Gedenktafel, in d’r Kayjass Nummer Null (Kaygasse, Ecke Großer Griechenmarkt),Bild: 1971markus@wikipedia.de, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Jedes kölsche Schulkind kennt diesen Text:
„En d’r Kayjass Nummer Null steiht en steinahl Schull, un do hammer dren studeet. Unser Lehrer, dä hieß Welsch, sproch en unverfälschtes Kölsch ... … Dreimol Null es Null, bliev Null, denn mer woren en d‘r Kayjass en d’r Schull.“
Bei dem von den „Drei Laachduve“ aus der Session 1938/39 besungenen Lehrer handelt es sich um Heinrich Welsch, und genau dieser Lehrer Welsch hat tatsächlich ein musikalisches Denkmal verdient.
Allerdings war Welsch nie in der Kaygasse tätig, sondern leitete im rechtsrheinischen Kalk eine Sonderschule für Kinder, die einer besonderen Fürsorge bedurften. Man kann davon ausgehen, dass die „Drei Laachduve“ Welsch wegen des Reims in die Kaygasse versetzt haben, denn die ursprüngliche Schule lag in der Hollweghstraße . Das hätte doch das Reimschema arg strapaziert.
Geburtshaus von Heinrich Welsch in Arzdorf, Bild: Wolfgang Lietzau
Welsch – ein Pädagoge mit Herz
Heinrich Welsch wurde 1848 in Arzdorf, heute ein Ortsteil von Wachtberg, geboren. Er war ausgebildeter Lehrer mit einem Examen des Königlich Preußischen Lehrerseminars in Brühl. Nach verschiedenen Stationen, unter anderem in Worringen und Sülz, kam er 1881, mitten in der industriellen Revolution, nach Kalk. Erschreckt über die Verhältnisse in der Arbeiterschaft erkannte Welsch sehr schnell, dass Bildung der Schlüssel zum sozialen Erfolg seiner Schüler war. Im Jahr 1905 gründete er die „Hilfsschule“ in Kalk. Der Lehrer Welsch kümmerte sich rührend um seine Schüler – nicht selbstverständlich in einer Zeit, in der der Rohrstock noch als pädagogisches Mittel galt. So brachte er zum Beispiel Mädchen, die wegen einer ungewollten Schwangerschaft verstoßen wurden, wieder zurück zu ihren Familien.
Das Ehrengrab von Heinrich Welsch auf dem Kalker Friedhof, Bild: A.Savin
Zu seinen Bemühungen um die Bildung gehört auch, dass Welsch 1884 mit 1.700 von ansässigen Betrieben gespendeten Büchern die erste Volksbibliothek in Kalk gründete. Heinrich Welsch schied im Jahr 1914 aus dem Schuldienst aus und verstarb 1935. Sein Grab auf der dem Friedhof in Kalk ist ein Ehrengrab, die Stadt Köln kümmert sich um die Grabpflege.
Lehrer-Welsch-Preis
Neben dem bekannten Lied lebt Heinrich Welsch aber auch im Lehrer-Welsch-Sprachpreis weiter. Die Kölner Sektion des Vereins Deutsche Sprache verleiht diesen seit 2004 an Personen oder Institutionen, die sich um die Hochsprache und den Erhalt der kölschen Sprache verdient gemacht haben. Der Sänger Ludwig Sebus, selbst Preisträger im Jahr 2008, dazu im Kölner-Stadt-Anzeiger „Das Vermächtnis des legendären Lehrers Welsch ist doch viel mehr als Drei mal Null. Er verkörperte die kölsche Seele. Als Lehrer hat er alle Menschen gleich gesehen und gleich behandelt.“. Erster Preisträger war Alexander von Chiari der im Motto des Rosenmontagszugs 2005 das Wort „Kids“ durch „Pänz“ ersetzte. Weitere Preisträger waren unter anderem „Die Sendung mit der Maus“ oder die Wise Guys.
Peter Kievernagel (1935 – 2023) war bei seinen Schülern als „Papa gnädig“ bekannt. Bild: Uli Kievernagel
Ein andere Lehrer, bekannt als „Papa gnädig“
Ich widme dieses „Köln-Ding der Woche“ ausdrücklich meinem am 2. April 2023 verstorbenen Vater Peter Kievernagel, ebenfalls Lehrer. Seine Schüler sprachen von ihm als „Papa gnädig“, weil er bei Prüfungen auch schon mal gerne ein Auge zudrückte.
Zwar stammt das Lied von der „steinahl Schull“ im Original von den „Drei Laachduve“, allerdings ist die überarbeitete Version der „Vier Botze“ die heimliche Hymne Kölns.
Es ist ein überraschender Anblick: In der Kirche St. Gertrud hängen riesige Kleidungsstücke an Wäscheleinen mitten in der Kirche. Die aus Seidenpapier hergestellten Wäschestücke sind fast transparent und wirken sauber – wie frisch gewaschene Wäsche.
Im Gegensatz zu dieser reinen Wäsche liegen vermoderte Bahnschwellen auf dem Boden. Diese stammen von einer stillgelegten Eifelstrecke und erinnern an die Rolle der Eisenbahnen im Krieg. Ein großes Transparent zeigt eine Trauung. Diese Trauung findet in einem Schützengraben statt – eine unwirkliche Szene.
Eine Kriegstrauung im Schützengraben (1917)
Die reine, saubere Wäsche ist ein Bild des Friedens
Mit dieser Installation in der „Kunstkirche“ St. Gertrud stellt die Kölner Künstlerin Dr. Christiane Rath zwei komplett gegensätzliche menschliche Kulturleistungen gegenüber: Krieg und Wäsche.
Christiane Rath: „Die reine, saubere Wäsche ist ein Bild des Friedens. Wo Wäsche hängt, wo Reinlichkeit zählt, wo auf Sauberkeit geachtet wird, überall dort herrscht Frieden. Aber leider ist dies in vielen Weltgegenden eine Utopie.“
Projekt st. gertrud: kirche + kultur
Christiane Raths Installation setzt auf die außergewöhnlichen Möglichkeiten des Kirchenraums St. Gertrud. Die riesigen Wäschestücke füllen den Kirchenraum, ein umgewidmeter Beichtstuhl wird zum Startpunkt einer Audio-Reise durch zwölf erdachte Räume.
Die Kirche St. Gertrud in Köln, Bild: Raimond Spekking
Für die Errichtung der katholischen Pfarrkirche St. Gertrud wurde der bekannte Architekt Gottfried Böhm (1920 – 2021) mit dem Kölner Architekturpreis ausgezeichnet. Auffällig sind die asymmetrischen Formen des Baus, welche fast vollständig in Beton ausgeführt wurden. Böhm hat auch die gesamte Ausstattung der Kirche entworfen, unter anderem das Taufbecken, den Tabernakel und auch den Altar.
Das Projekt „st. gertrud: kirche + kultur“ nutzt die Möglichkeiten dieses ganz speziellen Kirchenbaus. Immer wieder neue Akteure stellen genau hier Ausstellungen, Theaterprojekte oder Filme vor. So wird der immer noch als Kirche geweihte Bau zu einem Ort der kreativen Diskussion.
Für Christiane Raths Ausstellung ist Frieden das zentrale Thema. Sie schafft es mit nur einem Satz das gesamte komplexe Thema Ihrer Installation zusammenzufassen:
„Jedenfalls brauchen wir saubere Wäsche,
Kriege brauchen wir nicht.“.
KRIEG und WÄSCHE Christiane Rath
Eine Rauminstallation zum Frieden
Kirche St. Gertrud
Krefelder Straße 57
50670 Köln
Vernissage: 7. September 2024, 18 Uhr
Laufzeit: 7. September bis 22. September 2024
Öffnungszeiten:
7. und 8. September 2024 (Tag des Offenen Denkmals)
12 – 19 Uhr (bei der Vernissage länger)
Danach tägl. von 16 – 19 Uhr
Der Eintritt, auch zu allen Veranstaltungen, ist frei.
Programm
7. September 2024, 18.30 Uhr Begrüßung durch Pastoralreferent Peter Otten
14. September 2024 und 22. September 2024, jeweils 16 – 19 Uhr Performance Philipp Sebastian Der Schauspieler Philipp Sebastian in Soldatenuniform, Bild: Rolf Wengst
Der Schauspieler Philipp Sebastian wird in Soldatenuniform mit der Rauminstallation spontan und unvorhersehbar interagieren und in einer jeweils dreistündigen Performance sowohl proaktiv als auch reaktiv seine persönliche künstlerische Aussage im Kirchenraum umsetzen.
18. September 2024, 18 Uhr Lesung aus „Ein Schiff für den Frieden“
Die Kölner Autorin und Journalistin Christina Bacher wird aus ihrem Buch „Ein Schiff für den Frieden. Das mutige Leben des Rupert Neudeck“ lesen.
Christiane Rath, eine nur zufällig in Oberhausen geborene Rheinländerin, Bild: Christiane Rath
Die „Römische Hafenstraße“ in Köln, Bild: Uli Kievernagel
Fast im Schatten des Doms, unmittelbar neben dem Römisch-Germanischen Museum, liegt die „Römische Hafenstraße“ – eine vermeintlich antike Straße. Diese Straße hat es im Bewertungsportal „TripAdvisor“1Auf TripAdvisor können Menschen Sehenswürdigkeiten, Hotels, Restaurant etc. in aller Welt bewerten und kommentieren. auf immerhin 64 Bewertungen2Stand 12. August 2022 geschafft.
So hat Kerstin aus Andernach unter der Überschrift „Symbol des römischen Straßenbaus“ am 16.September 2018 über die „Römische Hafenstraße“ geschrieben:
„Damals wie heute halte ich es für unmöglich das diese Straße befahrbar war, selbst große Wagenräder sind bestimmt gebrochen, aber was solls, die Waren von und nach Köln kann man ja auch auf dem Rhein transportieren. Schön die Straße mal gesehen zu haben, Highheels gab’s bei den Römern wahrscheinlich nicht.“
Auch Ulrich aus Köln ist skeptisch. Sein Eintrag vom 24. Juli 2016 lautet:
„Kaum zu glauben, dass die Römer mit Pferdekarren über diese grobschlächtige Straße über hunderte Kilometer gereist sind. Sehr beeindruckend zu sehen.“
Und beide haben recht! Steht man vor den groben Quadern der Straße, fällt es schwer zu glauben, dass hier einst Pferdekarren drüber rumpelten. Der Achsbruch ist nach wenigen Metern garantiert und das die Karre ziehende Pferd würde nach ein paar weiteren Metern wegen massiver Verletzungen als Sauerbraten auf den Tellern der umliegenden Restaurants landen.
Das Römische Straßennetz
Das gesamte Römische Imperium beruhte auf einer extrem gut ausgebauten Infrastruktur. Die etwa 100.000 Kilometer Fernstraßen waren gut organisiert, es gab sogar eine Beschilderung mit Kilometersteinen zur Orientierung. Die Colonia Claudia Ara Agrippinensium (CCAA), unser heutiges Köln, war als Hauptstadt der Provinz Niedergermanien ein besonders wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Hier liefen drei große Fernstraßen zusammen:
Die „Via Belgica“, heute Aachener Straße, führte bis Boulogne-sur-Mer an die Kanalküste, von dort ging es per Schiff weiter nach Britannien.
Die „Agrippa-Straße“, heute Luxemburger Straße, führte bis nach Lugdunum, dem heutigen Lyon.
