannt

Peter Joseph Schäffer wurde am 29. Dezember 1803 in Aachen mit der Guillotine hingerichtet. Seine letzten Worte, bevor das Fallbeil fiel, waren:

„Ich bin der erste Priester, der so eine schreckliche That begieng,
ich hoffe, dass ich auch der letzte seyn werde“.


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Kölner Stadtteile: Porz – acht gewaltige Schornsteine als Wahrzeichen

Das Rhenania-Phosphatwerk Porz am Rhein mit seinen markanten acht Schornsteinen um etwa 1920
Das Rhenania-Phosphatwerk Porz am Rhein mit seinen markanten acht Schornsteinen um etwa 1920

Vielleicht hat kein Stadtteil je ein so beeindruckendes Wahrzeichen gehabt wie Porz1Abgesehen von der Innenstadt mit dem Dom. Ungezählt sind die Postkarten, die das ehemalige Wahrzeichen von Porz zeigen.

Die acht Schornsteine des „Rhenania-Phosphatwerk Porz am Rhein“ (früher „Rheinische Portland Cementwerke“) thronten noch bis 1929 über dem Rheinufer. Bereits fünf Jahre zuvor hatte man das Werk, das Düngemittel herstellte, wegen seiner Unrentabiliät schließen müssen. 1930 wurde die Fabrik abgerissen und von 1964 bis 1967 das Porzer Krankenhaus auf dem Gelände errichtet. Deswegen sucht man die gewaltigen Schornsteine heute vergebens.

Neben dem Rhenania Phosporwerk siedelten sich zwei weitere Fabriken in Porz an: Die Eisenverarbeitung der Adelenhütte und die Spiegelglaswerke Germania.

Angestellten- und Arbeiterhäuser in der Germania-Siedlung Porz
Angestellten- und Arbeiterhäuser in der Germania-Siedlung Porz, Bild: gemeinfrei

Bedeutung als Gerichtsstätte

Doch trotz Industrie ist Porz nie eine reine Industriestadt und trotz des Namens wahrscheinlich auch keine römische Siedlung gewesen. Der älteste bekannte Beleg für Porz stammt aus dem Jahr 1019, dennoch wird der Name auf das Lateinische zurückgeführt, auf „porta“, Tor oder Tür, oder auf „portus“, der Hafen. Aufgrund der Lage scheint die Übersetzung Hafen näher zu liegen, obwohl das im Süden gelegene Zündorf über die Jahrhunderte hinweg einen weitaus größeren Einfluss als Hafen- und Handelsplatz hatte. Es habe sich vielmehr um eine kleine Anlegestelle für eine Fährverbindung zur anderen Rheinseite gehandelt, heißt es in der Forschung.

Sicher ist, dass Porz mehr als 500 Jahre lang eine große Bedeutung für die Rechtsprechung hatte. Bereits im Jahr 1286 wird Porz als eine so genannte übergeordnete Gerichtsstätte erwähnt. Nach einer großen Verwaltungsreform im Jahr 1555 wird dies bestätigt und die Zuständigkeit von Porz erweitert: Die herrschenden Grafen von Berg, deren Gebiet im Rechtsrheinischen an Köln, Deutz und Poll angrenzte, erheben Porz zum zentralen Hauptgericht für alle Landgerichte südlich der Wupper (das gesamte heutige rechtsrheinische Köln sowie Bensberg und Odenthal). Außerdem wird Porz zum Verwaltungszentrum für die umliegenden Dörfer. Das Gebiet entspricht in etwa dem heutigen Stadtbezirk Porz (ohne Poll, aber mit Heumar).

Konkurrenz mit Wahn und Heumar

Damit hatte Porz über Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte eine herausragende Rolle gespielt, ohne wirklich ein Zentrum zu sein. Im Jahr 1808, Porz dürfte so etwa 170 Einwohner zu dieser Zeit gezählt haben, erneuerte das Herzogtum Berg seine Verwaltung und Porz musste das erste Mal in seiner Geschichte eine Niederlage einstecken Der Einfluss der Gemeinde verschwand. Es entstanden die Bürgermeistereien Heumar mit den nördlichen und die Bürgermeisterei Wahn mit den südlichen Dörfern des heutigen Stadtbezirkes.

Porz mit den Nachbargemeinden um etwa 1820
Porz mit den Nachbargemeinden um etwa 1820

Eine Erhebung der Einwohnerzahlen aus dem Jahr 1828 verdeutlicht zumindest die Größe von Porz und der umliegenden Dörfer; allein in Niederzündorf wurden 640, in Oberzündorf 276 Einwohner gezählt. In Langel lebten damals 564, in Westhoven 304 und in Porz 268 Menschen.

