Ein paar Fragen an Mirijam Günter: „Köln ist für mich Fluch und Segen“

Mirijam Günter, prämierte Schriftstellerin aus Köln, Bild: Bild: Dirk Fischer
Mirijam Günter, prämierte Schriftstellerin aus Köln, Bild: Dirk Fischer

Aufgewachsen in unterschiedlichen Heimen, abgebrochene Lehren als Automechanikerin, Köchin, Malerin, prämierte Autorin, wissbegierig und unangepasst. Die Kölner Schriftstellerin Mirijam Günter vereint viele Facetten.

Mit ihr unterwegs zu sein, ist eine spannende Herausforderung. Für dieses Interview haben wir uns in der Innenstadt getroffen, direkt an St. Aposteln. Wir laufen kreuz und quer durch die Stadt. Und ich, der ich sie eigentlich interviewen wollte, werde von der wissbegierigen Mirijam vieles gefragt. 

Halt in der Kirche

Mirijam Günter wächst als Findelkind in verschiedenen Städten auf. Sie verbringt insgesamt 16 Jahre in verschiedenen Kinder- und Jugendheimen. Und immer gibt ihr die Kirche halt.

Für die Betreuer in den Heimen absolut unverständlich, bestand sie auf den Besuch von Gottesdiensten.  Dies tat sie zunächst, um ihre Betreuer zu ärgern, denn diese mussten sie dafür oft in die weit entfernten Kirchen fahren.  Aus dieser Rebellion entsteht ein „Pakt“: So schreibt sie in einem Artikel der Zeitschrift chrismon: „Im Heim schwor ich mir bei Gott, nicht unterzugehen. In meinem Kopf entstand ein Satz, der mich lange begleitete: Ihr verachtet meinen Gott, weil er der Einzige ist, der zu mir hält!“1„Ich bleibe katholisch“ Die Schriftstellerin Mirijam Günter über den einzigen Ort, an dem sie nie Rassismuss erlebte, https://chrismon.evangelisch.de/das-wort/mirijam-guenter-schriftstellerin-haelt-zur-katholischen-kirche-52438 abgerufen am 14. 10.22

Mirijam Günter: Heim dtv, 336 Seiten, ISBN:‎ 978-3423782326
Mirijam Günter: Heim, dtv, 336 Seiten, ISBN:‎ 978-3423782326

Erfolgreiche Autorin

Mirijam Günter ist eine erfolgreiche Schriftstellerin. Für ihren ersten Roman „Heim“ wurde sie im Jahr 2003 mit dem renommierten Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet. Zwischenzeitlich sind mit „Die Ameisensiedlung“ und „Die Stadt hinter dem Dönerladen“ zwei weitere Romane erschienen. 

Sie ist als Kolumnistin unter anderem für „der freitag“ , die „Die Zeit“  und die Süddeutsche Zeitung tätig. Für das Magazin „Draußenseiter“ schreibt sie ehrenamtlich. 

Seit 2006 bietet sie auch „Literaturwerkstätten“ an. Dort bringt sie jungen, benachteiligten Menschen die Literatur nahe. In den Literaturwerkstätten  bietet sie den jungen Menschen die Gelegenheit, sich entsprechend ihrer geistigen Möglichkeiten mit eigenen und/oder fremden Texten, Geschichten, Gedichte auszudrücken.  Ruhig geht es, so Mirijam Günter, in den Werkstätten selten zu: „Denn mit dem Aufsatzschreiben und den Textanalysen fremder Texte in der Schule haben Literaturwerkstatten fast nichts gemeinsam. Das klassische formelle schulische Lernen, mit dem die genannten Zielgruppen in der Regel mehrheitlich Negativerfahrungen gesammelt haben, wird außer Kraft gesetzt.“

Mirijam Günter: Die Ameisensiedlung dtv, 272 Seiten, ISBN:‎ 978-3423782128
Mirijam Günter: Die Ameisensiedlung, dtv, 272 Seiten, ISBN:‎ 978-3423782128

Rassismus-Erfahrungen

Im April 2020 wird Mirijam Günter fälschlich des Fahrraddiebstahls bezichtigt. Aufgrund der Aussage eines Kinds, das eine Frau „Typ Zigeuner“ beobachtet haben will, wird Mirijam von der Polizei festgenommen, rassistisch beleidigt und in Handschellen gelegt. Eine Polizistin durchsucht Mirijams Wohnung – ohne richterlichen Beschluss. Einwände werden abgetan „Was willst du denn dagegen machen? Solchen Typen wie Euch glaubt eh keiner.“

Sie lässt sich das nicht gefallen, klagt gegen die Polizei. Die Polizistin muss 150 Euro Strafe wegen Nötigung und Hausfriedensbruchs bezahlen, die rassistischen Äußerungen werden bestritten und, weil Aussage gegen Aussage steht, fallen gelassen. Dieser Vorgang hat Mirijam nachhaltig erschüttert. Dies geht so weit, dass sie sagt: „Die haben mir meine Heimat genommen“. Seit diesem Tag beschäftigt sich Mirijam mit dem Gedanken, aus dem „doch so toleranten Köln, in dem gefühlt aus jedem zweiten Fenster Anti-Rassismus-Fahnen wehen“ fortzugehen.


Ein paar Fragen an Mirijam Günter

Mirijam, was löst die Aussage „Meine Mutter ist Putze und ich werde auch höchstens Putze.“ in dir aus?

Das löst mein absolutes Unverständnis aus: Wenn du ganz unten bist, kommste nicht mehr rauf. Dass es dafür immer noch keine Lösung gibt, grenzt an ein Weltwunder.
Das betrifft auch mich persönlich: Das Bildungsbürgertum gibt einem ganz deutlich zu verstehen, dass man nicht dazugehört. Du kennst nicht deren Rituale und Verhaltensweisen.

Du hast selber eine „Heimkarriere“ hingelegt: Insgesamt 16 Jahre in verschiedenen Heimen. Die offiziellen Stellen hatten dich nach drei abgebrochenen Ausbildungen schon aufgegeben. Bis du ein hoffnungsloser Fall gewesen?

Mit meiner Biographie kann man froh sein, wenn man im Supermarkt Regale einräumen darf. Ansonsten landet man mit fünf Kindern in Chorweiler oder direkt im Knast.
Daher bin ich für andere ein hoffnungsloser Fall gewesen. Aber sie wussten nicht, dass ich mit Gott einen Pakt geschlossen habe.

Du sagst, dass dich das Schreiben gerettet hat. Wie kommt jemand ohne Erfahrung und entsprechende Kontakte in den Literaturbetrieb?

Literatur ist meine Therapie. Ich bin in die Literatur geflohen, wann immer ich Schutz gebraucht habe. Aber im Literaturbetrieb bin ich ein Außenseiter. Ich habe auf einer Autorenwebsite recherchiert: Alle Autoren dort hatten nur „glatte“ Lebensläufe: Studium, Auslandsaufenthalte etc.

Mirijam Günter: Die Stadt hinter dem Dönerladen Größenwahn Verlag; 200 Seiten, ISBN:‎ 978-3957710512
Mirijam Günter: Die Stadt hinter dem Dönerladen
Größenwahn Verlag; 200 Seiten,
ISBN:‎ 978-3957710512

Die katholische Kirche war für dich zum einen ein räumlicher Rückzugsort und zum anderen aber auch Stütze, an der du – auch in diesen für die Kirche schwierigen Zeiten – festhältst. Warum?

Solche Typen wie ich müssen in der Kirche bleiben, sonst bleiben doch nur noch Arschgeigen übrig.

„Ich bin sozialisiert durch die katholische Kirche, durch Menschen, die mir da begegnet sind und durch Kommunisten“, sagst du im Dezember 2021 im Domradio. Ist das nicht unvereinbar?

Das solltest du meine beiden beste Freunde, einen katholischen Geistlichen und einen Marxisten, fragen. Falls deren Antwort nicht ausreicht, steuere ich auch noch einen halben Kapitalisten bei.

Die Kölner Schriftstellerin Mirijam Günter, Bild: Dirk Fischer
Die Kölner Schriftstellerin Mirijam Günter, Bild: Dirk Fischer

Du bietest Literaturwerkstätten für Jugendliche an. Wie hat man sich das vorzustellen? Was passiert in einer Literaturwerkstatt?

Es klingt vielleicht erstaunlich, aber in einer Literaturwerkstatt geht es nicht ausschließlich um Literatur. Wir treffen uns und reden zunächst miteinander. Vielen, die ich dort treffe, geht es nicht gut. Aber sie bekommen das nicht artikuliert. Dann schreibt man sich selber oder schreibt an andere. Das hilft oft.
Und dann lesen wir auch ausgewählte Texte: Einer liest vor, die anderen hören zu. Tatsächlich ist es mir mal bei einer Literaturwerkstatt im Knast passiert, dass nur einer lesen konnte.

In jedem Fall ist ganz wichtig, dass kein anderer Erwachsener dabei ist. Das lehne ich rigoros ab, dann funktioniert das nicht. Diese Literaturwerkstätten sind für mich eine Berufung, kein Job.

Du hast wahrscheinlich ähnliche Lebenserfahrungen wie deine Schüler in den Literaturwerkstätten. Bist du dadurch näher an ihnen dran?

JA!

Du willst auch der Öffentlichkeit zeigen, was mit den abgehängten Jugendlichen passiert. Wie kann man dich dabei unterstützen?

Im Idealfall mit einer Spende für Bücherpakete für Jugendliche. So etwas gibt es vorbereitet in der Bunt-Buchhandlung


Genau wie alle anderen Menschen in meiner Rubrik „Ein paar Fragen an …“ hat auch Mirijam Günter zu meinen „kölschen Fragen“ Rede und Antwort gestanden.

Wenn nicht Köln – wo sonst könntest du leben? Und warum gerade dort?

Bis April 20202Mirijam wurde fälschlicherweise von der Polizei festgenommen, siehe oben wäre das für mich undenkbar gewesen. Aber seitdem ist dies eine Frage, die mich sehr beschäftigt und die ich im Moment nicht beantworten kann.

Was machst du zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch?

… jeden Tag den Satz sagen: „Nach Karneval trete ich in einen Karnevalsverein ein.“

Und was zwischen Aschermittwoch und Weiberfastnacht?

In der Zeit rette ich die Welt mit Hilfe der Literatur und denke über mein nächstes Karnevalskostüm nach.

Nenne ein/zwei/drei Gründe, warum man Köln morgen verlassen sollte.

  1. Diese unfassbare Großstadt-Arroganz. Der Kölner ist tolerant, und wenn du nicht tolerant bist, dann haut er dir so lange auf den Kopf, bis du so tolerant bist wie er.
  2. Die Verdrängung ärmerer Menschen aus dem Hipster-Vierteln.
  3. Die niedlich „Klüngeleien“ genannten Geschäfte. Das passiert von konservativen bis linksradikalen Kreisen. Wobei – das finde ich ja fast schon wieder lustig.

Dein Lieblingsschimpfwort auf Kölsch?

Schwad mich nit möd, do holle Baum.

Bitte vervollständige den Satz: Köln ist …

… für mich Fluch und Segen.


"Soziale Ungerechtigkeit" - der Blog von Mirijam Günter, https://sozialeungerechtigkeit.de/

Viel mehr von und über Mirijam gibt es auf ihrer Website „Das Leben einer Schriftstellerin“ und auf ihrem Blog „Soziale Ungerechtigkeit“.


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Kölsche Karnevalsbegriffe von A-Z, Teil V: Von „Rusemondachszoch“ bis „Wieverfastelovend“

Collage Karnevalsbegriffe Teil IV

Podcast Karnevalsbegriffe I, 32

Podcast Karnevalsbegriffe II, 33

Der Kölner Karneval ist bunt und vielfältig. Und sehr speziell. Diese Übersicht der wichtigsten Karnevalsbegriffe soll Einheimischen und Imis helfen, sich im Fastelovend zurechtzufinden.

