Mathilde von Mevissen – der „Hunger nach Bildung“

Mathilde von Mevissen (1848 - 1924), Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_630749.
Mathilde von Mevissen (1848 – 1924), Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_630749

„Die Frauenfrage interessiert mich! Da ich aber unglücklich war und wohl etwas unterdrückt, habe ich mir fest vorgenommen, in dieser Frage kein Wort mehr zu sagen, bis ich innerlich abgeklärt und meine Ansichten von allen persönlichen Verhältnissen frei sind. Meine Erfahrungen kann ich nützen – meine Erbitterung nicht! Ich will suchen ins Ganze zu sehen über mein erbärmliches Ich weg.“1Tagebucheintrag von Mathilde von Mevissen im Jahr 1890

Dieser Satz aus ihrer eigenen Feder fasst das Leben der Kölner Frauenrechtlerin Mathilde von Mevissen hervorragend zusammen:

  • Unterdrückung durch den Vater
  • Hunger nach Bildung
  • Drang nach Veränderung.

So lässt sich auch ihr Leben in drei Abschnitte unterteilen:

Teil I:  Kindheit und (gescheiterte) Vorbereitung auf eine spätere Rolle als Ehefrau (1848 – 1890)

Am 30. Juli 1848 wird Mathilde von Mevissen als zweite von fünf Töchtern des Unternehmers Gustav Mevissen (1815 – 1899, ab 1884 Gustav von Mevissen) und Elise Mevissen, geb. Leiden (1822 – 1857), geboren.

Ihr Vater war ein schwerreicher Industrieller und Bänker, nach heutigen Maßstäben ein Multimillionär. Ihre Mutter verstarb bereits 1857 nach der Geburt des fünften Kindes. Gustav von Mevissen heiratete im Jahr 1860 Therese Leiden, die Schwester seiner ersten Frau. Ein damals nicht unübliches Arrangement.

Als Tochter „aus guten Hause“ im 19.Jahrhundert war Mathildes Lebensweg eindeutig vorgezeichnet: Die Ausbildung diente alleine dazu, sie auf ihre spätere Rolle als Hausfrau und Mutter vorzubereiten. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden eigens Hauslehrer engagiert. Deren vorrangiges Ziel war die „sittliche Erziehung“ der Mädchen, um sie später gut in vornehmen Kreisen verheiraten zu können.

Dafür wurde im Hause Mevissen ein strenges Regiment geführt. Die Töchter durften ohne Begleitung das Haus nicht verlassen, die Post wurde kontrolliert und auch das, was sie lesen durften, war vorgeschrieben.

Gustav Mevissen im Jahr 1848, Bild: Valentin Schertle, Public domain, via Wikimedia Commons
Gustav Mevissen, hier im Jahr 1848, kontrollierte streng das Leben seiner fünf Töchter. Bild: Valentin Schertle, Public domain, via Wikimedia Commons

Diese Zeit der fehlenden Bildung empfand Mathilde als Qual. Als „in­halts­lee­res Da­sein ei­ner un­ver­hei­ra­te­ten Frau im Groß­bür­ger­tum des 19. Jahr­hun­derts oh­ne ech­te Auf­ga­be und oh­ne in­tel­lek­tu­el­len An­spruch“ bezeichnete die Frau­en­recht­le­rin He­le­ne Lan­ge diese Phase im Leben von Mat­hil­de von Me­vis­sen.

Ein kleiner Lichtblick: Heimlich schlich sich Mathilde in die riesige Privatbibliothek ihres Vaters.2Diese umfasste rund 25.000 Bücher. Sie versteckte die Bücher vor dem Zugriff der Eltern und Hauslehrer und las mit Begeisterung alles, was sie finden konnte.

Das repräsentative Wohnhaus der Familie Mevissen in der Zeughausstraße. Das Gebäude ist nicht mehr erhalten, heute steht dort das Regierungspräsidium. Bild: Kunst des 19. Jahrhunderts im Rheinland. Bd. 2. Architektur: II, Profane Bauten u. Städtebau, Schwann, Düsseldorf 1980
Das repräsentative Wohnhaus der Familie Mevissen in der Zeughausstraße. Das Gebäude ist nicht mehr erhalten, heute steht dort das Regierungspräsidium. Bild: Kunst des 19. Jahrhunderts im Rheinland. Bd. 2. Architektur: II, Profane Bauten u. Städtebau, Schwann, Düsseldorf 1980

Teil II: Aufkommendes Engagement in der Frauenfrage (ab 1890)

Nachdem immerhin drei der fünf Mevissen-Töchter in wohlhabende Kölner Familien verheiratet wurden3Nur Mathilde und ihre Schwester Melanie sollten unverheiratet bleiben.lockerte der Patriarch Gustav von Mevissen etwas die Zügel. Sie übernahm Sekretariatsaufgaben für ihn und verwaltete die große Bibliothek.

Mathilde von Mevissen als Figur auf dem Rathausturm, Bild: Raimond Spekking
Mathilde von Mevissen als Figur auf dem Rathausturm, Bild: Raimond Spekking

In dieser Zeit fiel auch ihr „Erweckungserlebnis“. Sie las ein Buch über die Ende des 19. Jahrhunderts aufkommende Frauenfrage. Eckart von Mevissen, ein Verwandter, beschrieb die damit ausgelöste Veränderung eindrücklich: „Ihre vielseitige Bildung, ihr Hunger nach Betätigung, nach wirklicher Leistung … ihr trostloses Dasein in den Fesseln strenger Konvenienz, all das ließ das Wort von der Befreiung der Frau wie eine Erlösung auftauchen.“

Und Mathilde wird aktiv: Sie gründet, gemeinsam mit Elisabeth von Mumm (1860 – 1933), den „Köl­ner Frau­en­fort­bil­dungs­ver­ein“. Dies gilt als heute als Anfang der Kölner Frauenbewegung.

Ihrem Vater konnten diese Aktivitäten nicht gefallen, er warf ihr ungebührliches Verhalten vor. Aber Mathilde hatte mittlerweile das Selbstbewusstsein entwickelt, ihre Ziele auch gegen den Willen des Vaters zu verfolgen.

Teil III: Leben und Wirken nach dem Tod des Vaters (1899 – 1924)

Doch erst mit dem Tod ihrs Vaters 1899 konnte Mathilde von Mevissen endlich ihr eigenes Leben frei gestalten. Und dieses Leben widmete sie der Frauenfrage mit dem Schwerpunkt Mädchen- und Frauenbildung. Ihr Ansatz: Mädchen bzw. Frauen müssen die gleichen Bildungsvoraussetzungen geboten bekommen wie Männer. So war sie treibende Kraft des „Ver­eins Mäd­chen­gym­na­si­um Köln“, welcher 1899 gegründet wurde. Dieses Gymnasium nahm  aber erst nach einem von Mathilde von Mevissen beharrlich ausgeführten Kampf mit den preußischen Bildungsbehörden am 29. April 1903 den Betrieb auf.

Mitgliederverzeichnis der Mitglieder des "Vereins Mädchengymnasium zu Köln" Mathilde von Mavissen stiftetet mit 60.000 Mark alleine 75% der Gesamtsumme
Mitgliederverzeichnis der Mitglieder des „Vereins Mädchengymnasium zu Köln“ Mathilde von Mavissen stiftetet mit 60.000 Mark alleine 75% der Gesamtsumme

Mathilde von Mevissen setzte das vom Vater geerbte riesige Vermögen für die Frauenbildung und Frauenrechte ein. Sie richtete Stipendien speziell für junge Frauen ein und unterstützte großzügig das von ihr initiierte Mädchengymnasium.

In der Gründungsurkunde des „Vereins für Mädchenbildung“ wird deutlich, dass Sie diese Initiative fast im Alleingang finanzierte. Zwar wurden 26 Stifter und Patrone aufgeführt, doch mit einer Stiftungssumme von 60.000 Mark finanzierte Mathilde von Mevissen alleine 75% des gesamten Stiftungskapitals.

Zusätzlich unterstützte sie die bereits von ihrem Vater in­iti­ier­te Han­dels­hoch­schu­le. Diese wurde im Jah­re 1919 als Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät in die neu gegründete Universität zu Köln integriert. Schon seit 1920 wurde die jährliche Gründungsfeier der Uni als „Mevissenfeier“ bezeichnet. Zum speziellen Dank wurde Mathilde von Mevissen im Jahr 1923 – anlässlich ihres 75. Geburtstags – der Titel „Ehrenbürgerin der Universität“ verliehen. Im Mai 2024 wird die Universität noch einen Schritt weitergehen und den Mathilde-von-Mevissen-Tag feiern.

Familiengrabstätte Mevissen auf dem Melaten-Friedhof. Die Gedenkplatte für Mathilde von Mevissen befindet sich auf der Kopfseite (zweite von links). Bild: Geolina163, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Familiengrabstätte Mevissen auf dem Melaten-Friedhof. Die Gedenkplatte für Mathilde von Mevissen befindet sich auf der Kopfseite (zweite von links). Bild: Geolina163, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Am 19. März 1924 stirbt Mathilde von Mevissen. Sie wird im Familiengrab auf dem Melaten-Friedhof beigesetzt. Ihr wurde eine der 124 Rathausfiguren gewidmet, und seit 2005 heißt die älteste Grundschule im Stadtteil Nippes „Mathilde-von-Mevissen-Grundschule“.

Mathilde von Mevissen hat das Leben der Frauen – nicht nur in Köln – verändert. Sie hat nachhaltig Bildungschancen für Mädchen eröffnet. 

Somit hat sie ihren bereits 1890 geäußerten Wunsch „Ich will suchen ins Ganze zu sehen…“ erfüllt.


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Mathilde-von-Mevissen-Promovendinnenförderung

Die TH Köln hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich im Hinblick auf Nachwuchsförderung und Personalentwicklung zu engagieren, um der stetigen Abnahme des Frauenanteils bei den voranschreitenden Karrierestufen, zu begegnen.

Mehr zu diesem Förderprogramm gibt es auf der Website der TH Köln.


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Kölner Stadtteile: Deutz – Veedel zwischen Historie und Moderne

Deutz um 1900 mit der geöffneten Schiffbrücke und dem Bahnhof Schiffbrücke am Deutzer Rheinufer, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons
Deutz um 1900 mit der geöffneten Schiffbrücke und dem Bahnhof Schiffbrücke am Deutzer Rheinufer, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons

Im Kölner Lokal-Anzeiger war es am 1. April 1888 nur eine Meldung auf Seite drei unter „Locales“, für das stolze, eigenständige Deutz aber das Ende der Eigenständigkeit: Nach mehr als 1.500 Jahren wird Deutz nach Köln eingemeindet und hört auf, als eigenständiger Ort zu existieren.

Die Eingemeindung vieler bis 1888 eigenständiger Gemeinden nach Köln als Meldung auf Seite 3 unter "Locales" im Kölner Local-Anzeiger vom 1. April 1888
Die Eingemeindung vieler bis 1888 eigenständiger Gemeinden nach Köln als Meldung auf Seite 3 unter „Locales“ im Kölner Local-Anzeiger vom 1. April 1888

Die Eingemeindung betraf aber nicht nur Deutz, sondern viele weitere bis dahin eigenständige Gemeinden. Unter anderem Ehrenfeld, Müngersdorf, Nippes oder auch das rechtsrheinische Poll.

Doch die Deutzer hatten etwas besser verhandelt: So wurde der Bürgermeister von Deutz Beigeordneter in Köln, das Standesamt verblieb im Deutzer Rathaus, und es gab Geld für verschiedene Baumaßnahmen. Trotzdem war es für die traditionell freiheitsliebenden, stolzen Deutzer schwer zu verkraften: Ab diesem Tag war das wirtschaftlich prosperierende Deutz nur noch ein Stadtteil von Köln.