Im Jahr 1875 wurde der Amtssitz von der Bürgermeisterei Heumar nach Porz verlegt, denn der Amtssitz folgte dem, der das Amt innehatte; 1910 schließlich wurde das Rathaus in Porz gebaut. 1928 wurde die Bürgermeisterei Heumar in Bürgermeisterei Porz umbenannt. Schon damals gab es erste Überlegungen, Porz nach Köln  einzugemeinden.

Selbstständigkeit bleibt erhalten – zunächst

Am 9. März 1919 war die Halle des Kölner Hofes am Rheinufer einfach zu klein, um allen interessierten Bürgern Einlass zu gewähren. Man stimmte damals zwar prinzipiell einer Eingemeindung zu, hielt „die augenblickliche Zeit aber nicht für geeignet (…), derselben näher zu treten.“ Köln, hieß es, könne wirtschaftliche und strukturelle Hilfe nicht im ausreichenden Maße bieten. Die Verbesserungen bei der Versorgung mit Wasserleitungen, Strom, Straßen oder auch Schulen konnte Köln damals nicht leisten, sodass der Gemeinderat sich am 12. Februar 1920 für die weitere Selbstständigkeit entschied.

Die Porzer wehren sich, zunächst erfolgreich, gegen eine Eingemeindung
Die Porzer wehrten sich, zunächst erfolgreich, gegen eine Eingemeindung

Auch nach dem Krieg konnte sich Porz einer Eingemeindung widersetzen. Noch immer sah man in dem Anschluss an Köln „weder für die Wirtschaft noch für den einzelnen Gemeindebürger einen Vorteil“. Stattdessen stieg die Zahl der Einwohner der Gemeinde Porz und überschritt zu Beginn der 1950er Jahre die 30.000er Marke. Auf Antrag erhielt Porz im September 1951 von der Landesregierung die Stadtrechte verliehen.

Eingemeindung nach Köln im Jahr 1975 

In den 1970er Jahren erlebte Porz die zweite Niederlage in seiner langen Geschichte. Man sah in der Stadt kein richtiges Mittelzentrum, das, wie etwa Leverkusen, neben Köln bestehen könne. Porz hatte erfolglos versucht, sich mit der Neugestaltung der Innenstadt in die Riege der modernen und großen Städte einzureihen. Die Experten meinten: Zu viele Menschen pendeln nach wie vor nach Köln; es fehlen Einrichtungen aller Art und Arbeitsplätze, als dass Porz unabhängig bleiben könne:

„Die Grenzen der kommunalen Gebietseinheiten in unserem Lande stammen großenteils noch aus dem vorigen Jahrhundert;2Damit ist hier das 19. Jahrhundert gemeint sie hemmen nicht nur zahlreiche Gemeinden in ihrer Entwicklung, sondern wirken vielfach auch anachronistisch, da inzwischen vornehmlich in den Ballungsgebieten neue Lebens, Siedlungs- und Wirtschaftsräume entstanden sind. Dieser Entwicklung haben sich aber die Grenzen der kommunalen Einheiten nicht angepaßt“3Quelle: Das Großzentrum Köln. Neuordnungsvorschlag der Stadt Köln zur kommunalen Gebietsreform. Herausgegeben von der Stadt Köln, 1972, Seite 5

 

Mit dem Köln-Gesetz des Landes Nordrhein-Westfalen endete nach gut 23 Jahren die Eigenständigkeit von Porz am 1. Januar 1975.


Teile dieses Textes durfte ich mit freundlicher Genehmigung des Emons-Verlags aus dem Buch „Kölns 85 Stadtteile“ von Christian Schuh übernehmen.


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Der „Kölner Keller“: VARheit oder Pflicht?

Die Schiedsrichterpfeife im Kreis: Das offizielle Logo des Videoschiedsrichters, Bild: DFB
Die Schiedsrichterpfeife im Kreis: Das offizielle Logo des Videoschiedsrichters, Bild: DFB

Es ist zum Albtraum fast jeden Fußballfans geworden: Ein Tor fällt, doch der Jubel bleibt zunächst aus, alle Blicke gehen zum Schiedsrichter. War der Spieler vielleicht doch 2,3 cm im Abseits? Und wenn dann der Schiedsrichter sich an den Ohrstöpsel greift und im „Kölner Keller“ nachfragt, kann es lange dauern.

100 Quadratmeter Keller in Deutz

Zur Saison 2017/18 wurde der Video-Assistent VAR (Video Assistant Referee) in der Bundesliga eingeführt, zwei Jahre später auch in der 2. Liga. Die Idee: Mehr Fairness im Spiel durch einen zusätzlichen Schiedsrichter, der sich strittige Entscheidungen aus unendlich vielen Kameraperspektiven in Super-Zeitlupe ansieht und seine Erkenntnisse dem Schiedsrichter auf dem Feld übermittelt.