Alle Teile der Serie „Kölsche Karnevalsbegriffe von A-Z“:


Ein Festwagen der Blauen Funken beim Rosenmontagszug, hier auf der Severinsstraße, Bild: Festkomitee Kölner Karneval
Ein Festwagen der Blauen Funken beim Rosenmontagszug, hier auf der Severinsstraße, Bild: Festkomitee Kölner Karneval

Rusemondachszoch

Jedes Jahr an Rosenmontag heißt es in Köln „Jeck loss Jeck elans“. Der größte Zoch in Deutschland ist imposant: Etwa 1 Million Zuschauer feuern frenetisch die etwa 12.000 Teilnehmer an. Knapp 80 Kapellen machen Musik, etwa 250 Wagen und Kutschen fahren durch die Stadt. Insgesamt werden etwa 300 Tonnen Kamelle und ca. 300.000 Strüßjer unters Volk gebracht.

Wer es etwas gemütlicher mag, kann sich auch die vielen Veedelszüge oder die liebevoll gestalteten Züge in den umliegenden Gemeinden anschauen.


"Schnaps, das war sein letztes Wort". Dringende Empfehlung: Finger weg vom Schabau!, Bild: von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay
„Schnaps, das war sein letztes Wort“. Dringende Empfehlung: Finger weg vom Schabau!, Bild: von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Schabau

Davon solle man an Karneval möglichst Finger lassen. Schabau ist Schnaps. Und schon so mancher Karnevalist hat wegen zu großer Mengen Schabau bereits an Weiberfastnacht mittags die Segel streichen müssen.


Schunkeln: Einhaken, im Takt hin und her bewegen, Bild: Bild: Festkomitee Kölner Karneval
Schunkeln: Einhaken, im Takt hin und her bewegen, Bild: Festkomitee Kölner Karneval

Schunkeln

„Schunkeln ist scheiße,
dein Nachbar stinkt nach Schweiß.
Du sitzt ganz nah,
und weisst nicht mal, wie er heißt.“

singt Biggi Wanninger, die Präsidentin der Stunksitzung. Da ist was dran. Auf der anderen Seite ist Schunkeln selbst für die unrhythmischsten Zeitgenossen die ideale Bewegung, weil man rechts und links eingehängt in den Rhythmus gezwungen wird. Ob man will oder nicht.

Und am Ende ist es dann doch immer schön, gemeinsam zu schunkeln. 


Das Motto der Sesiion 2022/23 lautet: Ov krüzz oder quer
Das Motto der Sesiion 2022/23 lautet: Ov krüzz oder quer

Session

Die wichtigste Zeit in Kölle, vgl. auch „5. Jahreszeit“. Mit Session wird gesamte Karnevalszeit bezeichnet, diese beginnt offiziell am 11.11. und endet an Aschermittwoch. Allerdings wird in der Praxis nur rund um den 11.11. und ab Anfang Januar gefeiert – wir sind in Köln immer noch rheinisch-katholisch und feiern auch Weihnachten.


Für jeden etwas dabei: Karnevalssitzungen in Kölle
Für jeden etwas dabei: Karnevalssitzungen in Kölle

Sitzung

Die kölschen Sitzungen sind das Herzstück des Karnevals – egal, ob sie als Prunk- oder Stunksitzung daherkommen.

Früher, bis etwa Mitte der 1980er Jahre, war es ganz einfach, wenn man zu einer Karnevalssitzung wollte: Frack oder Abendkleid anziehen und ab zur Prunksitzung im Gürzenich oder im Kostüm zu einer der zahlreichen Pfarrsitzungen im Gemeindesaal im Veedel.

Heute ist (gottseidank!) das Angebot an Karnevalssitzungen viel breiter gefächert. Und es gibt für nahezu jeden Geschmack das passende Format. Erstaunlich: Egal wie alternativ die Sitzungen auch sind, das Grundgerüst einer „klassischen“ Sitzung mit Präsident oder Präsidentin, einer Abfolge von Nummern wie in einer Revue, bleibt bestehen. Lediglich ein oft sehr steifer  Elferrat und die endlose Begrüßung der Ehrengäste gehören zum Glück heute fast immer der Vergangenheit an.


Drunter immer "Spetzebötzje"! Bild: Festkomitee Kölner Karneval
Drunter immer „Spetzebötzje“! Bild: Festkomitee Kölner Karneval

Spetzebötzje

Das Spetzebötzje ist eine mit Spitzen besetzte Unterhose und ein wichtiges Kleidungsstück der Funkemariechen. Aber Vorsicht: Nicht alle, die Spetzebötzje tragen, sind weiblich. So lautet es in dem Lied „Su läuft dat he“:

„Un Spetzebötzje drät bei uns sujar dä Kölsche Jung.“


Handgemachte Musik von einem Spillmanszoch, Bild: Festkomitee Kölner Karneval
Handgemachte Musik von einem Spillmanszoch, Bild: Festkomitee Kölner Karneval

Spillmannszoch

Ohne Musik kein Karneval. Und am schönsten ist die „handgemachte“ Musik der Spielmanszüge. So ist kein Aufmarsch der Traditionskorps ohne Spillmanszoch denkbar. Und an Rosenmontag laufen etwa 70 Spielmanszüge im Zoch mit.


Sternmarsch

Der Sternmarsch ist eine eher neue Erfindung – aber bereits Tradition in Kölle. Schon seit 1998 ziehen viele Karnevalsvereine an Karnevalsfreitag sternförmig aus ihren Veedeln zum Alter Markt und feiern dort gemeinsam.


Rote Funken beim "wibbeln", Bild: Uli Kievernagel
Rote Funken beim „wibbeln“, Bild: Uli Kievernagel

Stippeföttche / wibbele

Wenn man Männer sieht, die ihre Hintern aneinander reiben, weiß man, dass man in Köln angekommen ist. Der traditionelle Tanz der Funken nennt sich „Stippeföttche“, weil das „Föttchen“ (der Hintern) dabei hervorstippt (hervorsteht). Die Tätigkeit des Aneinanderreibens selber bezeichnet man als „wibbeln“.

Der Ursprung dieses seltsam anmutenden Spektakels liegt in der Verhöhnung des ungeliebten preußischen Militärs. Besonders schön ist es, wenn dabei dann das Lied „Ritsch, ratsch – de Botz kapott“ gespielt wird.


Traditionell bekommen die Polizisten, die am Zugweg stehen, reichlich Strüßjer, Bild: Festkomitee Kölner Karneval
Traditionell bekommen die Polizisten, die am Zugweg stehen, reichlich Strüßjer, Bild: Festkomitee Kölner Karneval

Strüßjer

Genau wie die Kamelle ein Grundbestandteil des Wurfmaterials in den Karnevalszügen. Wobei das Strüßje (eigentlich ein kleiner Blumenstrauß, in der Praxis aber eher ein einziges Blümchen mit etwas grünen Blättern drumherum) im Gegensatz zu den Kamelle sehr zielgenau dem Empfänger zugeworfen oder gegeben wird. Und dann bedankt man sich mit einem Bützje dafür.


Ein stolzes Dreigestirn mit Prinzenführer, Bild: Norbert Bröcheler
Ein stolzes Dreigestirn mit Prinzenführer, Bild: Norbert Bröcheler

Tolitäten

Prinz, Bauer und Jungfrau aus dem Dreigestirn werden auch „Tolitäten“ genannt.


Eines der neun Kölner Traditionskorps: Die Nippeser Bürgerwehr
Eines der neun Kölner Traditionskorps: Die Nippeser Bürgerwehr

Traditionskorps

Erst wenn man Mitglied in einem Kölner Traditionskorps ist, steht man in der Domstadt (vermeintlich) an der Spitze der Gesellschaftspyramide. Zu den aktuell neun Traditionskorps gehören:

  • Roten Funken,
  • Blauen Funken,
  • Ehren Garde,
  • Prinzen-Garde,
  • Altstädter,
  • Nippeser Bürgerwehr,
  • Bürgergarde „blau-gold“,
  • K.G. Treuer Husar und das
  • Reiterkorps Jan von Werth.

Der Titel „Traditionskorps“ kann nur durch den Präsidenten des Festkomitees vergeben werden.


Das Trifolium: Prinz Bauer und Jungfrau mit dem Prinzenführer, Bild: Norbert Bröcheler
Das Trifolium: Prinz Bauer und Jungfrau mit dem Prinzenführer, Bild: Norbert Bröcheler

Trifolium

Trifolium stammt aus dem lateinischen (tres „drei“ und folium „Blatt“) und ist ein anderer Begriff für das Dreigestirn.


Auch die Roten Funken sind jeck, wenn et Trömmelche jeiht., Bild: Uli Kievernagel
Auch die Roten Funken sind jeck, wenn et Trömmelche jeiht., Bild: Uli Kievernagel

Trömmelchen

Ohne das Trömmelchen (kleine Trommel) geht im Karneval nichts. Das Tömmelchen gibt die Richtung vor. Denn

„Wenn et Trömmelche jeht,
dann stonn mer all parat.
Un mer trecke durch die Stadt,
un jeder hätt jesaat: Kölle Alaaf!“


Der Tusch hat schon so manchen Büttenredner gerettet!
Der Tusch hat schon so manchen Büttenredner gerettet!

Tusch

Die Rettung für jeden Büttenredner. Beim Tusch lachen selbst die Besucher einer Sitzung, die keinen Witz verstanden haben. Und umgekehrt rettet der Tusch auch den größten Witz-Rohrkrepierer. Beim tä tä tä wird gelacht. Basta.

Die richtig guten Saalkapellen, wie zum Beispiel das Orchester Helmut Blödgen oder das Orchester Markus Quodt, sind auch in der Lage, blitzschnell ein paar Takte eines zum Witz passenden Karnevalslieds zu spielen und verschaffen so dem Büttenredner eine kleine Verschnaufpause.


Unverzichtbar: Wagenengel beim Rosenmontagszug, Bild: Slick, CC0, via Wikimedia Commons
Unverzichtbar: Wagenengel beim Rosenmontagszug, Bild: Slick, CC0, via Wikimedia Commons

Wagenengel

Wenn die Züge durch die Orte laufen, ist es immer eng. Zur Sicherheit für alle laufen daher die „Wagenengel“ mit. Mindestens zwei Engel je Seite, in der Regel aber zwei je Achse des Karnevalswagens inkl. Zugmaschine, sorgen dafür, dass niemand zu Schaden kommt und keine Kinder bei der Jagd auf Kamelle unter die Wagen kommen.


Ein (gottseidank) aussterbendes Relikt: Der Weinzwang auf Karnevalssitzungen, Bild: Martin.k via Wikimedia Commons
Ein (gottseidank) aussterbendes Relikt: Der Weinzwang auf Karnevalssitzungen, Bild: Martin.k via Wikimedia Commons

Weinzwang

Wer gerne überteuerten und nicht besonders guten Wein oder gar eine „Kalte Ente“ (eine Mischung aus Sekt, Weißwein und einer ausgepressten Zitrone) mag, ist auf den klassischen Sitzungen im Sartory, Gürzenich oder Maritim gut aufgehoben. Denn in diesen Sälen herrscht der sogenannte „Weinzwang“ – es gibt schlichtweg kein Kölsch. Angeblich, weil es durch die fortlaufende Nachversorgung mit Kölsch zu viel Unruhe im Saal geben würde. Tatsächlich aber eher aus wirtschaftlichem Kalkül, weil so ein einziger Kellner mehr Tische bedienen kann.

Die Folge: Die durstigen Trinker halten sich auch während der Sitzung lieber im Foyer auf, weil dort Kölsch ausgeschenkt wird. Gottseidank ist der Weinzwang aber ein aussterbender Dinosaurier – immer öfter werden Pittermännchen ausgegeben.


