Köln-Ding der Woche – Rückblick 2022 und Ausblick 2023

Collage zu den Klickcharts 2022, Teil III_vers_2

Die Zeit um Silvester ist die Zeit der Jahresrückblicke. Auch beim „Köln-Ding der Woche“ schaue ich zum Jahresende immer auf die vergangenen 52 Wochen.

Insgesamt bin ich stolz darauf, euch auch im Jahr 2022 wieder jede Woche sonntags ein Köln-Ding präsentiert zu haben. Meine Beiträge werden auch fleißig gelesen: Insgesamt gab es im Jahr 2022 über 200.000 Seitenaufrufe, das macht mehr als 500 Aufrufe täglich.

Klicks: Die Top-10-Beiträge im Jahr 2022

Wie schon in den vergangenen Jahren lagen die „Kölschen Schimpfwörter“ auf dem 1. Platz der Klick-Charts. Dies hängt auch damit zusammen, dass der Kölner Express in seinem „Kölsche-Schimpfwörter-Quiz“ auf das Köln-Ding der Woche verwiesen hat.

Das große Kölsch-Quiz beim EXPRESS, der Köln-Lotse durfte dabei unterstützen.
Das große Kölsch-Quiz beim EXPRESS, der Köln-Lotse durfte dabei unterstützen.

Ebenfalls unverändert sind die folgenden Plätze: Die „Kölschen Vornamen“ auf Platz zwei und die Halsbandsittiche auf dem dritten Platz. Nur einhundert Aufrufe weniger hat der Beitrag zum wunderschönen Wörtchen „Fisternöllche“.

Interessant wird es ab Platz fünf: Hier liegt der Schwerpunkt auf Deutz. Die Ellmühle und der legendäre Lommi liegen auf den Plätzen fünf und sechs. Danach folgt in den Klickcharts der hässlichste Platz Kölns. Mit dem Lehrer Welsch und Trude Herr belegen zwei kölsche Originale die Plätze acht und neun. Was mich besonders freut: Die längste Lüge Kölns – das ist mit 33 Meter Länge die „Römische Hafenstraße“ – hat es noch auf Platz zehn geschafft, obwohl ich diesen Beitrag erst im August veröffentlicht habe.

Meine persönlichen Highlights im Jahr 2022

250.000 Menschen haben an der Rosenmontags-Friedensdemo teilgenommen. Hier der Blick von der Severinstorburg auf die Menschenmassen auf dem Chlodwigplatz.. Bild: Festkomitee Kölner Karneval.
250.000 Menschen haben an der Rosenmontags-Friedensdemo teilgenommen. Hier der Blick von der Severinstorburg auf die Menschenmassen auf dem Chlodwigplatz.. Bild: Festkomitee Kölner Karneval.

Der Rosenmontagszoch 2022 wurde zur Demo

Um es mit den Worten von Peter Brings zu sagen: „Das ist der wichtigste Rosenmontagszug, seit ich auf der Welt bin“. Und ich bin stolz, dass ich ein kleiner Teil der 250.000 Menschen sein durfte, die friedlich gegen den Krieg in der Ukraine demonstriert haben.


Christiane Rath am Grab von Heinz und Heinzchen Rausch, Bild: Uli Kievernagel
Christiane Rath am Grab von Heinz und Heinzchen Rausch, Bild: Uli Kievernagel

Die „Grabaneignung“ auf dem Kölner Südfriedhof

Die Künstlerin Christiane Rath hat mitten in der Corona-Zeit angefangen, ein scheinbar herrenloses Grab auf dem Südfriedhof pflegen. Ohne irgendeine Beziehung zu den dort bestatteten Menschen. Die ganze Geschichte dazu hat sie mir ausführlich mitten auf dem Friedhof erzählt.


Polizeiaufnahme des Serienmörders Peter Kürten, Bild: Bundesarchiv, Bild 102-11502 / CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons
Polizeiaufnahme des Serienmörders Peter Kürten, Bild: Bundesarchiv, Bild 102-11502 / CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons

Der Massenmörder Peter Kürten

Zu Halloween wurde es auch beim Köln-Ding der Woche gruselig: Ich habe intensiv die Geschichte des Massenmörders Peter Kürten recherchiert. Stets makellos gekleidet, in der Tasche immer ein feines Tuch, um jederzeit die Schuhe polieren zu können, ausgesprochen freundlich – ein Typ, über den Nachbarn immer sagen „aber er hat doch immer so freundlich gegrüßt“. Peter Kürten spielte tagsüber den netten und unauffälligen Menschen. Nachts jedoch verwandelte er sich in einen perversen Serienmörder, der mindestens neun Menschen ermordete und es bei rund 40 weiteren Menschen versuchte.


Johann Arnold Klütsch, genannt "Fressklötsch", um 1834, Portait von Simon Meister, aus dem Buch "Kölsche Originale", Reinhold Louis, Greven Verlag Köln, 1985
Johann Arnold Klütsch, genannt „Fressklötsch“, um 1834, Portait von Simon Meister, aus dem Buch „Kölsche Originale“, Reinhold Louis, Greven Verlag Köln, 1985

Kölsche Originale: Fressklötsch – legendärer Vielfraß und hochgeachteter Bürger

Um Johann Arnold Klütsch, in Köln als „Fressklötsch“ bekannt, ranken sich unzählige Legenden wie etwa „Er hat ein 1.000 Pfund schweres Kanonenrohr eigenhändig weggeschleppt.“ oder „Er hat ein ganzes Rad Käse auf einen Schlag gegessen.“. Wieviel Wahrheit in diesen Erzählungen steckt, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Fest steht, dass Johann Arnold Klütsch eine beeindruckende Karriere hingelegt hat – vom Analphabeten bis zum geachteten Geschäftsmann. Doch die kolportierten Geschichten über seine Fähigkeit, Unmengen trinken und essen zu können sowie über seine gewaltige Köperkraft überstrahlen alles.


Der Hermann-Joseph-Brunnen am Waidmarkt zeigt die entscheidende Szene: Maria nimmt von Hermann dem Apfel entgegen, Bild: Raimond Spekking
Der Hermann-Joseph-Brunnen am Waidmarkt zeigt die entscheidende Szene: Maria nimmt von Hermann dem Apfel entgegen, Bild: Raimond Spekking

Dä Appel-Jupp – ein ganz besonderer kölscher Heiliger

in der katholischen Kirche gibt es eine Reihe ganz besonderer Heiliger. In Köln verehren wir in bester rheinisch-katholischer Tradition Hermann-Joseph, von den Kölschen liebevoll „Appel-Jupp“ genannt. Wieso an einer ganz bestimmten Marienstatue in St. Maria im Kapitol im Äpfel liegen, hatte ich im Oktober 2022 erklärt.


Die Skulptur Gaea I steht seit 2007 im Rheinpark, Bild: I, HOWI, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons Die Skulptur Gaea II steht seit 2005 in der Stollwerckpassage, Bild: Raimond Spekking

Gaea: Die doppelte Göttin

Kunst im öffentlichen Raum ist immer umstritten. Egal ob es um eine überdimensionierte Eistüte, Balzac auf dem verkehrsumtosten Neumarkt oder das Richter-Fenster geht. Was allerdings mit der „Erdgöttin Gaea“ in der Stollwerckpassage passiert ist, kann man kaum glauben. Im Köln-Ding der Woche von Anfang Dezember 2022 könnt ihr nachlesen, wieso es diese ganz besondere Plastik gleich zweimal in Köln gibt und was ein etwas zu gieriger Schweizer Schokoladenkonzern auf der einen Seite und die großzügige Imhoff-Stiftung auf der anderen Seite damit zu tun haben.

Was sonst noch geschah

Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass mich der renommierte Schriftsteller Jochen Schimmang in seinem Buch „Laborschläfer“ in der Danksagung erwähnt hat.

Vielen Dank lieber Jochen Schimmang für diese Erwähnung in der Danksagung des Romans "Laborschläfer"

Über „Kölle kommt zu dir – Die Stadtführung vom Stuhl“ wurde eifrig berichtet, unter anderem  auf der Website „EVANGELISCH LEBEN“ und in der Zeitschrift „HANDWERK aktiv“.

Die Zeitschrift HANDWERK aktiv (Ausgabe Oktober 2022) hat über "Kölle kommt zu dir" berichtet
Die Zeitschrift HANDWERK aktiv (Ausgabe Oktober 2022) hat über „Kölle kommt zu dir“ berichtet

Was für eine Ehre im September 2022: Ich habe tatsächlich das ehemalige Hohn Peter Horn dafür gewinnen können, auf der Höhner-Ausstellung ein Stündchen über sein Leben als Musiker zu erzählen. Peter hat mit seinen Liedern „Blootwosch, Kölsch un e lecker Mädche“, „Ich bin ene Räuber“ und „Dat Hätz vun der Welt“ kölsche Musikgeschichte geschrieben.

Die kleinste Karnevalssitzung der Welt

Mit der „Kleinsten Karnevalssitzung der Welt“ konnte ich mir selbst den Traum erfüllen, endlich einmal Sitzungspräsident einer Karnevalssitzung zu sein.

Auf besonderen Wunsch des Bürgervereins RADERBERG und -THAL e.V. habe ich die Stadtführung „Veedel der Gegensätze: Raderberg und Raderthal“ konzipiert.

2023 geht es weiter: Neue Führungen und es wird etwas auf die Ohren geben

Freut euch auf weitere 52 Köln-Dinger Woche. Außerdem wird es zwei neue Führungen geben: Mit „Deutz – Schäl Sick is schick“ geht es auf die andere Rheinseite. Bei der Tour „Zwei Kirchen und eine sündige Meile“ laufen wir von St. Ursula über den Eigelstein bis zu St. Agnes. Mehr dazu im Frühjahr.

Und dann wird es im Frühjahr etwas auf die Ohren geben: Zusammen mit dem Ur-Zollstocker Frank Mausbach werde ich einen Podcast zum „Köln-Ding der Woche“ veröffentlichen. Wir sind gerade mitten in den Vorbereitungen. Lasst euch überraschen.

Ich wünsche euch allen ein schönes, erfolgreiches, friedliches und gesundes Jahr 2023.
Oder auf kölsch:
Pros Neujohr!

De Kopp voll Hoor,
de Muul voll Zäng,
de Britzel in de Häng.1Prosit Neujahr! Den Kopf voller Haare, den Mund voller Zähne, die Brezel in den Händen.

Uli, der Köln-Lotse


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Joode Chressdach 2022 mit dem „Weihnachtsmaatwanderwääch“ von Juliane Poloczek

Auch ein Ziel in Julianes Kölner Weihnachtsmarktwanderung: Der Markt am Dom, Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Auch ein Ziel in Julianes Kölner Weihnachtsmarktwanderung: Der Markt am Dom, Bild: Superbass, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Wir feiern 2022 Weihnachten in einem ganz besonderen Jahr. Ich gebe zu, dass ich das – Corona-geprägt – auch bereits in den letzen beiden Jahren in meinem „Weihnachts-Köln-Ding-der-Woche“ geschrieben habe. Aber zu dem Zeitpunkt hatten wir noch keinen Krieg in Europa.

Schlimme Zeiten sind gut für den Humor

Klingt schräg – aber Humor ist gerade in Krisen unverzichtbar. Das zeigen auch etliche Studien: Humor stärkt uns gerade in schwierigen Momenten.

Das alles war Grund genug, meine kölsche Lieblingslyrikerin Juliane Poloczek zu bitten, ob sie für euch wieder ein humorvolles kölsches Weihnachtsgedicht schreibt. Meine Bedingung diesmal: Bitte keine Worte wie „Krieg“, „Putin“ oder „Krise“ einbauen. Und wieder mal hat Juliane sich selbst übertroffen, wenn sie von ihrem ganz persönlichen Weg über die kölschen Weihnachtsmärkte erzählt.

Und sie hat es auch wieder vor der Kamera für euch eingelesen. In einem wunderschönen Kölsch! Ein großes DANKE an Juliane, dass ich dieses Weihnachtsgedicht veröffentlichen darf.

Ich wünsche euch JLÖCKSELIJE CHRESSDACH

Uli


 

Weihnachtsmaatwanderwääch

von Juliane Poloczek

Wellste ens op dr Weihnachtsmaat jonn,
Dann häste en Kölle vell ze dunn.
Et jitt ere zwanzisch un noch mieh!
Wie soll mr dat schaffe, wann, wo un wie?
Zom Jlöck maachen die em November ald op.
Dat krijje mr schon hin, maach dr keine Kopp!