Blick in den "Kölner Keller", Bild: DFB
Blick in den „Kölner Keller“, Bild: DFB

Dieser zusätzliche Schiedsrichter sitzt im „Kölner Keller“: Ein etwa 100 Quadratmeter großer, fensterloser Raum im Keller von RTL in den ehemaligen Messehallen direkt am Rhein. Dort betreibt RTL Technology, ein Tochterunternehmen des Medienunternehmens RTL, im Auftrag des Deutschen Fußball-Bund e. V. (DFB) und der Deutsche Fußball Liga GmbH (DFL) das High Tech Fußballanalysezentrum.

Der Aufwand für den Video-Assistenten ist extrem groß: Bis zu 21 Kameras in den Stadien sorgen für Bildern aus allen nur möglichen Perspektiven. Um die oft hauchdünnen und im Stadion nicht zu erkennenden Abseitspositionen bewerten zu können, hilft eine digitale Abseitslinie. Diese wird vor jedem Spiel in jedem Stadion neu kalibriert. Außer dem eigentlichen Videoassistenten gibt es noch für jede Partie einen weiteren DFB-Schiedsrichter zur Unterstützung sowie zwei Operatoren. Der Video-Assistent in Köln und der Schiedsrichter auf dem Spielfeld kommunizieren direkt via spezieller Telefonleitung miteinander.

Kölner Keller meldet sich etwa bei jedem dritten Spiel.

Viel Aufwand im „Kölner Keller“ dafür, dass der Video-Assistent nur bei vier ganz speziellen Situationen auf dem Spielfeld tätig wird:

  • Es fällt ein Tor,
  • es soll einen Elfmeter geben,
  • es gibt eine Rote Karte oder
  • der Schiedsrichter hat im Eifer des Gefechts einen Spieler verwechselt.

In der Saison 2021/22 kam es in der Bundesliga insgesamt zu 116 Einsätzen des Video-Assistenten. Bei den 306 Spielen der Saison gab es also durchschnittlich ungefähr in jedem dritten Spiel einen Videobeweis. Dieser Wert ist, mit ganz leichten Schwankungen, seit der Erfindung des „Kölner Kellers“ relativ stabil.

Vorwurf: Stadionerlebnis wird zerstört

Hauptkritik ist aber nicht der Aufwand, der für den Video-Assistenten betrieben wird, sondern die Verzögerungen im Spiel. Bruno Labbadia1Von Dezember 2022 bis April 2023 Trainer des VfB Stuttgart übte heftige Kritik: Der Videobeweis, so Labbadia, sei eingeführt worden, „um krasse Fehlentscheidungen aufzudecken. Und dann braucht der Schiedsrichter gefühlt zehn Minuten, um sich festzulegen. Ich bleibe ein totaler Gegner des VAR. Er macht den Fußball kaputt.“

Eine ähnliche Meinung vertritt auch Philipp Köster vom Fußballmagazin 11Freunde. Ohne radikale Reformen macht der Kölner Keller das Stadionerlebnis kaputt, meint Köster. Er fordert radikale Reformen, unter anderem soll der Kölner Keller aufgelöst und der VAR direkt ins Stadion an den Spielfeldrand gesetzt werden.

Rudi Völler, ehemaliger Nationalspieler und heutiger Direktor der Nationalmannschaft, kann sich den Fußball ohne Videobeweis nicht mehr vorstellen. Bild: Fuguito, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Rudi Völler, ehemaliger Nationalspieler und heutiger Direktor der Nationalmannschaft, kann sich den Fußball ohne Videobeweis nicht mehr vorstellen. Bild: Fuguito, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Bundesligatrainer in der Mehrheit für den Video-Assistenten

Die Sporthochschule Köln hat im Jahr 2019 eine Studie zum Videobeweis unter Schiedsrichtern, Trainern und Spielern durchgeführt. Lediglich 20 Prozent der Befragten monierten die negativen Aspekte des Videobeweises. Und nur drei der 18 Bundesligatrainer wollten den Video-Assistenten direkt wieder abschaffen.2Das waren der damalige Schalke-Trainer David Wagner, Marco Rose aus Mönchengladbach und Düsseldorfs Trainer Friedhelm Funkel. Allerdings geben selbst die Befürworter zu, dass der Videobeweis dem Fußball die Emotionen nimmt.

Auch Rudi Völler, seit 1. Februar 2023 Direktor der deutschen Nationalmannschaft, war nur anfänglich gegen den Video-Assistenten: „Am Anfang war ich noch gegen den Videobeweis. Jetzt kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass er nicht mehr da ist“.

