Zirkus in der Kirche? Zirkus in der Kirche!

Die Artisten des Cirque Buffon bändigen einen Elefanten auf der Bühne - mitten in der Kirche. Bild: Uli Kievernagel
Die Artisten des Cirque Bouffon bändigen einen Elefanten auf der Bühne – mitten in der Kirche. Bild: Uli Kievernagel

In diesen Tagen fällt es allen – und ganz besonders uns Kölnern – leicht, auf die Kirche draufzuhauen. Die unrühmlichen Nachrichten rund um das Vertuschen, Verdrängen und Verleugnen sind inzwischen Alltag. Es ist momentan echt Zirkus in der Kirche!

Und das mit dem Zirkus ist wörtlich zu nehmen: Ein kleines Häufchen Aufrechter in der „Kirche für Köln“ macht die Türen auf. Für den Zirkus. Und was für ein Zirkus!

Die Weihnachtsshow Cupido des Cirque Bouffon

Aktuell1Vom 23. November 2022 bis zum 8. Januar 2023 gastiert der Cirque Bouffon in St. Michael. In einer Kirche. Ein Zirkus. Hoffentlich erfährt das der Papst nicht! Dabei bietet der Cirque Bouffon genau das, was eigentlich auch die Kirche bieten soll: „Wir wollen die Herzen berühren und die Zeit entschleunigen“ so der französische Regisseur Frédéric Zipperlin über die Weihnachtsshow „Cupido“.

Cupido, besser bekannt als „Amor“, ist der römische Gott der Liebe. Wenn er mit seinen Pfeilen trifft, erweckt er genau diese Liebe. Und im Cirque Bouffon schaffen das die Clowns Helena Bittencourt und Goos Meeuwsen, beide als Amor mit Flügeln verkleidet. Ihre (imaginären) Pfeile treffen das Publikum und bilden den roten Faden der Show, in der sich Tanz, Musik, Komik und die Akrobatik der Artisten zu einem Gesamtkunstwerk verbinden.

Die Clowns Helena Bittencourt und Goos Meeuwsen, beide als Amor mit Flügeln verkleidet. Bild: Uli Kievernagel
Die Clowns Helena Bittencourt und Goos Meeuwsen, beide als Amor mit Flügeln verkleidet. Bild: Uli Kievernagel

„Herzlich willkommen zu einem Abend voller Liebe und Wollust“

Dass überhaupt ein Zirkus in einer Kirche auftreten kann, hat das Team von „Kirche für Köln“ möglich gemacht. In St. Michael am Brüsseler Platz, mitten im Belgischen Viertel, verwirklicht das Team unter der geistlichen Leitung von Uli Merz und Lisa Brentano ihren Traum von Kirche: Ein Haus mit vielen offenen Türen, in dem alle Menschen etwas Gutes für ihr Leben finden.

Verstärkt wird ihr Team durch Priester Thomas Frings, der in seiner Begrüßung zur neuen Show deutlich machte, um was es bei Cupido geht: „Letzte Woche stand hier noch ein Altar, heute treten hier die Artisten auf. Herzlich willkommen zu einem Abend voller Liebe und Wollust.“ Durchaus ungewöhnliche Worte eines Priesters in einer Kirche.

Akrobatik am Seil - die Artistin Anna Abrams nutzt die ganze Höhe des Kirchenbaus, Bild: Uli Kievernagel
Akrobatik am Seil – die Artistin Anna Abrams nutzt die ganze Höhe des Kirchenbaus, Bild: Uli Kievernagel

Cupido nutzt den ganz besonderen Raum einer Kirche konsequent aus

Doch Frings trifft den Nagel auf den Kopf. Der Zirkus nutzt konsequent die ganz besonderen Möglichkeiten, die die drittgrößte Kirche Kölns2nach dem Dom und St. Agnes bietet: Die große Höhe des Hauptschiffs bildet die angedeutete Kuppel des Zirkuszelts und ermöglicht der Seilartistin Anna Abrams, ihre artistischen Übungen in schwindelerregender Höhe zu präsentieren. Die eigens von Sergej Sweschinski komponierte Musik nutzt die großartige Akustik des neoromanischen Baus der Kirche aus – inklusive Orgel.

Eine wunderbare Gelegenheit für Jeden, der mal für ein paar Stunden der hektischen Vorweihnachtszeit entfliehen möchte. In der perfekt inszenierten Show wechseln sich berührende Momente und urkomische Situationen ab. Wie etwa, wenn der Jongleur Evgeny Pimoneko mit federleichten Ringen jongliert. Direkt danach mündet der zunächst anmutige Tanz zweier Ballerinas in einer wüsten Schlägerei, welche man sonst nur aus Wrestling-Arenen kennt.

Was für ein Zirkus. In einer Kirche.


Der Cirque Buffon
Der Cirque Buffon

Cupido – Die Weihnachtsshow

Noch bis zum 8. Januar 2023, Spielzeiten:

  • Mittwoch bis Freitag 19:30 Uhr
  • Samstag 14:30 und 19:30 Uhr
  • Sonntag 14:30 und 17:30 Uh,
  • Montag und Dienstag keine Vorstellungen (Ausnahme: Montag, 26. Dezember 2022).
  • Am 24. Dezember finden die Weihnachtsgottesdienste unter Beteiligung des Cirque Bouffon statt. Der Eintritt ist kostenlos.
Zirkustage im Cirque Buffon
Zirkustage im Cirque Buffon

Tickets ab 25 Euro für Kinder, Schüler und Studenten bzw. ab 35 Euro über koelnticket (zzgl. VVK-Gebühr) oder an der Abendkasse in/vor St. Michael (ohne VVK-Gebühr, ab 2 Stunden vor jeder Vorstellung) gekauft werden.

Gespielt wird in der Kirche St. Michael, Brüsseler Platz 24, 50674 Köln


Kirche für Köln. eine neue Gemeinde
Kirche für Köln. eine neue Gemeinde

Kirche für Köln. Eine neue Gemeinde.
Stellt dir vor, die Kirche macht auf – und jeder geht hin

Während (zumindest bei gutem Wetter) das Leben im Schatten von St. Michael auf dem Brüsseler Platz tobt, war die Kirche immer leer und verlassen.

Die neu gegründete Gemeinde Kirche für Köln will das verändern. Dabei sind die Leitlinien „modern, offen, zugewandt“ nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern finden ihren Ausdruck in unterschiedlichen Veranstaltungen, die nicht typisch für die Kirche sind – wie zum Beispiel der Zirkus in der Kirche.


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Die Figuren am Rathausturm – eine kölsche Posse

Das Kölner Rathaus, hier auf einem Kupferstich um etwa 1655, Bild: Künstler unbekannt, via Wikimedia Commons
Gut zu erkennen: Das erste Figurenprogramm auf dem Kölner Rathausturm, hier auf einem Kupferstich um etwa 1655, Bild: Künstler unbekannt, via Wikimedia Commons

Podcast Rathausturm, 29

Su jet jitt et nur in Kölle! Wir machen zwar Dinge gerne schon mal mehrfach, aber was am Rathausturm in den 1980er passiert ist, ist leider irgendwie typisch kölsch.

Der im Stil der Spätgotik errichtete Rathausturm ist reich mit Zinnen und Vorhangbögen geschmückt. Am auffälligsten sind aber die 124 Figuren von Persönlichkeiten, die die Geschichte der Stadt Köln geprägt haben.

So findet sich dort heute eine bunte Mischung kölscher Prominenz, zum Beispiel Agrippina, Jan von Werth, Katharina Henot, Johann Maria Farina bis hin zu Nikolaus Otto. Es bedurfte allerdings mehrerer Anläufe, bis diese Figuren fest und sicher auf dem Turm standen.

Die Vorgeschichte: Die ersten Figuren stammten aus dem 15. Jahrhundert

Bereits mit Fertigstellung des Turms im Jahr 1414 war der Turm mit Figurten ausgestattet. Welche Figuren sich ursprünglich dort befanden, ist heute nicht mehr bekannt.

In den Jahren hatten Wind und Wetter den Figuren so massiv zugesetzt, dass diese anfingen, ganz oder in Teilen abzufallen. So beschloss der Rat am 22. Mai 1694 aus Sicherheitsgründen, die Figuren abzunehmen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde ein neues Figurenprogramm beschlossen. Diese Figuren wurden zwischen 1891 und 1901 in Auftrag gegeben.

Das Kölner Rathaus um 1900 - noch bevor die Figuren bis etwa 1902 neu aufgestellt wurden. Photochromdruck, Künstler unbekannt, Public domain, via Wikimedia Commons
Das Kölner Rathaus um 1900 – noch bevor die Figuren neu aufgestellt wurden. Photochromdruck, Künstler unbekannt, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Aufstellung dieser neuen Figuren war in Gruppen eingeteilt: Im Erdgeschoss war Platz für Fürsten und Erzbischöfe, im ersten Obergeschoss für Repräsentanten der Geschlechterherrschaft, eine Etage darüber für Repräsentanten der Zünfte. Das dritte Obergeschoss war für Männer der Künste und der Wissenschaft vorbehalten und im obersten Geschoss wachten die Schutzheiligen der Stadt über die Bürger. Die Letzte dieser Figuren wurde im Jahr 1902 aufgestellt.

Massive Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg

Das Rathaus wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört. Vom Rathausturm stand gerade noch ein Drittel. Es gab sogar Überlegungen, den Turm gänzlich abzureißen und neu aufzubauen. Doch die Kölner Handwerkerschaft erinnerte sich an ihre alte Zunft-Tradition und initiierte die „Bauhütte Rathausturm“. So wurde der Rathausturm, nach der Errichtung durch die Zünfte Anfang des 15. Jahrhunderts, im 20. Jahrhundert von den Kölnern Handwerkern gerettet.

Der zum größten Teil zerstörte Rathausturm im Jahr 1945, Fotograf: unbekannt
Der zum größten Teil zerstörte Rathausturm im Jahr 1945, die Figuren wurden fast vollständig zerstört, Fotograf: unbekannt

Von 1950 bis in das Jahr 1975 wurde an dem Rathausturm gebaut und das Gebäude originalgetreu wieder aufgebaut. Allerdings waren von den bis 1902 aufgestellten Figuren auf dem Turm nach dem Bombardement des Zweiten Weltkriegs kaum noch etwas übrig.

Neues Figurenprogramm in den 1980er Jahren: Bei 124 neuen Figuren gerade einmal fünf Frauen.

Die Stadt setzte eine Historikerkommission mit der Aufgabe, eine neue Auswahl an Figuren vorzuschlagen, ein. Die Bedingungen waren lediglich, dass weder lebende Personen noch „negative Figuren“ abgebildet werden dürfen.

Die Kommission benötigte gerade einmal fünf Jahre, um ein entsprechendes Figurenprogramm zu erarbeiten. So konnte endlich im Jahr 1986 das Konzept vom Kulturausschuss verabschiedet und dem Stadtrat zur Abstimmung vorgelegt werden. Bei dieser Stadtratssitzung muss es hoch hergegangen sein, denn die Fraktion der Grünen verweigerte konsequent die Zustimmung. Mit Recht!

Eine der wenigen Frauen auf dem Rathausturm: Die erfolgreiche Unternehmerin Fygen Lutzenkirchen (1450-1515), Bild: Raimond Spekking
Eine der wenigen Frauen auf dem Rathausturm: Die erfolgreiche Unternehmerin Fygen Lutzenkirchen (1450-1515), Bild: Raimond Spekking

Was die Grünen auf die Palme brachte: Die Kommission hatte bei den 124 Figuren gerade einmal fünf Frauen vorgeschlagen. Mit anderen Worten: In der mehr als 2.000 Jahre alten Stadtgeschichte sollen Frauen gerade einmal mit 4% berücksichtigt werden. Ein Eklat.

Überarbeitung des Figurenprogramms

Die Kommission wurde noch einmal beauftragt, das Programm zu überarbeiten. 1988 wurde der neue Vorschlag mit dem immer noch mickrigen Ergebnis, dass jetzt gerade einmal 18 Frauen berücksichtigt wurden, vom Stadtrat verabschiedet.