Die „Limes-Straße“, heute die Achse Neusser Strasse-Eigelstein-Bonner Straße, führte von den Alpen bis an die Nordsee.
Das römische Köln im 3. und 4. Jahrhundert in einem Schaubild des Römisch-Germanischen Museums. Gut zu erkennen: Der „Cardo Maximus“, heute die Hohe Straße, und in Ost-West-Richtung der „Decumanus Maximus“, heute die Schildergasse, Bild: Nicolas von Kospoth
Die Straßen in der CCAA waren, typisch für römische Siedlungen, nach einem Schachbrettmuster angelegt. Durch diese rechtwinklig zueinander laufenden Straßen führten zwei Hauptachsen. Einmal in Nord-Süd-Richtung der „Cardo Maximus“, heute die Hohe Straße, und in Ost-West-Richtung der „Decumanus Maximus“, heute die Schildergasse.
In diesem Schachbrettmuster würde man die „Römische Hafenstraße“ vergeblich suchen. Schlichtweg weil es sie so nicht gab.
Eine „echte“ Römerstraße, hier die Via dell’Abbondanza im Pompeji, Bild: Ralf Drechsler
„Die Straße, die keine ist“
In einem lesenswerten Artikel der Kölschgänger von Ramona Krippner wird diese Straße als „Die Straße, die keine ist“ bezeichnet. Und das trifft den Nagel auf den Kopf! Denn diese Straße gab es nie – zumindest nicht an dieser Stelle.
Tatsächlich wurde diese Straße 1969/1970 bei Bauarbeiten zur Errichtung der Domplatte und der darunter liegenden Tiefgarage entdeckt. Damals lag diese Straße noch etwa sechs Meter versetzt nach Norden – und mitten in der Einfahrt der Tiefgarage.
„Nä – dat wör doch schad drum. Die Stroß künne mer doch nit fottschmieße.“ haben sich die Verantwortlichen gedacht. Und tatsächlich passt das Stück antiker Straße perfekt zum gleich nebenan liegenden Museum. Das Problem war aber, dass sich die Straße exakt in der Einfahrt der Tiefgarage befand. Und dort konnte sie unmöglich verbleiben. Was also tun? Schnell wurde entschieden, ein etwa 33 Meter langes Teilstück der Straße schlichtweg ein paar Meter nach Süden zu versetzen, auf den kleinen freien Platz neben dem Museum. Problem gelöst: Et kütt wie et kütt!
Die markierten Steine der „Römischen Hafenstraße“ vor dem Regen, Fotograf: unbekannt
Die kölsche Variante einer römischen Straße
Sogleich ging man an die Arbeit, markierte die Steine mit Nummern, um diese auch exakt so wieder zusammensetzen zu können. Danach wurden die Steine auf Paletten gelegt – und erstmal Feierabend gemacht.
Am nächsten Morgen war die Bestürzung groß: In der Nacht hatte es geregnet. Zum Schutz der Steine wurden die Nummern mit Kreide markiert. Allerdings sind Kreide und ausgiebiger Regen keine gute Kombination. Das Ergebnis: Alle Nummern waren abgewaschen und niemand konnte mehr sagen, wie das Puzzle aus Hunderten von Steinen zusammengesetzt werden sollte.
Und da kam der kölsche Pragmatismus ins Spiel: „Dat is doch ejal. Wie su en römisch Stroß ussjesinn hat, kann doch hück keiner mieh saare.“ So wurde die Straße in der kölschen Variante wieder aufgebaut: Riesige Fugen, extrem uneben, nicht befahrbar und nur sehr eingeschränkt begehbar. Ävver: Et hätt noch immer joot jejange.
Römische Baumeister, die immerhin Arenen für bis zu 50.000 Besucher, ein gigantisches Straßennetz quer durch Europa oder Wasserleitungen mit einem perfekt ausgetüftelten Gefälle über hunderte von Kilometern gebaut haben, würden über diese Straße nur den Kopf schütteln.
Sanierung des Museums als Hoffnungsschimmer
Es bleibt die Hoffnung, dass man sich mit der anstehenden Sanierung des Römisch-Germanischen Museums auch der „Römischen Hafenstraße“ annimmt und diese noch einmal neu verlegt.
Dann würde auch Artikel 5 des „Kölschen Grundgesetzes“ gelten:
„Et bliev nix wie et wor.“
Das Richter-Fenster am Kölner Dom, Bild: Raimond Spekking
Mittags, von etwa 12 Uhr bis 13 Uhr, bei gutem Wetter mit Sonnenschein, ist die Wirkung am stärksten: Das bunte Licht „fällt“ in die Kathedrale, wandert über den Boden und umspielt die massiven Säulen der gigantischen Kathedrale. Das Richter-Fenster im Dom ist vielleicht der Höhepunkt eines Besuchs im Dom. Farbige Lichtpunkte versetzen die Besucher in Erstaunen. Die Kombination aus der majestätischen Kathedrale und dem bunten Licht ist ein echtes Erlebnis.
Meisner: „Eher ein Fenster für eine Moschee“
Unter den Namen „Südquerhausfenster“ kennt kaum einer dieses Kunstwerk. Alle sprechen vom Richter-Fenster. Der Künstler Gerhard Richter (geb. 1932) hat das Fenster entworfen. Und damit zunächst alle vor den Kopf gestoßen.
Der damalige Erzbischof von Köln, Kardinal Joachim Meisner, meinte, dass das Fenster „eher in eine Moschee oder ein anderes Gebetshaus“ passen würde, aber nicht in eine gotische Kathedrale. Seine Abneigung ging so weit, dass er plante, seinen Bischofsstuhl im Dom umsetzen zu lassen, um nicht auf das von ihm so verhasste Fenster blicken zu müssen. Nur durch gutes Zureden vom Dompropst Norbert Feldhoff konnte der sture Meisner von dieser Idee abgebracht werden.
Rekonstruktion der zerstörten Fenster unmöglich
Geistige Urheberin der Idee, Richter das Fenster gestalten zu lassen, war die Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner. Sie hatte, mit Beginn ihrer Amtszeit im Jahr 1999, vom Domkapitel den Auftrag bekommen, die Neuverglasung des Domquerhauses in Angriff zu nehmen.
Seit dem zweiten Weltkrieg war dort nur eine Notverglasung angebracht: Helle Scheiben mit Ornamenten, die vielleicht einer etwas in die Jahre gekommenen Kneipe angemessen waren. Aber nicht dem wunderbaren Dom.
Das ursprünglich dort angebrachte Fenster zeigte drei Könige und drei Bischöfe. Dieses Fenster wurde bei den Bombenangriffen auf Köln zerstört und konnte nicht wiederhergestellt werden: Die Vorlage der Abbildung lagerte in Berlin und war dort verbrannt, so dass eine Rekonstruktion unmöglich war. Was sich nachträglich als Glück herausstellen sollte.
Erste Ideen, das Fenster mit Bildern von Märtyrern des 20. Jahrhunderts zu gestalten, erwiesen sich als nur sehr schwer realisierbar: Die ausgewählten Personen, darunter die Nonne Edith Stein und Pater Maximilian Kolbe, trugen schwarze Ordensgewänder. Und eine große Fläche mit schwarzem Glas bezeichnete Schock-Werner als „denkbar unglückliches Ansinnen“. Zudem stellte sich die Frage, wie riesige Portraits in etwa 30 Metern Höhe wirken sollten.
Detailansicht des Richters-Fensters, Bild: Geolina163, CC BY-SA 3.0
11.263 Farbquadrate
So kam es, dass die Dombaumeisterin bei einem Empfang eher zufällig auf Gerhard Richter stieß. Und ihn bei einem Glas Sekt ungeniert fragte, ob er nicht die Gestaltung des Fensters übernehmen könnte. Richters direkte Antwort: „Ich kann das ja mal probieren. Aber damit das gleich klar ist: Dafür werde ich kein Geld nehmen.“
Und Richter machte sich an die Arbeit. Nach einem halben Jahr präsentierte er die ersten Entwürfe: Der Künstler hatte eine Reproduktion seines Bildes „4096 Farben“ zerschnitten und hinter das Maßwerk der Fenster geklebt. Farbige Quadrate, scheinbar willkürlich hinter einem gotischen Kirchenfenster. Barbara Schock-Werner war fassungslos, das Domkapitel zunächst konsterniert: Farbige Quadrate statt figürliche Darstellungen von Heiligen?
Erst 18 Entwürfe und vier Jahre später waren nicht nur die Dombaumeisterin sondern auch das Domkapitel überzeugt: Das 106 Quadratmeter große Fenster wurde mit insgesamt 11.263 Farbquadraten in Bierdeckelgröße in 72 Farben gestaltet. Die Auswahl der Farben orientierte sich an den Farben, die in bereits bestehenden Fenstern des Doms verwendet wurden.
Die einzelnen Quadrate wurden nach dem Zufallsprinzip angeordnet, wobei Wiederholungen und Spiegelungen von Richter ausdrücklich vorgesehen waren. So spiegeln sich die Bahnen eins und drei, zwei und fünf sowie vier und sechs.
An einigen wenigen Stellen korrigierte Richter die zufällige Verteilung, um eine Gegenständlichkeit zu vermeiden, wie etwa eine durch blaue Quadrate gebildete Ziffer „1“ im unteren Bereich.
Strenge Geometrie
Gerhard Richter arbeitete wie versprochen ohne Honorar, trotzdem mussten die Herstellungskosten von etwa 370.000 Euro aufgebracht werden. Das Domkapitel ging dafür kötten und etwa 1.200 Spender finanzierten das neue Fenster.
Dann ging es an die konkrete Umsetzung und den Einbau des Fensters. Kein leichtes Unterfangen, denn die einzelnen Quadrate mussten exakt zueinander ausgerichtet werden. Sollte auch nur ein kleiner Versatz entstehen, würde das bei der zugrundeliegenden strengen Geometrie sofort auffallen.
Das Richter-Fenster „malt“ bunte Farben in den Dom, Bild: Geolina163, CC BY-SA 3.0
Grandiose Wirkung
Bis zur feierlichen Einweihung des Fensters stieg die Spannung in der gesamten Stadt. Die Baustelle war durch eine Plane abgedeckt, nach dem Einbau verhinderte ein schwarzer Vorhang den Blick auf das Fenster.
Als der Vorhang am 25. August 2007 fiel1Kardinal Meiser war bei der feierlichen Einweihung nicht dabei – er hatte sich an diesem Tag eine Dienstreise nach Polen gegönnt., fielen auch Barbara Schock-Werner und Gerhard Richter ganze Felsbrocken vom Herzen. Die Wirkung des Fensters war vom ersten Moment an grandios – und ist es heute noch.
Schock-Werner dazu: „Rund 80 Prozent aller Besucher im Dom finden das Richter-Fenster ganz toll und kommen immer wieder, um zu gucken. Viele Fans kommen sogar zu unterschiedlichen Zeiten, um das Fenster in verschiedenen Lichtsituationen zu erleben.“
Und das solltet ihr auch tun! Am besten mittags zwischen 12 und 13 Uhr, wenn die Sonne genau ins Fenster scheint.
Erinnerung an Karneval?