Wo fange mr aan, wohin jommer zoeesch?
Op dä Maat vun dä Engele, jo, dat es e Jedeech.
E Einhoon, en Künnijin, dä Klöös om Pääd,
Lück op Stelze un Seraphim, en janze Hääd.
Vun do tirecktemang nohm Heinzel-Wintermärche,
Wo op dr lesbahn sich driehe die janze Pärche.

Die Eislaufbahn am Heinzels-Weihnachtsmarkt auf dem Heumarkt, Bild: Bild von Stefan Bernsmann auf Pixabay
Die Eislaufbahn am Heinzels-Weihnachtsmarkt auf dem Heumarkt, Bild: Bild von Stefan Bernsmann auf Pixabay

Jetz op zum Dom! Do müsse mr hin,
Öm all die Leechter om riesije Chresbaum ze sinn.
He müsse mr endlich nen Jlöhwing drinke.
Un och die Flamm- un Rievkooche sin ald am Winke.
Dann wolle mr wigger nohm „Musée Schockelad“.
Do halden se Backfesch un Brootwoosch parat.

Der Eingang zum Weihnachtsmarkt am Dom auf dem Roncalliplatz, Bild: Franz Gerd Frank, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Der Eingang zum Weihnachtsmarkt am Dom auf dem Roncalliplatz, Bild: Franz Gerd Frank, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Donoh zum Parkhuus en dr Bröckestrooß
Do jitt et „Rooftop Christmas“. Häs do dat jewoss?
Ich jläuv, dat es nur für moderne Lück.
Nix Retro-Weihnachte! Su läuf dat hück.
Dröm kannste em Sartory zum „Holy-Shit-Shopping“.
Ich ävver nit. Dovun krijjen ich bloß Koppping.

Auch im Nikolausdorf auf dem Rudolpplatz an der Hahnentorburg war Juliane zu Gast, Bild: Geolina163, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Auch im Nikolausdorf auf dem Rudolpplatz an der Hahnentorburg war Juliane zu Gast, Bild: Geolina163, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Flöck noch zum Rudolfplatz-Dörp-vum-Klöös
Do fingste Bastelakzijone für die Quös.
Dä Chlodwigplatz es jetz och nit mieh wigg.
Für Punsch un Marone, do hammer noch Zigg.
Wat läuf dann söns noch su en dr Südstadt?
Aan dr Lutherkirch, do es dr kleinste Maat.

Och am Eijelstein es Musik, et jitt Klööse us Schockelad.
Un zum Jlöck han se och en Nippes dr Schillplatz-Weihnachtsmaat.
Widder müsse mr uns jet stärke met Waffele un Lakritz.
Ich jläuv, mr weed et richtisch schlääch. Un dat es keine Witz.
Mr rase noch noh Dünnwald un noh Pooz zur Waldweihnaach,
Nohm Lindenthaler Winterdörp. Dat es en feine Saach.

Heinzels-Wintermärchen auf dem Heumarkt, Bild: Eremeev, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Heinzels-Wintermärchen auf dem Heumarkt, Bild: Eremeev, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Mr dürfe nix verpasse. Dat wör doch wirklich schad.
Dröm jommer och om lehrefeld noch op dr Weihnachtsmaat.
Beim Bumann un beim Herbrands, do fiert mr dr Advent.
Do kannste alles kaufe für e paar Euro un e paar Cent:
Em Stadtjaade schicke Deko un Stääne us Papier.
Un dann noch jet süffele: heiße Bowle un Jlöhbier. (Baah!)

Zoletz noh Rudekirche; un dann es wirklich Schluss.
E paar Plätzje vum Maternusplatz, dat es für mich e Muss.
Dä Büggel voll Klamotte, dä Buch voll wärme Wing.
Noch ens ne Bleck jeworfe op unse schöne Rhing.
Baal schwenke mr op heim an, vielleich nur noch janz koot
Beim Bazar vun uns’rer Farrkirch ens ävvens renjelort.
Un dann es et ävver och joot!


Für diejenigen, die nicht alles verstehen, hier ein paar Übersetzungen:

  • zoesch = zuerst
  • tirekdemang = sofort, direkt, unverzüglich
  • Klöös om Pääd = wörtlich: „Klaus auf dem Pferd“, gemeint ist hier der Nikolaus
  • en janze Hääd = eine ganze Menge
  • Lück = Leute
  • Hück = heute
  • Koppping = Kopfschmerzen
  • flöck = schnell
  • Quös = Kinder
  • nit mieh wigg = nicht mehr weit
  • Zigg = Zeit
  • Klööse us Schockelad = Schokoladennikoläuse.
  • Büggel = Tasche
  • Wing = Wein
  • Rhing = Rhein
  • ens ävvens renjelort = mal eben reingeschaut

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Ein neues Buch über Deutz – vom Römischen Kastell zur Köln-Arena

Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena Emons Verlag Köln ISBN 978-3-7408-1565-3 12,00 Euro, erhältlich in jeder Buchhandlung
Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena

Das ist tatsächlich ein ideales Weihnachtsgeschenk: Ein flammneues Buch über den lange völlig unterschätzten Stadtteil Deutz. Der Autor Michael Kriegel ist Stadtführer in Köln und hat sein Herz an Deutz verloren, seit er Mitte der 1970er Jahre auf der „Schäl Sick“ studiert hat.

Lange war Deutz für viel Kölner so etwas wie Ausland – es lag ja auf der vermeintlich „falschen Seite“ des Rheins. Und damit lag man nicht ganz falsch, denn Deutz war bis zur Eingemeindung eine selbstständige Stadt. Kriegel beschreibt den Weg des von den Kölschen liebevoll „Düx“ genannten Stadtteils von der Gründung des Kastells Divitia im Jahr 310 bis hin zum heute angesagten Viertel mit Messe, Köln-Arena und Rheinboulevard.

Darstellung der Konstantinbrcke aus dem Jahr 1608 mit viel künstlerischer Freiheit, so gab es z.B. keinen Turm in der Brückenmitte
Die Konstantinbrücke, hier eine Darstellung aus dem Jahr 1608, war die erste feste Brücke zwischen Köln und Deutz 

Wendepunkt: Eingemeindung im Jahr 1888

Im Zuge der Kölner Stadterweiterung wurden im Jahr 1888 zahlreiche zuvor eigenständige Städte eingemeindet. Dazu gehörten unter anderem Ehrenfeld, Longerich, Nippes und auch Deutz. Dabei war gerade Deutz eine – im Vergleich zu Köln – liberale und freie Stadt. Kriegel schreibt dazu:

„Deutz ist nicht der einzige (oft mit Stadtrechten ausgestattete) Vorort Kölns, der 1888 „aufhört“ eigenständig zu existieren. Aufgrund seiner geostrategischen Lage ist der rechtsrheinische Ort aber schon seit Römerzeiten von zentraler Bedeutung – allerdings nicht immer zum Wohl seiner Bevölkerung. Leid und Zerstörung ziehen sich wie ein roter Faden durch die Deutzer Geschichte. Die Ortschaft ist über viele Jahrhunderte hinweg kriegerischen Auseinandersetzungen ausgesetzt, nicht zuletzt bedingt durch die vom Kölner Konkurrenzdenken herbeigeführte Wehrlosigkeit. Deutz ist Spielball politischer und strategischer Rangeleien und wird mehr als einmal von Naturkatastrophen wie Hochwasser und Eisgang heimgesucht. Die Deutzer lassen sich aber nicht unterkriegen. Deutz bleibt über viele Jahrhunderte autonom, wenngleich auch immer unter argwöhnischer Beobachtung der linksrheinischen Metropole. Als Schmelztiegel unterschiedlicher Glaubensrichtungen (Katholiken, Protestanten, Juden) sowie verschiedener Bevölkerungsgruppen und Berufe wird Deutz ein lebendiges urbanes Quartier. Es gibt Epochen (insbesondere im Spätmittelalter), da kann Deutz sogar mit Fug und Recht von sich behaupten, aufgeschlossener, freier und fremdenfreundlicher zu sein als das gegenüberliegende Köln.“

Kult: Die Gaststätte Lommerzheim in Deutz, Bild: Andreas Lofner
Kultkneipe in Deutz: Die Gaststätte Lommerzheim, Bild: Andreas Lofner

Ein Stadtteil zwischen Historie und Moderne

Heute ist Deutz ein aufstrebender, spannender Stadtteil. Eingebettet zwischen historischen Bauwerken boomt Deutz: Messe, RTL, Köln-Arena und Rheinboulevard ziehen Touristen und Kölner gleichermaßen an.

Diesen ganz besonderen Spagat zwischen Historie und Moderne trägt das Buch von Michael Kriegel Rechnung: Es gibt, durch eingebettete QR-Codes, den „Blick über das Buch hinaus“. So kommt zum Beispiel der Kölner Publizist und Kabarettist Martin Stankowski in mehreren Videos zu Wort, und wir können von den Bläck Fööss das Lied über die „Kölsche Bröck“ hören. Zahlreiche weitere intermediale Verknüpfungen führen zu spannenden Bildern, Interviews und viel Musik.

Dadurch nimmt Kriegel uns mit auf einen Rundgang durch Deutz. Er erzählt, dass Deutz durch das Wasser unterhalb des Rheinparks sogar über eine Heilquelle verfügt, deckt auf, wo der berühmte „Kölner Keller“ mit seinen Videoschiedsrichtern zu finden ist und erklärt, dass man die „Deutzer Platte“ nicht essen kann.

Das Bronze-Modell des Kastells in einer ganz besonderen Perspektive, Bild: Silke Koenen
Das Bronze-Modell des Kastells Divitia in einer ganz besonderen Perspektive, Bild: Silke Koenen

Luur ens vun Düx noh Kölle

Egal wie man zu Deutz steht: Ludwig Sebus wusste schon vor 50 Jahren, dass der Ausblick von Deutz auf den Dom mit Rhein und Altstadtpanorama die schönste Perspektive ist:

„Luur ens vun Düx noh Kölle,
vum Zauber bes do platt,
luur ens vun Düx noh Kölle,
wie schön es doch uns Stadt!“


Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena Emons Verlag Köln ISBN 978-3-7408-1565-3 12,00 Euro, erhältlich in jeder Buchhandlung

Michael Kriegel: Deutz – Vom römischen Kastell zur Köln Arena

Emons Verlag Köln
ISBN 978-3-7408-1565-3
12,00 Euro, erhältlich in jeder Buchhandlung, auch außerhalb Kölns


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Gaea: Die doppelte Göttin

Die Gaea II von Gerhard Marcks in der Kölner Stollwerckpassage, Bild: © Raimond Spekking
Die Gaea II von Gerhard Marcks in der Kölner Stollwerckpassage, Bild: © Raimond Spekking

Da stand sie jahrelang in aller Ruhe zufrieden in der Stollwerckpassage: Die Skulptur der Göttin Gaea. Gaea ist gemäß der griechischen Mythologie als eine der ersten Gottheiten überhaupt die personifizierte Erde. Eine solche Göttin bringt selbstverständlich nichts aus der Ruhe: Weder die gestressten Menschen beim Shopping noch die lauten Krakeeler, die im Brauhaus Früh ein paar Meter weiter das ein oder andere Kölsch zu viel getrunken haben.

Und wenn da nicht ein etwas zu gieriger Schweizer Schokoladenkonzern gewesen wäre, stände sie auch noch heute dort. Doch was sich tatsächlich abspielte, war dann ein klassisches Drama in fünf Akten.

1. Akt: Gerhard Marcks erschafft die Skulptur

Der renommierte Künstler Gerhard Marcks (1889 – 1981) verbrachte ab 1964 viel Zeit in seinem griechischen Sommerhaus. Sichtlich inspiriert durch antike Skulpturen erschuf er 1965 die Gaea: Eine Frauenfigur als Akt, umgeben von einem fallenden Mantel.

Kunstwerke von Gerhard Marcks finden sich auch anderen Stellen in der Stadt: Er hat den „Düxer Bock“ erschaffen und auch der sinnierende Albertus Magnus direkt am Haupteingang der Universität stammen von ihm.

Detailansicht Düxer Bock, Skulptur von Gerhard Macks, Bild: Uli Kievernagel
Der Düxer Bock, Skulptur von Gerhard Macks, Bild: Uli Kievernagel

2. Akt: Aufstellung der Gaea in der Stollwerckpassage

Die Stollwerckpassage ist der Durchgang von der Hohe Straße zum Brauhaus Früh und zum Heinzelmännchenbrunnen. Eisenbahnfans erinnern sich noch an den Modellbauladen, welcher sich jahrelang mitten in der Passage befand. Heute befinden sich in der Passage unter anderem ein Juwelier und ein Schuhgeschäft.