Die Befürworter des Videobeweises setzen auf Transparenz. DFB-Schiedsrichter Patrick Ittrich geht davon aus, dass man den Fans erklären muss, wie und weshalb im Kölner Keller entschieden wird. Ittrich: „Es ist das A und O, dass wir die Fans im Stadion und an den Bildschirmen mitnehmen und erklären, was wir tun.“

Transparenz für die Zuschauer im Stadion: Anzeige zur Entscheidung des Videoassistenten im Stadion, Bild: DFB
Transparenz für die Zuschauer im Stadion: Anzeige zur Entscheidung des Videoassistenten im Stadion, Bild: DFB

Weitere Entfremdung zwischen Profi- und Amateurbereich

Bei allen pro- und contra-Argumenten bleibt aber eine Sache völlig außer Acht: Bis zur Einführung des Videoschiedsrichters in der Saison 2017/18 gab es nur ein einziges Regelwerk, egal ob es sich um das Top-Spiel der Bayern gegen Dortmund oder einen Kick in der Kölner Kreisklasse D zwischen dem SC Volkhoven III und dem VfR Sinnersdorf handelte. Da aber der Videobeweis nur in den beiden ersten Ligen eingesetzt wird, haben sich diese beiden Welten noch mehr entfremdet als vorher schon.

Selbst im Kölner Keller immer vorschriftsgemäß im Schiedsrichtertrikot: Videoassistenten bei der Arbeit, Bild: DFB
Selbst im Kölner Keller immer vorschriftsgemäß im Schiedsrichtertrikot: Videoassistenten bei der Arbeit, Bild: DFB

Im Trikot im Keller

Im dunklen Kölner Keller -wegen der für die Videoanalysen notwendigen Lichtverhältnisse ist das tatsächlich ein Keller- wird aber munter weiter entschieden. Kurios: Die an den Monitoren sitzenden Schiedsrichter tragen übrigens im Einsatz immer Schiedsrichtertrikots.

Im Kölner Keller. Irgendwie schräg.  


Auch der DFB fühlt sich der Transparenz verpflichtet und hat ein Video über den Kölner Keller, die Protagonisten und die Arbeitsweise veröffentlicht.


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Kölner Stadtteile: Zollstock – das Maß aller Dinge!

Das Zollstockwappen: Unter den Drei Kronen des Kölner Wappens ist der Zollstock, das Zollhäuschen und das Pflaster des Zollstockswegs abgebildet.
Das Zollstockwappen: Unter den drei Kronen des Kölner Wappens ist der Zollstock, das Zollhäuschen und das Pflaster des Zollstockswegs abgebildet.

Wenn es bei der Kölner Fortuna im Südstadion gut läuft, erschallt neben den obligatorischen „Fortuna“-Rufen auch „Zollstock ist das Maß aller Dinge.“ Was zunächst vermessen scheint, ist aber tatsächlich die Wahrheit: Mit einem Zollstock lassen sich alle beliebigen Dinge vermessen. Nur hat der Name des Kölschen Veedels Zollstock nichts mit dem gleichnamigen Gliedermaßstab zu tun, sondern mit einer ehemaligen Zollgrenze.

Zollgrenze zwischen erzbischöflichem Gebiet und der freien Reichsstadt Köln

Bevor der eigentliche Stadtteil entstand, fanden sich auf dem Gebiet des heutigen Zollstocks nur Kappesboore1Bauern, die Kohl anbauen. und, dank des lehmreichen Bodens, einige Ziegeleien. Erst 1877 findet sich die erste Erwähnung des Ortsnamens Zollstock in „Grevens Adressbuch“. Doch den eigentlichen Zollstock, welcher die Zollgrenze bildete, gab es bereits etwa 100 Jahre früher.

Schon seit etwa 1770 wurden vor den Stadttoren der Stadt Köln Schlagbäume aufgestellt. Die Zollgrenze bildete der Bischofsweg. Dieser Bischofsweg2Nicht zu verwechseln mit dem heutigen Bischofsweg als Verbindung zwischen Bonner Straße und Vorgebirgsstraße. lief einmal rund um die damalige Stadt Köln und markierte die Grenze zwischen der Reichsstadt Köln und den vom Erzbischof kontrollierten Territorien, abgegerenzt durch Schlagbäume. Auch im heutigen Zollstock befand sich ein solcher Schlagbaum.

Der Bischofsweg folgt im Abstand der Stadtmauer und "umrundet" die Stadt Köln, Bild: Schweidkarte aus dem 17. Jahrhundert.
Der Bischofsweg folgt im Abstand der Stadtmauer und „umrundet“ die Stadt Köln, Bild: Schweidkarte aus dem 17. Jahrhundert.