In Bonn-Beuel wurde Weiberfastnacht "erfunden", Bild: Förderverein Beueler Weiberfastnacht e.V.
In Bonn-Beuel wurde Weiberfastnacht „erfunden“, Bild: Förderverein
Beueler Weiberfastnacht e.V.

Wieverfastelovend

Wieverfastelovend ist Weiberfastnacht und wird außerhalb Kölns auch als Aalwiewer, Fettdonnerstag, Schwerdonnerstag, Weiberfasnet, Weiberfasching, oder „Schmotziger Dunschtig“ bezeichnet. Egal wie man diesen Tag auch nennt, es handelt sich immer um den Donnerstag vor Rosenmontag. An diesem Tag beginnt der Straßenkarneval und es laufen bereits die ersten Karnevalszüge wie zum Beispiel der Jan von Werth-Zoch in Köln.

So schwer es den Kölner auch fällt – „erfunden“ wurde dieser Tag einige Kilometer rheinaufwärts in Bonn-Beuel. Im Jahr 1824 übernahmen die Beueler Waschfrauen an diesem Tag in einer Revolte das Regiment. Statt zu arbeiten legten die Waschfrauen für einen Tag die Arbeit nieder und feierten Karneval. Und seit 1958 gibt es dann auch eine Repräsentantin: Die „Wäscherprinzessin“.

Der weibliche Einfluss tut dem Karneval gut. So ist der „offizielle Karneval“ auch heute noch ein stark männlich dominiertes Fest. Ich schließe mich den hier den Beueler Waschfrauen an:

Frauen, wie wär’s mit etwas mehr Weiberfastnacht-Power im Alltag? Die Männer könnten es gut gebrauchen.

In Zeiten, in denen so viel über das Rollenbild der Frauen diskutiert wird, ist die Weiberfastnacht doch so etwas wie die Entdeckung der Frauenpower. An Weiberfastnacht übernehmen die Frauen das Ruder, die Macht und geben sie erst dann wieder ab, wenn ihnen danach ist. Weiberfastnacht ist gelebte Emanzipation. Und die Männer wissen ihr nichts entgegenzusetzen – weil sie nicht wollen, weil ihnen die Hände gebunden sind, weil sie dem Charme der Wiever nichts entgegenzusetzen haben.1Quelle: Website der Beueler Waschfrauen https://waescherprinzessin.com/


Alle Teile der Serie „Kölsche Karnevalsbegriffe von A-Z“:


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Das Kölner Stadtmodell: „Klein-Köln“ oder „Kölsches Miniaturwunderland“

Fast die ganze Stadt auf einen Blick: Das Kölner Stadtmodell. Bild: Uli Kievernagel
Fast die ganze Stadt auf einen Blick: Das Kölner Stadtmodell. Bild: Uli Kievernagel

Von der Südbrücke bis zum Gürzenich sind es nur ein paar Schritte. Auch vom Barbarossaplatz zum Rathausturm ist es nur ein Katzensprung. Einfach fantastisch: Eine Stadtbesichtigung im Schnelldurchlauf. 

Möglich macht dies das Kölner Stadtmodell. Dabei handelt es sich um ein Modell der Innenstadt im Maßstab 1:500. So werden die 1,5 Kilometer von der Kölnarena zum Schokoladenmuseum zu gerade mal drei Metern, von der Hohenzollernbrücke zum Südstadion sind es nur sechs Meter. Und wie bei einem Rundflug über Köln kann man große Teile der Stadt auf einen Blick erfassen.

Im Modell gute 30 cm hoch: Der Kölner Dom, im Vordergrund der Hauptbahnhof, Bild: Uli Kievernagel
Im Modell gute 30 cm hoch: Der Kölner Dom, im Vordergrund der Hauptbahnhof, Bild: Uli Kievernagel

1993 entstehen erste Teile des Modells

Das Kölner Stadtmodell ist ein detailgenauer Nachbau der Stadt – ein Kölner Miniaturwunderland. Bereits seit den 1950er Jahren wurde von Architekten über ein solches Projekt diskutiert. Die Idee: In einem solchen Modell können Bauprojekte im städtebaulichen Zusammenhang geprüft und beurteilt werden bevor die Bagger rollen.

Doch erst im Jahr 1991 wurde die Idee für ein solches Stadtmodell von den beiden Architekten Dörte Gatermann und Kaspar Kraemer1Kraemer ist auch der Architekt von Kölns größtem Wasserstandsmelder: Dem Pumpwerk Schönhauser Straße. konkretisiert. 1993 entstanden die ersten jeweils 1 x 1 Meter großen Platten des Modells. Danach unternimmt das stetig wachsende Modell – es umfasst 1996 bereits 30 Platten – eine wahre Odyssee durch die Stadt. Aufstellungsorte waren die alte Druckereihalle des Stadthauses und die Halle des Technischen Rathauses in Deutz. Seit 2004 steht das Modell im Spanischen Bau des Rathauses.

Aktuell umfasst das Modell 64 einzelne Platten und deckt den innerstädtischen Bereich zwischen Mediapark und Südbrücke (Nord-Süd-Richtung) sowie Kalk und Belgisches Viertel (Ost-West-Richtung) ab.

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Modellbau ist aufwändig

Zu den ersten Modellbauern gehörte Christof Krautwig. Obwohl schon längst im Ruhestand kümmert er sich immer noch liebevoll um das Modell. Alleine seine regelmäßige Reinigung des gesamten Modells dauert etwa zwei Monate.

Heute baut seine Nachfolgerin, die Aachenerin Anikó Krén, weiter an dem „Klein-Köln“. Sobald neue Veedel in das Modell aufgenommen werden, nutzt die Architektin und Modellbauerin zunächst die bestehenden Pläne. Zusätzliche Luftaufnahmen geben eine Information über Gebäudehöhen und Dachformen. Um auch wirklich alle Besonderheiten zu berücksichtigen, fährt Anikó Krén zu den Veedeln in „echt“ und fotografiert Fassaden, Gebäude und Straßenzüge. Erst dann beginnt der aufwändige Modellbau.

Im Modell wird die besondere Architektur sichtbar: Der Mediapark im Kölner Stadtmodell, Bild: Uli Kievernagel
Im Modell wird die besondere Architektur sichtbar: Der Mediapark im Kölner Stadtmodell, Bild: Uli Kievernagel

Die Gebäude im Modell werden aus speziellen Kunstharzen (Ureol oder Ecpocel) hergestellt. Die durchgängig weiße Lackierung hilft, den Überblick zu behalten. Um Neubauvorhaben umsetzen zu können, sind die Modelle aller Gebäude so auf den Platten verschraubt, dass diese sehr einfach ausgetauscht werden können.

Ausgewählte Bauwerke werden detailliert ausgeführt. Dazu gehören zum Beispiel die Kölnarena, die Brücken, die romanischen Kirchen und selbstverständlich der Dom. Allein die Dom-Nachbildung besteht aus über 20.000 Einzelteilen.

Die Kölnarena im Kölner Stadtmodell, Bild: Uli Kievernagel
Die Kölnarena im Kölner Stadtmodell, Bild: Uli Kievernagel

Dieser Aufwand hat seinen Preis: Die Erstellung eines Quadratzentimeters des Modells kostet 1,50 Euro, eine ganze Platte 15.000 Euro. Deswegen ist der Trägerverein des Modells auf Spenden angewiesen. Spender können zum Beispiel den Modellnachbau ihres eigenen Hauses, den Bau ausgewählter städtischer Gebäude oder eine gesamte Modellplatte finanzieren.

Als Spender ist man in guter Gesellschaft – bisher haben mehr als 200 Personen, Unternehmen und Initiativen das Modell unterstützt. Die Liste reicht von A wie ADAC über K wie Kaufhof bis hin zu Z wie Züblin Bauunternehmung AG.

Die neue, noch nicht realisierte, Bebauung des Deutzer Hafens ist im Kölner Stadtmodell bereits zu sehen. Bild: Uli Kievernagel
Die neue, noch nicht realisierte, Bebauung des Deutzer Hafens ist im Kölner Stadtmodell bereits zu sehen. Bild: Uli Kievernagel

Planung von Neubauprojekten

Besonders spannend ist der Einsatz des Modells für geplante Bauprojekte. Mit Hilfe des Modells können Planungen sehr frühzeitig im Gesamtzusammenhang visualisiert, überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. So ist schon heute der geplante Endausbau des Deutzer Hafens mit der ehemaligen Ellmühle im Modell integriert. Das Modell dient Bauherren, Rat und Architekten als praktische Entscheidungshilfe im Städtebau.

Und für den interessierten Kölner ist es einfach spannend, Orte wie das Südstadion, den Volksgarten oder die Messe von oben zu sehen ohne in ein Flugzeug steigen zu müssen.


Hinter diesem Eingang des Spanischen Baus (Rathausplatz) befindet sich das Kölner Stadtmodell, Bild: Raimond Spekking
Hinter diesem Eingang des Spanischen Baus (Rathausplatz) befindet sich das Kölner Stadtmodell, Bild: Raimond Spekking

Besichtigung des Kölner Stadtmodells

Das Kölner Stadtmodell kann während der Öffnungszeiten des Rathauses im Spanischen Bau besichtigt werden, der Eintritt ist frei.

Öffnungszeiten:
Mo., Mi., Do. 8.00 –16.00 Uhr
Di. 8.00 – 18.00 Uhr
Fr. 8.00 – 12.00 Uhr


Logo Trägerverein Kölner Stadtmodell

Spenden an die Initiative Kölner Stadtmodell

Träger der Initiative ist der Freunde des Kölnischen Stadtmuseums e.V. Die Bankverbindung für Spenden lautet:

IBAN: DE60 3705 0299 0000 0199 94
Kreissparkasse Köln, BIC: COKSDE33
Stichwort „Kölner Stadtmodell“

Auf Wunsch wird eine steuerrechtlich anerkannte Spendenbescheinigung ausgestellt.


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Köln-Ding der Woche – Rückblick 2022 und Ausblick 2023

Collage zu den Klickcharts 2022, Teil III_vers_2

Die Zeit um Silvester ist die Zeit der Jahresrückblicke. Auch beim „Köln-Ding der Woche“ schaue ich zum Jahresende immer auf die vergangenen 52 Wochen.

Insgesamt bin ich stolz darauf, euch auch im Jahr 2022 wieder jede Woche sonntags ein Köln-Ding präsentiert zu haben. Meine Beiträge werden auch fleißig gelesen: Insgesamt gab es im Jahr 2022 über 200.000 Seitenaufrufe, das macht mehr als 500 Aufrufe täglich.

Klicks: Die Top-10-Beiträge im Jahr 2022

Wie schon in den vergangenen Jahren lagen die „Kölschen Schimpfwörter“ auf dem 1. Platz der Klick-Charts. Dies hängt auch damit zusammen, dass der Kölner Express in seinem „Kölsche-Schimpfwörter-Quiz“ auf das Köln-Ding der Woche verwiesen hat.

Das große Kölsch-Quiz beim EXPRESS, der Köln-Lotse durfte dabei unterstützen.
Das große Kölsch-Quiz beim EXPRESS, der Köln-Lotse durfte dabei unterstützen.

Ebenfalls unverändert sind die folgenden Plätze: Die „Kölschen Vornamen“ auf Platz zwei und die Halsbandsittiche auf dem dritten Platz. Nur einhundert Aufrufe weniger hat der Beitrag zum wunderschönen Wörtchen „Fisternöllche“.

Interessant wird es ab Platz fünf: Hier liegt der Schwerpunkt auf Deutz. Die Ellmühle und der legendäre Lommi liegen auf den Plätzen fünf und sechs. Danach folgt in den Klickcharts der hässlichste Platz Kölns. Mit dem Lehrer Welsch und Trude Herr belegen zwei kölsche Originale die Plätze acht und neun. Was mich besonders freut: Die längste Lüge Kölns – das ist mit 33 Meter Länge die „Römische Hafenstraße“ – hat es noch auf Platz zehn geschafft, obwohl ich diesen Beitrag erst im August veröffentlicht habe.