Böse Zungen behaupten, das Richter-Fenster würde den Kölschen nur deshalb so gut gefallen, weil es sie an ein beliebtes Karnevalskostüm erinnert: `Ne Lappenclown. Ist natürlich Quatsch. Wobei …
Und? Erkennst du diesen Platz? Das ist der Barbarossaplatz um 1900
Die Band Querbeat hat dem Barbarossplatz ein Lied gewidmet. Der Text passt fast perfekt:
„Guten Morgen Barbarossaplatz Bist du auch noch wach? Hast du auch die letzte Nacht wieder durchgemacht?“
Korrekt müsste es aber heißen „Hast du auch die letzten Jahre wieder durchgemacht?“. Denn so sieht er aus: verbraucht, dreckig, runtergekommen. Eben genau so wie jemand, der jahrzehntelang einfach durchgemacht hat. Der Barbarossaplatz ist, so der ehemalige Stadtkonservator Ulrich Krings in einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers 1Kölner Stadt-Anzeiger vom 12.09.2019„der am meisten vernachlässigste Platz der Stadt“.
Okay, zugegeben: In unserer leider an vielen Stellen hässlichen Stadt gibt es noch eine ganze Reihe anderer Anwärter auf den Titel „Schrecklichster Platz“. Der Ebertplatz ist mit Sicherheit weit vorne, aber auch der Breslauer Platz, der Neumarkt oder die Domplatte sind in den Top Ten. Angeführt wird diese aber eindeutig vom Barbarossaplatz.
Was macht einen Platz aus?
Plätze haben in einer Stadt spezielle Funktionen. Der Stadtplaner Dr. Ulrich Hatzfeld dazu 2 In einem Beitrag zu „Stadt macht Platz – NRW macht Plätze, Dokumentation Landeswettbewerb 2004/05“, https://stadtbaukultur-nrw.de/site/assets/files/1561/stadtmachtplatz2004_dokumentation.pdf: „Plätze als städtebauliche Kunstwerke, als Gegenstand des städtebaulichen Denkmalschutzes, als innerstädtische Freiräume, als Orte der sozialen und ethnischen Integration, als politische Bühnen und vieles mehr.“
Betrachtet man den Barbarossaplatz, versagt dieser in jeglicher Dimension: Kein Kunstwerk, kein Denkmalschutz, definitiv kein Freiraum, von sozialer und ethnischer Integration Lichtjahre entfernt und als politische Bühne unbrauchbar. Barbarossaplatz: Sechs, setzen.
Och, wat wor dat fröher schön.
Tatsächlich was das nicht immer so. Betrachtet man Fotos längst vergangener Zeit, so war der Barbarossaplatz tatsächlich mal schön. Mit einem Springbrunnen in der Mitte, Platz zum Flanieren, Bäumen und schönen Gebäuden.
Der Barbarossaplatz um 1890
Der Barbarossaplatz war Teil einer ganzen Reihe von attraktiven Plätzen, die durch den Ausbau der Ringe entstanden sind. Der Abriss der mittelalterlichen Stadtmauer um das Jahr 1880 schaffte dringend benötigten Platz, um an der Stelle des ehemals freien Schussfelds einen Prachtboulevard zu errichten – die Ringe entstanden. An den Stellen, wo die großen Ausfallstraßen die Ringe kreuzten, wurden Plätze geschaffen. So entstanden unter anderem der Rudolfplatz, der Ebertplatz und auch der Barbarossaplatz.
Dieser wurde am 10. Mai 1883 eingeweiht und benannt nach Friedrich I., einem Stauferkaiser. Gut, dass dieser Kaiser (wegen seines roten Barts „Barbarossa“ genannt) bereits 1190 starb. Ansonsten würde er wohl kaum zulassen, dass sein Name für die Scheußlichkeit von Platz missbraucht wird.
Wachsender Verkehr und Nachkriegsarchitektur
Allerdings sorgte nicht erst die Zerstörung der Stadt im zweiten Weltkrieg und der Wiederaufbau für die Verschandelung des Platzes. Bereits in den 1930er Jahren veränderte sich der Barbarossaplatz. Zugunsten des wachsenden Verkehrs wurde aus der Grünfläche ein Kreisverkehr, Straßenbahnen kreuzten den Platz.
Der Neuaufbau nach dem Krieg gab dem Barbarossaplatz dann den Rest. Ulrich Krings3Kölner Stadt-Anzeiger vom 12.09.2019 dazu: „Das Konzept der autogerechten Stadt … ist hier ganz brutal zum Tragen gekommen.“ Niemand, so Krings, habe sich um die Randbebauung gekümmert. „Es wimmelt hier nur so von Scheußlichkeiten“. Recht hat er.
Impressionen vom Barbarossplatz
Kein Platz, eher eine große Kreuzung
Heute ist vom Platzcharakter nichts mehr übrig. Der Platz ist eine gigantische große Kreuzung. Immerhin sieben Straßen kreuzen sich hier und vier Stadtbahnen-Linien überqueren den Barbarossplatz. Wer einmal versucht hat, diesen Platz zu Fuß zu überqueren, wird auch im Verkehr von Neapel, Istanbul oder Kairo überleben. Alle Pläne einer Neugestaltung, wie zum Beispiel die Straßenbahn unter die Erde zu legen, wurden aus finanziellen Gründen nicht weiterverfolgt.
Kein Wunder, dass es in dem Song von Querbeat auch lautet:
„Die Nacht sieht man uns an, alle Farben im Gesicht Barba so bist du, und so bin ich“
Der Garten der Religionen – Ruheoase mitten in der Großstadt, Bild: Uli Kievernagel
Oase der Ruhe in der (fast unmittelbarer) Nähe: Der Garten der Religionen
Gerade mal 400 Meter Luftlinie vom Barbarossaplatz entfernt liegt einer einem der schönsten und zugleich unbekanntesten Plätze der Domstadt: Der „Garten der Religionen“.
Die „Schönheit Kölns“ in der Stunksitzung
Auch die Stunksitzung legt den Finger in die Wunde: In der Nummer „Der andere Rieu“ aus dem Jahr 2018 wird die (vermeintliche) „Schönheit Kölns“ besungen. (Danke an Marlies für diese Ergänzung! )
Querbeat, Bild: Scanjetter, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Dann Bar, Bar, Kneipe, Bar Nichts muss und alles kann Das soll niemals aufhören, zu gut ist diese Zeit Egal wohin es geht, ich bin dabei
Jetzt schon ins Bett zu gehen wär‘ viel zu easy, zu easy Ich hol‘ mir auf die Hand noch schnell ’n Cheesy ’n Cheesy, oh Ich leb‘ im größten Dorf, das niemals schläft Erzähl es deinem Chef, uh
Guten Morgen Barbarossaplatz Bist du auch noch wach? Hast du auch die letzte Nacht wieder durchgemacht? Guten Morgen Barbarossaplatz Bist du auch noch wach? Meine Drinks gehen hoch und ich leg‘ nochmal los Und ich mach‘ den Tag zur Nacht Und alle machen Stippefott
Die gelben Schiffe hupen die graue Stunde weg Alles rausgehauen für’n guten Swag Die Nacht sieht man uns an, alle Farben im Gesicht Barba so bist du und so bin ich
Feuerwasser, Dancen und Matrazensport sind genau mein Ding Feuerwasser, Dancen und Matrazensport sind genau mein Ding Erzähl das deinem Chef, uh
Guten Morgen Barbarossaplatz Bist du auch noch wach? Hast du auch die letzte Nacht wieder durchgemacht? Guten Morgen Barbarossaplatz Bist du auch noch wach? Meine Drinks gehen hoch und ich leg‘ nochmal los Und ich mach‘ den Tag zur Nacht
Und alle machen Stippefott
So sexy Links, rechts, links, rechts Und alle machen Stippefott So sexy Links, rechts, links, rechts
Guten Morgen Barbarossaplatz (guten Morgen Barbarossaplatz) Bist du auch noch wach? (bist du auch noch wach?) Hast du auch die letzte Nacht wieder durchgemacht? (ooh oh) Guten Morgen Barbarossaplatz (guten Morgen Barbarossaplatz) Bist du auch noch wach? (bist du auch noch wach?)
Meine Drinks gehen hoch und ich leg‘ nochmal los Und ich mach‘ den Tag zur Nacht
Guten Morgen Barbarossaplatz Ooh oh
Meine Drinks gehen hoch und ich leg‘ nochmal los Und ich mach‘ den Tag zur Nacht
Und alle machen Stippefott So sexy Links, rechts, links, rechts Und alle machen Stippefott So sexy Links, rechts, links, rechts
Film „Über Barbarossaplatz“
Der WDR hat mit „Über Barbarossaplatz“ dem Platz auch den passenden Film gewidmet. In diesem 2016 gedrehten Film fühlt sich die Psychologin Greta nach dem Selbstmord ihres Mannes mitschudig an dessen Tod.
Caroline Ströbele schreibt dazu in der Zeit Online4Zu hart für die Couch – Über Barbarossaplatz bei Zeit Online, abgerufen am 27. April 2017: „Köln hat die interessanteste Rolle in diesem Film. Die Stadt ist lärmig und aggressiv, keine Spur Kölner Fröhlichkeit. Der Verkehrslärm des titelgebenden Barbarossaplatzes übertönt jedes Gespräch, die Menschen sind brutal, überall wird geschoben und gedrängelt, es ist immer zu voll und zu laut.“
Christian Buß schreibt auf spiegel.de zu „Über Barbarossaplatz“: „In „Über Barbarossaplatz“ geht es mit den Psychos und Psychotherapeuten nun durchs zerklüftete Köln. Den nervösen Puls des Films geben Freejazz und Gabber-Techno vor, der Soundtrack stammt von Kölner (und Düsseldorfer) Künstlern um die Bands Colorist und Stabil Elite. Mitten im Driften und Dröhnen durchs Verkehrschaos Kölns wird der Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann zitiert, der – ausgerechnet – in London bei einem Verkehrsunfall gestorben ist; oder es wird am Tresen über Rainer Werner Fassbinders Fernsehserie „Acht Stunden sind kein Tag“ gequatscht, die ebenfalls in Köln spielt. Ein bisschen Orientierung für all die Unbehausten in diesem etwas anderen Heimatfilm.“
In der Frankfurter Rundschauscreibt D.J. Frederiksson: „Auch der Titel mit seiner Verortung im innenstädtischen Köln ist kein Zufall. Die Umgebung, die sonst beim Filmemachen so gründlich wie irgend möglich ausgesperrt wird, lädt Bonny herzlich in seinen Film ein. Babygeschrei, Stadtbahnrattern, Handyklingeln und immer wieder Straßenrauschen – selbst in den intimsten Therapieszenen ist die Stadt als Nebenfigur stets präsent. Als hässlich verbaute, lärmende Nebenfigur.
All das sorgt für einen Realismus, der der üblichen TV-Ästhetik einen Zerrspiegel vorhält: Schaut her, so sehen echte Tragödien aus, wenn sie echten Menschen in einer echten Stadt passieren. Möglich ist das natürlich nur durch das herausragende Spiel der Darsteller. Dass Bibiana Beglau zu den Großen im Charakterfach gehört, wusste man. Bei Joachim Król vergaß man das früher manchmal, hier aber wird man mal wieder eindrücklich daran erinnert. Und Franziska Hartmann, die bisher nur am Thalia auffiel und mit dieser Tour de Force ihr TV-Debüt gibt, muss als veritable Entdeckung gelten. Selbst wer vor provokativen Themen wie sexueller Erniedrigung oder vor dem anspruchsvollen Stil zurückschreckt, sollte sich allein wegen dieser Schauspielleistungen den Film anschauen.“
Bei Hochwasser gab es einen zweiten Verlauf des Rheins östlich von Deutz. Ein große Gefahr für die Stadt Köln. Karte: OpenStreetMap
Es wäre für die Stadt Köln eine Katastrophe gewesen! Der Rhein fließt nicht im gewohnten Flussbett, sondern sucht sich einen neuen Verlauf. Statt westlich verläuft der Fluss auf einmal ab Poll östlich an Deutz vorbei, um dann erst in Mülheim ins alte Flussbett zurückzukehren.