Zuerst wenig wohnliche Gegend, später „Schutzmannshausen“

Ab ca. 1815/16 gehörte das heutige Zollstocker Gebiet zur Bürgermeisterei Rondorf. Die Lehmhütten in Zollstock und die Kiesgruben führten dazu, dass es in Zollstock, so der Bürgerverein Zollstock, „aussah wie eine Mondlandschaft: Brachgelände, Mulden, Erdhügel, einige größere Gruben am Gottes- und Zollstocksweg reichten sogar bis aufs Grundwasser.“

Verständlich, dass sich hier zunächst nur wenige Menschen niederlassen wollten. So wurden für das Jahr 1880 gerade einmal 102 Einwohner verzeichnet. Im Zuge der zahlreichen Eingemeindungen im Jahr 1888 wurde der Stadtteil nach Köln eingemeindet – ein Glücksfall für Zollstock. Denn mit dieser Eingemeindung siedelten  sich zahlreiche Unternehmen und damit auch deren Arbeitnehmer an.

So begann Zollstock ab dem Jahr 1900 massiv zu wachsen. Zahlreiche Wohnungsbaugenossenschaften errichteten Siedlungsbauten, vorrangig für Beamte. Schnell bürgerte sich daher der Begriff „Schutzmannshausen“ ein. Diese Wohnhäuser, unter anderem auch von Wilhelm Riphahn, prägen noch immer das Zollstocker Stadtbild. Heute leben mehr als 23.000 Menschen in diesem Stadtteil.

Die von dem renommierten Kölner Architekten Wilhelm Riphahn 1927-30 konzipierte Wohnsiedlung in Zollstock, Bild: Asperatus, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Die von dem renommierten Kölner Architekten Wilhelm Riphahn 1927-30 konzipierte Wohnsiedlung in Zollstock, Bild: Asperatus, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Straßenbahn selber bezahlt?

Zollstock ist durch die Straßenbahnlinie 12 angebunden. Karlheinz Steimel, Vorsitzender des Zollstocker Bürgervereins im Jahr 2008, stellte klar, dass Zollstocker Geschäftsleute und Bürger schon ab 1900 für eine Anbindung ans Straßenbahnnetz kämpften. Doch der Bau der Straßenbahn wurde von der Stadt erst beschlossen wurde, nachdem die „Vereinigung der Fabrik-, Haus- und Grundbesitzer von Köln Zollstock“ 50.000 Goldmark dafür gesammelt hatte.

Angeblich hätten die Zollstocker 1904 als einziger Stadtteil für die Schienen der Straßenbahn selber zahlen müssen.

Die Linie 12, im Hintergrund die typischen Zollstocker Genossenschaftsbauten, Bild: Qualle, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Die Linie 12, im Hintergrund die typischen Zollstocker Genossenschaftsbauten, Bild: Qualle, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

„Man muss ja auch nicht alles glauben, was man so hört … – mer kann et ävver jot wigger verzälle!“, so der Ur-Zollstocker, Stadtführer, Buchautor und Liedermacher Günter Schwanenberg zu der „Ortslegende“ rund um die bezahlte Straßenbahn. Tatsächlich, so Schwanenberg, wurden wohl auch andere Stadtteile zur Kasse gebeten.

Kölns größer Friedhof liegt in Zollstock

Die Endhaltestelle der Zollstocker Straßenbahnlinie 12 ist heute an Kölns größtem Friedhof, dem Südfriedhof. Auch wenn die Promi-Dichte nicht so hoch ist wie auf dem Melatenfriedhof, haben auf dem Südfriedhof eine ganze Reihe bekannter Kölner ihre letzte Ruhe gefunden. Und da das Villenviertel Marienburg zum Beerdigungsbezirk des Südfriedhofs gehört, gibt es auch hier eine kleine „Millionenallee“. 

Licht und Schatten auf dem Kölner Südfriedhof, Bild: Thomas Salditt
Licht und Schatten auf dem Kölner Südfriedhof, Bild: Thomas Salditt

Der eher an einen Park erinnernde Friedhof, eröffnet am 1. April 1901, weist nicht das typische schachbrettartige Muster von Friedhöfen auf. Die bogenförmig angelegten Wege des ältesten Teils des Friedhofs laden dazu ein, nicht systematisch über das Gelände zu gehen. Eher lässt man sich treiben, erkundet auch kleinere Gräberfelder.

Indianer mitten in der Stadt?

Eine Besonderheit ist die sogenannten „Indianersiedlung“ in Zollstock. Auf einem Gelände in der Nähe des Südfriedhofs wurden Ende der 1920er Jahre für bedürftige Menschen Behelfssiedlungen zugelassen. Die Auflagen für den Bau waren, um die Kosten möglichst niedrig zu halten, sehr gering. Allerdings musste schnell nach Erteilung eines „Bauscheins“ mit dem Bau begonnen werden. Wie und was gebaut wurde, wurde den Bauherren überlassen.