Und genau hier findet die Gaea ab 1986 ihren Platz: Hans Imhoff, der „Mann mit dem Herz aus Schokolade“ und Eigentümer der Stollwerck-Fabriken, kauft die Figur der Gaea. In enger Absprache mit den Verantwortlichen der Stadt wird die Figur öffentlich mitten in der Stollwerckpassage ausgestellt. Ein idealer Platz für die Gottheit, so Kurator Arie Hartog vom Bremer Gerhard-Marcks-Haus: „Die Skulptur stand da fantastisch“

3. Akt: Ein Konzern will schnell Kasse machen

Im April 2002 verkauft Imhoff den gesamten Stollwerck-Konzern an den Schweizer Schokoladenkonzern Barry Callebaut AG. Die Manager von Barry Callebaut wollen möglichst schnell möglichst viel Kasse machen und flexen die Figur am 29. September 2005 einfach vom Sockel, um diese bei einem Auktionator unter den Hammer zu bringen.

Pikant ist aber, dass die Eigentumsverhältnisse an dem Kunstwerk nicht geklärt waren: Gehörte die Figur zum veräußerten Firmenvermögen? Oder doch noch der Familie Imhoff? Oder handelte es sich gar um öffentliches Eigentum?

In jedem Fall war die Figur bereits abmontiert, als sich der Barry Callebaut Aufsichtsratschef einschaltet und in letzten Moment die Versteigerung der Figur verhindert. Sein Plan damals: Zur Ehrenrettung schenkt der Konzern die Figur der Stadt. Doch wie will er der Stadt Köln eine Skulptur schenken, die ihr vielleicht schon längst gehört?

Die Plakette der Gaea II in der Stollwerckpassage, Bild: Frank Vincentz, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Die Plakette der Gaea II in der Stollwerckpassage, Bild: Frank Vincentz, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

4. Akt: Der Retter ist da!

Noch während der Schokoladen-Konzern aus der Schweiz fieberhaft bemüht ist, den Imageschaden möglichst klein zu halten, wird in Köln bereits gehandelt. Die Imhoff-Stiftung wollte einen langwierigen Rechtsstreit um die Gaea verhindern und ließ kurzentschlossen eine neue Gaea gießen. Dabei war es ein großes Glück, dass die Gussformen noch vorhanden waren. Satte 62.000 Euro investierte die Stiftung in die Neuauflage der Göttin.

Was dann kam, war tatsächlich eine große Überraschung: Gerhard Marcks hatte die Gussformen noch einmal überarbeitet. In der neuen Form umschließt der Mantel die Unterschenkel der Figur, in der ursprünglichen Version war der Mantel komplett offen.

Die Dombauhütte errichtete einen neuen Sockel für die Skulptur und so steht jetzt seit dem 21. Dezember 2005 mitten in der Stollwerckpassage die Gaea II. Und diese Figur ist – durch die Veränderung der Gussformen – keine Kopie sondern ein echtes Unikat. „Es ist doch erstaunlich, wie sich oft ein großer Verlust im Nachhinein auch als Gewinn herausstellen kann“, so der damalige Oberbürgermeister Fritz Schramma.

Die Skulptur Gaea I steht seit 2007 im Rheinpark, Bild: I, HOWI, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons Die Skulptur Gaea II steht seit 2005 in der Stollwerckpassage, Bild: Raimond Spekking

5. Akt: Die doppelte Göttin!

Weil der Barry Callebaut-Konzern aber irgendwie noch das Gesicht wahren wollte, bot man die ursprüngliche Gaea der Stadt als Geschenk an. Und diese nahm an. Allerdings war klar, dass nach dieser Vorgeschichte die „neue Gaea“ in der Stollwerckpassage mit Sicherheit nicht mehr Platz für ihre Vorgängerin machen würde.

Und so steht seit 2007 im Rosengarten des Rheinparks die ursprüngliche Gaea und Köln verfügt gleich über zwei Skulpturen der Erdgöttin.

Merke: Lieber eine doppelte Göttin als gar keine!


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Karl-Küpper-Preis für Rolly Brings – „Rebell mit Beamtenstatus“

Die Verleihung des Karl-Küpper-Preises an Rolly Brings, von links: Henriette Reker, Rolly Brings, Bernhard Conin, Christoph Kuckelkorn, Bild: Raimond Spekking
Die Verleihung des Karl-Küpper-Preises an Rolly Brings, von links: Henriette Reker, Rolly Brings, Bernhard Conin, Christoph Kuckelkorn, Bild: Raimond Spekking

Alle zwei Jahre wird in Köln der „Karl-Küpper-Preis“ verliehen. Dieser Preis erinnert an den unbeugsamen Büttenredner Karl-Küpper und wird an Menschen vergeben, die sich für den Schutz der Demokratie und gegen Rassismus, Antisemitismus und jede Form der Diskriminierung engagieren. Preisträger im Jahr 2022 ist der Musiker Rolly Brings. Er erhält diesen Preis für seinen Mut und seine Hartnäckigkeit, immer wieder für Demokratie und Gerechtigkeit einzustehen.

Ausgewählt wurde Rolly Brings von einer Jury bestehend aus Oberbürgermeisterin Henriette Reker, dem Präsidenten des Festkomitees Kölner Karneval Christoph Kuckelkorn, dem Vorsitzenden der Freunde und Förderer des Kölnischen Brauchtums Bernhard Conin, dem langjährigen Direktor des NS-Dokumentationszentrums Dr. Werner Jung sowie einem Vertreter der Familie von Karl Küpper.

Der Karl-Küpper-Preis, eine wunderschöne Hommage an den unangepassten Büttenredner, Gestaltung und Bild: Gestalteratelier Werner Blum
Der Karl-Küpper-Preis, eine wunderschöne Hommage an den unangepassten Büttenredner, Gestaltung und Bild: Gestalteratelier Werner Blum

Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert. Die erste Preisträgerin im Jahr 2020 war die Kapitänin Carola Rackete. Zu den unsäglichen Reaktionen in den sogenannten „Sozialen Medien“ auf diese Preisverleihung habe ich bereits im Oktober 2020 Stellung bezogen.

„Rebell mit Beamtenstatus“

Rolly Brings wurde am 19. Juli 1943 in Köln geboren. Er verließ bereits mit 14 Jahren die Familie und wurde Seemann. Zurück in Köln verdiente er sich zunächst sein Geld als Hilfsarbeiter, später macht er eine Maschinenschlosserlehre bei Ford. Doch auch dieser Beruf füllte ihn nicht aus. Der Musiker Stephan Brings über seinen Vater: „Er stand immer bis zu den Oberschenkeln im Öl und hat dann gemerkt, dat kann et nich sein.“1„Dann wird aufgeräumt“ – Stephan Brings über Karneval und Kommunismus, und Journalismus von links, abgerufen am 22.11.2022. Rolly Brings nutzte eine Chance im Rahmen der Begabtenförderung: Er konnte ohne Abitur studieren und wurde Lehrer für die Fächer Deutsch, Englisch und Gesellschaftslehre.

Allerdings war und ist der „Rebell mit Beamtenstatus“ unbequem. Dies hat insbesondere der frühere Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes zu spüren bekommen: Als die Hauptschule Piusstraße, an welcher Brings zu diesem Zeitpunkt unterrichtete, im laufenden Betrieb asbestsaniert werden sollte, wollte der engagierte Lehrer Brings das so nicht hinnehmen. Er organisierte mit seinen Schülern bei seinem Dienstherrn eine Sitzblockade – direkt vor dem Büro Antwerpes im Regierungspräsidium. Der „Kurfürst“ Antwerpes war äußerst erbost, und die Auseinandersetzung der beiden Herren ist wohl äußerst deftig abgelaufen.

Rolly Brings bei einem Auftritt in Köln-Ehrenfeld (2007), Bild: Elke Wetzig (Elya), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Rolly Brings bei einem Auftritt in Köln-Ehrenfeld (2007), Bild: Elke Wetzig (Elya), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Gegen den Strich und immer aufrecht

Rolly Brings liebt seine Heimatstadt Köln – aber immer auf eine sehr kritische Weise. Dabei ist er auf die oft als „unregierbar“ bezeichneten Kölner und auf die lange Geschichte der Stadt stolz. Die Kölsche Sprache ist für ihn keine Folklore, sondern einfach näher dran am Menschen. Er schreibt und denkt in Kölsch, weil „Wenn wir Kölsch sprechen, sind Herz und Kopf mit von der Partie.“ Verlässt er Köln, stellt sich automatisch Heimweh ein.

Allerdings verklärt Brings Köln nicht – ganz im Gegenteil. Er sorgt mit seiner Musik und seinen Aktionen für kritische Erinnerungen an über viele Jahre verdrängte Zeiten, insbesondere an die Zeit des Nationalsozialismus. So veranstaltet er seit 1983 jedes Jahr am 10. November für die im Jahr 1944 ermordeten Edelweißpiraten2Als Edelweißpiraten bezeichnete man während der Zeit des Nationalsozialismus oppositionelle Gruppierungen von Jugendlichen, die sich weigerten, der Hitlerjugend beizutreten. eine Gedenkfeier.

Dieses Engagement hat ihm viel Gegenwind eingebracht. Als er in der Aula seiner Schule eine Gedenkveranstaltung für die Edelweißpiraten organisierte, brachte ihm das eine Vorladung zum Schulrat ein, weil er damit ja auch „Kriminelle“ gewürdigt habe. „Wo“, fragt Dr. Werner Jung in seiner Laudatio zur Verleihung des Preises, „stünden wir heute, wenn Du nicht schon damals dagegengehalten hättest?“

Hier zeigt sich die wohltuende Unangepasstheit eines Rolly Brings: Gegen den Strich und immer aufrecht. Genau wie Karl Küpper.

Rolly Brings steht in der Tradition des großen Karl Küpper

Obwohl Rolly Brings schon verschiedene Ehrungen erhalten hat – unter anderem wurde er mit dem renommierten Rheinlandtaler und dem Giesberts-Lewin-Preis der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ausgezeichnet – ist der Karl-Küpper-Preis auch für ihn eine besondere Anerkennung. Sohn Peter Brings: „Bei vielen anderen Dingen sind ihm die Reaktionen egal, etwa auf seine Musik oder wenn einem seine Meinung nicht gefällt. Aber dieser Preis … erstaunlich, was der mit ihm macht.“

Mit Rolly Brings wird ein ebenso kritischer wie konstruktiver Mensch ausgezeichnet. Durch seine Hartnäckigkeit, gegen jedwede Obrigkeit vorzugehen, steht er ganz in der Tradition des großen Karl Küpper.

Ne janz hätzlische Jlöckwonsch, leeven Rolly Brings!


Der Historiker Werner Jung, langjähriger Leiter des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, Bild: Raimond Spekking
Der Historiker Dr. Werner Jung, langjähriger Leiter des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, Bild: Raimond Spekking

Laudatio von Werner Jung

Die äußerst lesenswerte Laudatio auf den Preisträger hat Dr. Werner Jung, der langjährigen Direktor des NS-Dokumentationszentrums, gehalten. Diese steht auf der Website des Dokumentationszentrums zum Download zur Verfügung.


1848 von unge, ein Projekt von Rolly Brings, Bild: Rolly Brings

 

Die Website von Rolly Brings

Auf der lesenswerten Website von Rolly Brings finden sich viele Texte und Informationen zu seinen Projekten, unter anderem zum Projekt „1848“ , und „Logbuch 1“.  

http://www.rollybrings.de/


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Zirkus in der Kirche? Zirkus in der Kirche!

Die Artisten des Cirque Buffon bändigen einen Elefanten auf der Bühne - mitten in der Kirche. Bild: Uli Kievernagel
Die Artisten des Cirque Bouffon bändigen einen Elefanten auf der Bühne – mitten in der Kirche. Bild: Uli Kievernagel

In diesen Tagen fällt es allen – und ganz besonders uns Kölnern – leicht, auf die Kirche draufzuhauen. Die unrühmlichen Nachrichten rund um das Vertuschen, Verdrängen und Verleugnen sind inzwischen Alltag. Es ist momentan echt Zirkus in der Kirche!

Und das mit dem Zirkus ist wörtlich zu nehmen: Ein kleines Häufchen Aufrechter in der „Kirche für Köln“ macht die Türen auf. Für den Zirkus. Und was für ein Zirkus!

Die Weihnachtsshow Cupido des Cirque Bouffon

Aktuell1Vom 23. November 2022 bis zum 8. Januar 2023 gastiert der Cirque Bouffon in St. Michael. In einer Kirche. Ein Zirkus. Hoffentlich erfährt das der Papst nicht! Dabei bietet der Cirque Bouffon genau das, was eigentlich auch die Kirche bieten soll: „Wir wollen die Herzen berühren und die Zeit entschleunigen“ so der französische Regisseur Frédéric Zipperlin über die Weihnachtsshow „Cupido“.