Meine persönlichen Highlights im Jahr 2022

250.000 Menschen haben an der Rosenmontags-Friedensdemo teilgenommen. Hier der Blick von der Severinstorburg auf die Menschenmassen auf dem Chlodwigplatz.. Bild: Festkomitee Kölner Karneval.
250.000 Menschen haben an der Rosenmontags-Friedensdemo teilgenommen. Hier der Blick von der Severinstorburg auf die Menschenmassen auf dem Chlodwigplatz.. Bild: Festkomitee Kölner Karneval.

Der Rosenmontagszoch 2022 wurde zur Demo

Um es mit den Worten von Peter Brings zu sagen: „Das ist der wichtigste Rosenmontagszug, seit ich auf der Welt bin“. Und ich bin stolz, dass ich ein kleiner Teil der 250.000 Menschen sein durfte, die friedlich gegen den Krieg in der Ukraine demonstriert haben.


Christiane Rath am Grab von Heinz und Heinzchen Rausch, Bild: Uli Kievernagel
Christiane Rath am Grab von Heinz und Heinzchen Rausch, Bild: Uli Kievernagel

Die „Grabaneignung“ auf dem Kölner Südfriedhof

Die Künstlerin Christiane Rath hat mitten in der Corona-Zeit angefangen, ein scheinbar herrenloses Grab auf dem Südfriedhof pflegen. Ohne irgendeine Beziehung zu den dort bestatteten Menschen. Die ganze Geschichte dazu hat sie mir ausführlich mitten auf dem Friedhof erzählt.


Polizeiaufnahme des Serienmörders Peter Kürten, Bild: Bundesarchiv, Bild 102-11502 / CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons
Polizeiaufnahme des Serienmörders Peter Kürten, Bild: Bundesarchiv, Bild 102-11502 / CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons

Der Massenmörder Peter Kürten

Zu Halloween wurde es auch beim Köln-Ding der Woche gruselig: Ich habe intensiv die Geschichte des Massenmörders Peter Kürten recherchiert. Stets makellos gekleidet, in der Tasche immer ein feines Tuch, um jederzeit die Schuhe polieren zu können, ausgesprochen freundlich – ein Typ, über den Nachbarn immer sagen „aber er hat doch immer so freundlich gegrüßt“. Peter Kürten spielte tagsüber den netten und unauffälligen Menschen. Nachts jedoch verwandelte er sich in einen perversen Serienmörder, der mindestens neun Menschen ermordete und es bei rund 40 weiteren Menschen versuchte.


Johann Arnold Klütsch, genannt "Fressklötsch", um 1834, Portait von Simon Meister, aus dem Buch "Kölsche Originale", Reinhold Louis, Greven Verlag Köln, 1985
Johann Arnold Klütsch, genannt „Fressklötsch“, um 1834, Portait von Simon Meister, aus dem Buch „Kölsche Originale“, Reinhold Louis, Greven Verlag Köln, 1985

Kölsche Originale: Fressklötsch – legendärer Vielfraß und hochgeachteter Bürger

Um Johann Arnold Klütsch, in Köln als „Fressklötsch“ bekannt, ranken sich unzählige Legenden wie etwa „Er hat ein 1.000 Pfund schweres Kanonenrohr eigenhändig weggeschleppt.“ oder „Er hat ein ganzes Rad Käse auf einen Schlag gegessen.“. Wieviel Wahrheit in diesen Erzählungen steckt, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Fest steht, dass Johann Arnold Klütsch eine beeindruckende Karriere hingelegt hat – vom Analphabeten bis zum geachteten Geschäftsmann. Doch die kolportierten Geschichten über seine Fähigkeit, Unmengen trinken und essen zu können sowie über seine gewaltige Köperkraft überstrahlen alles.


Der Hermann-Joseph-Brunnen am Waidmarkt zeigt die entscheidende Szene: Maria nimmt von Hermann dem Apfel entgegen, Bild: Raimond Spekking
Der Hermann-Joseph-Brunnen am Waidmarkt zeigt die entscheidende Szene: Maria nimmt von Hermann dem Apfel entgegen, Bild: Raimond Spekking

Dä Appel-Jupp – ein ganz besonderer kölscher Heiliger

in der katholischen Kirche gibt es eine Reihe ganz besonderer Heiliger. In Köln verehren wir in bester rheinisch-katholischer Tradition Hermann-Joseph, von den Kölschen liebevoll „Appel-Jupp“ genannt. Wieso an einer ganz bestimmten Marienstatue in St. Maria im Kapitol im Äpfel liegen, hatte ich im Oktober 2022 erklärt.


Die Skulptur Gaea I steht seit 2007 im Rheinpark, Bild: I, HOWI, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons Die Skulptur Gaea II steht seit 2005 in der Stollwerckpassage, Bild: Raimond Spekking

Gaea: Die doppelte Göttin

Kunst im öffentlichen Raum ist immer umstritten. Egal ob es um eine überdimensionierte Eistüte, Balzac auf dem verkehrsumtosten Neumarkt oder das Richter-Fenster geht. Was allerdings mit der „Erdgöttin Gaea“ in der Stollwerckpassage passiert ist, kann man kaum glauben. Im Köln-Ding der Woche von Anfang Dezember 2022 könnt ihr nachlesen, wieso es diese ganz besondere Plastik gleich zweimal in Köln gibt und was ein etwas zu gieriger Schweizer Schokoladenkonzern auf der einen Seite und die großzügige Imhoff-Stiftung auf der anderen Seite damit zu tun haben.

Was sonst noch geschah

Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass mich der renommierte Schriftsteller Jochen Schimmang in seinem Buch „Laborschläfer“ in der Danksagung erwähnt hat.

Vielen Dank lieber Jochen Schimmang für diese Erwähnung in der Danksagung des Romans "Laborschläfer"

Über „Kölle kommt zu dir – Die Stadtführung vom Stuhl“ wurde eifrig berichtet, unter anderem  auf der Website „EVANGELISCH LEBEN“ und in der Zeitschrift „HANDWERK aktiv“.

Die Zeitschrift HANDWERK aktiv (Ausgabe Oktober 2022) hat über "Kölle kommt zu dir" berichtet
Die Zeitschrift HANDWERK aktiv (Ausgabe Oktober 2022) hat über „Kölle kommt zu dir“ berichtet

Was für eine Ehre im September 2022: Ich habe tatsächlich das ehemalige Hohn Peter Horn dafür gewinnen können, auf der Höhner-Ausstellung ein Stündchen über sein Leben als Musiker zu erzählen. Peter hat mit seinen Liedern „Blootwosch, Kölsch un e lecker Mädche“, „Ich bin ene Räuber“ und „Dat Hätz vun der Welt“ kölsche Musikgeschichte geschrieben.

Die kleinste Karnevalssitzung der Welt

Mit der „Kleinsten Karnevalssitzung der Welt“ konnte ich mir selbst den Traum erfüllen, endlich einmal Sitzungspräsident einer Karnevalssitzung zu sein.

Auf besonderen Wunsch des Bürgervereins RADERBERG und -THAL e.V. habe ich die Stadtführung „Veedel der Gegensätze: Raderberg und Raderthal“ konzipiert.

2023 geht es weiter: Neue Führungen und es wird etwas auf die Ohren geben

Freut euch auf weitere 52 Köln-Dinger Woche. Außerdem wird es zwei neue Führungen geben: Mit „Deutz – Schäl Sick is schick“ geht es auf die andere Rheinseite. Bei der Tour „Zwei Kirchen und eine sündige Meile“ laufen wir von St. Ursula über den Eigelstein bis zu St. Agnes. Mehr dazu im Frühjahr.

Und dann wird es im Frühjahr etwas auf die Ohren geben: Zusammen mit dem Ur-Zollstocker Frank Mausbach werde ich einen Podcast zum „Köln-Ding der Woche“ veröffentlichen. Wir sind gerade mitten in den Vorbereitungen. Lasst euch überraschen.

Ich wünsche euch allen ein schönes, erfolgreiches, friedliches und gesundes Jahr 2023.
Oder auf kölsch:
Pros Neujohr!

De Kopp voll Hoor,
de Muul voll Zäng,
de Britzel in de Häng.1Prosit Neujahr! Den Kopf voller Haare, den Mund voller Zähne, die Brezel in den Händen.

Uli, der Köln-Lotse


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Joode Chressdach 2022 mit dem „Weihnachtsmaatwanderwääch“ von Juliane Poloczek

Auch ein Ziel in Julianes Kölner Weihnachtsmarktwanderung: Der Markt am Dom, Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Auch ein Ziel in Julianes Kölner Weihnachtsmarktwanderung: Der Markt am Dom, Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Wir feiern 2022 Weihnachten in einem ganz besonderen Jahr. Ich gebe zu, dass ich das – Corona-geprägt – auch bereits in den letzen beiden Jahren in meinem „Weihnachts-Köln-Ding-der-Woche“ geschrieben habe. Aber zu dem Zeitpunkt hatten wir noch keinen Krieg in Europa.

Schlimme Zeiten sind gut für den Humor

Klingt schräg – aber Humor ist gerade in Krisen unverzichtbar. Das zeigen auch etliche Studien: Humor stärkt uns gerade in schwierigen Momenten.

Das alles war Grund genug, meine kölsche Lieblingslyrikerin Juliane Poloczek zu bitten, ob sie für euch wieder ein humorvolles kölsches Weihnachtsgedicht schreibt. Meine Bedingung diesmal: Bitte keine Worte wie „Krieg“, „Putin“ oder „Krise“ einbauen. Und wieder mal hat Juliane sich selbst übertroffen, wenn sie von ihrem ganz persönlichen Weg über die kölschen Weihnachtsmärkte erzählt.

Und sie hat es auch wieder vor der Kamera für euch eingelesen. In einem wunderschönen Kölsch! Ein großes DANKE an Juliane, dass ich dieses Weihnachtsgedicht veröffentlichen darf.

Ich wünsche euch JLÖCKSELIJE CHRESSDACH

Uli


 

Weihnachtsmaatwanderwääch

von Juliane Poloczek

Wellste ens op dr Weihnachtsmaat jonn,
Dann häste en Kölle vell ze dunn.
Et jitt ere zwanzisch un noch mieh!
Wie soll mr dat schaffe, wann, wo un wie?
Zom Jlöck maachen die em November ald op.
Dat krijje mr schon hin, maach dr keine Kopp!

Wo fange mr aan, wohin jommer zoeesch?
Op dä Maat vun dä Engele, jo, dat es e Jedeech.
E Einhoon, en Künnijin, dä Klöös om Pääd,
Lück op Stelze un Seraphim, en janze Hääd.
Vun do tirecktemang nohm Heinzel-Wintermärche,
Wo op dr lesbahn sich driehe die janze Pärche.

Die Eislaufbahn am Heinzels-Weihnachtsmarkt auf dem Heumarkt, Bild: Bild von Stefan Bernsmann auf Pixabay
Die Eislaufbahn am Heinzels-Weihnachtsmarkt auf dem Heumarkt, Bild: Bild von Stefan Bernsmann auf Pixabay

Jetz op zum Dom! Do müsse mr hin,
Öm all die Leechter om riesije Chresbaum ze sinn.
He müsse mr endlich nen Jlöhwing drinke.
Un och die Flamm- un Rievkooche sin ald am Winke.
Dann wolle mr wigger nohm „Musée Schockelad“.
Do halden se Backfesch un Brootwoosch parat.

Der Eingang zum Weihnachtsmarkt am Dom auf dem Roncalliplatz, Bild: Franz Gerd Frank, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Der Eingang zum Weihnachtsmarkt am Dom auf dem Roncalliplatz, Bild: Franz Gerd Frank, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Donoh zum Parkhuus en dr Bröckestrooß
Do jitt et „Rooftop Christmas“. Häs do dat jewoss?
Ich jläuv, dat es nur für moderne Lück.
Nix Retro-Weihnachte! Su läuf dat hück.
Dröm kannste em Sartory zum „Holy-Shit-Shopping“.
Ich ävver nit. Dovun krijjen ich bloß Koppping.