So entstanden sehr individuelle Bauten, die nach dem Zweiten Weltkrieg auch von Flüchtlingen und später von Studenten, die alternative Wohnformen suchten, genutzt wurden. 

Doch schon seit den 1960er Jahren wurde über eine Erweiterung des Südfriedhofs nachgedacht. Dafür wurden die sich im städtischen Besitz befindlichen Parzellen der Indianersiedlung geräumt, berichtet der ausgewiesene Zollstock-Kenner Günter Schwanenberg.  Die Parzellen, die sich im Besitz der Bahn befanden, blieben unangetastet.  

Die Indanersiedlung in Köln-Zollstock, Bild: Superbass / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
Die Indanersiedlung in Köln-Zollstock, Bild: Superbass / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Allerdings waren die Hippies und Kommunarden in der Siedlung von Seiten der Stadt wenig erwünscht. Daher beschloss man 1978 eine Änderung des Flächennutzungsplans: Die Indianersiedlung sollte verschwinden, stattdessen sollte der Südfriedhof vergrößert und auch Gewerbeflächen angeboten werden. Doch die Siedler zeigten sich wehrhaft und organisierten sich erfolgreich. Sie gründeten eine Genossenschaft und kauften das Gelände Ende der 1990er Jahre.

Der Begriff „Indianersiedlung“ stammt von dem Autor Hans Conrad Zander, ebenfalls Bewohner dieser Siedlung. Er besuchte Indianer-Reservate und stellte Ähnlichkeiten mit der Siedlung in Zollstock fest. Diese sei, so Zander, ähnlich eigenwillig und naturverbunden und er prägte daher den Begriff „Indianersiedlung“.

Das Kölner Südstadion, Bild: Uli Kievernagel
Das Kölner Südstadion, Bild: Uli Kievernagel

Denn Fortuna, dat simmer all he

Auch wenn sich der SC Fortuna Köln immer als „Südstadtverein“ präsentiert: Tatsächlich liegen Stadion und Geschäftsstelle in Zollstock. Wenn die Vereins-Hymne am Spieltag durch das Stadion an der Vorgebirgsstraße schallt und sich alle bei „Dausend Fahne, nur ze ahne“ in den Armen liegen, ist allen leidgeprüften Fortuna-Fans klar, dass es irgendwann so weit sein wird:

Eines Tages wird’s geschehen,
ja dann fahren wir nach Mailand,
um Fortuna Köln zu sehen.“

Aus & für Zollstock: In diesem Veedel ist man bestens organisiert!
Aus & für Zollstock: In diesem Veedel ist man bestens organisiert!

Zollstocker sind gut organisiert!

Auch unabhängig von den „Indianern“ zeigt sich Zollstock sehr gut organisiert. Nicht nur wegen des Bürgervereins Zollstock, immerhin einer der größten und ältesten Bürgervereine Kölns, sondern auch wegen zahlreicher Initiativen und Vereine wie zum Beispiel

 

 Der idyllische Kalscheurer Weiher, links befinden sich Büdchen und Bootsverleih, Bild: Unclesam999, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Der idyllische Kalscheurer Weiher, links befinden sich Büdchen und Bootsverleih, Bild: Unclesam999, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia CommonsEiner der schönsten Biergarten Kölns befindet sich in Zollstock, am Kalscheurer Weiher. Im Grüngürtel betreibt eine Bürgerinitiative seit ein paar Jahren liebevoll ein Büdchen, für welches mehr als 40.000 Euro an Spenden eingeworben und viele tausend Stunden ehrenamtlicher Arbeit geleistet wurden. Für die Freizeitkapitäne gibt es einen Bootsverleih.

Zollstock aus Zollstock

Und wie war das jetzt mit „Maß aller Dinge“? Der Zollstocker Bürgerverein hat das mit dem „Zollstock aus Zollstock“ wörtlich genommen und zum 111jährigen Jubiläum tatsächlich einen Zollstock mit dem Zollstocker Wappen produzieren lassen.

Der „Zollstock aus Zollstock“ vom Allgemeinen Bürgerverein Zollstock e.V.
Der „Zollstock aus Zollstock“ vom Allgemeinen Bürgerverein Zollstock e.V., Bild: Uli Kievernagel

Jood jemaht!


111 Jahre Allgemeiner Bürgerverein Zollstock

Zum 111jährigen Jubiläum im Jahr 2019 hat der Allgemeine Bürgerverein Zollstock eine Festschrift herausgegeben. Der Ur-Zollstocker Günter Schwanenberg hat die Geschichte des Bürgervereins, die untrennbar mit der Geschichte des Veedels verbunden ist, aufgearbeitet.

Anders als übliche Festschriften, die oft nur aus Werbung des lokalen Einzelhandels bestehen, hat Schwanenberg akribisch, zum Teil kritisch, aber immer mit einem Augenzwinkern die 111 Jahre des Bürgervereins in 52 äußerst lesenswerte Seiten gefasst.