Cupido, besser bekannt als „Amor“, ist der römische Gott der Liebe. Wenn er mit seinen Pfeilen trifft, erweckt er genau diese Liebe. Und im Cirque Bouffon schaffen das die Clowns Helena Bittencourt und Goos Meeuwsen, beide als Amor mit Flügeln verkleidet. Ihre (imaginären) Pfeile treffen das Publikum und bilden den roten Faden der Show, in der sich Tanz, Musik, Komik und die Akrobatik der Artisten zu einem Gesamtkunstwerk verbinden.

Die Clowns Helena Bittencourt und Goos Meeuwsen, beide als Amor mit Flügeln verkleidet. Bild: Uli Kievernagel
Die Clowns Helena Bittencourt und Goos Meeuwsen, beide als Amor mit Flügeln verkleidet. Bild: Uli Kievernagel

„Herzlich willkommen zu einem Abend voller Liebe und Wollust“

Dass überhaupt ein Zirkus in einer Kirche auftreten kann, hat das Team von „Kirche für Köln“ möglich gemacht. In St. Michael am Brüsseler Platz, mitten im Belgischen Viertel, verwirklicht das Team unter der geistlichen Leitung von Uli Merz und Lisa Brentano ihren Traum von Kirche: Ein Haus mit vielen offenen Türen, in dem alle Menschen etwas Gutes für ihr Leben finden.

Verstärkt wird ihr Team durch Priester Thomas Frings, der in seiner Begrüßung zur neuen Show deutlich machte, um was es bei Cupido geht: „Letzte Woche stand hier noch ein Altar, heute treten hier die Artisten auf. Herzlich willkommen zu einem Abend voller Liebe und Wollust.“ Durchaus ungewöhnliche Worte eines Priesters in einer Kirche.

Akrobatik am Seil - die Artistin Anna Abrams nutzt die ganze Höhe des Kirchenbaus, Bild: Uli Kievernagel
Akrobatik am Seil – die Artistin Anna Abrams nutzt die ganze Höhe des Kirchenbaus, Bild: Uli Kievernagel

Cupido nutzt den ganz besonderen Raum einer Kirche konsequent aus

Doch Frings trifft den Nagel auf den Kopf. Der Zirkus nutzt konsequent die ganz besonderen Möglichkeiten, die die drittgrößte Kirche Kölns2nach dem Dom und St. Agnes bietet: Die große Höhe des Hauptschiffs bildet die angedeutete Kuppel des Zirkuszelts und ermöglicht der Seilartistin Anna Abrams, ihre artistischen Übungen in schwindelerregender Höhe zu präsentieren. Die eigens von Sergej Sweschinski komponierte Musik nutzt die großartige Akustik des neoromanischen Baus der Kirche aus – inklusive Orgel.

Eine wunderbare Gelegenheit für Jeden, der mal für ein paar Stunden der hektischen Vorweihnachtszeit entfliehen möchte. In der perfekt inszenierten Show wechseln sich berührende Momente und urkomische Situationen ab. Wie etwa, wenn der Jongleur Evgeny Pimoneko mit federleichten Ringen jongliert. Direkt danach mündet der zunächst anmutige Tanz zweier Ballerinas in einer wüsten Schlägerei, welche man sonst nur aus Wrestling-Arenen kennt.

Was für ein Zirkus. In einer Kirche.


 

 

Kirche für Köln. eine neue Gemeinde
Kirche für Köln. eine neue Gemeinde

Kirche für Köln. Eine neue Gemeinde.
Stellt dir vor, die Kirche macht auf – und jeder geht hin

Während (zumindest bei gutem Wetter) das Leben im Schatten von St. Michael auf dem Brüsseler Platz tobt, war die Kirche immer leer und verlassen.

Die neu gegründete Gemeinde Kirche für Köln will das verändern. Dabei sind die Leitlinien „modern, offen, zugewandt“ nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern finden ihren Ausdruck in unterschiedlichen Veranstaltungen, die nicht typisch für die Kirche sind – wie zum Beispiel der Zirkus in der Kirche.


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Die Figuren am Rathausturm – eine kölsche Posse

Das Kölner Rathaus, hier auf einem Kupferstich um etwa 1655, Bild: Künstler unbekannt, via Wikimedia Commons
Gut zu erkennen: Das erste Figurenprogramm auf dem Kölner Rathausturm, hier auf einem Kupferstich um etwa 1655, Bild: Künstler unbekannt, via Wikimedia Commons

Podcast Rathausturm, 29

Su jet jitt et nur in Kölle! Wir machen zwar Dinge gerne schon mal mehrfach, aber was am Rathausturm in den 1980er passiert ist, ist leider irgendwie typisch kölsch.

Der im Stil der Spätgotik errichtete Rathausturm ist reich mit Zinnen und Vorhangbögen geschmückt. Am auffälligsten sind aber die 124 Figuren von Persönlichkeiten, die die Geschichte der Stadt Köln geprägt haben.

So findet sich dort heute eine bunte Mischung kölscher Prominenz, zum Beispiel Agrippina, Jan von Werth, Katharina Henot, Johann Maria Farina bis hin zu Nikolaus Otto. Es bedurfte allerdings mehrerer Anläufe, bis diese Figuren fest und sicher auf dem Turm standen.

Die Vorgeschichte: Die ersten Figuren stammten aus dem 15. Jahrhundert

Bereits mit Fertigstellung des Turms im Jahr 1414 war der Turm mit Figurten ausgestattet. Welche Figuren sich ursprünglich dort befanden, ist heute nicht mehr bekannt.

In den Jahren hatten Wind und Wetter den Figuren so massiv zugesetzt, dass diese anfingen, ganz oder in Teilen abzufallen. So beschloss der Rat am 22. Mai 1694 aus Sicherheitsgründen, die Figuren abzunehmen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde ein neues Figurenprogramm beschlossen. Diese Figuren wurden zwischen 1891 und 1901 in Auftrag gegeben.

Das Kölner Rathaus um 1900 - noch bevor die Figuren bis etwa 1902 neu aufgestellt wurden. Photochromdruck, Künstler unbekannt, Public domain, via Wikimedia Commons
Das Kölner Rathaus um 1900 – noch bevor die Figuren neu aufgestellt wurden. Photochromdruck, Künstler unbekannt, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Aufstellung dieser neuen Figuren war in Gruppen eingeteilt: Im Erdgeschoss war Platz für Fürsten und Erzbischöfe, im ersten Obergeschoss für Repräsentanten der Geschlechterherrschaft, eine Etage darüber für Repräsentanten der Zünfte. Das dritte Obergeschoss war für Männer der Künste und der Wissenschaft vorbehalten und im obersten Geschoss wachten die Schutzheiligen der Stadt über die Bürger. Die Letzte dieser Figuren wurde im Jahr 1902 aufgestellt.

Massive Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg

Das Rathaus wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört. Vom Rathausturm stand gerade noch ein Drittel. Es gab sogar Überlegungen, den Turm gänzlich abzureißen und neu aufzubauen. Doch die Kölner Handwerkerschaft erinnerte sich an ihre alte Zunft-Tradition und initiierte die „Bauhütte Rathausturm“. So wurde der Rathausturm, nach der Errichtung durch die Zünfte Anfang des 15. Jahrhunderts, im 20. Jahrhundert von den Kölnern Handwerkern gerettet.

Der zum größten Teil zerstörte Rathausturm im Jahr 1945, Fotograf: unbekannt
Der zum größten Teil zerstörte Rathausturm im Jahr 1945, die Figuren wurden fast vollständig zerstört, Fotograf: unbekannt

Von 1950 bis in das Jahr 1975 wurde an dem Rathausturm gebaut und das Gebäude originalgetreu wieder aufgebaut. Allerdings waren von den bis 1902 aufgestellten Figuren auf dem Turm nach dem Bombardement des Zweiten Weltkriegs kaum noch etwas übrig.

Neues Figurenprogramm in den 1980er Jahren: Bei 124 neuen Figuren gerade einmal fünf Frauen.

Die Stadt setzte eine Historikerkommission mit der Aufgabe, eine neue Auswahl an Figuren vorzuschlagen, ein. Die Bedingungen waren lediglich, dass weder lebende Personen noch „negative Figuren“ abgebildet werden dürfen.

Die Kommission benötigte gerade einmal fünf Jahre, um ein entsprechendes Figurenprogramm zu erarbeiten. So konnte endlich im Jahr 1986 das Konzept vom Kulturausschuss verabschiedet und dem Stadtrat zur Abstimmung vorgelegt werden. Bei dieser Stadtratssitzung muss es hoch hergegangen sein, denn die Fraktion der Grünen verweigerte konsequent die Zustimmung. Mit Recht!

Eine der wenigen Frauen auf dem Rathausturm: Die erfolgreiche Unternehmerin Fygen Lutzenkirchen (1450-1515), Bild: Raimond Spekking
Eine der wenigen Frauen auf dem Rathausturm: Die erfolgreiche Unternehmerin Fygen Lutzenkirchen (1450-1515), Bild: Raimond Spekking

Was die Grünen auf die Palme brachte: Die Kommission hatte bei den 124 Figuren gerade einmal fünf Frauen vorgeschlagen. Mit anderen Worten: In der mehr als 2.000 Jahre alten Stadtgeschichte sollen Frauen gerade einmal mit 4% berücksichtigt werden. Ein Eklat.

Überarbeitung des Figurenprogramms

Die Kommission wurde noch einmal beauftragt, das Programm zu überarbeiten. 1988 wurde der neue Vorschlag mit dem immer noch mickrigen Ergebnis, dass jetzt gerade einmal 18 Frauen berücksichtigt wurden, vom Stadtrat verabschiedet.

Was von dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission übrig blieb, war das Konzept, welche Figurengruppe wo ihren Platz finden sollte:

  • Im Erdgeschoss befinden sich Persönlichkeiten „Herrscher und herrschergleiche Personen“.
  • Danach folgen vom ersten bis zum dritten Obergeschoss „Für die Stadt wichtige Persönlichkeiten“.
  • Ganz oben ist der „Kölsche Himmel“: Die Schutzpatrone und Heiligen der Stadt
Adolf Clarenbach (rechts),auf Melaten hingerichteter evangelischer Reformator, Statue am Rathaus, Bild: Raimond Spekking
Die Figur von Adolf Clarenbach (rechts), auf Melaten hingerichteter evangelischer Reformator, Bild: Raimond Spekking

Die Stadt muss kötten gehen

Nach den Irrungen und Wirrungen um die inhaltliche Ausgestaltung des Figurenprogramms war die nächste Hürde die Finanzierung der Figuren. Da die Stadt – wie immer – klamm war, ging man kötten. Die Idee: Kölner Unternehmen, Verbände, Bürger, Vereine etc. wurden angefragt, ob sie nicht die Patenschaft über eine oder mehrere Figuren übernehmen könnten. Diese Patenschaft war damit verbunden, die entsprechende Figur auch zu stiften. Kein ganz günstiges Vergnügen – immerhin kostete damals eine Figur rund 25.000 DM. Für diesen Betrag konnte man im Jahr 1988 einen gut ausgestatten Audi 80 kaufen.

Doch die Kölner ließen sich nicht lumpen: So stifteten unter anderem das Bankhaus Sal. Oppenheim (Figur: Abraham Oppenheim), die Agrippina-Versicherung (Figur: Agrippina), der Verlag M. DuMont Schauberg (Figur: Karl Joseph Daniel DuMont), die Alfred Schütte GmbH (Figur: Meister Eckhart, Hans Imhoff (Figur: Severin von Köln), die Gerling-Versicherung (Figur: Gereon), Klosterfrau Melissengeist (Figur: Maria Clementine Martin), EMI Electrola (Figur: Jaques Offenbach) oder Klöckner-Humboldt-Deutz (Figur: Nicolaus Otto).

Figur des Nikolaus Gülich am Kölner Rathausturm (in der Mitte). Links neben ihm ist Johann Maria Farina, Bild: Raimond Spekking
Figur des Nikolaus Gülich am Kölner Rathausturm (in der Mitte). Links neben ihm ist Johann Maria Farina, Bild: Raimond Spekking

Aber auch die Willi-Ostermann-Gesellschaft (Figur: Willi Ostermann), der 1. FC Köln (Figur: Bernhard Letterhaus) sowie die Kreishandwerkerschaft Köln (Figur: Heilige Ursula) und die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung Köln (Figur: Nikolaus Gülich) traten als Stifter auf. Genau wie das Erzbistum Köln (Figur: Edith Stein), der Evangelische Stadtkirchenverband Köln (Figur: Adolf Clarenbach) oder der Kölner Brauerei-Verband (mehrere Figuren, u.a. Kaiser Augustus.)