Modell des Kastells Divitia, Bild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0
Modell des Kastells Divitia, Bild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0

Keimzelle: Das römische „Kastell Divitia“ 

Begonnen hatte alles um das Jahr 308 n. Chr. herum: Um die wichtige Colonia Claudia Ara Agrippinensium, unser heutiges Köln, vor den rechtsrheinischen Germanen zu schützen, wurde in Deutz das Kastell Divitia errichtet. Der Rhein bildete die eigentliche Grenze, das Kastell diente als Brückenkopf der Römer im „Land der Barbaren“. Geschützt wurde dadurch auch die Konstantinbrücke, die erste feste Brücke über den Rhein.

Darstellung der Konstantinbrcke aus dem Jahr 1608 mit viel künstlerischer Freiheit, so gab es z.B. keinen Turm in der Brückenmitte
Darstellung der Konstantinbrücke aus dem Jahr 1608 mit viel künstlerischer Freiheit, so gab es z.B. keinen Turm in der Brückenmitte

Nachdem die Franken ab etwa 355 n. Chr. regelmäßig Köln angriffen, geben die Römer die Stadt im Jahr 462 n. Chr. auf. Aus dem Kastell wurde später ein fränkischer Königshof. Die genaue Entwicklung von Deutz in diesen Jahren ist unklar. Erst mit Erzbischof Heribert, der an der Stelle des Hofes im Jahr 1003 ein Benediktinerkloster gründete, nahm die Entwicklung von Deutz wieder Fahrt auf. Im Jahr 1230 wurde Deutz zur Stadt erhoben.

Deutz im Machtkampf zwischen Köln und den Grafen von Berg

Und genau diese Stadt Deutz stand im Zentrum der Machtkämpfe zweier Rivalen: Auf der linksrheinischen Seite die Freie Reichsstadt Köln, auf der rechtsrheinischen Seite die Grafen von Berg.

Mehrfach wurde Deutz überfallen, geplündert, gebrandschatzt. Der Ort verlor die Stadtrechte und wurde zu einer „Vrijheit“1Eine Art „Stadtrechte light“. herabgestuft. Im Jahr 1538 verbrannten durch eine Brandstiftung große Teile von Deutz. Im sogenannten „Kölner Krieg“ 1583 zerstörten marodierende Truppen die Ortschaft sogar nahezu vollständig.

Gleichzeitig wurde der rechtsrheinische Ort zur Zuflucht für die 1424 aus dem linksrheinischen Köln vertriebenen Juden, später auch für die im „Hillije Kölle“ so ungeliebten Protestanten. So entwickelte sich Deutz und wurde liberaler, freier, aufgeschlossener und fremdenfreundlicher als das linksrheinische Köln und erlebte so nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs (1618 – 1648) einen Wirtschaftsaufschwung.

Das Kürassier-Denkmal "Lanzenreiter" an der Deutzer Rheinpromnenade erinnert an die Preußische Garnison in Deutz, Bild: Raimond Spekking
Das Kürassier-Denkmal „Lanzenreiter“ an der Deutzer Rheinpromnenade erinnert an die Preußische Garnison in Deutz, Bild: Raimond Spekking

Die Preußen verändern Deutz massiv

Mit der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress 1814/15 änderte sich für Köln und Deutz fast alles: Die Preußen erschufen aus Köln die „Festung Cöln“. Auch rechtsrheinisch wehte ein neuer, stark militärisch geprägter Wind. In Deutz entstand die große Dragoner Kaserne, der größte Teil der Deutzer Bevölkerung bestand aus Soldaten oder Mitarbeitern der Militärverwaltung.

Die Deutzer Schiffbrücke um 1900, Bild: US- Library of Congress
Die Deutzer Schiffbrücke um 1900, Bild: US- Library of Congress

Gleichzeitig stieg die Bedeutung von Deutz als Verkehrsknotenpunkt. Die Deutzer Schiffbrücke, errichtet 1822, war die erste Kölner Brücke nach der Konstantinbrücke. Vorher mussten sich die Kölner etwa 900 Jahre mit Fähren behelfen, um die Rheinseiten zu wechseln.

Deutz wird bedeutender Industriestandort und Eisenbahnknotenpunkt

In Köln entwickelte Nicolaus August Otto einen neuartigen Motor – eine Erfindung, die die Welt und auch Deutz grundlegend verändern sollte. Zusammen mit Eugen Langen gründete er die Motorenfabrik „N.A. Otto & Cie“. Doch der Platz in der Servasgasse, fast noch im Schatten des Doms, reichte nicht aus. Ein neues Werksgelände entstand in Deutz. Ähnlich ging es der ursprünglich am Kartäuserwall befindlichen Seilerei Felten & Guilleaume2Von den Kölnern gerne als „faul & gemütlich“ bezeichnet., die genau wie auch die Chemische Fabrik Kalk im Rechtsrheinischen weitläufige Produktionsstätten errichtete.

Um die neuen Industriegebiete zu erschließen und dem stetig wachsenden Bedarf nach Mobiltät gerecht zu werden, konkurrierten mit der „Bergisch Märkischen Eisenbahn“ (BME) und der „Cöln- Mindener-Eisenbahn“ (CME) zwei Eisenbahngesellschaften, wobei jede ihr eigenes, exklusives Schienennetz betrieb. So entstanden zwei große Kopfbahnhöfe und zwei kleinere Bahnhöfe in Deutz – viele Eisenbahnstrecken durchzogen den Stadtteil und schnitten Deutz vom Rheinufer ab.

Der Bahnhof Schiffbrücke direkt am Deutzer Rheinufer, vorne das Stammhaus der Brauerei Sünner an der Deutzer Freiheit, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons
Der Bahnhof Schiffbrücke direkt am Deutzer Rheinufer, vorne das Stammhaus der Brauerei Sünner an der Deutzer Freiheit, Bild: Wilhelm Scheiner, Public domain, via Wikimedia Commons

Deutzer Eisenbahnjammer

Diese Entwicklung machte aus dem zuvor beschaulichen Örtchen ohne Rücksicht auf Verluste einen Industriestandort. Insbesondere die Tatsache, dass das Rheinufer durch Bahndämme Deutz faktisch vom Fluss abschnitt, erzürnte die Deutzer und führte zum „Deutzer Eisenbahnjammer“:

Der "Deutzer Eisenbahnjammer" in der Kölnischen Zeitung vom 23. April 1899
Der „Deutzer Eisenbahnjammer“ in der Kölnischen Zeitung vom 23. April 1899

Der Autor beklagte:

„Was ist aus unserm schönen Deutz geworden! Einst ein blühendes Städtchen am Rheinufer … Kein Ort am ganzen Rheinstrom vermochte den malerischen Zauber, die behagliche Geselligkeit darzubieten … uns arme Deutzer hat man durch einen garstigen Eisenbahndamm vom Rheine abgetrennt.  … Tempi passati…“

Gleichzeitig entwickelte sich Deutz zum Amüsierviertel, denn die bis zur Eingemeindung dort eingeräumten Freiheiten führten auch dazu, dass sich insbesondere auf der Prachtstraße Deutzer Freiheit zahllose Gaststätten, Glücksspielbetriebe, Tanzlokale und – für die katholisch geprägten linksrheinischen Kölner unerhört – „Lusthäuser“ ansiedelten.

Rege Bautätigkeit

Schnell entstanden wichtige Infrastrukturprojekte wie der Deutzer Hafen (1907), der Deutzer Bahnhof (1913) und die Messehallen (1923), welche zur „Pressa – Internationalen Presseausstellung“ (1928) massiv ausgebaut werden.  

Die Nationalsozialisten hatten ganz besondere  Pläne für Deutz. Dort sollte ein riesiges „Gauforum“ mit gigantischen Parteibauten und einem großem Aufmarschgelände entstehen. Dafür wäre Deutz nahezu verschwunden. Gut, dass diese Spinnereien nie verwirklicht wurden.

Die Kriegsfolgen waren auch in Deutz verheerend. Hier traf es das rechtsrheinische Köln genau so heftig wie den linksrheinischen Innenstadtbereich. Mit dem Wiederaufbau bekam auch die Entwicklung von Deutz wieder positive Impulse. Die Brücken wurden wieder instandgesetzt, bereits 1947 fanden wieder erste Ausstellungen und Messen statt, bis 1950 standen bereits 52.000 Quadratmeter Hallenfläche wieder zur Verfügung.

Deutz wird Sitz des LVR und der Lufthansa

Mit der umstrittenen Ansiedlung der Hauptverwaltung des Landschaftsverbandes Rheinlandes in Köln3Der Sitz auch der Vorgängerinstitutionen war traditionell in Düsseldorf. Ende der 1950er Jahre nahm Deutz weiter Schwung auf. Die Ford-Werke richteten mitten in Deutz im sogenannten „Ford-Hochhaus“ zahlreiche Großraumbüros ein. Auch die Lufthansa hatte von 1970 bis 2007 im Lufthansa-Hochhaus, heute Lanxess Tower, direkt am Rhein ihren Hauptsitz. Im Deutzer Rheinpark fanden 1957 und 1971 jeweils eine Bundesgartenschau statt.

Prachtstück in Deutz: Der Rheinboulevard, Bild: Raimond Spekking
Prachtstück in Deutz: Der Rheinboulevard, Bild: Raimond Spekking

„Boomtown Deutz“: Düx kütt üvver Kölle

1998 wurde die Kölnarena eröffnet, zeitgleich mit dem „Technischen Rathaus“ der Stadt. Die alten Messehallen wurden im Jahr 2010 neue Heimat des Fernsehsenders RTL und Versicherers HDI. Neue ICE-Gleise im Deutzer Bahnhof ermöglichen Hochgeschwindigkeitsfahrten. So ist der Frankfurter Flughafen von Deutz aus in nur 48 Minuten zu erreichen.

Fazit: Deutz hat eine erfolgreiche Entwicklung genommen. Zwar nennen die Kölner Deutz immer noch spöttisch „Schäl Sick“ – doch mittlerweile ist das schon anerkennend gemeint. Und wenn schon die kölschen Lokalheiligen, die Bläck Fööss, der Schäl Sick huldigen, dann hat Deutz alles erreicht:

Hey Kölle, pass op! Jetz ändert sich die Zick.
Düx kütt üvver Kölle, jetz es et bal su wick.4
„Schal Sick“, Bläck Fööss


Lotsentour „Schäl Sick is schick!“  

Meine Stadtführung „Schäl Sick is schick!“ bietet einen wunderbaren Einblick in dieses ganz besondere Veedel.


Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena Emons Verlag Köln ISBN 978-3-7408-1565-3 12,00 Euro, erhältlich in jeder Buchhandlung
Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena

Der Autor Michael Kriegel hat sein Herz an Deutz verloren, seit er Mitte der 1970er Jahre auf der „Schäl Sick“ studiert hat. Und diese Liebe hat er in dem lesenswerten Buch „Deutz – vom Römischen Kastell zur Köln-Arena“ verewigt.


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Der Eigelstein – 2.000 Jahre Geschichte auf 570 Meter Straße

Die Wanderbäume vor der Eigelsteintorburg, Bild: Wanderbaumallee Köln
Blick in den heute verkehrsberuhigten Eigelstein, Bild: Wanderbaumallee Köln

Podcast Eigelstein-Stüverhoff 14

Der Eigelstein ist gerade mal 570 Meter lang – und trotzdem eine der sagenumwobensten und ältesten Straßen in Köln. Als Teil der römischen Hauptachse in Nord-Süd-Richtung (sog. „Cardo maximus“) war der Eigelstein eine wichtige Verkehrsader für die Römer auf dem Weg in die bedeutenden Legionslager Novaesium (Neuss) und Castra Vetera (Xanten). Noch heute ist dieser Weg auf einer Karte gut zu erkennen: Vom römischen Nordtor über die Marzellenstraße, Eigelstein, Neusser Straße über die Niehler Straße geht es schnurgerade zum Rheinufer und von da aus weiter nach Neuss und Xanten.

Kein Adler, sondern Pinienzapfen

Um gleich mit einem weit verbreiteten Vorurteil aufzuräumen: Nein – die Historiker gehen nicht (mehr) davon aus, dass sich der Name „Eigelstein“ von „Adler“ herleitet. Obwohl der Verdacht nahe liegt, denn immerhin war das Wappentier der römischen Legionen der Adler (lateinisch aquila). Außerdem nannten die Franzosen die Straße „Rue de L` Aigle“ (Straße des Adlers oder Adlerstraße).