Was von dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission übrig blieb, war das Konzept, welche Figurengruppe wo ihren Platz finden sollte:

  • Im Erdgeschoss befinden sich Persönlichkeiten „Herrscher und herrschergleiche Personen“.
  • Danach folgen vom ersten bis zum dritten Obergeschoss „Für die Stadt wichtige Persönlichkeiten“.
  • Ganz oben ist der „Kölsche Himmel“: Die Schutzpatrone und Heiligen der Stadt
Adolf Clarenbach (rechts),auf Melaten hingerichteter evangelischer Reformator, Statue am Rathaus, Bild: Raimond Spekking
Die Figur von Adolf Clarenbach (rechts), auf Melaten hingerichteter evangelischer Reformator, Bild: Raimond Spekking

Die Stadt muss kötten gehen

Nach den Irrungen und Wirrungen um die inhaltliche Ausgestaltung des Figurenprogramms war die nächste Hürde die Finanzierung der Figuren. Da die Stadt – wie immer – klamm war, ging man kötten. Die Idee: Kölner Unternehmen, Verbände, Bürger, Vereine etc. wurden angefragt, ob sie nicht die Patenschaft über eine oder mehrere Figuren übernehmen könnten. Diese Patenschaft war damit verbunden, die entsprechende Figur auch zu stiften. Kein ganz günstiges Vergnügen – immerhin kostete damals eine Figur rund 25.000 DM. Für diesen Betrag konnte man im Jahr 1988 einen gut ausgestatten Audi 80 kaufen.

Doch die Kölner ließen sich nicht lumpen: So stifteten unter anderem das Bankhaus Sal. Oppenheim (Figur: Abraham Oppenheim), die Agrippina-Versicherung (Figur: Agrippina), der Verlag M. DuMont Schauberg (Figur: Karl Joseph Daniel DuMont), die Alfred Schütte GmbH (Figur: Meister Eckhart, Hans Imhoff (Figur: Severin von Köln), die Gerling-Versicherung (Figur: Gereon), Klosterfrau Melissengeist (Figur: Maria Clementine Martin), EMI Electrola (Figur: Jaques Offenbach) oder Klöckner-Humboldt-Deutz (Figur: Nicolaus Otto).

Figur des Nikolaus Gülich am Kölner Rathausturm (in der Mitte). Links neben ihm ist Johann Maria Farina, Bild: Raimond Spekking
Figur des Nikolaus Gülich am Kölner Rathausturm (in der Mitte). Links neben ihm ist Johann Maria Farina, Bild: Raimond Spekking

Aber auch die Willi-Ostermann-Gesellschaft (Figur: Willi Ostermann), der 1. FC Köln (Figur: Bernhard Letterhaus) sowie die Kreishandwerkerschaft Köln (Figur: Heilige Ursula) und die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung Köln (Figur: Nikolaus Gülich) traten als Stifter auf. Genau wie das Erzbistum Köln (Figur: Edith Stein), der Evangelische Stadtkirchenverband Köln (Figur: Adolf Clarenbach) oder der Kölner Brauerei-Verband (mehrere Figuren, u.a. Kaiser Augustus.)

Konservierung der Figuren für die Ewigkeit

Um die Figuren für eine lange Zeit haltbar zu machen, wurden diese mit Acrylharz getränkt. Grundsätzlich eine gute Idee. Denn die in der Gebäudeabdichtung, zum Beispiel auch am Dom, regelmäßig verwendeten Acrylharze haben eine gute Optik und eine hohe Beständigkeit. Nur war diese Konservierungsmethode leider nicht bei dem für die Figuren verwendeten Tuffstein geeignet.

Die Figur des Engelbert von Berg war eines der ersten Opfer der falschen Konservierungsmethode. Die Figur des Albertus Magnus wurde nicht mit Acrylharz getränkt und blieb unversehrt. Bild: Raimond Spekking
Die Figur des Engelbert von Berg war eines der ersten Opfer der falschen Konservierungsmethode. Die Figur des Albertus Magnus wurde nicht mit Acrylharz getränkt und blieb unversehrt. Bild: Raimond Spekking

Bereits nach zehn Jahren zeigten sich erste Risse in der Figur des „Engelbert von Berg“. Der Restaurator Thomas Lehmkuhl erkannte, dass der eher poröse Tuffstein der Figuren sich massiv mit dem Acrylharz vollgesaugt hatte. Das führte dazu, dass die Figuren, die vor der Behandlung mit dem Konservierungsmittel etwa 220 kg gewogen haben, danach aber satte 300 kg auf die Waage brachten.

Fachmann Lehmkuhl erklärte, dass der Tuffstein durch die große Menge Acrylharz hart und spröde wird. Lehmkuhl weiter: „Und gleichzeitig erhöht sich dadurch bei Sonnenschein oder Frost die thermische Belastung des Steins.“1„Risse im Kölner Turmpersonal!“, Welt am Sonntag vom 11. Dezember 2005

Die Originalfigur der Heiligen Ursula steht bei der Kreishanderwerkerschaft im Stapelhaus, auf dem Rathaus ist eine Kopie angebracht, Bild: Uli Kievernagel
Die Originalfigur der Heiligen Ursula steht bei der Kreishanderwerkerschaft im Stapelhaus, auf dem Rathaus ist eine Kopie angebracht, Bild: Uli Kievernagel

Eine Untersuchung der Figuren ergab, dass diese nicht mehr zu retten waren. Die Figuren zeigten massive Risse und bröselten vor sich hin.

Zwar wurde der „Schwarze Peter“, wer denn nun schuld an der Misere sei, noch hin- und hergeschoben. Doch die Tatsache, dass ausgerechnet die Figuren von Adolph Kolping und Albertus Magnus keine Auflösungserscheinungen zeigten, war Beweis genug: Diese beiden waren, genau wie 20 weitere Figuren, nicht mit dem Acrylharz getränkt worden und in einem tadellosen Zustand.

Neue Figuren im Jahr 2008

Aber: Die restlichen etwa 100 Figuren mussten neu beschafft werden. Daher startete die Stadt eine neue Spendenaktion, und viele der bereits etwa zehn Jahre zuvor so freigiebigen Gönner öffneten erneut die Geldbörse. So konnten exakte Kopien der Figuren erstellt werden. Immerhin hatte man gelernt: Die neuen Figuren wurden nicht aus Tuffstein, sondern aus einem speziellen französischen Kalkstein (Savonnières-Kalkstein) hergestellt.

Einige der ursprünglichen Figuren fanden anschließend ihren Platz in den Gärten oder Häuser der Stifter. Aber immerhin konnten im November 2008 alle 124 Plätze auf dem Rathaus wieder von den neuen Figuren eingenommen werden.

Mal sehen, wie lange die Figuren diesmal halten!


Ein bemerkenswertes Detail: Der Sockel der Figur von Konrad von Hochstaden, Bild: Raimond Spekking
Ein bemerkenswertes Detail: Der Sockel der Figur von Konrad von Hochstaden, Bild: Raimond Spekking

Autofellatio-Figur

Und dann befindet sich auch noch Figur von Konrad von Hochstaden am Rathaus. Er war als Konrad I. von 1238 bis 1261 Erzbischof von Köln und legte am 15. August 1248 den Grundstein zum Kölner Dom. Insofern gebührt ihm sicherlich ein Platz auf dem Rathausturm.

Allerdings irritiert ein kleines, aber durchaus sehenswertes Detail an der Statue: Der Sockel zeigt einen Mann mit nackten Hintern, der sein eigenes Geschlechtsteil im Mund hat. Der Fachbegriff für diese fast schon akrobatische Art der Selbstbefriedigung lautet „Autofellatio“.

Fraglich nur, weshalb dieser Sockel überhaupt seinen Platz auf dem Rathaus gefunden hat und wie das mit Konrad von Hochstaden zusammenhängt. Der ehemalige Stadtkonservator Ulrich Krings erläutert „Das ist ein ganz beliebtes Motiv gewesen. Dabei ging es darum, der Obrigkeit quasi den Arsch hinzuhalten. Mit derber, zur Schau gestellter Sexualität sollte gezeigt werden, dass einem die Moral- oder auch Ordnungsvorstellungen der Obrigkeit wurscht waren.“

Verständlich: In einer Zeit, in der die wenigsten Lesen und Schreiben konnten, mussten bildliche Darstellungen „griffig“ eine Botschaft vermitteln. Beliebt dabei: Darstellungen der sieben Todsünden, in diesem Fall die Wollust.

Dass es allerdings ausgerechnet Konrad von Hochstaden erwischt hat, ist eher Zufall. Denn das Original des „Autofellation-Sockels“ stammt ungefähr aus dem Jahr 1410. Und damals stand eine andere,  nicht mehr bekannte Figur auf dem Platz, den heute der ehemalige Erzbischof einnimmt.

Aber da wir in Kölle ja schon immer Probleme mit unseren Bischöfen hatten, Josef Frings ausdrücklich ausgenommen, muss Konrad von Hochstaden stellvertretend für diese Menschen auf diesem speziellen Sockel stehen.


Insgesamt befinden sich 124 Figuren auf dem Rathausturm

Erdgeschoss

  • Augustus
  • Marcus Vipsanius Agrippa
  • Agrippina die Jüngere
  • Postumus
  • Konstantin der Große
  • Sigibert von Köln
  • Plektrudis
  • Karl der Große
  • Otto I.
  • Theophanu
  • Heinrich IV.
  • Heinrich II. (England)
  • Otto IV.
  • Innozenz III.
  • Friedrich II.
  • Rudolf I.
  • Urban VI.
  • Friedrich III.
  • Maximilian I.

Erstes Obergeschoss

  • Hildebold von Köln
  • Ida (St. Maria im Kapitol)
  • Rupert von Deutz
  • Rainald von Dassel
  • Nikolaus von Verdun
  • Sela Jude
  • Gerhard Unmaze
  • Konrad von Hochstaden
  • Gerhard von Riele
  • Matthias Overstolz
  • Gerhard Overstolz
  • Gottfried Hagen
  • Johann I. (Brabant)
  • Meister Eckhart
  • Hilger Quattermart von der Stesse
  • Stefan Lochner
  • Heinrich von Beeck
  • Ulrich Zell
  • Fygen Lutzenkirchen
  • Heinrich Agrippa von Nettesheim
  • Hermann von Neuenahr der Ältere
  • Adolf Clarenbach
  • Anton Woensam
  • Arnold von Siegen
  • Johannes Gropper
  • Hermann von Weinsberg
  • Heinrich Sudermann
  • Michael von Aitzing
  • Caspar Ulenberg
  • Peter Paul Rubens

Zweites Obergeschoss

  • Jan von Werth
  • Joost van den Vondel
  • Aegidius Gelenius
  • Melchior von Reidt
  • Katharina Henot
  • Friedrich Spee von Langenfeld
  • Anna Maria de Heers
  • Anna Maria van Schurman
  • Nikolaus Gülich
  • Johann Maria Farina
  • Ferdinand Franz Wallraf
  • Heinrich Gottfried Wilhelm Daniels
  • Maria Clementine Martin
  • Peter Heinrich Merkens
  • Sulpiz Boisserée
  • Georg Simon Ohm
  • Friedrich Wilhelm IV.
  • Ernst Friedrich Zwirner
  • Robert Blum
  • Ludolf Camphausen
  • Abraham Oppenheim
  • August Reichensperger
  • Karl Joseph Daniel DuMont
  • Ferdinand Hiller
  • Mathilde Franziska Anneke
  • Moses Hess
  • Gustav von Mevissen
  • Jacques Offenbach
  • Karl Marx
  • Hermann Heinrich Becker
  • Franz Carl Guilleaume

Drittes Obergeschoss:

  • Max Bruch
  • Nicolaus August Otto
  • Eugen Langen
  • Hermann Josef Stübben
  • Mathilde von Mevissen
  • Karl Trimborn
  • Wilhelm Marx
  • Max Isidor Bodenheimer
  • Benedikt Schmittmann
  • Georg Fritze
  • Hans Böckler
  • Konrad Adenauer
  • Willi Ostermann
  • Amalie Lauer
  • Joseph Kardinal Frings
  • Christine Teusch
  • Wilhelm Sollmann
  • Josef Haubrich
  • Hertha Kraus
  • Bernhard Letterhaus
  • Irmgard Keun
  • Heinrich Böll

Viertes Obergeschoss 

  • Petrus
  • Kaspar
  • Melchior
  • Balthasar
  • Gereon von Köln
  • Ursula von Köln
  • Maternus
  • Severin von Köln
  • Evergislus
  • Kunibert von Köln
  • Weißer Ewald
  • Schwarzer Ewald
  • Agilolf von Köln
  • Bruno I.
  • Heribert von Köln
  • Anno II.
  • Bruno von Köln
  • Engelbert I. von Köln
  • Albertus Magnus
  • Johannes Duns Scotus
  • Adolph Kolping
  • Edith Stein

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Alfred Nourney – ein Kölner überlebt den Untergang der Titanic

Alfred Nourney (1892-1972), ein Überlebender des Titanic-Untergangs aus Köln, Fotograf: unbekannt, Bild: Sammlung Günter Bäbler, Titanic-Verein Schweiz
Alfred Nourney (1892-1972), ein Überlebender des Titanic-Untergangs aus Köln, Fotograf: unbekannt, Bild: Sammlung Günter Bäbler, Titanic-Verein Schweiz

Podcast Nourney - Titanic 15

Es war am 14. April 1912 gegen 23:40 Uhr, als Alfred Nourney an Bord der Titanic bemerkt, dass der Whisky in seinem Glas ein wenig schwankt. Viele Menschen um ihn herum bekommen den kleinen Stoß nicht mit. Dabei hat das damals modernste Schiff der Welt soeben einen Eisberg gerammt. Und damit sein Schicksal besiegelt. Zwei Stunden und 40 Minuten später versank der Ozeanriese in den eisigen Fluten des Atlantiks.