Konservierung der Figuren für die Ewigkeit

Um die Figuren für eine lange Zeit haltbar zu machen, wurden diese mit Acrylharz getränkt. Grundsätzlich eine gute Idee. Denn die in der Gebäudeabdichtung, zum Beispiel auch am Dom, regelmäßig verwendeten Acrylharze haben eine gute Optik und eine hohe Beständigkeit. Nur war diese Konservierungsmethode leider nicht bei dem für die Figuren verwendeten Tuffstein geeignet.

Die Figur des Engelbert von Berg war eines der ersten Opfer der falschen Konservierungsmethode. Die Figur des Albertus Magnus wurde nicht mit Acrylharz getränkt und blieb unversehrt. Bild: Raimond Spekking
Die Figur des Engelbert von Berg war eines der ersten Opfer der falschen Konservierungsmethode. Die Figur des Albertus Magnus wurde nicht mit Acrylharz getränkt und blieb unversehrt. Bild: Raimond Spekking

Bereits nach zehn Jahren zeigten sich erste Risse in der Figur des „Engelbert von Berg“. Der Restaurator Thomas Lehmkuhl erkannte, dass der eher poröse Tuffstein der Figuren sich massiv mit dem Acrylharz vollgesaugt hatte. Das führte dazu, dass die Figuren, die vor der Behandlung mit dem Konservierungsmittel etwa 220 kg gewogen haben, danach aber satte 300 kg auf die Waage brachten.

Fachmann Lehmkuhl erklärte, dass der Tuffstein durch die große Menge Acrylharz hart und spröde wird. Lehmkuhl weiter: „Und gleichzeitig erhöht sich dadurch bei Sonnenschein oder Frost die thermische Belastung des Steins.“1„Risse im Kölner Turmpersonal!“, Welt am Sonntag vom 11. Dezember 2005

Die Originalfigur der Heiligen Ursula steht bei der Kreishanderwerkerschaft im Stapelhaus, auf dem Rathaus ist eine Kopie angebracht, Bild: Uli Kievernagel
Die Originalfigur der Heiligen Ursula steht bei der Kreishanderwerkerschaft im Stapelhaus, auf dem Rathaus ist eine Kopie angebracht, Bild: Uli Kievernagel

Eine Untersuchung der Figuren ergab, dass diese nicht mehr zu retten waren. Die Figuren zeigten massive Risse und bröselten vor sich hin.

Zwar wurde der „Schwarze Peter“, wer denn nun schuld an der Misere sei, noch hin- und hergeschoben. Doch die Tatsache, dass ausgerechnet die Figuren von Adolph Kolping und Albertus Magnus keine Auflösungserscheinungen zeigten, war Beweis genug: Diese beiden waren, genau wie 20 weitere Figuren, nicht mit dem Acrylharz getränkt worden und in einem tadellosen Zustand.

Neue Figuren im Jahr 2008

Aber: Die restlichen etwa 100 Figuren mussten neu beschafft werden. Daher startete die Stadt eine neue Spendenaktion, und viele der bereits etwa zehn Jahre zuvor so freigiebigen Gönner öffneten erneut die Geldbörse. So konnten exakte Kopien der Figuren erstellt werden. Immerhin hatte man gelernt: Die neuen Figuren wurden nicht aus Tuffstein, sondern aus einem speziellen französischen Kalkstein (Savonnières-Kalkstein) hergestellt.

Einige der ursprünglichen Figuren fanden anschließend ihren Platz in den Gärten oder Häuser der Stifter. Aber immerhin konnten im November 2008 alle 124 Plätze auf dem Rathaus wieder von den neuen Figuren eingenommen werden.

Mal sehen, wie lange die Figuren diesmal halten!


Ein bemerkenswertes Detail: Der Sockel der Figur von Konrad von Hochstaden, Bild: Raimond Spekking
Ein bemerkenswertes Detail: Der Sockel der Figur von Konrad von Hochstaden, Bild: Raimond Spekking

Autofellatio-Figur

Und dann befindet sich auch noch Figur von Konrad von Hochstaden am Rathaus. Er war als Konrad I. von 1238 bis 1261 Erzbischof von Köln und legte am 15. August 1248 den Grundstein zum Kölner Dom. Insofern gebührt ihm sicherlich ein Platz auf dem Rathausturm.

Allerdings irritiert ein kleines, aber durchaus sehenswertes Detail an der Statue: Der Sockel zeigt einen Mann mit nackten Hintern, der sein eigenes Geschlechtsteil im Mund hat. Der Fachbegriff für diese fast schon akrobatische Art der Selbstbefriedigung lautet „Autofellatio“.

Fraglich nur, weshalb dieser Sockel überhaupt seinen Platz auf dem Rathaus gefunden hat und wie das mit Konrad von Hochstaden zusammenhängt. Der ehemalige Stadtkonservator Ulrich Krings erläutert „Das ist ein ganz beliebtes Motiv gewesen. Dabei ging es darum, der Obrigkeit quasi den Arsch hinzuhalten. Mit derber, zur Schau gestellter Sexualität sollte gezeigt werden, dass einem die Moral- oder auch Ordnungsvorstellungen der Obrigkeit wurscht waren.“

Verständlich: In einer Zeit, in der die wenigsten Lesen und Schreiben konnten, mussten bildliche Darstellungen „griffig“ eine Botschaft vermitteln. Beliebt dabei: Darstellungen der sieben Todsünden, in diesem Fall die Wollust.

Dass es allerdings ausgerechnet Konrad von Hochstaden erwischt hat, ist eher Zufall. Denn das Original des „Autofellation-Sockels“ stammt ungefähr aus dem Jahr 1410. Und damals stand eine andere,  nicht mehr bekannte Figur auf dem Platz, den heute der ehemalige Erzbischof einnimmt.

Aber da wir in Kölle ja schon immer Probleme mit unseren Bischöfen hatten, Josef Frings ausdrücklich ausgenommen, muss Konrad von Hochstaden stellvertretend für diese Menschen auf diesem speziellen Sockel stehen.


Insgesamt befinden sich 124 Figuren auf dem Rathausturm

Erdgeschoss

  • Augustus
  • Marcus Vipsanius Agrippa
  • Agrippina die Jüngere
  • Postumus
  • Konstantin der Große
  • Sigibert von Köln
  • Plektrudis
  • Karl der Große
  • Otto I.
  • Theophanu
  • Heinrich IV.
  • Heinrich II. (England)
  • Otto IV.
  • Innozenz III.
  • Friedrich II.
  • Rudolf I.
  • Urban VI.
  • Friedrich III.
  • Maximilian I.

Erstes Obergeschoss

  • Hildebold von Köln
  • Ida (St. Maria im Kapitol)
  • Rupert von Deutz
  • Rainald von Dassel
  • Nikolaus von Verdun
  • Sela Jude
  • Gerhard Unmaze
  • Konrad von Hochstaden
  • Gerhard von Riele
  • Matthias Overstolz
  • Gerhard Overstolz
  • Gottfried Hagen
  • Johann I. (Brabant)
  • Meister Eckhart
  • Hilger Quattermart von der Stesse
  • Stefan Lochner
  • Heinrich von Beeck
  • Ulrich Zell
  • Fygen Lutzenkirchen
  • Heinrich Agrippa von Nettesheim
  • Hermann von Neuenahr der Ältere
  • Adolf Clarenbach
  • Anton Woensam
  • Arnold von Siegen
  • Johannes Gropper
  • Hermann von Weinsberg
  • Heinrich Sudermann
  • Michael von Aitzing
  • Caspar Ulenberg
  • Peter Paul Rubens

Zweites Obergeschoss

  • Jan von Werth
  • Joost van den Vondel
  • Aegidius Gelenius
  • Melchior von Reidt
  • Katharina Henot
  • Friedrich Spee von Langenfeld
  • Anna Maria de Heers
  • Anna Maria van Schurman
  • Nikolaus Gülich
  • Johann Maria Farina
  • Ferdinand Franz Wallraf
  • Heinrich Gottfried Wilhelm Daniels
  • Maria Clementine Martin
  • Peter Heinrich Merkens
  • Sulpiz Boisserée
  • Georg Simon Ohm
  • Friedrich Wilhelm IV.
  • Ernst Friedrich Zwirner
  • Robert Blum
  • Ludolf Camphausen
  • Abraham Oppenheim
  • August Reichensperger
  • Karl Joseph Daniel DuMont
  • Ferdinand Hiller
  • Mathilde Franziska Anneke
  • Moses Hess
  • Gustav von Mevissen
  • Jacques Offenbach
  • Karl Marx
  • Hermann Heinrich Becker
  • Franz Carl Guilleaume

Drittes Obergeschoss:

Viertes Obergeschoss 


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Alfred Nourney – ein Kölner überlebt den Untergang der Titanic

Alfred Nourney (1892-1972), ein Überlebender des Titanic-Untergangs aus Köln, Fotograf: unbekannt, Bild: Sammlung Günter Bäbler, Titanic-Verein Schweiz
Alfred Nourney (1892-1972), ein Überlebender des Titanic-Untergangs aus Köln, Fotograf: unbekannt, Bild: Sammlung Günter Bäbler, Titanic-Verein Schweiz

Es war am 14. April 1912 gegen 23:40 Uhr, als Alfred Nourney an Bord der Titanic bemerkt, dass der Whisky in seinem Glas ein wenig schwankt. Viele Menschen um ihn herum bekommen den kleinen Stoß nicht mit. Dabei hat das damals modernste Schiff der Welt soeben einen Eisberg gerammt. Und damit sein Schicksal besiegelt. Zwei Stunden und 40 Minuten später versank der Ozeanriese in den eisigen Fluten des Atlantiks.

Bei dem Unglück kamen 1.514 Passagiere ums Leben. 712 Menschen überlebten das Unglück, unter Ihnen der Kölner Alfred Nourney, der unter dem Pseudonym „Baron Alfred von Drachstedt“ reiste.

Fahrt nach Amerika, um Ehre zu retten

Alfred Nourney, geboren am 26. Februar 1892 stammte aus einer reichen Kölner Weinhändlerfamilie. Schon sehr früh begeisterte sich der technikverliebte Junge für die Fliegerei. So berichtet der Kölner Lokal-Anzeiger vom 22. Januar 1912: “… Sodann bestieg einer seiner Kölner Schüler, Alfred Nourney, den Aeroplan, nahm die Kurven sehr kurz und schnell und landete im Gleitflug. …“.

Ein Artikel im im Kölner Lokal-Anzeiger vom 22. Januar 1912 beschreibt Alfred Nourneys Flugkünste
Ein Artikel im im Kölner Lokal-Anzeiger vom 22. Januar 1912 beschreibt Alfred Nourneys Flugkünste

Und auch sonst lebte Nourney anscheinend eher im Gleitflug, denn seine Reise mit der Titanic trat der junge Draufgänger nicht ganz freiwillig an: Angeblich soll er ein Hausmädchen der Nourneys geschwängert haben. Um ihn aus der „Schusslinie“ zu bringen, soll Alfred vorübergehend bei der amerikanischen Verwandtschaft untergebracht werden.

Doch der junge Hallodri macht aus der Pflicht eine Tugend. Kaum hatte er in Cherbourg auf dem luxuriösen Dampfer eingecheckt, gönnte er sich ein Upgrade auf die 1. Klasse und nennt sich fortan „Baron Alfred von Drachstedt“, wohl um besser in die feine Gesellschaft der 1. Klasse zu passen. Und unter den Millionären fühlte sich der junge Kölner pudelwohl. So telegraphierte er von Bord aus einen Tag vor dem Unglück an seine Mutter:

„Liebe Mutter – Ich bin so glücklich auf meiner ersten Klasse! Ich kenne schon sehr nette Leute! Einen Brillantenkönig! Mister Astor einer der reichsten Amerikaner ist an Bord! Tausend Küsse – Alfred.“

Außerdem schickt er ein weiteres Telegramm an ein gewisses „Fräulein Jarkonska“ in Köln, Rothgerberbach, „Drahtlosen Kuss, in Liebe Alfred.“ Vermutlich handelte es sich dabei um jene Dame, wegen der er Europa verlassen musste.

Die Titanic bei der Abfahrt aus Southampton, Bild: Francis Godolphin Osbourne Stuart, gemeinfrei, via Wikimedia Commons
Die Titanic bei der Abfahrt aus Southampton, Bild: Francis Godolphin Osbourne Stuart, gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Neugierde rettet sein Leben

Alfred erkundet voller Begeisterung das Schiff und dringt dabei auch in Räume vor, die eigentlich der Besatzung vorbehalten sind. So entdeckte er auch eine kleine eiserne Wendeltreppe, die von der Kommandobrücke über alle Decks bis fast zum Kiel der Titanic führte. Diese Entdeckung sollte ihm später das Leben retten.