Klingt aberwitzig – aber diese Gefahr drohte ab ca. dem 12. Jahrhundert. Und es passierte bereits vereinzelt bei Hochwasser und Eisgängen: In Köln kam nur noch ein flaches Rinnsal an, der Fluss suchte sich ein neues Bett. Höchste Alarmstufe für die Stadt, denn damit war die grundsätzliche Schiffbarkeit des Rheins gefährdet und somit Kölns Wohlstand. Ohne den Handel, welcher zum größten Teil über den Rhein abgewickelt wurde, und ohne das äußerst lukrative Stapelrecht wäre Köln bedeutungslos geworden.
Köln ohne Rhein? Undenkbar!
Daher wurde bereits seit dem 12. Jahrhundert das Poller Rheinufer befestigt, um eine solche „Umleitung“ zu verhindern. Durch Anpflanzungen und Dämme entlang der heutigen Poller Wiesen sollte verhindert werden, dass Köln vom Rheinstrom abgeschnitten würde.
Problematisch war allerdings, dass Poll damals noch nicht zur Stadt gehörte, sondern zu den Besitztümern des Erzbischofs, mit dem die Kölner regelmäßig im handfesten Streit lagen. Doch auch der Erzbischof war nicht daran interessiert, dass Köln seinen Rang als Handelsmetropole verlieren könnte. Großzügig erlaubte der Kirchenmann, dass die Kölner Weiden zur Uferbefestigung auf seinem Grund pflanzen durften – allerdings auf Kosten der Kölner Bürgerschaft.
Ausschnitt aus einer Federzeichnung von 1583 mit den „Poller Köpfen“, Bild: Stadtarchiv Köln
Mammutprojekt „Poller Köpfe“
Doch diese Uferbefestigung war nicht stark genug, um bei Hochwasser nachhaltig eine mögliche Veränderung des Flussbettes zu unterbinden. Daher nahm die Stadt Köln im Jahr 1557 das Poller Ufer in Erbpacht, um ein Mammutprojekt in Angriff zu nehmen: Die „Poller Köpfe“. Auch hier bat der Erzbischof die Kölner kräftig zur Kasse: Die Pachtzahlung bestand in zwei Tonnen Heringen pro Jahr und zusätzlich in einem vergoldeten Geschirr – und für jeden neuen Erzbischof auch ein neues Goldgeschirr.
Ab 1560 begannen die Bauarbeiten. Es wurden schwere Uferbefestigungen („Köpfe“) angelegt. Dafür wurden massive Eichenstämme mit Querbalken im Flussgrund befestigt. Die so entstanden Kästen wurden mit Basaltbrocken gefüllt. Die Dimensionen dieser Anlage waren gewaltig: Mehrere Hundert Meter lange und etwa acht Meter breite Konstruktionen, welche bis zu 3 Meter aus dem Wasser herausragten. Zur Beschaffung des nötigen Bauholzes erwarb die Stadt Köln ein eigenes Waldgrundstück.
Um das Bollwerk gegen die Kräfte des Rheins noch weiter zu sichern, wurden alte und beschädigte Rheinschiffe angekauft und – beschwert mit Steinen und gesichert durch in den Boden getriebene Eichenpfähle – gezielt unmittelbar vor den Poller Köpfen versenkt. Damit die Pflege des Bauwerks gesichert war, stellte die Stadt eigens einen „Weidenhüter“ ein: Ein städtischer Beamter mit Wohnsitz auf der Anlage, der diese ständig im Blick hatte.
Im Jahr 1641 wurde ein steinernes Wehr zur Unterstützung der Anlage eingebaut. Aber erst mit Bau des Deutzer Hafens ab 1895 wurden die weit in den Rhein ragenden Bestandteile der Poller Köpfe entfernt und durch moderne Befestigungsanlagen ersetzt. Die Halbinsel „Poller Werth“ wurde zum Deutzer Hafen.
Die Poller Wiesen heute, rechts der Deutzer Hafen, Bild: ToLo46, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Poller Wiesen sind heute Bodendenkmal
Als Uferbefestigung sind heute nur noch die in den Rhein ragenden Buhnen auf den Poller Wiesen zu sehen, die Reste der „Poller Köpfe“ liegen unter den Poller Wiesen.
Diese sind nicht nur ein beliebtes Erholungsgebiet, sondern auch als Bodendenkmal geschützt. Im Jahr 2003 wurden dort bei Niedrigwasser zwei im 16. Jahrhundert gezielt zur Verstärkung der „Poller Köpfe“ versenkte „Niederländer“1Ein spezieller Schiffstyp zum Frachttransport auf dem Rhein. gefunden. Doch die Archäologen kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus: Bei Probegrabungen stellte sich heraus, dass bis zu 100 weitere Schiffe dort gezielt versenkt wurden.
Sogenannte „Niederländer“ für Fahrten auf dem Rhein bis zur Nordsee, Bild: Ausschnitt aus der Stadtansicht von Anton Woensam, 1531
Als dann noch Kampfmittelräumer die Poller Wiese für den Papstbesuch anlässlich des Weltjugendtags 2005 in Köln – der Papst hielt vom Schiff aus eine Ansprache für die auf den Poller Wiese versammelten Gläubigen – auf eventuell im Schlick verborgene Weltkriegsbomben untersuchten, fanden sie auch mit Hilfe der dabei eingesetzten Metalldetektoren Teile der alten Befestigungsanlagen der „Poller Köpfe“, wie Eisenschuhe zur Verankerung der Eichenbalken. Daher wurden die Poller Wiesen am 24. Oktober 2005 in die Bodendenkmalliste eingetragen.
Der Papst beim Weltjugendtag 2005 in Köln. Die Gläubigen im Vordergrund stehen auf den Poller Wiesen, Bild: Ingrid Schultz, Copyrighted free use, via Wikimedia Commons
Und wenn man sich heute bei gutem Wetter auf den Poller Wiesen sonnt und den Drachen, die dort regelmäßig steigen, zusieht, ahnt man kaum, dass genau hier massive Uferbefestigungen gestanden haben. Ohne diese wäre Köln eventuell vom Rhein abgeschnitten worden.
Ein Thekenschaaf im „Brauhaus Krüzge“ vor 1907, Bild: Edmund Renard †1932, Public domain, via Wikimedia Commons
Nein – Wolle gibt es im „Thekenschaaf“ nicht. Und auch essen kann man es nicht. Aber man findet es da, wo et jet zo süffele und zo müffele gibt: In einem Kölner Brauhaus.
Manche Menschen nennen das Thekenschaaf auch „Kontörchen“ oder „Beichtstuhl“ – doch hier werden ganz bestimmt keine Sünden vergeben! Das Thekenschaaf ist der Sitz- und Arbeitsplatz des Gastwirts und gehört, genau wie ein frischgezapftes Kölsch, die Fooderkaat und der Köbes zu einem echtem kölschen Brauhaus.
Ein solches Thekenschaaf ist ein kleines Büro, aus dem früher die Geschäfte des Brauhauses geführt wurden. Aber dort wurde nicht nur das Geld gezählt, sondern auch den Köbessen und den Gästen genau auf die Finger geschaut.
Das Thekenschaaf in der Schreckenskammer, Bild: Horsch, Willy, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons
Wortherkunft: „Verschließbarer Schrank“
Um den Begriff „Thekenschaaf“ zu erklären, lohnt sich wie immer ein Blick in den Wrede. Dort lautet es:
„… Schaaf, ein Behälter, in dem notwendige Dinge wie Lebensmittel, Kleidungsstücke u. dgl. aufbewahrt u. bereit gehalten werden, ist seit dem Mittelalter allmählich zu der Bedeutung verschließbarer Schrank entwickelt…“
Und wenn man sich ein Thekenschaaf genau ansieht, hat es tatsächlich die Anmutung eines Schranks, allerdings mit Fenstern und einem oder zwei Sitzplätzen. Und diese Fenster sind äußerst wichtig, denn der Wirt muss von diesem Arbeitsplatz aus alles im Blick behalten. Deshalb war das Thekenschaaf früher auch genau zwischen der „Schwemme“, dem Stehplatzbereich, und der eigentlichen Gaststube platziert.
Der typische Grundriss einer kölschen Gaststätte ab dem 17. Jahrhundert. Das Thekenschaaf ist genau zwischen Schwemme und Gaststube platziert. Bild: gemeinfrei
Genau zwischen Schwemme und Gaststube platziert
Es ist kein exaktes Datum bekannt, wann das erste Thekenschaaf eingebaut wurde. Allerdings sind solche „Kontörchen“ (vom französischen „comptoir“ = „Zahltisch“) ab dem 17. Jahrhundert bekannt. Denn der typische Grundriss einer der zahlreichen kölschen Hausbrauereien zeigt, dass die „Schwemme“, der reine Schankbereich, und die eigentliche Gaststube getrennt waren.
Diese strikte Trennung war erforderlich, da es bestimmten Personengruppen verboten war, die Gaststube zu betreten. Zu diesen unerwünschten Personen gehörten unter anderem:
der Henker und seine Knechte,
die Abdecker und auch
die Stadtsoldaten.
Diese Personen durften sich nur im Hausflur der Gastwirtschaften aufhalten und mussten dort ihr Bier im Stehen trinken. Zwar wurden mit dem Einmarsch der Franzosen im Jahr 1794 diese Verbote aufgehoben, faktisch setzte sich aber fort, dass je nach „Klasse“ die Gaststube oder die Schwemme aufgesucht wurde.
Das Thekenschaaf im „Kölsche Boor“ wird noch als Arbeitsplatz genutzt, Bild: Horsch, Willy, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons
Der Gastwirt konnte vom Thekenschaaf aus genau die Köbesse und Gäste beobachten. Außerdem wurden von hier aus die Köbesse kontrolliert: Diese erwarben oder bekamen Biermarken, kleine Metallmarken und mussten für jedes servierte Bier eine dieser Marken abgeben. Dies hatte für den Wirt einen doppelten Effekt: Erstens konnte er die Umsätze seiner Köbesse genau prüfen, ein „Lappöhrche“ war so nicht möglich.
Zweitens wurde durch die aufgeschichteten Marken klar, wieviel Bier aus einem Fass bereits ausgeschenkt wurde und wann ein neues Fass angeschlagen werden musste. Daher fand man am Thekenschaaf oft einen Schlitz für diese Biermarken, ähnlich wie bei einem Fahrtkartenschalter.
Sieht aus wie ein Fahrkartenschalter: Das Thekenschaaf in der Malzmühle, Bild: Horsch, Willy, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons
Wrede schreibt dazu: „Se passe op alles op un mache Häufjer, schichten die Jröschelcher un Märkelcher openander“1„Sie passen auf alles auf und machen Häufchen, schichten Groschen und Markstücke aufeinander“, Eintrag im Wrede zum Begriff „Theke“.
Das Thekenschaaf im Sünner, Bild Gordito1869, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
Doch im Thekenschaaf wurde noch mehr aufbewahrt: Hochwertige Spirituosen wurden von dort an die Köbesse ausgegeben, außerdem auch Zigarren, Essig oder Öl. Gleichzeitig wurde im dem winzigen Kontörchen auch alles Mögliche für den täglichen Bedarf aufbewahrt: Essbesteck, Büromaterial, Schlüssel. Zusätzlich war das Thekenschaaf auch oft im wahrsten Sinne des Wortes die „Schaltzentrale“, denn hier wurden Lichtschalter und Sicherungen eingebaut.