Allerdings gab es an den Ausfallstraßen der römischen CCAA regelmäßig Friedhöfe. So auch am Eigelstein. Auf den Gräbern wurden oft Pinienzapfen aus Stein angebracht, diese galten als Symbol der Unsterblichkeit. Die Kölner gingen davon aus, dass es sich Eicheln handelte und nannten die steinernen Zapfen „Eychelsteyne“. Und von da aus ist es nur noch ein kurzer Weg zum „Eigelstein“.

Eines der vielen Gasthäuser am Eigelstein: Der "Brüsseler Hof" (1840)
Eines der vielen Gasthäuser am Eigelstein: Der „Brüsseler Hof“ (1840)

Handwerker Viertel – mit vielen Gaststätten

Rund um den „Eygelsteyn“ siedelten sich im Mittelalter viele Handwerker an. Und diese hatten anscheinend beträchtlichen Durst: Bereits 1170 erwarb „Ezelin der Bruer“ ein Haus und wurde somit der erste namentlich genannte Bierbrauer Kölns – ein echter Pionier!

Im Jahr 1838 gab es am Eigelstein insgesamt 18 Brauereien. Und noch bis 2015 wurde hier Bier gebraut, zuletzt von der Gaffel-Brauerei, die heute ihr Bier rechtsrheinisch, in Gremberghoven, braut. Den Durst kann man am Eigelstein aber immer noch hervorragend stillen, unter anderem im Weinhaus Vogel oder in der bereits 1760 gegründeten Gaststätte „Em Kölsche Boor“

Urjels-Palm in der Bierdeckel-Serie "Kölsche Originale", Bild: Bild: rs-bierdeckel.de, Reinhold Schäfer
Urjels-Palm in der Bierdeckel-Serie „Kölsche Originale“, Bild: Bild: rs-bierdeckel.de, Reinhold Schäfer

Heimat kölscher Originale

Am Eigelstein lebten auch Johann Arnold Klütsch (1775 – 1845), in Köln als „Fressklötsch“ bekannt. Ein legendärer Vielfraß und hochgeachteter Bürger. Und auch der als vornehme Straßenmusikant bekannte Johann Joseph Palm (1801 – 1882) – genannt „Orjels-Palm“ – lebte in dieser Straße.

Früher Kappesboore, in den 1970er „Klein Istanbul“

Wirft man einen Blick in die Mercator-Stadtansicht von 1570. ist der Eigelstein eine eher abgelegene Straße. In der Weidengasse, die auf ungefähr halber Höhe in den Eigelstein mündet, kann man auf der alten Ansicht noch einfache Strohhütten erkennen. Hier haben damals die als „Kappesbure“ bezeichneten Kohlbauern sowie die Stadtsoldaten und auch Wäscherinnen in prekären Verhältnissen gelebt.

Deutlich aurf diesem Ausschnitt des Mercator - Stadtplanes zu erkennen: Die Weidengasse war früher kaum bebaut
Deutlich aurf diesem Ausschnitt des Mercator – Stadtplanes zu erkennen: Die Weidengasse war früher kaum bebaut

Ab den 1970er Jahren war insbesondere die Weidengasse ein bei der türkischen Bevölkerung sehr beliebtes Wohnviertel. Hier wurde auch 1974 der erste türkische Gemüseladen Kölns eröffnet.

Allerdings ist in diesem sehr urbanen Viertel die Gentrifizierung festzustellen: Immer mehr wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängen die weniger zahlungskräftigen Einwohner. Aber noch finden sich hier unzählige Schnellimbisse mit türkischen Spezialitäten. Der Rauch, der insbesondere beim Grillen der Dönerspieße entsteht, sorgt regelmäßig für Ärger bei den (neuen) Anwohnern.

Die 1970er Jahre war auch das kriminelle Milieu der Stadt stark am Eigelstein vertreten. Insbesondere „Im Stavenhof“, einer kleinen, engen Seitengasse, boomte die Prostitution.

Heute ist der Eigelstein eine in weiten Teilen autofreie Fahrradstraße – was aber regelmäßig zu Konflikten zwischen herumschlendernden Fußgängern und eiligen Lastenradfahrern führt.

Das "Schmalste Haus Kölns", Eigelstein 115, Bild: wowo2008, Public domain, via Wikimedia Commons
Das „Schmalste Haus Kölns“, Eigelstein 115, Bild: wowo2008, Public domain, via Wikimedia Commons

Attraktion: Das schmalste Wohnhaus Kölns

Es ist zwar 30 Meter lang, aber nur 2,56 breit: Das schmalste Wohnhaus Kölns befindet sich am Eigelstein Hausnummer Nr. 115. Kurios: Das Haus hat keine eigene Außenwände sondern wurde zwischen die Brandmauern der beiden Nachbargebäude gebaut. Ebenfalls platzsparend: Die Badezimmer sind über Schiebetüren abgetrennt, die Treppen zu den oberen Stockwerken wurden nach außen gelegt.

Am Eigelstein ist Musik

Selbstverständlich darf in einer Stadt, die sich selbst regelmäßig feiert und besingt auch ein Lied zum Eigelstein nicht fehlen: Die kölsche Band „Räuber“ hat dieser Straße mit dem äußerst eingängigen Lied „Am Eigelstein es Musik“ ein musikalisches Denkmal gesetzt.

Etwas feinsinniger die Lieder, die der Straße „Unter Krahnenbäumen“ gewidmet sind. Diese Straße mündet auf Höhe der Weidengasse in den Eigelstein. Willi Ostermann besingt 1936 das „Kinddauf-Fess Unger Krahnebäume“, Wolfgang Niedecken bezeichnet diese Ecke 2004 in seinem Lied „Unger Krahnebäume“ als „Schattenseite des Doms“:

Rään un Sonnensching und Harel, Eirestein un WiggejassLang nit mieh heher jefahre, och mit wirklich jetzt verpassSonnenbank un Dönerbuude, Ahn- un Verkauf, JlitzerkrommEinmohl mieh erinnjeroode en die Schattesick vum Dom

Von 1979 bis 1988 gab es auch Eigelstein Musikproduktion GmbH. Dieses Label brachte 1979 das BAP-Album „BAP rockt andere kölsche Leeder“ und 1980 das deutlich rockigere „Affjetaut“ heraus.

Heinrich Böll wird von Schwester Antonia wegen seiner Fähigkeit, Menschen zu analysieren und diese Erkenntnis zu formulieren sehr geschätzt. Bild: Harald Hoffmann
Heinrich Böll hat in dem Essay „Straßen wie diese“ seine Sehnsucht nach Straßen wie „Unter Krahnebäume“ beschrieben, Bild: Harald Hoffmann

Heinrich Böll: „Straßen wie diese“

Durch Heinrich Böll hat es das Eigelstein-Viertel auch in die Weltliteratur geschafft. Als Nachwort zu dem sehenswerten Bildband „Unter Krahnenbäumen – Bilder aus einer Straße“ des Kölner Fotografs Chargesheimer schreibt Böll:

„Durch Straßen wie diese führte mein Schulweg, sieben Jahre lang; viele tausend Male bin ich durch solche Straßen gegangen, aber nie in sie eingedrungen; erst viel später – in der Erinnerung begriff ich, was Straßen wie diese bedeuten, ich begriff es, wie man plötzlich Träume begreift, wenn ich in fremden Städten stundenlang durch Straßen ging und eine wie diese suchte, aber nicht fand.“


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Der Kallendresser zeigt uns die bläcke Fott

Der Kallendresser am Alter Markt, Bild: Elke Wetzig (elya) [CC BY-SA (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)]
Der Kallendresser am Alter Markt, Bild: Elke Wetzig (elya) [CC BY-SA (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)]

+++ TOP AKTUELL: Film „Der Kallendresser lebt!“  +++

Am 19. April 2023 war die Welturaufführung: Der Kölner Filmemacher Bruno Neurath-Wilson hat seine sehenswerte Dokumentation „Der Kallendresser lebt“ veröffentlicht. 
Ganz am Anfang des Films kommt auch ein ganz bestimmter Kölner Stadtführer zu Wort. Schaut da unbedingt mal rein!


Unerhört!
Da hockt ein kleines Männlein hoch über unseren Köpfen und streckt uns die bläcke Fott (hochdeutsch: das nackte Gesäß) entgegen. Offensichtlich ist es gerade dabei, in de Kall ze drisse (hochdeutsch: seine Notdurft in der Regenrinne zu verrichten). Und das mitten in der Stadt. Am Alter Markt. Diese kleine Männlein wird von den Kölschen liebevoll Kallendresser genannt. Ihr findet es am Alter Markt, Hausnummer 24.

Das Kallendresser-Leed

Die Kölschen lieben diese kleine Figur, es gibt sogar ein eigenes Lied dazu:

Ki-Ka Kallendresser,
hev et Hembche huh!
Kik-Ka Kallendresser,
mähs de Minsche fruh.
Häste Ärger un Verdross,
mähste deer nix druus,
denkste nor wie Goldschmitsjung
un stipps dä Mond erus. 

Übersetzung:
Ki-Ka Kallendresser,
hebt das Hemdchen hoch,
Kik-Ka Kallendresser,
machst die Menschen froh.
Hast du Ärger und Verdruss,
mach dir nichts draus,
denke nur wie ein Lehrling der Goldschmiedekunst1Denken wie ein Goldschmittsjung“ ist eine (heute kaum noch gebräuchliche) Redensart für (vornehm gesagt) „Du kannst mich mal.“
und streckst den Mond2hier: Das Hinterteil heraus.

Verschiedene Legenden zur Herkunft

Genau wie beim Halven Hahn gibt es auch beim Kallendresser verschiedene Legenden zur Entstehung:

  • Am Alter Markt war es anscheinend schon immer etwas lauter. Besonders jedoch störte sich ein Schneider daran, dass unter ihm ein – offensichtlich weniger talentierter – Musiker Tuba übte. Nach vielen Ermahnungen wegen der Ruhestörung wurde es dem Schneider zu bunt, und er hockte sich an die Dachkall und zielte ganz genau …

oder:

  • Für Dachdecker ist es natürlich mühsam, für das „Geschäft“ eine Toilette aufzusuchen. Viel einfacher ist es doch, die Regenrinne zu benutzen.

oder:

  • Die oberen Stockwerke wurden früher von den Dienstboten bewohnt. Selbstverständlich gab es dort oben keine Toilette. Und dann war der Weg zur Dachrinne nicht so weit wie der Weg zum Plumpsklo im Hinterhof.

oder: 

  • Meine Lieblingsgeschichte leitet sich vom Standort des Kallendressers ab: Dreht man sich einmal um, sieht man das Rathaus. Und plötzlich wird der nackte Hintern der Figur zum politischen Statement.

Wie in Kölle so üblich: Zu vielen Legenden gibt es eine ganze Reihe Erklärungen, wobei gilt: Was am Ende richtig ist, ist egal. Hauptsache, die Geschichten sind schön!

Der Kallendressers als Synonym für das Aufbegehren gegen die Obrigkeit

Tatsächlich gab es einen Vorläufer der Figur des Kallendressers. Dieser erste Kallendresser wurde von den Kölner Bürgern am „Haus zur Sonne“ am Alter Markt angebracht. Besonders pikant: Ausgerichtet war der nackte Hintern in Richtung des Klostereingangs von St. Martin.

Die Mönche des Klosters hatten sich den Zorn der Bürgerschaft zugezogen, als sie einen Verbrecher, der sich in der vermeintlichen Immunität des Klosters sicher fühlte, an die städtischen Behörden auslieferten. Die empörten Bürger errichteten daraufhin die provokante Figur. Auch eine Klage des Klosters gegen die Figur des Kallendressers wurde abgewiesen. 