Bei dem Unglück kamen 1.514 Passagiere ums Leben. 712 Menschen überlebten das Unglück, unter Ihnen der Kölner Alfred Nourney, der unter dem Pseudonym „Baron Alfred von Drachstedt“ reiste.

Fahrt nach Amerika, um Ehre zu retten

Alfred Nourney, geboren am 26. Februar 1892 stammte aus einer reichen Kölner Weinhändlerfamilie. Schon sehr früh begeisterte sich der technikverliebte Junge für die Fliegerei. So berichtet der Kölner Lokal-Anzeiger vom 22. Januar 1912: “… Sodann bestieg einer seiner Kölner Schüler, Alfred Nourney, den Aeroplan, nahm die Kurven sehr kurz und schnell und landete im Gleitflug. …“.

Ein Artikel im im Kölner Lokal-Anzeiger vom 22. Januar 1912 beschreibt Alfred Nourneys Flugkünste
Ein Artikel im im Kölner Lokal-Anzeiger vom 22. Januar 1912 beschreibt Alfred Nourneys Flugkünste

Und auch sonst lebte Nourney anscheinend eher im Gleitflug, denn seine Reise mit der Titanic trat der junge Draufgänger nicht ganz freiwillig an: Angeblich soll er ein Hausmädchen der Nourneys geschwängert haben. Um ihn aus der „Schusslinie“ zu bringen, soll Alfred vorübergehend bei der amerikanischen Verwandtschaft untergebracht werden.

Doch der junge Hallodri macht aus der Pflicht eine Tugend. Kaum hatte er in Cherbourg auf dem luxuriösen Dampfer eingecheckt, gönnte er sich ein Upgrade auf die 1. Klasse und nennt sich fortan „Baron Alfred von Drachstedt“, wohl um besser in die feine Gesellschaft der 1. Klasse zu passen. Und unter den Millionären fühlte sich der junge Kölner pudelwohl. So telegraphierte er von Bord aus einen Tag vor dem Unglück an seine Mutter:

„Liebe Mutter – Ich bin so glücklich auf meiner ersten Klasse! Ich kenne schon sehr nette Leute! Einen Brillantenkönig! Mister Astor einer der reichsten Amerikaner ist an Bord! Tausend Küsse – Alfred.“

Außerdem schickt er ein weiteres Telegramm an ein gewisses „Fräulein Jarkonska“ in Köln, Rothgerberbach, „Drahtlosen Kuss, in Liebe Alfred.“ Vermutlich handelte es sich dabei um jene Dame, wegen der er Europa verlassen musste.

Die Titanic bei der Abfahrt aus Southampton, Bild: Francis Godolphin Osbourne Stuart, gemeinfrei, via Wikimedia Commons
Die Titanic bei der Abfahrt aus Southampton, Bild: Francis Godolphin Osbourne Stuart, gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Neugierde rettet sein Leben

Alfred erkundet voller Begeisterung das Schiff und dringt dabei auch in Räume vor, die eigentlich der Besatzung vorbehalten sind. So entdeckte er auch eine kleine eiserne Wendeltreppe, die von der Kommandobrücke über alle Decks bis fast zum Kiel der Titanic führte. Diese Entdeckung sollte ihm später das Leben retten.

Am Tag des Unglücks selber dinierte der junge Nourney zunächst im Speisesaal der 1. Klasse, um danach im Rauchersalon bei ein paar Whisky mit seinen neuen Bekannten eine Runde Bridge zu spielen. Als es um 23.40 Uhr leicht rumpelt, werden die Gespräche zunächst etwas leiser, doch keiner ahnt, in welcher Gefahr sich die Menschen an Bord befinden. Die Maschinen liefen genauso weiter wie nur Augenblicke später die Gespräche der Upper Class-Passagiere.

Doch Alfred Nourney hat ein ungutes Gefühl. Er eilt in seine Kabine, holt seinen Mantel und inspizierte das Deck des großen Schiffs. Dort entdeckt er zwar Eisbrocken auf dem menschenleeren Deck, aber sonst keine weiteren Unregelmäßigkeiten. Bis wenig später die Maschinen aussetzen.

Jetzt schrillen die Alarmglocken und Nourney will zurück ins Schiff, doch die Türen sind verschlossen. Dann erinnert er sich an die kleine eiserne Wendeltreppe, die er bei seinen Streifzügen entdeckt hat. Er geht diese Treppe hinunter und stellt fest, dass bereits Wasser in das Schiff eingedrungen ist.

Warnung verhallt ungehört

Schnell eilt er zurück in der Rauchersalon, um die anderen Passagiere zu warnen. Doch die sind wenig beeindruckt von dem aufgeregten „Baron von Drachstedt“. Ein Amerikaner meint nur, dass wahrscheinlich lediglich ein Rohr geplatzt sei – „Oh – it doesn´t matter.“ Doch damit liegt er gänzlich falsch.

Zurück auf dem Deck stellt Nourney fest, dass die Rettungsboote klargemacht werden. Ganz Pragmatiker geht er zunächst zur Küche, um sich mit Whisky und Sandwiches einzudecken, bevor er – nach eigener Aussage – den Matrosen hilft, Passagiere auf die Rettungsboote zu bringen. Dann bricht, so Nourney, Panik aus und Schüsse fallen. In dem folgenden Chaos, so Nourney, wird er mitgerissen und kann sich gerade noch so an einem der Boote festhalten. Dieses wird, noch nicht einmal voll besetzt, um 0:45 Uhr zu Wasser gelassen.

Noch Jahrzehnte später kann sich Alfred Nourney an den Untergang des Luxusliners erinnern:

„Als die Titanic nun wirklich sank, das dauerte eine ganze Weile. Das donnerte – rrrrummms – als sie sich auf den Kopf setzte. Und weg war sie. Und dann kam die schlimmste Zeit, es sind ja, na etwa tausend Leute mit dem Sog runter, dann trieben die in dem eiskalten Wasser und schrien um Hilfe. Und das war wie ein – huuuuuuu – wie ein Sirenenton, dieses Schreien. Und dieser Todesschrei, dieser Notschrei von tausend Menschen, kreischend, das war ein Akkord wie ein Sirenenton, grauenhaft, und dieses Schreien hat über eine Stunde gedauert.“1Quelle: Deutschlandfunk Kultur, „Ein religiös verwerteter Untergang“ von Andreas Malessa, 14.04.2012, https://www.deutschlandfunkkultur.de/ein-religioes-verwerteter-untergang-100.html, abgerufen am 8. Mai 2022

Überwältigt von den Eindrücken und den Strapazen schlief Alfred Nourney auf dem Rettungsboot ein, welches um 5:10 Uhr von dem Dampfer „Carpathia“, welches als erstes am Unglücksort erscheint, aufgenommen wird.

Ein Rettungsboot der Titanic, aufgenommen von einem Passagier der Carpathia, Fotograf: unbekannt, Bild: gemeinfrei / National Archives, Northeast Region, New York City, Records of District Courts of the United States
Ein Rettungsboot der Titanic, aufgenommen von einem Passagier der Carpathia, Fotograf: unbekannt, Bild: gemeinfrei / National Archives, Northeast Region, New York City, Records of District Courts of the United States

Einzelne Quellen behaupten, dass sich Nourney an Bord der Carpathia wenig dankbar verhalten habe. So soll er angeblich einen ganzen Stapel Decken, der unter den frierenden Passgieren verteilt werden sollte, alleine für sich in Anspruch genommen haben.2Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger,
Ein Kölner überlebt das Titanic-Unglück vom 13.01.2012, https://www.ksta.de/redaktion/erlebnisbericht-der-koelner-alfred-nourney-ueberlebt-das-titanic-unglueck-237858, abgerufen am 20.05.2022

Auch scheinen seine materiellen Verluste doch stark übertrieben zu sein. So gibt er gegenüber der White Star Linie, der Betreibergesellschaft der Titanic, an, Verluste im Wert von zigtausend Dollar erlitten zu haben. Darunter acht Anzüge, zwei Abendanzüge, zwei Jagdanzüge, vier Mäntel, 40 Oberhemden, 15 Schlafanzüge, 14 Paar Schuhe, 10 Sets von Unterwäsche, 40 Kragen, zehn Paar Handschuhe, 120 Krawatten, 50 Taschentücher, einen Diamantring, mit Edelsteinen besetzte Manschettenknöpfe, zwei silberne Zigarettenetuis und eine silberne Haarbürste.

Grab auf Melaten

Die Carpathia lief am Abend des 18. April 1912 in New York ein. Nur wenige Wochen später kehrte Nourney wieder zurück nach Europa. Er lebte in Frankreich und Spanien, allerdings ohne die noch an Bord der Titanic so schrecklich vermisste „Fräulein Jarkonska“ vom Rothgerberbach.

Todesanzeige des Titanic-Überlebenden Alfred Nourney, erschienen in der Honnefer Volkszeitung am 17. November 1972
Todesanzeige des Titanic-Überlebenden Alfred Nourney, erschienen in der Honnefer Volkszeitung am 17. November 1972

Stattdessen vertreibt er sich die Zeit mit Autorennen, heiratet später eine andere Dame, bekommt mit ihr zwei Töchter und lässt sich in Bad Honnef nieder. Er arbeitet als Vertreter für Mercedes Benz und engagiert sich stark im örtlichen Tennisclub.

Alfred Nourney, der als junger Mann den Untergang der Titanic überlebt hat, stirbt am 15. November 1972 im Alter von 80 Jahren. Er wird auf Melaten beigesetzt, dort besitzt die Familie Nourney eine repräsentative Grabstätte.


Die Grabstätte der Familie Nourney auf der sogenannten "Millionenallee" auf dem Melatenfriedhof in Köln-Lindenthal (2020). Bild: Grünwald, Katharina, Landschaftsverband Rheinland, CC-BY
Die Grabstätte der Familie Nourney auf der sogenannten „Millionenallee“ auf dem Melatenfriedhof in Köln-Lindenthal (2020).
Bild: Grünwald, Katharina, Landschaftsverband Rheinland, CC-BY

Grabstätte der Familie Nourney

Eine detaillierte Beschreibung der großen Nourney-Grabstätte auf dem Melatenfriedhof haben Katharina Grünwald und Franz-Josef Knöchel auf dem Portal KuLaDig – Kultur. Landschaft. Digital. veröffentlicht. 


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Am 9. November 1992: Arsch huh, Zäng ussenander auf dem Chlodwigplatz

Arsch huh, Zäng ussenander
 Im August 1992 griffen in Rostock-Lichtenhagen rechtsextreme Randalierer unter dem Applaus (!) von etwa 3.000 Zuschauern das „Sonnenblumenhaus“ an. Dort waren zahlreiche Vietnamesen untergebracht. Besonders erschreckend: Als die Ausschreitungen ihren Höhepunkt erreichten, zog sich die Polizei zurück. Die im brennenden Sonnenblumenhaus eingeschlossenen Menschen waren im Kampf gegen den rechten Mob und die applaudierende Mittelmäßigkeit auf sich selbst gestellt.

Ähnliche Bilder gab es zuvor bereits aus Hoyerswerda und vielen weiteren Orten nicht nur im Osten Deutschlands. Auch im Westen gab es vergleichbare Angriffe wie zum Beispiel im Mai 1993 der Brandanschlag auf das Haus der Familie Genç in Solingen, bei dem fünf Menschen starben und 17 weitere Menschen zum Teil schwer verletzt wurden.

Asyldebatte wurde von CDU/CSU und der BILD-Zeitung befeuert

Hintergrund der ausländerfeindlichen Überfälle war die hitzig geführte Asyldebatte. Im Jahr 1992 wurden 440.000 Asylsuchende in Deutschland registriert. CDU und CSU griffen das Thema auf und setzten auf Kampagnen mit den Titeln „Asylbetrug“ oder „Wirtschaftsflüchtlinge“. Beide befürchteten, Wähler an die stark wachsenden rechtsradikalen Parteien „Die Republikaner“ oder „DVU“ zu verlieren.