Gesellschaftlicher Mittelpunkt
Da das Thekenschaaf ständig besetzt war, konnte es auch zum gesellschaftlichen Mittelpunkt der Gaststätte werden. Oft befanden sich die Stammtische in unmittelbarer Nähe, so war der direkte Gast-Wirt-Kontakt sichergestellt. Der Verband Deutscher Architekten und Ingenieure-Vereine schreibt 1888:
„Dieser so genannten Theke zunächst hatten gemeinlich die Stammgäste, die mancherlei Vorrechte genossen, ihren bestimmten Tisch (der alte Stammgast war stets eine Art Familienmitglied).“2Köln und seine Bauten, Festschrift zur VIII. Wanderversammlung des Verbandes Deutscher Architekten und Ingenieure-Vereine in Köln vom 12. bis 16. August 1888, Köln, 1888, S. 611–612.
Im Thekenschaaf wurden nicht bezahlte Deckel aufgehoben, Beschwerden über unfreundliche Köbesse entgegengenommen oder auch der außer-Haus-Verkauf, zum Beispiel von Pittermännchen, organisiert und abgerechnet.
Das Thekenschaaf in der Gaststääte „Em Krützche“ ist heute ein Mini-Gastraum für zwei Personen. Bild: Horsch, Willy, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons
Moderne Kassensysteme machen Thekenschaaf überflüssig
Mittlerweile haben elektronische Registrierkassen die ursprünglichen Abläufe im Thekenschaaf überflüssig gemacht. Übrig bleiben diese kleinen Räume als Mini-Büro oder sie werden sogar, wie „Em Krützche“ als kleiner Gastraum genutzt – für gerade mal zwei Personen.
Na dann: Prost!
Auch im Peters-Brauhaus wird das Thekenschaaf heute für Gäste genutzt. Bild: Horsch, Willy, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons
Die Kalker Hauptstraße um 1905, Bild: Historisches Archiv der Stadt Köln, Außenstelle Porz
Im Köln-Ding der Woche„Kölsche Stadtteile Kalk – Teil 1“ging es um die Entwicklung Kalks bis zur Verleihung der Stadtrechte im Jahr 1881. Dieser zweite Teil beschreibt die Entwicklung dieses Stadtteils bis heute.
Umbruch im Ersten Weltkrieg
Der Erste Weltkrieg führte ab 1914 zu einer Zäsur in der Entwicklung Kalks. Die Produktion der florierenden Industrie wurde auf kriegswichtige Güter umgestellt. Die Chemische Fabrik Kalk produzierte Sprengstoffe und Munition, die verschiedenen Maschinenbaubetrieben produzierten Rüstungsgüter. In den anderen Betrieben herrschte akuter Rohstoffmangel – die Produktion kam zum Erliegen.
Die Lebensmittelversorgung wurde rationiert, nur durch mobile „Gulaschkanonen“ konnte die Versorgung sichergestellt werden. Der daraus resultierende Unmut der Bevölkerung führte zu Streiks in den Betrieben. Höhepunkt war der 6. Juli 1917. An diesem Tag streikten mehr als 12.000 Arbeitnehmer in Kalk und Deutz. Um die Produktion der kriegswichtigen Güter nicht zu gefährden, erfüllten die Arbeitgeber die Forderungen der Streikenden.
Nach dem Krieg war die Umstellung der Produktion auf zivile Güter schwieriger als gedacht. Rohstoffe waren weiterhin Mangelware. Zusammen mit der hohen Inflation ab 1922 geriet auch in Kalk die Industrie in eine schwere Krise. Die Folge waren Massenarbeitslosigkeit und soziale Unruhen. Erst mit der Einführung der Rentenmarkt im Jahr 1923 und neuen Produktionsmethoden wie Fließbandarbeit erholten sich die Betriebe.
Blick in den Maschinensaal der Kalker Fabrik Mayer & Cie, (1913), Bild: Wilhelm Wendlandt : Die deutsche Industrie (1888-1913)
Kalk im Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg
Bilz verweist auf die vergleichsweise niedrigen Wahlergebnisse für die NSDAP in Kalk. Die klassischen Arbeiterviertel in Kalk, wie z.B. an der Kalk-Mülheimer Straße oder der Vietorstraße wiesen hohe Stimmenanteile der Arbeiterparteien KPD und SPD auf.
Anders, so Bilz, verhielt sich das bei den Unternehmern in Kalk. Diese kooperierten mit den braunen Machthabern und konnten so, auch durch den Einsatz von Zwangsarbeitern, stark profitieren. Wie schon vor dem Ersten Weltkrieg wurden wieder vermehrt Rüstungsgüter produziert. So baute man bei Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) neben Lokomotiven auch Motoren für Panzer und U-Boote.
Durch diese Rüstungsproduktion war Kalk ein Hauptziel der Bombenangriffe auf Köln. Bei einem Angriff in der Nacht vom 3. auf den 4. Juli 1943 wurden große Teile des KHD-Werkes zerstört. Die Bombardierungen zerstörten etwa 90% der Industrieanlagen in Kalk. Die Zivilbevölkerung wurde fast vollständig evakuiert. Bei Kriegsende lebten nur noch etwa 300 Menschen in Kalk.
Volle Auslastung im Wirtschaftswunder
Wie überall mussten nach dem Krieg auch in Kalk zunächst die Trümmer weggeräumt werden. Riesige Schuttmassen wurden abgefahren, so entstand auch der „Vingster Berg“, einer der zahlreichen Trümmerhügel in Köln. Schnell wurde auch wieder mit der Produktion begonnen und die durch Bomben zerstörten Wohnhäuser wieder aufgebaut, um die benötigen Arbeiter unterzubringen.
Ehemalige Fabrikationshalle von Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) in Köln-Kalk, Bild: Rolf H., Public domain, via Wikimedia Commons
In den Wirtschaftswunder-Zeiten wuchs Kalk wieder, die Betriebe waren voll ausgelastet. Aus Mangel an einheimischen Arbeitskräften wurden Gastarbeiter angeworben. Der Anteil der Migranten in Kalk stieg, durch günstige Mieten und die vielen Arbeitsplätze, rasch an. Anders als in der Vorkriegszeit waren in Kalk jetzt vorrangig zwei Branchen vertreten: Metallverarbeitende Betriebe und die chemische Industrie.
Der Kalkberg im März 2016 mit der Hubschrauberstation, Bild: Raimond Spekking & Elke Wetzig / CC BY-SA 4.0
Auch in Kalk waren in diesen Zeiten die Fragen des Umweltschutzes zweitrangig. So hat die Chemische Fabrik Kalk bis 1972 Abfälle aller Art so lange aufeinander geschüttet, bis der gut 30 Meter hohe Kalkberg entstanden ist. Was genau dabei alles verklappt wurde, kann heute niemand mehr sagen. Der Versuch, auf dem Kalkberg eine Station für Rettungshubschrauber einzurichten ist gescheitert. Aktuell laufen die Bemühungen einer Bürgerinitiative, den Kalkberg als Naherholungsgebiet freizugeben.
Rezession ab Mitte der 1970er, U-Bahnbau Kalker Hauptstraße
Ab etwa der Mitte der 1970er Jahre setzte auch in Kalk eine massive Rezession ein. Betriebe wie die Metallgießerei Peter Stühlen oder die Stahlbaufirma Albert Liesegang wurden Ende der 1970er Jahre geschlossen. KHD baute ab 1983 insgesamt 3.400 Arbeitsplätze ab. 1993 verloren die letzten der ursprünglich 2.400 Beschäftigten bei der Chemischen Fabrik Kalk ihre Arbeitsplätze.
Dieser Niedergang betraf auch den Kalker Einzelhandel – viele Geschäfte mussten schließen. Das Infrastrukturprojekt „U-Bahn-Bau“ auf der Kalker Hauptstraße sorgte dafür, dass die Kalker Hauptstraße bis zur Eröffnung der Strecke im Jahr 1980 über Jahre hinweg eine Großbaustelle war. Der Bau der Strecke verzögerte sich massiv, weil Wasser in die Baugruben drang.
Probleme, die sich in ähnlicher Form bei der Nord-Süd-Stadtbahn etwa 30 Jahre später wiederholen würden und die eine Warnung für den geplanten U-Bahnbau der Ost-West-Strecke am Heumarkt bzw. Neumarkt sein sollten.
Atomschutzbunker in der Haltestelle Kalk-Post
Zusammen mit der U-Bahn wurde auch in der Haltestelle Kalk-Post ein riesiger Bunker angelegt. Dieses, für den „Kalten Krieg“ typische Bauwerk, sollte nach einem Atomangriff fast 2.400 Menschen für 14 Tage Schutz bieten.
Zugang zur Zwischenebene der Haltestelle Kalk Post in Köln-Kalk. Durch die hellen Bodenplatten ist der Bereich erkennbar, an dem dicke Stahltüren das Innere der Haltestelle zum Schutz vor einem Atomschlag hermetisch abgeriegelt hätten. Bild: Katharina Grünwald/Landschaftsverband Rheinland, CC-BY (2020)
Der Kalker Bunker war riesig: Von der U-Bahnhaltestelle sollte ein etwa 75 Meter Gang zu der insgesamt etwa 2.500 Quadratmeter großen Anlage führen. Immerhin eine Fläche so groß wie sechs Turnhallen. Neben dem Kalker Bunker gab es noch eine vergleichbare Anlage im U-Bahnhof Friesenplatz.
Der Vorsitzender der „Kölner Dokumentationsstätte Kalter Krieg“ Robert Schwienbacher weist darauf hin, dass die Nutzung des Bunkers darauf ausgelegt war, dass ein Kriegsgegner seinen Atombombenangriff mindestens 14 Tage vorher ankündigt. Nur dann wäre ausreichend Zeit gewesen, die Betten aufzubauen, Lebensmittel einzulagern und die Öltanks zu befüllen. Und der Bunker hätte auch nur funktionieren können, wenn die Bedienmannschaft der komplexen Anlage rechtzeitig eingetroffen wäre.1„Zivilschutzanlage und Atombunker im U-Bahnhof Kalk Post”. In: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-255072, abgerufen am 30.06.2024
Die Anlage wurde erst im Jahr 2005 offiziell außer Dienst gestellt und ist heute eine Außenstelle des Kölner Festungsmuseums. Eine Besichtigung ist möglich, weitere Infos dazu auf der Website des Kölner Festungsmuseum e.V.,
Das Polizeipräsidium in Kalk, Bild: Raimond Spekking
Vom Industriestandort zum Dienstleistungs- und Verwaltungsstandort
Seit vielen Jahren bestehen massive Anstrengungen, die Attraktivität von Kalk zu erhöhen. Dazu gehören Neubauten wie das große Wohnareal auf dem ehemaligen Gebiet der Chemischen Fabrik Kalk. Um das stark verunreinigte Gelände zu sanieren, unter anderem war der Boden mit Schwefel verseucht, wurde auf etwa 40 Hektar Fläche das gesamte Erdreich abgetragen.
