Ein paar Fragen an Rudolf Nickenig: „Köln ist eine merkwürdige Weinstadt.“

Dr. Rudolf Nickenig
Dr. Rudolf Nickenig hat ein Buch zur „Weinstadt Köln“ veröffentlicht, Bild: Nickenig

Dr. Rudolf Nickenig als Weinexeperten zu bezeichnen wäre eine glatte Untertreibung. Dieser Mann „lebt“ das Kulturgut Wein. Geboren als Sohn einer Winzerfamilie aus Boppard lernte er das Winzerhandwerk von der Pike auf.

Bevor er Referent beim Deutschen Weinbauverband wurde, studierte er Lebensmittelwissenschaft in Bonn und promovierte über „Polyphenole in Weißweinen“. Von 1986 bis 2018 war Nickenig Generalsekretär des Weinbauernverbands. Während dieser Zeit war er auch Chefredakteur der Fachzeitschrift „Der Deutsche Weinbau“. Er arbeitete in verschiedenen Europäischen Spitzenverbänden des Weinbaus, ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Weinakademie (DWA) und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Gesellschaft für Geschichte des Weines e.V.

Buch: „Köln – eine merkwürdige Weinstadt“

Rudolf Nickenig hat bereits mehrere Bücher über Wein veröffentlicht. Sein jüngstes Werk allerdings hat es in sich: „Köln – eine merkwürdige Weinstadt“ ist ein Buch über die Weinhistorie Kölns. In der Stadt mit dem (selbsternannten) besten Bier der Welt. Ein klarer Fall für den Köln-Lotsen – das muss aufgeklärt werden.

Ich treffe Rudolf Nickenig ausgerechnet in einem Brauhaus. Und wir reden dort über Wein. Klingt seltsam, aber man gewöhnt sich dran. Für den Autor übrigens kein Widerspruch, er sagt: „Heute ist Köln ohne Frage eine Biermetropole.“ Und stößt mit einem frischgezapftem Kölsch mit mir an. „Aber das war nicht immer so. Köln hat ein von Wein geprägtes Vorleben. Wetten, dass ich das nachweisen kann?“.

Ich schlage lieber nicht ein, denn ich kenne sein neues Buch. Dort geht es um genau eine solche Wette: Wilhelm, der mich ganz stark an den Weinexperten Nickenig erinnert, wettet mit seinem Freund Karl darum, dass er nachweisen kann, dass Wein in Köln eine viel wichtigere Rolle gespielt hat als bekannt.

Kölner besitzen Weinberge an der Ahr, am Mittelrhein und an der Mosel 

Und dann zieht Wilhelm alle Register: Er erklärt, dass die ersten Kölner Reben von den Römer mitgebracht wurden, damit man den Wein nicht immer mühevoll importieren musste. Um den wachsenden Bedarf zu decken, bemühten sich die betuchten Kölner, in den Besitz von Weinbergen an der Ahr, am Mittelrhein und an der Mosel zu kommen. So gibt es einen schriftlichen Nachweis, dass Erzbischof Kunibert von Köln bereits im Jahr 643 Besitzer eines Weinbergs in Boppard ist.

Augenzwinkernd erläutert der fiktive Wilhelm seinem Freund, dass es in der 200jährigen Geschichte des organisierten Karnevals noch nie ein Motto zum Bier gab, aber immerhin vier Mal der Wein zum Thema wurde.

Rudolf Nickenig: "Köln – Eine merkwürdige Weinstadt", 176 Seiten, 19,95 €, Marzellen Verlag Köln 2022 ISBN 978-3-937795-79-9
Rudolf Nickenig: „Köln – Eine merkwürdige Weinstadt„, 176 Seiten, 19,95 €, Marzellen Verlag Köln 2022, ISBN 978-3-937795-79-9

Das Buch liest sich mit seinen 3 x 11 Kapiteln genauso flüssig und leicht wie sich ein gekühlter Weißwein trinken lässt. Und wer, wie beim Wein, die ganzen Aromen genau aufspüren will, wird im umfangreichen Anhang mit Begriffserläuterungen und weiterführender Literatur fündig.