Schlagzeilen der BILD-Zeitung vom 2. April 1992 (links) und 1. September 1992 (rechts)

Sie konnten dabei auf die Unterstützung der BILD-Zeitung bauen. Der Historiker Ulrich Herbert bezeichnet diese Kampagnen als „eine der schärfsten, polemischsten und folgenreichsten Auseinandersetzungen der deutschen Nachkriegsgeschichte“.1Ulrich Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge. München 2001, S. 299.

Fremdenfeindliche Straftaten auch in Köln und Umgebung

Das Bundeskriminalamt berichtet im September, dass in den ersten acht Monaten Jahres 1992 bereits 2.220 Straftaten gegen Ausländer begangen wurden. Die Gewalt gegen Ausländer, so die Behörde, „… habe sich qualitativ verschärft, deutlich sei eine Tendenz zur Brutalisierung und eine Steigerung der Gefährlichkeit der Angriffe.“

Auch im Rheinland randalieren die rechten Scharfmacher, hier eine Auswahl der rassistisch motivierten Straftaten innerhalb von nur sechs Tagen:

  • 3. September 1992:
    Brandanschlag auf eine Aussiedlerunterkunft in Bonn und auf eine weitere Unterkunft in Düsseldorf
  • 4. September 1992:
    Brandanschlag in Leverkusen auf eine Container-Siedlung, in der Aussiedler aus Polen und der GUS untergebracht sind.
  • 6. September 1992:
    In Alfter bei Bonn wird ein Schuss in den Wohnraum eines Asylbewerberheimes abgegeben.
  • 8. September 1992:
    Brandanschlag auf ein Flüchtlingswohnheim in Rösrath

Kölner Künsterlszene reagiert

Die Künstlerszene in Köln ist alarmiert. Die gut vernetzten Kölner Musiker wollen ein Zeichen gegen die rechte Gewalt setzen. Auslöser dieser Überlegung war der Musiker und Journalist Nedim Hazar, Vater von Eko Fresh. Hazar hatte in einem Gespräch den Musikern Anke Schweitzer und Rolf Lammers erzählt, dass er sich in Köln wegen der spürbaren rassistischen Tendenzen zunehmend unwohl fühle. Lammers sprach daraufhin den umtriebigen Musikmanager Karl Heinz Pütz (1954-2013) an.

Pütz fackelte nicht lange und trommelte die Kölner Musikerszene zusammen. So trafen sich am 22. Oktober 1992 unter anderem Stephan Brings, Arno Steffen von L.S.E., Wolfgang Niedecken und „Effendi“ Büchel von BAP, Hannes Schöner von den Höhnern, Tommy Engel sowie Gerd Köster und Matthias Keul von „The Piano has been drinking“ im Stadtgarten. Sie und viele weitere wollen eindeutig Position beziehen. Dabei entstand die Idee, unter dem Titel „Arsch huh, Zäng ussenander“ eine Kundgebung auf dem Chlodwigplatz zu veranstalten.

Als Termin für das Konzert wurde der geschichtsträchtige 9. November 1992 ausgewählt, der Jahrestag der Pogromnacht gegen die jüdische Bevölkerung im Jahr 1938. Von da an muss es schnell gehen – es bleiben gerade noch 18 Tage bis zur Veranstaltung.

Wie wöhr et, wemmer selver jet däät?

Die Veranstaltungsplanung lief sofort auf Hochtouren. Aber neben der kompletten Logistik und Organisation wollten die Musiker auch noch unbedingt ein Lied als Statement veröffentlichen. „Nick“ Nikitakis schreibt die Musik, Wolfgang Niedecken steuert den Text bei.

Dieser Text handelt von einem realen Erlebnis Niedeckens bei der Bäckerei Brochmann in der Südstadt. Er war Zeuge, wie ein Handwerker dort unwidersprochen rassistische Parolen von sich geben konnte, ohne dass jemand einschritt – Niedecken inklusive. Der Musiker später: „Erst auf dem Weg an den Frühstückstisch war mir bewusst geworden, dass ich schlicht gekniffen hatte“.

So kam es zu den legendären Zeilen:

Du jehß ding Brühtcher holle,
Su wie jeden Morje waatste an dä Thek.
Do löht ne Typ em Blaumann Sprüch aff,
Bei dänne et dir nur kotzschlääsch weed.
Du denks: Nur russ he, wat ess bloss passiert,
Dat kein Sau reajiert?
Wiesu’s e janz Land am kusche,
Als wöhr et paralisiert?

Wie wöhr et wenn du dämm Blaumann jetz sähs,
Dat du Rassistesprüch janit verdrähs?
Wenn du en vüür dä Lück blamiers,
Endämm du’n einfach oplaufe löhß?
Un övverhaup: wemmer selver jet däät,
Wemmer die Zäng ens ussenander kräät?
Wenn mir dä Arsch nit huh krieje,
Ess et eines Daachs zu spät.2
Du gehst dir Brötchen holen,
Wie jeden Morgen wartest du an der Theke.
Da klopft ein Typ im Blaumann Sprüche,
Bei denen dir kotzschlecht wird.
Du denkst: Nur raus hier, was ist bloß passiert,
Dass keiner reagiert?
Wieso kuscht ein ganzes Land,
Als wär es paralysiert?


Wie wär es, wenn du dem Blaumann jetzt sagst,
Dass du Rassistensprüche gar nicht verträgst?
Wenn du ihn vor allen blamierst,
Indem du ihn einfach auflaufen lässt?
Und überhaupt: Wird Zeit, dass man was tut,
Dass man den Mund endlich aufbekommt!
Wenn wir den Arsch nicht hochkriegen,
Ist es eines Tages zu spät.

Tommy Engel bezieht eindeutig Stellung gegen Rassismus, Bild: Uli Kievernagel
Tommy Engel bezieht auch heute noch eindeutig Stellung gegen Rassismus, Bild: Uli Kievernagel

Köln war da!

Auch Tommy Engel war einer der Initiatoren des Konzerts: „Die Idee des Konzertes ist relativ spontan entstanden. Wir konnten überhaupt nicht einschätzen, ob die Leute kommen würden. Wir hätten uns da total blamieren können und keiner wäre gekommen. Ich erinnere mich, wir standen oben in der Severinstorburg und schauten auf den Chlodwigplatz. Und langsam fing der Platz an, sich zu füllen. Aus allen Ecken kamen sie plötzlich herbeigeströmt. Das war total beeindruckend. Köln war da!“

Tatsächlich ist es etwa 90 Minuten vor Konzertbeginn noch erschreckend leer auf dem Chlodwigplatz, nur ein paar Hundert Menschen verlieren sich dort – die Organisatoren haben mit etwa 20.000 Teilnehmern gerechnet. Doch dann entwickelt sich eine unglaubliche Dynamik. Unvorstellbare 100.000 Menschen strömten zum Chlodwigplatz und auf die angrenzenden Straßen der Südstadt. Die Bahnen der KVB kommen nicht mehr durch und stellen rund um den Chlodwigplatz den Betrieb ein. Aber der gesamte Abend verläuft ohne Zwischenfälle.

Auf der Bühne waren Karnevalisten, Intellektuelle, Rocker, Alt und Jung vereint

Das Programm der Kundgebung war extrem breit gefasst: Die Höhner spielten „Wann jeit dr Himmel widder op?“, Willy Millowitsch rezitierte Carl Zuckmayers „Des Teufels General“ und der Widerstandskämpfer Jean Jülich berichtete von seiner Zeit als Edelweißpirat. Jürgen Zeltinger singt vom „Müngersdorfer Stadion“, der schwule Männerchor Triviatas steuert Brechts Kinderhymne bei. Und Tommy Engel muss auf der Bühne angesichts der unüberschaubaren Menschenmenge um Fassung ringen, als er das Lied vom „Veedel“ singt. Auf der Bühne stehen Karnevalisten, Intellektuelle, Rocker, Alt und Jung vereint.

Zum Finale kommen alle Künstler auf die Bühne und spielen den Titel „Arsch huh, Zäng ussenander“. Die Lieder des Abends inklusive des Titelsongs wurden vorher im Weilerswister CAN-Studio aufgenommen und erschienen auf einer eilig produzierten CD, deren Verkauf die Finanzierung der Veranstaltung sicherstellen soll.

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Nach der Kundgebung waren die Künstler zunächst nur „platt“. Der Stress der letzten Wochen mit der Organisation der Veranstaltung und der Produktion der CD sowie das aufwühlende Konzert hatte viel Kraft gekostet. Keiner der beteiligten Menschen realisiert in diesem Moment, was eigentlich passiert ist.

Musikmanager Karl Heinz Pütz (1954-2013) meinte 20 Jahre später: “Die Idee war, den Rassisten das Spielfeld zu entziehen. Es war ein emotionales Zeichen, mit dem wir klargestellt haben: Wir sind der Mentalitätsfaktor Köln. Besser als mit der Musik konnte man das nicht klarstellen. Ich glaube, das ist seitdem auch erledigt. Weil vom Apotheker über den Schützenbruder bis zum Philharmoniebesucher alle dabei waren.“

Aus dem losen Zusammenschluss wird eine dauerhafte Einrichtung

Die CD verkauft sich außerordentlich gut und spielte schnell 1 Mio. DM ein. Damit wurde der Grundstein für eine äußerst erfolgreiche und langlebige Initiative gelegt und der Verein Arsch Huh e.V. gegründet.

Dieser Verein versteht sich als sich als Sprachrohr für ein offenes, tolerantes, solidarisches Köln und setzt sich vielfach für die Verbesserung des Zusammenlebens und eine solidarische Stadtgesellschaft ein. So haben sich, nach Angaben von Arsch Huh e.-V., bisher mehr als 1.000 Kulturschaffende beteiligt, es wurden mehr als 1 Million Menschen erreicht.

Anküdigung zum Konzert "30 Jahre Arsch Huh - Wachsam bleiben!" am 10. November in der Lanxess Arena
Anküdigung zum Konzert „30 Jahre Arsch Huh – Wachsam bleiben!“ am 10. November in der Lanxess Arena

Jubiläumskonzert in der Kölnarena

Die Überlegungen, zum 30. Jahrestag des legendären Konzerts auf dem Chlodwigplatz eine Wiederauflage an gleicher Stelle zu veranstalten, wurden schnell verworfen. Zu groß sind die Sicherheitsbedenken bei einem solchen Mammutprojekt. Eine Veranstaltung an alternativen Standorten wie dem Heumarkt oder auf der Deutzer Werft scheiterte an den hohen Kosten von bis zu 200.000 Euro.

Doch dann meldete sich der Chef der Lanxess-Arena Stefan Löcher und bot seine Spielstätte an. Hier fand nun am 10. November 2022 unter dem Motto „Wachsam bleiben!“die Jubiläumsveranstaltung statt.

Wachsam bleiben! Das Album zu 30 Jahre Arsch Huh
Wachsam bleiben! Das Album zu 30 Jahre Arsch Huh

Passend dazu wurde auch ein neues Album unter dem Titel „30 Jahre Arsch Huh. Wachsam bleiben!“ veröffentlicht. 

Und auch danach geht es mit Aktionen gegen Rechts und für eine freie Stadtgesellschaft weiter. Denn, so die AG Arsch Huh:

Arsch huh, Zäng ussenander bleibt eine Daueraufgabe – in Köln und überall!


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In Köln geboren und gestorben: Peter Kürten – der „Vampir von Düsseldorf“

Polizeiaufnahme des Serienmörders Peter Kürten, Bild: Bundesarchiv, Bild 102-11502 / CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons
Polizeiaufnahme des Serienmörders Peter Kürten, Bild: Bundesarchiv, Bild 102-11502 / CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons

Stets makellos gekleidet, in der Tasche immer ein feines Tuch, um jederzeit die Schuhe polieren zu können, ausgesprochen freundlich – ein Typ, über den Nachbarn immer sagen „aber er hat doch immer so freundlich gegrüßt“.

Peter Kürten spielte tagsüber den netten und unauffälligen Menschen. Nachts jedoch verwandelte er sich in einen perversen Serienmörder, der mindestens neun Menschen ermordete und es bei rund 40 weiteren Menschen versuchte.

In Mülheim geboren

Peter Kürten wurde am 26. Mai 1883 im damals noch von Köln unabhängigem Mülheim geboren. Sein Vater, ein gewalttätiger Alkoholiker, schlug regelmäßig die Mutter sowie die zwölf Geschwister von Peter Kürten und missbrauchte nachweislich eine Tochter sexuell, wofür er später zu einer 15monatigen Zuchthausstrafe verurteilt wurde.  