Drastischere Darstellung von Ewald Mataré

Dieser „Vorläufer“ des heutigen Kallendressers, der im Krieg stark beschädigt wurde, war in der Darstellung etwas zurückhaltender. Man erkannte zwar, welcher Beschäftigung die Figur nachging, jedoch war diese mit einem langen Hemd bekleidet. Also war kein Blick auf bläcke Fott möglich. Leider konnte man diese Figur wegen der Beschädigungen nicht mehr aufhängen. 

Dass der Kallendresser überhaupt noch existiert, ist der Initiative von Josef „Jupp“ Engels (1909–1991)3Jupp Engels stiftete übrigens auch das Geld und Material zur Schmitz-Säule. verdanken. Der Mäzen und Freund des kölschen Brauchtums sicherte sich in einem typisch kölschen Deal die Figur des Kallendressers: Er tauschte einen mittalterlichen Torbogen, den er beim Bau eines Hauses gefunden hatte, gegen die Rechte an der Figur des Kallendressers ein.

Nachdem er sich die Rechte gesichert hatte, beauftragte Engels seinen Freund, den renommierten, in Düsseldorf tätigen Künstler Ewald Mataré, eine neue Figur zu schaffen. Und – genau wie beim Rosenmontagszug – scheinen die Düsseldorfer immer etwas drastischer in ihren Darstellungen zu sein. Mataré gestaltete die Nachbildung in grünpatiniertem Kupferblech. Ohne Nachthemd, dafür aber mit freiem Blick auf das entblößte Gesäß. Und so hängt er da oben – sehr zu Belustigung der Passanten.

Der Kallendresser-Orden

Jupp Engels gründete auch den Kallendresser-Orden. In diesen Orden können nur Menschen aufgenommen werden, die sich um das Kölner Brauchtum verdient gemacht haben. Selbstverständlich war Engels als Oberkallendresser Präsident dieses Ordens.

HELLERS Kallendresser ist ein wohlschmeckender und wohltuender Kräuterlikör mit 32% Alkohol, Bezug über https://www.hellers.koeln/
HELLERS Kallendresser ist ein wohlschmeckender und wohltuender Kräuterlikör mit 32% Alkohol

Verschiedene Versionen des Kallendresser in ganz Köln – und sogar in Rumänien und Barcelona

Die Brauerei Heller vertreibt den Kallendresser als Getränk: Ein wohlschmeckender Kräuterlikör mit 32% Alkohol.  Und über der Theke im Hellers Brauhaus an der Roonstraße reckt auch ein kleiner Kallendresser seinen Hintern in Richtung Besucher. 

In Junkersdorf und in Seeberg zeigen jeweils kleine Kallendresser ihre bläcke Fott, wobei die Figur in Seeberg ihren Hintern ausdrücklich in Richtung eines ungeliebten Nachbarn streckt. Genau wie in Rumänien: In der Kleinstadt Braila hat ein Kölner Unternehmer einen Kallendresser an seinem Haus montiert – ebenfalls als Zeichen gegen einen missgünstigen Nachbarn.

Der Caganer, unverzichtbarer Bestandteil jeder katalanischen Weihnachtskrippe und offensichtlich ein Verwandter des kölschen Kallendressers. Bild: Slastic, via Wikimedia Commons
Der Caganer, unverzichtbarer Bestandteil jeder katalanischen Weihnachtskrippe und offensichtlich ein Verwandter des kölschen Kallendressers. Bild: Slastic, via Wikimedia Commons

Und dann gibt es auch noch einen entfernten Verwandten des Kallendressers: In keiner katalanischen Krippe darf der Caganer4katalanisch für Scheißer fehlen. Diese Figur stellt stellt eine Person mit heruntergelassenen Hosen dar, die sich im Umfeld der Geburt Jesu erleichtert. Es ist für Kinder aus Barcelona ein beliebtes Spiel, den Caganer in der Krippe zu finden.

Und die Moral von der Geschichte?

Bruno Neurath-Wilson fasst in seinem Film „Der Kallendresser lebt“ die Intention des Kallendressers perfekt zusammen:

  1. Welche der Legenden zur Entstehung des Kallendressers richtig ist, ist am Ende egal – Hauptsache, die Geschichten sind schön! 
  2. Etwas mehr Kallendresser würde uns allen gut tun: Weniger Streiterei, weniger Gerichtsverfahren. Stattdessen einfach mal die bläcke Fott zeigen und gut ist.

Bei der Lotsentour Innenstadt werfen wir auch einen Blick auf den Kallendresser.


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Stolpern über Geschichte(n): Stolpersteine und das EL-DE-Haus in Köln

Sieben von mittlerweile etwa 100.000 verlegten Stolpersteinen, davon etwa 2.500 in Köln, Bild: Axel Hindemith
Sieben von mittlerweile etwa 100.000 verlegten Stolpersteinen, davon etwa 2.500 in Köln, Bild: Axel Hindemith

Von Zeit zu Zeit veröffentliche ich Texte von Gastautoren im „Köln-Ding der Woche“. Dieser Beitrag stammt von Andreas „Andy“ Artmann. Der Journalist und Creative Director war einmal der der jüngste Zeitschriften-Verleger Kölns, leitete den Straßenvertrieb der Kölner Illustrierten und erstellte mit „20 Minuten Köln“ die erste echte Onlinezeitung Deutschlands.

In diesem Beitrag schreibt Andy Artmann über die Stolpersteine und das EL-DE-Haus in Köln. Vielen Dank, dass ich diesen Text hier veröffentlichen darf.


Stolpern über Geschichte(n):
Stolpersteine und das EL-DE-Haus in Köln

von Andreas „Andy“ Artmann

Vorab:

Das Kunst- und Erinnerungsprojekt „Stolpersteine“ meines Kollegen Gunter Demnig startete 1995 in Köln. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), bezeichnet die „Stolpersteine“ als „unerträglich“. Nach Knoblochs Meinung, würden die Namen ermordeter Menschen mit Füßen „…getreten“. Im Dezember 2005 hatte ich Gelegenheit über Demnigs Werk zu schreiben. 

Stolperstein Juliska Artmann, Aachener Straße 28, 50674 Köln, Bild: 1971markus, CC BY-SA 4.0
Stolperstein Juliska Artmann, Aachener Straße 28, 50674 Köln, Bild: 1971markus, CC BY-SA 4.0

Aachener Straße: Kebab-Buden, Cafés, kleine Buchantiquariate, schräg gegenüber das Volkstheater Millowitsch1heute die „Volksbühne“. Freundliches Wetter. Die Menschen flanieren. Mein Blick bleibt an einem zehn mal zehn Zentimeter großen Pflasterstein hängen. Darauf glänzt eine Messingplatte in der Wintersonne. In diese sind Worte eingetrieben: „Hier wohnte Juliska Artmann, geb. Fellner, Jg 1891, deportiert 1941 nach Riga.“ Ein Stolperstein des Künstlers Gunter Demnig. Seit 1995 verlegt er sie, kleine Gedenkstätten auf zehn Quadratzentimetern.

Demnig pflastert die Stadt mit Erinnerungen. Jeder einzelne Stein widmet sich dem Schicksal eines Menschen, den die Nazis zunächst „aussortierten“ und anschließend „auslöschten“. Widerstandskämpfer, Behinderte, Mitglieder von Minderheiten wie die deutsch-jüdischen Bewohner oder die im damaligen Amtsdeutsch als „Zigeuner“ bezeichneten Angehörigen der Sinti und Roma. So kehren diese Opfer der Tyrannei ins Bewusstsein der Passanten zurück. Wer aber war Juliska Artmann?

NS-Dokumentationszentrum und Gedenkstätte im EL-DE-Haus

Mein Interesse ist durch den Stolperstein geweckt, teile ich mit der Unbekannten doch den Familiennamen: „Artmann“. Über das Internet gelange ich auf die Seite des EL-DE-Hauses, benannt nach den Initialen des Erbauers und Besitzers Leopold Dahmen. Bis Kriegsende war das Gebäude die Zentrale der Gestapo (Geheime Staatspolizei) des damaligen „Gaus Köln“. Heute ist es NS-Dokumentationszentrum und Gedenkstätte. Dort erfahre ich, dass Juliska der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörte. Ich beschließe, die Spurensuche im EL-DE-Haus fortzusetzen.

Appellhofplatz Nummer 23 – fußläufig zum weltbekannten deutschen Wahrzeichen Kölner Dom. Neben dem Haus liegt St. Maria in der Kupfergasse, eine alte Wallfahrtskirche, davor zwei Bettler. Gegenüber das Amtsgericht. Bereits am 8. November 1938, einen Tag vor der „Reichskristallnacht“, zerrten dort Nazis die Amtsrichter jüdischer Abstammung heraus und fuhren sie auf Müllkarren durch die Stadt.

Der aus einer kölsch-jüdischen Familie stammende Künstler Manfred Weil erinnert sich später an die Straßenszene. Sein Vater Emil sagte damals: „Wenn die das mit den Richtern machen, weißt Du, was uns geschehen wird.“

Das EL-DE-Haus, NS-Dokumentationszentrum und Gedenkstätte in Köln, Bild: Raimond Spekking
Das EL-DE-Haus, NS-Dokumentationszentrum und Gedenkstätte in Köln, Bild: Raimond Spekking

Das EL-DE-Haus ist ein solides gräuliches Gebäude, Neoklassizismus. Unkompliziert hilft mir dort Barbara Becker-Jèkli bei der Spurensuche. Die Historikerin der Stadt Köln dokumentiert im EL-DE-Haus die Stolpersteine. In ihrem Büro sucht sie eine Karteikarte aus dem Archiv. Juliska Artmanns eingetragener Beruf ist „Heimarbeiterin“. In Köln-Sülz war sie als Schneiderin gemeldet. Später lebte sie in der Richard-Wagner-Straße, heute gibt es hier Comic- und Musikgeschäfte. Das Haus in der Aachener Straße mit dem Stolperstein davor, der Juliskas Namen trägt, scheint ein Ghetto-Haus gewesen zu sein. Darauf deuten die vielen Namen anderer Deportierter in der Kartei hin.

Was mit Juliska weiter passierte, verliert sich in den Wirren von Umquartierung, Deportation und Vernichtung. Insgesamt wurden etwa 25.000 deutsche Juden nach Riga deportiert. Die Überlebensquote, sofern die Frau das Ghetto überhaupt lebend erreicht hat, war gering. In der Bibliothek des EL-DE-Hauses versorge ich mich mit weiteren Informationen. 

Detailansicht einer Wandinschrift in einer Zelle des EL-DE-Hauses, Bild: Elya, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Detailansicht einer Wandinschrift in einer Zelle des EL-DE-Hauses, Bild: Elya, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Beeindruckende Gedenkstätte im Keller

Danach besuche ich die Dauerausstellung über den Nationalsozialismus. Es empfiehlt sich eine Führung. Im zweiten Stockwerk verharre ich vor einem riesigen Luftbild des 1945 zu mehr als 90 Prozent zerstörten Kölns.

Ein schlechter Treppenwitz der Geschichte: Die Bomben der Alliierten verschonten das EL-DE-Haus – und damit ausgerechnet das Folterhaus der Gestapo.

