Tagtäglich rollen tausende Autofahrer und Radfahrer vorbei und selbst die Fußgänger laufen meistens uninteressiert weiter: Das letzte Stück der alten Kettenhängebrücke steht auf der Deutzer Brücke – und es bekommt nicht die Beachtung, die es verdient hätte. Immerhin wiegt dieses Teil fast eine Tonne, und ist neun Meter lang. Das Bauteil stammt aus der Deutzer Kettenhängebrücke, die bei ihrem Einsturz im Februar 1945 Hunderte Menschen mit in den Tode gerissen hat.
Eine „unechte“ Hängebrücke
Nachdem der steigende Verkehr im Zuge der Industrialisierung stark zugenommen hatte, wurde es Anfang des 20. Jahrhunderts in Köln unumgänglich, neue Brücken zu bauen. Zwar gab es die Deutzer Schwimmbrücke, die aber den wesentlichen Nachteil hatte, dass sie für durchfahrende Schiffe immer erst aufwändig geöffnet werden musste.
Doch die Realisierung einer Brücke exakt an dieser Stelle, an der 1600 Jahre vorher mit der Konstantinbrücke bereits die erste feste Rheinquerung stand, war schwieriger als zunächst angenommen.
Die Brücke musste hoch genug sein, um den Schiffen eine Mindestdurchfahrthöhe zu garantieren. Gleichzeitig erschwerte die Bodenbeschaffenheit am Ufer die Konstruktion: Eine „echte“ Hängebrücke leitet die Kräfte in massive Widerlager am Ufer ein, wie zum Beispiel die Mülheimer Brücke. Aber der durch Rheinkiesel geprägte, eher „schwammige“, Boden in der Innenstadt machte dieses Konstruktionsprinzip unmöglich.
Steckbrief Kettenhängebrücke (später „Hindenburgbrücke“)
- Länge: 369 m
- Breite: ursprünglich 18.7 m / ab 1940: 27.50 m
- Baubeginn: 1913
- Fertigstellung: 3. Juli 1915
- Umbau: 1940
- Einsturz: 28. Februar 1945
Daher entschied man sich für eine „unechte Hängebrücke“. Bei diesem Brückentyp gibt es keine massive Aufhängung am Ufer, sondern die Verankerung der Kabel erfolgt durch Befestigung an den Fahrbahnrändern. Deswegen sind kräftige, von einem zum anderen Ende der Brücke durchlaufende, Versteifungsträger notwendig.
Der „Cölner Brückenstreit“
Bereits im Jahr 1898 gab es einen ersten Wettbewerb für eine feste Straßenbrücke zwischen Heumarkt und Deutzer Freiheit – allerdings ergebnislos. Auch weitere Ausschreibungen verliefen im Sande.
Bis man zur Konstruktions-Entscheidung der „selbstverankerten, versteiften Kettenhängebrücke“ kam, wurden 38 (!) Entwürfe diskutiert und wieder verworfen bis der 39. Vorschlag eine Mehrheit im Stadtrat bekam.1Quelle: Der SPIEGEL „Kontrapunkt am Rhein“ vom 01.01.1957 Dies ist der Beweis: Früher war auch nicht alles besser, schneller und einfacher!
Den Zuschlag bekamen im Jahr 1912 die Firmen MAN Werk Gustavsburg (Stahlüberbau) und Grün & Bilfinger (Unterbauten). Allerdings gab es nach der Auftragsvergabe Ärger: Die „Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hütten-AG“ behauptete, der Siegerentwurf wäre ein Plagiat ihres Entwurfs aus dem Jahr 1911.
Es kam zu einem Gerichtsverfahren. Die Gutachter gaben sich im Landgericht Köln die Klinke in die Hand, erst im April 1914 gab es eine außergerichtliche Einigung. Bis dahin war das Verfahren weit über die Grenzen der Domstadt als „Cölner Brückenstreit“ bekannt.
Massive Baumaßnahmen – bis heute sichtbare Lücken
Noch während das Gerichtsverfahren lief war 1913 Baubeginn der Deutzer Hängebrücke. Dafür waren massive Auffahrtsrampen erforderlich. Auf der Deutzer Seite wurden in Höhe der Deutzer Freiheit zahlreiche Gebäude abgebrochen und der am Deutzer Ufer (heute Rheinboulevard) befindliche „Bahnhof Schiffsbrücke“ musste abgerissen werden.
Gravierender jedoch waren die Baumaßnahmen auf der linksrheinischen Seite. Die Häuser auf der Markmanngasse, der Rheinuferstraße und am Heumarkt wurden abgebrochen, um Platz für die Rampen zu schaffen. Noch heute klafft hier ein „Loch“ in der Bebauung. Auch der Heumarkt, zuvor ein nahezu geschlossener Platz, wurde durch die Rampen zur Brücke zum Verkehrsknotenpunkt.
Harmonische und elegante Form
Am 3. Juli 1915 war es soweit: Die Brücke mit einem Konstruktionsgewicht von rund 6.200 Tonnen und Kosten von mehr als sieben Millionen Mark wurde eröffnet. Allerdings fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit: In Europa tobte der Erste Weltkrieg, große Feierlichkeiten passten nicht in die Zeit.