In früher Kindheit traten beim späteren Serienmörder Kürten bereits erste abartige Neigungen auf: Mit Vorliebe verbrachte er seine Freizeit bei einem Abdecker. Nach eigener Aussage hatte Kürten schon damals seine Lust am Töten gespürt. So will er angeblich als Kind zwei andere Kinder in den Rhein gestoßen haben, um diesen beim Ertrinken zuzusehen. Es ist jedoch unklar, ob diese Aussage der Wahrheit entspricht. Gesichert ist aber, dass Kürten bereits im Alter von neun Jahre mehrere Brände gelegt hatte.

Polizeibekannt durch Unterschlagungen, Diebstähle und auch Körperverletzungen

Im Jahr 1894 zog die Familie nach Düsseldorf um. Peter Kürten begann im Jahr 1897 eine Lehre in der Gießerei, in der auch sein Vater beschäftigt war. Kürten war bereits durch verschiedene Unterschlagungen, Diebstähle und auch Körperverletzungen polizeibekannt und wurde 1899 zu seiner ersten Haftstrafe verurteilt.

Nach seiner Entlassung ging der 16jährige Kürten eine Beziehung mit einer wesentlich älteren Frau ein und zog zu ihr und deren 16-jähriger Tochter in eine Wohnung in Düsseldorf. Diese durchaus seltsame Kombination wurde noch dadurch getoppt, dass die speziellen sexuellen Praktiken von Kürten und der älteren Frau – er würgte und schlug die Frau mit ihrem Einverständnis – die Nachbarn alarmierte. Trotz anschließender Trennung brach Kürten später in die Wohnung ein, was eine weitere Haftstrafe zur Folge hatte.

Erster nachgewiesener Mord im Jahr 1913

Danach lebte Kürten von Einbrüchen, Handtaschenraub oder Unterschlagungen. Insgesamt saß er mehr als 20 Jahre im Gefängnis. Glück für ihn: Weil er auch verschiedene Haftstrafen während des Ersten Weltkriegs verbüßte, entging er der Einberufung.

Peter Kürtens erstes Opfer: Die neunjährige Christine Klein, Fotograf unbekannt
Peter Kürtens erstes Opfer: Die neunjährige Christine Klein, Fotograf unbekannt

Bereits vorher, am 25. Mai 1913, kann ihm der erste Mord eindeutig nachgewiesen werden. Er brach in die Wohnung des Mülheimer Gastwirts Klein in der Wolfstraße (heute Keupstraße) ein und schnitt der schlafenden neunjährigen Tochter Christine die Kehle durch.

Besonders abartig: In den darauffolgenden Tagen war er regelmäßig in der Gaststätte und genoss die Schilderungen des Mordes. Da er am Tatort bewusst oder fahrlässig sein blutbeschmiertes Taschentuch mit den Initialen „P.K.“ zurückgelassen hatte, wurde zunächst der Vater des Kindes, Peter Klein und später der Onkel des Kindes, verdächtigt. Nur auf Peter Kürten fiel keinerlei Verdacht.

Nach weiteren Gewalttaten, Brandstiftungen und Haftstrafen lebte Kürten ab 1921 in Thüringen. Dort heiratete er im August 1923 Auguste Scharf.
Auch hier beweist er wieder seine durchaus seltsame Art: Seine Ehefrau war wegen Totschlags vorbestraft. Und Kürten war durchaus stolz, eine Frau mit dieser Vorgeschichte zu heiraten. Sie wusste bereits vor der Hochzeit, dass Kürten weder treu noch unbescholten war. Allerdings war ihr nicht klar, dass sie einen Mörder heiratete. Im Jahr 1925 zog das Paar nach Düsseldorf.

Eine nie zuvor dagewesene Mordserie

Hier gab sich Peter Kürten als der galante, zuvorkommende Ehemann. Doch sobald sich die Gelegenheit ergab, wurde er zur gewalttätigen Bestie. Etliche Vergewaltigungen und Mordversuche gehen auf sein Konto. Seine Frau deckte ihn dabei sogar noch, indem sie in persönlichen Gesprächen einige der Opfer davon abhielt, eine Anzeige zu erstatten. So blieben seine Überfälle auf Frauen unerkannt. Allerdings wurde er mehrfach wegen Nötigung und Bedrohung zu Haftstrafen verurteilt.

Völlig außer Kontrolle gerät Kürten in den Jahren 1929 und 1930. Acht brutale Morde und mehr als 20 Mordversuche werden ihm später in diesem Zeitraum nachgewiesen.
Bei der Wahl seiner Tatwerkzeuge ist er wenig zimperlich: Er nutzt Scheren, Messer und auch einen Hammer. Und immer sind die Taten extrem blutig. Angeblich saugt Kürten auch einigen Opfern das Blut aus. So wird er von den Medien als „Vampir von Düsseldorf“ bezeichnet.

Ein Polizeibild der von Kürten für seine Morde verwendeten Schere, Bild: Polizei Düsseldorf 1929 via Wikimedia Commons
Ein Polizeibild der von Kürten für seine Morde verwendeten Schere, Bild: Polizei Düsseldorf 1929 via Wikimedia Commons

In späteren Vernehmungen äußerte Kürten: „Ich hatte eigentlich dauernd die Stimmung, Sie werden es Drang nennen, zum Umbringen. Ich wollte das Blut der Opfer rauschen hören. Wenn ich die Mittel dazu gehabt hätte, hätte ich ganze Massen umgebracht. Jeden Abend, wenn meine Frau Spätdienst hatte, bin ich herumgestreift nach einem Opfer.“ Ein weiteres Opfer ist ein Schwan, dem Kürten ebenfalls das Blut aussaugt.

„Helft den Düsseldorfer Massenmörder unschädlich zu machen!“

Die Polizei ermittelte erfolglos in alle Richtungen. Es wurde ein erstes Täterprofil angefertigt – das erste Täterprofil der deutschen Kriminalgeschichte. Zusätzlich wurden Broschüren verteilt, und tatsächlich geriet Kürten auch kurzzeitig ins Visier der Polizei.

Da aber die Nachbarn versichern, dass der nette, adrette Herr Kürten niemals ein perverser Serienmörder sein könnte, verläuft auch diese Spur im Sand. Aus heutiger Sicht unglaublich, da Kürten wohl im Glauben, dass er nie gefasst werden könnte, der Polizei Briefe schrieb, in welcher er Verstecke der Leichen exakt mithilfe von selbstgezeichneten Karten beschrieb. Auch mischte er sich regemäßig an den Tatorten unter die Schaulustigen und sprach sogar die ermittelnden Polizisten an.

Erschwerend kam hinzu, dass sich der geisteskranke Johann Stausberg als Mörder bei verschiedenen, von Kürten begannen Taten, bezichtigte. Für die Polizei galten diese Taten somit als aufgeklärt.

Ein Artikel im Kriminal-Magazin über Peter Kürten, Bild: Christianus Velox, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Ein Artikel im Kriminal-Magazin über Peter Kürten, Bild: Christianus Velox, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

15.000 Mark Belohnung

Währenddessen bereitet sich in der Düsseldorfer Bevölkerung eine wahre Hysterie aus. Polizei und private Bürgerwehren richten nächtliche Patrouillen ein, es wird eine Belohnung von 15.000 Mark1Ein extrem hoher Betrag. 1929 betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen etwa 2.500 Mark., für Hinweise ausgesetzt, die zur Ergreifung des Täters führen. Zwar gehen Tausende von Hinweisen ein, doch erst ein Zufall führt zur Ergreifung Kürtens.

Maria Butlies ist dem Mörder entkommen und beschreibt den Täter in einem Brief an eine Freundin. Dieser Brief wird jedoch falsch zugestellt und landet schließlich bei der Polizei. Die eindeutigen Hinweise von Butlies führen die Polizei zu Peter Kürten.

Doch anstatt den Mörder direkt zu verhaften, begeht die Polizei einen Fehler. Kürten erhält per Post eine Vorladung zur Vernehmung. So gewarnt kann der Gesuchte fliehen.

Daher wird seine Frau vernommen, die im Verhör der Polizei gesteht, dass Kürten ihr von den Taten erzählt hatte. Sie hatte ihm daraufhin einen gemeinsamen Suizid vorgeschlagen, doch er lehnte ab. Allerdings war sie mit ihm ein paar Tage später vor der Düsseldorfer Rochuskirche verabredet.

Bei diesem Treffen wird Kürten verhaftet. Zwei Opfer identifizieren ihn eindeutig, danach war der Serienmörder geständig.

Maria Hahn und Elisabeth Dörrie, Opfer von Peter Kürten
Maria Hahn und Elisabeth Dörrie, Opfer von Peter Kürten

Kürten wird neun Mal zum Tode verurteilt

Im folgenden Prozess brüstet sich Peter Kürten  mit seinen Taten. Er genoss die große Beachtung des Prozesses regelrecht und schilderte detailliert die einzelnen Taten.

Seine Erklärung „Manche meiner Opfer haben es mir sehr leicht gemacht. Sie waren sofort bereit, mit mir zu gehen, wenn ich sie auch in das tiefste Dunkel führte.“ erzürnte den Vorsitzenden Richter Rose dermaßen, dass sich dieser nicht mehr zurückhalten konnte: „Schenken Sie sich solche Geschichten. Sie verscherzen sich sonst so manches, das kann ich Ihnen offen sagen.“

Kürten wurde am 22. April 1931 neun Mal zum Tode verurteilt, zusätzlich erhält er eine 15jährige Zuchthausstrafe. Kürten richtete noch erfolglos ein Gnadengesuch an die preußische Regierung, am 2. Juli 1931 wird er im Kölner Klingelpütz mit dem Fallbeil hingerichtet.

Historische Aufnahme des Klingelpütz, undatiert, vermutlich 1900-1930, Bild: gemeinfrei.
Historische Aufnahme des Klingelpütz, undatiert, vermutlich 1900-1930, Bild: gemeinfrei.

Die Leiche von Peter Kürten wird anschließend untersucht und ohne den Kopf bestattet. Das Gehirn wird ergebnislos nach krankhaften Veränderungen untersucht.

Der Kopf gelangte nach dem Zweiten Weltkrieg in die Vereinigten Staaten und wird heute im Museum „Ripley’s Believe It or Not!“ in Wisconsin ausgestellt.

Peter Kürtens letzte Worte vor seiner Hinrichtung am 2. Juli 1931 waren:

„Sag, wenn mein Kopf abgeschlagen wurde, bin ich dann noch in der Lage zu hören, wie das Blut aus meinem Hals strömt? Das wäre eine große Freude.“


Darstellung von Peter Lorre in der Rolle des M auf einem Wandgemälde, Bild: Andreas Bohnenstengel, CC BY 3.0 DE, via Wikimedia Commons
Darstellung von Peter Lorre in der Rolle des M auf einem Wandgemälde, Bild: Andreas Bohnenstengel, CC BY 3.0 DE, via Wikimedia Commons

Vorbild für „M – eine Stadt sucht einen Mörder“

Der Fall des Peter Kürten inspirierte Regisseur Fritz Lang zu seinem ersten Tonfilm „M – eine Stadt sucht einen Mörder.“ mit Peter Lorre in der Hauptrolle.


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Der „Overather Kartoffelkrieg“ im Oktober 1923

"Anarchie im Aggertal" titelte das Mucher Tageblatt am 31. Oktober 1923
„Anarchie im Aggertal“ titelte das Mucher Tageblatt am 31. Oktober 1923

„Anarchie im Aggertal“ titelte das Mucher Tageblatt am 31. Oktober 1923. Und tatsächlich müssen sich Ende Oktober 1923 dramatische Szenen in den eher beschaulichen Örtchen Overath und Honrath abgespielt haben: Vom Hunger getriebene Kölner Bürger plünderten ganze Kartoffelfelder der bergischen Bauern, die sich ihrerseits mit Knüppeln, Mistgabeln und Dreschflegeln bewaffnet hatten, um ihr Hab und Gut zu schützen.

Drei Milliarden Mark für einen Zentner Kartoffeln

Die Not war, nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg, groß. Es herrschte Mangel an buchstäblich allem, was zum täglichen Leben gebraucht wurde. Verschärft wurde diese Situation durch die Hyperinflation: Ein Zentner Kartoffeln kostete drei Milliarden Mark.

Vor allem in Städten war die Lebensmittelversorgung desaströs. Die Menschen versetzten Schmuck, Uhren, Geschirr oder Teppiche, um an Lebensmittel zu kommen, denn das nahezu wertlos gewordene Papiergeld wollte keiner haben. Es wurde gemaggelt, der Schwarzmarkt boomte.