 

Ein paar Fragen an … Dr. Rudolf Nickenig

Herr Dr. Nickenig – die Frage aller Frage: Rot oder Weiß? Oder Rosé? Oder am Ende doch Kölsch?

„Rut un wiess wie lieb ich dich!“ Da kann ich den Bläck Fööss zustimmen. Mal bevorzuge ich einen Rotwein, mal einen Weißwein, mal einen blanc de noir.

Die Kölner früherer Jahrhunderten liebten den „Weißen Roten“ der damaligen Zeit, den Bleichert, sowohl den Ahr- als auch den Rheinbleichert.

Köln und Kölsch zusammen klingt hervorragend – Köln und Wein hingegen passt auf den ersten Blick nicht wirklich gut zusammen. Richtig?

Auf den ersten Blick kommt es einem merkwürdig vor. Es lohnt sich daher, sich mit der Weinhistorie der Stadt Köln nicht bierernst, sondern weinfröhlich zu beschäftigen.

Wie kamen Sie auf die Idee, über die Stadt mit dem (selbsternannten) besten Bier der Welt ausgerechnet ein Weinbuch zu schreiben?

Vor einigen Jahren hatte ich ein Buch über das Weinbaugebiet Mittelrhein1Vom harten Hengst zum feurigen Riesling“, Verlag Matthias Ess , Bad Kreuznach , 2015, 19,80 Euro geschrieben. Bei den Recherchen wurde mir klar, dass der Weinbau in früherer Zeit nicht am Siebengebirge aufhörte.

Ich zweifelte auch an der Abgrenzung von Heinrich Böll:
„Der Weintrinkerrhein hört ungefähr bei Bonn auf, geht dann durch eine Art Quarantäne, die bis Köln reicht; hier fängt der Schnapstrinkerrhein an; das mag für viele bedeuten, dass der Rhein hier aufhört. Mein Rhein fängt hier an,…“ Den Halbsatz will ich nicht kommentieren. Wie weit der „Weintrinkerrhein“, aber auch der „Weinerzeugerrhein“ ging, wollte ich genauer recherchieren und dieser Weg führte zur merkwürdigen Weinstadt Köln.

Die fleißigen Heinzelmännchen sorgten auch für den Wein in Köln, Detailansicht des Heinzelmännchenbrunnens, Bild: Raimond Spekking
Die fleißigen Heinzelmännchen sorgten auch für den Wein in Köln, Detailansicht des Heinzelmännchenbrunnens, Bild: Raimond Spekking

Die Heinzelmännchen brauen kein Bier, sondern keltern Wein. Ist das der Beweis für den Kölner Weinanbau?

Wir alle kennen aus Kindertagen die merkwürdigen Aktivitäten der Kölner Heinzelmännchen. Aber Hand aufs Herz: wissen Sie noch welchen Handwerkern die Heinzelmännchen halfen?

Sie schufteten nachts für die Zimmerleute (Vers 2), die Bäcker (Vers 3), die Fleischer (Vers 4), die Schneider (Vers 6) – mit dem verheerenden Ende aufgrund der neugierigen Schneidersfrau, die die Heinzelmännchen vertrieb. Und wem halfen sie im Vers 5?

….
Die Männlein sorgten um den Wein,
Und schwefelten fein
Alle Fässer ein,
Und rollten und hoben
Mit Winden und Kloben,
Und schwenkten
Und senkten,
Und gossen und panschten
Und mengten und manschten.
Und eh der Küfer noch erwacht,
War schon der Wein geschönt und fein gemacht!

Überraschenderweise halfen die Heinzelmännchen in der Bierstadt Köln keinen Bierbrauern, sondern Weinküfern. Das ist kein Beweis für den Kölner Weinbau, aber ein Hinweis, dass zu Zeiten der Heinzelmännchen oder vielleicht sogar zu Zeiten des Autors August Kopisch – er schrieb das Gedicht 1838 – Wein in Köln einen höheren Stellenwert als Bier hatte!

Aber mal ganz ehrlich: Es wurde doch damals nur deswegen Wein getrunken, weil es lebensgefährlich war, das verunreinigte Wasser zu trinken.