Die Dauerausstellung erläutert, wie Menschen ausgegrenzt werden. Ein schleichender Prozess, wie aus übler Nachrede vermeintliches Allgemeinwissen, aus Propaganda verquere Wahrheit wird. Die eigentliche Gedenkstätte befindet sich im Keller. Der Zellentrakt ist erhalten geblieben. Knapp 1800 Inschriften an den Wänden zeugen vom Martyrium der Inhaftierten. Teilweise mit Fingernägeln in die Wände gekratzt, versuchten die Opfer, Botschaften zu hinterlassen. Ein Gefangener schrieb an die Zellenwand: „Kämen doch bloß die Amerikaner.“

Claus Hinrich Casdorff (1925 – 2004), späterer Gründer des WDR-Magazins „Monitor“, war hier im letzten Kriegsjahr als junger Wehrmachtsoffizier inhaftiert. Casdorff ein Mitwisser des Putschversuches vom 21. Juli 1944 (Tag des Stauffenberg Attentats auf Adolf Hitler): „Eigentlich wusste ich nichts. Da kam ich nur lebend raus, weil Kameraden schweigend in den Tod gingen, ohne meinen Namen zu nennen. Das Gedenken an diese Widerständler war mein Antrieb, Journalist zu werden.“

Die Zelle 9, eine von zehn insgesamt zehn Zellen im EL-DE-Haus, Bild: Factumquintus, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Die Zelle 9, eine von insgesamt zehn Zellen im EL-DE-Haus, Bild: Factumquintus, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Folter- und Hinrichtungsstätte mitten in der Stadt 

Der Folterkeller befindet sich noch eine Etage tiefer im zweiten Untergeschoss. Die Schreie der Gequälten, worttäuschend als „Schutzhäftlinge“ bezeichnet, sollten nicht nach draußen dringen; so blieb die ordentliche Fassade des NS-Staates gewahrt. Die überlebende Insassin Käthe Brinkler schildert später, dass ihre Tortur pünktlich um zwölf Uhr unterbrochen und um 13 Uhr fortgesetzt wurde: Mittagspause im Deutschen Reich.

1944 waren die verbliebenen Kölner an Tod und Verwüstung gewöhnt, jetzt wurden im Hof des Hauses die ersten Menschen hingerichtet. Hunderte weitere Hinrichtungen sind belegt. Wie viele Häftlinge genau durch Folter, Schnellgerichte oder Krankheit hier starben, weiß heute niemand.

An einige wenige Menschen erinnern in den Straßen von Köln die Stolpersteine von Gunter Demnig.

Nachtrag:

Der Artikel erschien im Dezember 2005 in der Urversion »Erinnerung: Stolpern über Geschichte« in »Y. Magazin der Bundeswehr« (12/2005, Seite 100 f.) als Arbeit für die Frankfurter Societät (Mediengruppe Frankfurt). Dies rund zehn Jahre nach der ersten Verlegung eines Probe-Stolpersteines in der Kölner Thieboldsgasse (1995). Dieser Text wurde von überarbeitet und durch eine Passage meines persönlichen Gespräches mit Claus Hinrich Casdorff (1925 bis 2004) und eines Satzes von Manfred Weil (1920 bis 2015) ergänzt. Casdorff lernte ich 1996 für Reporter ohne Grenzen Deutschland in seiner Funktion als Chef des Kölner Presseclubs kennen und schätzen.

Andreas „Andy“ Artmann


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Kölner Stadtteile: Klettenberg – zunächst der Park, dann die Siedlung

Luftbild von Klettenberg aus dem Jahr 2017, Bild: Maximilian Schönherr, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Luftbild von Klettenberg aus dem Jahr 2017, Bild: Maximilian Schönherr, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

In Sachen „Grünanlagen“ hat Köln unter den deutschen Städten zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine führende Rolle gespielt. Unter der Regie von Fritz Encke, der 1903 von Berlin nach Köln wechselte und neuer Gartenbaudirektor wurde, entstanden bis Mitte der 1920er Jahre mehr als ein Dutzend städtischer Parks und Grünanlagen. Das erste größere Werk von Fritz Encke war der Klettenbergpark im Jahr 1905.

Bis dahin war Klettenberg ein mehr oder minder unbeschriebenes Blatt gewesen: Im Jahr 1888 hatte die Stadt Köln das weitgehend unbebaute Gebiet zwischen heutiger Luxemburger Straße und den Bahngleisen eingemeindet. Neben dem Gut Klettenberg war auf der gegenüberliegenden Seite der Luxemburger Straße (heutiges Sülz) noch eine Handvoll Häuser, in denen gerade mal 26 Menschen lebten. Es sollte für das neue Kölner Veedel noch 13 Jahre dauern, bis im Jahr 1901 eine Bauplanung vorgelegt wurde.

Der „Feurige Elias“

In der Zwischenzeit hatte am 20. Januar 1898 der „Feurige Elias“ seine regelmäßigen Fahrten von Bonn über das Vorgebirge und die Luxemburger Straße bis zum Barbarossaplatz aufgenommen. 1906 nahm zudem die „Cölnische Straßenbahn-Gesellschaft“ eine Linie über die Luxemburger Straße in Betrieb, die bis zur heutigen Sülzburgstraße verkehrte.

Die Vorgebirgsbahn "Der Feurige Elias", hier um 1900 auf dem Marktplatz in Brühl
Die Vorgebirgsbahn „Der Feurige Elias“, hier um 1900 auf dem Marktplatz in Brühl

Bevor also mit dem Bau des neuen Wohnortes Klettenberg begonnen wurde, waren Eisenbahn, Straßenbahn und auch der Klettenbergpark schon fertig. Geplant war das Siedlungsgebiet für finanziell gut gestellte Menschen wie Kaufleute, Beamte oder leitende Angestellte. Klettenberg sollte etwas Besonderes sein und vor allem Grünflächen bieten.

Siebengebirgsallee und Petersbergstraße sind heute bevorzugte und teure Wohnlagen

Bis heute ist die Siebengebirgsallee, die am Gottesweg die Luxemburger Straße bogenförmig verlässt und diese an der Geisbergstraße wieder erreicht, ein bevorzugtes Wohngebiet. Die Gründerzeithäuser wurden alle zwischen 1905 und 1914 errichtet, 337 Häuser waren zu Beginn des Ersten Weltkrieges fertig gestellt und bezogen worden.

Ein Haus an der Siebengebirgsallee, eine bevorzugte Wohngegend in Klettenberg, Bild: Hac60, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Ein Haus an der Siebengebirgsallee, eine bevorzugte Wohngegend in Klettenberg, Bild: Hac60, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Klettenbergpark wird zum Besuchermagenten

Mindestens genauso beliebt wie die Siebengebirgsallee ist der zuvor erwähnte Klettenbergpark. Gartenbaudirektor Fritz Encke errichtete innerhalb weniger Monate zwischen Nassestraße, Siebengebirgsallee und Luxemburger Straße diesen Park. Die ehemalige Kiesgrube und das brache Gelände gestaltete er mit einem Teich, einem Restaurant, über 250 großen Bäumen, zahllosen Rosen und 50 laufenden Metern Bank. Mit viel Erfolg – der neue Park wurde sehr schnell zu einem Magneten für die Kölner. Bereits kurz nach der Eröffnung erwies sich die provisorische Gastwirtschaft als viel zu klein.

Zu den 100 Tischen sollten noch weitere 50 aufgestellt werden. Außerdem genehmigte die Stadtverordnetenversammlung im April 1909 ein größeres  Restaurationsgebäude. Mit knapp 100.000 Mark war es um einige wenige tausend Mark teurer als die gesamte Parkanlage selbst. Das Restaurant wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Der Rosengarten im Klettenbergpark, Bild: Maximilian Schönherr, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Der Rosengarten im Klettenbergpark, Bild: Maximilian Schönherr, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Erfolgreich waren auch die Häuser und Wohnungen in Klettenberg: Viele Bürger aus Sülz gaben gern als Adresse Klettenberg an, obwohl sie eindeutig auf Sülzer Gebiet wohnten. Schließlich galt Klettenberg als die vornehmere Adresse, die Heimstatt für die so genannten besseren Kreise. Andere Sülzer hingegen störten sich daran nicht und stempelten die Klettenberger kurzerhand als hochmütig ab.

Mit dem Bau der Häuser und dem Park verschwand das, was eigentlich Klettenberg seit dem Jahr 1225 gewesen war: ein Gutshof mit einem Park voller Obstbäume, Gemüsegärten, einem kleinen Teich sowie vielen Alleebäumen und einem Berg. Das Gut Klettenberg begann einmal dort am Gottesweg, wo die Siebengebirgsallee auf die Luxemburger Straße stößt, war also weiter stadteinwärts als der heutige Klettenbergpark.

„Cletenbergh“ oder „Cleytenberch“ oder „Clettenbergh“

Auch wenn das Gartengut verschwand, so blieb doch wenigstens der Name; mal schrieb man „Cletenbergh“, mal „Cleytenberch“ oder auch „Clettenbergh“. Dem ersten Teil des Namens ist bislang noch niemand auf die Spur gegangen, zumindest wenn es um Köln-Klettenberg geht. In den Nachschlagewerken findet man unter Klettgau, Klettbach, Kleestadt, Clete als gemeinsame Wurzel „kled“, was so viel wie „klebrige Feuchtigkeit“ bedeuten soll.

Man könnte den ersten Namensteil Kletten- von Klettenberg aber auch auf das mittellateinische „cleta“ zurückführen, das keltischen Ursprung hat. Es steht für „Geflecht“ oder „Einzäunung“.

Als dritte Möglichkeit käme aber auch die Bedeutung „fester Ton, Lehm“ in Frage, wenn man Kletten- auf das mittelniederdeutsche „klei“ zurückführt. Nicht unwahrscheinlich, denn im Laufe der Jahrhunderte schrieb man unter anderem auch Cleytenberch.

Während die „klebrige Feuchtigkeit“ (zahlreiche tote Rheinarme in der Kölner Bucht) wie auch „der feste Ton, Lehm“ (zahlreiche Kiesgruben und Ziegeleien im 19. Jahrhundert unter anderem auch im benachbarten Sülz) durchaus mit Klettenberg in Verbindung gebracht werden können, leuchten die Worterklärungen „Geflecht“ und „Einzäunung“ nicht ohne weiteres ein.

Sprachwissenschaftler führen Clettemberg im Kreis Hohenstein auf die Bedeutung „Geflecht, Einzäunung“ zurück. Was für dieses ferne Clettemberg gilt, kann auch für unser Klettenberg gelten – kann, muss aber nicht.

Der zweite Teil des Namens Klettenberg weist eindeutig auf das Gelände hin, einen Berg, eine Anhöhe. So war im Volksmund die Formulierung „auf dem Klettenberg“ über Jahrhunderte gängig.


Kardinal Joseph Frings im Jahr 1959, Bild: City Archives Kerpen, CC BY 4.0
Kardinal Joseph Frings im Jahr 1959, Bild: City Archives Kerpen, CC BY 4.0

Kardinal Frings in Klettenberg 

Stefan hat selber lange in Klettenberg gewohnt. Und mir erzählt, dass Kardinal Frings seine Reden im Brunosaal1Das ist der Gemeindesaal der Klettenberger Brunokirche. gerne mit den Worten „Liebe Männer und Frauen aus Sülz, sehr geehrte Damen und Herren aus Klettenberg, …“ eingeleitet hat.

Dieses Bonmot ist, so Stefan, überliefert von einem Zeitzeugen aus dem Klerus. Vielen Dank für diese Ergänzung! 


Teiles dieses Texts durfte ich mit freundlicher Genehmigung des Emons-Verlags aus dem Buch „Kölns 85 Stadtteile“ von Christian Schuh übernehmen.


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Gesucht: Das kölsche Wort für „Liebe“

Eine Million Liebesschlösser auf der Hohenzollernbrücke als Ausdruck der Liebe - doch kein kölsches Wort, Bild: NoName_13, Pixabay
Eine Million Liebesschlösser auf der Hohenzollernbrücke als Ausdruck der Liebe – doch es gibt kein kölsches Wort für die Liebe, Bild: NoName_13, Pixabay

„Für alles jitt et e Woot, nur für die Liebe nit.“ 1Für alles gibt es ein Wort, nur für die Liebe nicht.

ist ein Songtitel der kölschen Band Lupo. In diesem Lied wird eingängig erklärt, dass es in der kölschen Sprache für viele hochdeutsche Wörter spezielle eigene kölsche Wörter gibt. So nennt der Kölner

ABER: Es gibt tatsächlich kein spezielles kölsches Wort für die Liebe. Und das ist äußerst erstaunlich.

Warum gibt es in der kölschen Sprache kein Wort für die Liebe?