Hamsterfahrten zur Lebensmittelbeschaffung

In der Not waren viele Kölner auf „Hamsterfahrt“. Es ging mit der Eisenbahn ins Bergische Land oder in die Eifel, um bei den Bauern alle halbwegs transportablen Wertgegenstände gegen Lebensmittel zu tauschen. Besonders beliebt dabei: Kartoffeln, die relativ gut zu transportieren und zu lagern waren.

Viele der Hamsterfahrer hielten sich aber nicht damit auf, zu tauschen: Mit Hacken und Schaufeln liefen sie auf die Felder und plünderten die Felder der Bauern. Insbesondere die Kartoffelfelder an den Bahnstrecken im Bergischen Land waren betroffen, denn so war der Abtransport der gestohlenen Kartoffeln schnell und einfach möglich. Verständlich, dass die hungernden Kölner keine gern gesehenen Gäste waren.

Eine erfolgreiche "Hamsterfahrt", die gehamsterten Kartoffeln werden verladen. Bild: Bundesarchiv, Bild 183-S80285 / Walter Heilig / CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Eine erfolgreiche „Hamsterfahrt“, die gehamsterten Kartoffeln werden verladen. Bild: Bundesarchiv, Bild 183-S80285 / Walter Heilig / CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Eskalation im Oktober 1923

Ende Oktober 1923 spitzte sich die Situation zu. Die Bahn hatte sogar „Sonderzüge zum Kartoffelkauf“ von Köln nach Overath eingesetzt. Die Bergischen Bauern ahnten bereits, dass dies weniger zum „Kartoffelkauf“, sondern vielmehr zum „Kartoffelklau“ führen würde und baten um Polizeiunterstützung. Aber vergebens.

Daher griffen die Bergischen Bauern zur Selbsthilfe und formierten sich am 26. Oktober 1923 am Bahnhof, um die Kölner daran zu hindern, das Bahnhofsgebäude zu verlassen. Die Not war so groß, dass in Much sogar die Kirchenglocken geläutet wurden, um noch mehr Hilfe herbeizurufen.

Es kam zu wüsten Prügeleien, doch die zahlenmäßig überlegenen Kölner konnten die Kette rund um den Bahnhof durchbrechen. Das erschreckende Ergebnis: Ein erschossener Kölner, ein erschlagener Bauer, zahlreiche Schwerverletzte, geplünderte Höfe und zentnerweise gestohlene Kartoffeln.
Bei dem toten Bauern könnte es sich um den erst 28jährigen Ackergehilfen Emil van Drenke gehandelt haben, der infolge seiner Verletzungen am 27. Oktober 1923 verstarb.

Todesanzeige des möglichen Opfers des "Kartoffelkriegs" Emil van Drenke aus der Lindlarer Zeitung vom 31. Oktober 1923
Todesanzeige des möglichen Opfers des „Kartoffelkriegs“ Emil van Drenke aus der Lindlarer Zeitung vom 31. Oktober 1923

Overath stellt Bürgerwehr auf

Das sollte den Overathern nicht noch einmal passieren! Mit Unterstützung von Arbeitern und Bergleuten aus dem Umland stellten die Overather Bauern eine 1.500 Mann starke Bürgerwehr auf.

Der nächste „Kartoffel-Sonderzug“ aus Köln am 29. Oktober 1923 kam nur bis Honrath, eine Station vor Overath. Mit Waffengewalt wurde der Lokführer gezwungen, den Zug zu stoppen und nach Köln zurückzufahren. Auch dabei kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Je nach Quelle starben ein bis vier Menschen.

Das „Mucher Tageblatt“ vom 31. Oktober 1923 berichtete:

„Sonntag war der Andrang der Plünderer in der Gegend von Overath und Marialinden äußerst stark. Mancher Hof und manches Haus wurde völlig ausgeplündert, nicht allein von Kartoffeln, sondern auch von Getreide und Federvieh. Das letztere wurde mit Knüppeln totgeschlagen und in die Säcke gesteckt.“

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die französischen Militärverwaltung dem Treiben tatenlos zugesehen. Doch ab Anfang November reagierten die Besatzer: Der Zugverkehr von Köln nach Overath wurde für mehrere Wochen eingestellt und etwa 1.000 französische Soldaten sicherten die Overather Kartoffelfelder.

Eine Banknote mit den Nennwert "Hundert Billionen Mark"
Eine Banknote mit den Nennwert „Hundert Billionen Mark“

Währungsreform bringt Beruhigung

Aber erst die Umstellung von der „Mark“ (M) auf die „Rentenmark“ (RM) im November 1923 konnte die Situation beruhigen. Mit dem aberwitzig anmutenden Kurs von 1.000.000.000.000 M : 1 RM (1 Billion Mark zu 1 Rentenmark) wurde die Inflation beendet.

Und bereits 1924 waren die Tagesausflügler aus Köln, mit reichlich neuer Währung in den Taschen, wieder im Bergischen Land willkommen.

Auf weiterhin gute Nachbarschaft, liebe Overather, Mucher, Rösrather und Honrather!


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Dä Appel-Jupp – ein ganz besonderer kölscher Heiliger

Die Marienstatue in St. Maria im Kapitol mit Äpfeln zur Erinnerung an den Appel-Jupp, Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Die Marienstatue in St. Maria im Kapitol mit Äpfeln zur Erinnerung an den Appel-Jupp, Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Touristen, die es nicht nur in den Dom, sondern bis in die Kirche St. Maria im Kapitol schaffen, wundern sich: Wieso liegen an der Marienstatue im Chor immer frische Äpfel? Der Kölsche schmunzelt, packt seinen mitgebrachten Apfel aus, legt ihn an die Marienstatue und freut sich diebisch, mal wieder für Verwirrung gesorgt zu haben.

Ein frommer, kleiner Junge aus Köln

Um das Jahr 1150 rum lebte in Köln der kleine Hermann. Ein ganz normaler Junge seiner Zeit, der sich mit seinen Freunden die Zeit vertrieb. Hermann war aber auch sehr, sehr fromm. Und so ging er, immer wenn er Zeit hatte, für ein kurzes Gebet in seine Pfarrkirche St. Maria im Kapitol.

In bester rheinisch-katholischer Art führte er regelmäßig Gespräche mit Maria, der Mutter Gottes. Sie wurde für ihn zu einer Freundin, der er in tiefstem Kölsch von seinen Sorgen, Nöten aber auch von seinen Freuden erzählte. Und er wartete vergeblich darauf, dass ihm die Statue auch einmal antwortete.

Ein Apfel für das Jesuskind

Bis zum Nikolaustag. An diesem Tag hatte der fromme Hermann vom Nikolaus einen besonders schönen Apfel bekommen. Hermann war schnell klar: Diesen Apfel wird er dem Jesuskind schenken.

Sofort ging er in die Kirche, und dann geschah das ersehnte Wunder: Die Statue der Maria erwachte zum Leben, nahm den Apfel und gab diesem dem Jesuskind. Für Hermann wurde ein Traum wahr. In Zukunft besuchte er noch öfters Maria mit dem Jesuskind, er spielte mit dem kleinen Jesus und brachte ihm noch weitere Geschenke mit. Für moderne, aufgeklärte Menschen eine eher bizarre Vorstellung.

Anthonis van Dyck,: Vision des Hermann Joseph, um 1630, Bild: Public domain, via Wikimedia Commons
Anthonis van Dyck,: Vision des Hermann Joseph, um 1630, Bild: Public domain, via Wikimedia Commons

Der Theologe Manfred Becker-Huberti sieht hinter dieser Geschichte einen ganz anderen Sinn. In einem Interview im Domradio erklärt er: „Das sieht für heutige Leute eher komisch aus. … Aber der Sinn, der dahinter steckt, ist ein anderer. Die Maria ist die neue Eva. Und die alte Eva hat die Schuld in die Welt gebracht, indem sie einen Apfel vom Baum der Erkenntnis heruntergenommen hat und rein gebissen hat. Dieser Apfel ist in den Händen der Eva das Symbol für die Erbschuld und in den Händen der Maria für die Befreiung von der Schuld. Der Hermann-Joseph ist derjenige, der sie um diese Erlösung bittet, das heißt, den Apfel an das Jesuskind weiterzugeben.“1Quelle: Domradio Ob der eher volkstümlich geprägte Glaube im 12. Jahrhundert diese Interpretation geteilt hätte, kann aber durchaus bezweifelt werden.

Große Marienverehrung

Hermann trat mit zwölf Jahren in das Kloster der Prämonstratenser in Steinfeld in der Eifel ein, studierte in Friesland, kehrte nach Steinfeld zurück und wurde dort zum Priester geweiht. Er war als Seelsorger im Umkreis des Klosters tätig.

Hermann war zeitlebens ein großer Marienverehrer und bekam, durch eine „mystische Vermählung mit der Gottesmutter Maria“ den Beinamen Joseph. Seine große Frömmigkeit führte zu weiteren Wundern. So sollen bei seinen Gottesdiensten regelmäßig in dem Kelch Rosen erschienen sein, deren Duft ganze Gotteshäuser erfüllt habe.

Hermann schrieb auch erbauliche Texte und Lieder. So wird ihm auch das älteste bekannte Herz-Jesu-Lied „Gruß an das heiligste Herz-Jesu“ zugeschreiben. Dort lautet es:

Öffne dich gleich einer Rose,
Duftend aus dem Blätterschoße,
Und vereine meinem Herzen
Deinen Duft und deine Schmerzen.
Wer liebt, was muss der leiden nicht?

Bis in das fast schon biblische Alter von 90 Jahren hielt Hermann an der Marienverehrung fest. Er starb am 7. April 1241 oder 1252.

Der Hermann-Joseph-Brunnen am Waidmarkt zeigt die entscheidende Szene: Maria nimmt von Hermann dem Apfel entgegen, Bild: Raimond Spekking
Der Hermann-Joseph-Brunnen am Waidmarkt zeigt die entscheidende Szene: Maria nimmt von Hermann dem Apfel entgegen, Bild: Raimond Spekking

Erinnerung in Köln als Appel-Jupp

Heute erinnern sich Kölner an ihren Hermann Joseph als „Appel-Jupp“, also „Apfel-Joseph“. Und so finden sich regelmäßig besagte Äpfel an der Marienstatue in St. Maria im Kapitol.

Zusätzlich wurde ihm ein Brunnen gewidmet. Dieser Brunnen steht am Waidmarkt und zeigt an seiner Spitze die ganz entscheidende Szene für das Leben vom Appel-Jupp: Maria nimmt von ihm dem Apfel entgegen.

Hermann-Josef-Brunnen am Waidmarkt um 1895, Fotograf: unbekannt
Damals noch im Mittelpunkt des Platzes, heute eher „an den Rand geschoben“: Der Hermann-Joseph-Brunnen am Waidmarkt um 1895, Fotograf: unbekannt

Heute geht der Brunnen am Waidmarkt etwas unter. Werner Schmidt schreibt, der Brunnen wirke „wie ein an den Platzrand geschobenes sperriges Möbel“.2Werner Schmidt: Der Bildhauer Wilhelm Albermann (1835–1913). Leben und Werk. In: Werner Schäfke (Hrsg.): Publikationen des Kölnischen Stadtmuseums. Band 3. Köln 2001 Auch Ronald Füllbrandt von den Kölschgängern sieht den Standort kritisch: „Der Brunnen stand am Platzeingang und war ein herrlicher Blickfang. Heute, nachdem sich das Stadtbild grundlegend verändert hat, ist sein Platz nicht mehr besonders schön. Er steht da, wie in die Ecke gedrängt und wird kaum beachtet.“3Quelle: Kölschgänger

Dann doch lieber – in bester kölscher Tradition – Äpfel zur Marienstatue in St. Maria im Kapitol bringen.


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Eine Krake schwimmt im Rhein: Die Müllfalle an der Zoobrücke

Die RHEINKRAKE - eine schwimmende Müllfalle, Bild: Simon Taal / KRAKE e.V.
Die RHEINKRAKE – eine schwimmende Müllfalle, Bild: Simon Taal / KRAKE e.V.

Der Rhein ist – nach den Umweltskandalen der 80er und 90er Jahre – mittlerweile wieder relativ sauber. So gilt der Rhein nur als „mäßig belastet“.1In Deutschland wird Wasserqualität von Gewässern in die Güteklassen I – IV eingeteilt, wobei „Güteklasse I“ als „gering bis unbelastet“ und „Güteklasse IV“ als „Abwasserzone“ eingestuft wird. Der Rhein ist als „mäßig belastetes Gewässer“ in der Güteklasse II. Trotzdem schwimmen jede Stunde etwa 42 Kilogramm Müll im Rhein an Köln vorbei. Das summiert sich auf sagenhafte 365 Tonnen im Jahr. Schlussendlich landet dieser Müll im Meer und verschärft damit die Situation für alles, was dort lebt.