Mit Ansiedlungen wie dem Odysseum, ein Ort für temporäre Ausstellungen, dem Polizeipräsidium am Walter-Pauli-Ring, zahlreichen städtischen Ämtern am Ottmar-Pohl-Platz und auch dem Einkaufszentrum „Köln Arcaden“ auf der Kalker Hauptstraße soll dem Stadtteil eine neue Attraktivität verliehen werden. Dazu gehört auch die im September 2022 eröffnete „Sünner Brauwelt“ im historischen Sünner Brauhaus an der Kalker Hauptstraße. Hier dreht sich alles um Bier und Spirituosen.
In keinem guten Zustand: Die ehemaligen Werkhallen von Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) in Kalk, Bild: Bild Florian Wächter, Pixabay
Die Stadt hat die ehemalige Hauptverwaltung der Klöckner-Humboldt-Deutz-Werke gekauft. Auf dem weitläufigen Gelände soll eine Mischung aus Kultur, Gewerbe und Wohnen entstehen.
Kalk als Kriminalitätsbrennpunkt
Trotz aller Bemühungen wird Kalk weiterhin als sozialer Brennpunkt bezeichnet. Kriminalität, Drogen, soziale Missstände haben diesem Stadtteil einen zweifelhaften Ruhm eingebracht.
Graffiti in Köln-Kalk, Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Der Rapper Eko Fresh (Jahrgang 1983) ist auch in Kalk aufgewachsen. Die Situation im Problembezirk Kalk ist regelmäßig Thema seiner Lieder. In seinem Song „Gheddo“ (Eko Fresh feat. Bushido) lautet es:
Eko Fresh Ghetto Chef Junge denn es muß sein, Eko
Köln Kalk Hartz 4 komm in meine Hood rein. Fresh
Komm und guck was es heißt im Block hier zu Wohnen,
Wo man Leben muß von Drogen oder Prostitution.
Seit Oktober 2022 werden Teile von Kalk, genau wie der Bereich um den Dom, die Ringe, der Breslauer Platz, der Ebertplatz, der Neumarkt und der Wiener Platz mit Videokameras überwacht. Die Polizei bezeichnet diese Areale als „ … Kriminalitätsbrennpunkte mit einer Vielzahl an Delikten, deren Anzahl und Qualität sich im Vergleich zum Kölner Stadtgebiet signifikant abheben.“2Quelle: Polizei Köln, Polizeiliche Videobeobachtung in Köln, https://koeln.polizei.nrw/artikel/polizeiliche-videobeobachtung-in-koeln, abgerufen am 22. Juni 2024. Die Videobilder werden von der Polizei rund um die Uhr beobachtet, um sich anbahnende Straftaten frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.
Diese Videoüberwachung ist umstritten. So hat die Initiative „Kameras stoppen“ wiederholt gegen gegen die polizeiliche Videoüberwachung in Kalk geklagt. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln steht zur Zeit3Stand: 3. Juli 2024 noch aus.
Viele Autos – wenig Platz: Die Kalker Hauptstraße. Bild: Rolf H. (Rolf Heinrich, Köln), CC BY 3.0 via Wikimedia Commons
Kalker Hauptstraße: „So wie es ist, ist es Mist.“
Aktuell4Stand Juli 2024 wird über die Umgestaltung der Kalker Hauptstraße debattiert. Die Bezirksbürgermeisterin Claudia Greven-Thürmer bezeichnet diese Straße als „Schlagader des Bezirks“ – schon bevor die U-Bahn gebaut wurde. Allerdings, so Greven-Thürmer im Kölner Stadt-Anzeiger5Ausgabe vom 4. Juli 2024: „Aus dem oberirdischen Freiraum nach dem Bau wurde nichts gemacht. Ich sage es ganz offen: Wir hätten schon längst eingreifen müssen. Maßnahmen sind überfällig.“ Das Fazit der Bezirksbürgermeisterin: „So wie es ist, ist es Mist.“
Durch Umgestaltungen wie zum Beispiel eine Einbahnstraßenregelung oder die Neuanordnung der Parkplätze soll mehr Raum für Fußgänger, Radfahrer und auch die Außengastronomie geschaffen werden.
Allerdings ist jetzt zunächst Verwaltung gefragt, einen Entwurf vorzulegen. Dort sind allerdings die Kapazitäten sehr eng. Erst 2025 soll ein Plan vorgelegt werden.
Hoffentlich schaffen das die Planer rechtzeitig – denn sonst droht ihnen, wie schon Tommi in „Voll normaaaal“ lebenslanges Köln-Kalk Verbot.
Gedenktafel für Karl Küpper am Haus Kalker Hauptstr. 215 in Köln-Kalk.
Büttenredner Karl Küpper betrieb eine Kneipe auf der Kalker Hauptstraße
Der Karneval und das Dritte Reich sind ein dunkles Kapitel. Zu den lobenswerten Ausnahmen gehört der Büttenredner Karl Küpper. Als „Ne Verdötschte“ machte sich Küpper auf Kölns Karnevalsbühnen über die Nazis lustig. Ein Klassiker waren seine Auftritte, die Hand zum Hitlergruß ausgetreckt und die Frage in den Raum „Is et am rääne?“ oder auch „Su huh litt der Dreck bei uns im Keller.“
Gleich zweimal wurde Karl Küpper von den Nazis von den Bühnen verbannt: Zunächst 1939 mit einem ausgesprochenen Auftrittsverbot durch die braunen Machthaber. In der Nachkriegszeit wurde er zum zweiten Mal Opfer der vermeintlichen Eliten. Die alten Nazis, die es in Politik und Gesellschaft wieder zu Ruhm und Ehre gebracht haben, stellten ihn mit einem faktischen Auftrittsverbot kalt. Um Geld zu verdienen, betrieb Karl Küpper von 1960 bis 1970 auf der Kalker Hauptstraße die Kneipe „Küppers Karl“.
Garantiert „tuschfrei“, gerne mit (lokal-) politischen Seitenhieben und herrlich respektlos wird seit 1992 zunächst im BÜZE / Bürgerzentrum Köln-Ehrenfeld, aktuell in den Abenteuerhallen Kalk, frecher, alternativer Karneval gefeiert.
Die Hausband trägt, nach einer Abstimmung unter den Fans, den Namen „Kalk Kapelle“.
Fatal Banal – alternativer Karneval, garantiert tuschfreiDas Papiermodell und sein großes Vorbild: Der Kalker Wasserturm, Bild: Jens Neuhaus, www.papierdenkmal.de
Das Wahrzeichen von Kalk als Bastelbogen
Das gesamte Gelände der Chemischen Fabrik Kalk (CFK) wurde saniert. Übrig blieb nur der im Jahr 1904 errichtete Wasserturm. Mit seinen 43 Meter Höhe ist dieses Backsteinbauwerk zu einem Symbol für Kalk geworden und steht unter Denkmalschutz.
Jens Neuhaus, Jahrgang 1985, lebt in Kalk. Seine Leidenschaft sind Bastelbögen: „Meine Bastelbögen sind eine Liebeserklärung an ebenjene Bauwerke, die den Menschen etwas bedeuten.“ Und so hat er einen Bastelbogen zum Kalker Wasserturm entworfen und stellt diesen kostenlos auf seiner Seite „Papierdenkmal“ zum Download zur Verfügung.
Neuhaus schätzt die Einfachheit des Materials: „Ohne im Fachhandel teure Plastikteile zu kaufen, entstehen Papiermodelle allein aus der eigenen Kreativität und Fingerfertigkeit heraus. Ein geradezu anachronistischer Reiz ergibt sich daraus, dass der Kartonmodellbau keine Abkürzungen zulässt: Nur geduldiges Arbeiten in den Mußestunden führt zu einem sauberen Ergebnis.“
Gewinnspiel
Die ersten drei Menschen, die mir ein Bild des selbst gebastelten Papier-Wasserturms schicken, lade ich auf eine Stadtführung mit mir ein. Also ran an Schere und Kleber, ich freue mich auf eure Bilder.
Die Industriestadt Kalk im Jahre 1908, kurz vor der Eingemeindung in die Stadt Köln. Bild: http://www.koeln-kalk.net/3kalk/Kknkbwts.htm, Public domain, via Wikimedia Commons
Es war im Jahr 1994 – auf einmal kannte (fast) ganz Deutschland Kölns Stadtteil Kalk:
„Pass op Jung, du kriss he Köln-Kalk Verbot!“
Dieses Köln-Kalk Verbot betraf einen gewissen Tommie, die Hauptfigur in Tom Gerhardts eher fragwürdigen Komödie „Voll normaaal“. Die Deutschen lachten über den eher tumben Tommie – und auch über die Darstellung des Stadtteils Kalk. Hellmuth Karasek, einer der renommiertesten Film- und Literaturkritiker Deutschlands, schrieb im SPIEGEL dazu:
„Deutschland, wo es am prallsten ist; Köln-Kalk, ein Spießer-Alptraum; nur durch Gerhardts rüde Scherze zu ertragen, kurz, die heile, unheilvolle Aldi-Welt.“1Heile Aldi-Welt in Der Spiegel, Ausgabe 46/1994
Und tatsächlich war nicht nur das Niveau des Films, sondern auch der Ruf von Kalk Ende der 1980er eher schlecht. Werksschließungen und ein massiver Abbau von Arbeitsplätzen brachten hohe Arbeitslosenzahlen mit sich. Kalk wurde zum „Problembezirk“ und hat sich bis heute, trotz massiver Anstrengungen der Stadt Köln, nicht davon erholt.
Früher noch beliebter Ausflugsort
Dabei war Kalk früher ein idyllisches Fleckchen und – heute unvorstellbar – ein Erholungsort. So beschreibt der ehemalige Lehrer Peter Simons das Örtchen Kalk als ein
„… Dörfchen mit wenigen Häusern und einer kleinen Muttergotteskapelle. Dahin wandern die Städter an Sonntagnachmittagen mit Kind und Kegel, nehmen Brote mit und in kleinen Tüten gemahlenen Kaffee. Für etliche Pfennige erhält man dort in einer Wirtschaft kochendes Wasser, so bereitet man sich den Kaffee selbst und freut sich von Herzen bei Sang und Spiel auf dem Rasen unter den Obstbäumen der Gärten.“2Peter Simons, Illustrierte Geschichte von Deutz, Kalk, Vingst und Poll: ein Beitrag zur Geschichte des kurkölnischen Amtes Deutz
Und tatsächlich war Kalk bis zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert ein kleiner, unscheinbarer und ländlicher Fleck auf der Landkarte. Aber der stetig steigende Anzahl der Pilger zum Bildnis der „Schmerzhaften Mutter Gottes“ führte ab etwa 1815 zu einem Boom: Die Kalker versorgten die Pilger mit Wasser, Kaffee oder Tee. Und mit Sicherheit auch mit „geistigen“ Getränken. Es entstanden Kaffeehäuser und Restaurants, zum Teil mit gestalteten Gartenanlagen und Tiergehegen.
Allerdings war Kalk immer noch sehr dünn besiedelt, im Jahr 1843 gab es gerade einmal 96 Einwohner. Dies sollte sich mit der Ansiedlung der ersten Industriebetriebe radikal verändern.
Das noch „unberührte Kalk“, weit vor dem befestigten Deutz, Ausschnitt aus der Karte „Rheinland und Westfalen“ (1834-1855), Bild: Geobasis NRW
Baustoff oder Kalk-Lagerstätte?
Es ist nicht eindeutig geklärt, ob der Ortsname tatsächlich vom Baustoff Kalk oder vom mittelhochdeutschen Wort „Kolk“ abstammt.