Dabei hätte die Deutzer Kettenhängebrücke mehr verdient. Die Website „Rheinische Industriekultur“ würdigt ausdrücklich dieses Bauwerk:
„Berühmt wurde die 1913-15 erbaute Deutzer Brücke auch hinsichtlich ihrer harmonischen und eleganten Form. Der Rhein wurde mit drei Öffnungen im Verhältnis 1: 2: 1 überspannt. Die Mittelöffnung war 185 Meter weit. Die Brücke war einschließlich der Pylonen eine reine Stahlkonstruktion, bei der sich die ganze architektonische Gestaltungskraft auf das Ingenieurbauwerk konzentrierte. Es war ein frühes Beispiel für die Aufhebung der im 19. Jahrhundert noch so gewichtigen Trennung von Architektur und Ingenieurwesen.“
Später wurde die Brücke, zu Ehren des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (1847 – 1934), in „Hindenburgbrücke“ umbenannt.
Einsturz am 28. Februar 1945 fordert Hunderte Todesopfer
Im zweiten Weltkrieg wurden die Kölner Brücken stark beschädigt oder sogar vollständig gesprengt, zum Teil durch Bomben der Alliierten, zum Teil durch die Wehrmacht selber.
Die 8. US-Luftflotte erhielt Anfang Januar 1945 den Befehl, die letzten vier Kölner Rheinbrücken zu zerstören. Bis Mitte Januar wurden daher gezielt Angriffe auf die Brücken geflogen. Einige der schweren Bomben mit bis zu 1.000 Kilogramm Gewicht trafen zwar auch die Brücken, durchschlugen allerdings nur die Fahrbahnen und explodierten relativ wirkungslos im Rhein.
Trotzdem zeigte das Bombardement Wirkung: Am 6. Januar krachte die Südbrücke ein, am 28. Januar brach die Rodenkirchener Autobahnbrücke zusammen.
Das NS-DOK hat im Rahmen der Ausstellung „Kriegsende in Köln“ auch Originalzitate zu den Bombardements auf die Brücken veröffentlicht. So schrieb Christa Lehmacher am 11. Januar 1945 einen Brief an ihren Bruder:
„Wir haben am vergangenen Samstag, am Sonntag, und gestern einen schweren Angriff auf Köln gehabt. Die Mülheimer Brücke lag ja schon lange im Wasser. Jetzt haben sie die Südbrücke, die noch den ganzen Transport rüber ließ, auch ins Wasser gelegt. Die Hindenburg- und Hohenzollernbrücke haben auch schwere Treffer erhalten, sind aber beide noch befahrbar. Die Rodenkirchener Brücke ist auch schwer mitgenommen, hängt aber auch noch am Seidenfaden.“
Am 28. Februar 1945 kam es auf der Deutzer Hängebrücke zur Katastrophe: Es wurden Reparaturarbeiten durchgeführt, gleichzeitig war das Bauwerk durch Flüchtlinge und Militärfahrzeuge, die noch schnell versuchten, sich ins Rechtsrheinische abzusetzen, stark belastet und stürzte ein.
Bedingt durch die Kriegswirren ist bis heute unklar, wie viele Opfer dieser Einsturz forderte. Es ist aber davon auszugehen, dass mehrere Hundert Menschen hier ihr Leben verloren.
Neue Deutzer Brücke nutzt alte Rampen und Brückenpfeiler
Nach dem Krieg wurden schnell neue Brücken errichtet. An der Stelle der Deutzer Hängebrücke wurde ab 1947 die neue Deutzer Brücke gebaut. Die erste Stahlkastenträgerbrücke der Welt wurde am 16. Oktober 1948 eingeweiht. Der Bau konnte auch deswegen so zügig beendet werden, weil die neue Brücke sowohl die alten Rampen als auch die Brückenpfeiler der Deutzer Hängebrücke nutzt.
Das auf der Brücke ausgestellte Kettenglied wurde erst 1977 zufällig bei Bauarbeiten im Rhein gefunden. Und bleibt bis heute mehr oder weniger unbeachtet.
Es sei denn, man steht mal wieder auf der Brücke im Stau.
Alle bisher erschienenen Geschichten zu den Kölner Brücken
- Kölner Brücken: Das „Kölner Brückengrün“ – oder „Adenauer-Grün“
- Kölner Brücken: Die Deutzer Kettenhängebrücke – Todesfalle für Hunderte Menschen im Krieg
- Kölner Brücken: Die Konstantinbrücke – Kölns erste feste Rheinquerung
- Kölner Brücken: Die Liebesschlösser an der Hohenzollernbrücke
- Kölner Brücken: Die Mülheimer Schiffbrücke – anfällige Verbindung über den Rhein
- Kölner Brücken: Die Rodenkirchener Brücke – ein Hauch Kalifornien in Köln
- Kölner Brücken: Die Severinsbrücke – die schönste Brücke Kölns
- Kölner Brücken: Die Südbrücke – vernachlässigtes Schmuckstück
- Kölner Brücken: Die Zoobrücke – leichtes Schwanken inklusive
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