Die Einen sagen so, die Anderen sagen so. Warum haben sie Wein und kein Bier getrunken, das ist doch die Frage.

Aber ernsthaft: Wein wurde in der frühen Neuzeit nur von den reichen Bürgern als Genussmittel betrachtet, nur sie konnten sich gute teure Weine leisten. Für die ärmeren Schichten war der Hygieneeffekt von billigen Weinen sicher wichtig. 

Schon den Römern war es auf die Dauer zu lästig, das Grundnahrungsmittel Wein in Amphoren aus dem Süden einzuführen. Also selber anbauen. Aber was für eine Qualität hatten die in Köln produzierten Weine?

Um die Frage beantworten zu können, müssen wir uns auf Quellen der damaligen Zeit stützen. Wir wissen aus den Aufzeichnungen von Hermann Weinsberg (1518-1597), einem Kölner Ratsherrn, der in seinem mehrbändigen Gedenkebuch penibel sein Verhalten und seinen Konsum aufzeichnete, dass er seinen selbst angebauten Wein lieber anderen schenkte als selbst zu trinken. Das lässt tief blicken.

In der gleichen Periode, genauer gesagt im Jahr 1531, reiste der Buchhändler Johann Haselberg vom Bodensee durch Deutschland und besang in mehreren hunderten Versen Köln. Darin finden sich die Verszeilen:

„Schoen wingarten siecht ma da rings umb:
Vil wins wegs zu Coelln, in einer sum
O tzwey dausent fuder sues und saur
Allein nur inerhalb der rinck maur.“

Süß und sauer!

Das Stapelhaus war lange Zeit ein wichtiger Umschlagsplatz für verderbliche Güter, insbesondere Fisch, Postkarte von ca. 1900, Wizico Verlag
Das Stapelhaus war lange Zeit ein wichtiger Umschlagsplatz für Güter, Postkarte von ca. 1900, Wizico Verlag

War es am Ende vielleicht auch das Stapelrecht, welches den Kölner Zugriff auf die besten Weine ermöglichte?

Da spricht manches dafür. Das Stapelrecht war eine Gelddruckmaschine, das dem Kölner Stadtsäckel über Jahrzehnte die höchsten Steuereinnahmen brachte. Kauf­leu­te durften mit ih­ren Weinschiffen nicht an Köln vor­bei fah­ren, oh­ne die­se in Köln zu ent­la­den und ei­ne Zeit lang zum Ver­kauf an­zu­bie­ten. Die Vorschriften sind noch viel weitgehender, im Buch sind sie skizziert.

Es ist naheliegend, dass die  Kölner Patrizier mit diesem Stapelrecht-Geklüngel nicht nur ein exklusives Wissen über die Qualität der Weine, sondern auch genügend Einnahmen hatten, um sich die besten Weine leisten zu können. 

Weingärten der Kartäuser, ca. 1571, Ausschnitt des Mercator - Stadtplanes
Weingärten der Kartäuser, ca. 1571, Ausschnitt des Mercator – Stadtplanes

Wieviel Wein wurde tatsächlich in Köln angebaut?

Für die damalige Zeit unfassbar viel! Immerhin ein Viertel der Fläche innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern waren bis ins 17. Jahrhundert mit Reben bepflanzt, rund 90 Hektar, mehr als 100 Fußballplätze. Heute gibt es am Mittelrhein keinen Weinbauort mehr, der eine so große Rebfläche hat. Anfang des 19. Jahrhunderts waren es immerhin noch 65 Hektar. Mit der Intensivierung des Städtebaus war es lohnender, sein Weinbaugrundstück zu verkaufen als Wein anzubauen.

Welche „Relikte“ des Weinanbaus finde ich heute noch in Köln?

Wir haben das Buch im Kölner Weindepot/Weinmuseum vorgestellt. Die Reben auf dem Dach sind eine „merkwürdige“ Erinnerung an den historischen Kölner Weinanbau.

Bei dieser Gelegenheit traf ich auch den Kölner Stadtwinzer Thomas Eichert, der am Chlodwigplatz Qualitäten erzielt, von denen die Winzer im Mittelalter nur träumen konnten. Es gibt sicher noch mehr „Memorials“, nicht zuletzt zählen Straßennamen oder Weinkneipen dazu.