K.R.A.K.E. e.V. - die Kölner Rhein-Aufräum-Kommando-Einheit, Quelle: K.R.A.K.E. e.V.
K.R.A.K.E. e.V. – die Kölner Rhein-Aufräum-Kommando-Einheit, Quelle: K.R.A.K.E. e.V.

Kraklinge räumen auf – Müllsammeln mit Spaß

Christian Stock stört diese Verschmutzung am und im Rhein. Der Wahlkölner Stock ist ein praktischer Mensch: Anstatt zu lamentieren packt er einfach an und sammelt den Müll am Ufer auf.2Genau so macht es auch Eva Pollmeier – sie sammelt Müll an den Stränden Europas ein. Doch schnell erkennt er, dass viele Hände einfach mehr schaffen. Er gründet 2016 die K.R.A.K.E. – Kölner Rhein-Aufräum-Kommando-Einheit mit dem Ziel, das Müllproblem in Köln zu reduzieren. Dabei steht der gemeinsame Spaß im Vordergrund. Das klingt seltsam, doch es funktioniert. Die K.R.A.K.E. schreibt dazu:

Das allerwichtigste ist und bleibt aber, dass wir Spaß am Müllsammeln verbreiten möchten. Für viele klingt es vielleicht erst mal seltsam, aber Müllsammeln ist sexy! Die meisten Menschen, die einmal mit uns Sammeln waren, kommen auch wieder. Müllsammeln ist nicht nur eine gute Tat fürs Gewissen, es ist in der Gruppe eine gesellige Aktivität, für die es viel positives Feedback von Passanten gibt und die ein sofortiges Erfolgserlebnis in Form eines sauberen Uferabschnitts liefert.
(Quelle: K.R.A.K.E. e.V. )

Und dieses Konzept geht auf. Was zunächst als Facebook-Gruppe beginnt, wächst rasant. Bereits zum ersten „Rhine CleanUp Day“ im September 2018 packen 300 fleißige Helfer, Kraklinge genannt, mit an und sammeln knapp eine Tonne Müll. Nur ein Jahr später wird die Arbeit der Müllsammler und des „Krakenpapas“ Christian Stock mit dem Ehrenamtspreis der Stadt Köln und dem Stiftungspreis der Kölner Grün Stiftung ausgezeichnet, im Jahr 2022 folgt der Umweltschutzpreis der Stadt Köln.  

Erfolgreiche Bergung von E-Scootern aus dem Rhein, v.l.n.r.: Jan Odenthal, Christian Stock, Franz Roling, Bild: K.R.A.K.E. e.V.
Erfolgreiche Bergung von E-Scootern aus dem Rhein, v.l.n.r.: Jan Odenthal, Christian Stock, Franz Roling, Bild: K.R.A.K.E. e.V.

Die Kraklinge sind regelmäßig im Stadtgebiet unterwegs und sammeln den Müll ein, den andere Kölner wegwerfen. Aufsehenerregend war die Aktion im August 2022: Die K.R.A.K.E. sammelte im Rhein liegende E-Roller. Eine Aktion, an der die Betreiberfirmen der E-Scooter vorher grandios gescheitert waren. In den Fangarmen der Kraklinge landeten so insgesamt 150 Roller.

Die Rheinkrake, eine schwimmende Müllfalle

Mit der Müllfalle im Rhein geht die K.R.A.K.E. noch einen Schritt weiter: Wieso, so Krakling Nico, fischen wir nicht den Müll direkt aus dem Rhein? Er hatte solche Müllfallen bereits in London gesehen: Ein schwimmender Fangkorb, an einer günstigen Stelle im Fluss platziert, sammelt den Müll ein.

Fast drei Jahre wird an der Idee gefeilt, mit der Verwaltung verhandelt und Sponsoren eingeworben – immerhin liegt das Projektbudget bei 160.000 Euro. Am 15. September 2022 ist es endlich soweit: Die „Rheinkrake“ wird eingeweiht.

Die Verankerung der Rheinkrake in Höhe der Zoobrücke, Bild: Simon Taal / K.R.A.K.E. e.V.
Die Verankerung der Rheinkrake in Höhe der Zoobrücke, Bild: Simon Taal / K.R.A.K.E. e.V.

Dabei handelt es sich um einen zehn mal fünf Meter großen Ponton aus Stahl. Mit einer entgegen die Fließrichtung gelegenen Öffnung wird der an der Wasseroberfläche treibende Müll eingesammelt. Um möglichst viel Abfall einzufangen, ist die Müllfalle etwa in Höhe der Zoobrücke, am Rheinkilometer 690,3 aufgestellt. Diese Stelle ist ideal, weil dort, durch die Rheinbiegung, die fast perfekte Strömung für die Rheinkrake herrscht. Allerdings kann die Müllfalle auch an anderen Stellen und bei unterschiedlichen Wasserständen eingesetzt werden.

Die K.R.A.K.E. weist ausdrücklich darauf hin, dass die Müllfalle so konstruiert wurde, dass sie weder Fische noch Vögel und auch den Schiffsverkehr nicht gefährdet. Sogar die regelmäßigen Routen der Ruderer auf dem Rhein wurden berücksichtigt.

Der erste Müll in der Müllfalle - bereits nach 24 Stunden! Bild: Nico Schweigert / K.R.A.K.E. e.V.
Der erste Müll in der Müllfalle – bereits nach 24 Stunden! Bild: Nico Schweigert / K.R.A.K.E. e.V.

Studie „Welcher Müll schwimmt im Rhein?“

Die Müllkrake soll selbstverständlich den im Rhein treibenden Müll einsammeln. Allerdings geht die K.R.A.K.E. noch einen wichtigen Schritt weiter: Der Müll wird dokumentiert und wissenschaftlich ausgewertet. Durch eine Kooperation mit der Universität Bonn wurde ein Müll-Klassifikationsschema erstellt. So soll eine Langzeitstudie zum Plastikmüll im Rhein später Handlungsempfehlungen für die Politik, die Verwaltung und auch die Zivilgesellschaft geben. Für diese Müll-Klassifikationwerden noch Helfer gesucht, die K.R.A.K.E. freut sich über Unterstützung.

Übrigens: In den fünf Minuten, die du jetzt gebraucht hast, diesen Artikel zu lesen, sind weitere 3,5 Kilogramm Müll durch den Rhein an Köln vorbeigeströmt. Und einen Teil davon hat die Müllkrake eingesammelt.


 

Ein ganz besonderes Museum: Das MÜLLseum

Seitdem die K.R.A.K.E. in Köln aufräumt, ist eine Menge Müll gefunden worden. Die kuriosesten Fundstücke werden im MÜLLseum ausgestellt. Dort wird neben einem Mammutzahn auch ein Vogelnest ausgestellt, in dem Plastikteile verbaut sind. Auch eine 30 Jahre alte Raider-Verpackung ist in dem MÜLLseum zu finden.

Der Eintritt ist frei, die K.R.A.K.E. freuet sich über Spenden. Es gibt auch, außerhalb der regulären Öffnungszeiten, kostenlose Gruppenführungen für Schulklassen und andere Interessierte an. Termine können individuell vereinbart werden.

MÜLLseum  
Öffnungszeiten: Donnerstag, 15 – 19 Uhr (am 22.12. geschlossen)
Adresse:  Burgenlandstraße 3a, 51105 Köln


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Ein Park auf Zeit: Der Pionierpark am Großmarkt

Der Pionierpark in Raderberg - ein Park auf Zeit, Bild: Uli Kievernagel
Der Pionierpark in Raderberg – ein Park auf Zeit, Bild: Uli Kievernagel

Wann Kölns größtes Bauprojekt, die Parkstadt Süd, realisiert wird, ist noch offen. Aber seit dem 22. September 2022 gibt es zumindest einen kleinen Teil des Gesamtprojekts zu bewundern: Den Pionierpark.

Kurios: Das ist ein Park auf Zeit. Su jet jitt nur in Kölle!

Die Parkstadt Süd – Fertigstellung 2037?

Auf dem Gelände des heutigen Großmarkts und den angrenzenden Flächen des „Inneren Grüngürtels“ wird die Parkstadt Süd entstehen. Ein Städtebauprojekt der Superlative:

  • Bebaut werden etwa 115 Hektar. Das entspricht der Fläche von etwa 150 Fußballplätzen.
  • Geplant sind etwa 3.400 Wohneinheiten, dort werden etwa 7.700 Menschen wohnen.
  • In dem Gebiet werden drei Kindertagesstätten, zwei Grundschulen und eine Gesamtschule entstehen.
  • Die Stadt geht von 4.300 Arbeitsplätzen in der Parkstadt Süd aus.
So wird es einmal im "Inneren Grüngürtel" aussehen: Die Parkstadt Süd. Die rote Markierung kennzeichnet die aktuelle Lage des Pionierparks, Bild: Lenzen, Landschaftsarchitekturbüro RMP, Markierung: Uli Kievernagel
So wird es einmal im „Inneren Grüngürtel“ aussehen: Die Parkstadt Süd. Die rote Markierung kennzeichnet die aktuelle Lage des Pionierparks, Bild: Lenzen, Landschaftsarchitekturbüro RMP, Markierung: Uli Kievernagel

Wann das Projekt realisiert wird, ist allerdings eher ungewiss: Die Laufzeit des Großmarkts wurde jüngst noch bis in das Jahr 2025 verlängert, vorgeschlagen wurde ein Umzug nach Marsdorf. Gegen diesen neuen Standort wehren sich die Markthändler mit Händen und Füßen.

Gleichzeitig müssen auch Verhandlungen im zwei Eigentümern, deren Immobilien dem geplanten Großprojekt im Weg stehen, abgeschlossen werden. Sollte es hier zu keiner Einigung kommen, „würde die Stadt zu gegebener Zeit andere Maßnahmen bis hin zur Enteignung prüfen“ – so die Stadt Köln. Starke Worte – allerdings können sich solche Verfahren ewig hinziehen.

Kein Wunder, dass die Verwaltung sich ungern auf einen Fertigstellungstermin festlegen will. Aktuell nennt die Stadt das Jahr 2037.

Ein Park als Interimslösung

Um aber schon heute einen ersten Eindruck zu geben, welche Potenziale das Gelände der Parkstadt Süd bietet, wurde auf etwa 40.000 Quadratmeter Fläche ein neuer Grünzug geschaffen. Dieser Park ist besonders, denn er ist nur auf Zeit angelegt. Kölns Umweltdezernent William Wolfgramm dazu: „Dieser Park ist ein Vorgriff, wie wir die Parkstadt Süd gestalten werden.“ Wir alle sollen einen Eindruck davon bekommen, welche Dimensionen die Parkstadt Süd irgendwann mal annehmen wird.

Der Pionierpark braucht noch etwas Zeit, bis er üppig grün wird. Bild: Uli Kievernagel
Der Pionierpark braucht noch etwas Zeit, bis er üppig grün wird. Bild: Uli Kievernagel

Die Idee stammte von Joachim Bauer, dem stellv. Amtsleiter des Grünflächenamts, und Baudezernent Markus Greitemann. „Warum sollte man so ein Gelände brach liegen lassen?“ fragten sich die beiden und so wurde die Idee des „Parks auf Zeit“ geboren.

Einsatz von Auszubildenden spart Kosten

Dank des Einsatzes von Auszubildenden des Grünflächenamts konnte der Park für 300.000 Euro realisiert werden. Und die Azubis sind glücklich, dass sie dieses Projekt umsetzen durften. „Man ist stolz, ein Teil des Projekts zu sein.“ so Sarah, eine Auszubildende der Stadt Köln. „Und man ist überwältigt, was daraus jetzt schon geworden ist.“. Am 22. September 2022 wurde der Park feierlich eingeweiht.

Die Eröfnung des Pionierparks 22. September 2022 mit Baudezernent Greiteman, Umweltdezernent Wolfgramm, Joachim Bauer, Leiter des Grünflächenamts und vier der insegsamrt zehn Azubis, die den Park realisiert haben, Bild Uli Kievernagel
Die Eröffnung des Pionierparks 22. September 2022 mit Baudezernent Greiteman, Umweltdezernent Wolfgramm, Joachim Bauer, Leiter des Grünflächenamts und vier der insgesamt zehn Azubis, die den Park realisiert haben, Bild Uli Kievernagel

Fußballplatz ist angelegt, weitere Nutzungsmöglichkeiten gewünscht

Tatsächlich wurde die bisher unattraktive Fläche massiv bearbeitet: Wege und ein Fußballplatz wurden angelegt, 40 Bäume gepflanzt sowie eine Fläche für die unter Naturschutz stehende Zauneidechse eingezäunt. Der Planer des Geländes, Stephan Lenzen vom Landschaftsarchitekturbüro RMP, betont die große Dimension des Parks und weist darauf hin, dass durch diese Schneise auch Frischluft vom Rhein nach Raderberg geführt wird.