Für den Satz „Ich liebe Dich“ gibt es tatsächlich keine kölsche Übersetzung. Mangels eigener kölscher Worte für die Liebe nutzt der Kölner hilfsweise Umschreibungen. Das klingt dann ungefähr so: „Isch han dich jän“ oder „Ich maach dich“.2Nur am Rande: Der Kölner hat zwar kein eigenes Wort für die Liebe, dafür aber ein eigenes Wort für ein (außereheliches) Verhältnis: „Fisternöllchen“. Und das lässt eindeutige Rückschlüsse auf das kölsche Gemüt zu!

Der Kölner liebt das Flirtspiel, will sich aber nicht festlgen, so der Psychologe Stephan Grünewald. Bild: Raimond Spekking
Der Kölner liebt das Flirtspiel, will sich aber nicht festlgen, so der Psychologe Stephan Grünewald. Bild: Raimond Spekking

Stephan Grünewald ist ein bekannter Psychologe. Er meint, die Kölner hätten deswegen ein Problem mit dem Begriff „Liebe“, weil sie sich mit einem so endgültigen Bekenntnis sehr schwer tun. Grünewald sagt: „Der Kölner liebt das Flirtspiel: Bützen ja, aber bitte nicht festlegen! Lieber gekonnt alles offen halten, sonst kommt man wieder in die Bredouille.“3Stephan Grünewald im Kölner Express vom 10. August 2011

Ein anderer echter Experte für die kölsche Sprache und auch das kölsche Gemüt war der im Jahr 2011 verstorbene Komponist Hans Knipp. Er hat so wunderschöne Lieder wie „Mer losse d’r Dom en Kölle“, „Ene Besuch im Zoo“ oder „Unsere Stammbaum“ geschrieben. Und auch „Ming etzte Fründin“. Der Mann kannte sich also mit der Liebe aus.

Hans Knipp, Bild: Musikverlage Hans Gerig KG
Hans Knipp erklärt, dass der kölschen Sprache das Pathos fehlt, Bild: Musikverlage Hans Gerig KG

Auch er wurde gefragt: Herr Knipp, wieso gibt es kein kölsches Wort für Liebe? Seine Antwort: „Die kölsche Sprache ist herzlich, aber ihr fehlt das Pathos. Dadurch gibt es aber auch in den Liedern diese gewisse Schnulzigkeit nicht, die man sonst in Schlagern findet.“4Hans Knipp im Kölner Express vom 10. August 2011

Das Wort „Leevde“ ist in Vergessenheit geraten – eine Spurensuche

Der kölsche „Sprach-Papst“ Adam Wrede5Neuer Kölnischer Wortschatz, Greven Verlag Köln 1976 übersetzt „Liebe“ tatsächlich mit „Leev“ oder „Leevde“ und führt auch die kölschen Sprichwörter „Kahl Häng, wärm Leev.“6„Kalte Hände, warme Liebe.“ oder „Hät einer nit Leev noch Juns, dann helfe nit Red noch Kuns.“7„Hat einer keine Liebe und keine Gunst, dann helfen weder Rede noch Kunst.“ auf, weist aber ausdrücklich darauf hin, dass dieser Begriff nur noch selten gebraucht wird und meist durch „jän han“ umschrieben wird.

Rolly Brings bei einem Auftritt in Köln-Ehrenfeld (2007), Bild: Elke Wetzig (Elya), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Rolly Brings bei einem Auftritt in Köln-Ehrenfeld (2007), Bild: Elke Wetzig (Elya), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Rolly Brings ist ein kölscher Autor und Liedermacher und wurde 2022 mit dem Karl-Küpper-Preis geehrt. Er hat das Lukasevangelium auf Kölsch übersetzt – man kann ihn also als echten Kölsch-Experten bezeichnen. Rolly Brings begründet das Verschwinden des Worts „Leevde“ damit, dass man in der Domstadt lieber Bilder und Beschreibungen wie „Ich han dich zum fresse jän.“ nutzt. Er führt das darauf zurück, dass die kölsche Sprache keine abstrakten Begriffe kennt.

Mit „abstrakt“ wird der induktive Denkprozess des erforderlichen Weglassens von Einzelheiten und des Überführens auf etwas Allgemeineres oder Einfacheres bezeichnet. Einfacher formuliert: Mit Abstraktion wird nichts Gegenständliches bezeichnet. Und „Liebe“ ist eindeutig nicht „gegenständlich“. Demnach werden in der kölschen Sprache Begriffe eher „handfest“ und weniger abstrakt verwendet.

Und somit ist klar:
„Für alles jitt et e Woot, nur für die Liebe nit.“


Logo der Kölner Band "Cat Ballou"

Et jitt kei Wood, dat sage künnt
wat ich föhl, wenn ich an Kölle denk!

Offensichtlich fällt es den Kölschen auch schwer, ihre Liebe zu ihrer Heimatstadt in Worte zu verpacken. Zumindest wenn man der prominenten  Band Cat Ballou glaubt. 

Die Musiker singen, dass es kein Wort gibt, welches ihre Gefühle für Köln ausdrücken könnte. Andere Bands tun sich damit aber leichter, wie die unzähligen gesungenen Liebeserklärungen an die Stadt beweisen:

und viele, viele mehr! 


"Puddelrüh", "Pänz" oder "Halven Hahn" - kölsche Wörter sind einzigartig
Puddelrüh„, „Pänz“ oder „Halven Hahn“ – kölsche Wörter sind einzigartig

Erklärungen für viele weitere kölsche Wörter wie „kötten„, „maggeln“ oder „knüsselich“ gibt es in der Rubrik Kölsche Wörter.


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Berüchtigte Bordellmeile: Dä Stüverhoff (Im Stavenhof)

Enge Gasse mit bewegter Geschichte: Im Stavenhof, von den Kölner "Stüverhoff" genannt, Bild :Uli Kievernagel
Enge Gasse mit bewegter Geschichte: Im Stavenhof, von den Kölner „Stüverhoff“ genannt, Bild :Uli Kievernagel

Podcast Eigelstein-Stüverhoff 14

Den Schülerinnen der nahgelegen Ursulinenschule, bis 2012 noch eine reine Mädchenschule, war es verboten, über den Eigelstein zur Schule zu laufen. Und erst recht, einen Blick in den Stüverhoff zu werfen. Denn: Neben der Nächelsgasse in der Südstadt und der Brinkgasse im Friesenviertel war der Stavenhof, von den Kölner „Stüverhoff“ genannt, bis in die 1970er Jahre eine Hochburg der Prostitution. Dabei wäre es für die Schülerinnen natürlich äußerst spannend gewesen, zu sehen, was da alles so getrieben wurde.

Kinder spielen zwischen Prostituierten

Wenn man heute durch den Stavenhof läuft, kann man sich gut vorstellen, dass die hohen Mauern und die enge Gasse gute Voraussetzungen für einen Rotlichtbezirk geboten haben.

Dabei war der Stüverhoff anders als die anderen Rotlichtbezirke: Bis 1964 galt hier ein Mindestalter von 30 Jahren, um am Stüverhoff als Prostituierte arbeiten zu dürfen. Und ganz anders als in den anderen Kölner Prostitutions-Hotspots wohnten die Prostituierten tatsächlich zusammen mit der Nachbarschaft in dieser Straße. So berichtete eine Zeitzeugin: „Hier han doch fröher so vill Privatlück jewonnt, do han de Pänz jespillt, un mir stunde nevven der Kinder. Do hätt sich kei Minsch dran jestört!“1Quelle: Arne Dreßler: Stüverhoff, Animierkneipen und Anwohner: Rotlicht am Eigelstein.

Chicago am Rhein

Allerdings sollte diese vermeintliche Idylle nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch bis in die 1970er Jahre das kriminelle Milieu die Stadt fest im Griff hatte.

Frischse Pitter, Abels Män, Karate Jacky und nicht zuletzt Schäfers Nas und Dummse Tünn – die Namen der Protagonisten aus dieser Zeit klingen zwar wie kölsche Folklore, doch diese Männer waren brutale Schläger, Geldeintreiber und Zuhälter.

Im Buch "Chicago am Rhein" werden die Protagonisten des Kölner Milieus beschrieben (KiWi, Taschenbuch ,168 Seiten, 14,99 Euro)
Im Buch „Chicago am Rhein“ werden die Protagonisten des Kölner Milieus beschrieben (KiWi, Taschenbuch, 168 Seiten, 14,99 Euro)

Der ehemaligen Polizist Josef „Jupp“ Menth, vielen als „Der Kölsche Schutzmann“ im Karneval bekannt, war in dieser Zeit für die Kriminalpolizei tätig. Über „Schäfers Nas“ sagt Menth: „Die „Nas“ sei nicht etwa „ne Joode“ gewesen, wie viele Kölner sich heute einreden wollten, sondern ein ganz brutaler, menschenverachtender Zuhälter in Großausführung“.2Rheinische Post: Zuhälter und Zocker in Köln, 22.11.2011

So hat sich Köln den Ruf als „Chicago am Rhein“ redlich verdient. Mitte der 1960er Jahre wurden in der Domstadt jährlich knapp 50.000 Straftaten registriert – ein Spitzenwert im bundesdeutschen Vergleich.

Daran, dass der Stüverhoff ein Zentrum des kriminellen Milieus war, erinnert auch das Lied „Zoff em Stüverhoff“ der kölschen Band „Kragenknöpp“:

„Em Stüverhoff es Zoff …
Die Schmier is do
un schängt se uss … na na na“

Im Stavenhof, von den Kölnern "Stüverhoff" genannt, Bild: Uli Kievernagel

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Im Stavenhof, von den Kölnern "Stüverhoff" genannt, Bild: Uli Kievernagel

Die Entscheidung: Stadtpatronin oder Großbordell

Um das Milieu „auszutrocknen“ und die Prostitution besser zu kontrollieren, sollte 1964 ein Großbordell am Stüverhoff errichtet werden. Der ganze Eigelstein war entsetzt und machte mobil gegen dieses Vorhaben. Niemand geringerer als der damalige Pfarrer von St. Ursula, Paul Fetten, setzte sich an die Spitze dieser Bewegung und drohte damit, dass er von der Stadt verlangen würde, die Heilige Ursula als Stadtpatronin abzusetzen, sollte dieses Bordell tatsächlich gebaut werden. Die Stadt knickte ein.

Erst mit der Eröffnung des „Eros Centers“ im Jahr 1972 (später in „Pascha“ umbenannt) in der Hornstraße wurde die Prostitution in der gesamten Innenstadt und somit auch im Stavenhof untersagt. Zwar kamen Ende der 1970er einzelne Prostituierte zurück, doch die wilden Zeiten waren da schon längst vorbei.

Als Anfang der 1990er Jahre die Grenzen insbesondere zu den osteuropäischen Ländern geöffnet wurden, nahmen Banden aus diesen Regionen das Geschäft in die Hand – mitsamt ausländischen Prostituierten. Als dann noch vermehrt drogenabhängige Frauen am Eigelstein und drumherum anschafften, kippte die Stimmung endgültig, die offene Prostitution wurde nicht länger geduldet.

Das mit einem Architekturpreis prämierte Haus Stavenhof 20, Bild: Uli Kievernagel
Das mit einem Architekturpreis prämierte Haus Stavenhof 20, Bild: Uli Kievernagel

Bevorzugte Wohngegend und beliebter Drehort

Heute ist der Stavenhof eine reine Wohnstraße und mittlerweile eine bevorzugte sowie teure Ecke. Das Haus Stavenhof 20 hat sogar einen Architekturpreis gewonnen. Rund um den Eigelstein existieren zwar noch einzelne Stundenhotels und Wohnungen, in denen noch angeschafft wird. Allerdings spielt sich diese Prostitution eher im Verborgenen ab.

Tatsächlich ist die idyllische Gasse ein beliebter Drehort geworden. So haben bereits die Tatort-Kommissare aus Münster sowie Wilsberg und die „Kommissar Klefisch“ alias Willy Millowitsch hier ermittelt.