Am Tag des Unglücks selber dinierte der junge Nourney zunächst im Speisesaal der 1. Klasse, um danach im Rauchersalon bei ein paar Whisky mit seinen neuen Bekannten eine Runde Bridge zu spielen. Als es um 23.40 Uhr leicht rumpelt, werden die Gespräche zunächst etwas leiser, doch keiner ahnt, in welcher Gefahr sich die Menschen an Bord befinden. Die Maschinen liefen genauso weiter wie nur Augenblicke später die Gespräche der Upper Class-Passagiere.

Doch Alfred Nourney hat ein ungutes Gefühl. Er eilt in seine Kabine, holt seinen Mantel und inspizierte das Deck des großen Schiffs. Dort entdeckt er zwar Eisbrocken auf dem menschenleeren Deck, aber sonst keine weiteren Unregelmäßigkeiten. Bis wenig später die Maschinen aussetzen.

Jetzt schrillen die Alarmglocken und Nourney will zurück ins Schiff, doch die Türen sind verschlossen. Dann erinnert er sich an die kleine eiserne Wendeltreppe, die er bei seinen Streifzügen entdeckt hat. Er geht diese Treppe hinunter und stellt fest, dass bereits Wasser in das Schiff eingedrungen ist.

Warnung verhallt ungehört

Schnell eilt er zurück in der Rauchersalon, um die anderen Passagiere zu warnen. Doch die sind wenig beeindruckt von dem aufgeregten „Baron von Drachstedt“. Ein Amerikaner meint nur, dass wahrscheinlich lediglich ein Rohr geplatzt sei – „Oh – it doesn´t matter.“ Doch damit liegt er gänzlich falsch.

Zurück auf dem Deck stellt Nourney fest, dass die Rettungsboote klargemacht werden. Ganz Pragmatiker geht er zunächst zur Küche, um sich mit Whisky und Sandwiches einzudecken, bevor er – nach eigener Aussage – den Matrosen hilft, Passagiere auf die Rettungsboote zu bringen. Dann bricht, so Nourney, Panik aus und Schüsse fallen. In dem folgenden Chaos, so Nourney, wird er mitgerissen und kann sich gerade noch so an einem der Boote festhalten. Dieses wird, noch nicht einmal voll besetzt, um 0:45 Uhr zu Wasser gelassen.

Noch Jahrzehnte später kann sich Alfred Nourney an den Untergang des Luxusliners erinnern:

„Als die Titanic nun wirklich sank, das dauerte eine ganze Weile. Das donnerte – rrrrummms – als sie sich auf den Kopf setzte. Und weg war sie. Und dann kam die schlimmste Zeit, es sind ja, na etwa tausend Leute mit dem Sog runter, dann trieben die in dem eiskalten Wasser und schrien um Hilfe. Und das war wie ein – huuuuuuu – wie ein Sirenenton, dieses Schreien. Und dieser Todesschrei, dieser Notschrei von tausend Menschen, kreischend, das war ein Akkord wie ein Sirenenton, grauenhaft, und dieses Schreien hat über eine Stunde gedauert.“1Quelle: Deutschlandfunk Kultur, „Ein religiös verwerteter Untergang“ von Andreas Malessa, 14.04.2012, https://www.deutschlandfunkkultur.de/ein-religioes-verwerteter-untergang-100.html, abgerufen am 8. Mai 2022

Überwältigt von den Eindrücken und den Strapazen schlief Alfred Nourney auf dem Rettungsboot ein, welches um 5:10 Uhr von dem Dampfer „Carpathia“, welches als erstes am Unglücksort erscheint, aufgenommen wird.

Ein Rettungsboot der Titanic, aufgenommen von einem Passagier der Carpathia, Fotograf: unbekannt, Bild: gemeinfrei / National Archives, Northeast Region, New York City, Records of District Courts of the United States
Ein Rettungsboot der Titanic, aufgenommen von einem Passagier der Carpathia, Fotograf: unbekannt, Bild: gemeinfrei / National Archives, Northeast Region, New York City, Records of District Courts of the United States

Einzelne Quellen behaupten, dass sich Nourney an Bord der Carpathia wenig dankbar verhalten habe. So soll er angeblich einen ganzen Stapel Decken, der unter den frierenden Passgieren verteilt werden sollte, alleine für sich in Anspruch genommen haben.2Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger,
Ein Kölner überlebt das Titanic-Unglück vom 13.01.2012, abgerufen am 20.05.2022

Auch scheinen seine materiellen Verluste doch stark übertrieben zu sein. So gibt er gegenüber der White Star Linie, der Betreibergesellschaft der Titanic, an, Verluste im Wert von zigtausend Dollar erlitten zu haben. Darunter acht Anzüge, zwei Abendanzüge, zwei Jagdanzüge, vier Mäntel, 40 Oberhemden, 15 Schlafanzüge, 14 Paar Schuhe, 10 Sets von Unterwäsche, 40 Kragen, zehn Paar Handschuhe, 120 Krawatten, 50 Taschentücher, einen Diamantring, mit Edelsteinen besetzte Manschettenknöpfe, zwei silberne Zigarettenetuis und eine silberne Haarbürste.

Grab auf Melaten

Die Carpathia lief am Abend des 18. April 1912 in New York ein. Nur wenige Wochen später kehrte Nourney wieder zurück nach Europa. Er lebte in Frankreich und Spanien, allerdings ohne die noch an Bord der Titanic so schrecklich vermisste „Fräulein Jarkonska“ vom Rothgerberbach.

Todesanzeige des Titanic-Überlebenden Alfred Nourney, erschienen in der Honnefer Volkszeitung am 17. November 1972
Todesanzeige des Titanic-Überlebenden Alfred Nourney, erschienen in der Honnefer Volkszeitung am 17. November 1972

Stattdessen vertreibt er sich die Zeit mit Autorennen, heiratet später eine andere Dame, bekommt mit ihr zwei Töchter und lässt sich in Bad Honnef nieder. Er arbeitet als Vertreter für Mercedes Benz und engagiert sich stark im örtlichen Tennisclub.

Alfred Nourney, der als junger Mann den Untergang der Titanic überlebt hat, stirbt am 15. November 1972 im Alter von 80 Jahren. Er wird auf Melaten beigesetzt, dort besitzt die Familie Nourney eine repräsentative Grabstätte.


Die Grabstätte der Familie Nourney auf der sogenannten "Millionenallee" auf dem Melatenfriedhof in Köln-Lindenthal (2020). Bild: Grünwald, Katharina, Landschaftsverband Rheinland, CC-BY
Die Grabstätte der Familie Nourney auf der sogenannten „Millionenallee“ auf dem Melatenfriedhof in Köln-Lindenthal (2020). Bild: Grünwald, Katharina, Landschaftsverband Rheinland, CC-BY

Grabstätte der Familie Nourney

Eine detaillierte Beschreibung der großen Nourney-Grabstätte auf dem Melatenfriedhof haben Katharina Grünwald und Franz-Josef Knöchel auf dem Portal KuLaDig – Kultur. Landschaft. Digital. veröffentlicht. 


 Der Podcast: Die Titanic und der Kölsche

 

Shownotes

Der Kölner Alfred Nourney starb im Jahr 1972 im Alter von 80 Jahren. Dass er
überhaupt so alt wurde, grenzt an ein Wunder, denn er überlebte als Passagier den Untergang der Titanic.

Dabei war es ein großer Zufall, dass er überhaupt auf dem Schiff war, denn eigentlich sollte der Sohn einer reichen Kölner Weinhändlerfamilie nur bei amerikanischen Verwandten aus der „Schusslinie“ gebracht werden, weil er als junger Mann ein Hausmädchen der Nourneys geschwängert hatte.

Mehr zu diesem kölschen Lebemann und seiner fast schon unglaublichen Geschichte in diesem Köln-Ding der Woche.


Text dieser Podcast-Folge

Hallo und herzlich Willkommen, es ist wieder soweit, hier sind der Frank und der Uli und wir haben wieder eine Köln-Geschichte für euch ausgegraben.

Ja heute auf Wunsch von Uli gehen wir auf die romantische Seite unseres Strebens, weil heute geht es um die Titanic, heute geht es um Rose und Jack, oder wie wir sagen würden, Bärbelchen und Jupp.

Jetzt lachst du schon wieder. Du hast dir unbedingt diese Folge gewünscht und jetzt bekommst du sie auch. Es geht um mehr, es geht um den Untergang der Titanic und natürlich um den Zusammenhang mit der schönsten Stadt der Welt, mit Kölle. Was konnte dann diese beiden Dinge zusammenbringen? Das war tatsächlich ein Mann.

Aber fangen wir mal irgendwie mit dem Untergang der Titanic an.: 4 April 1912., gegen 23.40 Uhr.

Und es macht auf einmal so ein bisschen Peng auf diesem riesen Kutter. Und die Eiswürfel in den Whiskygläsern klingeln ein bisschen. Was ansonsten mit Eis war, wusste man zu dem Zeitpunkt noch nicht.

Upper Class unbeeindruckt

Aber die feine Gesellschaft, die Upper Class, die Oberdeck, die haben dann einfach weiter gefeiert. Ohne zu wissen, dass gerade mal 2 Stunden und 40 Minuten später der ganze Kutter blub, blub abgesoffen ist. Bei dem Unglück kamen 1514 Passagiere ums Leben. Und 712 Menschen überlebten das Unglück.

Unter ihnen der Kölner Alfred Nourney, der sich aber, ich will mal sagen, aus, der war eine Strunzbüggel. Ja, also der hat sich gerne angegeben. Der hat sich dort unter dem Pseudonym Baron Alfred von Drachstädt eingeschrieben. Und jetzt gucken wir uns diesen Alfred Nourney, alias Baron Alfred von Drachstädt, mal ein bisschen genauer an.

Er war eine Kölner, der kam aus einer reichend Kölner Weinhändlerfamilie, geboren 1892. Und hat dann auch sein Reichtum erst mal raushängen lassen. Der war so ein bisschen so ein Dandy, der Typ. Und hat dann auch ein bisschen krachen lassen. Und hat unter anderem 1912 schon den Flugschein gemacht.

Und da gibt es sogar einen Zeitungsausschnitt noch zu, wo beschrieben wird, wie er seine Prüfung macht.Der heißt es nämlich dann in einem Zeitungsartikel vom Januar 1912:

So dann bestieg einer seiner Kölner Schüler, Alfred Nourney, den Aeroplan, nahm die Kurven sehr kurz und schnell und landete im Gleitflug.

Leben im Gleitflug

Das war wohl schon irgendwie so ein echter Dandy Typ. Der hat ein ganzes Leben im Gleitflug geführt.

Denn auf einmal wurde der Junge verklappt. Der musste weg, der musste raus aus Köln. Der hat nämlich das Hausmädchen geschwängert. Also er war nicht nur ein bisschen im Gleitflug in seinem Leben, sondern er war auch ein Föttchesföhler. Also er hat gerne den Damen aufs Bett geholfen und musste dadurch aus der Schusslinie gebracht worden und sollte zu amerikanischen Verwandten gebracht werden.

Also erstmal fott, damit das mit dem Hausmädchen nicht so auffällt, dann haben sie den Filou einfach mal eingebucht und hat bot sich an, den auf der Titanic unterzubringen. Die stach nämlich dann genau in See. Und der ist in Cherbourg dann auf dieses Schiff drauf. Allerdings, der Junge wollte es ja ein bisschen krachen lassen, und  Geld hat er auch noch gehabt. So hat sich dann Baron Alfred von Drachstedt genannt und hat einfach mal sein Ticket, ein Upgrade, sich selbst gegönnt und war auf einmal Passagier der ersten Klasse.

 Ja, und unter den Millionären, da fühlte er sich, der junge Kölner, natürlich pudelwohl, hat es richtig raushängen lassen und so telegrafierte er vom Board an einem Tag, vor dem Unglück noch, an seine Mutter:

Liebe Mutter, ich bin so glücklich auf meiner ersten Klasse. Ich kenne schon sehr nette Leute, einen brillanten König, Mr. Astor, einer der reichsten Amerikaner ist an Bord, tausend Küsse, Alfred.

Das war aber nicht das einzige Telegramm, was er gesendet hat, das andere ist eigentlich viel interessanter. Ja, das hat er seiner Fräulein Jablonska geschickt. Wir gehen jetzt mal davon aus, das ist das Hausmädchen, die er da geschwängert hat.

Da schreibt er ihr: Drahtlosen Kuss in Liebe, Alfred.