Die Pänz haben den neuen Fußballplatz im Pionierpark bereits am ersten Tag in Beschlag genommen, Bild: Uli Kievernagel
Die Pänz haben den neuen Fußballplatz im Pionierpark bereits am ersten Tag in Beschlag genommen, Bild: Uli Kievernagel

Trotzdem fehlt dem Park noch die Attraktivität. Der Eingang ist schwer zu finden und bei den Angeboten des Pionierparks ist noch Luft nach oben. Tobias wohnt unweit des Parks und regt an: „Etwas mehr Mühe bei der sportlichen Nutzung eines Parks würde ich mir wünschen.
Meiner Auffassung nach wäre eine Gitterwand hinter den Fußballtoren erforderlich, ausserdem Basketballkörbe und mindestens zwei Tischtennisplatten. Dann wird der Park auch genutzt.“

Unbekannte Altlasten

Unabhängig davon bleibt aber das Problem der Altlasten: Es wurden 20.000 Quadratmeter Vliesstoff auf dem Gelände ausgelegt, denn niemand kann genau sagen, welche Altlasten nach etwa 100jähriger Nutzung durch die Bahn noch in der Erde schlummern. Diese Sanierung findet erst zu einem späteren Zeitpunkt statt. So lange bleibt der Pionierpark ein Provisorium.

Aber das sind wir gewohnt! Wir leben in einer Stadt, die sich mit Provisorien bestens auskennt. So steht seit 1996 eine hässliche blaue Mülltüte namens „Musical Dome“ direkt am Rhein, an der Nord-Süd-Bahn bauen wir bereits seit 18 Jahren und auch der Dom wurde erst nach 632 Jahren Bauzeit fertig.

Deswegen: Auch der „Zwischenlösung“ Pionierpark ist in Köln bestimmt ein langes Leben sicher.


Ausschnitt aus einem Stich von Friedrich W. Delkeskamp (1794–1872)
Lage des jüdischen Friedhofs, Ausschnitt aus einem Stich von Friedrich W. Delkeskamp (1794–1872)

Der jüdische Friedhof „Dude Jüd“

Auf dem heutigen Großmarktgelände liegt auch der „Judenbüchel“, der alte Friedhof der jüdischen Gemeinde. Die Kölschen nannten dieses Gelände „Dude Jüd“„Am todten Jud“.


Lotsentour „Raderberg & Raderthal“

Der Pionierpark befindet sich westlich des Großmarktgeländes, der Eingang ist Bischofsweg 48. Auf der Lotsentour „Raderberg & Raderthal“ statten wir dem Pionierpark einen Besuch ab.


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Robert Pferdmenges – erfolgreicher Bänker und „Strippenzieher“ für Adenauer

Robert Pferdmenges hält die Rede als Alterspäsident bei der konstituierenden Sitzung des 4. Deutschen Bundestages am 17 Oktober 1961, Bild: Bundesarchiv, B 145 Bild-F011609-0006, Rolf Unterberg, CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Robert Pferdmenges hält die Rede als Alterspäsident bei der konstituierenden Sitzung des 4. Deutschen Bundestages am 17 Oktober 1961, Bild: Bundesarchiv, B 145 Bild-F011609-0006, Rolf Unterberg, CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Die beiden kannten sich bereits mehr als 42 Jahre, als Adenauer dem Bankier Robert Pferdmenges das „Du“ anbot. Das war an Adenauers 85. Geburtstag. Zu diesem Zeitpunkt war Pferdmenges auch bereits 81 Jahre alt. So wurde Robert Pferdmenges zum einzigen Menschen, der auf „Du und Du“ mit dem Kanzler war. Daher gilt der Bankier Pferdmenges bei Historikern als einziger wirklicher Freund des in persönlichen Dingen eher unterkühlten ersten deutschen Bundeskanzlers.  

Erfolgreicher Bänker – Friedrich Engels als (angeheirateten) Onkel  

Geboren wurde Robert Pferdmenges am 27. März 1880 in Mönchengladbach als zweites von neun Kindern des Textilunternehmers Wilhelm Albert Pferdmenges und seiner Frau Helene. Nach Abitur und Banklehre machte er Karriere bei verschiedenen Banken mit Positionen in Antwerpen und London. Im Jahr 1919 zog er mit seine Frau Dora und den beiden Kinder nach Köln und wurde Vorstand der A. Schaaffhausen’scher Bankverein Actiengesellschaft.

Kurios: Sein (angeheirateter) Onkel war ein gewisser Friedrich Engels aus Wuppertal. Pferdmenges dazu: „Es ist nicht wahr, daß ich ihn je gesehen hätte. Aber es stimmt, daß es in unseren Familien ein geflügeltes Wort gab, das immer dann drohend angewandt wurde, wenn jemand über die bürgerlichen Stränge schlug: “Du wirst noch wie Onkel Friedrich.‘1DER SPIEGEL 5/1954 vom 26.01.1954. Diese Gefahr bestand beim Bankier Pferdmenges eher nicht.

1931 wechselte Pferdmenges die Position: Vom bisher angestellten Manager verschiedener Bankhäuser zum Teilhaber des Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim jr. & Cie. Dort war er bis 1953 persönlich haftender Gesellschafter.

Pferdmenges – die „graue Eminenz“ Adenauers

Konrad Adenauer hatte dem erfolgreichen Manager viel zu verdanken: Obwohl keine eindeutigen Beweise vorliegen, gehen Historiker davon aus, dass es Robert Pferdmenges war, der Adenauer, welcher 1930 nahezu sein gesamtes Vermögen durch Fehlspekulation am Aktienmarkt verloren hatte, finanziell rettete.

Und auch die CDU profitierte von den Fähigkeiten des Strippenziehers Pferdmenges. Denn der Mann mit den besten Kontakten in die Industrie und Wirtschaft organisierte die notwendigen Spenden, ohne die die Kassen der CDU in den aufreibenden Wahlkämpfen der 1950er Jahre leer geblieben wären.

Gleichzeitig war er in der gerade neu gegründeten CDU der Mann, der den bürgerlich-evangelischen Flügel repräsentierte, während Adenauer als Katholik eher in der Tradition der Zentrumspartei stand. Daher drängte Adenauer den Protestanten Pferdmenges zu einer Kandidatur bei der ersten Bundestagswahl: 

Brief von Adenauer an Pferdmenges am vom 1. Juli 1949, Quelle: Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, 12.02/3
Brief von Adenauer an Pferdmenges am vom 1. Juli 1949, Quelle: Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, 12.02/3

Nur eine einzige Rede im Bundestag – und diese auch nur gezwungenermaßen

Pferdmenges gab dem Drängen Adenauers nach und war von 1950 bis zu seinem Tode im Jahr 1962 Mitglied des Bundestags. Allerdings war nicht der Plenarsaal und das Rednerpult sein eigentliches Arbeitsgebiet. Viel mehr agierte er im Hintergrund und diente Adenauer als „machtvoller, finanzkapitalistischer Drahtzieher der Politik in jenen Jahren“2Der SPIEGEL: Adenauers Mann für die Moneten, 05.11.2006

Seine in zwölf Jahren einzige Rede im Parlament hielt Pferdmenges auch eher unfreiwillig: Als Alterspräsident eröffnete er Mitte Oktober 1961 die vierte Legislaturperiode. Allerdings war er nicht der klassische „Hinterbänkler“, sondern ein Machtmensch, der genau wusste, welche Strippen im richtigen Moment zu ziehen sind.

Die Pferdmengesstraße in Marienburg erinnert an Robert Pferdmenges, Bild: Uli Kievernagel
Die Pferdmengesstraße in Marienburg erinnert an Robert Pferdmenges, Bild: Uli Kievernagel

Pferdmenges fungiert als Platzhalter für die Oppenheim-Familie

Als die nationalsozialistischen Machthaber die Familie Oppenheim im Jahr 1938 wegen derer jüdischen Wurzeln aus der Bank drängten, stell­te sich Pferd­men­ges vor die Fa­mi­lie und rettete das Bankhaus, indem er es zwar formell übernahm, die Fa­mi­lie Op­pen­heim blieb aber im Hintergrund Haupt­ei­gen­tü­mer. So fungierte er von 1938 bis 1947 als Platzhalter für die Eigentümerfamilie. Damit war auch eine Namensänderung verbunden. Aus Sal. Oppenheim wurde Pferd­men­ges & Co.. Für die Nationalsozialisten galt die Bank somit als „ari­siert“. Im Jahr 1947 konnte die Familie Oppenheim die Bank wieder übernehmen und unter der ursprünglichen Bezeichnung Sal. Oppenheim jr. & Cie. die Geschäfte wieder aufnehmen.

Dies führte später zu dem Vorwurf, Pferdmenges wäre ein „Nazi-Bänker“ gewesen. Es ist davon auszugehen, dass diese Vorwürfe haltlos sind. Tatsächlich wurde Pferdmenges nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 im Zusammenhang mit der Fahndung nach seinem Geschäftspartner Waldemar von Oppenheim sogar fest­ge­nom­men. Gegen ihn wurde ein Berufsverbot verhängt und er wurde auf sei­nem Gut in der Mark Bran­den­burg un­ter Haus­ar­rest ge­stellt.

Nach dem Krieg wurde Robert Pferdmenges von den Alliierten als „politisch einwandfrei“ beurteilt und auch ein eigens eingerichteter Untersuchungsausschuss der Kölner Stadtverordnetenversammlung bestätigte dies. Auch die Familie Oppenheim betonte, dass Pferdmenges durch die Zurverfügungstellung seines Namens das Bankhaus gerettet hatte.

Mandate in 27 (!) Aufsichtsräten 

Pferdmenges kehrte im Sommer 1945 nach Köln zurück und wurde bereits im September 1946 zum Präsidenten der Industrie- und Handelskammer ernannt. Der Netzwerker im Hintergrund führte erfolgreich die Bankgeschäfte des Bankhauses Oppenheim und sammelte Aufsichtsposten wie andere Menschen Briefmarken. So war er ab 1954 in 27 Aufsichtsräten vertreten.

Darunter waren Unternehmen wie Felten & Guilleaume, die Klöckner-Werke AG, die Nordstern Versicherung, Bahlsens Keksfabrik in Hannover oder auch die Zuckerfabrik von Pfeifer & Langen.

Robert Pferdmenges und Konrad Adenauer im Deutschen Bundestag (Mai 1960), Bild: Bundesarchiv, B 145 Bild-F008112-0015 / Egon Steiner, CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Robert Pferdmenges und Konrad Adenauer im Deutschen Bundestag (Mai 1960), Bild: Bundesarchiv, B 145 Bild-F008112-0015 / Egon Steiner, CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Jahrzehntelange Freundschaft mit Adenauer

Verständlich, dass der streitlustige Adenauer den eher ausgleichenden Bänker eng an seiner Seite wissen wollte. So half der Vermittler Pferdmenges dem Kanzler nicht nur, die Mitbestimmung in der Montanindustrie im bürgerlichen Lager durchzusetzen, sondern auch die großen Spannungen zwischen Adenauer und seinem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard auszugleichen. Es ist davon auszugehen, dass ohne den Vermittler Robert Pferdmenges die Regierung im dritten (1957 – 1961) und vierten (1961 – 1963) Kabinett Adenauers zerbrochen wäre. Deshalb ist es zu verstehen, dass ausgerechnet ein protestantischer Bänker zum einzigen Duz-Freund Adenauer wurde.

Robert Pferdmenges verstarb am 28. September 1962 im Alter von 82 Jahren in seiner Wahlheimat Köln. Sein Grab befindet sich auf dem evangelischen Friedhof in Mönchengladbach. Bei der Trauerfeier in der Kölner IHK3am 3. Oktober 1962 betonte Adenauer seine äußerst enge Verbindung zu seinem (vermutlich einzigen echten) Freund:

 „Wir haben uns zunächst in Köln nach dem ersten Weltkrieg kennengelernt. Wir sind uns bald nahe gekommen und schlossen Freundschaft, die jahrzehntelang bis jetzt gedauert hat, und niemals in ihrer Harmonie getrübt war, eine Freundschaft, die durch alle Zeiten und Wechselfälle des Lebens gewahrt wurde von ihm und von mir.“


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