Für die Version „Baustoff Kalk“ spricht die Vermutung, dass die Römer zum Bau der Colonia Claudia Ara Agrippinensium das heutige Gebiet von Kalk genutzt haben, um dort den Baustoff Kalk zu lagern.
Für die Variante „Kolk“ spricht, dass im mittelhochdeutschen Wortschatz damit ein Morast oder Sumpf, bezeichnet wurde. Und tatsächlich war die Gegend rund um das heutige Kalk früher eine eher feuchte, sumpfige Ecke.
Die Schenkungsurkunde aus dem Jahr 1003 (Ausschnitt). „Kalk“ wird in der 5. Zeile (2. Wort) erwähnt. Bild: gemeinfrei
Die erste urkundliche Erwähnung von Kalk stammt aus dem Jahr 1003. Dort wird von Erzbischof Heribert festgelegt, dass das damals noch „Kalka“ genannte Gebiet der Benediktinerabtei Deutz gegenüber den „Zehnt“ abgabepflichtig ist.3Der „Zehnt“ ist eine Steuer in Form von Geld oder Naturalien. Ab spätestens 1298 besaß das St.-Severins-Stift das Gebiet.
Bis 1794 gehörte Kalk zum kurkölnischen Amt Deutz und wurde dann während der französischen Besatzung zunächst dem Herzogtum Nassau-Usingen und ab 1806 dem Großherzogtum Berg übertragen. Ab 1808 war Kalk ein Teil der Mairie Deutz.
Die „Schmerzhafte Mutter Gottes“
In einem kleinen Heiligenhäuschen stand ab ca. 1423 das Bildnis der „Schmerzhaften Mutter Gottes“. Es zeigt die leidende Maria mit dem Leichnam des vom Kreuz abgenommenen Jesus. Dieser Darstellung wurden wundertätige Heilkräfte nachgesagt, weil Kalk im Jahr 1665 von der Pest verschont blieb, während in den umliegenden Orten zahlreiche Opfer zu beklagen waren.
Darstellung der „Schmerzhaften Mutter Gottes“ aus dem 15. Jahrhundert in der Kalker Kapelle
So wurde zum Dank ab 1666/1667 die Kalker Kapelle erbaut, die sich zur Pilgerstätte entwickelte. Dies war der Beginn der Wallfahrt zur „Schmerzhaften Mutter Gottes“ von Kalk. Im Jahr 1710 wurden bereits 700 Pilger gezählt, drei Jahre später schätzte man die Anzahl der der Pilger bereits auf mehrere Tausend Menschen.
Ab 1931 etabliert sich auch die Männerwallfahrt nach Kalk. Immer zwei Wochen vor Ostern pilgern Kölner Männer schweigend zur Kalker Kapelle. Dann wird an der „Schmerzhaften Mutter Gottes“ gebetet.
„Vom Dritten Reich befreie uns!“
In der Zeit der Nationalsozialisten wurde diese Wallfahrt auch zum politischen Statement. Im Jahr 1933 wurden bei der Prozession Flugblätter mit der Aufschrift „Von Satans Reich befreie uns!“ verteilt. Schnell wurde diese zu „Vom Dritten Reich befreie uns!“ umgewandelt. Die Zahl der Pilger wuchs stark an, 1935 sollen etwa 35.000 Männer schweigend nach Kalk gezogen sein. Wahrscheinlich wurde diese Anzahl Pilger in den Folgejahren noch übertroffen, doch die nationalsozialistischen Machthaber verhinderten die Veröffentlichung der Teilnehmerzahlen. Im Jahre 1940 wurden die Wallfahrten zur Kalker Kapelle von den braunen Machthabern verboten.
Die Kalker Kapelle wurde am 18. August 1941 durch einen schweren Bombentreffer vollständig zerstört. Dass die Darstellung der „Schmerzhaften Mutter Gottes“ unversehrt unter den Trümmern gefunden wurde, trug erheblich zu der Heiligenverehrung bei.
Das Interesse an der Männerwahlfahrt nahm in den 1990er Jahren erheblich ab, im Jahr 2004 nahmen nur einige Hundert Männer am Schweigegang teil. Erst durch eine große Kampagne mit durch privaten Spenden finanzierten Zeitungsanzeigen konnte die Teilnehmerzahl wieder auf mehr als tausend Männer gesteigert werden.
Kalk wird „Boomtown“
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Industrialisierung auch in Kalk massiv Fahrt auf. 1850 wurde die Porzellanfabrik Kalk gebaut, 1858 gründeten Julius Vorster und Hermann Grüneberg die Chemische Fabrik Vorster & Grüneberg, aus der später die Chemische Fabrik Kalk hervorgehen sollte.
Die Chemische Fabrik Vorster & Grüneberg, später Chemische Fabrik Kalk (CFK) im Jahre 1859, Bild: Hermann Gruenberg, Public domain, via Wikimedia Commons
Versuche, Braunkohle in Kalk abzubauen, stellten sich als nicht wirtschaftlich dar. Das Zechengelände wurde 1858 an die Gebrüder Sünner verkauft. Noch heute befindet sich an diesem Ort die Sünner-Brauerei – die älteste Kölsch-Marke.
Der Grundstein der heutigen Klöckner Humboldt Deutz AG wurde 1856 mit der Gründung der Maschinenfabrik Sievers & Co. gelegt. 1864 zogen Nikolaus August Otto und Eugen Langen mit ihrer Gasmotorenfabrik N. A. Otto & Cie von der Kölner Innenstadt nach Kalk. Aus diesem Unternehmen entstand die heute weltweit tätige Deutz AG.
Kalk war als Industriestandort begehrt, weil es außerhalb der zweiten Rayonlinie der preußischen Befestigungen lag. Der Rayon ist der Bereich rund um militärische Festungen, der nicht bebaut werden durfte. Kalk lag außerhalb dieser Zone, und es gab reichlich Platz.
Kalk lag außerhalb der „Zweiten Rayonlinie“ (gestrichelte Linie etwa in der Mitte der Karte), Bild: Karte der Köln-Mindener Eisenbahn, Ausschnitt Köln-Deutz und Kalk
Damit die notwendigen Arbeitskräfte relativ schnell ihre Arbeitsplätze erreichen konnten, wurde bereits am 20. Mai 1877 eine Verbindung der „Päädsbahn“4Eine von Pferden gezogene Straßenbahn. von Deutz und Kalk eingeweiht.
Kalk war Mitte des 19. Jahrhunderts eine echte „Boomtown“: Von 1843 bis 1880 stieg die Einwohnerzahl Kalks um mehr als 950% von knapp 100 Menschen auf über 9.500 Einwohner.
Kalk bekommt Stadtrechte
Mit dem Wachstum der Bevölkerung erhielt Kalk 1881 die Stadtrechte. Sofort machte sich der neugegründete Stadtrat daran, ein Stadtwappen für Kalk zu entwerfen. Dieses Wappen sollte zum einen die industrielle Entwicklung Kalks aufgreifen, aber auch die historische Wallfahrtskapelle berücksichtigen.
Das Wappen der Stadt Kalk (1881 -1910) zeigt die Kalker Kapelle und die Bedeutung Kalks als Industriestandort.
Da im preußischen Staat alles eindeutig geregelt wurde, musste das Wappen vom Königlich Preußischen Heroldsamt in Berlin abgesegnet werden, bevor Wilhelm I. in seiner Eigenschaft als König von Preußen am 20. Juli 1883 der Stadt Kalk das Wappen verlieh.
Während noch in den 1880er Jahren viele umliegende Ortschaften, darunter auch Poll und Deutz, nach Köln eingemeindet wurden, behielt Kalk noch bis 1910 seine Eigenständigkeit und wurde erst am 1. April 1910 zusammen mit Vingst und Gremberg eingemeindet.
Allerdings mussten die Kölner den Kalkern ihre Eigenständigkeit teuer „abkaufen“. In dem Vertrag zur Eingemeindung mit der Stadt Köln wurde explizit vereinbart:
Der Bau einer Badeanstalt,
der Bau von Spielplätzen,
die Erhaltung des Kalker Schlachthofes,
jährlich 30.000 Mark für Straßenbauarbeiten und
die Übernahme der städtischen Beamten Kalks in den Dienst der Stadt Köln.
Kalk konnte auch selbstbewusst auftreten: Es lebten dort mehr als 27.000 Einwohner, die zahlreichen Industrieunternehmen machten Kalk zu einer der größten und wohlhabendsten Industriestädte in Preußen.
Und heute? Im zweiten Teil über Kalk wird es um die Umbrüche in den beiden Weltkriegen, die Wirtschaftswunderzeit und die aktuelle Situation in Kalk gehen.
Das Papiermodell und sein großes Vorbild: Der Kalker Wasserturm, Bild: Jens Neuhaus, www.papierdenkmal.de
Das Wahrzeichen von Kalk als Bastelbogen
Das gesamte Gelände der Chemischen Fabrik Kalk (CFK) wurde saniert. Übrig blieb nur der im Jahr 1904 errichtete Wasserturm. Mit seinen 43 Meter Höhe ist dieses Backsteinbauwerk zu einem Symbol für Kalk geworden und steht unter Denkmalschutz.
Jens Neuhaus, Jahrgang 1985, lebt in Kalk. Seine Leidenschaft sind Bastelbögen: „Meine Bastelbögen sind eine Liebeserklärung an ebenjene Bauwerke, die den Menschen etwas bedeuten.“ Und so hat er einen Bastelbogen zum Kalker Wasserturm entworfen und stellt diesen kostenlos auf seiner Seite „Papierdenkmal“ zum Download zur Verfügung.
Neuhaus schätzt die Einfachheit des Materials: „Ohne im Fachhandel teure Plastikteile zu kaufen, entstehen Papiermodelle allein aus der eigenen Kreativität und Fingerfertigkeit heraus. Ein geradezu anachronistischer Reiz ergibt sich daraus, dass der Kartonmodellbau keine Abkürzungen zulässt: Nur geduldiges Arbeiten in den Mußestunden führt zu einem sauberen Ergebnis.“
Gewinnspiel
Die ersten drei Menschen, die mir ein Bild des selbst gebastelten Papier-Wasserturms schicken, lade ich auf eine Stadtführung mit mir ein. Also ran an Schere und Kleber, ich freue mich auf eure Bilder.
Der Kölner Stadtrat, Kupferstich nach einer Zeichnung von Johann Toussyn (1608-nach 1660), Original im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, um 1655. (Gemeinfrei)
Bis weit in das 14. Jahrhundert bestimmten in Köln die „Geschlechter“ die Geschicke der Stadt. Die „Geschlechter“ waren Familien mit so klangvollen Namen wie Lyskirchen, Quattermart, Hardevust oder Overstolz. Mit absolutem Selbstverständnis regierten diese Familien aus der Oberschicht selbstherrlich Köln.
Um diese Macht zu untermauern, hatten die Geschlechter die Abstammungssage erfunden: Sie wären die Nachfahren der von Kaiser Trajan in die Colonia Claudia Ara Agrippinensium (CCAA) geschickten römischen Senatoren. Und deshalb hätten nur sie nur das Recht, die Stadt zu regieren.
Diese von den Geschlechtern erfundene Sage stammt aus dem frühen 14. Jahrhundert. Offensichtlich schwand war die Macht der Geschlechter, daher mussten irgendwelche Geschichten zur Sicherung des Einflusseses dieser Familien erfunden werden.
Proteste gegen die Geschlechter
Tatsächlich kam die Vorherrschaft der Geschlechter ab etwa der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erheblich ins Wanken. Die Handwerker, in Handwerksbruderschaften organisiert und die Gilden, als Zusammenschluss von Kaufleuten, begannen sich gegen die Geschlechter zu wehren.