Ob im Gürzenich, Kristallsaal oder Sartory: Auf den Karnevalssitzungen herrscht „Weinzwang“. Ist das die letzte kölsche Weintradition?

Sicher nicht, denn dieser Zwang ist keine Kölner Tradition, er findet sich vielerorts. Schon im alten Knigge ist zu lesen: Zwang tötet alle edle, freiwillige Hingebung.

Könnte Köln durch den Klimawandel in Zukunft ein attraktives Weinanbaugebiet werden?

Wenn man die klimatischen Voraussetzungen für den Weinbau betrachtet: ja. Wenn man die Bodenpreise in Köln und drumherum betrachtet: eher nein. Im Buch haben Wilhelm und Karl eine futuristische Perspektive gesehen:

„Der Klimawandel wird eine völlig neue Architektur in Köln notwendig machen. Markus Wittling wird mit seinem Weinberg auf dem Dach seiner Vinothek als Pionier von Cologne Urban Viticulture in die Geschichte eingehen. Die Architekten werden Hochhäuser mit auskragenden Fassaden für das Anbringen von Pflanzen bauen, um die Wohnungen und Büros zu beschatten und um Energie zu sparen und zu gewinnen. Ganz Köln wird eine einzige Flora sein – und das Tollste ist, die Begrünungen der steilen Dächer der historischen Kirchen und der modernen Fassaden der Skyliners werden mit Reben erfolgen! Kurzum: bei der 2000-Jahrfeier Kölns im Jahr 2050 werden in Köln viel mehr Reben wachsen als zur Zeit der Stadtgründung, vielleicht sogar mehr als im Mittelalter!“

Was für eine tolle Vision! 


Genau wie alle anderen Menschen in meiner Rubrik „Ein paar Fragen an …“ hat auch Dr. Rudolf Nickenig zu meinen „kölschen Fragen“ Rede und Antwort gestanden.

Wenn nicht Köln – wo sonst könntest du leben? Und warum gerade dort?

Umgekehrt. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, in Köln zu leben, wenn ich es mir leisten könnte, ein Stadthaus mit Weinkeller und großer Dachterrasse zu erwerben, auf der ich die autochthone kölsche Rebsorte, den Blauen Kölner, anbauen würde.

Welche kölsche Eigenschaft zeichnet dich aus?

Ein merkwürdiger Respekt vor dem Kölner Grundgesetz.

Was würdest du morgen in unserer Stadt ändern?

… den Rebenanbau fördern, insbesondere die Rebsorte Blauer Kölner.

Nenne ein/zwei/drei Gründe, warum man Köln morgen verlassen sollte.

Siehe Antwort zu Frage 1. Solange ich keinen Wein in Köln anbaue, mache ich mir darüber keine bierernsten Gedanken.

Wo ist dein Lieblingsplatz in Köln?

Im Dom, um den Dom und um den Dom herum.

Welche KölnerInnen haben dich beeinflusst / beeindruckt?

… die Heinzelmännchen und die Köbesse.

Was machst du zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch?

… bedauern, dass ich kein Kölner bin.

Und was zwischen Aschermittwoch und Weiberfastnacht?

… hoffen, dass ich im nächsten Leben Kölner werde (s. Antwort auf Frage 1).

Wat hät für dich noch immer jood jejange?

… zwei Gläser Kölsch statt einem Glas Wein zu trinken und umgekehrt.

Wo drüber laachs de dich kapott?

Das versuche ich zu vermeiden, wäre ja schade um mich.

Dein kölsches Lieblingsessen?

Bitte nicht weitersagen: Saure Nierchen.2Okay. Versprochen. Behalte ich nur für mich. 🙂

Dein Lieblingsschimpfwort auf Kölsch?

Mir gefällt „Fiese Möpp“; mir würde es bei Bedarf nicht einfallen, aber einen Typen als „Kotzkümpsche“ zu bezeichnen, fände ich gut.

Bitte vervollständige den Satz: Köln ist …

merkwürdig.


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