Auch im Nikolausdorf auf dem Rudolpplatz an der Hahnentorburg war Juliane zu Gast, Bild: Geolina163, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Auch im Nikolausdorf auf dem Rudolpplatz an der Hahnentorburg war Juliane zu Gast, Bild: Geolina163, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Flöck noch zum Rudolfplatz-Dörp-vum-Klöös
Do fingste Bastelakzijone für die Quös.
Dä Chlodwigplatz es jetz och nit mieh wigg.
Für Punsch un Marone, do hammer noch Zigg.
Wat läuf dann söns noch su en dr Südstadt?
Aan dr Lutherkirch, do es dr kleinste Maat.

Och am Eijelstein es Musik, et jitt Klööse us Schockelad.
Un zum Jlöck han se och en Nippes dr Schillplatz-Weihnachtsmaat.
Widder müsse mr uns jet stärke met Waffele un Lakritz.
Ich jläuv, mr weed et richtisch schlääch. Un dat es keine Witz.
Mr rase noch noh Dünnwald un noh Pooz zur Waldweihnaach,
Nohm Lindenthaler Winterdörp. Dat es en feine Saach.

Heinzels-Wintermärchen auf dem Heumarkt, Bild: Eremeev, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Heinzels-Wintermärchen auf dem Heumarkt, Bild: Eremeev, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Mr dürfe nix verpasse. Dat wör doch wirklich schad.
Dröm jommer och om lehrefeld noch op dr Weihnachtsmaat.
Beim Bumann un beim Herbrands, do fiert mr dr Advent.
Do kannste alles kaufe für e paar Euro un e paar Cent:
Em Stadtjaade schicke Deko un Stääne us Papier.
Un dann noch jet süffele: heiße Bowle un Jlöhbier. (Baah!)

Zoletz noh Rudekirche; un dann es wirklich Schluss.
E paar Plätzje vum Maternusplatz, dat es für mich e Muss.
Dä Büggel voll Klamotte, dä Buch voll wärme Wing.
Noch ens ne Bleck jeworfe op unse schöne Rhing.
Baal schwenke mr op heim an, vielleich nur noch janz koot
Beim Bazar vun uns’rer Farrkirch ens ävvens renjelort.
Un dann es et ävver och joot!


Für diejenigen, die nicht alles verstehen, hier ein paar Übersetzungen:

  • zoesch = zuerst
  • tirekdemang = sofort, direkt, unverzüglich
  • Klöös om Pääd = wörtlich: „Klaus auf dem Pferd“, gemeint ist hier der Nikolaus
  • en janze Hääd = eine ganze Menge
  • Lück = Leute
  • Hück = heute
  • Koppping = Kopfschmerzen
  • flöck = schnell
  • Quös = Kinder
  • nit mieh wigg = nicht mehr weit
  • Zigg = Zeit
  • Klööse us Schockelad = Schokoladennikoläuse.
  • Büggel = Tasche
  • Wing = Wein
  • Rhing = Rhein
  • ens ävvens renjelort = mal eben reingeschaut

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Ein neues Buch über Deutz – vom Römischen Kastell zur Köln-Arena

Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena Emons Verlag Köln ISBN 978-3-7408-1565-3 12,00 Euro, erhältlich in jeder Buchhandlung
Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena

Das ist tatsächlich ein ideales Weihnachtsgeschenk: Ein flammneues Buch über den lange völlig unterschätzten Stadtteil Deutz. Der Autor Michael Kriegel ist Stadtführer in Köln und hat sein Herz an Deutz verloren, seit er Mitte der 1970er Jahre auf der „Schäl Sick“ studiert hat.

Lange war Deutz für viel Kölner so etwas wie Ausland – es lag ja auf der vermeintlich „falschen Seite“ des Rheins. Und damit lag man nicht ganz falsch, denn Deutz war bis zur Eingemeindung eine selbstständige Stadt. Kriegel beschreibt den Weg des von den Kölschen liebevoll „Düx“ genannten Stadtteils von der Gründung des Kastells Divitia im Jahr 310 bis hin zum heute angesagten Viertel mit Messe, Köln-Arena und Rheinboulevard.

Darstellung der Konstantinbrcke aus dem Jahr 1608 mit viel künstlerischer Freiheit, so gab es z.B. keinen Turm in der Brückenmitte
Die Konstantinbrücke, hier eine Darstellung aus dem Jahr 1608, war die erste feste Brücke zwischen Köln und Deutz 

Wendepunkt: Eingemeindung im Jahr 1888

Im Zuge der Kölner Stadterweiterung wurden im Jahr 1888 zahlreiche zuvor eigenständige Städte eingemeindet. Dazu gehörten unter anderem Ehrenfeld, Longerich, Nippes und auch Deutz. Dabei war gerade Deutz eine – im Vergleich zu Köln – liberale und freie Stadt. Kriegel schreibt dazu:

„Deutz ist nicht der einzige (oft mit Stadtrechten ausgestattete) Vorort Kölns, der 1888 „aufhört“ eigenständig zu existieren. Aufgrund seiner geostrategischen Lage ist der rechtsrheinische Ort aber schon seit Römerzeiten von zentraler Bedeutung – allerdings nicht immer zum Wohl seiner Bevölkerung. Leid und Zerstörung ziehen sich wie ein roter Faden durch die Deutzer Geschichte. Die Ortschaft ist über viele Jahrhunderte hinweg kriegerischen Auseinandersetzungen ausgesetzt, nicht zuletzt bedingt durch die vom Kölner Konkurrenzdenken herbeigeführte Wehrlosigkeit. Deutz ist Spielball politischer und strategischer Rangeleien und wird mehr als einmal von Naturkatastrophen wie Hochwasser und Eisgang heimgesucht. Die Deutzer lassen sich aber nicht unterkriegen. Deutz bleibt über viele Jahrhunderte autonom, wenngleich auch immer unter argwöhnischer Beobachtung der linksrheinischen Metropole. Als Schmelztiegel unterschiedlicher Glaubensrichtungen (Katholiken, Protestanten, Juden) sowie verschiedener Bevölkerungsgruppen und Berufe wird Deutz ein lebendiges urbanes Quartier. Es gibt Epochen (insbesondere im Spätmittelalter), da kann Deutz sogar mit Fug und Recht von sich behaupten, aufgeschlossener, freier und fremdenfreundlicher zu sein als das gegenüberliegende Köln.“

Kult: Die Gaststätte Lommerzheim in Deutz, Bild: Andreas Lofner
Kultkneipe in Deutz: Die Gaststätte Lommerzheim, Bild: Andreas Lofner

Ein Stadtteil zwischen Historie und Moderne

Heute ist Deutz ein aufstrebender, spannender Stadtteil. Eingebettet zwischen historischen Bauwerken boomt Deutz: Messe, RTL, Köln-Arena und Rheinboulevard ziehen Touristen und Kölner gleichermaßen an.

Diesen ganz besonderen Spagat zwischen Historie und Moderne trägt das Buch von Michael Kriegel Rechnung: Es gibt, durch eingebettete QR-Codes, den „Blick über das Buch hinaus“. So kommt zum Beispiel der Kölner Publizist und Kabarettist Martin Stankowski in mehreren Videos zu Wort, und wir können von den Bläck Fööss das Lied über die „Kölsche Bröck“ hören. Zahlreiche weitere intermediale Verknüpfungen führen zu spannenden Bildern, Interviews und viel Musik.

Dadurch nimmt Kriegel uns mit auf einen Rundgang durch Deutz. Er erzählt, dass Deutz durch das Wasser unterhalb des Rheinparks sogar über eine Heilquelle verfügt, deckt auf, wo der berühmte „Kölner Keller“ mit seinen Videoschiedsrichtern zu finden ist und erklärt, dass man die „Deutzer Platte“ nicht essen kann.

Das Bronze-Modell des Kastells in einer ganz besonderen Perspektive, Bild: Silke Koenen
Das Bronze-Modell des Kastells Divitia in einer ganz besonderen Perspektive, Bild: Silke Koenen

Luur ens vun Düx noh Kölle

Egal wie man zu Deutz steht: Ludwig Sebus wusste schon vor 50 Jahren, dass der Ausblick von Deutz auf den Dom mit Rhein und Altstadtpanorama die schönste Perspektive ist:

„Luur ens vun Düx noh Kölle,
vum Zauber bes do platt,
luur ens vun Düx noh Kölle,
wie schön es doch uns Stadt!“


Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena Emons Verlag Köln ISBN 978-3-7408-1565-3 12,00 Euro, erhältlich in jeder Buchhandlung

Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena

Emons Verlag Köln
ISBN 978-3-7408-1565-3
12,00 Euro, erhältlich in jeder Buchhandlung, auch außerhalb Kölns


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Gaea: Die doppelte Göttin

Die Gaea II von Gerhard Marcks in der Kölner Stollwerckpassage, Bild: © Raimond Spekking
Die Gaea II von Gerhard Marcks in der Kölner Stollwerckpassage, Bild: © Raimond Spekking

Da stand sie jahrelang in aller Ruhe zufrieden in der Stollwerckpassage: Die Skulptur der Göttin Gaea. Gaea ist gemäß der griechischen Mythologie als eine der ersten Gottheiten überhaupt die personifizierte Erde. Eine solche Göttin bringt selbstverständlich nichts aus der Ruhe: Weder die gestressten Menschen beim Shopping noch die lauten Krakeeler, die im Brauhaus Früh ein paar Meter weiter das ein oder andere Kölsch zu viel getrunken haben.

Und wenn da nicht ein etwas zu gieriger Schweizer Schokoladenkonzern gewesen wäre, stände sie auch noch heute dort. Doch was sich tatsächlich abspielte, war dann ein klassisches Drama in fünf Akten.

1. Akt: Gerhard Marcks erschafft die Skulptur

Der renommierte Künstler Gerhard Marcks (1889 – 1981) verbrachte ab 1964 viel Zeit in seinem griechischen Sommerhaus. Sichtlich inspiriert durch antike Skulpturen erschuf er 1965 die Gaea: Eine Frauenfigur als Akt, umgeben von einem fallenden Mantel.

Kunstwerke von Gerhard Marcks finden sich auch anderen Stellen in der Stadt: Er hat den „Düxer Bock“ erschaffen und auch der sinnierende Albertus Magnus direkt am Haupteingang der Universität stammen von ihm.

Detailansicht Düxer Bock, Skulptur von Gerhard Macks, Bild: Uli Kievernagel
Der Düxer Bock, Skulptur von Gerhard Macks, Bild: Uli Kievernagel

2. Akt: Aufstellung der Gaea in der Stollwerckpassage

Die Stollwerckpassage ist der Durchgang von der Hohe Straße zum Brauhaus Früh und zum Heinzelmännchenbrunnen. Eisenbahnfans erinnern sich noch an den Modellbauladen, welcher sich jahrelang mitten in der Passage befand. Heute befinden sich in der Passage unter anderem ein Juwelier und ein Schuhgeschäft.

Und genau hier findet die Gaea ab 1986 ihren Platz: Hans Imhoff, der „Mann mit dem Herz aus Schokolade“ und Eigentümer der Stollwerck-Fabriken, kauft die Figur der Gaea. In enger Absprache mit den Verantwortlichen der Stadt wird die Figur öffentlich mitten in der Stollwerckpassage ausgestellt. Ein idealer Platz für die Gottheit, so Kurator Arie Hartog vom Bremer Gerhard-Marcks-Haus: „Die Skulptur stand da fantastisch“

3. Akt: Ein Konzern will schnell Kasse machen

Im April 2002 verkauft Imhoff den gesamten Stollwerck-Konzern an den Schweizer Schokoladenkonzern Barry Callebaut AG. Die Manager von Barry Callebaut wollen möglichst schnell möglichst viel Kasse machen und flexen die Figur am 29. September 2005 einfach vom Sockel, um diese bei einem Auktionator unter den Hammer zu bringen.