Alfred inspiziert das ganze Schiff

Und auch sonst hat er das Schiff wirklich genossen, das Leben auf dem Schiff und ist da rumgeklettert überall. Der hat eigentlich alles sich angeguckt, was es auf dem Schiff gab. Der ist überall rumgeklettert, auch da, wo er gar nicht hin durfte. Der war auch sehr technikverliebt. Und unter anderem hat er eine Treppe entdeckt, die war eigentlich nur für das Personal gedacht, als schnelle Verbindung zwischen den einzelnen Decks. Und das wird später noch wichtig.

Und am Tag des Unglückes dinierte der junge Herr Nourney zunächst im Speisesaal der ersten Klasse. Und danach im Rauchersalon bei ein paar Whiskeys hat er es dann irgendwie raushängen lassen, dass er der Beste ist. Und hat eine Runde Bridge gespielt.

Na gut, auf jeden Fall, 20 vor 12 war das Schiff ruckelte leicht, weil es wurde ja dann, wie bekannt ist, von einem Eisberg gerammt. Respektive der Schiff hat den Eisberg gerammt, wenn man es genau nimmt. Aber das hat keinen so richtig gejuckt. Das ruckelt so ein bisschen. Und die Jungs haben kurz aufgehört, dann haben sie wigger jemaht.

Ja, das wollte auch gar keiner hören, dass der Herr Nourney da irgendwie mit einem unguten Gefühl durch die Kabine gerannt ist und hat irgendwie gesagt, Hilfe, Hilfe, Hilfe, hier kommt Wasser rein. Dann haben die erstmal gesagt, ja, da ist ein Rohr geplatzt oder sowas Ähnliches.

Eisbrocken auf dem Deck

Dann hat er aber Eisbrocken entdeckt, auf dem menschenleeren Deck. Und dann war er doch etwas, sag ich mal, verwirrt. Aber der Nourney kannte natürlich alle Wege in diesem Schiff, unter anderem auch diese Eisentreppe. So konnte er nämlich dann durch diese Eisentreppe genau rauf und ist dann oben aufs Deck gekommen.

Und jetzt wird die Geschichte ein bisschen krude. Und da muss man auch mal ein bisschen überlegen, ob das alles so stimmen kann. Angeblich wird er mitgerissen und kann sich gerade noch so an einem der Rettungsboote festhalten und sitzt da drin. Das Boot wird dann zu Wasser gelassen, unter anderem mit ihm dann, weil er ist ja reingefallen.

Und er sagte mal dazu, als die Titanic nun wirklich sank, das dauerte eine ganze Weile, das donnerte Rums, als sie sich auf den Kopf setzte und weg war sie. Und dann kam die schlimmste Zeit. Dann trieben die Menschen im eiskalten Wasser und schrien um Hilfe. Und das war wie ein Sirenenton.

Unglaubwürdige Verluste

Aber ich glaube nicht, dass es ihn das nachhaltig wirklich irgendwie geprägt hat, weil er ist tatsächlich auf dem Rettungsboot mal entspannt eingeschlafen. Und sein Rettungsboot war auch tatsächlich eins der ersten, welches von der berühmten Carpathia, also der erste Dampfer, der zum Unglücksort kam, was von denen aufgenommen worden ist. Und da war der feine Herr schön fein raus und hat sich dann entsprechend am Deck der Carpathia daneben benommen.

Da soll er nämlich nach Erzählungen einen ganzen Stapel Decken sich genommen haben, weil ihm war es ja kalt, dem feinen Herrn, und die anderen Passagiere konnten schön frieren. Aber der feine Herr hat noch mehr gemacht. Er hat nämlich anschließend dann mal, nachdem der Kutter gesunken ist, mal seine Versicherung angerufen und gesagt, oder die Versicherung von der White Star Line angerufen und gesagt, er hätte ja erhebliche materielle Verluste erlitten.

Und diese materiellen Verluste, die waren wirklich schon erheblich. Ja, also er soll acht Anzüge dabei gehabt haben, zwei Abendanzüge, zwei Jagdanzüge, wofür auch immer man die auf der Titanic und in Amerika braucht. Vier Mäntel, 40 Oberhänden, 15 Schlafanzüge, 14 Paar Schuhe, 10 Sets, Unterwäsche, 40 Kragen. Also ich sag mal, Mariah Carey hat weniger dabei, wenn die auf eine Welttournee geht.

Das ist alles so ein bisschen komisch. Ich würde ihn mal so als leicht Halbseiden bezeichnen. Das war alles nicht so ganz koscher, was der gemacht hat.

Er kam dann mit der Carpathia in New York an, ist dann wieder zurück, ist dann nach Frankreich.

Autorennfahrer

Die Fräulein Jablonska war auch Geschichte. Die war nicht mehr interessant für ihn. Und ist dann nach Bad Honnef gezogen. Er hat noch Autorennen gefahren, hat für Mercedes-Benz irgendwie so ein bisschen was verkauft und hat eigentlich ein sehr glückliches Leben geführt.

Im November 1972 ist er dann im Alter von 80 Jahren verstorben und hat seine letzte Ruhestätte auf einem repräsentativen Friedhofsstück auf Melaten gefunden. Das ist so ne kösche Jung, den eigentlich wirklich kein Mensch kennt. Würde mich jetzt wundern.

Also alle, die den schon vorher kannten, mögen sich mal kurz melden, dann falle ich wahrscheinlich tot um, wenn das mehr als fünf sind. Die Geschichte ist die einzige Verbindung, die mir bekannt ist zwischen Köln und der Titanic. Ich kannte den Alfred vorher auch nicht.

Und jetzt haben wir zwar abschließend nicht geklärt, ob auf dieses bescheuerte Tür, Rose und Jack, beide draufgepasst hätten. Ja, da werden wir auch niemals, werden wir da eine Lösung für finden. Ich sag ja, der hätte locker mal draufgepasst, wenn die mal ein bisschen zur Seite gerutscht wäre. Wobei, bei dem Gejaule von der Celine Dion wäre ich auch von dem Brett gerutscht.

Mit diesen Worten würde ich sagen, friert nicht zu viel im Wasser und maht et jood.

Vielen Dank fürs Zuhören.


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Am 9. November 1992: Arsch huh, Zäng ussenander auf dem Chlodwigplatz

Arsch huh, Zäng ussenander
 Im August 1992 griffen in Rostock-Lichtenhagen rechtsextreme Randalierer unter dem Applaus (!) von etwa 3.000 Zuschauern das „Sonnenblumenhaus“ an. Dort waren zahlreiche Vietnamesen untergebracht. Besonders erschreckend: Als die Ausschreitungen ihren Höhepunkt erreichten, zog sich die Polizei zurück. Die im brennenden Sonnenblumenhaus eingeschlossenen Menschen waren im Kampf gegen den rechten Mob und die applaudierende Mittelmäßigkeit auf sich selbst gestellt.

Ähnliche Bilder gab es zuvor bereits aus Hoyerswerda und vielen weiteren Orten nicht nur im Osten Deutschlands. Auch im Westen gab es vergleichbare Angriffe wie zum Beispiel im Mai 1993 der Brandanschlag auf das Haus der Familie Genç in Solingen, bei dem fünf Menschen starben und 17 weitere Menschen zum Teil schwer verletzt wurden.

Asyldebatte wurde von CDU/CSU und der BILD-Zeitung befeuert

Hintergrund der ausländerfeindlichen Überfälle war die hitzig geführte Asyldebatte. Im Jahr 1992 wurden 440.000 Asylsuchende in Deutschland registriert. CDU und CSU griffen das Thema auf und setzten auf Kampagnen mit den Titeln „Asylbetrug“ oder „Wirtschaftsflüchtlinge“. Beide befürchteten, Wähler an die stark wachsenden rechtsradikalen Parteien „Die Republikaner“ oder „DVU“ zu verlieren.

Schlagzeilen der BILD-Zeitung vom 2. April 1992 (links) und 1. September 1992 (rechts)

Sie konnten dabei auf die Unterstützung der BILD-Zeitung bauen. Der Historiker Ulrich Herbert bezeichnet diese Kampagnen als „eine der schärfsten, polemischsten und folgenreichsten Auseinandersetzungen der deutschen Nachkriegsgeschichte“.1Ulrich Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge. München 2001, S. 299.

Fremdenfeindliche Straftaten auch in Köln und Umgebung

Das Bundeskriminalamt berichtet im September, dass in den ersten acht Monaten Jahres 1992 bereits 2.220 Straftaten gegen Ausländer begangen wurden. Die Gewalt gegen Ausländer, so die Behörde, „… habe sich qualitativ verschärft, deutlich sei eine Tendenz zur Brutalisierung und eine Steigerung der Gefährlichkeit der Angriffe.“

Auch im Rheinland randalieren die rechten Scharfmacher, hier eine Auswahl der rassistisch motivierten Straftaten innerhalb von nur sechs Tagen:

  • 3. September 1992:
    Brandanschlag auf eine Aussiedlerunterkunft in Bonn und auf eine weitere Unterkunft in Düsseldorf
  • 4. September 1992:
    Brandanschlag in Leverkusen auf eine Container-Siedlung, in der Aussiedler aus Polen und der GUS untergebracht sind.
  • 6. September 1992:
    In Alfter bei Bonn wird ein Schuss in den Wohnraum eines Asylbewerberheimes abgegeben.
  • 8. September 1992:
    Brandanschlag auf ein Flüchtlingswohnheim in Rösrath

Kölner Künsterlszene reagiert

Die Künstlerszene in Köln ist alarmiert. Die gut vernetzten Kölner Musiker wollen ein Zeichen gegen die rechte Gewalt setzen. Auslöser dieser Überlegung war der Musiker und Journalist Nedim Hazar, Vater von Eko Fresh. Hazar hatte in einem Gespräch den Musikern Anke Schweitzer und Rolf Lammers erzählt, dass er sich in Köln wegen der spürbaren rassistischen Tendenzen zunehmend unwohl fühle. Lammers sprach daraufhin den umtriebigen Musikmanager Karl Heinz Pütz (1954-2013) an.

Pütz fackelte nicht lange und trommelte die Kölner Musikerszene zusammen. So trafen sich am 22. Oktober 1992 unter anderem Stephan Brings, Arno Steffen von L.S.E., Wolfgang Niedecken und „Effendi“ Büchel von BAP, Hannes Schöner von den Höhnern, Tommy Engel sowie Gerd Köster und Matthias Keul von „The Piano has been drinking“ im Stadtgarten. Sie und viele weitere wollen eindeutig Position beziehen. Dabei entstand die Idee, unter dem Titel „Arsch huh, Zäng ussenander“ eine Kundgebung auf dem Chlodwigplatz zu veranstalten.

Als Termin für das Konzert wurde der geschichtsträchtige 9. November 1992 ausgewählt, der Jahrestag der Pogromnacht gegen die jüdische Bevölkerung im Jahr 1938. Von da an muss es schnell gehen – es bleiben gerade noch 18 Tage bis zur Veranstaltung.

Wie wöhr et, wemmer selver jet däät?

Die Veranstaltungsplanung lief sofort auf Hochtouren. Aber neben der kompletten Logistik und Organisation wollten die Musiker auch noch unbedingt ein Lied als Statement veröffentlichen. „Nick“ Nikitakis schreibt die Musik, Wolfgang Niedecken steuert den Text bei.

Dieser Text handelt von einem realen Erlebnis Niedeckens bei der Bäckerei Brochmann in der Südstadt. Er war Zeuge, wie ein Handwerker dort unwidersprochen rassistische Parolen von sich geben konnte, ohne dass jemand einschritt – Niedecken inklusive. Der Musiker später: „Erst auf dem Weg an den Frühstückstisch war mir bewusst geworden, dass ich schlicht gekniffen hatte“.

So kam es zu den legendären Zeilen:

Du jehß ding Brühtcher holle,
Su wie jeden Morje waatste an dä Thek.
Do löht ne Typ em Blaumann Sprüch aff,
Bei dänne et dir nur kotzschlääsch weed.
Du denks: Nur russ he, wat ess bloss passiert,
Dat kein Sau reajiert?
Wiesu’s e janz Land am kusche,
Als wöhr et paralisiert?

Wie wöhr et wenn du dämm Blaumann jetz sähs,
Dat du Rassistesprüch janit verdrähs?
Wenn du en vüür dä Lück blamiers,
Endämm du’n einfach oplaufe löhß?
Un övverhaup: wemmer selver jet däät,
Wemmer die Zäng ens ussenander kräät?
Wenn mir dä Arsch nit huh krieje,
Ess et eines Daachs zu spät.2
Du gehst dir Brötchen holen,
Wie jeden Morgen wartest du an der Theke.
Da klopft ein Typ im Blaumann Sprüche,
Bei denen dir kotzschlecht wird.
Du denkst: Nur raus hier, was ist bloß passiert,
Dass keiner reagiert?
Wieso kuscht ein ganzes Land,
Als wär es paralysiert?