Der Theophanoplatz mitten in Zollstock, Bild: Quadworks, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Der Theophanoplatz mitten in Zollstock, Bild: Quadworks, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Zollstock: „Du häs Charme, ävver kei Minsch erkennt dat“

Die Bläck Föös haben neben der Fortuna-Vereinshymne auch noch einen zweiten Titel zu Zollstock im Repertoire. Im Lied „Zollstock“ aus der Feder von Hans Knipp heißt es:

„Joot versteck zwesche drei Täler,
Linden-, Bayen- un Raderthal,
recks Du Dich däm Himmel entjäje,
doch däm es dat völlich ejal.“

Und mit einem Augenzwinkern weist der Text auch auf Zollstocks größte Sehenswürdigkeit hin:

„Doch eine letzte Wunsch, dä hätt ich,
deef en Zollstock bejrave ze sin.“


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Pfarrkirche Christi Auferstehung – verspiegelter Hingucker im belgischen Viertel

Die Kirche Christi Auferstehung Bild HOWI - Horsch, Willy, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
Die Kirche Christi Auferstehung Bild HOWI – Horsch, Willy, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Ein Ufo? Eine Kirche? Eine Disco? Verwundert reibt man sich die Augen, wenn man auf den verspiegelten Bau an der Moltekstraße im Belgischen Viertel schaut. Irgendwie erkennt man dann aber, dass es sich schon um eine Kirche handelt. Immerhin gibt es einen Kirchturm. Und auch die roten Stahlträgern bilden die Silhouette einer Kirche nach.

Tatsächlich ist es keine Kirche. Zwar stand hier einmal die Auferstehungskirche – immerhin der damals größte eigenständige Kirchenbau der Alt-Katholiken in Deutschland. Doch heute ist der verspiegelte Bau ein reines Bürohaus. 

Alt-Katholiken gründen sich nach dem Ersten Vatikanischen Konzil 

Die Alt-Katholiken haben sich als Folge der Beschlüsse des Ersten Vatikanischen Konzils (1869/70) gegründet. In diesem Konzil wurden das „Papstprimat“1Der Vorrang des Papstes als Führer aller Christen. und die Unfehlbarkeit des Papstes festgelegt. Christen, die diese Beschlüsse nicht mittragen wollten wurden exkommuniziert und gründeten neue, unabhängige Gemeinden.

„Diese Bewegung hatte einen enormen Erfolg im wirtschaftsliberalen katholischen Bürgertum“ so Ulrich Krings ehemaliger Kölner Stadtkonservator im Kölner Stadt-Anzeiger2„Die Auferstehung einer Kirche“, in der Ausgabe vom 13. Januar 2021. Und genau diese Personen waren wohlhabend und stifteten erhebliche Summen, um sich ein repräsentatives Gotteshaus in Köln zu errichten. So stiftete zum Beispiel Carl Stollwerck, ein Mitglied der Stollwerck-Schokoladen-Dynastie, die Kanzel.

Anleihen aus der Romanik und dem Jugendstil

Im Jahr 1906 begann der Bau der Auferstehungskirche. Der Architekt Peter Recht errichtete einen außergewöhnlichen Kirchenbau. Ein völlig neuer Stil mit Anleihen aus der Romanik und dem Jugendstil. So entstand eine zweijochige Kirche mit breitem Querschiff und zwei kleineren Türmen am Chor. Auch die verwendeten Materialien verschafften dieser Kirche eine ganz besondere Wirkung. Während der Sockel aus Dolomitgestein gefertigt wurde, waren die Wände aus Backstein gemauert. Ein Putz mit weißen und schwarzen Steinen auf den großen Wandflächen sorgte für einen weiteren Farbkontrast.

Die Kirche Christi Auferstehung früher, Bild anonym, via Wikimedia Commons
Die Kirche Christi Auferstehung früher, Bild anonym, via Wikimedia Commons

Ulrich Krings ist sich sicher: „Das war völlig revolutionär für 1906. Das hätte die katholische Kirche niemals zugelassen.“3„Die Auferstehung einer Kirche“, in der Ausgabe vom 13. Januar 2021. Tatsächlich gab es sogar ausdrückliche Verbote von Seiten der katholischen Bistumsleitung, Elemente des Jugendstils für Kirchen zu verwenden.

Vielleicht noch ein Grund mehr für die Alt-Katholiken, sich auch und gerade durch den Baustil des Gotteshauses deutlich von der katholischen Kirche abzugrenzen.