Pikant ist aber, dass die Eigentumsverhältnisse an dem Kunstwerk nicht geklärt waren: Gehörte die Figur zum veräußerten Firmenvermögen? Oder doch noch der Familie Imhoff? Oder handelte es sich gar um öffentliches Eigentum?

In jedem Fall war die Figur bereits abmontiert, als sich der Barry Callebaut Aufsichtsratschef einschaltet und in letzten Moment die Versteigerung der Figur verhindert. Sein Plan damals: Zur Ehrenrettung schenkt der Konzern die Figur der Stadt. Doch wie will er der Stadt Köln eine Skulptur schenken, die ihr vielleicht schon längst gehört?

Die Plakette der Gaea II in der Stollwerckpassage, Bild: Frank Vincentz, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Die Plakette der Gaea II in der Stollwerckpassage, Bild: Frank Vincentz, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

4. Akt: Der Retter ist da!

Noch während der Schokoladen-Konzern aus der Schweiz fieberhaft bemüht ist, den Imageschaden möglichst klein zu halten, wird in Köln bereits gehandelt. Die Imhoff-Stiftung wollte einen langwierigen Rechtsstreit um die Gaea verhindern und ließ kurzentschlossen eine neue Gaea gießen. Dabei war es ein großes Glück, dass die Gussformen noch vorhanden waren. Satte 62.000 Euro investierte die Stiftung in die Neuauflage der Göttin.

Was dann kam, war tatsächlich eine große Überraschung: Gerhard Marcks hatte die Gussformen noch einmal überarbeitet. In der neuen Form umschließt der Mantel die Unterschenkel der Figur, in der ursprünglichen Version war der Mantel komplett offen.

Die Dombauhütte errichtete einen neuen Sockel für die Skulptur und so steht jetzt seit dem 21. Dezember 2005 mitten in der Stollwerckpassage die Gaea II. Und diese Figur ist – durch die Veränderung der Gussformen – keine Kopie sondern ein echtes Unikat. „Es ist doch erstaunlich, wie sich oft ein großer Verlust im Nachhinein auch als Gewinn herausstellen kann“, so der damalige Oberbürgermeister Fritz Schramma.

Die Skulptur Gaea I steht seit 2007 im Rheinpark, Bild: I, HOWI, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons Die Skulptur Gaea II steht seit 2005 in der Stollwerckpassage, Bild: Raimond Spekking

5. Akt: Die doppelte Göttin!

Weil der Barry Callebaut-Konzern aber irgendwie noch das Gesicht wahren wollte, bot man die ursprüngliche Gaea der Stadt als Geschenk an. Und diese nahm an. Allerdings war klar, dass nach dieser Vorgeschichte die „neue Gaea“ in der Stollwerckpassage mit Sicherheit nicht mehr Platz für ihre Vorgängerin machen würde.

Und so steht seit 2007 im Rosengarten des Rheinparks die ursprüngliche Gaea und Köln verfügt gleich über zwei Skulpturen der Erdgöttin.

Merke: Lieber eine doppelte Göttin als gar keine!


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Karl-Küpper-Preis für Rolly Brings – „Rebell mit Beamtenstatus“

Die Verleihung des Karl-Küpper-Preises an Rolly Brings, von links: Henriette Reker, Rolly Brings, Bernhard Conin, Christoph Kuckelkorn, Bild: Raimond Spekking
Die Verleihung des Karl-Küpper-Preises an Rolly Brings, von links: Henriette Reker, Rolly Brings, Bernhard Conin, Christoph Kuckelkorn, Bild: Raimond Spekking

Alle zwei Jahre wird in Köln der „Karl-Küpper-Preis“ verliehen. Dieser Preis erinnert an den unbeugsamen Büttenredner Karl-Küpper und wird an Menschen vergeben, die sich für den Schutz der Demokratie und gegen Rassismus, Antisemitismus und jede Form der Diskriminierung engagieren. Preisträger im Jahr 2022 ist der Musiker Rolly Brings. Er erhält diesen Preis für seinen Mut und seine Hartnäckigkeit, immer wieder für Demokratie und Gerechtigkeit einzustehen.

Ausgewählt wurde Rolly Brings von einer Jury bestehend aus Oberbürgermeisterin Henriette Reker, dem Präsidenten des Festkomitees Kölner Karneval Christoph Kuckelkorn, dem Vorsitzenden der Freunde und Förderer des Kölnischen Brauchtums Bernhard Conin, dem langjährigen Direktor des NS-Dokumentationszentrums Dr. Werner Jung sowie einem Vertreter der Familie von Karl Küpper.

Der Karl-Küpper-Preis, eine wunderschöne Hommage an den unangepassten Büttenredner, Gestaltung und Bild: Gestalteratelier Werner Blum
Der Karl-Küpper-Preis, eine wunderschöne Hommage an den unangepassten Büttenredner, Gestaltung und Bild: Gestalteratelier Werner Blum

Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert. Die erste Preisträgerin im Jahr 2020 war die Kapitänin Carola Rackete. Zu den unsäglichen Reaktionen in den sogenannten „Sozialen Medien“ auf diese Preisverleihung habe ich bereits im Oktober 2020 Stellung bezogen.

„Rebell mit Beamtenstatus“

Rolly Brings wurde am 19. Juli 1943 in Köln geboren. Er verließ bereits mit 14 Jahren die Familie und wurde Seemann. Zurück in Köln verdiente er sich zunächst sein Geld als Hilfsarbeiter, später macht er eine Maschinenschlosserlehre bei Ford. Doch auch dieser Beruf füllte ihn nicht aus. Der Musiker Stephan Brings über seinen Vater: „Er stand immer bis zu den Oberschenkeln im Öl und hat dann gemerkt, dat kann et nich sein.“1„Dann wird aufgeräumt“ – Stephan Brings über Karneval und Kommunismus, und Journalismus von links, abgerufen am 22.11.2022. Rolly Brings nutzte eine Chance im Rahmen der Begabtenförderung: Er konnte ohne Abitur studieren und wurde Lehrer für die Fächer Deutsch, Englisch und Gesellschaftslehre.

Allerdings war und ist der „Rebell mit Beamtenstatus“ unbequem. Dies hat insbesondere der frühere Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes zu spüren bekommen: Als die Hauptschule Piusstraße, an welcher Brings zu diesem Zeitpunkt unterrichtete, im laufenden Betrieb asbestsaniert werden sollte, wollte der engagierte Lehrer Brings das so nicht hinnehmen. Er organisierte mit seinen Schülern bei seinem Dienstherrn eine Sitzblockade – direkt vor dem Büro Antwerpes im Regierungspräsidium. Der „Kurfürst“ Antwerpes war äußerst erbost, und die Auseinandersetzung der beiden Herren ist wohl äußerst deftig abgelaufen.

Rolly Brings bei einem Auftritt in Köln-Ehrenfeld (2007), Bild: Elke Wetzig (Elya), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Rolly Brings bei einem Auftritt in Köln-Ehrenfeld (2007), Bild: Elke Wetzig (Elya), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Gegen den Strich und immer aufrecht

Rolly Brings liebt seine Heimatstadt Köln – aber immer auf eine sehr kritische Weise. Dabei ist er auf die oft als „unregierbar“ bezeichneten Kölner und auf die lange Geschichte der Stadt stolz. Die Kölsche Sprache ist für ihn keine Folklore, sondern einfach näher dran am Menschen. Er schreibt und denkt in Kölsch, weil „Wenn wir Kölsch sprechen, sind Herz und Kopf mit von der Partie.“ Verlässt er Köln, stellt sich automatisch Heimweh ein.

Allerdings verklärt Brings Köln nicht – ganz im Gegenteil. Er sorgt mit seiner Musik und seinen Aktionen für kritische Erinnerungen an über viele Jahre verdrängte Zeiten, insbesondere an die Zeit des Nationalsozialismus. So veranstaltet er seit 1983 jedes Jahr am 10. November für die im Jahr 1944 ermordeten Edelweißpiraten2Als Edelweißpiraten bezeichnete man während der Zeit des Nationalsozialismus oppositionelle Gruppierungen von Jugendlichen, die sich weigerten, der Hitlerjugend beizutreten. eine Gedenkfeier.

Dieses Engagement hat ihm viel Gegenwind eingebracht. Als er in der Aula seiner Schule eine Gedenkveranstaltung für die Edelweißpiraten organisierte, brachte ihm das eine Vorladung zum Schulrat ein, weil er damit ja auch „Kriminelle“ gewürdigt habe. „Wo“, fragt Dr. Werner Jung in seiner Laudatio zur Verleihung des Preises, „stünden wir heute, wenn Du nicht schon damals dagegengehalten hättest?“

Hier zeigt sich die wohltuende Unangepasstheit eines Rolly Brings: Gegen den Strich und immer aufrecht. Genau wie Karl Küpper.

Rolly Brings steht in der Tradition des großen Karl Küpper

Obwohl Rolly Brings schon verschiedene Ehrungen erhalten hat – unter anderem wurde er mit dem renommierten Rheinlandtaler und dem Giesberts-Lewin-Preis der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ausgezeichnet – ist der Karl-Küpper-Preis auch für ihn eine besondere Anerkennung. Sohn Peter Brings: „Bei vielen anderen Dingen sind ihm die Reaktionen egal, etwa auf seine Musik oder wenn einem seine Meinung nicht gefällt. Aber dieser Preis … erstaunlich, was der mit ihm macht.“

Mit Rolly Brings wird ein ebenso kritischer wie konstruktiver Mensch ausgezeichnet. Durch seine Hartnäckigkeit, gegen jedwede Obrigkeit vorzugehen, steht er ganz in der Tradition des großen Karl Küpper.

Ne janz hätzlische Jlöckwonsch, leeven Rolly Brings!


Der Historiker Werner Jung, langjähriger Leiter des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, Bild: Raimond Spekking
Der Historiker Dr. Werner Jung, langjähriger Leiter des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, Bild: Raimond Spekking

Laudatio von Werner Jung

Die äußerst lesenswerte Laudatio auf den Preisträger hat Dr. Werner Jung, der langjährigen Direktor des NS-Dokumentationszentrums, gehalten. Diese steht auf der Website des Dokumentationszentrums zum Download zur Verfügung.


1848 von unge, ein Projekt von Rolly Brings, Bild: Rolly Brings

 

Die Website von Rolly Brings

Auf der lesenswerten Website von Rolly Brings finden sich viele Texte und Informationen zu seinen Projekten, unter anderem zum Projekt „1848“ , und „Logbuch 1“.  

http://www.rollybrings.de/


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Zirkus in der Kirche? Zirkus in der Kirche!

Die Artisten des Cirque Buffon bändigen einen Elefanten auf der Bühne - mitten in der Kirche. Bild: Uli Kievernagel
Die Artisten des Cirque Bouffon bändigen einen Elefanten auf der Bühne – mitten in der Kirche. Bild: Uli Kievernagel

In diesen Tagen fällt es allen – und ganz besonders uns Kölnern – leicht, auf die Kirche draufzuhauen. Die unrühmlichen Nachrichten rund um das Vertuschen, Verdrängen und Verleugnen sind inzwischen Alltag. Es ist momentan echt Zirkus in der Kirche!

Und das mit dem Zirkus ist wörtlich zu nehmen: Ein kleines Häufchen Aufrechter in der „Kirche für Köln“ macht die Türen auf. Für den Zirkus. Und was für ein Zirkus!

Die Weihnachtsshow Cupido des Cirque Bouffon

Aktuell1Vom 23. November 2022 bis zum 8. Januar 2023 gastiert der Cirque Bouffon in St. Michael. In einer Kirche. Ein Zirkus. Hoffentlich erfährt das der Papst nicht! Dabei bietet der Cirque Bouffon genau das, was eigentlich auch die Kirche bieten soll: „Wir wollen die Herzen berühren und die Zeit entschleunigen“ so der französische Regisseur Frédéric Zipperlin über die Weihnachtsshow „Cupido“.