Wie wär es, wenn du dem Blaumann jetzt sagst,
Dass du Rassistensprüche gar nicht verträgst?
Wenn du ihn vor allen blamierst,
Indem du ihn einfach auflaufen lässt?
Und überhaupt: Wird Zeit, dass man was tut,
Dass man den Mund endlich aufbekommt!
Wenn wir den Arsch nicht hochkriegen,
Ist es eines Tages zu spät.

Tommy Engel bezieht eindeutig Stellung gegen Rassismus, Bild: Uli Kievernagel
Tommy Engel bezieht auch heute noch eindeutig Stellung gegen Rassismus, Bild: Uli Kievernagel

Köln war da!

Auch Tommy Engel war einer der Initiatoren des Konzerts: „Die Idee des Konzertes ist relativ spontan entstanden. Wir konnten überhaupt nicht einschätzen, ob die Leute kommen würden. Wir hätten uns da total blamieren können und keiner wäre gekommen. Ich erinnere mich, wir standen oben in der Severinstorburg und schauten auf den Chlodwigplatz. Und langsam fing der Platz an, sich zu füllen. Aus allen Ecken kamen sie plötzlich herbeigeströmt. Das war total beeindruckend. Köln war da!“

Tatsächlich ist es etwa 90 Minuten vor Konzertbeginn noch erschreckend leer auf dem Chlodwigplatz, nur ein paar Hundert Menschen verlieren sich dort – die Organisatoren haben mit etwa 20.000 Teilnehmern gerechnet. Doch dann entwickelt sich eine unglaubliche Dynamik. Unvorstellbare 100.000 Menschen strömten zum Chlodwigplatz und auf die angrenzenden Straßen der Südstadt. Die Bahnen der KVB kommen nicht mehr durch und stellen rund um den Chlodwigplatz den Betrieb ein. Aber der gesamte Abend verläuft ohne Zwischenfälle.

Auf der Bühne waren Karnevalisten, Intellektuelle, Rocker, Alt und Jung vereint

Das Programm der Kundgebung war extrem breit gefasst: Die Höhner spielten „Wann jeit dr Himmel widder op?“, Willy Millowitsch rezitierte Carl Zuckmayers „Des Teufels General“ und der Widerstandskämpfer Jean Jülich berichtete von seiner Zeit als Edelweißpirat. Jürgen Zeltinger singt vom „Müngersdorfer Stadion“, der schwule Männerchor Triviatas steuert Brechts Kinderhymne bei. Und Tommy Engel muss auf der Bühne angesichts der unüberschaubaren Menschenmenge um Fassung ringen, als er das Lied vom „Veedel“ singt. Auf der Bühne stehen Karnevalisten, Intellektuelle, Rocker, Alt und Jung vereint.

Zum Finale kommen alle Künstler auf die Bühne und spielen den Titel „Arsch huh, Zäng ussenander“. Die Lieder des Abends inklusive des Titelsongs wurden vorher im Weilerswister CAN-Studio aufgenommen und erschienen auf einer eilig produzierten CD, deren Verkauf die Finanzierung der Veranstaltung sicherstellen soll.

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Mehr Informationen

Nach der Kundgebung waren die Künstler zunächst nur „platt“. Der Stress der letzten Wochen mit der Organisation der Veranstaltung und der Produktion der CD sowie das aufwühlende Konzert hatte viel Kraft gekostet. Keiner der beteiligten Menschen realisiert in diesem Moment, was eigentlich passiert ist.

Musikmanager Karl Heinz Pütz (1954-2013) meinte 20 Jahre später: “Die Idee war, den Rassisten das Spielfeld zu entziehen. Es war ein emotionales Zeichen, mit dem wir klargestellt haben: Wir sind der Mentalitätsfaktor Köln. Besser als mit der Musik konnte man das nicht klarstellen. Ich glaube, das ist seitdem auch erledigt. Weil vom Apotheker über den Schützenbruder bis zum Philharmoniebesucher alle dabei waren.“

Aus dem losen Zusammenschluss wird eine dauerhafte Einrichtung

Die CD verkauft sich außerordentlich gut und spielte schnell 1 Mio. DM ein. Damit wurde der Grundstein für eine äußerst erfolgreiche und langlebige Initiative gelegt und der Verein Arsch Huh e.V. gegründet.

Dieser Verein versteht sich als sich als Sprachrohr für ein offenes, tolerantes, solidarisches Köln und setzt sich vielfach für die Verbesserung des Zusammenlebens und eine solidarische Stadtgesellschaft ein. So haben sich, nach Angaben von Arsch Huh e.-V., bisher mehr als 1.000 Kulturschaffende beteiligt, es wurden mehr als 1 Million Menschen erreicht.

Anküdigung zum Konzert "30 Jahre Arsch Huh - Wachsam bleiben!" am 10. November in der Lanxess Arena
Anküdigung zum Konzert „30 Jahre Arsch Huh – Wachsam bleiben!“ am 10. November in der Lanxess Arena

Jubiläumskonzert in der Kölnarena

Die Überlegungen, zum 30. Jahrestag des legendären Konzerts auf dem Chlodwigplatz eine Wiederauflage an gleicher Stelle zu veranstalten, wurden schnell verworfen. Zu groß sind die Sicherheitsbedenken bei einem solchen Mammutprojekt. Eine Veranstaltung an alternativen Standorten wie dem Heumarkt oder auf der Deutzer Werft scheiterte an den hohen Kosten von bis zu 200.000 Euro.

Doch dann meldete sich der Chef der Lanxess-Arena Stefan Löcher und bot seine Spielstätte an. Hier fand nun am 10. November 2022 unter dem Motto „Wachsam bleiben!“die Jubiläumsveranstaltung statt.

Wachsam bleiben! Das Album zu 30 Jahre Arsch Huh
Wachsam bleiben! Das Album zu 30 Jahre Arsch Huh

Passend dazu wurde auch ein neues Album unter dem Titel „30 Jahre Arsch Huh. Wachsam bleiben!“ veröffentlicht. 

Und auch danach geht es mit Aktionen gegen Rechts und für eine freie Stadtgesellschaft weiter. Denn, so die AG Arsch Huh:

Arsch huh, Zäng ussenander bleibt eine Daueraufgabe – in Köln und überall!


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Der „Overather Kartoffelkrieg“ im Oktober 1923

"Anarchie im Aggertal" titelte das Mucher Tageblatt am 31. Oktober 1923
„Anarchie im Aggertal“ titelte das Mucher Tageblatt am 31. Oktober 1923

„Anarchie im Aggertal“ titelte das Mucher Tageblatt am 31. Oktober 1923. Und tatsächlich müssen sich Ende Oktober 1923 dramatische Szenen in den eher beschaulichen Örtchen Overath und Honrath abgespielt haben: Vom Hunger getriebene Kölner Bürger plünderten ganze Kartoffelfelder der bergischen Bauern, die sich ihrerseits mit Knüppeln, Mistgabeln und Dreschflegeln bewaffnet hatten, um ihr Hab und Gut zu schützen.

Drei Milliarden Mark für einen Zentner Kartoffeln

Die Not war, nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg, groß. Es herrschte Mangel an buchstäblich allem, was zum täglichen Leben gebraucht wurde. Verschärft wurde diese Situation durch die Hyperinflation: Ein Zentner Kartoffeln kostete drei Milliarden Mark.

Vor allem in Städten war die Lebensmittelversorgung desaströs. Die Menschen versetzten Schmuck, Uhren, Geschirr oder Teppiche, um an Lebensmittel zu kommen, denn das nahezu wertlos gewordene Papiergeld wollte keiner haben. Es wurde gemaggelt, der Schwarzmarkt boomte.

Hamsterfahrten zur Lebensmittelbeschaffung

In der Not waren viele Kölner auf „Hamsterfahrt“. Es ging mit der Eisenbahn ins Bergische Land oder in die Eifel, um bei den Bauern alle halbwegs transportablen Wertgegenstände gegen Lebensmittel zu tauschen. Besonders beliebt dabei: Kartoffeln, die relativ gut zu transportieren und zu lagern waren.

Viele der Hamsterfahrer hielten sich aber nicht damit auf, zu tauschen: Mit Hacken und Schaufeln liefen sie auf die Felder und plünderten die Felder der Bauern. Insbesondere die Kartoffelfelder an den Bahnstrecken im Bergischen Land waren betroffen, denn so war der Abtransport der gestohlenen Kartoffeln schnell und einfach möglich. Verständlich, dass die hungernden Kölner keine gern gesehenen Gäste waren.

Eine erfolgreiche "Hamsterfahrt", die gehamsterten Kartoffeln werden verladen. Bild: Bundesarchiv, Bild 183-S80285 / Walter Heilig / CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Eine erfolgreiche „Hamsterfahrt“, die gehamsterten Kartoffeln werden verladen. Bild: Bundesarchiv, Bild 183-S80285 / Walter Heilig / CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Eskalation im Oktober 1923

Ende Oktober 1923 spitzte sich die Situation zu. Die Bahn hatte sogar „Sonderzüge zum Kartoffelkauf“ von Köln nach Overath eingesetzt. Die Bergischen Bauern ahnten bereits, dass dies weniger zum „Kartoffelkauf“, sondern vielmehr zum „Kartoffelklau“ führen würde und baten um Polizeiunterstützung. Aber vergebens.

Daher griffen die Bergischen Bauern zur Selbsthilfe und formierten sich am 26. Oktober 1923 am Bahnhof, um die Kölner daran zu hindern, das Bahnhofsgebäude zu verlassen. Die Not war so groß, dass in Much sogar die Kirchenglocken geläutet wurden, um noch mehr Hilfe herbeizurufen.

Es kam zu wüsten Prügeleien, doch die zahlenmäßig überlegenen Kölner konnten die Kette rund um den Bahnhof durchbrechen. Das erschreckende Ergebnis: Ein erschossener Kölner, ein erschlagener Bauer, zahlreiche Schwerverletzte, geplünderte Höfe und zentnerweise gestohlene Kartoffeln.
Bei dem toten Bauern könnte es sich um den erst 28jährigen Ackergehilfen Emil van Drenke gehandelt haben, der infolge seiner Verletzungen am 27. Oktober 1923 verstarb.

Todesanzeige des möglichen Opfers des "Kartoffelkriegs" Emil van Drenke aus der Lindlarer Zeitung vom 31. Oktober 1923
Todesanzeige des möglichen Opfers des „Kartoffelkriegs“ Emil van Drenke aus der Lindlarer Zeitung vom 31. Oktober 1923

Overath stellt Bürgerwehr auf

Das sollte den Overathern nicht noch einmal passieren! Mit Unterstützung von Arbeitern und Bergleuten aus dem Umland stellten die Overather Bauern eine 1.500 Mann starke Bürgerwehr auf.

Der nächste „Kartoffel-Sonderzug“ aus Köln am 29. Oktober 1923 kam nur bis Honrath, eine Station vor Overath. Mit Waffengewalt wurde der Lokführer gezwungen, den Zug zu stoppen und nach Köln zurückzufahren. Auch dabei kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Je nach Quelle starben ein bis vier Menschen.

Das „Mucher Tageblatt“ vom 31. Oktober 1923 berichtete:

„Sonntag war der Andrang der Plünderer in der Gegend von Overath und Marialinden äußerst stark. Mancher Hof und manches Haus wurde völlig ausgeplündert, nicht allein von Kartoffeln, sondern auch von Getreide und Federvieh. Das letztere wurde mit Knüppeln totgeschlagen und in die Säcke gesteckt.“

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die französischen Militärverwaltung dem Treiben tatenlos zugesehen. Doch ab Anfang November reagierten die Besatzer: Der Zugverkehr von Köln nach Overath wurde für mehrere Wochen eingestellt und etwa 1.000 französische Soldaten sicherten die Overather Kartoffelfelder.

Eine Banknote mit den Nennwert "Hundert Billionen Mark"
Eine Banknote mit den Nennwert „Hundert Billionen Mark“

Währungsreform bringt Beruhigung

Aber erst die Umstellung von der „Mark“ (M) auf die „Rentenmark“ (RM) im November 1923 konnte die Situation beruhigen. Mit dem aberwitzig anmutenden Kurs von 1.000.000.000.000 M : 1 RM (1 Billion Mark zu 1 Rentenmark) wurde die Inflation beendet.

Und bereits 1924 waren die Tagesausflügler aus Köln, mit reichlich neuer Währung in den Taschen, wieder im Bergischen Land willkommen.

Auf weiterhin gute Nachbarschaft, liebe Overather, Mucher, Rösrather und Honrather!


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