Und der Musiker Jürgen Zeltinger erinnert sich in seinem Lied Stüverhoff mit Wehmut an die alten Zeiten. Zu den Klängen von Lou Reeds „Walk On The Wild Side“ singt der Kölschrocker:

Mer troffe uns um zehn im Stüverhoff.
Do sachst zo mir, Mensch wat han ich neu dann drup.
Jon mer doch in dat dat ahle Appartement erin
un ich sach dir wie düür ich bin.
Ich jon wieder op dä Stüverhoff,
mache mir de nächste Freier op.
Un die Nutte singe: däp dä däp …


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Ein paar Fragen an Rudolf Nickenig: „Köln ist eine merkwürdige Weinstadt.“

Dr. Rudolf Nickenig
Dr. Rudolf Nickenig hat ein Buch zur „Weinstadt Köln“ veröffentlicht, Bild: Nickenig

Dr. Rudolf Nickenig als Weinexeperten zu bezeichnen wäre eine glatte Untertreibung. Dieser Mann „lebt“ das Kulturgut Wein. Geboren als Sohn einer Winzerfamilie aus Boppard lernte er das Winzerhandwerk von der Pike auf.

Bevor er Referent beim Deutschen Weinbauverband wurde, studierte er Lebensmittelwissenschaft in Bonn und promovierte über „Polyphenole in Weißweinen“. Von 1986 bis 2018 war Nickenig Generalsekretär des Weinbauernverbands. Während dieser Zeit war er auch Chefredakteur der Fachzeitschrift „Der Deutsche Weinbau“. Er arbeitete in verschiedenen Europäischen Spitzenverbänden des Weinbaus, ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Weinakademie (DWA) und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Gesellschaft für Geschichte des Weines e.V.

Buch: „Köln – eine merkwürdige Weinstadt“

Rudolf Nickenig hat bereits mehrere Bücher über Wein veröffentlicht. Sein jüngstes Werk allerdings hat es in sich: „Köln – eine merkwürdige Weinstadt“ ist ein Buch über die Weinhistorie Kölns. In der Stadt mit dem (selbsternannten) besten Bier der Welt. Ein klarer Fall für den Köln-Lotsen – das muss aufgeklärt werden.

Ich treffe Rudolf Nickenig ausgerechnet in einem Brauhaus. Und wir reden dort über Wein. Klingt seltsam, aber man gewöhnt sich dran. Für den Autor übrigens kein Widerspruch, er sagt: „Heute ist Köln ohne Frage eine Biermetropole.“ Und stößt mit einem frischgezapftem Kölsch mit mir an. „Aber das war nicht immer so. Köln hat ein von Wein geprägtes Vorleben. Wetten, dass ich das nachweisen kann?“.

Ich schlage lieber nicht ein, denn ich kenne sein neues Buch. Dort geht es um genau eine solche Wette: Wilhelm, der mich ganz stark an den Weinexperten Nickenig erinnert, wettet mit seinem Freund Karl darum, dass er nachweisen kann, dass Wein in Köln eine viel wichtigere Rolle gespielt hat als bekannt.

Kölner besitzen Weinberge an der Ahr, am Mittelrhein und an der Mosel 

Und dann zieht Wilhelm alle Register: Er erklärt, dass die ersten Kölner Reben von den Römer mitgebracht wurden, damit man den Wein nicht immer mühevoll importieren musste. Um den wachsenden Bedarf zu decken, bemühten sich die betuchten Kölner, in den Besitz von Weinbergen an der Ahr, am Mittelrhein und an der Mosel zu kommen. So gibt es einen schriftlichen Nachweis, dass Erzbischof Kunibert von Köln bereits im Jahr 643 Besitzer eines Weinbergs in Boppard ist.

Augenzwinkernd erläutert der fiktive Wilhelm seinem Freund, dass es in der 200jährigen Geschichte des organisierten Karnevals noch nie ein Motto zum Bier gab, aber immerhin vier Mal der Wein zum Thema wurde.

Rudolf Nickenig: "Köln – Eine merkwürdige Weinstadt", 176 Seiten, 19,95 €, Marzellen Verlag Köln 2022 ISBN 978-3-937795-79-9
Rudolf Nickenig: „Köln – Eine merkwürdige Weinstadt„, 176 Seiten, 19,95 €, Marzellen Verlag Köln 2022, ISBN 978-3-937795-79-9

Das Buch liest sich mit seinen 3 x 11 Kapiteln genauso flüssig und leicht wie sich ein gekühlter Weißwein trinken lässt. Und wer, wie beim Wein, die ganzen Aromen genau aufspüren will, wird im umfangreichen Anhang mit Begriffserläuterungen und weiterführender Literatur fündig.


 

Ein paar Fragen an … Dr. Rudolf Nickenig

Herr Dr. Nickenig – die Frage aller Frage: Rot oder Weiß? Oder Rosé? Oder am Ende doch Kölsch?

„Rut un wiess wie lieb ich dich!“ Da kann ich den Bläck Fööss zustimmen. Mal bevorzuge ich einen Rotwein, mal einen Weißwein, mal einen blanc de noir.

Die Kölner früherer Jahrhunderten liebten den „Weißen Roten“ der damaligen Zeit, den Bleichert, sowohl den Ahr- als auch den Rheinbleichert.

Köln und Kölsch zusammen klingt hervorragend – Köln und Wein hingegen passt auf den ersten Blick nicht wirklich gut zusammen. Richtig?

Auf den ersten Blick kommt es einem merkwürdig vor. Es lohnt sich daher, sich mit der Weinhistorie der Stadt Köln nicht bierernst, sondern weinfröhlich zu beschäftigen.

Wie kamen Sie auf die Idee, über die Stadt mit dem (selbsternannten) besten Bier der Welt ausgerechnet ein Weinbuch zu schreiben?

Vor einigen Jahren hatte ich ein Buch über das Weinbaugebiet Mittelrhein1„Vom harten Hengst zum feurigen Riesling“, Verlag Matthias Ess , Bad Kreuznach , 2015, 19,80 Euro geschrieben. Bei den Recherchen wurde mir klar, dass der Weinbau in früherer Zeit nicht am Siebengebirge aufhörte.

Ich zweifelte auch an der Abgrenzung von Heinrich Böll:
„Der Weintrinkerrhein hört ungefähr bei Bonn auf, geht dann durch eine Art Quarantäne, die bis Köln reicht; hier fängt der Schnapstrinkerrhein an; das mag für viele bedeuten, dass der Rhein hier aufhört. Mein Rhein fängt hier an,…“ Den Halbsatz will ich nicht kommentieren. Wie weit der „Weintrinkerrhein“, aber auch der „Weinerzeugerrhein“ ging, wollte ich genauer recherchieren und dieser Weg führte zur merkwürdigen Weinstadt Köln.

Die fleißigen Heinzelmännchen sorgten auch für den Wein in Köln, Detailansicht des Heinzelmännchenbrunnens, Bild: Raimond Spekking
Die fleißigen Heinzelmännchen sorgten auch für den Wein in Köln, Detailansicht des Heinzelmännchenbrunnens, Bild: Raimond Spekking

Die Heinzelmännchen brauen kein Bier, sondern keltern Wein. Ist das der Beweis für den Kölner Weinanbau?

Wir alle kennen aus Kindertagen die merkwürdigen Aktivitäten der Kölner Heinzelmännchen. Aber Hand aufs Herz: wissen Sie noch welchen Handwerkern die Heinzelmännchen halfen?

Sie schufteten nachts für die Zimmerleute (Vers 2), die Bäcker (Vers 3), die Fleischer (Vers 4), die Schneider (Vers 6) – mit dem verheerenden Ende aufgrund der neugierigen Schneidersfrau, die die Heinzelmännchen vertrieb. Und wem halfen sie im Vers 5?

….
Die Männlein sorgten um den Wein,
Und schwefelten fein
Alle Fässer ein,
Und rollten und hoben
Mit Winden und Kloben,
Und schwenkten
Und senkten,
Und gossen und panschten
Und mengten und manschten.
Und eh der Küfer noch erwacht,
War schon der Wein geschönt und fein gemacht!

Überraschenderweise halfen die Heinzelmännchen in der Bierstadt Köln keinen Bierbrauern, sondern Weinküfern. Das ist kein Beweis für den Kölner Weinbau, aber ein Hinweis, dass zu Zeiten der Heinzelmännchen oder vielleicht sogar zu Zeiten des Autors August Kopisch – er schrieb das Gedicht 1838 – Wein in Köln einen höheren Stellenwert als Bier hatte!

Aber mal ganz ehrlich: Es wurde doch damals nur deswegen Wein getrunken, weil es lebensgefährlich war, das verunreinigte Wasser zu trinken.

Die Einen sagen so, die Anderen sagen so. Warum haben sie Wein und kein Bier getrunken, das ist doch die Frage.

Aber ernsthaft: Wein wurde in der frühen Neuzeit nur von den reichen Bürgern als Genussmittel betrachtet, nur sie konnten sich gute teure Weine leisten. Für die ärmeren Schichten war der Hygieneeffekt von billigen Weinen sicher wichtig. 

Schon den Römern war es auf die Dauer zu lästig, das Grundnahrungsmittel Wein in Amphoren aus dem Süden einzuführen. Also selber anbauen. Aber was für eine Qualität hatten die in Köln produzierten Weine?

Um die Frage beantworten zu können, müssen wir uns auf Quellen der damaligen Zeit stützen. Wir wissen aus den Aufzeichnungen von Hermann Weinsberg (1518-1597), einem Kölner Ratsherrn, der in seinem mehrbändigen Gedenkebuch penibel sein Verhalten und seinen Konsum aufzeichnete, dass er seinen selbst angebauten Wein lieber anderen schenkte als selbst zu trinken. Das lässt tief blicken.

In der gleichen Periode, genauer gesagt im Jahr 1531, reiste der Buchhändler Johann Haselberg vom Bodensee durch Deutschland und besang in mehreren hunderten Versen Köln. Darin finden sich die Verszeilen:

„Schoen wingarten siecht ma da rings umb:
Vil wins wegs zu Coelln, in einer sum
O tzwey dausent fuder sues und saur
Allein nur inerhalb der rinck maur.“

Süß und sauer!

Das Stapelhaus war lange Zeit ein wichtiger Umschlagsplatz für verderbliche Güter, insbesondere Fisch, Postkarte von ca. 1900, Wizico Verlag
Das Stapelhaus war lange Zeit ein wichtiger Umschlagsplatz für Güter, Postkarte von ca. 1900, Wizico Verlag

War es am Ende vielleicht auch das Stapelrecht, welches den Kölner Zugriff auf die besten Weine ermöglichte?

Da spricht manches dafür. Das Stapelrecht war eine Gelddruckmaschine, das dem Kölner Stadtsäckel über Jahrzehnte die höchsten Steuereinnahmen brachte. Kauf­leu­te durften mit ih­ren Weinschiffen nicht an Köln vor­bei fah­ren, oh­ne die­se in Köln zu ent­la­den und ei­ne Zeit lang zum Ver­kauf an­zu­bie­ten. Die Vorschriften sind noch viel weitgehender, im Buch sind sie skizziert.

Es ist naheliegend, dass die  Kölner Patrizier mit diesem Stapelrecht-Geklüngel nicht nur ein exklusives Wissen über die Qualität der Weine, sondern auch genügend Einnahmen hatten, um sich die besten Weine leisten zu können. 

Weingärten der Kartäuser, ca. 1571, Ausschnitt des Mercator - Stadtplanes
Weingärten der Kartäuser, ca. 1571, Ausschnitt des Mercator – Stadtplanes

Wieviel Wein wurde tatsächlich in Köln angebaut?

Für die damalige Zeit unfassbar viel! Immerhin ein Viertel der Fläche innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern waren bis ins 17. Jahrhundert mit Reben bepflanzt, rund 90 Hektar, mehr als 100 Fußballplätze. Heute gibt es am Mittelrhein keinen Weinbauort mehr, der eine so große Rebfläche hat. Anfang des 19. Jahrhunderts waren es immerhin noch 65 Hektar. Mit der Intensivierung des Städtebaus war es lohnender, sein Weinbaugrundstück zu verkaufen als Wein anzubauen.