Cupido, besser bekannt als „Amor“, ist der römische Gott der Liebe. Wenn er mit seinen Pfeilen trifft, erweckt er genau diese Liebe. Und im Cirque Bouffon schaffen das die Clowns Helena Bittencourt und Goos Meeuwsen, beide als Amor mit Flügeln verkleidet. Ihre (imaginären) Pfeile treffen das Publikum und bilden den roten Faden der Show, in der sich Tanz, Musik, Komik und die Akrobatik der Artisten zu einem Gesamtkunstwerk verbinden.

Die Clowns Helena Bittencourt und Goos Meeuwsen, beide als Amor mit Flügeln verkleidet. Bild: Uli Kievernagel
Die Clowns Helena Bittencourt und Goos Meeuwsen, beide als Amor mit Flügeln verkleidet. Bild: Uli Kievernagel

„Herzlich willkommen zu einem Abend voller Liebe und Wollust“

Dass überhaupt ein Zirkus in einer Kirche auftreten kann, hat das Team von „Kirche für Köln“ möglich gemacht. In St. Michael am Brüsseler Platz, mitten im Belgischen Viertel, verwirklicht das Team unter der geistlichen Leitung von Uli Merz und Lisa Brentano ihren Traum von Kirche: Ein Haus mit vielen offenen Türen, in dem alle Menschen etwas Gutes für ihr Leben finden.

Verstärkt wird ihr Team durch Priester Thomas Frings, der in seiner Begrüßung zur neuen Show deutlich machte, um was es bei Cupido geht: „Letzte Woche stand hier noch ein Altar, heute treten hier die Artisten auf. Herzlich willkommen zu einem Abend voller Liebe und Wollust.“ Durchaus ungewöhnliche Worte eines Priesters in einer Kirche.

Akrobatik am Seil - die Artistin Anna Abrams nutzt die ganze Höhe des Kirchenbaus, Bild: Uli Kievernagel
Akrobatik am Seil – die Artistin Anna Abrams nutzt die ganze Höhe des Kirchenbaus, Bild: Uli Kievernagel

Cupido nutzt den ganz besonderen Raum einer Kirche konsequent aus

Doch Frings trifft den Nagel auf den Kopf. Der Zirkus nutzt konsequent die ganz besonderen Möglichkeiten, die die drittgrößte Kirche Kölns2nach dem Dom und St. Agnes bietet: Die große Höhe des Hauptschiffs bildet die angedeutete Kuppel des Zirkuszelts und ermöglicht der Seilartistin Anna Abrams, ihre artistischen Übungen in schwindelerregender Höhe zu präsentieren. Die eigens von Sergej Sweschinski komponierte Musik nutzt die großartige Akustik des neoromanischen Baus der Kirche aus – inklusive Orgel.

Eine wunderbare Gelegenheit für Jeden, der mal für ein paar Stunden der hektischen Vorweihnachtszeit entfliehen möchte. In der perfekt inszenierten Show wechseln sich berührende Momente und urkomische Situationen ab. Wie etwa, wenn der Jongleur Evgeny Pimoneko mit federleichten Ringen jongliert. Direkt danach mündet der zunächst anmutige Tanz zweier Ballerinas in einer wüsten Schlägerei, welche man sonst nur aus Wrestling-Arenen kennt.

Was für ein Zirkus. In einer Kirche.


Der Cirque Buffon
Der Cirque Buffon

Cupido – Die Weihnachtsshow

Noch bis zum 8. Januar 2023, Spielzeiten:

  • Mittwoch bis Freitag 19:30 Uhr
  • Samstag 14:30 und 19:30 Uhr
  • Sonntag 14:30 und 17:30 Uh,
  • Montag und Dienstag keine Vorstellungen (Ausnahme: Montag, 26. Dezember 2022).
  • Am 24. Dezember finden die Weihnachtsgottesdienste unter Beteiligung des Cirque Bouffon statt. Der Eintritt ist kostenlos.
Zirkustage im Cirque Buffon
Zirkustage im Cirque Buffon

Tickets ab 25 Euro für Kinder, Schüler und Studenten bzw. ab 35 Euro über koelnticket (zzgl. VVK-Gebühr) oder an der Abendkasse in/vor St. Michael (ohne VVK-Gebühr, ab 2 Stunden vor jeder Vorstellung) gekauft werden.

Gespielt wird in der Kirche St. Michael, Brüsseler Platz 24, 50674 Köln


Kirche für Köln. eine neue Gemeinde
Kirche für Köln. eine neue Gemeinde

Kirche für Köln. Eine neue Gemeinde.
Stellt dir vor, die Kirche macht auf – und jeder geht hin

Während (zumindest bei gutem Wetter) das Leben im Schatten von St. Michael auf dem Brüsseler Platz tobt, war die Kirche immer leer und verlassen.

Die neu gegründete Gemeinde Kirche für Köln will das verändern. Dabei sind die Leitlinien „modern, offen, zugewandt“ nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern finden ihren Ausdruck in unterschiedlichen Veranstaltungen, die nicht typisch für die Kirche sind – wie zum Beispiel der Zirkus in der Kirche.


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Die Figuren am Rathausturm – eine kölsche Posse

Das Kölner Rathaus, hier auf einem Kupferstich um etwa 1655, Bild: Künstler unbekannt, via Wikimedia Commons
Gut zu erkennen: Das erste Figurenprogramm auf dem Kölner Rathausturm, hier auf einem Kupferstich um etwa 1655, Bild: Künstler unbekannt, via Wikimedia Commons

Podcast Rathausturm, 29

Su jet jitt et nur in Kölle! Wir machen zwar Dinge gerne schon mal mehrfach, aber was am Rathausturm in den 1980er passiert ist, ist leider irgendwie typisch kölsch.

Der im Stil der Spätgotik errichtete Rathausturm ist reich mit Zinnen und Vorhangbögen geschmückt. Am auffälligsten sind aber die 124 Figuren von Persönlichkeiten, die die Geschichte der Stadt Köln geprägt haben.

So findet sich dort heute eine bunte Mischung kölscher Prominenz, zum Beispiel Agrippina, Jan von Werth, Katharina Henot, Johann Maria Farina bis hin zu Nikolaus Otto. Es bedurfte allerdings mehrerer Anläufe, bis diese Figuren fest und sicher auf dem Turm standen.

Die Vorgeschichte: Die ersten Figuren stammten aus dem 15. Jahrhundert

Bereits mit Fertigstellung des Turms im Jahr 1414 war der Turm mit Figurten ausgestattet. Welche Figuren sich ursprünglich dort befanden, ist heute nicht mehr bekannt.

In den Jahren hatten Wind und Wetter den Figuren so massiv zugesetzt, dass diese anfingen, ganz oder in Teilen abzufallen. So beschloss der Rat am 22. Mai 1694 aus Sicherheitsgründen, die Figuren abzunehmen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde ein neues Figurenprogramm beschlossen. Diese Figuren wurden zwischen 1891 und 1901 in Auftrag gegeben.

Das Kölner Rathaus um 1900 - noch bevor die Figuren bis etwa 1902 neu aufgestellt wurden. Photochromdruck, Künstler unbekannt, Public domain, via Wikimedia Commons
Das Kölner Rathaus um 1900 – noch bevor die Figuren neu aufgestellt wurden. Photochromdruck, Künstler unbekannt, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Aufstellung dieser neuen Figuren war in Gruppen eingeteilt: Im Erdgeschoss war Platz für Fürsten und Erzbischöfe, im ersten Obergeschoss für Repräsentanten der Geschlechterherrschaft, eine Etage darüber für Repräsentanten der Zünfte. Das dritte Obergeschoss war für Männer der Künste und der Wissenschaft vorbehalten und im obersten Geschoss wachten die Schutzheiligen der Stadt über die Bürger. Die Letzte dieser Figuren wurde im Jahr 1902 aufgestellt.

Massive Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg

Das Rathaus wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört. Vom Rathausturm stand gerade noch ein Drittel. Es gab sogar Überlegungen, den Turm gänzlich abzureißen und neu aufzubauen. Doch die Kölner Handwerkerschaft erinnerte sich an ihre alte Zunft-Tradition und initiierte die „Bauhütte Rathausturm“. So wurde der Rathausturm, nach der Errichtung durch die Zünfte Anfang des 15. Jahrhunderts, im 20. Jahrhundert von den Kölnern Handwerkern gerettet.

Der zum größten Teil zerstörte Rathausturm im Jahr 1945, Fotograf: unbekannt
Der zum größten Teil zerstörte Rathausturm im Jahr 1945, die Figuren wurden fast vollständig zerstört, Fotograf: unbekannt

Von 1950 bis in das Jahr 1975 wurde an dem Rathausturm gebaut und das Gebäude originalgetreu wieder aufgebaut. Allerdings waren von den bis 1902 aufgestellten Figuren auf dem Turm nach dem Bombardement des Zweiten Weltkriegs kaum noch etwas übrig.

Neues Figurenprogramm in den 1980er Jahren: Bei 124 neuen Figuren gerade einmal fünf Frauen.

Die Stadt setzte eine Historikerkommission mit der Aufgabe, eine neue Auswahl an Figuren vorzuschlagen, ein. Die Bedingungen waren lediglich, dass weder lebende Personen noch „negative Figuren“ abgebildet werden dürfen.

Die Kommission benötigte gerade einmal fünf Jahre, um ein entsprechendes Figurenprogramm zu erarbeiten. So konnte endlich im Jahr 1986 das Konzept vom Kulturausschuss verabschiedet und dem Stadtrat zur Abstimmung vorgelegt werden. Bei dieser Stadtratssitzung muss es hoch hergegangen sein, denn die Fraktion der Grünen verweigerte konsequent die Zustimmung. Mit Recht!

Eine der wenigen Frauen auf dem Rathausturm: Die erfolgreiche Unternehmerin Fygen Lutzenkirchen (1450-1515), Bild: Raimond Spekking
Eine der wenigen Frauen auf dem Rathausturm: Die erfolgreiche Unternehmerin Fygen Lutzenkirchen (1450-1515), Bild: Raimond Spekking

Was die Grünen auf die Palme brachte: Die Kommission hatte bei den 124 Figuren gerade einmal fünf Frauen vorgeschlagen. Mit anderen Worten: In der mehr als 2.000 Jahre alten Stadtgeschichte sollen Frauen gerade einmal mit 4% berücksichtigt werden. Ein Eklat.

Überarbeitung des Figurenprogramms

Die Kommission wurde noch einmal beauftragt, das Programm zu überarbeiten. 1988 wurde der neue Vorschlag mit dem immer noch mickrigen Ergebnis, dass jetzt gerade einmal 18 Frauen berücksichtigt wurden, vom Stadtrat verabschiedet.

Was von dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission übrig blieb, war das Konzept, welche Figurengruppe wo ihren Platz finden sollte:

  • Im Erdgeschoss befinden sich Persönlichkeiten „Herrscher und herrschergleiche Personen“.
  • Danach folgen vom ersten bis zum dritten Obergeschoss „Für die Stadt wichtige Persönlichkeiten“.
  • Ganz oben ist der „Kölsche Himmel“: Die Schutzpatrone und Heiligen der Stadt
Adolf Clarenbach (rechts),auf Melaten hingerichteter evangelischer Reformator, Statue am Rathaus, Bild: Raimond Spekking
Die Figur von Adolf Clarenbach (rechts), auf Melaten hingerichteter evangelischer Reformator, Bild: Raimond Spekking

Die Stadt muss kötten gehen

Nach den Irrungen und Wirrungen um die inhaltliche Ausgestaltung des Figurenprogramms war die nächste Hürde die Finanzierung der Figuren. Da die Stadt – wie immer – klamm war, ging man kötten. Die Idee: Kölner Unternehmen, Verbände, Bürger, Vereine etc. wurden angefragt, ob sie nicht die Patenschaft über eine oder mehrere Figuren übernehmen könnten. Diese Patenschaft war damit verbunden, die entsprechende Figur auch zu stiften. Kein ganz günstiges Vergnügen – immerhin kostete damals eine Figur rund 25.000 DM. Für diesen Betrag konnte man im Jahr 1988 einen gut ausgestatten Audi 80 kaufen.