Die 1944 durch zwei Bomben zerstörte Kirche Christi Auferstehung, Bild: Alt-Katholische Gemeinde Köln
Die 1944 durch zwei Bomben zerstörte Kirche Christi Auferstehung, Bild: Alt-Katholische Gemeinde Köln

Zerstörung im Krieg – moderner Wiederaufbau

Zwei Bombentreffer im Jahr 1944 beschädigten die Kirche – bis auf den Kirchturm – so schwer, dass die weitere Benutzung des Kirchenraums nicht mehr möglich war. Daher wurde 1953 eine Notkirche an gleicher Stelle fertiggestellt. Allerdings fehlten der Gemeinde für eine vollständigen Wiederaufbau die finanziellen Mittel.

In den 1980er Jahren entschloss sich die Gemeinde, dass Kirchengrundstück zu verkaufen und bebauen zu lassen. Die entscheidende Idee für den Neubau lieferte der Architekt Professor František Sedláček (1943 – 2008). Statt eines gesichtslosen sechsgeschossigen „normalen“ Neubaus schlug Sedláček vor, mit einem roten Stahlgerüst die Silhouette der Kirche nachzuempfinden.

Die Kirche Christi Auferstehung früher und heute, Bild früher: anonym, Bild heute: HOWI - Horsch, Willy, CC BY 3.0, beide via Wikimedia Commons
Die Kirche Christi Auferstehung früher und heute, Bild früher: anonym, Bild heute: HOWI – Horsch, Willy, CC BY 3.0, beide via Wikimedia Commons

Und somit entstand von 1991 bis 1993 wieder eine ganz besondere Architektur an der Moltkestraße: Der sanierte Kirchturm wird von einem futuristischen, verspiegelten und an die Kirche erinnernden modernen Bau flankiert.

In diesem Bau unterhalten mehre Unternehmen ihre Büros, darunter auch die Web- und Werbeagentur cekom. Geschäftsführer Marcus Fornfeist schätzt diese außergewöhnlichen Räumlichkeiten. Und die Turmglocke, so Fornfeist mit einem Lächeln im Gesicht, hilft bei der Tagesstruktur: „Mittags um 12 Uhr, weist sie darauf hin, dass man auch mal was essen sollte und um 18 Uhr, dass es auch einen wohlverdienten Feierabend gibt.“

Marcus Fornfeist, Geschäftsführer der Web- und Werbeagentur cekom, schätzt diese ganz besonderen Räumlichkeiten und ganz besonders den Glockenschlag der Christuskirche, Bild: cekom
Marcus Fornfeist, Geschäftsführer der Web- und Werbeagentur cekom, schätzt diese ganz besonderen Räumlichkeiten und ganz besonders den Glockenschlag der Christuskirche, Bild: cekom

„Geiss TV“ und „Roberto Geissini“

Zwischenzeitlich residierten in dem Bau auch zwei Firmen des aus dem Fernsehen bekannten Unternehmers Robert Geiss. Der um seine markanten Sprüche nie verlegene „Rooooooooobert“ Geiss meinte dazu „Wenn wir schon nicht den Dom kriegen, dann wenigstens eine Kirche“.

Damit lag Geiss allerdings falsch. Denn das verspiegelte Gebäude ist nur einer Kirche nachempfunden, war aber nie ein Gotteshaus. Daher gefiel dem Gemeindepfarrer der Alt-Katholischen Gemeinde Jürgen Wenge diese Aussage von Robert Geiss überhaupt nicht. Er wies darauf hin, dass sich das eigentliche Kirchengebäude nach wie vor im Besitz und Gebrauch der alt-katholischen Gemeinde befinde und lediglich das Bürohaus von Geiss genutzt werde. Und glücklich war Wenge mit seinen neuen Nachbarn auch nicht: „Wenn wir hier ein Mitspracherecht hätten, würden wir mit Sicherheit andere Nachbarn als dieses Promipaar mit seinem Soap-Gedöns wählen.“4„Die Geissens haben Streit mit neuen Nachbarn“, Rheinische Post vom 11.03.2016

Blick aus dem neuen Kirchenraum durch die Glaspyramide auf den alten Turm, Bild: Alt-Katholische Gemeinde Köln
Blick aus dem neuen Kirchenraum durch die Glaspyramide auf den alten Turm, Bild: Alt-Katholische Gemeinde Köln

Alt-Katholische Kirche direkt neben dem modernen Bau

Tatsächlich hat sich die Gemeinde von den Verkaufserlösen eine völlig neue Kirche gebaut. Diese befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Pfarrgartens, fast direkt an dem verspiegelten Bau.  Der Eingang zur neuen Kirche befindet sich im Torbogen zum ehemaligen Pfarrgarten. Durch eine Glaspyramide über dem Kirchenraum ist der direkte Blick auf den Kirchturm möglich.

Und in welcher anderen Kirche kann man schon aus dem Innenraum direkt auf den Kirchturm schauen?


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