Welche „Relikte“ des Weinanbaus finde ich heute noch in Köln?

Wir haben das Buch im Kölner Weindepot/Weinmuseum vorgestellt. Die Reben auf dem Dach sind eine „merkwürdige“ Erinnerung an den historischen Kölner Weinanbau.

Bei dieser Gelegenheit traf ich auch den Kölner Stadtwinzer Thomas Eichert, der am Chlodwigplatz Qualitäten erzielt, von denen die Winzer im Mittelalter nur träumen konnten. Es gibt sicher noch mehr „Memorials“, nicht zuletzt zählen Straßennamen oder Weinkneipen dazu.

Ob im Gürzenich, Kristallsaal oder Sartory: Auf den Karnevalssitzungen herrscht „Weinzwang“. Ist das die letzte kölsche Weintradition?

Sicher nicht, denn dieser Zwang ist keine Kölner Tradition, er findet sich vielerorts. Schon im alten Knigge ist zu lesen: Zwang tötet alle edle, freiwillige Hingebung.

Könnte Köln durch den Klimawandel in Zukunft ein attraktives Weinanbaugebiet werden?

Wenn man die klimatischen Voraussetzungen für den Weinbau betrachtet: ja. Wenn man die Bodenpreise in Köln und drumherum betrachtet: eher nein. Im Buch haben Wilhelm und Karl eine futuristische Perspektive gesehen:

„Der Klimawandel wird eine völlig neue Architektur in Köln notwendig machen. Markus Wittling wird mit seinem Weinberg auf dem Dach seiner Vinothek als Pionier von Cologne Urban Viticulture in die Geschichte eingehen. Die Architekten werden Hochhäuser mit auskragenden Fassaden für das Anbringen von Pflanzen bauen, um die Wohnungen und Büros zu beschatten und um Energie zu sparen und zu gewinnen. Ganz Köln wird eine einzige Flora sein – und das Tollste ist, die Begrünungen der steilen Dächer der historischen Kirchen und der modernen Fassaden der Skyliners werden mit Reben erfolgen! Kurzum: bei der 2000-Jahrfeier Kölns im Jahr 2050 werden in Köln viel mehr Reben wachsen als zur Zeit der Stadtgründung, vielleicht sogar mehr als im Mittelalter!“

Was für eine tolle Vision! 


Genau wie alle anderen Menschen in meiner Rubrik „Ein paar Fragen an …“ hat auch Dr. Rudolf Nickenig zu meinen „kölschen Fragen“ Rede und Antwort gestanden.

Wenn nicht Köln – wo sonst könntest du leben? Und warum gerade dort?

Umgekehrt. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, in Köln zu leben, wenn ich es mir leisten könnte, ein Stadthaus mit Weinkeller und großer Dachterrasse zu erwerben, auf der ich die autochthone kölsche Rebsorte, den Blauen Kölner, anbauen würde.

Welche kölsche Eigenschaft zeichnet dich aus?

Ein merkwürdiger Respekt vor dem Kölner Grundgesetz.

Was würdest du morgen in unserer Stadt ändern?

… den Rebenanbau fördern, insbesondere die Rebsorte Blauer Kölner.

Nenne ein/zwei/drei Gründe, warum man Köln morgen verlassen sollte.

Siehe Antwort zu Frage 1. Solange ich keinen Wein in Köln anbaue, mache ich mir darüber keine bierernsten Gedanken.

Wo ist dein Lieblingsplatz in Köln?

Im Dom, um den Dom und um den Dom herum.

Welche KölnerInnen haben dich beeinflusst / beeindruckt?

… die Heinzelmännchen und die Köbesse.

Was machst du zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch?

… bedauern, dass ich kein Kölner bin.

Und was zwischen Aschermittwoch und Weiberfastnacht?

… hoffen, dass ich im nächsten Leben Kölner werde (s. Antwort auf Frage 1).

Wat hät für dich noch immer jood jejange?

… zwei Gläser Kölsch statt einem Glas Wein zu trinken und umgekehrt.

Wo drüber laachs de dich kapott?

Das versuche ich zu vermeiden, wäre ja schade um mich.

Dein kölsches Lieblingsessen?

Bitte nicht weitersagen: Saure Nierchen.2Okay. Versprochen. Behalte ich nur für mich. 🙂

Dein Lieblingsschimpfwort auf Kölsch?

Mir gefällt „Fiese Möpp“; mir würde es bei Bedarf nicht einfallen, aber einen Typen als „Kotzkümpsche“ zu bezeichnen, fände ich gut.

Bitte vervollständige den Satz: Köln ist …

merkwürdig.


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Das Weinhaus Brungs – gefährdetes Baudenkmal mitten in der Stadt

Das Gasthaus Brungs in der Kölner Innenstadt, Bild: Raimond Spekking
Das Gasthaus Brungs in der Kölner Innenstadt, Bild: Raimond Spekking

Es ist sehr zentral und ist trotzdem irgendwie versteckt: Das Weinhaus Brungs, ein sehr geschichtsträchtiger Bau. Von außen durchaus beeindruckend, aber spätestens, wenn man die Treppe heruntergeht, bekommen sowohl der Kölner als auch der Tourist den Mund vor Staunen nicht mehr zu: Hier gibt es noch Reste der römischen Stadtbefestigung – Geschichte zum Anfassen. Tatsächlich sind hier die Reste des römischen Stadttors „Marspforte“ zu sehen.

Geschichtsträchtiges Gebäude

Im 16. Jahrhundert hatte sich das Viertel rund um die Marspforte rasant entwickelt: In unmittelbarer Nähe der beiden wichtigen Warenumschlagsplätze Alter Markt und Heumarkt sowie dem Machtzentrum Rathaus florierte hier das Geschäft.

Dabei war das alte, an dieser Stelle noch bestehende, römische Stadttor wohl eher hinderlich. So hatte der Kölner Ratsherr Hermann von Weinsberg in seinen berühmten Tagebüchern notiert, dass es an den Bögen des Stadttors sehr schmutzig sei, weil jeder seinen Unrat dort ablud. Hier ein gekürzter Auszug aus dem Tagebuch von Hermann Weinsberg zur Marspforte:1 Die ursprüngliche Handschrift ist nur für Experten lesbar, Details dazu gibt es beim Weinsberg-Projekt.

Auszug aus den Tagebuch von Hermann Weinsberg, die ursprüngliche Handschrift ist nur für Experten lesbar
Eine sinngemäße Übersetzung:

Auszug aus den Tagebuch von Hermann Weinsberg, die ursprüngliche Handschrift ist nur für Experten lesbar

Weinsberg berichtete, dass der Kölner Ratsherr Gillis Eifler an genau der Stelle des abgerissenen Stadttors zwei Stadthäuser errichtete. Wie damals üblich wurde nicht komplett neu gebaut, sondern bestehende Mauern in den Neubau integriert. Und so sind die Reste des Stadttors heute Bestandteil des Gewölbekellers im Weinhaus Brungs.

Das antike Kellergewölbe im Weinhaus Brungs mit zwei Grinköpfen, Bild: HOWI - Horsch, Willy, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons
Das antike Kellergewölbe im Weinhaus Brungs mit zwei Grinköpfen, Bild: HOWI – Horsch, Willy, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

Die ebenfalls dort angebrachten Fratzenmasken sind sogenannte „Grinköpfe“. Diese gehören eigentlich auf die Giebel von Stadthäusern. Durch das Maul dieser Fratzen konnten Seile gezogen werden, und so wurden schwere Waren in die Speicherräume unter den Dächern gehoben.

Häuser werden zusammengelegt

Etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts kaufte die Familie Brungs beide Gebäude. Um mehr Platz zu schaffen, wurden aus zwei Häusern eins. Den Durchgang markiert ein markanter neogotischer Spitzbogen mit dem in den Stein verewigten Stadtnarren „Worbel“.

Laut Überlieferung soll es diesen Worbel tatsächlich gegeben haben. Er hieß Pankratz Weinstock und unterhielt im 12. Jahrhundert die Stadtgesellschaft mit seinen Späßen.

Massive Zerstörung im Krieg – heute Institution in der Innenstadt

Im Zweiten Weltkrieg wurde auch das Gasthaus Brungs schwer beschädigt und wiederaufgebaut. Daher stammt die Inneneinrichtung aus anderen Häusern und wurde hier wieder eingebaut, wie zum Beispiel die hölzerne Wendeltreppe aus dem 18. Jahrhundert.

Heute behauptet sich das Weinhaus Brungs zwischen den vielen Brauhäusern in der Innenstadt. Auf der Touristik-Website TripAdisor nimmt dieses Restaurant Platz 62 von 1.699 gelisteten Häusern in Köln ein2Stand: 1. März 2023. Gäste loben das Essen und die Weinkarte.

Das Gasthaus Brungs in der Kölner Innenstadt, Bild: Horsch, Willy - HOWI, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons
Das Gasthaus Brungs in der Kölner Innenstadt, Bild: Horsch, Willy – HOWI, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

Stadt kauft Gebäude – weitere Nutzung ungewiss

Im Zuge der Arrondierung3Arrondierung ist der Einbezug angrenzender Flächen zu einem bestimmten Grundstück. der Flächen rund um das Rathaus hat die Stadt Köln Ende 2019/Anfang 2020 das Gebäude erworben.

Eigentlich wollte die Familie Brungs das Gebäude an eine Privatperson verkaufen. Ein entsprechender Kaufvertrag lag bereits vor, doch Ende 2019 entschloss sich der Stadtrat, von dem im Grundbuch eingetragenen Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen und das Gebäude für 3 Millionen Euro4Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger vom 17.01.2020 zu erwerben. Gleichzeitig sicherte die Stadt dem Pächter des Restaurants zu, dass der Pachtvertrag weiterlaufen solle.

Doch augenscheinlich wurde der Pachtvertrag zum Ende Februar 2023 gekündigt. Ob und wie es mit der Gastronomie im Weinhaus Brungs weitergeht, ist völlig offen. Auch ein anderweitiges Nutzungskonzept der Stadt liegt (noch) nicht vor.

Oder will sich unser Rat am Ende nur einen schnellen Weg  zum Wein sichern? Der Stadtführer und Köln-Experte Bernd Imgrund berichtet5„111 Kölner Kneipen, die man kennen muss“ von Bernd Imgrund und Thilo Schmülgen, dass der Notausgang des Gewölbekellers direkt unter das Rathaus führt. Und diesen kann man ja schließlich auch in die andere Richtung nutzen …

Konzept zur Weiternutzung dringend erforderlich!

Es bleibt die Hoffnung, dass schnell eine Weiternutzung des Gebäudes ansteht, damit dieses wunderschöne Gebäude nicht eine ähnliche Entwicklung wie zum Beispiel das Funkhaus in Raderthal durchmacht. Dieses gammelt mangels Entscheidung vor sich hin – vermutlich bis nichts mehr zu retten ist und es einfach abgerissen wird.


+++ UPDATE  Stand: Mai 2023 +++

 Das Team vom Weinhaus Brungs hat in der Decksteiner Mühle (Gleueler Str. 371, Köln-Deckstein) eine neue Heimat gefunden.
Viel Erfolg am neuen Standort!


 

Logo change.org
Petition: Das letzte Alt-Kölner Weinhaus darf nicht sterben!

Die „Freunde von Weinhaus Brungs“ haben auf der Plattform change.org eine Petition gestartet und fordern von der Stadt Köln:

Die Stadt Köln soll als Eigentümerin des Weinhauses Brungs dieses beispielhafte Denkmal erhalten, fachgerecht sanieren und als Juwel der Altstadt in seiner traditionsreichen Nutzung als Weinhaus dauerhaft weiterführen.

Aktuell6Stand 1. März 2023 haben 580 Personen diese Petition unterschrieben. Der Köln-Lotse übrigens auch.

Falls auch du diese Petition unterschreiben willst, findest du hier alle notwendigen Informationen:

Das letzte Alt-Kölner Weinhaus darf nicht sterben.
WIR WOLLEN WEINHAUS BRUNGS ERHALTEN!


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