Doch die Kölner ließen sich nicht lumpen: So stifteten unter anderem das Bankhaus Sal. Oppenheim (Figur: Abraham Oppenheim), die Agrippina-Versicherung (Figur: Agrippina), der Verlag M. DuMont Schauberg (Figur: Karl Joseph Daniel DuMont), die Alfred Schütte GmbH (Figur: Meister Eckhart, Hans Imhoff (Figur: Severin von Köln), die Gerling-Versicherung (Figur: Gereon), Klosterfrau Melissengeist (Figur: Maria Clementine Martin), EMI Electrola (Figur: Jaques Offenbach) oder Klöckner-Humboldt-Deutz (Figur: Nicolaus Otto).

Figur des Nikolaus Gülich am Kölner Rathausturm (in der Mitte). Links neben ihm ist Johann Maria Farina, Bild: Raimond Spekking
Figur des Nikolaus Gülich am Kölner Rathausturm (in der Mitte). Links neben ihm ist Johann Maria Farina, Bild: Raimond Spekking

Aber auch die Willi-Ostermann-Gesellschaft (Figur: Willi Ostermann), der 1. FC Köln (Figur: Bernhard Letterhaus) sowie die Kreishandwerkerschaft Köln (Figur: Heilige Ursula) und die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung Köln (Figur: Nikolaus Gülich) traten als Stifter auf. Genau wie das Erzbistum Köln (Figur: Edith Stein), der Evangelische Stadtkirchenverband Köln (Figur: Adolf Clarenbach) oder der Kölner Brauerei-Verband (mehrere Figuren, u.a. Kaiser Augustus.)

Konservierung der Figuren für die Ewigkeit

Um die Figuren für eine lange Zeit haltbar zu machen, wurden diese mit Acrylharz getränkt. Grundsätzlich eine gute Idee. Denn die in der Gebäudeabdichtung, zum Beispiel auch am Dom, regelmäßig verwendeten Acrylharze haben eine gute Optik und eine hohe Beständigkeit. Nur war diese Konservierungsmethode leider nicht bei dem für die Figuren verwendeten Tuffstein geeignet.

Die Figur des Engelbert von Berg war eines der ersten Opfer der falschen Konservierungsmethode. Die Figur des Albertus Magnus wurde nicht mit Acrylharz getränkt und blieb unversehrt. Bild: Raimond Spekking
Die Figur des Engelbert von Berg war eines der ersten Opfer der falschen Konservierungsmethode. Die Figur des Albertus Magnus wurde nicht mit Acrylharz getränkt und blieb unversehrt. Bild: Raimond Spekking

Bereits nach zehn Jahren zeigten sich erste Risse in der Figur des „Engelbert von Berg“. Der Restaurator Thomas Lehmkuhl erkannte, dass der eher poröse Tuffstein der Figuren sich massiv mit dem Acrylharz vollgesaugt hatte. Das führte dazu, dass die Figuren, die vor der Behandlung mit dem Konservierungsmittel etwa 220 kg gewogen haben, danach aber satte 300 kg auf die Waage brachten.

Fachmann Lehmkuhl erklärte, dass der Tuffstein durch die große Menge Acrylharz hart und spröde wird. Lehmkuhl weiter: „Und gleichzeitig erhöht sich dadurch bei Sonnenschein oder Frost die thermische Belastung des Steins.“1„Risse im Kölner Turmpersonal!“, Welt am Sonntag vom 11. Dezember 2005

Die Originalfigur der Heiligen Ursula steht bei der Kreishanderwerkerschaft im Stapelhaus, auf dem Rathaus ist eine Kopie angebracht, Bild: Uli Kievernagel
Die Originalfigur der Heiligen Ursula steht bei der Kreishanderwerkerschaft im Stapelhaus, auf dem Rathaus ist eine Kopie angebracht, Bild: Uli Kievernagel

Eine Untersuchung der Figuren ergab, dass diese nicht mehr zu retten waren. Die Figuren zeigten massive Risse und bröselten vor sich hin.

Zwar wurde der „Schwarze Peter“, wer denn nun schuld an der Misere sei, noch hin- und hergeschoben. Doch die Tatsache, dass ausgerechnet die Figuren von Adolph Kolping und Albertus Magnus keine Auflösungserscheinungen zeigten, war Beweis genug: Diese beiden waren, genau wie 20 weitere Figuren, nicht mit dem Acrylharz getränkt worden und in einem tadellosen Zustand.

Neue Figuren im Jahr 2008

Aber: Die restlichen etwa 100 Figuren mussten neu beschafft werden. Daher startete die Stadt eine neue Spendenaktion, und viele der bereits etwa zehn Jahre zuvor so freigiebigen Gönner öffneten erneut die Geldbörse. So konnten exakte Kopien der Figuren erstellt werden. Immerhin hatte man gelernt: Die neuen Figuren wurden nicht aus Tuffstein, sondern aus einem speziellen französischen Kalkstein (Savonnières-Kalkstein) hergestellt.

Einige der ursprünglichen Figuren fanden anschließend ihren Platz in den Gärten oder Häuser der Stifter. Aber immerhin konnten im November 2008 alle 124 Plätze auf dem Rathaus wieder von den neuen Figuren eingenommen werden.

Mal sehen, wie lange die Figuren diesmal halten!


Ein bemerkenswertes Detail: Der Sockel der Figur von Konrad von Hochstaden, Bild: Raimond Spekking
Ein bemerkenswertes Detail: Der Sockel der Figur von Konrad von Hochstaden, Bild: Raimond Spekking

Autofellatio-Figur

Und dann befindet sich auch noch Figur von Konrad von Hochstaden am Rathaus. Er war als Konrad I. von 1238 bis 1261 Erzbischof von Köln und legte am 15. August 1248 den Grundstein zum Kölner Dom. Insofern gebührt ihm sicherlich ein Platz auf dem Rathausturm.

Allerdings irritiert ein kleines, aber durchaus sehenswertes Detail an der Statue: Der Sockel zeigt einen Mann mit nackten Hintern, der sein eigenes Geschlechtsteil im Mund hat. Der Fachbegriff für diese fast schon akrobatische Art der Selbstbefriedigung lautet „Autofellatio“.

Fraglich nur, weshalb dieser Sockel überhaupt seinen Platz auf dem Rathaus gefunden hat und wie das mit Konrad von Hochstaden zusammenhängt. Der ehemalige Stadtkonservator Ulrich Krings erläutert „Das ist ein ganz beliebtes Motiv gewesen. Dabei ging es darum, der Obrigkeit quasi den Arsch hinzuhalten. Mit derber, zur Schau gestellter Sexualität sollte gezeigt werden, dass einem die Moral- oder auch Ordnungsvorstellungen der Obrigkeit wurscht waren.“

Verständlich: In einer Zeit, in der die wenigsten Lesen und Schreiben konnten, mussten bildliche Darstellungen „griffig“ eine Botschaft vermitteln. Beliebt dabei: Darstellungen der sieben Todsünden, in diesem Fall die Wollust.

Dass es allerdings ausgerechnet Konrad von Hochstaden erwischt hat, ist eher Zufall. Denn das Original des „Autofellation-Sockels“ stammt ungefähr aus dem Jahr 1410. Und damals stand eine andere,  nicht mehr bekannte Figur auf dem Platz, den heute der ehemalige Erzbischof einnimmt.

Aber da wir in Kölle ja schon immer Probleme mit unseren Bischöfen hatten, Josef Frings ausdrücklich ausgenommen, muss Konrad von Hochstaden stellvertretend für diese Menschen auf diesem speziellen Sockel stehen.


Insgesamt befinden sich 124 Figuren auf dem Rathausturm

Erdgeschoss

  • Augustus
  • Marcus Vipsanius Agrippa
  • Agrippina die Jüngere
  • Postumus
  • Konstantin der Große
  • Sigibert von Köln
  • Plektrudis
  • Karl der Große
  • Otto I.
  • Theophanu
  • Heinrich IV.
  • Heinrich II. (England)
  • Otto IV.
  • Innozenz III.
  • Friedrich II.
  • Rudolf I.
  • Urban VI.
  • Friedrich III.
  • Maximilian I.

Erstes Obergeschoss

  • Hildebold von Köln
  • Ida (St. Maria im Kapitol)
  • Rupert von Deutz
  • Rainald von Dassel
  • Nikolaus von Verdun
  • Sela Jude
  • Gerhard Unmaze
  • Konrad von Hochstaden
  • Gerhard von Riele
  • Matthias Overstolz
  • Gerhard Overstolz
  • Gottfried Hagen
  • Johann I. (Brabant)
  • Meister Eckhart
  • Hilger Quattermart von der Stesse
  • Stefan Lochner
  • Heinrich von Beeck
  • Ulrich Zell
  • Fygen Lutzenkirchen
  • Heinrich Agrippa von Nettesheim
  • Hermann von Neuenahr der Ältere
  • Adolf Clarenbach
  • Anton Woensam
  • Arnold von Siegen
  • Johannes Gropper
  • Hermann von Weinsberg
  • Heinrich Sudermann
  • Michael von Aitzing
  • Caspar Ulenberg
  • Peter Paul Rubens

Zweites Obergeschoss

  • Jan von Werth
  • Joost van den Vondel
  • Aegidius Gelenius
  • Melchior von Reidt
  • Katharina Henot
  • Friedrich Spee von Langenfeld
  • Anna Maria de Heers
  • Anna Maria van Schurman
  • Nikolaus Gülich
  • Johann Maria Farina
  • Ferdinand Franz Wallraf
  • Heinrich Gottfried Wilhelm Daniels
  • Maria Clementine Martin
  • Peter Heinrich Merkens
  • Sulpiz Boisserée
  • Georg Simon Ohm
  • Friedrich Wilhelm IV.
  • Ernst Friedrich Zwirner
  • Robert Blum
  • Ludolf Camphausen
  • Abraham Oppenheim
  • August Reichensperger
  • Karl Joseph Daniel DuMont
  • Ferdinand Hiller
  • Mathilde Franziska Anneke
  • Moses Hess
  • Gustav von Mevissen
  • Jacques Offenbach
  • Karl Marx
  • Hermann Heinrich Becker
  • Franz Carl Guilleaume

Drittes Obergeschoss:

  • Max Bruch
  • Nicolaus August Otto
  • Eugen Langen
  • Hermann Josef Stübben
  • Mathilde von Mevissen
  • Karl Trimborn
  • Wilhelm Marx
  • Max Isidor Bodenheimer
  • Benedikt Schmittmann
  • Georg Fritze
  • Hans Böckler
  • Konrad Adenauer
  • Willi Ostermann
  • Amalie Lauer
  • Joseph Kardinal Frings
  • Christine Teusch
  • Wilhelm Sollmann
  • Josef Haubrich
  • Hertha Kraus
  • Bernhard Letterhaus
  • Irmgard Keun
  • Heinrich Böll

Viertes Obergeschoss 

  • Petrus
  • Kaspar
  • Melchior
  • Balthasar
  • Gereon von Köln
  • Ursula von Köln
  • Maternus
  • Severin von Köln
  • Evergislus
  • Kunibert von Köln
  • Weißer Ewald
  • Schwarzer Ewald
  • Agilolf von Köln
  • Bruno I.
  • Heribert von Köln
  • Anno II.
  • Bruno von Köln
  • Engelbert I. von Köln
  • Albertus Magnus
  • Johannes Duns Scotus
  • Adolph Kolping
  • Edith Stein

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