Dafür organisierten sie sich in sogenannten „Gaffeln“. Der eigentliche „Startschuss“ für die Bildung der Gaffeln war die Verabschiedung des Kölner Verbundbriefs im Jahre 1396. Zwar gab es auch schon vereinzelt „Gaffeln“ als Zusammenschlüsse. Diese entstanden aber eher aus einem sozial-religiösem Anspruch, wie zum Beispiel die für 1354 nachgewiesene “fraternitas S. Spiritus de foro Ferri et de Sublobiis“. Diese Bruderschaft von Kaufleuten war mit hoher Wahrscheinlichkeit der Vorläufer der Gaffel „Eisenmarkt“ und warb Spenden für die Leprakranken auf Melaten ein.
Eine „Gaffel“ ist eine Tranchier- oder Vorlegegabel
Klaus Militzer weist in seinem Aufsatz „Gaffeln, Amter, Zünfte – Handwerker und Handel vor 600 Jahren“ [Jahrbuch 67 des kölnischen Geschichtsvereins e. V. 1996, Seite 41 ff] darauf hin, dass ab ca. 1350 der Begriff „Gaffel“ für Zusammenschlüsse von Personen unterschiedlicher Art verwendet wurde.
Die „Gaffel“ ist ursprünglich eine Gabel, allerdings geht es hier um eine Tranchier- oder Vorlegegabel. Denn im 14. Jahrhundert war es nicht üblich, eine Gabel zu benutzen. Es gab Messer, mit denen das Essen in handliche Stücke geschnitten wurde. Gegessen wurde mit den Fingern. Größere Fleischstücke wurde auf einem Holzbrett mit einer Tranchiergabel, der „Gaffel“, fixiert, mit einem Messer klein geschnitten und dann auf die einzelnen Teller gelegt.
So wurde auch bei den feierlichen Essen der Zusammenschlüsse verfahren und schnell wurden die Vereinigungen der Handwerker und Kaufleute als „Gaffeln“ bezeichnet.
Die „Gaffel“, eine Tranchier- oder Vorlegegabel.
Eine Gaffel war nicht unbedingt eine bestimmte Zunft oder Gilde, sondern mehrere Zünfte bzw. Gilden konnten sich zu einer Gaffel zusammenschließen. Und da jeder Bürger einer Gaffel beitreten musste, standen die Gaffeln auch für weitere Mitglieder offen.
Aufstand der Weber und die „nova ordinatio“
Diese ersten Gaffeln und die Zünfte begannen sich ab ca. 1360 gegen die Vorherrschaft der Geschlechter zu wehren. Ein erstes, einschneidendes Ereignis war ein bestimmter Zoll, der völlig ohne vorherige Absprache oder Information auf Initiative der Geschlechter eingeführt wurde. Mitglieder der Gaffeln Eisenmarkt und Wollenamt führten den Widerstand gegen diese Willkür an protestierten erfolgreich gegen diese Abgabe.
Im Jahr 1370 kam es zum Aufstand der Weber und diese setzten eine Neuordnung, die „nova ordinatio“, der städtischen Verfassung am 2. Juli 1370 durch. So wurde der Rat im Sinne der machtbewussten Weber neu zusammengesetzt und Mitglieder von Zünften, Korporationen und Gaffeln dorthin entsandt. Somit wurden die Gaffeln zum ersten Mal Teil der städtischen Verfassung.
Allerdings nutzten die die Weber ihre einflussreiche Stellung, um Beschlüsse zu ihrem Vorteil zu fassen. Dazu gehörten eine Steuer auf Wein (Weinfuhrakzise) oder eine Vermögensteuer (Schoß). Während die Weinfuhrakzise die Weinkaufleute benachteiligte, wurden durch den „Schoß“ reiche Kaufleute und Patrizier belastet. Die Weber aber, gerade frisch an der Macht, wurden bei diese speziellen Abgaben verschont.
Die sogenannte „Weberherrschaft“ wird dann auch in der Koelhoffschen Chronik [Eine aus dem Jahr 1499 stammende Chronik über die Stadt Köln von Johann Koelhoff dem Jüngeren] wie folgt beschrieben:
„Es war wunderlich und fremd anzusehen, als Köln … allzeit regiert war … von fünfzehn adeligen Geschlechtern … An deren Stelle saßen nun die Weber.“
Daher bildete sich eine Koalition aus Gaffeln und Geschlechtern um die „Weberherrschaft“ zu beseitigen. Es kam zur „Kölner Weberschlacht von 1371“, die Weber erlitten eine vernichtende Niederlage und die „nova ordinatio“ wurde außer Kraft gesetzt.
Die Kölner Weberschlacht von 1371, Holzschnitt aus der Koelhoffschen Chronik von 1499. (Gemeinfrei)
Die „Freunde“ gegen die „Greifen“
Aber auch innerhalb der Geschlechter rumorte es und es bildeten sich zwei Fraktionen heraus: Die „Freunde“ und die „Greifen“. In den „Freunden“ waren vorrangig die alten, machtbewussten Geschlechter vertreten, mit den „Greifen“ sympathisierten vor allem Gruppierungen, die bisher noch nicht in den städtischen Machtzirkeln vertreten waren.
Angebliche Überlegungen der „Freunde“ bezüglich der Auflösung der bestehenden Kaufleute- und Handwerkergesellschaften ließen die Situation 1396 eskalieren. Der Kölner Stadtschreiber Gerlach vom Hauwe schrieb in seinem „Neuen Buch“:
„Als die Partei der „Freunde“ und deren Angehörige im Schöffenkolleg und im Rat gewahr geworden seien, daß die Ämter und Gaffeln beschlossen hätten, sich zusammenzuschließen, und daß sie an Macht gewönnen, hätten sie beraten, wie sie Gaffeln und Gesellschaften hätten unterdrücken können. Ein Ausgleich sei nicht zu erzielen gewesen. Schließlich hätten sich die „Freunde“ im Amtleutehaus von Airsburg am Mühlenbach am 16. Juni 1396, einem Freitag, abends versammelt und am folgenden Tag ein Gebot erlassen, über dessen genauen Inhalt wir nicht unterrichtet sind. Dieses Gebot habe der Gemeinde und den Gaffeln mißfallen. Am Sonntag seien die „Freunde“ wieder im Amtleutehaus von Airsburg zusammengekommen, nun aber bewaffnet. Am Abend desselben Tages habe Constantin von Lyskirchen vom Heumarkt, ein Schöffe, die Versammlung verlassen, habe sein Pferd bestiegen, sei zu den Gaffeln geritten und habe die dort wartenden Männer gefragt, ob sie nicht schlafen gehen wollten. Daraufhin hätten die Befragten geantwortet, daß sie schlafen gehen würden, wenn sie die Zeit dafür gekommen sähen.“
Diese hochnäsige Anweisung des Patriziers von Lyskirchen sollte das Fass zum Überlaufen bringen. Der adlige Herr wurde vom Pferd gerissen und gefangen genommen. Neben von Lyskirchen nahmen die Gaffeln „Eisenmarkt“, „Windeck“ und „Himmelreich“ etwa weitere 50 „Freunde“ gefangen.
Es wurde ein provisorischer Rat mit der Aufgabe gebildet, eine neue Verfassung auszuarbeiten. 1396 entstand der Verbundbrief und wurde so etwas wie das „Grundgesetz“ der Stadt Köln.
Ausschnitt des Verbundbriefes mit den Siegeln der Gaffeln, Bild: HOWI – Horsch, Willy, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons
Der Verbundbrief – das „Grundgesetz“ der Stadt Köln.
In Verbundbrief wurden die Gaffeln ausdrücklich genannt und mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet. Es gab 22 Gaffeln:
Leinenwebergaffel
zugehörige Zünfte: Zeichenweber, Sartuchmacher, Decklackenweber, Bombassin-, Caffee-, u. Baratamt
Brewer
zugehörige Zünfte: Brauer
Wappen der Kölner Gaffeln, Ausschnitt aus: Birboum, Michel L.; Rieger [Verl.] Quelle: http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/Ansicht3949_090/0001
Bild 1 von 22
Wappen der Kölner Gaffeln, Ausschnitt aus: Birboum, Michel L.; Rieger [Verl.] Quelle: http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/Ansicht3949_090/0001
Jeder Kölner Bürger und auch die sogenannten „Eingesessenen“ (Einwohner ohne Bürgerrecht) waren gezwungen, sich einer dieser Gaffeln anzuschließen. Falls ein Bürger oder „Eingesessener“ keiner Zunft oder Gilde angehörte, konnte dieser seine Gaffel frei wählen.
Kompetenzen und Pflichten der Gaffeln
Zu den Kompetenzen der Gaffel gehörte insbesondere das aktive Wahlrecht: Nur die Mitglieder einer Gaffel konnten den Rat wählen. Dies schloss ca. 80 Prozent der Bevölkerung aus. So waren Frauen, Tagelöhner, alle nichtkatholischen Menschen, Geistliche und nichtehelich Geborene von allen politischen Einflussmöglichkeiten ausgeschlossen.
Zu den wesentlichen Pflichten der Gaffeln gehörte die Verteidigung der Stadt. So wurde in der „Wachtordnung“ exakt festgelegt, welchen Teil der Stadtmauer bzw. welche Torburg die einzelnen Gaffeln zu bewachen hatten. Die Gaffeln übernahmen auch die Sicherung hochrangiger Besucher und repräsentierten bei Veranstaltungen die Stadt. Zwar war der Rat weiterhin alleiniger Vertreter Kölns nach außen, doch die Gaffeln gehörten mit der Verabschiedung des Verbundbriefs im Jahr 1396 zu den wichtigsten Verfassungsorganen.
Lediglich ein Wechsel der städtischen Eliten
Die Gaffeln repräsentierten zwar nur knapp 20 Prozent der Kölner Bevölkerung, hatten aber die politischen Entscheidungen fest in der Hand. Auch weil sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht an eine Mitgliedschaft in einer der Gaffeln gebunden war. So kommt Christian Hillen in seiner Darstellung „Die Kölner Gaffeln“2Portal Rheinische Geschichte, https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-koelner-gaffeln/DE-2086/lido/5e98015879dc69.22344533^, abgerufen am 2. Juni 2024 zu dem Schluss:
„Eine demokratische Verfassung im heutigen Sinne war dies sicher nicht, wenngleich sich der Kreis derjenigen Bürger, die Zugang zu politischer Mitwirkung und Entscheidungsfindung hatten, deutlich erweitert hatte. Vor allem waren die ständischen Schranken beseitigt worden. … Zwar wurden die politischen und verfassungsmäßigen Verhältnisse verändert, aber im Grunde genommen fand lediglich ein Wechsel der städtischen Eliten statt. Die alten Eliten wurden aber nicht völlig verprellt, sondern man versuchte sie in die neue Ordnung zu integrieren.“
Man kann also festhalten, dass es einen Austausch der Herrschaft gegeben hatte: Weg von den Geschlechtern hin zu den Gaffeln. Die Privilegien der Gaffeln sollten etwa 400 Jahre lang Bestand haben, bis die Franzosen Köln einnahmen.
Und heute noch erinnert die Marke Gaffel-Kölsch
an die Zeiten der Kölner Gaffeln.
Der Name „Gaffel-Kölsch“ erinnert an die Gaffeln, Bild: Privatbrauerei Gaffel
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